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Achtes Capitel.

Der 18. Brumaire. – Der erste Consul verweigert der Madame Tallien den Zutritt zu seinem Salon. – Unglaubliche Toiletten-Excesse der Madame Tallien. – General Bonaparte und seine Begegnungen auf den Maskenbällen mit Madame Tallien. – Die Kinder der Madame Tallien. – Tallien, aus Aegypten zurückkehrend, landet in Calais. – Theresia zum zweiten Mal geschieden. – Tallien ist kein Günstling Bonaparte's. – Consul in Alicante. – Tallien in seinem moralischen und physischen Elend. – Seine letzten Augenblicke, sein Tod. – Eine Fete bei Madame de Cabarrus. – Theresia's dritte Heirath. – Prinzessin Chimay. – Tod der Prinzessin.


Die Frucht ist reif, dachte Bonaparte, die Zeit ist da, um mir die Frucht in den Hut zu schütteln: er verließ das Pharaonenland und landete in Frejus.

Seine Ankunft war – Niemand zweifelte daran – das Läuten der Todtenglocke für das Directorium. Sechs Wochen genügten für die Vorbereitungen zum Staatsstreich, dann fegte Bonaparte das Directorium hinweg sammt den berathenden Körperschaften – an die Stelle von dem Alten trat er selbst.

Er war im Begriff sich gleich nach seiner Ankunft in Paris von seiner Gemahlin scheiden zu lassen, es lagen Unschicklichkeiten, wie der Akademiker Labiche sagen würde, vor. Den Unschicklichkeiten, die im Betragen Josephines zu Tage getreten waren, wurde energisch gesteuert, ihr Salon gesäubert. Es verkehrten in demselben eine Menge von zweideutigen Personen, Wittwen noch lebender Emigranten, fünf, auch sechsmal geschiedene Frauen, deren Haupt und Führerin die Madame Tallien war. Der erste Consul benachrichtigte diese Damen von ihrer Entlassung und gestattete auch nicht eine einzige Ausnahme. Vor die Thür gesetzt wurden: die Hamelin, die Visconti, Maitresse Berthier's, die Châteaurenault, neben Theresia und Josephine mit Barras eng befreundet, die Forbin, dieser Tambour-Major im Unterrock Diese Clotilde de Forbin war ein Original. Sie schrieb an Barras, als dieser ihr eine Andere vorzog: »Ich werde mich nie eines Rechtes berauben lassen, welches mir zugestanden wurde; ich befehle also, daß mir die Thür wieder aufgeschlossen wird, die man ungerechtfertigter Weise vor mir zugeschlagen hat. Und sollte ich die ganze Vorstadt St. Antoine aufbieten, mich an die Spitze stellen; und wenn man mir auch dann noch die Thüre nicht öffnet, werde ich sie einschlagen lassen.«. Fortgewiesen wurde auch Madame Tallien: Hinaus hieß es, hinaus mit diesen Weibern! Thränen flossen in Strömen, außer sich war besonders Madame Bonaparte, sie konnte sich nicht erklären, weshalb ihre besten Freundinnen gewaltsam von ihr getrennt wurden. Welche Tyrannei – Thränen und kein Ende! Wo sollte sie so treue, so uneigennützige Herzen wiederfinden? Hatte sie denn einen Karthäuser geheirathet oder einen Soldaten? Selbst diese gute vielgeliebte Tallien wollte er sie zu sehen verhindern. Weshalb denn? Weil Barras und Ouvrard einige Rechnungen für sie bezahlt hatten?

Bonaparte hatte als Bedingung seiner Aussöhnung mit Josephine verlangt, daß diese, da er mit ihr nicht brechen wollte, mit ihrem ganzen Anhange aus der Directorialzeit her brechen sollte.

Madame Tallien hatte, wie sich wohl von selbst versteht, gegen den Gewaltstreich vom 18. Brumaire Einiges einzuwenden. Sie war zu Barras geeilt, als alle Anstrengungen gegen den Helden von Saint Cloud bereits vergeblich schienen, und hatte ihm mit »temperamentvoller Liebenswürdigkeit gesagt, er solle sich nur seiner selbst würdig zeigen.« Mit einer nicht minder liebenswürdigen Naivetät wiederholt der unverbesserliche Geck die Worte Theresia's in seinen Memoiren Theil IV. 81.. Sie sind, wie es scheint, sein Trost. Das Verhalten der Madame Tallien ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Zeugen dem General Bonaparte hinterbracht worden; allein er verwehrte ihr den Zutritt zu seinen Gesellschaften nicht deswegen, sondern weil er nur durchaus unbescholtene Frauen bei sich empfangen wollte. Madame Tallien hatte in früheren Jahren und eben noch ein Leben geführt, das man nicht anders als höchst anstößig finden kann – Bonaparte wollte sie unter keiner Bedingung zulassen. Sie nahm Abschied von ihren auffallenden Toiletten und that Alles, um ihn zu versöhnen. Vergebens! Der erste Consul hatte sie gleich nach dem Staatsstreich bei einer Galavorstellung im Opernhause noch in ihrer gewohnten mythologischen Toilette gesehen – er gab nicht nach.

Jemand, der jener Galavorstellung im Opernhause beiwohnte, übergiebt in seinen Aufzeichnungen der Nachwelt ein Bild von dem Costum der Dame:

»Sie war, als handele es sich um einen Maskenball, als Diana gekleidet. Auf ihrem Scheitel strahlte ein Diadem in Halbmondform von Brillanten, deren blitzende Lichter noch blendender wurden durch das tiefe Schwarz der Haare. Ueber entblößter Schulter hing ein Köcher, besät mit Juwelen, ein Tigerfell umschlang die Taille und fiel über die stolze Hüfte herab. Die kurze Tunica reichte nicht aus, um die Knie zu bedecken und die alabasterweißen Beine. Einige Ringe schmückten Hände und Füße; an letzteren waren zierliche Sandalen mit purpurnen Bändern befestigt. Neben dieser Diana sah man zwei entzückend liebliche Nymphen, treu nach antiken Mustern. Bei ihrer Heimfahrt von der Oper drängte ich mich herzu, um noch einmal des Anblicks der Göttlichen theilhaftig zu werden; donnernde Applause gaben ihr das Geleit ach, es war ihr letzter Triumph als Königin der Mode!« De Norvins: »Mémorial« II, 251.

Es war der letzte. Als es allgemein bekannt geworden war, daß der erste Consul nur sittenstrenge, ernste Frauen bei sich empfangen wollte, änderte sich die Mode. Alles Excentrische, Phantastische, Mythologische verschwand aus dem Toilettenressort der Damen. Das Nackte fand keinen Beifall mehr und hüllte sich wieder keusch in Hemd und Robe – den Händen der Madame Tallien war das Scepter entfallen, sie mußte sich jetzt Andern fügen.

Da sie im Grunde genommen besser war, als ihr Betragen, hätte sie sich dessen wohl getröstet, allein sie durfte ja an den Festen, die wieder so sehr in Aufnahme kamen, nicht theilnehmen. Das war grausam! Nur das Echo der Feten am Consularhofe drang zu ihr.

Sehr zu Herzen genommen aber hat sich Madame Tallien allem Anschein nach ihre Ausschließung von den Festen in Malmaison nicht; denn ihr Zorn über die Maßregeln des ersten Consuls verflog bald. Sie hatte ein inneres Verständniß für die Beweggründe, die Bonaparte leiteten; daß ihr gutes Herz ihm verziehen hätte, ist nicht wahrscheinlich. Die zärtlichen Beziehungen zu Josephine wurden trotz des Verbotes in aller Stille fortgesetzt, und gerade die Heimlichkeit der Zusammenkünfte gaben ihnen einen besonderen Reiz.

Josephine, die sich ja nie allzu streng an die Vorschriften ihres Gemahls hielt, hatte Mittel und Wege gefunden, die Tallien, so oft sie wollte, in Malmaison zu sehen, vielleicht kam Josephine auch zu ihr, nach der Rue Cérutti, wo sie jetzt wohnte. Ein in der Rue Laffite gelegenes, früher von Cérutti bewohntes Haus, jetzt »Maison dorée« (Ch. Nauroy: »Le Curieux«). Josephine konnte in ihrer naiven creolischen Immoralität durchaus nicht begreifen, weshalb Bonaparte ihr den Verkehr mit der Freundin verwehren wollte; sie hatte sich in den Kopf gesetzt, es geschehe Ouvrard's wegen, den Bonaparte eben so wenig leiden konnte, wie die anderen Armeelieferanten. Es scheint, als habe Josephine durch eine Freundin versucht, die Tallien von Ouvrard zu befreien. Sie ertheilte derselben folgende Instruction:

»In ihrem Verhältniß zu Ouvrard liegt der alleinige Grund für die Abneigung Bonaparte's gegen Theresia. Versuche es, sie zu bewegen, daß sie Ouvrard laufen läßt, und ich bin sicher, mein Gemahl wendet ihr seine alte Freundschaft wieder zu, und wird mir gestatten, mit Theresia tote ehedem zu verkehren.« Sophie Gay: »Salons célèbres« p. 313.

