Ludwig Uhland
Walther von der Vogelweide
Ludwig Uhland

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Erster Abschnitt.

Einleitung.  Des Dichters Herkunft.  Die Sänger des Thurgaus.  Friedrich von Österreich.  Des Dichters Jugend.

Walther von der Vogelweide ist einer von den Meistern deutschen Gesangs, die einst, wie die Sage meldet, auf der Wartburg wettgesungen. Ebenso ist er einer der zwölfe, von denen spät noch die Singschule gefabelt, daß sie in den Tagen Ottos des Großen gleichzeitig und doch keiner vom andern wissend, gleichsam durch göttliche Schickung, die edle Singkunst erfunden und gestiftet haben.

292 Wenn einige, die auf ähnliche Weise mit ihm genannt werden, im Halbdunkel solcher Überlieferung zurückgeblieben sind und höchstens durch Vermutung mit noch vorhandenen Dichterwerken in Verbindung gesetzt werden können, so ist dagegen kaum einer von den Dichtern des Mittelalters so mit seinem eigensten Leben in unsre Zeit herüber getreten, als eben dieser Walther von der Vogelweide.

Nicht als ob die Geschichte seinen Wandel auf Erden in ihre Jahrbücher aufgenommen hätte oder als ob alte Urkunden von seinen Handlungen Zeugnis gäben, wie dies bei andern seiner Kunstgenossen der Fall ist; seine zahlreichen Lieder sind es, die sein Andenken und, mehr als dies, ein klares Bild seines äußern und innern Lebens auf uns gebracht haben.

Er hat nicht seine Persönlichkeit in der alten Heldensage des deutschen Volkes untergehen lassen, noch hat er seine Kunst den Ritter- und Zaubermären vom heiligen Gral, von der Tafelrunde u. s. w. zugewendet, sondern er hat die Gegenwart ergriffen. Und hierbei hat er wieder nicht bloß den Mai und die Minne gesungen, vielmehr ist er gerade der vielseitigste und umfassendste unsrer älteren Liederdichter, er behandelt die verschiedensten Richtungen und Zustände der menschlichen Seele, er betrachtet die Welt, er spiegelt in seinem besondern Leben das öffentliche, er knüpft seine eigenen Schicksale, wenn auch in sehr untergeordnetem Verhältnis, an die wichtigsten Personen und Ereignisse seiner Zeit.

Diese Zeit war eine bedeutende, vielfach und stürmisch bewegte. Die Verwirrung des Reichs nach dem Tode Heinrichs VI., der verderbliche Streit der Gegenkönige Philipp und Otto, Friedrichs II. heranwachsende Größe, dessen Kämpfe gegen die päpstliche Allmacht, der Kreuzzüge wogendes Gedräng!

Unscheinbar allerdings ist das Auftreten unsres Dichters auf der Bühne dieser Weltbegebenheiten. Schon darüber könnten wir verlegen sein, wie wir ihn zuerst in die Welt einführen, denn sein Ursprung ist bis jetzt nicht mit Sicherheit erhoben.

Im oberen Thurgau stand, nach Stumpfs Schweizerchronik, ein altes Schloß Vogelweide. Im benachbarten Sankt Gallen hat das patrizische Geschlecht der Vogelweider geblüht. Mit diesem Geschlecht und jenem Schlosse wird Walther von der Vogelweide in Beziehung gesetzt.Stumpf, der gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts schrieb, erwähnt im fünften Buche seiner Chronik eines sankt-gallischen Bürgers, Hans Vogelweider, und fügt das Wappen dieser Vogelweider bei. Hieraus folgt in der vierzig Jahre nach des Verfassers Tod erschienenen Ausgabe von 1606 (Bl. 373b) nachstehender Beisatz, welcher in der ersten Ausgabe von 1548 (Bl 31b) noch nicht befindlich ist: »Sonst ist Vogelweide ein alt Schloß geweßt im oberen Turgow gelegen: davon berümpte Leut kommen, an der Herzogen in Schwaben Hof bekannt. Walther von der Vogelweide war ein frommer biderber, nothaffter Ritter, an Keysers Philippi Hof: wie sölchs bezeuget sein selbst eigen Lied in einem uralten Buch [sicherlich die manessische Handschrift], under Keyser Heinrich und König Cunraden dem jungen geschrieben: darinnen auch sein Wappen abgemalet, hat aber nichts mit diesem geleichs«. Dieses ist ohne Zweifel die Hauptstelle, nach welcher Bodmer und nachher viele Andre den Ursprung des Dichters in das obere Thurgau setzen.

