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Drittes Capitel.

Wie lange saß Theresia gefangen? – Ein Gerücht. – Tallien's Maitresse. – Fest in Bordeaux zur Feier der Eroberung von Toulon. – Theresia hält im »Tempel der Vernunft« einen Vortrag. – Ihre Güte ist nicht immer eine selbstlose. – »Das Brod der Volksvertreter.« – Theresia giebt Beweise für ihre Aufrichtigkeit. – Ihre energische Fürsprache bei dem Bürger Lacombe für Louvet. – Monsieur de Paroy. – Das Boudoir der Musen. – Theresias Ansprüche. – Ein interessantes Souper in Bordeaux im Jahre 1794. – Der Volksvertreter Bürger Lequinio. – Schliche und Kniffe Tallien's. – »Lauter Diebe«. – Tallien thut Wasser in seinen Wein. – Marcus Antonius Jullien. – Seine Briefe an Robespierre. – Theresia verläßt Bordeaux.


Wie lange Theresia damals eingesperrt war. ist nicht mehr zu ermitteln, sicher ist jedoch, daß sie vor dem 16.Octbr. 1793, dem Tage der Ankunft Tallien's in Bordeaux, noch nicht im Gefängniß war; auch am 13. November erfreute sie sich noch der Freiheit, denn an diesem Tage steht in dem Register des »Ueberwachungs-Comités« eine Entscheidung verzeichnet über eine Petition, welche Theresia eingereicht hatte. Es handelte sich in derselben um die Abnahme der Siegel in den Häusern der ihr nahe befreundeten Familien Ducos und Boyer-Fonfrède; die Siegel waren angelegt worden nach dem Sturz der Girondisten im Convent. Der in Rede stehende Vermerk in den Acten lautet: In Ansehung der Petition der Bürgerin Theresia Fontenay zu Gunsten der Bürgerin Boyer-Fonfrède ermächtigt das Comite den Bürger Dorgueil, die Siegel abzunehmen, welche in den Räumen der genannten Bürgerin angelegt sind, die Versiegelung derjenigen Effecten jedoch nicht zu unterlassen, welche zum Nachtheil des Nationalvermögens beseitigt werden könnten. (Archiv der Gironde.) Auch am 25. November war sie noch auf freien Füßen. Es war der Tag, an welchem der Diebstahl bei ihrem Bruder verübt wurde. Andererseits wiederum steht fest, daß sie vor dem 30. December schon wieder in Freiheit war; an diesem Tage fand in Bordeaux ein großes Fest zu Ehren der Einnahme von Toulon statt und Theresia Cabarrus, welche keinen Anstand mehr nahm, ihre intimen Beziehungen zu Tallien öffentlich zu zeigen, und täglich mit dem Proconsul, nachlässig hingestreckt in ihrem Wagen, voll lächelnder Coketterie, ein rothes Hütchen auf dem Kopf, spazieren fuhr, hielt auf dem Festplatz eine Ansprache. Sie war also nur ganz kurze Zeit im Gefängniß: vielleicht gar nur einen einzigen Tag. Auch an dieser Stelle müssen wir einem Klatsch widersprechen, welcher eine weite Verbreitung gefunden hat und nach welchem Theresia im Gefängniß an den Füßen von Ratten angefressen worden wäre, die Wunden hätten sich nie verloren. Sie wiederum ist die Urheberin und hat unter dem Directorium wohl nur deshalb das alberne Zeug ausposaunt, damit man ihren schönen Füßen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuwende, sie trug dieselben damals nackt und mit schönen Ringen an den Zehen. Verliebten Herren kann eine Frau ja alles Mögliche vorschwatzen, sie ist im Stande, ihnen begreiflich zu machen, daß Nachts die Sonne scheint – damals aber war alle Welt in die schöne Theresia verliebt.

Während ihres Aufenthaltes in Bordeaux hat sie sich stets »Madame Fontenay«, oder vielmehr »Bürgerin Fontenay« genannt, also den Namen ihres geschiedenen Gatten beibehalten, vielleicht aus Klugheit, denn dieser Name war in Bordeaux weniger bekannt als der »Cabarrus«: diese Familie zählte lauter Großkaufleute, welche besonderen Verfolgungen ausgesetzt waren. Die Wahl des Namens erhellt aus der Notiz in den Acten des Archivs der Gironde vom 13. November 1793, welche oben angeführt ist, auch aus einer andern vom 5. Mai 1794, in der es heißt: »Auf die Reclamationen der Bürgerin de Fontenay …«.

So war denn die Bürgerin Fontenay nunmehr officiell die Maitresse des Conventmitgliedes Tallien! Die ganze Stadt, wie gesagt, wußte es. Ein aufmerksamer Beobachter aber möchte wohl die Frage aufwerfen, wie es nur möglich war, daß eine junge Frau von so gutem Geschmack, die gewohnt war, mit vornehmen Leuten, mit Männern von feinem Schliff umzugehen, und nur solche Salons zu besuchen, die tonangebend für ganz Europa waren, sich entschließen konnte, mit einem Manne zu leben, dessen Erziehung, dessen Manieren doch viel zu wünschen übrig ließen. Es waren ja zu jener Zeit die Manieren und Gewohnheiten der höheren Stände, ihre Sprachweise, ihre Art sich zu geben, vollkommen verschieden von der der Bürger, man erkannte den Edelmann sofort an seinem Wesen und an seiner Art zu sprechen. Es ist wahrscheinlich, daß Tallien sich alle Mühe gab, mit den Allüren des Edelmannes aufzutreten, denn es vertrug sich bei ihm, wie bei Vielen, merkwürdiger Weise der Haß, den er gegen jeden Edelmann empfand, bestens mit dem Eifer, ihm nachzuahmen: vor Theresia wird es sich wohl den Bärenpelz des Jacobiners ausgezogen haben. Wenn Theresia mit ihm lebte, so that sie er einerseits nothgedrungen, hatte sie ihn doch lediglich der Guillotine vorgezogen, andererseits aus Gewohnheit, aus Interesse; später hat sie ihn aus Ehrgeiz geheirathet, berauscht von der Popularität, deren sich Tallien seit dem 9. Thermidor erfreute – erst nach der Heirath ist sie gewahr geworden, daß er nie und nimmer ihre Hoffnungen erfüllen konnte. Sie wandte sich dann von ihm ab mit derselben Leichtfertigkeit, mit der sie ihn genommen hatte.

Wir wollen dem Gange der Ereignisse indeß nicht vorgreifen.

Als sich das Gerücht verbreitete, die Maitresse des Repräsentanten Tallien werde bei dem großen Feste einen Vortrag halten, drängte sich Jung und Alt dazu. Die Nachricht von der Einnahme Toulon's gelangte nach Bordeaux am 29. December, Tallien und Ysabeau hielten die Gelegenheit für günstig, den allgemeinen patriotischen Jubel zu Gunsten ihres Amtes als Commissare des Convents auszubeuten: sie ertheilten also sofort Befehl, es sollte ein glänzendes Siegesfest veranstaltet werden. Aurelian de Vivie, der Augenzeugen hörte, beschreibt das Fest:

»Von 10 Uhr Morgens an dröhnten am 30. December die Salven der Artillerie: die Schiffe im Hafen schmückten sich mit Wimpeln und Flaggen. Die Garnison trat zur Parade auf dem Marsfelde an.

Um 11 Uhr verfügten sich Ysabeau und Tallien, begleitet von den städtischen Beamten, nach dem Festplatze, den bereits eine unabsehbare Menschenmenge füllte. Nachdem eine Proclamation und ein Erlaß des Convents, welcher den »Sieg der französischen Armee über die wilden Engländer und die perfiden Bewohner von Toulon« feierte, verlesen war, wurde die »Hymne der Freiheit« angestimmt, in die das Volk mit gewaltigen Stimmmitteln einfiel.

Punkt 12 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung nach dem »Tempel der Vernunft.«

Frauen namentlich drängten sich herzu, denn eben hatte sich das Gerücht verbreitet, Theresia Cabarrus werde eine Rede halten.

Die Erwartungen sollten nicht getäuscht werden; die Repräsentanten und ihr Gefolge hatten eben im Tempel Platz genommen, als die Bürgerin Theresia Cabarrus sich erhob und mit anfänglich zitternder, sodann aber mit hell tönender, sicherer Stimme erklärte, sie wolle versuchen, die flüchtige Skizze eines Planes für die Erziehung der Jugend vorzulegen. Vortrag über die Erziehung der Jugend, gehalten von der Bürgerin Theresia Cabarrus-Fontenay in der Sitzung, welche am ersten Decadi des Monats Nivose, d. h. am Tage des großen Nationalfestes zur Feier der Eroberung von Toulon stattfand. Gedruckt auf Verlangen der im Tempel vereinigten Bürger. Brochure 8 Seiten.
Es sind von dieser Brochure noch zwei Exemplare vorhanden; eins befindet sich in der Nationalbibliothek, auf welchem, geschrieben von Theresia selbst, die Worte stehen: »Der Volksgesellschaft du Calvados, zugeschickt vom Autor.« Wahrscheinlich um der erwarteten Danksagungen willen war noch hinzugefügt: »Maison Franklin, Bordeaux.« Man sehe die Rede selbst im »Nachtrag«.