In einem Briefe, welchen Napoleon 1806 aus Berlin an seine Gemahlin richtete, findet sich folgender, das Thema behandelnder Passus:

»Liebe Freundin, ich erhielt Deinen Brief. Ich verbiete Dir hiermit ausdrücklich, Madame Tallien zu empfangen, unter welchem Vorwande es auch sein möge. Ich lasse keine Entschuldigung zu. Wenn Dir an meiner Achtung gelegen ist, wenn Du mir gefallen willst, halte Dich genau an meine Verfügung. Ich höre, sie besucht Dich in Deinen Zimmern, kommt sogar des Nachts, befiehl Deiner Dienerschaft, sie nicht vorzulassen. Ein Lump hat sie mit ihren 8 Bastarden geheirathet. Der Kaiser übertreibt: so groß war die Zahl nicht; wir geben sie weiter hinten genau an. Ich verachte sie mehr noch als früher. Sie war ein liebenswürdiges Mädchen, es ist ein abscheuliches, nichtswürdiges Weib aus ihr geworden. Ich werde bald in Malmaison zurück sein. Ich benachrichtige Dich, damit ich, wenn ich Nachts eintreffe, kein Liebespaar finde … es würde mir leid thun, es zu stören.«

Der Kaiser tritt, wie man sieht, sehr energisch gegen die Tallien auf; die Logik hätte verlangt, daß er mit derselben Härte gegen Josephine verfahren wäre; die letzten Zeilen seines Briefes, beleidigend im höchsten Grade für eine ehrbare Frau, zeigen, daß er zwischen den beiden Freundinnen keinen großen Unterschied macht. Allein diese Strenge richtet sich nach außen, an die Gallerie, sie hat mit seiner inneren Neigung nichts zu thun.

Diese blieb dieselbe während der ganzen Dauer seiner Herrschaft. Sie bestand in Güte und Nachsicht für die unbeständige Josephine, und in dem liebgewordenen Andenken an seine freundschaftlichen Beziehungen zu ihr während der Directorialzeit – in seiner Eigenschaft als Kaiser aber war er unerbittlich. Die Frauen seiner Familie und seines Hofes ließen schon viel Wolle hängen am Strauchwerk ihrer Wege, er wollte die Zahl nicht vermehren.

Hier ist es am Platz, noch einmal besonders zu betonen, daß Madame Beauharnais und Madame Tallien, die beiden Freundinnen, nicht durch Verdienst, nicht durch ihre Schönheit, sondern durch ihren scandalösen Wandel auf die Nachwelt gekommen sind.

Das Merkwürdigste ist, daß Madame Tallien weder mit Josephine noch mit dem ersten Consul brach, den sie von Zeit zu Zeit durch Bekannte von seinem Entschluß in Bezug auf sie abzubringen suchte. Es existirt aus dieser Zeit ein merkwürdiger Brief, den Theresia an Josephine richtete; er ist etwa ein Jahr nach dem Staatsstreich vom Brumaire geschrieben und lautet:

 

»Meine theure, einstige Freundin! Der Bürger Brononville möchte bis zu Dir vordringen und meint, ein Brief von mir könnte ihm nützen, Dich für ihn zu gewinnen. Mißbraucht von den Zeitumständen und Deinem Herzen gebe ich mich einem so angenehmen Irrthum nicht hin, allein ich konnte einem Mann, der zweiundzwanzig Jahre hindurch dem Staat gedient, der während der Revolution Alles verloren hat, einen Beweis meines guten Willens nicht versagen. Für ihn eine Hoffnung, für mich eine Gelegenheit, Dir ins Gedächtniß zurückzurufen, daß meine Freundschaft allen Prüfungen Stand hält und daß sie nur mit meinem Tode endet.

Theresia Cabarrus-Tallien.«

 

Dieser Brief liefert, wie wir gern bestätigen, wiederum einen Beweis für die unerschöpfliche Herzensgüte der Tallien, ihr Vergnügen am Wohlthun. Wie hoch hätte diese Frau gestanden, wäre sie nicht so leichtfertig, so cokett gewesen, wäre ihre moralische Erziehung nicht so vernachlässigt – die Zeit des Zerfalls ließ es nicht zu.

Die Tallien brennt vor Verlangen, die neue, sich um den ersten Consul bildende Gesellschaft kennen zu lernen. Hat sie nicht schon genug büßen müssen? Auch pflichtet sie den Anschauungen Josephines, daß bei Bonaparte nur politische und Rücksichten der Convenienz für ihre Ausstoßung bestimmend gewesen wären, bei. Bonaparte wollte, glaubt sie, die revolutionäre Vergangenheit in der Erinnerung auswischen.

Keinen Schritt läßt sie unversucht, und wäre er noch so erniedrigend, um Bonaparte umzustimmen.

Man kann daraus ersehen, welchen großen Vorsprung die Eitelkeit bei Theresia vor ihrem Stolz hatte. Sie wollte wieder in der Oeffentlichkeit erscheinen, von sich und ihren Toiletten reden machen, die Huldigungen der Herrenwelt entgegennehmen, sich an der Eifersucht der Frauen ergötzen und zwar – auf der großen Bühne, vor der Bonaparte den Vorhang aufrollte. Da ihr die Kreise der officiellen Welt verschlossen waren, so wagte es kein Minister, kein Beamter, sie zu empfangen.

Trotz allem verlor die Vereinsamte die Hoffnung nicht, daß eines Tages das Eis schmelzen und Bonaparte sie in die von ihm neugegründete Gesellschaft einführen werde. Oft gab sie Bekannten den Auftrag zu einer Mahnung, oft stellte sie sich dem ersten Consul in den Weg – er sah sie nicht! Endlich im Jahre 1802 kam es auf einem Maskenball bei Marescalchi zu einer Begegnung.

Hinter ihren Masken, in ihre Costüme versteckt, konnten Beide unbemerkt und ungestört über Dinge verhandeln, die Theresia mehr am Herzen lagen als alles Andere. Der Consul hatte der Madame Tallien sagen lassen, sie möchte sich eine grüne Schleife anheften und den Arm eines Herrn im Domino annehmen, der ebenfalls eine grüne Schleife zeigen würde. Bonaparte, begleitet vom Doctor Lucas, trifft ein, verläßt denselben aber, sowie er die Dame mit der grünen Schleife gewahr wird. Sie wandern Arm in Arm wohl zwei Stunden lang im Gewühl der Masken auf und ab. Für Theresia ein großer Triumph, leider nur war es kein öffentlicher – Niemand wußte, wer die Masken mit den grünen Schleifen waren.

Unzweifelhaft hat während der langen Unterhaltung Bonaparte Aufschluß über die Gründe gegeben, weshalb er Theresia in den Tuilerien nicht zulassen durfte. Theresia bat, flehte, weinte – Frauen, die graziöse zu weinen verstehen, sind ja unwiderstehlich – aber der erste Consul war und blieb starr, unbeugsam. Seinen ablehnenden Bescheid suchte er mit Versicherungen der Freundschaft, eines treuen Andenkens und einer ganzen Hand voll Schmeicheleien zu versüßen, allein es blieb bei einem ablehnenden Bescheid.

Madame Tallien hielt sich immer noch nicht für geschlagen; sie hatte ein so starkes Verlangen, auf den Bällen in den Tuilerien zu glänzen, daß sie ihre verwundete Eigenliebe hinter dem Lächeln der Weltdame zu verstecken verstand und mit neuen Versuchen vorging. Nichts blieb unversucht. Auf den Maskenbällen, die der Kaiser besuchte, berichtet das »Mémorial de St. Hélène«, war er sicher, stets ein und dieselbe Maske anzutreffen. Hinter derselben steckte eine sehr liebenswürdige, sehr gute, sehr schöne Dame, der Viele viel zu verdanken hatten. Der Kaiser antwortete auf ihre Bitten, sie an seinem Hofe zuzulassen, stets: »Ich stelle nicht in Abrede, daß Sie reizend sind, Madame, aber überlegen Sie sich ihre Forderung ein wenig. Sie haben zwei oder drei Ehemänner und Kinder von Gott weiß wem! Jeder würde sich glücklich schätzen, der Mitschuldige an Ihrem ersten Fehltritt gewesen zu sein, über den zweiten würde man sich ärgern, vielleicht ihn verzeihen, aber dann und dann und dann … Seien Sie einmal der Kaiser – was würden Sie an meiner Stelle thun? Ich bin doch da, um ein gewisses Decorum wieder herzustellen.« Dann schwieg die schöne Bittstellerin oder sagte wohl: »Nehmen Sie mir wenigstens die Hoffnung nicht.« Sie glaubte, im nächsten Jahre würde sie glücklicher sein. »Und,« so schloß der Kaiser, »wir stellten uns Beide stets pünktlich zu dem neuen Rendezvous ein.« –

Daß die Tallien versucht hat, mit der unterschobenen Einladung einer anderen Person sich zu den Bällen in den Tuillerien einzufinden, scheint aus einer Bemerkung der Georgette Ducrest in ihren »Memoiren über die Kaiserin Josephine« hervorzugehen. Die Ducrest erzählt, sie habe auf einem der Maskenbälle einen grauen Domino bemerkt, dem zwei große, schwarz gekleidete Individuen folgten: es konnte Niemand anders sein, sagt sie, als der Kaiser, gefolgt von zwei geheimen Agenten, welche ihn selbst bewachen die übrigen Masken beobachten sollten. Sie sah, wie der graue Domino sich einer sehr hübschen Frau, deren Namen sie nicht sagen will, näherte. Sie bemerkte, daß der Graue sich grade vor die Dame hinstellte, indem er sie in wenig höflicher Weise musterte. Die Dame kam in sichtliche Verlegenheit und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß sie dem grauen Domino sagte, sie kenne ihn nicht, er möge doch unterlassen, ein unhöfliches Spiel mit ihr zu treiben; allein der Domino fuhr fort, sie wie zuvor zu fixiren, ohne ein Wort zu sagen. Erschreckt von dem Gedanken: nur Einer könne sich an diesem Ort etwas Derartiges herausnehmen und dieser Eine könne nur der Kaiser sein, wurde der Aermsten klar, daß ihr Incognito verrathen und der Kaiser selbst ihr andeute, die Ballsäle zu verlassen. Sie entfernte sich sofort.«

Die arme in Ungnade gefallene, von ihrer »Höhe« gestürzte Frau hat das große Verdienst, daß sie sich dadurch nicht abhalten ließ, Gutes zu thun, im Gegentheil, sie war bemüht, für Jeden, der hülfebittend zu ihr kam, sich zu verwenden – Viele an ihrer Stelle hätten ein Vergnügen darin gefunden, sich an einer Gesellschaft zu rächen, von der sie soviel zu leiden hatten.

