Ludwig Uhland
Walther von der Vogelweide
Ludwig Uhland

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Zweiter Abschnitt.

Philipp von Schwaben.  Deutschlands Zwiespalt und Zerfall.  Walther als Vaterlandsdichter.

Das Jahr 1198, in welchem der Dichter seinen fürstlichen Gönner in Österreich verlor, war auch ein Wendepunkt in der Geschichte der Zeit. In diesem Jahre wich der Friede, der in den letzten Jahren Kaiser Friedrichs I. und während der Regierung Heinrichs VI. in Deutschland geherrscht hatte, den langwierigen und verderblichen Kämpfen der Gegenkönige.

Heinrich VI. war im Herbst 1197 zu Messina gestorben, sein dreijähriger Sohn Friedrich blieb, unter Vormundschaft des Papstes, als König in Sicilien. Die deutschen Fürsten hatten ihn noch bei Lebzeiten seines Vaters als Nachfolger auf dem deutschen Throne anerkannt. Aber Innocenz III., der kurz nach des Kaisers Hintritt, im kräftigsten Alter, zum Oberhaupt der Kirche gewählt worden, wollte nicht wieder die Vereinigung der deutschen Krone mit der sicilischen dulden. Er fand diese Vereinigung gefährlich für die Kirche, und erklärte, da Friedrich noch nicht getauft gewesen, als man ihn zum römischen König erwählt, so brauche man sich hieran nicht zu kehren. Den Deutschen war nicht mit einem Kinde geholfen. In den sechsten Monat war das Reich verwaist.

Philipp von Schwaben, des verstorbenen Heinrichs Bruder, hatte anfangs versucht, seinem unmündigen Neffen die Thronfolge zu 300 erhalten, bald richtete er selbst sein Absehen auf die Krone. Auch diesem Hohenstaufen arbeitete der Papst entgegen. Mit Berthold von Zähringen und Bernhard von Sachsen wurde von den Fürsten um das Reich unterhandelt. Nachher ordneten der Erzbischof von Köln und andre, mehrenteils geistliche Fürsten, von päpstlichem Einfluß geleitet, eine Gesandtschaft an Otto von Braunschweig ab, um ihn zum Throne zu berufen. Die Reichskleinode, auf deren Besitz man damals großen Wert legte, waren in Philipps Händen.

Schon früher war ein falsches Gerücht von Kaiser Heinrichs Tode das Zeichen zu allgemeiner Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung gewesen. Jetzt, nach des Kaisers wirklichem Hintritt, erreichte die Verwirrung den höchsten Grad. »Als ich aus Tuscien nach Deutschland zurückgekommen, schreibt Philipp an Innocenz III.,Registr. Innocent. III. ep. 136. S. 147. fand ich das ganze Land in nicht geringerer Verwirrung, als irgend das Meer von allen Winden zerwühlt werden könnte.«

Die ersten Lieder unsres Dichters, denen wir den Zeitpunkt ihrer Entstehung bestimmter nachweisen können, beziehen sich auf diese Ereignisse. Ernstes Nachdenken über die Zerrüttung des Vaterlands, Anklage des Papstes, dessen Umtriebe den Zwiespalt herbeigeführt, Aufruf an Philipp, der Verwirrung ein Ende zu machen.