Die Herzogin von Abrantes, welche diese Episode aus dem Leben der Madame Tallien erzählt, sagt in Bezug auf die Abhandlung, Theresia habe nicht den Muth gehabt, dieselbe selber vorzulesen und habe Herrn Jullien gebeten dies statt ihrer zu thun. »Allein,« so fügt die Herzogin noch hinzu, »sie wohnte der Verlesung bei, und das Auditorium schenkte derselben weniger Aufmerksamkeit als ihrer Person: das Thema war ja auch zu schwerfällig behandelt und zu langweilig.«

Dies ist ein Irrthum: die Bürgerin Cabarrus-Fontenay hat ihre Abhandlung selbst und in schöner Weise vorgelesen; der Bürger Jullien hatte Nichts damit zu thun. Marcus Antonius Jullien wurde als Vertrauensperson vom Wohlfahrtsausschuß erst Mitte März 1794 nach Bordeaux geschickt.

Wenn Theresia auch selbst ihre Abhandlung las, so bleibt es doch fraglich, ob sie auch die Verfasserin ist. Es ist anzunehmen, daß jemand Anderes dieselbe geschrieben hat: daß sie gerade von Tallien stammt, soll nicht gesagt sein. Der Styl ist allerdings bombastisch und unschön, gerade so, wie er Tallien eigen war; eine homerische Reminiscenz aber konnte sich in den Studien eines so nachlässigen Schülers, wie Tallien, nicht finden: in der Abhandlung kamen nämlich die Worte vor: »die schnell einander folgenden Generationen der schwachen Sterblichen gleichen den Blättern, welche in den Wäldern fallen, wenn der Herbst zu Ende geht.«

Was die Herzogin von Abrantes an Interessantem über das Fest zu sagen weiß, beschränkt sich auf die Toilette Theresia's.

»Sie trug,« so berichtet die Herzogin, »ein Amazonengewand von dunkelblauem Cashmir mit gelben Knöpfen, Kragen und Aufschläge waren von rothem Sammet. Auf ihrem schönen, à la Titus frisirten Kopf saß etwas zur Seite ein Hütchen von scharlachrothem Sammet mit Pelz besetzt – sie nahm sich in dem Costum überaus vortheilhaft aus.«

Es ist sicherlich mehr der Schönheit ihrer Erscheinung als der Schönheit ihres Vortrages zuzuschreiben, daß sie so laute Applause erntete.

»Das Auditorium,« berichtet Vivie, »verlangte den Druck: es war wohl eine der liebenswürdigen Frau erwiesene Artigkeit, die aus den wüsten Saturnalien von Bordeaux vorübergehend auftauchte.«

Theresias Schalten und Walten – schnell wollen wir es sagen – war trotz Allem ein von wohlthätigen Bestrebungen verklärtes. Es ist oft gesagt und wiederholt worden, daß Theresia von der Gunst, deren sie sich seitens des Convents-Commissars erfreute, einen edlen Gebrauch machte, indem sie das Leid, welches auf dem unglücklichen Bordeaux lastete, zu mildern suchte, Gefangene befreite und die vom Fallbeil der Guillotine bedrohten Köpfe rettete. Der Graf d'Allonville, welcher sie gekannt hat, und als gutherzig, als schön an Körper wie an Geist schildert, sagt, Bordeaux hätte ihr sollen aus Dankbarkeit eine Statue errichten, sie habe so vielen Familien Wohlthaten erwiesen, so viele gerettet. Comte d'Allonville: »Mémoires secrets« II, 115. Der Graf Paroy, der ihr viel verdankte, hatte denselben Gedanken und sagte, die Einwohner von Bordeaux sollten eine Statue der Dankbarkeit errichten, welche die Gesichtszüge der Madame Tallien haben müsse. Comte de Paroy: »Mémoires«, p. 101.

Leider läßt sich die Wahrheit weniger enthusiastisch vernehmen: eine Statue, die noch nicht errichtet ist, ist nicht schwer von ihrem Piedestal zu werfen! Herrn de Paroy's Vater wurde durch den Einfluß Theresia's aus dem Kerker befreit – ohne Eigennutz und Vortheil, das ist wahr und gewiß schön – allein man darf den Fall nicht verallgemeinern. Michelet z. B., trotz der tausend Phantasien, mit denen sein Genie die Geschichte der Revolution verschönte, sagt, in Bordeaux habe Tallien mit dem Leben vieler Einwohner Handel getrieben und seine Maitresse habe Buch geführt. Die Marquise de Lage erzählt, Marquise de Lage: »Souvenirs«, p. 162-176. sie habe in Bordeaux der Cabarrus-Fontenay einen Paß und damit das Leben zu verdanken gehabt, allein aus reinem Wohlwollen wäre dies nicht geschehen.

»Die Fontenay hatte,« schreibt sie, »eine Zofe, Frenelle hieß sie, ein gutes, liebes, hübsches Kind, Frenelle hatte eine gute Erziehung genossen und konnte sehr nett schreiben, sie war gern gefällig und entwendete häufig aus den Tischfächern des Commissars in Blanko ausgefertigte Pässe; sie gab dieselben den als verdächtig Denuncirten; auf Grund dieser Dokumente konnten die Leute fliehen und ihr Leben retten. Da die gute Frenelle ihren humanitären Bestrebungen gern eine größere Ausdehnung gegeben hätte, so dachte sie daran, sich ihre Gebieterin zu associiren. Theresia aber ging nur für den Fall darauf ein, daß es sich um Personen handelte, welche sie interessirten; sie war durchaus nicht mit dem Eifer wie ihre Zofe darauf bedacht, den rettenden Engel zu spielen.«

»Oft,« sagt die Marquise de Lage, »vergaß die Cabarrus die Versprechungen, welche sie gegeben hatte, und nahm es übel, wenn sie daran erinnert wurde. Die gute, kleine Frenelle, welche wußte, wie sehr ihre Gebieterin für Juwelen schwärmte, nahm keinen Anstand, gegebenenfalls Pretiosen als Vermittler zu benützen. So kam sie, als ich in tausend Aengsten wegen meiner Zukunft war, eines Tages zu mir, um mir mitzutheilen, daß Theresia großes Verlangen nach einer schönen, antiquen Gemme habe, welche bei dem und dem Juwelier im Laden läge und für 1000 Thaler zu verkaufen wäre. Einige Tage später bemerkte ich, daß Theresia das Juwel trug – die Marquise de Lage aber hatte ihren Paß.«

Was den Grafen d'Allonville betrifft, welcher während der letzten Monate des Convents bei Tallien verkehrte und bei Tisch neben Theresia zu sitzen pflegte, so ist seine Begeisterung für die Dame des Hauses ja sehr erklärlich, nur muß man, was er sagt, cum grano salis nehmen.

Zu den Aeußerungen der Marquise de Lage gesellen sich andere, ihnen ähnliche. Die Memoiren Sénar's, welche nach Ansicht von Ernst Hamel, dem Historiographen Saint-Justs und Robespierres, als zuverlässig, soweit es sich um Tallien handelt, angesehen werden dürfen, behaupten, daß der Herr Convents-Commissar es in Bordeaux untersagt hätte, für irgend einen Verhafteten Fürbitte einzulegen, unter Androhung sofortiger Verhaftung; Sénar fährt fort: »Diese Strafe scheint nur Solche getroffen zu haben, die nicht zahlfähig waren. Tallien schrieb damals an den Wohlfahrts- und an den Sicherheits-Ausschuß, daß die Guillotine in kurzer Zeit 40 Millionen einbringen würde. Die Cabarrus hielt ein Bureau, in welchem Gnadenerlasse, Haftbefreiungen und dergleichen für hohe Preise verkauft wurden. Um ihre Köpfe zu behalten, bezahlten die reichen Leute ja bereitwillig 100 000 Livres; Einer aber beging die Thorheit, sich dessen zu rühmen; er wurde wieder ergriffen und guillotinirt.«