Es ist Zeit, von den Kindern der Madame Tallien zu sprechen. Wir haben soeben gehört, bei welcher Gelegenheit und in wie grober Form Napoleon von ihren drei Männern und ihren Kindern sprach. Etwas Wahres lag ja darin, aber auch viel Uebertreibung, von ihm z. B. hatte die Tallien kein Kind! Daß Theresia von Monsieur de Fontenay einen Sohn hatte, ist ja schon erwähnt; er war am 2. Mai 1789 geboren und starb 1815. Von ihrem zweiten Gatten Tallien hatte sie eine Tochter, diese hieß mit Vornamen Thermidor-Rosa Theresia und erblickte 1795 das Licht der Welt. Der Name »Thermidor« wurde ihr beigelegt, um in der Familie die Erinnerung an den großen Schlußact der Schreckenszeit, an welchem der Vater betheiligt war, zu verewigen.

Der Name Rosa war der der Madame de Beauharnais, ihrer Pathe, die erst nach ihrer Verheirathung mit Bonaparte »Josephine« gerufen wurde. Madame de Beauharnais, zur Generalin Bonaparte geworden, vergaß ihres Pathkindes nicht. Aus Italien schrieb sie an Barras: »Mein Mann ist vor acht Tagen nach Ravenna gereist und von da nach Tyrol; ich erwarte bald Nachrichten von ihm, die hoffentlich gut sein werden. Grüßen Sie meine Kleine (so nannte sie Madame Tallien), ich bekomme gar keine Nachricht von ihr, das stimmt mich recht traurig. Sagen Sie ihr doch, daß Serbelloni beauftragt ist, ihr Florentiner Strohhüte und Crep in meinem Namen zu überreichen, für den Frühstückstisch ihres Mannes Würstchen und Käse und für Thermidor ein Corallenband. Ich schreibe meiner Kleinen nicht, weil Serbelloni sogleich abreist, umarmen Sie dieselbe in meinem Namen. Adieu, mein lieber Barras, ich bin mit den Empfindungen zärtlichster Freundschaft die Ihrige
Lapagerie-Bonaparte.
P. S. Serbelloni hat es übernommen, Ihnen ein Kistchen mit Turiner Likören in meinem Auftrag zu überreichen. Grüßen Sie Botot (Privatsecretär bei Barras) freundlich, auch Victor und Ranimur. Tallien umarme ich.
Das Datum der Geburt weiß man nicht. Nauroy meint, das Kind hätte vielleicht schon vor der Verheirathung seiner Eltern sein Erscheinen auf der Welt angekündigt; Rosa heirathete einen Herrn de Narbonne-Pelet.

Während Tallien nach Aegypten unterwegs war, hatte Theresia ein drittes Kind, welches bei der Geburt starb – 30. Frimaire des Jahres VI (20. December 1798). Nauroy meint, Barras wäre aller Wahrscheinlichkeit nach der Vater gewesen. In einem langen Brief, welchen Tallien am 17. Thermidor desselben Jahres an Theresia schrieb, es war fünf Tage nach seiner Landung in Alexandria, ist keinerlei Anspielung auf zu erwartende Vaterfreude enthalten, wohl aber spricht Tallien die Hoffnung aus, sie wiederzusehen: »liebenswürdig und stets treu.«

Liebenswürdig – gewiß! Aber – stets treu? Tallien hoffte jedenfalls Etwas, was ihm selbst sehr unwahrscheinlich vorkommen mußte. Und in der That genaß seine Frau am 12. Pluviôse des Jahres VIII (31. Januar 1800) eines Töchterleins, das in der Taufe die Namen Clemence Isaure Theresia erhielt und in die Register als Cabarrus, nicht als Tallien eingetragen ist. Sie heirathete später einen Oberst Devaux und trat, als sie Wittwe geworden, in ein Kloster. Das Erziehungshaus der Damen des heiligen Ludwig in Jouilly, dessen Oberin sie wurde, hat die Erinnerung an sie, ihre stattliche Größe, ihren stattlichen Kinnbart, und gewisse seltsame Eigenschaften, die eigentlich einer frommen Schwester nicht wohlstehen, bewahrt. Sie ist erst 1884 zu Jouilly gestorben.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß sie eine Tochter Ouvrard's war, welcher noch drei andere Kinder mit Theresia hatte, zu ihnen gehört der bekannte geistreiche Doctor Cabarrus, geboren 1801.

Um dieselbe Zeit etwa landete Tallien in Calais. Er hatte auf Befehl des General Menou Aegypten verlassen; Menou war bekanntlich nach der Ermordung Kleber's General en chef der Truppen in Aegypten geworden. Das Schiff, welches Tallien nach Frankreich überführte, wurde von den Engländern gekapert, Tallien nach England und zehn Tage später, nach Abschluß des Friedens, in seine Heimath geschafft. In Amiens erfuhr er bereits, was inzwischen geschehen war: daß seine Frau zwei Kindern das Leben geschenkt hatte. Freunde, sagt Lairtullier, bereiteten ihn vor auf den üblen Empfang, welchen er finden werde.

War das sein Lohn? War er nicht nach Aegypten gegangen, um inmitten von Pest und Krieg dem Glück nachzujagen, um für die Phantasien seiner Gattin aufzukommen? In gesegneten Umständen hatte er sie verlassen, drei Jahre später, bei seiner Rückkehr, fand er die kleine Familie vermehrt und die Frau abermals ihrer Niederkunft entgegensehend. Man denke sich dieses Wiedersehen! Beschreiben läßt es sich kaum.

»War es denn meine Schuld,« sagte Theresia später, »daß Tallien nach Aegypten ging, während er seine Rolle in Paris zu spielen hatte?«

Die Frauen müssen doch immer Recht haben, und schließlich kam auch Tallien zu der Einsicht, daß er es war, der nicht Recht, sondern Unrecht habe. Es war offenbar seine Schuld, daß seine Frau während seiner dreijährigen Abwesenheit dreimal Mutter geworden war – seine Schuld natürlich, daß er nicht wie Ouvrard ein Vermögen von 30 bis 40 Millionen besaß. Und dann hätte er doch sollen in Aegypten bleiben und nicht andere Leute geniren. Wer hatte ihn denn gebeten, zurückzukommen?

Die Zukunft hatte Tallien noch weit Schlimmeres vorbehalten.

Nach einigem Sträuben, und trotzdem er wohl immer noch einige Liebe für Theresia im Herzen haben mochte entschloß sich der Unglückliche, den Scheidungsantrag zu stellen. Der General Lannes ging ihm ja mit gutem Beispiel voran, der General Bonaparte war nahe daran gewesen, desgleichen zu thun. Während die Sache noch vor Gericht schwebte – um die Nothwendigkeit einer Scheidung noch besonders zu betonen – genas Madame Tallien wiederum eines Kindes, wiederum eines Töchterchens genannt Clarissa Gabrielle Theresia Cabarrus, die später Madame Brunetière wurde.

Es waren der Beweisstücke für den Treubruch so viele, daß die Scheidung der Ehe am 8. April 1802 gerichtsseitig erklärt wurde. Die Herren Richter hatten diesmal sehr schnell Alles studiert und begriffen. Man sehe die » Gazette des Tribunaux«, November 1835.

Was Tallien nach seiner Scheidung anfing, ist nicht genau zu ermitteln. In Aegypten hatte ihm das Glück nicht gelächelt, auch Bonaparte's Wohlwollen war ihm versagt geblieben. Nachdem derselbe ihn noch im Jahre 1796 als Trauzeugen verwendet hatte, brach er seine Beziehungen zu ihm sozusagen ab. Die Ungnade des Oberbefehlshabers traf sogar alle diejenigen Personen, die Anschluß an Tallien suchten. Duchesse d'Abrantès: »Mémoires« V, 285. Das Mißfallen, welches Bonaparte den Brüdern Lanusse an den Tag legte, hatte keinen anderen Grund als ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Tallien.

»Lanusse,« sagte Bonaparte eines Tages, »ist mit einem anrüchigen Menschen befreundet, der sogar auf Die, die nur oberflächlich mit ihm bekannt sind, ein schlechtes Licht wirft. – Ich kann diesen Tallien nicht leiden, er ist schlecht und verdirbt Andere.« Ebendaselbst III, 227.

Eben weil er Tallien nicht leiden konnte, weil er nicht das geringste Vertrauen in ihn setzte, überließ er ihn ohne Verwendung seinem Schicksal. Fouché, der in moralischer Beziehung ebensowenig werth war wie Tallien, der aber weit größere Fähigkeiten und mehr gelernt hatte, wurde vom ersten Consul als Polizeichef verwendet. Alle die anderen Thermidoristen, unter denen es ebenso unfähige, ebenso unwissende Leute gab wie Tallien, wurden versorgt und erwiesen sich als die gefügigsten Schmeichler des zukünftigen Cäsar – nur Tallien erreichte Nichts!

Ganz entmuthigt stellte er sich eines Tages bei Fouché ein und Dank der Verwendung desselben und der Fürsprache Talleyrand's erhielt er im November 1804 Amt und Titel eines General-Commissars und Agenten in Handelsangelegenheiten zu Alicante, das heißt mit anderen Worten soviel, als er wurde Consul in Alicante. Das war freilich wenig für Den, der nach dem 9. Thermidor der Abgott von Paris, der Convents-Präsident gewesen war.