Ich saß auf einem Steine,Diese Strophe ist nachgeahmt von Boppo (Man. II, 235): Ich saß auf einer Grüne u. s. w.
Da deckte ich Bein mit Beine,
Darauf setzte ich den Ellenbogen,
Ich hatte in meine HandVgl. Wigalois Z. 6022 bis 6027. Chevalier au cygne I, 119, 2879: »Sa main a son menton.« Gui de Bourgogne S. 29: »Sa main a sa maissele, comme voir dolans hon.« geschmogen
Das Kinn und eine Wange;
Da dachte ich mir viel bange,
Wie man zur Welte sollte leben.
Keinen Rat konnte ich mir geben,
Wie man drei Ding' erwürbe,
Der keines nicht verdürbe:
Die zwei sind Ehre und fahrend Gut,
Der jedes dem andern Schaden thut,
Das dritte ist Gottes Hulde,
Der zweien Übergulde;
Die wollte ich gerne in einen Schrein.
Ja leider! möchte das nicht sein, 301
Daß Gut und weltlich' Ehre
Und Gottes Huld je mehre
Zusammen in ein Herze kommen.
Steige und Wege sind eingenommen,
Untreue ist in der Saße,
Gewalt fährt auf der Straße,
Friede und Recht sind beide wund,
Die drei haben Geleites nicht,
die zwei werden denn eh' gesund.

geschmogen] geschmiegt. – Übergulde] was mehr als jene gilt. – In der Saße] seßhaft. [Ulrichs von Turheim Tristan 558. Alt Meister-Gesangbuch S. 48. DCXII: saze. Suchenwirt II, 41.] – Die drei] nemlich Gut (Reichtum), weltliche Ehre und Gottes Huld, haben kein sicheres Geleit, um zusammen zu kommen, bevor nicht die zwei, Friede und Recht, wiedergenesen sind und die Straße frei machen.

Ich sah mit meinen Augen
Der Menschen Thun und Taugen.
Da ich nun hörte, da ich sach,
Was jedes that, was jedes sprach.
Zu Rome hörte ich lügen
Und zweene Könige trügen.
Davon hub sich der meiste Streit,
Der eh' ward oder immer seit.
Da sich begannen zweien
Die Pfaffen und die Laien,
Das war eine Not vor aller Not,
Leib und Seele lag da tot.
Die Pfaffen stritten sehre,
Doch ward der Laien mehre;
Das Schwert legten sie da nieder
Und griffen zu der Stole wieder,
Sie bannten, die sie wollten,
Und nicht den sie sollten.
Da störte man manch Gotteshaus,
Da hörte ich ferne in einer Klaus
Viel starker Ungebäre;
Da weinte ein Klausenere,
Er klagete Gott sein bittres Leid:
»O weh! der Pabest ist zu jung; hilf, Herre, deiner Christenheit!« 302

seit] seitdem, nachher. – zweien] entzweien. – Pfaffen und Laien] geistliche und weltliche Fürsten, in der streitigen Königswahl. – Ungebäre] ungebärdige Wehklage. – Klausenere] der klagende Klausner, welcher mehrmals vorkommt, bedeutet die vormalige strenge Frömmigkeit im Gegensatze zu der nunmehrigen Ausartung des geistlichen Standes.

Ich hörte die Wasser dießen
Und sah die Fische fließen,
Ich sah was in der Welte was,
Wald, Feld, Laub, Rohr und Gras.
Was kriechet oder flieget,Gottfrieds von Straßburg Werke II, S. 105. Str. 14. S. 107. Str. 28 f.
Oder Beine zur Erde bieget,
Das sah ich und sage euch das:
Der keines lebet ohne Haß;
Das Wild und das Gewürme,
Die streiten starke Stürme,
Also thun die Vögel unter ihn'n,
Nur daß sie haben einen SinnSoltaus historische Volkslieder S. 86: Die fürsten hatten einen mutt.
(Sie wären anders zu nichte):
Sie schaffen gut Gerichte,
Sie setzen Könige und Recht
Und schaffen Herren und Knecht.
O weh dir, deutsche Zunge,
Wie steht deine Ordenunge!
Daß nun die Mück' ihren König hat    Die Mücken haben König unter ihnen,
    Die Bienen einen Weissel, dem sie folgen,
    Kein Creature lebet ohne Meisterschaft u. s. w.
                                Der Mysnere (bei Müller DXCIII).