Dies mag als Erklärung für einen sonst unverständlichen Passus in den Memoiren des Grafen de Paroy dienen. Während die Cabarrus in Paris im Gefängniß saß, war ihr Sohn in Bordeaux der Pflege eines Dieners anvertraut. Als dieser kein Geld mehr hatte, um die Pension in dem Hotel garni zu zahlen, kam er auf den Gedanken, einen Kaufmann darum anzugehen. Es war Legris, ein sehr reicher Mann, welchen Mad. Fontenay vor der Guillotine gerettet hatte, indem sie zugleich bei Tallien durchsetzte, daß der Mann für eine »Spende an die Hospitäler« wieder in Besitz seiner Güter kam. Herr Legris Von den 6 940 000 Francs, welche die Militär-Commission als Strafgelder eingezogen hatte, kam eine Million den Sansculottes zu Gute, 1 325 000 einem zu erbauenden Hospital – welches nie erbaut wurde, – die Fonds sind verzettelt; man muß die beißenden Bemerkungen Cambon's, des ehrlichen Verwalters der Staatsgelder zur Zeit des Convents lesen ( De Vivie: La Terreur à Bordeaux II, 402.) Abgesehen von diesem Gelde, welches auf administrativem Wege verzettelt wurde, steht es unzweifelhaft fest, daß Tallien direkt mit den Unglücklichen in Verbindung trat, denen er Freiheit und Leben verkaufte, indem er sagte, es wären »Strafbeiträge für ein Hospital.« Theresia hat das, was sie als grausame Verläumdungen, begangen an ihr und Tallien, bezeichnet, nicht widerlegt; sie hat nur darüber geseufzt und gesagt, Tallien hätte am 9. Thermidor Frankreich gerettet – ein wenig hat ihre kleine Hand wohl am Umsturz der Guillotine gearbeitet. Dann fragt sie schließlich: Was habe ich denn diesem Sénar gethan? Ganz trostlos ist sie, daß Sénar von Dingen gesprochen hat, die sie gern der Vergessenheit hätte anheimfallen lassen. Es ist ja wahr, Mad. de Chimay war nicht mehr die, die sie in Bordeaux, nicht die, die sie unter dem Directorium gewesen war und diese Brocken, die man ihr jetzt vorwarf, ihr sozusagen an den Kopf warf, mußten sie sehr schmerzen. aber weigerte sich, die 300 Francs herzugeben, die man von ihm für die Pension des Sohnes seiner Wohlthäterin erbat. Es ist mehr wie wahrscheinlich, daß seine Börse damals einem allzu starken Aderlaß ausgesetzt war »für die Hospitäler« und daß er sich für quitt gegenüber der Cabarrus hielt. Er sagte es nicht, denn es war damals gefährlich, frei von der Leber weg zu reden.«

Tallien und Theresia lebten indeß auf großem Fuß; es gab kein Vergnügen, keinen Luxus, den sie sich nicht zu verschaffen wußten – kein Wunder, daß es fortwährend an Geld fehlte. Theresia's Vermögen war ja schon durch Fontenay sehr in Anspruch genommen worden und die Einkünfte des Restes waren zum Schrecken der jungen Frau grade nicht erheblich zu nennen. Man gab Diners, die in der allgemein herrschenden Noth durch reichbesetzte Tafel und vorzügliche Weine von sich reden machten: es gab sogar Weißbrod und dieses wurde in Bordeaux besonders für Tallien gebacken, es hieß »Brod des Repräsentanten.« Nur zu Wagen zeigte sich das »vornehme« Paar in der Oeffentlichkeit, und die Einwohner Bordeaux' sprachen von dem »Triumphwagen Talliens,« in welchem die Cabarrus, genannt Donna Theresia, in prachtvollem Aufputz neben dem Geliebten sich spreizte. Vor und hinter dem Wagen pirouettirte ein Reiter. Die Cabarrus trug stets eine scharlachrothe Kopfbedeckung. Sénar Mémoires de Sénar. 206. sagt: »War das Verdeck des Wagens zurückgeschlagen, so sah man die Cabarrus, eine bekannte Prostituirte, als Göttin aufgeputzt, die eine Hand mit einer Lanze bewehrt, die andere auf der Schulter des Repräsentanten ruhend.«

Dieses Leben in Bordeaux voller Ueberfluß und Glanz füllt eine der häßlichsten Seiten in der Lebensbeschreibung Theresias, wir wollen uns beeilen, versöhnende Momente zu finden. Bei den Memoirenschriftstellern müssen wir nach dem Verzeichniß ihrer guten Handlungen suchen. Hören wir zunächst die Herzogin von Abrantes; sie erzählt, die Baronin de Lavauret wäre in Bordeaux hinter Schloß und Riegel gesetzt worden, weil sie einen Sohn hatte, der Abbé war. Die Dame sah mit Angst dem Augenblick entgegen, da sie vor der Militär-Commission, welcher der schreckliche Lacombe präsidirte, erscheinen sollte, als man ihr den Rath gab – vielleicht kam sie auch selber auf die Idee – an »die ausgezeichnete, die unvergleichliche Frau, welche der Schutzengel von Bordeaux war,« zu schreiben.

Theresia kannte damals schon aus eigner Erfahrung die Greuel eines Gefängnisses, und interessirte sich sogleich für die vom Tode auf dem Schaffot bedrohte Baronin; dieselbe aus der Haft zu befreien, gelang ihr auch schließlich. Allein damit hatte die traurige Lage der Frau de Lavauret ihr Ende noch nicht erreicht: auch ihr Sohn wurde verfolgt. Sie vertraute sich ihrer Befreierin nochmals an und einige Tage später war Theresia in der angenehmen Lage, ihr anzuzeigen: der Bannfluch wider ihren Sohn wäre zurückgenommen. Duchesse d'Abrantès: Mémoires I, 272.

Hier ein anderes Zeichen der Herzensgüte Theresias, ein Fall, der sie selbst in nicht geringe Lebensgefahr versetzte. Es handelte sich wiederum um eine adlige Dame, eine Marquise. Theresia hatte den Muth gehabt, dieselbe bei sich aufzunehmen und so zu verstecken, daß selbst ihr Kammermädchen Nichts davon wußte. Sie behielt die Fremde drei Wochen bei sich und brachte ihr selbst die Speisen und Alles, was nöthig war. Es gelang ihr dann, ihren Schützling anderweit unterzubringen. Wie aber wurde diese Güte gedankt! Mon Dieu! Auf die allereinfachste Art – durch den abscheulichsten Undank!

Wie recht hatte doch Mad. de Sévigné mit ihren Worten: »Wenn man Jemandem in hohem Grade verpflichtet ist, so ist die größte Undankbarkeit das Einzige, was Einen aus der Affaire ziehen kann!«

Jene edle Dame war nicht die einzige, die sich durch Theresias Lebenswandel der Dankespflicht für überhoben hielt. Will man dem Grafen d'Allonville Glauben schenken, so hätte Mad. Tallien für ihre gute Handlungsweise nie Dank geerntet – man kann sich aber kaum entschließen zu glauben, die Menschheit wäre ganz des Dankgefühls beraubt. Viele mögen wohl den Dank vergessen haben, Viele auch vielleicht Herrn Tallien belohnt, bezahlt haben – Tallien war ja von solcher Nichtswürdigkeit, daß man es ihm recht wohl zutrauen kann. Es scheint, Theresia habe sich, wenn ihr mit Undank gelohnt wurde, niemals beschwert; gern schmückte sie sich mit einem kleinen einfachen Medaillon, in welchem Haarlocken einer ganzen von ihr geretteten Familie steckten. Comte d'Allonville: »Mémoires secrets« VI, 115.

Man darf nicht glauben, daß die Haftentlassungen, die Rettung vor dem Fallbeil, die ihr so viele Leute verdankten, der schönen Wohlthäterin Nichts weiter kosteten, als ein anmuthiges Schmollen, einige Thränen, vermischt mit Liebkosungen an die Adresse des Herrn Tallien. Theresia mußte oft genug einen harten Kampf bestehen, mußte Hindernisse aller Art überwinden. Hören wir die Geschichte, welche de Vivie erzählt und mit seinem ehrlichen Namen verbürgt; er hat sie von dem Sohne des Helden selbst, einem verstorbenen Gerichtsrath in Bordeaux, der sie oft erzählt hat.