Es blieb ihm nichts übrig, als sich bei dem kleinen Amte zu beruhigen. In Paris konnte er zudem unmöglich bleiben, konnte unmöglich zusehen wie die, die seine Frau gewesen war, sich in den Equipagen Ouvrard's spreizte. Er liebte sie immer noch, trotz ihres Treubruches, trotz der Scheidung. Man liebt ja diese verworfenen Weiber, trotz ihres Verrathes: so weit geht die Schwäche unseres armen Herzens, daß diejenigen Frauen, die am wenigsten geliebt zu werden verdienen, stets von uns am meisten geliebt werden. Arme Blinde, die nicht sehen können, daß die Frau geschaffen ist, um geliebt zu werden! Arme Narren, welche nicht einräumen wollen, daß es gut ist, den Frauen mit einem leisen Scepticismus zu begegnen und ihnen nur eine gewisse Galanterie, sonst Nichts zu zeigen, daß man vor Allem das Herz bei Leibe nicht in Mitleidenschaft ziehen darf, weil man sonst die Geliebte zu verlieren riskirt, und diese das Herz als ein Schaustück tragen wird. Ein Männerherz ist doch ein gar zu hübsches Spielzeug! Die geliebte Dame amüsirt sich damit wie eine junge Katze mit einer Papierkugel. Wie reizend! Wie das Kätzchen die Kugel mit den Krallen packt, sie mit unnachahmlicher Grazie in die Luft wirft! Wie sie die Kugel über den Boden rollt und danach hackt, dann, als habe sie das Spielzeug vergessen, darauf tritt, um endlich hineinzubeißen – wie die Katzen so machen es viele Damen mit den Männerherzen, ihren Spielzeugen.

Instinctiv sagen sich diese Damen, daß man mit Sammetpfötchen einen Mann nicht auf die Knie bringt, sondern dadurch, daß man ihn die scharfen Krallen fühlen läßt.

»Ich,« schreibt Benjamin Constant, »hatte tausendmal mehr Geist wie sie, allein ich fiel ihr taumelnd zu Füßen.«

Ist dann die Papierkugel, das Herz des Mannes, gehörig zerrissen und zerzaust, sind nur noch Fetzen davon übrig, so wirft man es, halb gelangweilt, halb verächtlich bei Seite und geht zu einem anderen.

Tallien reiste also auf seinen Consulatposten ab. Häuslicher Kummer, seine peinliche pecuniäre Lage hatten ihn früh alt gemacht. Die Gemahlin des General Junot, die in Madrid mit ihm an der Tafel des General Beurnonville, des französischen Gesandten in Spanien, zusammentraf, schildert ihn folgendermaßen:

»Neben mir saß ein großer Mann von abstoßenden und finsteren Gesichtszügen, der kein Wort sprach. Er hatte eine bräunliche Hautfarbe, sah verdrossen und gallig aus, ich glaubte anfangs, er wäre einäugig. Aber man gewahrte bald den stechenden Blick. In ein Gespräch wurde er nur wenig gezogen. Der Unglückliche! Welches elende Leben mußte er damals führen.« Duchesse d'Abrantès: »Mémoires« V, 285.

Dieses elende Leben führte er bis zu seinem Tode. Er behielt seinen Consulatsposten in Alicante und wurde allmählich vergessen und vergaß auch selbst soviel er nur konnte. Hatte er früher das Glück gehabt, zu lieben, jetzt war ihm das größere Glück bescheert, nicht mehr zu lieben.

Der Krieg von 1808 störte seine ruhige Abgeschiedenheit. Er mußte Spanien verlassen, sein Haus wurde geplündert und dann eingeäschert. Man weiß aus einem Brief, den er an Herrn Decazes richtete, geschrieben zur Zeit der Restauration, daß er über 10 000 Frcs. verlor – das war damals für ihn ein Vermögen, früher mußte er für eine einzige Robe seiner Maitresse 12 000 Frcs. zahlen.

Im Monat Mai 1812 trat Tallien eines Tages in das Cabinet des Herzogs von Rovigo. Barère, mit dem er sich dort traf, glaubt, er wäre von diesem Minister bestellt worden, um als alter Revolutionär Auskunft zu geben über die unruhigen Bewegungen, die sich in Folge der Theuerung in den Vorstädten zeigten. Barère: »Mémoires« III, 165.

Im Jahre 1815 war Tallien in seinem Aeußeren der Art verändert, daß Carnot, den er besuchte, ihn nicht wieder erkannte. » Mémoires sur Carnot« par son fils I, 528. In demselben Jahre begegnet man ihm wieder, als es sich um die Berathung der Zusatz-Acte handelte. Sein Votum, betreffend die Register des Mairie des zweiten Arrondissements erläuterte er mit den Worten:

»Phrasen sind überflüssig, wenn Gefahren das Vaterland unmittelbar bedrohen, wenn die Ehre, die Unabhängigkeit der Nation das Opfer persönlicher Auffassungen verbietet. Da ich vor Allem Franzose sein und bleiben will und der Hoffnung lebe, daß die Zeit, die Erfahrung und die Vaterlandsliebe den beiden Kammern die wünschenswerthen Verbesserungen eingeben werden, sage ich ›ja‹!« Ebendort II, 437.

Unter der Restauration versuchte man es, ihm wegen seines Votums Unannehmlichkeiten zu bereiten. Die Angeber erreichten jedoch nichts. Tallien, dem schon im Jahre 1815 Ludwig XVIII Zeichen seines Wohlwollens gegeben hatte, indem er ihm eine Pension von jährlich 6000 Frcs. gewährte, erklärte auch dem König die Gründe, weshalb er sein Votum in der erwähnten Weise abgegeben hatte, in einem Briefe, in welchem er um die königliche Gnade bittet und auf den traurigen Zustand seiner Gesundheit hinweist. Tallien litt schwer unter Gichtanfällen. Es kam vor, daß er Monate lang nicht gehen, daß er nicht einmal eine Feder in der Hand halten konnte. Auch war er auf einem Auge erblindet, und litt, wie er mittheilt, auch noch am Blasenstein. Eine tiefe Melancholie, geistige Zerschlagenheit hat sich seiner bemächtigt; er schreibt an Ludwig XVIII:

»In diesem trostlosen Zustande, in welchem ich nur noch in meinen Schmerzen Beziehung zum Leben habe, von Allen verlassen, nur nicht vom Muth, gestatten mir Eure Majestät, zu bitten, daß Alles geschehe, was möglich ist und daß mein Vertrauen in die unerschöpfliche Güte Ew. Majestät mir verziehen sein möge, ebenso wie die unumwundene Darlegung meines Elends.«

Ludwig XVIII ließ sich rühren, auch hatte er ja eine Dankespflicht gegen seinen alten Correspondenten. Der König machte in Bezug auf Tallien eine Ausnahme von dem grausamen Proscriptions-Gesetz, welchem alle »Königsmörder« aus der Zeit der Revolution verfielen – nur Die nicht, die mit ihm in Verbindung getreten waren, das heißt Barras und Tallien. Die Briefe Tallien's an Ludwig XVIII und Herrn Decazes, Polizeiminister, befinden sich im National-Archiv. Ch. Nauroy druckte sie ab in seinem Blatte » Le Curieux«.

Die Pension, deren sich Tallien als früherer Consul zu erfreuen hatte, wurde 1816 gestrichen. Er richtete eine Bittschrift an Herrn Decazes (unter dem 23. Januar 1816), mußte aber seine Wohnung in der Rue Chabanais Nr. 4 verlassen; er zog in ein kleines Häuschen in der Allee des Veuves Nr. 31. Dieses Obdach stellte ihm seine frühere Frau zur Verfügung; es gehörte ein kleiner Garten dazu, dort konnte er sich pflegen.

Solche Gaben der Mildthätigkeit anzunehmen machte sich Tallien kein Gewissen, obwohl in seinen Briefen an den König und Decazes stets von seinem »Gewissen« viel die Rede ist – ein recht nachsichtiges Gewissen!

Im Winter von 1816 auf 17 wurde sein Zustand schlechter. Seine Hülfsmittel waren zudem erschöpft: es war eine für ganz Frankreich schwere Zeit. Die Prinzessin Chimay war genöthigt, auf Borg zu leben. Man sehe im »Anhang« einen Brief an Lafitte, in welchem sie um Geld bittet. Tallien mußte »um seiner täglichen Nahrung willen seine Bücher und Sachen Stück um Stück verkaufen« – so sagt er selbst in einem Brief an Decazes. Pasquier begegnete ihm eines Tages auf einem Quai mit einem Packet Büchern unter dem Arm. Pasquier vernahm, daß dieselben zum Verkauf bestimmt wären, erbat sie zur Ansicht und erklärte, sie fehlten gerade in seiner Bibliothek: es würde ihm Vergnügen machen, wenn Tallien sie ihm abtreten wollte. Das Geschäft fiel für Tallien natürlich sehr vortheilhaft aus.

Da Pasquier es den Ereignissen vom 9. Thermidor zu danken hatte, daß er dem Schaffot entging, und nicht seines Vaters Schicksal theilte, so glaubte er sich Tallien zu hohem Dank verpflichtet; wir lesen in seinen Memoiren:

»Ich kam in die Lage, kurz vor Talliens Tode ihm einen Theil meiner Dankesschuld für Das, was er mir erwiesen hatte, abzutragen. Es hat mir eine wirkliche Freude gemacht. Die Unterstützungen, die ihm höheren Ortes bewilligt waren, hatten, ich weiß nicht weshalb, aufgehört; ich hörte davon und stellte meinerseits ein Bittgesuch; auf diese Weise wurden Tallien's letzte Lebenslage weniger peinlich. Er hat mir auf dem Todtenbette in sehr rührender Weise seinen Dank ausgedrückt.« Chancellier Pasquier: »Mémoires« I, 115.