Und daß deine Ehre also zergat!
Bekehre dich, bekehre!
Die Kirchen sind zu hehre,
Die armen Könige drängen dich.
Philippe! setze den Waisen auf und heiß sie treten hinter sich! (Man. I, 102.)

dießen] tosen, rauschen. – fließen] schwimmen. – was] war. – Was kriechet] vgl. Wernhers Maria S. 28. 52. – unter ihn'n] unter sich. – deutsche Zunge] Land deutscher Sprache. – zergat] zergeht. – die Kirchen] die Geistlichkeit. [Ducange B. I, S. 996 [Paris 1842. II, 362. K.] f.: »(Circulus) Circulus aureus, Coronæ 303 simplicioris species, quæ Patriciatus insigne erat apud Romanos, sub Imperatoribus Occidentalibus. Leo Ost. lib. 2, cap. 79: Eidem Henrico IV, Patriciatus honorem Roniani contribuunt, eumque praeter imperialem coronam aureo circulo uti decernunt. Petrus Diac. lib. 4 Chron. Casin. cap. 119 de Lothario imp.: Ipse vero in civitate coronam circuli patricialis accepturus remansit. Acerbus Morena in Histor. Rerum Laudensium pag. 117 de Friderico I Imp.: Sequenti igitur proximo die Dominico praedictus Papa Paschalis cum suis Cardinalibus in ipsa Ecclesia S. Petri Missam honorifice et cum magno gaudio celebravit, ipsoque die in capite Imperatori circulum aureum tantummodo imposuit. Sequenti vero die Martis, in quo fuit festum S. Petri ad Vincula, praedictus Dom. Papa Paschalis Dom. Fredericum Imperatorem et serenissimam Augustam Beatricem conjugem suam ex coronis auro purissimo, et multis pretiosissimis gemmis decoratis coronavit in ipsa Ecclesia S. Petri. Circulum etiam, non coronam, Regibus tribuit Chronicon Montis-Sereni ann. 1134: Imperator celebrat Pascha Halverstat, ubi quidam de Principibus Danorum Magnus nomine, hominium ei faciens, regnum Daniae ab ipso suscepit, et postquam praestitit juramentum, Imperatori ad Ecclesiam procedenti, circulo decoratus aureo, gladium praeportavit. An. 1152 de Friderico Imp.: Qui proximum Pentecoste Morseburg celebrans, Sueno Regi Daciae Circulum Regium concessit. Et an. 1158: Dux Bohemiae concesso sibi ab Imperatore Circulo nominatur. Circulis aureis Augustae apud Occidentales usae etiam leguntur, non coronis. Arnoldus Lubec. lib. 6, cap. 2 de uxore Philippi Suevi Imp.: Ibi quoque Regina, regio diademate, non tamen coronata, sed circulata processit. Vide Corona Ducalis. Le Roman de Garin: El fu vestu d'un paille Alexandrin. Et en son chef un chapelot d'or fin. Alibi: Le cercle d'or li ert el chief asis.« Tristan 10862. 10981. Chronik des Franziskaner Lesemeisters Detmar, nach der Urschrift und mit Ergänzungen aus andern Chroniken herausgegeben von Dr. F. H. Grautoff. 1. Teil. Hamburg 1829. S. 82. J. 1204: De koningh Philippus hadde ok enen groten hof to Megdebborch, da he ghecronet ghink mit sime wive. Maßmanns Eraclius S. 213b.] – zu hehre] zu gewaltig. [Beneckes Beiträge, S. 255, 3.] – die armen Könige] die mittellosen Thronbewerber. – den Waisen] das Reichskleinod, den Edelstein der Kaiserkrone, welchen Herzog Ernst aus dem hohlen Berge mitgenommen haben soll.

Noch im Frühjahr 1198 ward dem Dichter die Freude, Philippen gekrönt zu sehen. Das hochschwebende Lied, worin er seinen Jubel 304 ausspricht, läßt kaum bezweifeln, daß er selbst der Krönung zu Mainz anwohnte.