293 In keinem deutschen Lande finden wir auch die ritterlichen Sänger so gedrängt beisammen, als in jenen nachbarlichen Gebirgsthälern, die von der Thur, der Sitter, der Steinach durchrauscht werden, und dort, wo der Rhein dem Bodensee zueilt. Der Truchseß von Singenberg, der Schenk Kunrad von Landegg, Göli, Graf Kraft von Toggenburg, Heinrich und Eberhard von Sax, Friedrich von Husen, Kunrad von Altstetten, Walther von Klingen, Heinrich von Frauenberg, Wernher von Tüfen, Heinrich von Rugge, der von Wengen, der Hardegger, der Taler, Rudolf von Ems u. a. m., von denen allen noch Lieder vorhanden sind, gehören teils mit Gewißheit, teils mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit, jener Gegend an.Von Singenberg, Landegg und Göli wird weiterhin die Rede sein. Kraft von Toggenburg ist in der Geschichte dortiger Gegend hinlänglich bekannt. Die von Sax, ein ausgestorbenes Geschlecht im Rheinthal, nach welchem noch die Landschaft genannt wird. Über die Geschlechter von Husen und von Thal s. v. Arx, Geschichte des Kantons St. Gallen (2 Bde. St. Gallen 1810. 11.) I, 493. 498. Unter den Dienstleuten des Gotteshauses St. Gallen um 1300 zählt ein altes Verzeichnis die von Altstetten, von Hardegg, von Husen auf. Ebd. I, 482. Der Minnesänger Friedrich von Husen, ein Kreuzfahrer, bezeichnet sich selbst als um den Rhein einheimisch. Man. I, 92b. 94a.. (Im Elsaß sucht ihn Oberlin, De poetis Alsatiæ eroticis S. 10.) Ein Walther von Klingen kömmt um 1271 urkundlich vor, Arx I, 395 (nach Docen, Mus. I, 144 schon 1251), ein H. (Heinricus) miles de Frouunberch 1257, ebd. I, 544, ein Cuno miles de Tüfin 1279, ebd. I, 506. Die Ruggen erscheinen noch um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts als sankt-gallische Junker. Ebd. II, 296. Der von Wengen richtet ein Lied an die Thurgäuer. Man. II. 99a. Anziehend und anschaulich hat v. Laßberg in der Zueignung des 1. Bands seines Liedersaals (1820) an die Sänger dortiger Gegend erinnert.

Mitten in jenen sangreichen Gauen lag das Stift Sankt Gallen, von dem der Anbau der Gegend und die Bildung ihrer Bewohner ausgegangen. Die dortigen Klosterbrüder waren im neunten und zehnten Jahrhundert gepriesene Tonkünstler. Ihre geistlichen Lieder, wozu sie selbst die Singweise setzten, gingen in den allgemeinen Kirchengesang über. Ebenso frühe wurde zu St. Gallen in deutscher Sprache gedichtet, und hinwieder das deutsche Heldenlied (Walther und Hiltegund) in lateinische Verse übertragen. Namentlich aber waren diese Mönche beschäftigt, die Söhne des benachbarten Adels überhaupt sowohl, als insbesondre in der Tonkunst, zu unterrichten.Alles Obige hat v. Arx in seinem äußerst lehrreichen Geschichtwerke umständlich ausgeführt und belegt. Von dem Mönche Tutito (st. 912) sagt Ekkehard. jun. de casib. monast. St. Galli cap. III: »filios nobilium in loco ab abbate destinato fidibus edocuit.« Und eben in diesen Verhältnissen mochten Keime liegen, welche nachher im ritterlichen Gesang zur Blüte gekommen sind.