Honorius Louvet, geboren zu Honfleur, 38 Jahre alt und Kaufmann zu Bordeaux, hatte in Rouen die Bekanntschaft der Mad. de Fontenay gemacht und deren Gesellschaften häufig besucht. Er begegnete ihr eines Tages in Bordeaux wieder, machte ihr seine Aufwartung und wurde aufs Freundlichste empfangen. Louvet hatte weltmännische Umgangsformen, war liebenswürdig, hübsch und verkehrte viel in den ersten Kreisen von Bordeaux. Er war eng befreundet mit einigen Mitgliedern des Clubs »Bordeläsische Jugend«, Es war der Club der Liberalen von Bordeaux. dessen Präsident, ein würdiger und bedeutender Mann, Herr Ravez war. Ravez hatte, als die Massenaushebungen vom Convent angeordnet wurden, eine Art von Insurrection gegen die mit dem Königsmorde befleckte Versammlung ins Leben gerufen. Als leidenschaftlicher Reiter war Louvet bei der berittenen Nationalgarde von Bordeaux eingetreten: Dudon, der jüngere, war Oberst des Regimentes. Louvet wurde bald durch Wahl Schwadronschef – es war gerade zu der Zeit, als Ysabeau und Tallien ihre Rolle als Commissare in Bordeaux antraten. Es ist bekannt, daß beide Herren zunächst aus der Stadt gewiesen wurden. Als sie dann später zurückkehrten, gehörte Louvet zu den Kompromittirten, und ein Haftbefehl wurde ausgefertigt; Louvet aber war nicht zu finden, er hatte sich versteckt.

Eines Abends, gelegentlich eines Besuches bei Theresia, hatte er ihr die Gefahr geschildert, in der er sich befand und um ihre Hülfe gebeten. In diesem Augenblick trat ein » Officieux« – so wurden während der Revolutionszeit die Bedienten genannt – herein und meldete den Vorsitzenden des Revolutionstribunals, den Bürger Lacombe an. Theresia versteckte schnell ihren Gast in ein Toilettenzimmer und empfing den »Schrecklichen« mit großer Liebenswürdigkeit, und dieser war, wie es hieß, von seinem Empfange höchlich entzückt. Man plauderte über dies und das, endlich fand Theresia Gelegenheit, über Louvet zu sprechen, dessen patriotische Gesinnungen sie rühmte; sie bat den »fürchterlichen Lacombe,« er möchte doch nachsichtig sein. Die »Militär-Commission« (das war die gesetzliche Bezeichnung des Revolutions-Tribunals) kenne keine Nachsicht, bemerkte der »fürchterliche Mann«, allein Theresia, katzenartig schmeichelnd, öffnete alle Schleusen ihrer Beredsamkeit, und siehe da – Lacombe, der ja seine Stellung dem Herrn Tallien verdankte und wußte, daß Tallien um der schönen Fontenay Gunst warb, hatte ein Einsehen und versprach, er wolle Louvet retten, falls derselbe sich selbst als Gefangener stelle.

Louvet, der Alles gehört hatte, bedankte sich in feurigen Worten bei Theresia und stellte sich nach einigem Zögern auch als Gefangener.

Während seiner Processirung gab es einen kritischen Moment für den Inculpaten, der kein anderes Mittel, sich zu retten, wußte, als daß er einen Zettel an Theresia schickte, auf welchem die Worte standen:

»Ich bin verloren, wenn Sie mich verlassen!«

Theresia erschien auch sofort und verfügte sich in das Bureau Lacombe's, der den Verhandlungen beiwohnte. Sie ließ ihm sagen, sie warte auf ihn; Lacombe aber kam erst, nachdem die Aufforderung seitens Theresias wiederholt war. Sie sagte ihm, als er eintrat:

»Du hast, wie ich hoffe, nicht vergessen, was Du mir in Bezug auf Louvet versprochen hast. Auf alle Fälle erinnere ich Dich daran. Du hast mir versprochen, ihn zu retten.«

»Allerdings … ja. Aber … gravirende Thatsachen … ich weiß nicht, ob ich kann. –«

»Darum handelt es sich nicht: Du hast versprochen ihn zu retten, rette ihn also!« –

»So … habe ich? Wisse denn, daß Dein Kopf für den seinigen einsteht!«

Theresia entfernte sich stolz, als diese drohenden Worte fielen. Lacombe trat wieder in den Gerichtssaal. Man war eben dabei, das Urtheil zu fällen: zwei Stimmen lauteten auf »Tod«, zwei auf »Geldstrafe«. Der Präsident entschied und Louvet war gerettet; er erhielt nur drei Monate Kerker und hatte 25 000 Francs Reugeld zu zahlen. –

Soweit Aurelian de Vivie, dem wir für dieses Charakterbild verpflichtet sind. Wenn Theresia flatterhaft, oberflächlich, gefallsüchtig, frivol war, so verstand sie es doch auch, einem so wilden Gesellen, wie diesem Lacombe, den Zügel anzulegen und ihn dahin zu führen, wohin ihr gutes Herz ihr den Weg wies. Man sieht, daß sie um einer edelmüthigen That willen keine Unbequemlichkeiten scheute, daß sie nicht eher ruhte, als bis sie Erfolg hatte. Ja! Es steckte doch in diesem schönen Kopf viel Willenskraft, in dieser schönen Gestalt ein starkes, edles Herz.

Diesmal ist ihr nicht mit Undank gelohnt worden: den Beweis dafür entnehmen wir einem Brief, welchen sie selbst nach dem 9. Thermidor an eine Freundin in Bordeaux, Madame Constanze Neirac, richtete. Sie spricht darin ihren Dank aus in ihrem und ihrer Familie Namen für ein Anerbieten, welches von Herrn Louvet ausgeht; sie sagt, sie wäre durchdrungen von des Herrn Güte und fügt hinzu, sie werde ihm persönlich danken. Der Brief bestätigt auch die Zuverlässigkeit des Berichtes, welchen man die Güte hatte, uns von Bordeaux einzusenden. Man sehe den Brief im »Anhang.« Er ist auch eine Bestätigung für die Güte Theresias, denn wir finden darin noch den Namen einer andern dem Gefängniß entrissenen Person:

»Ich habe nie gefürchtet, mich zu compromittiren, wenn ich für die gefährdete Unschuld eintrat: deß ist ja auch Dein Mann Zeuge …«

Herr Laurentius Paul Neirac, früher Mitglied der Constituante, der Mann von Theresias Freundin, ist nicht vor dem Revolutionstribunal erschienen; sein Name steht nicht auf der Liste der von demselben abgeurtheilten Personen: wahrscheinlich hat der Einfluß Theresias verhindert, daß er vor dem hochnothpeinlichen Halsgericht zu erscheinen brauchte. Ein anderer Neirac (Johann Baptist), wahrscheinlich Verwandter des Obengenannten, 39 Jahre alt, wurde am 16. Messidor des Jahres II freigesprochen, d. h. also vor dem 9. Thermidor; um diese Zeit aber war Theresia eingekerkert, konnte also bei der Freisprechung des Genannten die Hand unmöglich im Spiele haben. Ohne Talliens Unterschrift konnte Niemand abgeurtheilt werden.

Wir dürfen nicht unterlassen zu erwähnen, daß der oben mitgetheilte Brief nach dem Thermidor, und zwar am Tage nach dem Austritt Theresias aus dem Gefängniß geschrieben ist. Noch hatte sie den Ruf nicht, den sie sich später erwarb, nur Wenige erst wußten von ihrem guten Herzen zu erzählen, später verband sie den ihr innewohnenden Drang mit dem Wunsche, man möchte recht viel über die von ihr ausgehenden Wohlthaten sprechen, und damit stellte sich zugleich Eitelkeit ein, und diese wurde dann ihrerseits wieder ein Hebel, Gutes zu thun.

Bordeaux ist allem Anschein nach der Hauptschauplatz ihrer edlen Thaten gewesen. Villeneuve spricht davon in seiner »Biographie Michaud.« Theil 61: »Prinzessin Chimay.« Der Graf Dufort de Cheverny läßt sich gleichfalls über das Thema vernehmen. » Mémories« II. 327-29. Endlich kommen noch die kürzlich veröffentlichten Memoiren des Grafen Paroy mit vielen Einzelheiten hinzu. Wir geben ihnen in Kürze das Wort:

Graf Paroy war durch allerhand Ereignisse der sturmbewegten Zeit nach Bordeaux verschlagen worden: er hatte viel Talent für Malerei und Kupferstecherei und fand in der Verwerthung desselben seinen Lebensunterhalt. Er hatte in Erfahrung gebracht, daß Madame de Fontenay, welche er als kleines Mädchen in Paris bei dem Grafen Berlin kennen gelernt hatte, in Bordeaux wohne und daß Tallien häufig bei ihr zu Mittag speise. Es ist doch wahrscheinlicher, daß Theresia zu Tallien nach dessen Hause an der Place Dauphine gezogen ist, oder sie müßte mehr bei ihm als bei sich zu Hause gewesen sein. Er kam auf den Gedanken, der schönen Theresia eine Bittschrift zu überreichen und derselben einen kleinen Kupferstich beizulegen: »Amor als Sansculotte«. Amor hält in einer Hand eine Pieke, über deren oberes Ende eine phrygische Mütze gestülpt ist, in der anderen ein Herz, das er in eine auf einem Altar stehende Waage legt.