Die Krone ist älter, denn der König Philippe sei:
Da möget ihr alle schauen wohl ein Wunder bei,
Wie sie ihme der Schmied so eben recht gemachet.
Sein kaiserliches Haupt geziemet ihr also wohl,
Daß sie zu Rechte niemand scheiden soll;
Jedwedes nicht des andern Tugend schwachet.
Sie lachen beide einander an,
Das edel Gesteine und der junge süße Mann;
Die Augenweide sehen die Fürsten gerne.
Wer nun des Reiches irre geh',
Der schaue, wem der Waise ob seinem Namen steh'!
Der Stein ist aller Fürsten Leitesterne.   (I, 127b.)

zu Rechte] mit Recht. – Tugend] Wert. – schwachet] schwächet, verringert.

Das angenehme Bild, das Walther von seinem Könige giebt, bestätigen die Worte des Geschichtsschreibers. Nach der Beschreibung der urspergischen Jahrbücher war Philipp ein Mann von schöner und edler Gesichtsbildung, blondem Haar, mittlerer Größe, zartem, fast schwächlichem Körperbau.Chron. Abb. Ursperg: »Erat autem Philippus animo lenis, mente mitis, eloquio affabilis, erga homines benignus, largus satis et discretus, debilis quidem corpore, sed satis virilis, in quantum confidere poterat de viribus suorum, facie venusta et decora, capillo flavo, statura mediocri, magis tenui quam grossa.«

Der Dichter begnügt sich nicht, Philippen zum Throne berufen und auf demselben begrüßt zu haben. Er giebt dem neuen Könige noch das Mittel an, seine Herrschaft zu befestigen und auszubreiten. Dieses Mittel findet er in der Milde, der dankbaren Freigebigkeit gegen diejenigen, die sich dem Könige versöhnt und verpflichtet haben, der rückhaltlosen Ausspendung von Gaben und Ehre.

Philippe, König hehre!
Sie geben dir alle Heiles Wort
Und wollten Lieb nach Leide.
Nun hast du Gut und Ehre,
Das ist wohl zweier Könige Hort,
Die gieb der Milde beide!
Die Milde lohnet, wie die Saat,
Von der man wohl zurück empfaht, 305
Darnach man ausgeworfen hat;
Wirf von dir mildigliche!
Welch' König der Milde geben kann,
Sie giebt ihm, daß er nie gewann,
Wie Alexander sich versann:
Der gab und gab, da gab sie ihm alle Reiche. (I, 113a.)Vgl. Raynouard, Choix des poésies originales des Troubadours B. 5,. S. 196. Anc non crec u. s. w. S. 320. Par dar conquis u. s. w.

Das ist wohl u. s. w.] (Lesart der Pf. Hds. 357) Reichtum und Ehre, jedes für sich schon, ist der Hort, Schatz, eines Königs. (Vgl. I, 135b: »zwei Kaisers Ellen« d. h. Stärke, Kraft.) – sich versann] inne ward.

Die Geschichte beweist, daß Philipp wirklich in diesem Sinne gehandelt. Wie er überhaupt die gelinden Wege den gewaltsamen vorzog, so suchte er besonders durch reiche Gaben an Geld und Ländereien Feinde zu beseitigen und Anhänger zu gewinnen. Seinem gefährlichsten Mitbewerber um die Krone, dem Herzog Berthold von Zähringen, hatte er für dessen Rücktritt 11 000 Mark bezahlt. Seine Freigebigkeit war so groß, daß er damit nicht, wie Alexander, alle Reiche gewann, sondern selbst die anererbten Lande nur noch dem Namen nach behielt.