294 Der von Singenberg war des Abtes zu St. Gallen Truchseß, der von Landegg dessen Schenk, Göli (jedoch nur mutmaßlich) dessen Kämmerer, und also sehen wir diesen fürstlichen Abt von einem singenden Hofstaat umgeben. Auch die andern adligen Geschlechter, aus denen zuvor eine Reihe von Minnesängern namhaft gemacht wurde, sind größtenteils als Lehens- und Dienstleute des Klosters bekannt.Über die sankt-gallischen Erbämter s. Arx I, 320. Konrad Schenk von Landegg kommt von 1281 (oder schon 1271, I, 528) bis 1304 in den Urkunden vor. Ebd. I, 476. Die Kämmerer hießen Giele. »Rudolf Gielo, noster camerarius«, ebd. I, 320. Vgl. Mus. I, 162. Der Dichter Göli (Man II, 57a) singt:
    Bei dem Rheine grünen Werde und Auen.
Über die andern Geschlechter s. oben S. 293, Anm.).
Selbst das meldet Hugo von Trimberg in seinem Renner (um 1300), daß ein Abt von St. Gallen schöne Tagelieder gesungen, d. h. Lieder, in welchen der Wächter verstohlene Minne warnt, daß sie nicht vom Tageslicht überrascht werde.

Unsern Dichter von da ausgehen zu lassen, wo der Gesang so heimisch war, wo vielleicht der eigentliche Quell der schwäbischen Liederkunst zu suchen ist, hat an sich etwas Gefälliges. Auch darf nicht unbeachtet bleiben, daß jener sankt-gallische Truchseß von Singenberg sich besonders viel mit Walthern zu schaffen macht. Er rühmt denselben als Sangesmeister, betrauert dessen Tod, ahmt seine Lieder nach, und wir finden auf diese Weise im Thurgau wenigstens einen Wiederhall von Walthers Gesange.

Gleichwohl bleibt der Ursprung des Dichters in jener Gegend noch immer zweifelhaft. Das vormalige Dasein einer Burg Vogelweide scheint lediglich auf der Angabe der vorgenannten Chronik zu beruhen, und die Urkunden des Stiftes St. Gallen, welche nicht leicht einen Weiler, einen Turm der Umgegend unberührt lassen, enthalten, soviel man bis jetzt weiß, keine Spur von dem fraglichen Stammschloß.Die oft angeführte Geschichte des Kantons St. Gallen giebt eine umständliche geschichtliche Ortsbeschreibung dortiger Gegend, auf die reichhaltigen, in hohes Altertum hinaufreichenden Urkundensammlungen des sankt-gallischen Archivs gegründet. Nirgends aber erwähnt sie einer Burg Vogelweide. Um desto sichrer zu gehen, habe ich an Herrn von Arx selbst mich schriftlich gewendet und von ihm die Bestätigung erhalten, daß ihn von einem Schlosse dieses Namens nie eine Meldung aufgestoßen sei. Möglich wäre eine Verwechslung mit Vögelinsberg oder Vögeliseck. In dem sankt-gallischen Jahreszeitenbuche (Goldast, Script. Rer. Alem. Tom. I), das 1272 geschrieben wurde, kömmt ein Ruodolfus dispensator de Vöggillinsberc vor. Notker III., Vorsteher der sankt-gallischen Klosterschulen, gestorben 1022, hatte bei Speicher, in der Gegend, wo jetzt das weitausschauende Vögeliseck steht, ein Gehege (vivarium), worin er Wild und seltene Vögel, die er am meisten liebte, verwahren und füttern ließ. Es ist vermutet worden, daß hier die Heimat des Geschlechtes von der Vogelweide zu suchen sei, welcher Name im Munde des Volks in Vögeliseck umgewandelt worden sein möchte. Man überzeugt sich leicht, wie sehr es hierbei an einem sichern Halt gebreche. Das ausgestorbene sankt-gallische Geschlecht der Vogelweider kömmt erst im fünfzehnten Jahrhundert unter denjenigen vor, welche als Gerichtsherren den Junkertitel führen 295 konnten, und es mag seinen Namen eher von einer Bedienung, als von einer Burg, entnommen haben.Über die sankt-gallischen Vogelweider s. Arx II, 196. Leu, Allgemeines Helvet. Lexikon, T. 18, S. 676. Sie kommen zuerst 1430 vor. Das Schreiben des Herrn von Arx besagt darüber folgendes: »Ich bezweifle es sehr, ob Walther Vogelweider von St. Gallen her sei. Denn nie kömmt dieses Geschlecht in ältern Zeiten, sondern erst im fünfzehnten Jahrhundert da vor, wo von allen Orten her Leute sich in St. Gallen ansiedelten, oder wieder abzogen. Mir scheint Vogelweider eher eine Bedienung ausgedrückt zu haben und von dieser in einen Geschlechtsnamen übergegangen zu sein. Nämlich so wie Kuchimeister einen Proviantmeister, und Füller (impletor), Spiser, andre Verrichtungen anzeigten, und nachhin zu (sankt-gallischen) Familiengeschlechtern wurden, so war Vogelweider ohne Zweifel ein Mann, der sich mit dem Fangen, Füttern, Abrichten der Vögel eines Großen abzugeben hatte, denn Fogilweida hieß eben das, was Aviarium, Glossar. sec. 10 in. ab Ekhart., und ohne solches Vogelbehältnis und einen Wärter desselben konnte der Falkenjagd wegen und des Finkenfangs kein Fürst oder Graf sein. Es mußte darum aller Orte Vogelweider geben. Im Württembergischen ist der Name Vogelwaid nicht selten.« Rühmliche Erwähnung des Dichters aber und vertraute Bekanntschaft mit seinen Liedern findet sich nicht bloß bei dem Truchseß von Singenberg, sondern auch bei andern gleichzeitigen und spätern Sängern, welche nicht dem Thurgau angehören.