Auch Prinz Eugen Beauharnais in seinen Memoiren sagt, er habe Tallien in dessen letzten Lebensjahren eine kleine Pension gezahlt. Der Unglückliche bedurfte derselben sehr; in seinen Briefen an Decazes finden wir ein ergreifendes Bild seiner traurigen Lage, am Rande einer seiner Bittschriften auch den Vermerk:

»Seine Excellenz gab eine Anweisung auf 1000 Frcs., überreicht am 18. Mai 1818.« Ch. Nauroy: »Le Curieux«. – National-Archiv.

Lange konnte Tallien in einem solchen Gesundheitszustande, in einem solchen Elend nicht leben: am 18. November 1820 trat bei ihm der befreiende Tod ein.

Möge die Geschichte ein mildes Urtheil über einen Mann fällen, der gelegentlich Gutes gethan hat, der vom Schicksal ausersehen war, seinem Lande einen Dienst zu erweisen und dadurch Vieles wieder gut zu machen. Man darf nicht mit allzu großer Strenge und nicht mit dem Microscop prüfen, was er that, darf nicht die Excesse, die er beging, ihm allzu hoch anrechnen: er war damals ein junger, leidenschaftlicher Mann, aus niederem Stande hervorgegangen, ohne alle Grundsätze, er lebte in einer Zeit, in welcher das revolutionäre Fieber verwirrend auf die Gehirnthätigkeit Aller wirkte.

Amnestie also für ihn und seine Frau – nur keine Statuen! Wir kehren zu Theresia zurück.

Nach ihrer zweiten Scheidung verließ sie die »Chaumière Tallien« und bezog ihr Haus in der Rue de Babylone Nr. 685. Es lag mitten in einem großen Garten, in welchem die herrlichsten alten Bäume standen. Sie verdankte diesen Besitz der Freigebigkeit des Herrn Barras: man konnte dort mitten im Herzen von Paris so einsam leben wie auf dem Lande. Ein einsames Leben aber war bekanntlich nichts für Theresia, die sich jetzt wiederum Cabarrus nannte. Da Ouvrard für ihre Bedürfnisse, welche die Einkünfte ihres durch ihren ersten Gemahl und die Ereignisse geschmälerten Vermögens weit übertrafen, aufkam, so gab Theresia nach wie vor Feten über Feten. Die Krisen ihres Lebens hatten sie in keiner Weise geschädigt – das kam hauptsächlich daher, weil sie ihr Herz nicht hineingeworfen hatte in den brodelnden Kessel. Sie war glücklich – wirklich unglücklich ist ja nur Der, bei dem das Unglück im Herzen liegt. Ein unerschütterliches Wohlwollen, in welchem vielleicht mehr System als natürlicher Drang zum Ausdruck kam, war und blieb ihre Richtschnur. Sie fühlte sich wohl dabei und ihre Freunde auch. Sie verdient deswegen keinen Tadel: es giebt nichts, was so thöricht wäre, als sich von einem Herzen foltern zu lassen, weil es das Dasein verdirbt und zu unbesonnener Hingabe verleitet, nichts, was so unklug wäre, als sich von der gebieterischen, tief einschneidenden Leidenschaft der Liebe unterjochen zu lassen, die nie etwas Anderes zur Folge hat als Schmerz und Verzweiflung; diese aber dorren die Seele aus, bis sie dem vom Blitz getroffenen Baume gleicht. Ei! Wieviel bequemer ist doch so ein so mildes, bedächtiges, vorsichtiges Wohlwollen! Vielleicht hat es Undank zur Folge, allein das schadet Nichts: es macht der Stirn keine Falte, zieht keine Furche durchs Herz. Madame de Cabarrus haßte Nichts so sehr als ein Fältchen im Gesicht.

Ein Deutscher, der sich bei Madame de Cabarrus durch den Bankier Tourton hatte einführen lassen – es war ein Jahr nach der Scheidung von Tallien – beschreibt uns eine der Feten in dem schönen Hause der Rue de Babylone und vergißt es nicht, eine Skizze von der schönen Herrin einzufügen:

»Sie hat,« so schreibt er, »eine schöne, große, üppige Gestalt; man hält sie für jünger als sie ist, man glaubt, sie wäre den Dreißigern nahe, während sie schon mehr als dreißig Jahre zählt. Der kleine Kopf mit den zarten Conturen läßt sie größer, stärker noch erscheinen als sie es ist. Ihre Züge tragen den Stempel jener thatbereiten Herzensgüte, von der sie so viele Beweise während der schrecklichen Revolutionszeit ablegte. Ihre Manieren haben etwas Natürliches, ein Sichgehenlassen, das sie sympathisch und bezaubernd macht. Als sie sich im Laufe der Soirée auf die Knie niederließ und ihre schönen Hände in einander legte, um eine junge Dame zum Vortrag eines Liedes aufzufordern, als sie dann noch auf den Knieen liegen blieb, ihre großen Augen auf die Sängerin richtend, die Lippen kaum merklich bewegend, als wiederhole sie den Text des Liedes, da war sie in der That zum Malen schön.« Reichhardt: » Un hiver à Paris sous le Consulat«. Das Buch sollte mehr gelesen werden als es gelesen wird.

Herr Reichhardt, dem wir diese Worte nachsagen, hat sich da, wie alle Welt, fangen lassen, er ist den Verlockungen der Sirene erlegen: er irrt sich, wenn er glaubt, daß das, was sie so bezaubernd macht, darin bestand, daß sie natürlich ist und sich gehen läßt – Theresia war ja das gerade Gegentheil von natürlich. Sie war damals so affectirt wie nur möglich, Alles an ihr war einstudirt, genau erwogen, nur weil sie natürlich erscheinen wollte. Darauf concentrirten sich ihre Studien, Spiegelstudien wohl hauptsächlich; sie besaß schließlich eine große Kunstfertigkeit darin, diese Studien, diese Kunst zu verstecken, aber in den Augen eines schärferen Beobachters erschien doch Alles nur wie Schminke.

»Unter den Gästen,« fährt Herr Reichhardt fort, »befand sich auch ein Spanier, welcher zur Guitarre sang Madame de Cabarrus sagte mir, sie liebe Nichts so sehr wie die Lieder ihrer Heimath und fügte hinzu, daß in Spanien diese Lieder stets von einem Tanz begleitet wären. Und in der That sah ich, wie die kleinen Füße der Dame, als gelte es einem Bolero, sich bewegten. Tanzen habe ich sie nicht sehen, auch die schöne Harfe, welche in einer Ecke des Salons stand, ist unberührt geblieben. Die Dame war hauptsächlich damit beschäftigt, ihre Gäste zu bewillkommnen, dieselben zu ihren Sitzen zu führen und sich mit ihnen zu unterhalten – die Mehrzahl waren Engländerinnen. Sie setzte sich bald neben der Einen, bald neben der Anderen nieder, sie war in fortwährender Bewegung, gefolgt von einem Schwarm dienstbereiter Cavaliere.«

Man sieht, wie sehr Madame de Cabarrus sich um ihre Gäste kümmerte, wie sehr sie es verstand, die liebenswürdige Wirthin zu spielen. Das ist ein Talent und zwar kein gerade vielverbreitetes. Ferner hört man, daß Fremde die Mehrzahl ihrer Besucher bildeten. Wie sollte es auch anders sein! Nachdem der erste Consul der Pariser Gesellschaft einen etwas ernsteren, solideren Ton beigebracht hatte, hatte auch Madame de Cabarrus, die immer noch glaubte, es würden sich die Thüren in den Tuilerien oder in Malmaison öffnen, den Manieren der Directorialzeit entsagt. Die Emigrirten wollten sich in ihrem Salon nicht zeigen, und die Geschäftswelt wagte es nicht, aus Furcht, oben zu mißfallen. Es blieben ihr nur einige Geldleute und Fremde. Ihre Gesellschaften aber hatten etwas sehr Angenehmes; Theresia hatte ja das Bedürfniß, es war ihr Glück, die Königin zu spielen, sei es wo immer, im Salon, in einer Stadt, bei einem Souper oder – in einer Revolution – ach, nur in den Tuilerien gab es für sie keinen Thron – wie sehr hätte sie gewünscht, sich neben dem Bonaparte's den ihrigen zu errichten.

Hören wir des Weiteren, was Herr Reichhardt mittheilt:

»Für die Herren waren mehrere Spieltische aufgestellt. Die Dame des Hauses überreichte selbst die Karten: sie selbst riskirte, von einem Tisch zum andern eilend, zuweilen einen Einsatz von 5 oder 6 Louisd'or – aber nur im Vorübergehen. Die Engländer rückten und rührten sich nicht von den grünen Tischen, auf denen das Gold sich zu kleinen Haufen thürmte; Hazardspiele waren damals sehr Mode.

Endlich hatte Madame de Cabarrus noch vier Paare zusammengebracht, welche eine Française tanzten, während eine einzige Violine aufspielte. Ihre Tochter, ein liebliches Kind von etwa 10 Jahren, der Mutter sehr ähnlich, tanzte mit vollendeter Grazie zur großen Freude Aller. Das Verhalten zwischen Mutter und Tochter deutete auf Beziehungen inniger Liebe … Die Gesellschaft dehnte sich, wie mir schien, doch ein wenig zu lange aus.