»Als er, so erzählen die urspergischen Jahrbücher, kein Geld hatte, um seinen Kriegsleuten Sold zu bezahlen, fing er zuerst an, die Ländereien zu veräußern, die sein Vater, Kaiser Friedrich, weit umher in Deutschland erworben hatte, so daß er jedem Freiherrn oder Dienstmann Dörfer oder angrenzende Kirchen versetzte. Und also geschah es, daß ihm nichts übrig blieb, außer dem leeren Namen des Landesherrn und denjenigen Städten und Dörfern, worin Märkte gehalten werden, nebst wenigen Schlössern des Landes.«

Dessenunerachtet vermochte er es nicht allen zu Danke zu machen, und selbst Walther wirft ihm in einem andern Liede vor, daß er sich nicht so recht im Geben gefalle. Er erinnert Philippen an den milden Saladin,Bruder Wernher, Alt Meister-Gesangbuch S. 3. LXI: des milten Salannes hant gesete um ere nye so witen scatz. Friberg, Tristan V. 4515. Tocen, Misc. I, 98. VII. Vgl. Turnei von Nanteiz in Maßmanns Denkmälern, I, 138. welcher gesagt, Königes Hände sollten durchlöchert sein, und an den König von Engelland (Richard Löwenherz), den man seiner Mildthätigkeit wegen so teuer ausgelöst (I, 127b).Richard war zu Ende des Jahres 1192, als er auf der Rückkehr aus dem heiligen Lande durch das Gebiet Leopolds VI. von Österreich, den er in Palästina beleidigt hatte, verkleidet reisen wollte, erkannt und festgesetzt worden. Leopold überließ seinen Gefangenen um 60 000 Mark Silbers an Kaiser Heinrich, der Richarden wegen dessen Verbindung mit Tankred von Sicilien übel wollte. Nun wurde Richard vom Kaiser in harter Gefangenschaft gehalten und erst zu Anfang des Jahres 1194 gegen ein Lösegeld von 100 000 Mark, das die Engländer mit großer Anstrengung zusammengebracht hatten, in Freiheit gesetzt.

306 Auch hatte Philipp mit all seiner Freigebigkeit nicht verhindern können, daß gleich nach seiner Krönung Otto von Braunschweig als Gegenkönig aufgestellt wurde, mit dem er bis an seinen Tod zu kämpfen hatte. Wie einst in den Vätern, Friedrich dem Rotbart und Heinrich dem Löwen, so standen jetzt in den Söhnen, Philipp und Otto, Ghibelinen und Welfen sich drohend gegenüber.

Wir haben zuvor gesehen, in welch heiterem Lichte unsrem Dichter seine frühere Lebenszeit erscheint. Mit stets düsteren Farben malt er die Gegenwart. Er klagt um die alte Ehre, um die alten getreuen Sitten. Treue und Wahrheit sind viel gar bescholten. Leer stehen die Stühle, wo Weisheit, Adel und Alter saßen ehe. Recht hinket, Zucht trauert und Scham siechet. Die Sonne hat ihren Schein verkehret, Untreue ihren Samen ausgestreut auf allen Wegen, der Vater findet Untreue bei dem Kinde, der Bruder lügt dem Bruder, geistlicher Orden selber trüget, der uns doch zum Himmel leiten sollte. Der Dichter erkennt hierin die schreckbaren Zeichen des nahenden Weltgerichts (I, 121a. 107b. 112a. 128a.).

Mit tiefem Kummer hält er dem politischen und sittlichen Verfalle seines Vaterlands dessen früheren Glanz entgegen: »O weh! was Ehren sich fremdet von deutschen Landen! Witz und Mannheit, dazu Silber und Gold!« (I, 103b.) »Ich sah hievor einmal den Tag, da unser Lob war gemein allen Zungen, wo kein Land uns nahe lag, es begehrte Sühne oder es war bezwungen. Reicher Gott! wie wir nach Ehren da rungen!« (I, 106a.)