Ein Meistergesang über die zwölf Stifter der Kunst nennt Walthern einen Landherrn aus Böhmen.Bei Wagenseil, Von der Meistersänger holdseligen Kunst u. s. w. S. 506:
    Der Fünft Herr Walther hieß,
    War ein Landherr aus Böhmen gewiß[?]
    Von der Vogelweid u. s. w.
In einem andern Meisterliede (Görres, Altdeutsche Volks- und Meisterlieder, Frankfurt 1817, S. 224) heißt er Herr Walther von der Wid, der Ziervogel. (Vgl. Man. II, 2b. ) [Vgl. Grimm, Reinhard Fuchs, S. 104, 18].
Anderwärts wird er dem sächsischen Adelsgeschlechte von der Heide beigezähltS. König, Genealogische Adelshistorie T. II., S. 543. Beides ohne ersichtlichen Grund. Neuerlich ist seine Geburtsstätte in Würzburg gesucht worden, wo er begraben liegt und wo vormals ein Hof »zu der Vogelweide« genannt war.Oberthür, die Minne- und Meistersänger aus Franken, Würzburg 1818, S. 30. Und nach allem bleibt noch die Frage übrig, ob nicht der Name ein dichterisch angenommener oder umgewandelter sei, wovon man auch sonst in jener Zeit Beispiele findet.

Die Sprache von Walthers Gedichten leitet auf keine nähere Spur seiner Herkunft, da sie in der weit verbreiteten oberdeutschen Mundart verfaßt sind, in welcher die meisten Dichter des dreizehnten Jahrhunderts gesungen haben.

Der Dichter selbst, dessen Ausspruch entscheiden würde, gedenkt nur einmal des Landes, wo er geboren ist, aber ohne es zu benennen. Er hat, als er in späteren Jahren dorthin zurückgekommen, alles fremd gefunden, was ihm einst kundig war, wie eine Hand der andern, das Feld angebaut, den Wald verhauen und nur das Wasser noch fließend, wie es weiland floß (Man. I, 141 f.). Auch sonst ist in 296 seinen Liedern nirgends eine Beziehung auf die Gegend des Thurgaus, ob er gleich von den Orten seines Aufenthalts und von seinen Wanderungen vielfältig Rechenschaft giebt. Die erste bestimmtere Ortsbezeichnung ist es, wenn er meldet:

Zu Österreich lernte ich singen und sagen.   (Ebd. I, 132a)

Aus diesen Worten ist übrigens noch keineswegs zu schließen, daß er auch in Österreich geboren sei, eher das Gegenteil; denn sie bezeichnen gerade nur das Land seiner Bildung zur Kunst. In Österreich, wo die Kunst des Gesanges unter den Fürsten aus babenbergischem Stamme so schön gepflegt wurde, konnten die Lehrlinge derselben gute Schule finden. Auch Reinmar von Zweter, der um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts dichtete, berichtet von sich:

Von Rheine so bin ich geboren,
In Österreiche erwachsen.   (Man. II, 146b.)