Sehr sinnreich war ja das Bildchen nicht, auch der darunter stehende Vers nicht gerade schön, er lautete nämlich: »Wenn Amor eine rothe Mütze, aber keine Hosen hat, gefällt ihm die Freiheit und er macht sie zu seiner Liebsten.«

Mit diesem rebusartigen Bildchen war das Gesuch verbunden, in welchem Graf Paroy Madame de Fontenay bat, sie möchte doch die Güte haben, sich bei Tallien für die Freigebung des im Gefängniß schmachtenden Grafen Paroy, Vaters des Bittstellers, zu verwenden.

Der Diener der Madame de Fontenay, früher im Dienst von Madame Le Brun, der er oft den Besuch des Grafen angemeldet hatte, übernahm die Behändigung der Bittschrift und kehrte schon nach einer halben Stunde mit dem Bescheid zurück: Madame de Fontenay erwarte den Herrn Grafen. Paroy fand im Salon Theresias eine Menge von Leuten, welche Bittschriften in der Hand hielten. »Die Thür,« so berichtet er, »that sich plötzlich weit auf und eine junge, sehr hübsche, sehr elegant gekleidete Dame trat ein, sie wurde mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen begrüßt und begann sogleich:

»Ist der Bürger Paroy unter Ihnen?«

Ich trat vor und sie ersuchte mich, ihr in ihr Arbeitscabinet zu folgen.« –

Der Graf ist so freundlich, uns dieses Cabinet, oder vielmehr dieses Atelier der Bürgerin Cabarrus mit einigen Strichen zu skizziren, dadurch kommen wir in die Lage, uns eine Vorstellung von dem Geschmack, den Beschäftigungen der Dame während der Zeit der » Terreur« zu machen. Uebrigens ist das Boudoir einer hübschen Frau stets ein Gegenstand, der alle Aufmerksamkeit verdient; wer ließe sich nicht gern einweihen in all die kleinen, oft überraschenden Geheimnisse, die ein solches Boudoir birgt?

»Als ich in das Cabinet eintrat, glaubte ich, ich befände mich in einem Sanctum, einem Zufluchtsort aller neun Musen: ein offenes Klavier mit Noten auf dem Pult, große Stöße von Noten auf einem Stuhl; auf einem Kanape eine Guitarre Theresia verkaufte die Guitarre 1794, nachdem sie aus dem Gefängniß entlassen war. Man sehe im »Anhang« den Brief der Bürgerin Neirac., in einem Winkel eine schöne Harfe, daneben eine Staffelei und auf derselben ein angefangenes Bild; ein Kästchen mit Oelfarben und Pinseln; eine Palette aus Elfenbein, ein Tisch, mit Zeichnungen aller Art bedeckt, ein offener Schreibsecretär, voll von Papieren, Briefen, Bittschriften Bücherschränke und Schalter voll von Büchern, denen man ansah, daß sie häufig gebraucht wurden, endlich auch noch ein Stickrahmen. Ich ergriff das Wort und sagte:

»Ihre Talente, Madame, sind nach dem, was ich sehe, sehr vielseitig; Ihre Güte aber steht auf der Höhe ihrer persönlichen Vorzüge.« –

Theresia hatte die charakteristische Eigenthümlichkeit, daß sie in allen möglichen Dingen strahlen und glänzen wollte, sie wollte nicht allein eine Andern überlegene, eine »höhere« Frau, sie wollte die Erste unter Allen sein. Dies ist gewiß kein unlöbliches Streben, allein es wurde bei ihr krankhaft, es wurde zur Manie, und da sie über Das, was dazu nöthig gewesen wäre, nicht verfügte, so gab sie sich oft arge Blößen.

»Dieser Manie zu glänzen« – so lesen wir in einer damaligen Zeitschrift – »gesellt sich bei Mad. Tallien eine gewisse Mittelmäßigkeit: sie weiß Alles, aber Nichts recht, daher ist es ebenso gut, als ob sie nichts wüßte. Wünschen Sie es, so wird sie englisch zu Ihnen reden, oder spanisch oder italienisch, sind Sie in London oder Neapel geboren, ich wette, Sie verstehen kein Wort. In einem Conzert ist sie zu Allem zu verwenden, sie singt, spielt Klavier und Harfe – man ist zuletzt ganz erstaunt, wie es nur möglich ist, daß eine Frau von so vielfachen Talenten es fertig bringt, alle Welt zu langweilen. Tableau de Paris, 18. Ventôse IV (8. Mai 1796.)«

Theresia gehört zu den Poseusen, d. h. sie zeigt sich stets in einer erzwungenen Stellung, als wäre sie auf der Bühne, sie ist nie sie selbst, sondern stets ein drapirtes, geschmücktes, einstudirtes Wesen – das ist einer ihrer Fehler – unter dem Direktorium zeigt er sich am schlimmsten. Spottete man über sie, wie der Verfasser der mitgetheilten Zeilen, so fühlte sie sich dadurch nicht gekränkt, denn sie wollte hauptsächlich nur, daß von ihr gesprochen werde – sie wollte eine vielbesprochene Comödiantin auf der politischen Bühne sein.

Die Schmeichelei, welche sie soeben freundlich lächelnd vom Grafen Paroy entgegengenommen hatte, beantwortet sie mit den Worten:

»Ich entsinne mich, Sie bei Herrn Bertin gesehen zu haben. Ich hoffe, daß Sie mich besuchen werden, so oft Sie können. Aber sprechen wir vor Allem von Ihrem Herrn Vater. Wo ist er? Im Gefängniß? Ich hoffe, bei dem Bürger Tallien seine Haftentlassung zu erwirken; ich werde dem Bürger Tallien persönlich ihr Bittgesuch übergeben, auch werde ich Sie ihm vorstellen.«

Man hat schon vernommen, in wie gebieterischer Weise die Bürgerin Cabarrus mit dem Präsidenten des »Revolutions-Tribunals« verkehrte, man sieht jetzt, in wie liebenswürdiger Form sie Gäste in ihrem Atelier empfing.

Herr de Paroy drückte tiefbewegt seinen Dank aus. »Als ich sie verließ«, sagt er, »war mir zu Muthe, als erwachte ich aus einem schweren Traum, ich hatte Mühe, alle Dem Glauben zu schenken, was ich gesehen und gehört – froh war ich auch, daß ich, ohne mich verliebt zu haben, fortgegangen bin.« Es waren ihm ja Dinge gesagt worden, die wie Nektartropfen auf das Herz fallen, Hoffnungen waren in ihm erweckt worden und wie die junge Frau das Alles gesagt hatte! Welcher süße, melodische Ton in dieser Stimme! Wie die sammetweichen Blicke ihm so wohl gethan hatten! Als der junge Mann fortging, sah er schon seinen Vater der Freiheit, dem Leben zurückgegeben.

So schnell aber ging das nicht! Der Gefangene wurde von La Réole zunächst nach Bordeaux überführt – kein gutes Zeichen. Allein Tallien, der jetzt Interesse an Herrn de Paroy sen. nahm, weil Theresia ihm den Sohn vorgestellt hatte und dieser im Begriff stand, sein und der Geliebten Porträt in Kupfer zu stechen, sagte:

»Warten Sie noch etwas; man muß ihn erst vergessen, damit wir ihn retten können.«

So verlief zwischen Hoffen und Harren eine lange Zeit, da sagte eines Tages die hülfreiche Bürgerin:

»Es ist mir sehr ärgerlich, daß Ihr Vater nicht aus dem Gefängniß herauskonnte, ehe Tallien nach Paris mußte; aber ich kenne Ysabeau ein wenig; ich werde zum Souper eine Dame einladen, mit der er sehr vertraut ist und werde diese ersuchen, Ysabeau mitzubringen. Sie können Bekanntschaft mit ihm machen, er hat Geist und viel gelernt.«

Paroy nahm die Einladung mit Dank an. Er hatte beim Souper seinen Platz neben der mit Isabeau eingeladenen Dame, Mad. Delpré. Es waren auch mehrere Conventsmitglieder zugegen, welche auf der Durchreise durch Bordeaux nach den Pyrenäen waren. Es ging sehr lustig her und Mad. Delpré fand soviel Beifall an der kleinen Fete, daß sie sämmtliche Theilnehmer für den folgenden Tag zu sich einlud.