Er rügt hierbei die Entartung und Zuchtlosigkeit des jüngeren Geschlechts. Vormals rieten die Alten und thaten die Jungen. Jetzt haben die Jungen die Alten verdrungen und spotten ihrer. Junge AltherrenAlt Meister-Gesangbuch S. 40. DLIX: alt herren. sieht man und alte Jungherren. Und wenngleich Walther einmal behauptet, niemand könne mit Gerten Kindeszucht behärten, wen man zu Ehren bringen möge, dem sei ein Wort als ein Schlag, so tadelt er doch anderswo die Väter, daß sie Salomons Lehre brechen, nach welcher den Sohn versäume, wer den Besen spare (I, 106. 126b. 129a).

Unrecht würde dem Dichter geschehen, wenn wir in seinem Lobe der Vergangenheit und Tadel der Gegenwart die bloße Vorliebe für verlebte Jugendzeit erblicken wollten. Die gleichzeitigen Geschichtschreiber sind in vollkommener Übereinstimmung mit seiner Schilderung des Zustandes, in welchen Deutschland durch die doppelte Königswahl versetzt wurde.

307 »Damals,« sagt der Abt von Ursperg, »fingen die Übel an, sich auf der Erde zu vervielfältigen. Denn es entstand unter den Menschen Feindschaft, Trug, Untreue, Verrat, womit sie sich gegenseitig in Tod und Untergang hingeben, Raub, Plünderung, Verheerung, Landesverwüstung, Brand, Aufruhr, Krieg. Jedermann ist jetzt meineidig und in die vorbesagten Frevel verstrickt. Wie das Volk, so auch die Priesterschaft. Die Verfolgung ist so groß, daß niemand mit Sicherheit von seinem Wohnort ausgehen kann, auch nur in den nächsten Ort.«

In dem allgemeinen Zwiespalt nahmen auch die Sänger verschiedene Wege. Wenn Walther von der Vogelweide Philipps Krönung feierte, so geleitet Wolfram von Eschenbach den Gegenkönig Otto zu seiner Weihe.Oranse S. 176b. Vgl. Titurel Cap. 27. Str. 4096.

Zu den Anhängern Philipps gehörten der Herzog Bernhard von Sachsen, früher selbst Bewerber um den Thron, und der Erzbischof von Magdeburg.»De Saxonia quidem habuit [Philippus] ducem Bernhardum, marchionem Moesiae et alios principes saeculares potentissimos, insuper archiepiscopos magdeburgensem et bremensem et suffraganeos eorumdem.« Chron. Ursp. Nach dem thüringischen Feldzug im Jahr 1204, der sich mit der Unterwerfung des Landgrafen Hermann endigte, oder als im Jahr 1207 Philipp, mit Otto unterhandelnd, sich in jener Gegend befand,Diese Seit vermutet Köpke a. a. O. S. 16. mag es geschehen sein, daß er die Weihnachten zu Magdeburg feierte. Walther war bei dieser Feier anwesend; in einem farbenhellen Gemälde, den altdeutschen auf Goldgrund ähnlich, zeigt er uns den Kirchgang des Königs mit seiner Gemahlin, der griechischen Irene, und dem Gefolge der Thüringer und Sachsen.

Es ging eines Tages, als unser Herre ward geborn
Von einer Magd, die er sich zur Mutter hat erkorn,
Zu Magdeburg der König Philippe schöne.
Da ging eins Kaisers Bruder und eins Kaisers Kind
In einer Wat, wie auch der Namen zweene sind;
Er trug des Reiches Zepter und die Krone.
Er trat viel leise, ihm war nicht jach;
Ihm schlich eine hochgeborne Königinne nach,
Rose ohne Dorn, eine Taube sonder Gallen.
Die Zucht war nirgend anderswo,
Die Thüringer und die Sachsen dienten da also,
Daß es den Weisen mußte wohl gefallen.   (I, 127b.)

308 Magd] Jungfrau. – eines Kaisers Bruder] Philipp war Bruder Kaiser Heinrichs VI. und Sohn Kaiser Friedrichs I. – Wat] Gewand. [Walther Man. I, 122a, 3: Fründin und frowen in einer wete Wolde ich an in einer gerne sehen. H. Georg 1–4.] – schlich] Vgl. Trist. 10894 f. 11013. 11084.] – Rose ohne Dorn, Taube sonder Galle] Beinamen, die sonst auch der heiligen Jungfrau gegeben werden. – Zucht] Hofzucht, Hofdienst. – den Weisen] den Kennern.