Nach allen Anzeichen war Walther von adliger Abkunft. Mit dem Titel »Herr«, dem Zeichen ritterbürtigen Standes, redet er selbst sich an, und so wird er auch von Zeitgenossen benannt. Spätere nennen ihn Ritter.So wird er genannt im Leben der heil. Elisabeth (Mencken, Script. Rer. Germ. B. II) und in dem Meisterliede bei Görres S. 224. In der Nachricht, welche die Würzburger Handschrift von seiner Grabstätte giebt, heißt er Miles. Doch ist es zweifelhaft, ob er die Ritterwürde selbst erlangt habe, indem er sich in einem seiner Gedichte mit den Rittern in Gegensatz zu stellen scheint. (Man. I, 142a:
    »Daran gedenket, Ritter! es ist euer Ding.«)
Daß er ein Reichslehn erhalten hat, werden wir nachher sehen.

Dem Bilde, welches sich in der Weingartner Handschrift vor seinen Liedern befindet, ist weder Helm noch Schild beigegeben. Nur das Schwert ist seitwärts angelehnt. In der manessischen Handschrift sind Helm und Schild hinzugekommen; das Wappenzeichen auf beiden ist ein Falke oder andrer Jagdvogel im Käfig, also gänzlich verschieden von dem bei Stumpf abgezeichneten Wappen der Vogelweider, welches drei Sterne enthält.

Ansehnlich muß das adlige Geschlecht des Dichters in keinem Falle gewesen sein. Er sagt einmal: »Wie nieder ich sei, so bin ich doch der Werten einer« (Man. I. 122b). Über seine Armut klagt er öfters, und eben sie mag ihn bewogen haben, aus der Kunst des Gesanges, die von andern aus freier Lust geübt ward, ein Gewerbe zu machen.

»Zu Österreich lernte ich singen und sagen.«

Mit diesen Worten des Dichters treten wir zuerst aus dem 297 Gebiete der Fabel und der Vermutung auf einen festeren Boden. Doch müssen wir häufig diesen wieder verlassen und uns darauf beschränken, einzelne sichere Punkte zu bezeichnen, welchen wir dann dasjenige, was den Stempel von Ort und Zeit weniger bestimmt an sich trägt, nach Wahrscheinlichkeit und nach Verwandtschaft der Gegenstände anreihen. Wo sich der Faden der Geschichte verliert, da giebt das innere Leben des Dichters Stoff genug, die Lücke auszufüllen.

Es lassen sich zweierlei Zeiträume bestimmt unterscheiden, in welchen der Dichter am Hofe der Fürsten von Österreich aus babenbergischem Stamme gelebt hat. Er befand sich dort unter Friedrich, von den Spätern der Katholische genannt, der von 1193 bis 1198 am Herzogtume war, und kam dorthin zurück unter Leopold VII., dem Glorreichen, vor dem Jahre 1217.

Diese beiden Fürsten waren Söhne Leopolds VI., des Tugendreichen, Herzogs von Österreich und Steier, der zu Anfang des Jahres 1193 gestorben war. Friedrich, der ältere Sohn, ließ sich 1195 mit dem Kreuze zeichnen, reiste 1197 nach Palästina ab und starb 1198 auf der Kreuzfahrt.Chron. Claustro-Neoburg. (bei Pez, Script. Rerum Austriac. B. I) ad ann. 1195, 1197, 1198.

Mit ihm muß dem Dichter vieles zu Grabe gegangen sein. In einem geraume Zeit nachher gedichteten Liede rechnet er den Anfang seines unsteten und mühseligen Lebens eben von dem Tode Friedrichs an. Lebendig genug schildert er in demselben Liede seine Trauer um den fürstlichen Gönner: »Da Friedrich aus Österreich also warb, daß er an der Seele genas und ihm der Leib erstarb, da drückt' ich meine Kraniche (Schnabelschuhe) tief in die Erde, da ging ich schleichend, wie ein Pfau,Man. II, 252: mit pfawen schriten. Monum. Boic. B. XXXIII, S. 304: Hainrichen den Pfawentritte. das Haupt hängt' ich nieder bis auf meine Kniee.«

Zwar fällt in Walthers Zeit noch ein andrer Friedrich von Österreich, Friedrich der Streitbare, des Obigen Neffe, der 1230 seinem Vater, Leopold VII., nachfolgte und 1246 in der Ungarnschlacht an der Leitha umkam. Es sind aber hinreichende Gründe vorhanden, das angeführte Gedicht nicht auf den Neffen, sondern auf den Oheim, zu beziehen. Das Genesen an der Seele bei dem Ersterben des Leibes ist bezeichnend für den Tod auf der Kreuzfahrt, welchen der Dichter auch sonst für einen segenreichen erklärt. Und wenn wir auch annehmen wollten, daß Walther, der, wie sich zeigen wird, schon 1198 in sehr männlichem Geiste gedichtet, noch um 1246 gelebt und 298 gesungen habe, so wird doch aus dem natürlichen Zusammenhange, worin jenes Lied späterhin erscheint, sich ergeben, daß solches in den ersteren Jahren der Regierung Kaiser Friedrichs II., also gar lange vor dem Tode Friedrichs des Streitbaren, entstanden sei.