Man möge Paroy's eigene Worte, die das Souper beschreiben, des Weiteren anhören:

»Die Dame des Hauses, die meine gesellschaftlichen Formen denen ihrer übrigen Gäste vorziehen mochte, hatte die Güte, mein Anerbieten, sie zu Tisch zu führen, anzunehmen. Sie saß auf der einen, Ysabeau auf der anderen Seite neben mir; zur Linken Ysabeau's aber saß Mad. de Fontenay. Die Lustigkeit bei Tisch ging weit über die Grenzen des guten Geschmackes hinaus. Schauspieler, Deputirte waren die Gäste. Einer – er hieß Lequinio – rief plötzlich: »Ah – laßt uns trinken auf das Wohl der Republik! Sie soll leben, ein Hoch zugleich auf die treuen Republikaner, welche für den Tod des Tyrannen stimmten.«

Dieser Lequinio, der seine gemeinen Instincte für den Ausdruck republikanischer Tugend halten mochte, ist der nämliche abscheuliche Wicht, der den Henker zu Tisch lud, ist der nämliche Narr, der vorschlug, man sollte, um den Nationalreichthum zu heben, alle Bronze-Monumente, die in Frankreich existirten, vernichten und Sous-Stücke daraus machen.

Man kann sich denken, was Theresia mit ihren feinen Formen und ihrem raffinirten Geschmack in einer solchen Gesellschaft ausstehen mußte. Ach, unwiederbringlich waren die Zeiten dahin, da die Gesellschaften bei der Prinzessin von Beauvau oder der Marschallin von Luxemburg ihren Glanz über die ganze Welt ergossen! Theresia durfte sich bei Leibe nicht merken lassen, wie sehr zuwider ihr diese Leute waren, wie empfindlich der Ton sie verletzte. Aber da sie sogar auch jetzt noch ein wenig die Königin war, so tröstete sie sich über Vieles. Der Graf Paroy, der Vertheidiger Ludwig XVI am 10. August, kochte innerlich vor Zorn, als er den Toast Lequinio's hörte.

»Ich wandte mich an meine Nachbarin,« sagte er, »um meine Verlegenheit zu verstecken, mit den Worten: es würde mir weit mehr Vergnügen machen, auf Ihr Wohl zu trinken.« Lequinio, der es gehört haben mochte, rief:

»Trink doch und reiche die Flasche her!«

Meine Gedanken mußten sich wohl in meinen Gesichtszügen spiegeln, denn Lequinio erhob sich in diesem Augenblick und rief:

»Der Bürger, der die Flasche in der Hand hält, ist sicherlich ein Aristokrat; ich verstehe mich darauf und bezeichne Euch hiermit denselben als Aristokraten. Auch in Saintes habe ich Einen erwischt, der sich unter uns gedrängt hat; ich habe ihn arretiren und sofort hinrichten lassen. Man muß es mit dem da ebenso machen!«

Dieser Abgeordnete des Morbihan war in der That ein wenig angenehmer Tischgast; er erinnerte mich an die Verse Andreas Chénier's:

Hingeflegelt sitzen sie bei Tisch,
Feuerwein die Stirnen röthet –
Ihr Geschwätz, ein wüstes Hin und Her
Ueber Morde – heut begangen,
Ueber Morde – wenn der Morgen kommt.
Wie sie singen, wie sie brüllen –
Längst gefallener Weiber wüster Chor
Krönt der Mordgesellen Jubel! –

Theresia sprach über Herrn von Paroy zu Ysabeau und ersuchte denselben, da Tallien am anderen Tage nach Paris müsse, sich doch für den Vater desselben zu interessiren, was Ysabeau auch versprach. Auf diese Weise wurde der Marquis von Paroy in der That glücklich aus dem Gefängniß befreit. Von 34 Gefangenen, die mit ihm saßen, waren nur noch 6 übrig – die Anderen alle bereits hingerichtet.

Das sind einige kleine Beispiele von der Art, wie Theresia Gutes that. Wenn Seite an Seite neben dieses edle Wirken und Streben, neben ihre Mildthätigkeit einige Fehler treten, welche man auch à conto der lockeren Sitten der Zeit und ihrer schlechten Erziehung setzen möchte, so sollten ihr dieselben verziehen werden. Auch ihr Biograph hat den Muth nicht, einen Stein auf sie zu werfen; es ist so schön, wenn Jemand gut ist und so selten, Jemand zu finden, der nicht nur in Worten gut ist. Wer gedächte nicht des Ausspruches unseres Erlösers: »Möge Der, der ohne Sünde ist, den ersten Stein auf sie werfen!« Sie aber, jene galiläische Frau, hatte gewiß nicht Thaten aufzuweisen, wie unsere Theresia Cabarrus. Wie kommen die Menschen dazu, strenger zu richten als der Sohn Gottes? Magdalena hatte viel Sünden begangen und sie wurden ihr doch verziehen, daß sie ein Menschenleben gerettet habe, auch nur ein einziges, davon ist nicht die Rede. Auch Theresia hat, wie Magdalena, später Reue über ihren Wandel empfunden. Aber die Thatsache, daß sie ihr Unrecht bereute, hat ihre nachsichtige Güte nicht beeinträchtigt; sie blieb gut, auch nachdem sie erkannt hatte, daß sie strenger gegen sich selbst hätte sein sollen. Eine allzu große Leichtfertigkeit in Bezug auf Geldausgaben, eine zu geringfügige Preisbestimmung für gewisse andere Dinge, wobei übrigens auch Gefälligkeit und die Sitten der Zeit mitredeten – diese ernsten Vorwürfe muß man gegen die schöne Sünderin leider gelten lassen. Aber verurtheilen wollen wir sie nicht; die Verurtheilten, welche sie vor dem Schaffot rettete, würden sich aus ihren Gräbern erheben und sich als Ehrenwache um sie her aufstellen und sie möchten uns mit Recht einer unstatthaften Strenge zeihen.

Tallien sogar verdient eine gewisse Nachsicht; er glich ja allerdings eine Zeit lang einem reißenden Thier, aber sah später ein, daß er zu weit gegangen war. Theresia bearbeitete ihn, knetete ihn, stimmte ihn milder. Wenn dem »Proconsul« in Bordeaux durch furchtlose Bürger Vorstellungen gemacht wurden, so unterstützte Theresia dieselben stets, namentlich wenn es sich um Befreiungen von Strafen des Revolutionstribunals handelte. Sainte-Luce Oudaille: »Histoire de Bordeaux pendant dixhuit mois« Tallien hatte das Verdienst, daß er sich nicht in seine Irrthümer verbiß – die Aenderung seiner Auffassung aber war für ihn nicht ohne Gefahr: zahllose Denunciationen waren die Folge und viele darunter leider durchaus begründet. Tallien war eigentlich ein ganz gemeiner Wicht, der die Gelegenheit, seine Raubinstincte während seines Proconsulates in Bordeaux zu befriedigen, ergiebig benutzt hat. Ob man ihm zu viel aufgebürdet und ihm die von seinen Collegen begangenen Nichtswürdigkeiten auch in die Schuhe geschoben hat, ist gleichgültig. Ein damaliger Bewohner von Bordeaux schreibt:

»Die Willkürherrschaft war soweit gediehen, daß Haftbefehle sogar von untergeordneten Agenten des Ueberwachungsausschusses ausgefertigt werden konnten.«

Es war ja Alles aus den Fugen gegangen; es herrschte eine Anarchie, die es dem elendesten Gesindel freigab, zu thun, was es wollte: es fischte im Trüben. Wir erwähnten bereits, daß von den 6 940 000 Francs, die an Strafgeldern von der Militärkommission eincassirt wurden, 100 000 den Sansculottes und 1 325 000 einem zu erbauenden, in Wirklichkeit aber nie erbauten Hospital zu Gute kamen. Was aus der letztgenannten Summe geworden ist, weiß Niemand. Vielleicht bekam Tallien einen Theil davon, zufrieden aber war er damit noch nicht, denn er trieb daneben noch Handel mit Pässen und Gnaden erlassen. Er wurde mit Petitionen bestürmt, ebenso vermuthlich auch mit Geldanerbietungen – vielleicht nahm er diese an, ohne sie gefordert zu haben, allein es erscheint zweifelhaft. Es existiren ja Briefe von ihm, woraus zu ersehen ist, daß ihm für seine »faulen« Geldgeschäfte ein großes Feld zur Verfügung stand. Am 30. November 1793 richtete er u. A. zugleich mit Ysabeau folgendes Schreiben an den Minister des Innern:

»In dieser Nacht sind mehr als 200 der ersten Kaufleute verhaftet und ihre Papiere versiegelt worden; die Militärcommission wird die Leute unverzüglich aburtheilen. Die Guillotine und umfassende Geldstrafen werden ein gutes Reinigungsmittel für den Handel sein und Plusmacher und Kornwucherer bändigen.«

In einem anderen Briefe lassen sich die Herren also vernehmen:

»Die Gemäßigten, die Sorglosen, die Selbstsüchtigen haben wir bei ihren Börsen gefaßt – Silberzeug gelangt in Masse auf die Münze.«

Hier noch ein Brief, welcher von Tallien allein unterzeichnet ist:

 

»Die Repräsentanten des Volkes, in Bordeaux zu einer Sitzung vereinigt, verlangen von der Verwaltung des Districtes La Réole, Departement des Bec d'Ambès, ihnen innerhalb von 14 Tagen ein Verzeichniß aller wohlhabenden Leute, Aristokraten und Verdächtigen vorzulegen; sie sollen unverzüglich nach revolutionärer Maxime eingeschätzt werden, um für die außerordentlichen Ausgaben aufzukommen; eine genaue Angabe der Höhe der Summen welche auferlegt werden können, wird gefordert.

gez. Tallien.« Archiv der Gironde.