Madame de Cabarrus hatte der letzten der eingeladenen Damen mit den ihr so wohlstehenden höflichen Formen das Geleit zur Thür gegeben, als sie, allem Anscheine nach in einem Zustande völliger Erschöpfung, zu uns zurückkehrte; sie ließ sich auf einen Sessel fallen und stieß kaum hörbar die Worte hervor:

»Ich kann nicht mehr ich bin todt!«

Ich befand mich mit Tourton in ihrer Nähe und war so ungeschickt, sie zu fragen, ob sie sich unwohl fühle. Sie erwiderte, indem sie emporschnellte, mit einem Lächeln:

»Das ist es nicht, mein Herr.«

Sie wandte sich sogleich an Tourton, indem sie hinzufügte: »Meine Gesellschaft war sehr zahlreich, nicht wahr?«

Immerwährend dieselbe Wahrnehmung! Bei Theresia war Eitelkeit der Hebel von Allem. Sie war glücklich, eine so zahlreiche Gesellschaft bei sich empfangen zu haben, nicht weil man sich besser unterhalten konnte, sondern weil es Mode war, die Salons mit Gästen so voll zu pfropfen, daß kein Apfel zur Erde, daß man eher ersticken, als sich bewegen konnte. Die Gesellschaftszimmer Theresias waren gerade nicht groß. Reichhardt sagt darüber:

»Die Wohnung besteht aus einem großen Saal und einem größeren Schlafzimmer, an welches sich ein Boudoir schließt; die Räumlichkeiten genügten gerade für die 70 bis 80 Gäste, welche ich anwesend fand.«

Wir thun an der Hand unseres Führers in aller Discretion noch einige Schritte weiter:

»Das prachtvolle Bett aus Ebenholz im Schlafzimmer ist von anderem, ernsteren Styl als das, welches ich im Hause der Madame Récamier sah; ist aber wie dieses mit schönen Bronze-Ornamenten versehen: der Baldachin über dem Bett ist groß und hoch angebracht, er hat die Form eines runden Zeltes und wird von einem vergoldeten Pelikan im Schnabel gehalten – ein aus Aegypten eingeführtes Muster. Die Vorhänge sind von weißer und carmoisinrother Seide und mit goldenen Fransen und Puscheln versehen; in breiten Falten fallen sie auf den parquettirten Fußboden. Schöne Basreliefs sind überall an den Wänden angebracht.«

Herr Reichhardt läßt Nichts unbeschrieben, auch die Frisur, die Toilette der liebenswürdigen Dame des Hauses beschreibt er genau; wir möchten noch die nachstehenden Zeilen seinem interessanten Werk entnehmen:

»Ihre prachtvollen schwarzen Haare, in großen Flechten zusammengefaßt, waren um den Kopf geschlungen und reichten vorn bis an die Stirn, hinten bis tief in den Nacken: feine Perlenschnüre zog sich durch die Flechten; die Robe von weißem Atlas war mit schönen Spitzen besetzt.«

Man sieht, daß die zweite Scheidung von ebenso wenig nachtheiligem Einfluß gewesen ist, als die erste – Theresia hatte sich jetzt an dergleichen schon gewöhnt und ihr Gewissen ließ ihr die vollste Ruhe – feinfühliger zu sein als das Gewissen – das wäre denn doch albern! Wer hätte im Uebrigen so boshaft, so geschmacklos sein können, sie auf gewisse bedenkliche Stellen in ihrem ehelichen Leben aufmerksam zu machen, dadurch das Glück dieser reizenden Frau, die ja doch nur im Glück und vom Glück Anderer lebte, zerstörend!

Die schöne Theresia führte also ein friedliches Dasein, welches sie mit ihren jeweiligen Liebhabern, ihren Freunden, namentlich Herrn Alexander de Girardin, mit dem eine besondere, eine eigenartig zärtliche Freundschaft sie verbunden zu haben scheint, und mit ihren Kindern theilt, indem sie zugleich persönlichen Vergnügungen viel Raum ließ. Es schien so, als ob dies so bleiben sollte bis an ihres Lebens Ende. Der Mensch denkt, Gott lenkt. War sie auch schon mit zwei Männern fertig: mit der Ehe hatte sie darum noch keineswegs gebrochen.

Am 15. Thermidor des Jahres XIII (18. Juli 1805) im zweiten Jahre der Regierung Kaiser Napoleons, schloß sie den dritten Ehebund auf der Mairie des zehnten Arondissements mit dem Grafen Joseph de Caraman Man sehe im »Anhang«..

Es fand nur eine Civiltrauung statt. Sie konnte nicht anders sein, weil die katholische Kirche eine Scheidung nicht zuläßt und in ihren Augen Herr de Fontenay der rechtmäßige Gemahl Theresias war und blieb, gleichviel, ob dieselbe seit dieser Heirath Verhältnisse, vom Gesetz mehr oder weniger gebilligt, gehabt hatte.

Der Graf Caraman, der erst 33 Jahre alt, also ein wenig älter war als Theresia, gehörte der berühmten Familie Riquet an. Sein Urgroßvater hatte den Languedoc-Canal gebaut. Er erfreute sich großen Reichthums, die Revolution hatte ihre Hand nur vorübergehend auf einen Theil des Canal-Ertrages, der ihm hauptsächlich zufiel, legen können. Er war in Roissy, welches 5 Meilen von Paris entfernt liegt, erzogen worden, am Heerde einer Familie, deren Glieder innig mit einander verbunden waren.

»Roissy,« so schrieb Madame du Deffand 1774, »ist ein Ort des Friedens, der Ordnung, des Wohlbefindens. Ein Vater, eine Mutter, acht Kinder leben so einig, in so enger Freundschaft mit einander, daß man sagen könnte, es herrscht in Roissy das goldene Zeitalter.« Madame du Deffand: »Correspondance« II, 426.

Dieser Friede, diese Einigkeit in der Familie, die das größte Glück im menschlichen Leben darstellen, dieses Glück blieb unberührt von der Revolution – – jetzt aber war es dahin – und das war Theresias Werk!

Sie war wohl fleißig dahinter gewesen, den jungen Grafen Joseph zu gewinnen, ihn soweit zu bringen, daß er sich gegen die väterliche Autorität auflehnte, sie gegen den Willen seiner Familie heirathete. Sie hatte sich wiederum als Virtuosin in der Kunst, ihre Schönheit zu verwerthen gezeigt, eine Schönheit – die zu welken anfing! Als sie den jungen Grafen erst einmal soweit hatte, daß er in seiner Liebe zu erblinden anfing, wird sie wohl nach bewährtem Muster zu ihm gesagt haben: »Man heirathet sich, lieber Graf, für sich selber, nicht für Andere.« Diese Worte wird sie wohl in verschiedenen Melodien und Tonarten alltäglich gesungen haben bis der arme junge Mann in seinem verliebten Eifer übersah, daß solche und ähnliche Worte bei allen denjenigen Frauen Gebrauch sind, die eine Auflehnung gegen ihre Heirathsprojecte wittern. Vielleicht war der junge Mann auch voller Respect für die ruhmreichen Dienstjahre, welche seine Schöne unter dem Oberkommando des Gottes mit dem Pfeil und Bogen hinter sich hatte.

Man hält in gewissen Fällen alle Männer für Dummköpfe – sie sind es noch weit mehr als man denkt! Die Frauen wissen es. Eine große Zartheit in den Empfindungen der gewiegten Theresia trat ja nie zu Tage, Entsagung zählte nicht zu den Tugenden, die an ihr zu rühmen wären. Hätte sie Herrn de Caraman aufrichtig und wahr geliebt, so forderte die Pflicht von ihr, daß sie sich zurückzog, den jungen Mann zur Erfüllung der Wünsche seiner Eltern aufforderte, sich seinem Vater zu unterwerfen und ihre Liebe auf dem Altar der Pflicht opferte. So etwa hätte Madame de Staël gesagt, die sich allerdings auch besser auf die Liebe als auf die Pflicht verstand, aber doch nicht, als sie die Thorheit, sich wieder zu verheirathen, beging, das ungeheuere Vermögen eines Grafen Caraman erheirathete. Dieser aber bewies wieder einmal den Ausspruch des Philosophen, daß in der Liebe der menschliche Unverstand am grellsten zu Tage tritt.

Man weiß durch gewisse Bestimmungen im Heirathsact, daß Herr Joseph de Camaran gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters handelte, indem er eine Frau heirathete, die schon durch viele Hände gegangen war, die ihm nichts mitbrachte als »Spülwasser im Glase«, wie die Pfalzgräfin, Mutter des Regenten, in ihrer pikant-derben Sprachweise sich ausgedrückt haben würde. Die Heirathsceremonie trug das Gepräge der Umstände. Die Zeugen waren auf Seite des Grafen Riquet de Caraman: ein Beamter der Lotterie-Einnahme, auf Seite. Theresias: ein Jurist. Das läßt allein schon tief blicken! Die Familie, Freunde, die gute Gesellschaft strikten. Der Repräsentant einer der vornehmsten Familien Belgiens war gezwungen, zu Zeugen seines Ehebundes Juristen zu wählen. In Bezug auf Theresia erregen diese Zeugen weiter kein Befremden. Sie tröstete sich über Alles hinweg mit dem Gedanken, daß ihre vornehme Heirath ihr sofort die ersten Salons von Paris öffnen würde.