Wenn uns gleich der Dichter, außer dem Wenigen, was angeführt wurde, von den Schicksalen seiner früheren Lebenszeit keine bestimmtere Nachricht giebt, so ist uns doch, bevor wir ihm weiter folgen, ein verweilender Blick in seine Jugend gestattet. Es zeigt uns den Zeitraum, worein solche gefallen, im Wiederscheine seiner späteren Lieder.

»Hievor war die Welt so schön,« ruft er klagend aus. Inniglich thut es ihm wehe, wenn er gedenkt, wie man weiland in der Welt gelebt. O weh! daß er nicht vergessen kann, wie recht froh die Leute waren. Soll das nimmermehr geschehen, so kränket ihn, daß er's je gesehen. Jetzt trauern selbst die Jungen, die doch vor Freude sollten in den Lüften schweben (I, 129a. 140b. 114b).Vgl. Rubin, Man. I, 166b, 1. 168a, 1. b, 2. 169b, 3. 170a, 3. 171a, 1. 172a, 4.

Dieses unfrohe Wesen rügt er an mehreren Stellen. Es gilt ihm, wie andern Dichtern der Zeit, für ein sittliches Gebrechen, so wie umgekehrt die Freude für eine Tugend. »Niemand, sagt er, taugt ohne Freude« (I, 110b). Und allerdings ist es nicht selten die sittliche Beschaffenheit des Gemüts, hier des wohlgeordneten, dort des in sich zerfallenen, woraus Frohsinn oder Mißmut entspringen.

Ob Walther außer dem Unterricht in der Kunst des Gesanges irgend einer Art von gelehrter Bildung genossen, ist nicht ersichtlich. Einige Hinweisungen auf Stellen der Schrift und zwei lateinische Segenssprüche, die er scherzhaft anbringt, können nichts entscheiden. Von den Helden, welche dazumal in romantischen Gedichten verherrlicht wurden, kömmt bei ihm bloß Alexander vor.Auf die deutsche Heldensage findet sich nirgends eine Beziehung, man müßte es denn für eine Anspielung auf Walther und Hiltegund ansehen, wenn auch er, der Sänger Walther, seine Geliebte Hiltegund nennt. I, 136b. Richard Löwenherz und Saladin, deren er erwähnt, waren durch nahe Überlieferung noch in frischem Angedenken. Nirgends eine sichere Spur, ob er des Lesens und Schreibens kundig war. Das Leben hat ihn erzogen, er hat gelernt, was er mit Augen sah; das Treiben der Menschen, die Ereignisse der Zeit waren seine Wissenschaft.

Manches Lied, das über seine Lebensgeschichte vollständigeres Licht verbreiten könnte, mag verloren gegangen sein. In denjenigen, die auf uns gekommen sind, erscheint er als ein Mann von 299 gereiftem Alter, und in mehreren zeigt er sich am Ziel seiner Tage. Seine Gedichte tragen im allgemeinen das Gepräge der Welterfahrenheit, des Ernstes, der Betrachtung. Bis zur eigenen Qual fühlt er sich zum Nachdenken hingezogen und er spricht das bedeutsame Wort:

Ließen mich Gedanken frei,
So wüßte ich nicht um Ungemach.   (I, 114a.)Vgl. Man. I, 70b, 3: Nie wart größer ungemach, danne es ist der mit gedanken umbegat. II, 46a, 5. I, 146b, 2.

Er stellt sich uns in einem seiner Lieder dar, auf einem Steine sitzend, Bein über Bein geschlagen, den Ellenbogen darauf gestützt, Kinn und Wange in die Hand geschmiegt, und so über die Welt nachdenkend. Damit bezeichnet er treffend das Wesen seiner Dichtung, und sinnreich ist er in zwei Handschriften vor seinen Liedern in dieser Stellung abgebildet.

 


 


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