 

Bei der in der Verwaltung herrschenden Unordnung welche man wohl beizubehalten wünschen mochte, bei dem scrupellosen und unrechtlichen Charakter Tallien's kann man darauf schließen, daß es ihm gerade nicht schwer fiel, den Geldbeisteuern eine Bestimmung zu geben, wie sie ihm paßte, ohne daß über ihr Verbleiben auch nur die geringste Spur zurückblieb.

Man muß wissen, daß um diese Zeit jede Behörde in Bordeaux mehr oder weniger öffentlich Raub beging. Dorgueil, Mitglied des Ueberwachungs-Comités, eignete sich einen Theil der mit Wappen oder mit Initialen versehenen Gold- und Silbergeräthe an, welche die Besitzer auf Grund der Bestimmungen des Convents bei den Juwelieren abgeben mußten, damit die Gravirungen beseitigt würden. Endron, Mitglied desselben Comités, war bescheidener: er nahm eines Tages 13 confiscirte Livreen an sich. Andere Mitglieder oder Agenten dieses Comités plünderten die Kirchenschätze, sogar der Maire von Bordeaux – Bertrand war sein Name – eignete sich Silber- und Goldgeräthe an, um welche » La Terreur« die reichen Familien beraubte; Bürgerbriefe ließ er sich per Stück mit 15-1800 Francs bezahlen. De Vivie: »La Terreur à Bordeaux« – »Le Barreau de Bordeaux.« Courtin, der Secretär des Maires, Lacombe, der früher schon genannte Präsident des Militär-Comités, fröhnten weitlich ihrer alten Vorliebe für das Stehlen. Tallien, der viel Geld brauchte, um seinen kostspieligen Neigungen zu genügen, hielt sich mit Vorliebe an eine Quelle, aus welcher Subalternbeamte nicht schöpfen konnten: es waren diejenigen Fonds, welche aus den willkürlich den Verhafteten für ihre Haftentlassung auferlegten Summen herrührten. Diese Fonds und ihre Eintreibung lagen ausschließlich in den Händen der Convents-Commissare. Michelet scheint auf Veruntreuungen nach dieser Richtung hinzuweisen, wenn er sagt, Tallien habe zur Guillotine vor seinen Fenstern in sehr »naher Beziehung« gestanden.

Was Marcus Antonius Jullien, Agent des Wohlfahrtsausschusses, über Theresia an Robespierre schrieb, scheint auch Beziehung auf Tallien zu haben. Wir lesen da:

»Ueber die Fontenay erfahre ich seltsame Details. Bordeaux scheint bis jetzt ein Labyrinth für Intriguen, ein weites Feld für Plünderungen dargestellt zu haben. Es ist sehr schwierig, zwischen Republikanismus und Unrechtlichkeit zu unterscheiden. Ich habe alle Arbeiten eines Ueberwachungsausschusses auf mich genommen; ich bringe die Nächte mit gewichtigen Persönlichkeiten zu, die ich entdeckt habe, muß dieselben aber noch studiren. Ich habe Mittheilungen zur Hand, welche dahin führen werden, daß Bordeaux einer Gesellschaft von Spitzbuben entrissen wird, von denen es ausgebeutet wurde und daß das Volk wieder Liebe gewinnen kann zu den republikanischen Tugenden und Einrichtungen.«

Inzwischen hatte Tallien eine Deputation »furchtloser Bürger« empfangen, welche außer sich waren über die Art und Weise, wie man die Leute zwingen wollte, sich der Revolution zuzuwenden. So kam er denn endlich zum Nachdenken und am 4. Februar 1794 erschien ein von ihm und Ysabeau ausgefertigter Erlaß, welcher den Ueberwachungs-Ausschuß, wie er da war, absetzte und die Verhaftung sämmtlicher Mitglieder anordnete.

Theresia hatte bei dieser Gewaltmaßregel die Hände im Spiel; sie war es gewesen, welche diejenigen Bürger, welche einigen Einfluß auf die Volksrepräsentanten haben konnten, ermuthigt hatte, diesen die Augen zu öffnen. Sie war emsig und hartnäckig thätig, Tallien zur Mäßigung zu bewegen, und es ist erwiesen, daß durch ihren Einfluß vom Januar 1794 an die Zahl der Hinrichtungen sich bedeutend verringerte; man merkte von da an ihre stetig zunehmende Macht über den Conventscommissar und das Revolutions-Tribunal. Die Verurtheilungen zu Geldstrafen aber nahmen zu; dieselben, gewöhnlich zwischen 100 000 und 200 000 Frcs., stiegen auf zwischen 10 000 und 1 200 000 Francs. Es sind Waffenlieferanten, Kaufleute, Bankiers, welche Verbrechen begangen hatten und angehalten wurden, diese bedeutenden Summen als Sühne zu zahlen – die armen Teufel wurden der Guillotine ausgeliefert.

Wir haben Monat für Monat die Verurtheilungen zum Tode oder zu Geldstrafen, welche vom Revolutionstribunal zu Bordeaux ausgingen, aktenmäßig festgestellt. Im Monat December trat Theresia in ihr intimes Verhältniß zu Tallien. Man kann aus der einfachen Durchsicht der Zahlen sich von ihrem wohlthätigen Einfluß überzeugen:

 

  zum Tode   zu Geldstrafen verurtheilt.
1793. October 5   1
  November 19   28
  December 33   14
1794. Januar 16   33
  Februar 10   24
  März 7   12
  April 10   4
  Mai 10   4
  Juni 72   1
  Juli 129   2

 

Tallien verließ Bordeaux am 22. Februar, Theresia aber blieb dort bis zum 4. Mai und verstand es, sich während der Zeit noch ein wenig von ihrem Einfluß zu bewahren. Kaum aber war sie fort, so nahmen auch die Hinrichtungen wieder zu.

Tallien hatte sich durch seine hervorragende Stellung und seine prosperirende Lage viele Neider und Feinde geschaffen. Der Luxus, den er trieb, seine Equipagen, seine Maitresse kamen hinzu, um die Zahl der Widersacher zu vermehren, und nun gar die Absetzung der Mitglieder des Ueberwachungsausschusses – das schlug dem Faß den Boden aus! Die Denunciationen bei dem Wohlfahrtsausschuß jagten einander; man beschuldigte Tallien der unberechtigten Nachgiebigkeit – man hätte ihn besser der Bestechlichkeit anklagen sollen. Tallien fühlte, daß es ihm an den Kragen ging; er wollte selbst seine Rechtfertigung vor dem Convent führen. Am 22. Februar, wie gesagt, reiste er nach Paris ab und ließ Ysabeau allein in Bordeaux zurück, um den gemeinschaftlichen Feinden die Stirn zu bieten. Ließ er aus demselben Grunde auch Theresia in Bordeaux zurück? Der Grund war vielleicht der, daß Tallien hoffte, alsbald wieder zurückzukehren.

Während dieser Vorgänge – es war gegen Ende März oder Anfang April – kam ein junger Mann, der sich als einen Agenten des Wohlfahrts-Ausschusses ausgab, nach Bordeaux. Er knüpfte alsbald Verbindungen mit den Feinden Tallien's an und unterhielt mit Paris eine lebhafte Correspondenz. Der junge Mann war Marcus Antonius Jullien, Sohn des Conventsmitgliedes für Toulouse – er nannte sich später »Jullien von Paris«, er war damals 19 Jahre alt. Der Wohlfahrtsausschuß hatte ihn für so befähigt gehalten, daß er ihn mit geheimen Aufträgen nach Bordeaux schickte, dahin gehend, sich genau über die Aufführung der beiden Commissare zu unterrichten und Nachrichten nach Paris zu geben.