Gleich nach geschlossenem Ehebund trat das junge Paar eine Hochzeitsreise, und zwar nach Italien, an. Sie wurden dorthin zugleich durch wichtige Ereignisse gerufen. Der Fürst Chimay Die Herrschaft Chimay, gelegen in dem zu Frankreich gehörigen Theil vom Hennegau, gehörte ursprünglich dem Hause Nesle-Soissons (im 13. Jahrhundert), fiel dann an Herrn de Beaumont, der sich Jean de Haynaut (Johann vom Hennegau) nannte, nach dessen Tode die Grafen de Blois in den Besitz traten. Der Herzog von Burgund erhob Chimay 1470 zur Grafschaft, 1486 zum Fürstenthum, als solches fiel es 1612 an das Haus Arenberg und verblieb bei ihm bis 1686, in welchem Jahre Chimay vom Grafen de Boussu (Philipp Louis de Hennin) ererbt wurde, es blieb im Besitze seiner Familie bis 1750. In diesem Jahre heirathet ein Graf Victor Mauricius Riquet de Caraman die einzige Tochter und Erbin des Grafen Hennin d'Alsace. Auf diese Weise kamen die Caramans in den Besitz des Fürstenthums. (Biographie Michaud.), dessen Erbe Graf Joseph war, hatte soeben das Zeitliche gesegnet. Man verfügte sich zunächst nach Toscana. Die junge Gräfin fand Gelegenheit, bei der Königin von Etrurien vorgestellt zu werden, wobei ihr der französische Gesandte, Herr Artaud, gern hülfreiche Hand bot. Er erzählte der Königin viel von den Verdiensten der Gräfin und, ohne in Einzelheiten einzugehen, von ihrem Heroismus während der Revolution, von den vielen Menschen, die sie vom Tode gerettet hatte. Theresia, der man den Zutritt in den Tuilerien versagt hatte, zog triumphirend ein in den Palazzo Pitti in Florenz, um sich der Königin Elisa zu zeigen.

»Sie erschien dabei in einer gestickten Sammetrobe von schlichtem Schnitt. Ihre Toilette gefiel so, daß die Italiener sagten, sie hätten etwas so Prachtvolles noch nicht gesehen. Die Muster der Stickereien wurden abgezeichnet. Biographie Michaud. (Artikel »Chimay«.)

Darüber war natürlich die Gräfin Caraman glückselig, noch dazu, da die Florentiner nicht nur ihre Robe, sondern auch sie selbst schön gefunden hatten. Ihre Freude aber kannte keine Grenzen, als sie einige Wochen später am Hofe Josephs, des Königs beider Sicilien, des Bruders ihres Peinigers, empfangen wurde.

Wir wollen der jungen Gräfin bei ihrem neuen Versuch, durch Heirath eine achtbare Dame zu werden, nicht auf Schritt und Tritt folgen und nur bemerken, daß er ihr diesmal durchaus glückte. Als der katholische Ritus während der ersten Restauration wieder zu voller Entfaltung kam, hatte Theresia manche Unannehmlichkeit, weil sie nur auf dem »Civilwege« getraut war; Ihr Gemahl hatte, nachdem er rechtmäßig in den Besitz des Fürstenthums Chimay getreten war, den Titel eines Prinzen (Fürsten) von Chimay angenommen. Sie also, Theresia Cabarrus-Fontenay, Tallien – Barras – Ouvrard, war »Prinzessin Chimay«. Allein das Glück war doch kein reines: der Zutritt zu den feinen Gesellschaften in Paris war und blieb ihr versagt. Anstatt ihrem üblen Ruf Schuld zu geben, glaubte sie, der Grund läge darin, daß ihrer Civiltrauung die Kirchentrauung nicht gefolgt war. Ihr Ruf war in der That so schlecht, wie er nur sein konnte. Hier ein ihr in den Mund geschobenes Wort, das, obwohl es überaus gewagt ist, wir als charakteristisch wiederzugeben uns nicht versagen dürfen; übrigens ist es eine Dame, die es uns übermittelt.
»Hier,« schreibt sie, »über hübsche Frauen eine Bemerkung, die von Einer stammt, die ihrer Zeit eine große, allerdings vielfach Aergerniß erregende Rolle spielte, nämlich von der schönen Madame Tallien. Es handelt sich dabei um meine arme Pauline de Chambge, Spielgefährtin meiner Jugend, die die Thorheit beging, mit der Tallien Freundschaft zu schließen und in Folge dessen nicht mehr in der feinen Gesellschaft geduldet wurde.
Die Tallien tadelte Pauline, daß sie ein Corsett trüge, und nachdem sie die Nachtheile eines solchen aufgezählt hatte, fügte sie hinzu:
»Wenn eine Frau angekleidet ist, kommt es für sie nicht darauf an, daß sie schön ist.«
Deshalb that sie in Rom Schritte, um die kirchliche Weihe ihrer Ehe zu erlangen. Nichts leichter als das, wurde ihr erklärt, die Kirche werde mit Freuden ihren Bund segnen, nur müsse sie den Todtenschein des Herrn de Fontenay beibringen.

Aber wie sollte das in aller Welt gemacht werden? Herr de Fontenay zählte ja noch zu den Lebenden. Die »Prinzessin« war rathlos! So sollten ihr denn nicht nur die Pforten der Tuilerien, sondern auch die der Kirche verschlossen bleiben? Im Grunde genommen mochte ihr die Verschlossenheit in jenem Falle unangenehmer sein als in diesem.

Da – es geschehen auch heute noch auf Erden Zeichen und Wunder – da hatte die Vorsehung Erbarmen: Hinweg, rief sie, und der arme Marquis de Fontenay mußte Abschied von unserm taumelnden Erdball nehmen – nun konnte Theresia mit sicherem Stolze ihren Prinzessinnen-Titel spazieren führen! O! dieser gute Fontenay! In Rührung gedachte sie seiner, als sie vor den Altar trat. Ihr Bund mit Tallien, nur von der Civilbehörde geschlossen, hatte ja der Kirche gegenüber keine Geltung.

Als Ludwig XVIII in die Tuilerien zurückgekehrt war, Napoleon zum zweiten Mal abgedankt war, kehrte Madame de Caraman nach Paris zurück und bezog wieder ihr schönes Haus in der Rue de Babylone.

Ihre Abendgesellschaften wurden sehr Mode; auch fanden Bälle und Concerte bei ihr, zuweilen auch Theateraufführungen statt. Fremde mit ihren Damen verkehrten viel in ihren Salons, allein von den Bewohnern des vornehmen Stadttheils, in welchem das Haus lag, kam fast Niemand.

Der Graf Caraman, obwohl rechtmäßiger Eigenthümer des Fürstenthumes Chimay, wagte es nicht, wie in der Biographie Michand zu lesen ist, den Titel »Prinz« zu führen. Die Gräfin nannte sich seit 1806 Caraman-Chimay und wagte es ihrerseits noch nicht, weiter zu gehen. Sie hatte sich Rath bei verschiedenen Freunden geholt, welche ohne Kenntniß mit den Gebräuchen in Belgien behaupteten, die Gatten dürften sich nur »Monsieur und Madame de Caraman« nennen. Nur einer war anderer Meinung und sagte:

»Lassen Sie Visitenkarten anfertigen mit dem Namen Prinz und Prinzessin Chimay. Lassen Sie dieselben abgeben bei denjenigen Angehörigen der alten oder neuen Gesellschaft, die Sie bei sich zu empfangen wünschen. Eine Woche lang wird darüber gesprochen werden, alsdann aber werden Sie Prinz und Prinzessin von Chimay sein.«

Das war ein kluger Freund, der gemerkt hatte, wie sehr Theresia nach dem Prinzessinnen-Titel Verlangen trug. Er war derselben Meinung wie Balzac, welcher irgendwo bemerkt: »Es giebt keinen Rang, mit dem man nicht, vorausgesetzt, man hat die nöthige Dreistigkeit und das nöthige Geld dazu, der Welt ins Antlitz schlagen kann.«

Die Welt verhielt sich aber doch diesmal ablehnend und erst 1815, nach einem langsamen, aber geschickten Manövriren wagte es Theresia, sich Prinzessin Chimay zu nennen.

Als Tallien davon hörte, rief er: »Mag sie sich soviel sie will Prinzessin Chimäre nennen, sie bleibt darum doch die Madame Tallien.«

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß Theresia von der Zeit an, da sie sich Prinzessin nennen ließ, ihre Lebensführung in eine schlicht bürgerliche umwandelte.

Tallien hatte wegen der Tochter, welche er von Theresia hatte, nicht völlig mit der Gattin gebrochen. Er sah sie zwar nicht, und es ist die Frage, ob er sie wieder erkannt hätte, so sehr hatte auch sie sich bald nach ihrer dritten Heirath verändert.

»Ich fand bei Cambacérès 1810,« so erzählt Madame Cavaignac, »auch die Madame de Camaran. Mein Gott, wie ist sie dick geworden! Und dieser röthliche Teint – kaum wieder zu erkennen! Dabei ist sie noch nicht vierzig Jahre alt. Das ist die Strafe, welche die galanten Damen zu treffen pflegt – die Strafe für die mißbrauchte Jugend, vielleicht die, die sie am meisten empfinden.« » Mémoires d'une inconnue« p. 343.

Als es sich bei Tallien und der Prinzessin Chimay darum handelte, ihre Tochter Thermidor zu vermählen, mußte man wohl Angesicht zu Angesicht einander gegenüber treten, wenigstens bei der Trauungsfeierlichkeit. Diese Begegnung gab zu Zwischenfällen Veranlassung, von welchen Boucher de Perthes in einem Brief an seinen Vater spricht. Der Brief lautet:

»Paris, 24. April 1815. Unser Vetter Felix de Narbonne de Pelet, Sohn des Grafen Pelet, hat soeben mit dem Fräulein Thermidor (jetzt Josephine Madame de Beauharnais, spätere Kaiserin Josephine, war bekanntlich ihre Taufpathe.) Tallien Hochzeit gehabt. Die Mutter ist die jetzige Prinzessin Chimay. Die Dame ist noch immer schön und gut. Man hörte, daß Madame de Cavaignac, und zwar fünf Jahre früher, anderer Meinung war.