Dem königlichen Paare, das uns hier im Glanze der Macht und des Glückes erscheint, sind finstre Geschicke bereitet. Kurze Zeit nachher, 1208, fällt Philipp durch Mörderhand, und Irene, die Rose ohne Dorn, verwelkt am Kummer über seinen Tod.

Wir haben die schmerzliche Klage des Dichters über den Verfall von Deutschland vernommen. Es hat uns daraus eine seiner schönsten Eigenschaften angesprochen, die Vaterlandsliebe. Dieses edle Gefühl ist die Seele eines bedeutenden Teils seiner Dichtungen. Überall erregt es ihn zu der lebhaftesten Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten. Ihm gebührt unter den altdeutschen Sängern vorzugsweise der Name des vaterländischen. Keiner hat, wie er, die Eigentümlichkeit seines Volkes erkannt und empfunden. Wie bitter wir ihn vorhin klagen und tadeln hörten, mit stolzer Begeisterung singt er anderswo den Preis des deutschen Landes, vor allen andern, deren er viele durchwandert:

Ihr sollt sprechen: willekommen!
Der euch Märe bringet, das bin ich.
Alles, das ihr habet vernommen,
Das ist gar ein Wind, nun fraget mich!
Ich will aber Miete,
Wird mein Lohn halb gut,
Ich mag leichtlich sagen, das euch sanfte thut;
Seht, was man mir Ehren biete!

Ich will deutschen Frauen sagen
Solche Märe, daß sie desto baß
Sollen aller Welt behagen;
Ohne große Miete thu' ich das.
Was wollt' ich zu Lohne?
Sie sind mir zu hehr.
Drum bin ich gefüge und bitte sie keines mehr,
Als daß sie mich grüßen schöne. 309

Ich hab' Lande viel gesehen
Und der besten nahm ich gerne wahr.
Übel müsse mir geschehen,
Könnt' ich je mein Herze bringen dar,
Daß ihm wohl gefallen
Wollte fremde Sitte!
Was denn hülfe mich, ob ich mit Unrecht stritte?
Deutsche Zucht geht doch vor allen.

Von der Elbe bis an den Rhein
Und herwider bis ins Ungerland,
Da mögen wohl die besten sein,
Die ich irgend in der Welt gekannt.
Kann ich rechte schauen
Gut Geläß und (schönen) Leib
So mir Gott! so schwüre ich wohl, daß da die Weib
Besser sind, denn anderswo die Frauen.

Deutsche Mann sind wohlgezogen,
Gleich den Engeln sind die Weib gethan;
Wer sie schilt, der ist betrogen,
Anders könnt' ich nimmer sein verstahn.
Tugend und reine Minne,
Wer die suchen will,
Der soll kommen in unser Land, da ist Wonne viel;
Lauge müsse ich leben darinne!   (I, 119b.)

Märe] Nachricht, Botschaft. – ein Wind] ein Nichts. – Miete] Bezahlung, Botenlohn. – sanfte thut] wohl thut. – Sie sind mir u. s. w.] Vgl. Nibel. V. 2240. – dar] dahin. – Kann ich rechte schauen] das Benehmen (Gelässe) und die Schönheit der Frauen als Kenner zu beurteilen, galt für eine schätzbare Eigenschaft. Vgl. Nibel. V. 2385. Ulr. v. Lichtenst. Frauend. S. 20. Man. II, 24a. 36a. – die Weib] die Weiber, ebenso Mann, Männer. – [Weib, Frauen] Vgl. Man. I, 49b, 5.] – gethan] beschaffen. – betrogen] falsch berichtet. 310

 


 


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