Ich habe sie häufig bei unserer Cousine de Pelet gesehen; bei dieser machte Felix die Bekanntschaft mit Josephine, die auch schön ist, aber nicht so schön wie die Mutter. Felix war ganz bezaubert von ihr, aber Madame de Pelet, die so viele Beziehungen zu der fine fleure des Faubourg St. Germain hat, mochte Fräulein Tallien wohl bei sich sehen – aber nicht als Schwiegertochter haben. Sie muß in Ohnmacht gefallen sein, als sie von der Sache hörte.

Felix, der Offizier – ich weiß nicht in welchem Regimente – war, ist zur Disposition gestellt, ist also nicht viel, Fräulein Tallien aber garnichts.

Der Exdictator der Gironde, der Ueberwinder Robespierre's, war ganz herabgekommen, als die Restauration eintrat. Es ist ganz unerklärlich, wie Ludwig XVIII dazu kam, gleich nach seiner Rückkehr dem Tallien aus seiner Privatschatulle eine Pension von 6000 Francs jährlich anzuweisen.

Mit Hülfe dieser Pension zahlte Tallien die Mitgift von jährlich 1000 Thalern für die Tochter. Als der König wieder fort mußte, war es vorbei mit der Pension und der Mitgift.

Die Heirath hat, wie gesagt, soeben stattgefunden. Die Hochzeit fand sozusagen hinter verschlossenen Thüren statt; trotzdem ist eine spaßhafte Geschichte in die Oeffentlichkeit gedrungen. Es war ja nöthig, daß Tallien als Vater bei der Trauung zugegen war: er traf mit seiner Ex-Ehefrau zusammen. Als die Feierlichkeit zu Ende war, machte Madame de Chimay ihm den Vorschlag, ihn in ihrem Wagen nach seiner Wohnung in der Allée des Veuves zu bringen. Er nahm an und setzte sich neben sie in den Wagen.

Vor dem Palais Caraman angelangt, ließ Madame de Chimay den Wagen halten und wollte eben aussteigen, als der Schlag geöffnet wurde. Herr de Chimay, der gerade in das Haus treten wollte, kam heran, um seiner Gemahlin den Arm zu bieten. Seine Hand begegnete der Tallien's. Es blieb ihm Nichts übrig, als den früheren Conventsmann einzuladen, er möge eintreten. Tallien, in nicht geringer Verwirrung, willigte ein. Es wurde ein Imbiß aufgetragen. Lustig kann es dabei wohl kaum hergegangen sein, die Augen der Tischgäste werden sich wohl kaum von den Tellern getrennt haben. Die Prinzessin war am wenigsten in Verlegenheit, sie war zu sehr Weltdame, um sich etwas merken zu lassen.«

Herr Boucher de Perthes kommt in seinem Brief des Weiteren auf die Prinzessin zu sprechen, wie sie zu jener Zeit (1815) ausgesehen hat u. s. w.

»Obwohl sie jetzt ein wenig dick ist, geben ihr doch ihre schönen tiefschwarzen Haare, ihre weißen Zähne, ihre runden Schultern, ihre herrliche Augen den Anschein der Jugend. Wenn sie in der Unterhaltung lebhaft wird, was stets zu geschehen pflegt, wenn von der Revolutionszeit die Rede ist, reißt sie zur Bewunderung hin, sie ist sich des Einflusses, den sie in jener Zeit ausübte, bewußt, sie erinnert sich der vielen Unglücklichen, denen sie das Leben gerettet hat. Boucher de Perthes war damals noch jung: dem bestrickenden Einfluß, welchen Frauen von 30 bis 40 Jahren, wenn sie schön waren, auf junge Männer auszuüben pflegen, scheint er völlig erlegen.

Sie ist nicht mehr dieselbe, wenn sie am Spieltisch sitzt, sie ist dann derart vertieft, daß sie kaum noch ein Wort sagt.

Ohne Zweisel hat ihr Gemahl sie gebeten, nicht hoch zu spielen, denn wenn es sich um einen hohen Einsatz handelt, zieht sie stets, sobald sie merkt, daß er sich ihr nähert, Etwas davon zurück. Eines Tages, als sie eben dies kleine Manöver gemacht hatte, mußte ich lächeln; sie wurde es gewahr und hat es mir, wie sie mehrere Tage lang in ihrem Benehmen zeigte, übel genommen.

Sie erscheint nie in der Oeffentlichkeit, ohne von allen Seiten begafft zu werden. Die Pariser sind in ihrer Neugier so rücksichtslos und dreist, daß ich oft, wenn ich sie am Arm führte, in die größte Verlegenheit gerieth, weil die Leute ihr geradezu unter den Hut guckten. Bei solchen Gelegenheiten, vielleicht infolge von Gewohnheit, blieb sie merkwürdig ruhig und gleichgültig, und wenn sie an einer zuckenden Bewegung meines Armes merkte, wie sehr mich solche Unhöflichkeiten empörten, gab sie mir durch einen leisen Druck zu verstehen, ich möchte mich beruhigen und mich still verhalten.

Eines Tages aber habe ich sie doch in sichtlicher Verwirrung gesehen. Es war gelegentlich einer Ausstellung im Louvre. Es ist die jährliche, heute » Salon« genannte Bilderausstellung gemeint. Ich war auf einem Gange durch die Säle, als ich ihr plötzlich gegenüberstand. Sie war am Arm ihres Sohnes aus erster Ehe, des Herrn de Fontenay; auf der anderen Seite neben ihr war das Fräulein Thermidor Tallien, welche den kleinen Caraman an der Hand führte – sie hatte die Kinder von drei ihrer Ehemänner bei sich.

Wahrscheinlich fiel ihr dieser Umstand erst auf, als sie das Publikum darüber witzeln hörte. Sobald sie meiner gewahr wurde, ließ sie den Arm des Herrn de Fontenay los und nahm den meinigen. Wir gingen noch durch einige Säle, dann bat sie mich, sie zu ihrem Wagen zu führen.«

Wir wollen aus dem interessanten Briefe Boucher de Perthes: »Sous dix rois« III, 168. Nauroy citirt den Brief im » Curieux«. nur noch den Schluß hinzufügen:

»Ich wiederhole: sie ist eine gute, vortreffliche Frau, welche unendlich viel Gutes gethan hat und noch thut. Sie kann von Keinem, dem es schlecht geht, sprechen hören, ohne das lebhafte Verlangen zu spüren, demselben zu helfen. Obwohl sie reich zu nennen ist, würde sie doch bald Alles, was sie hat, fortgegeben haben, wenn ihr Gemahl, welcher übrigens auch die vortrefflichsten Eigenschaften hat, nicht ein wachsames Auge hätte. Sie bittet für ihre Schützlinge, leitet Subscriptionen ein, veranstaltet Lotterien zu deren Bestem – es ist unmöglich, ihr etwas abzuschlagen, sie ist unwiderstehlich, wenn sie sich aufs Bitten legt.«

Man muß hierzu bemerken, daß das Wort reich nicht am Platze ist. Zu der Zeit, von der die Rede ist, war die Prinzessin Chimay sogar in Verlegenheit, denn sie war genöthigt, bei Laffitte eine Anleihe zu machen. Die Kriege, zwei Mißernten hinter einander hatten allseitigen Schaden zur Folge. Die Caraman hatte alle Mühe, ihrer Tochter die bei deren Verheirathung ausgeworfene Summe zu beschaffen. Man sehe im »Anhang« einen bisher unveröffentlichten Brief Theresias an Laffitte. Der äußere Schein blieb bewahrt, sodaß im Publikum nichts von dieser Bedrängniß verlautete. Sie schrieb damals die denkwürdigen Worte:

»Sein und Scheinen ist zweierlei.« –

Wir versagen es uns, der Prinzessin noch weiter auf ihrem Lebenswege das Geleit zu geben: seit ihrer dritten Heirath verschwindet ihre Gestalt aus der Geschichte der Zeit. Wir dürfen jedoch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß der Ernst ihres Wandels von da an Das zum Theil verwischt hat, was dem ersten Theil ihres Lebens einen allzu phantastisch-wilden Charakter gab. Mit der Jugend, der treulos fliehenden, war es ja nun vorbei und es gab für Theresia, die Verblühende, gar bittere Stunden. Die Erinnerungen an die Jugend kamen und gingen im ewigen Kreislauf – welche Erinnerungen! Die für immer Fliehende warf ihr spitze Dornen, raschelndes Laub in den Schooß.

Ludwig XVIII, der alte Lebemann, gestattete ihr ebensowenig wie Napoleon den Zutritt in die Tuilerien, sie mochte der Welt noch so schlagende Beweise von der Wendung ihres Wandels geben – man sah in der Prinzessin Chimay immer nur die frühere »Theresia«. Man sah nicht, man wollte nicht sehen, daß eine Andere aus ihr geworden war – eine Frau, die alle Achtung verdiente.

Auch der Schlag traf sie noch, daß sie am niederländischen Hofe, dem ihr Gemahl als Kammerherr angehörte, nicht zugelassen wurde. Mit einer Demuth, die nicht ganz ohne Coketterie war, sah sie hierin eine auferlegte Sühne, sie erwiderte den Mangel an Milde, den man ihr an den Tag legte, dadurch, daß sie in Werken der Milde verdoppelten Eifer zeigte.

Der schwerste und täglich schwerer werdende Kummer aber war doch der, daß sie sich selbst altern sah – sie ist an einem Leberleiden am 15. Januar 1835 in die ewige Heimath abberufen worden.


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