Tallien war es nicht gelungen, sich erschöpfend zu rechtfertigen. Der junge Jullien, allgemein »der kleine Jullien« genannt, war sehr gewandt und anstellig. Es dauerte auch nicht lange und er versammelte, gestützt auf die ihm zu Theil gewordenen geheimen Aufträge, vor denen Jeder in Furcht war, eine Art von Hof um sich, um durch versteckte Machinationen die Autorität Ysabeau's zu untergraben. Er schilderte dem von ihm wie ein Gott verehrten Robespierre, welche Eindrücke er über das Verhalten Ysabeau's, Tallien's und der Maitresse des Letzteren gewonnen habe. Die persönliche Bekanntschaft Theresia's und zugleich deren Eroberung hatte er, wenn man Sénar Dieser Jullien hatte dem Sicherheitsausschuß die Abschrift eines Briefes eingeschickt, welchen die »Prostituirte Cabarrus« an ihn gerichtet hatte, und in welchem sie ihn aufforderte, mit ihm nach Südamerika zu gehen, weil sie »diesem Tallien« entwischen wolle, der, mit Verbrechen beladen, sie compromittire. Sie bot Jullien an, ihr Vermögen mit ihm zu theilen, »welches mehr als genügend für Beide wäre.« ( Sénar: »Révélations puisées.«) glauben will, gemacht: er nannte sie nicht anders als im Dialect seiner Provinz die »schöne Gabarrus.« Noch nicht veröffentlichte Aufzeichnungen des Baron Larey, Generalarzt der großen Armee.

Die von Robespierre hinterlassenen Papiere weisen nach, daß der kleine Jullien den »Erfinder des höchsten Wesens«, den »Grünadrigen«, in Kenntniß zu setzen für nöthig befunden hatte, daß das nachsichtige Auftreten Tallien's das Werk Theresias wäre, daß jedoch auch noch andere, weniger zarte Beeinflussungen vorlägen. Der Repräsentant Courtois sagt in dem schwülstigen Bericht, welcher der Veröffentlichung der Schriften Robespierre's vorangeht, daß Jullien dem Chef der Terreur sogar »Weiber angab, deren Reize er schildert.« Es scheint sich um das ein wenig decolletirte Porträt Theresias zu handeln.

Sehr zu bedauern ist es, daß die in Rede stehenden Schriften nicht in ihrem ganzen Umfange veröffentlicht wurden. Der Repräsentant Courtois, der den gewünschten Auftrag, das Inventar des gefallenen »Tyrannen« aufzunehmen, erhalten und mit dem Verbrennen seiner eigenen Briefe große Eile hatte, nahm Vieles an sich, um es später einzeln für schönes Geld dem Publikum vorzulegen.

In mehr als einem der veröffentlichten Briefe läßt Jullien hindurchblicken, daß auch Theresia nicht ganz frei vom Verdacht der Unredlichkeit war. In einem Briefe vom 15. Prairial des Jahres II (3. Juni 1794) heißt es:

»Ysabeau, der mich gestern besuchte, sagte, Tallien wäre arretirt worden. Die Bestrafung der hiesigen Durchstecher, von denen Einige, wie z. B. Chabot, nur ein Interesse im Auge hatten …«

An St. Just richtet er die Aufforderung, durch einen Erlaß zu unterscheiden unter Solchen, welche in Bordeaux Geld hergegeben haben, um ein Leben zu erkaufen, welches Viele zu verlieren nicht verdient hätten, und Solchen, die Geld gefordert haben, um das Gesetz zu verkaufen: die Ersteren würden, wenn sie Nichts mehr zu befürchten hätten, sprechen, die Andern müßten entlarvt und bestraft werden.«

Unzweifelhaft beziehen sich die Worte auf Tallien!

Die Briefe beweisen wohl auch, daß sich dunkle Wolken um Tallien sammelten, und daß er wie Danton nahe daran war, sich in einen Kampf mit Robespierre einlassen zu müssen.

Als Theresia merkte, daß Tallien genöthigt sein würde, länger in Paris zu verbleiben, als er gedacht hatte, er vielleicht sogar seinen Posten einbüßen würde, als sie merkte, daß sie bei dem einflußreichen Jullien keinen Stein im Brett habe, beschloß sie, ihren Geliebten in Paris aufzusuchen. Aus Liebe wohl schwerlich. Hatte sie in Bordeaux nicht selbst Jemandem gesagt: es wäre nicht Liebe, die sie an Tallien fessele, sondern eine Art Ehre oder Pflicht, weil sie Veranlassung zu den Gefahren wäre, denen Tallien sich ausgesetzt habe. C. Nauroy: »Le Curieux.«

Uebrigens hatte sie einen Freund, der einen gewissen Taschereau, einen geheimen Agenten des Wohlfahrts-Ausschusses kannte, dieser, der stets vor Robespierre auf den Knieen lag und ihn, als er gestürzt war, elend verrieth, dieser Taschereau, eingeweiht in alle Schliche und Kniffe, sagte seinem Freunde, daß Etwas wider die Cabarrus im Werke sei und dieselbe am besten thäte, Bordeaux schleunigst zu verlassen.

Der Freund hatte natürlich seinerseits nichts Eiligeres zu thun, als diese wichtige Benachrichtigung an Theresia weiter zu geben, und ihr zu rathen, sie möchte für einige Zeit Aufenthalt in einer an der Loire gelegenen Stadt nehmen. Ein ganz neues Gesetz vom 27. Germinal des Jahres II (16. April 1794) untersagte überdies den çi-devant Adeligen den Aufenthalt in den Grenz- oder Seestädten. Theresia hatte also mehr als einen Grund, ihren jetzigen Aufenthalt zu verlassen.

Ysabeau beauftragte den Ueberwachungs-Ausschuß mit der Durchführung des neuen Gesetzes, dieser citirte alle Çi-devants Bezeichnung für die Adligen nach Abschaffung des Adels. männlichen und weiblichen Geschlechtes vor seine Schranken, händigte ihnen Zwangspässe ein mit dem Befehl, Bordeaux ungesäumt zu verlassen. Auf den Pässen mußte natürlich der zukünftige Aufenthalt bezeichnet sein.

Im Archiv von Bordeaux sind die damals ausgefertigten Zwangspässe sämmtlich verzeichnet. Unter dem 15. Floréal des Jahres II (4. Mai 1794) als Datum findet sich folgender Vermerk:

»Cabarrus-Fontenay (Theresia, Frau Fontenay) 20 Jahre alt, zu Hof Tourny wohnend, geboren zu Madrid, nach Orleans abgeschickt.«

Am 4. Mai frühestens, wahrscheinlich erst am 5. oder 6. Mai, hat Theresia Bordeaux verlassen. Da es damals nicht Mode war, eine gute Mutter zu sein, ließ sie ihren Sohn in einem Hotel garni unter dem Schutz eines Dieners, Namens Joseph, zurück. Sie ging nicht sogleich nach Paris, sondern zunächst nach Orleans. Vielleicht wollte sie Jullien, der ihr ja wenig günstig gesinnt war, nicht wissen lassen, daß sie sich in Paris wieder mit dem Geliebten vereinigen wolle. War sie erst einmal in Orleans, so sollte es für sie keine Schwierigkeiten haben, einen Paß für Paris zu erlangen. Der ihrem Paß beigefügte Ausweisungsbefehl ist so originell, daß wir ihn hier wiedergeben:

»Ausgehändigt an die Bürgerin Theresia Cabarrus-Fontenay, geschiedene Frau Fontenay, 20 Jahre alt, früher im Genuß der Adelsvorrechte, geboren zu Madrid, in Frankreich seit 14 Jahren, wohnhaft zu Bordeaux, Hof von Tourny, welche uns die Erklärung abgegeben hat, sie wolle sich, gehorsam dem Gesetz vom 27. Germinal, nach Orleans zurückziehen. Signalement: Fünf Fuß 2 Zoll groß, weißes, hübsches Gesicht, schwarze Haare, gut gebaute Stirn, Augenbrauen hell, Augen braun, Nase fein geformt, Mund klein, Kinn rund. Ausgestellt in der Sitzung vom 15. Floreal des Jahres II. Wir verdanken dieses interessante Dokument, welches das Datum der Abreise Theresia's von Bordeaux enthält, und den wirklichen Grund zu derselben angiebt, dem Wohlwollen des Herrn de Vivie, der uns noch einige weitere Dokumente mittheilte und uns mit seiner Sachkenntniß als Führer für Alles zu dienen anbot, was den Aufenthalt Theresias und Tallien's in Bordeaux betrifft. Sein schönes Werk » La Terreur à Bordeaux« war uns ebenfalls von großem Nutzen.

Den Angaben auf ihrem Passe entsprechend machte Theresia in Orleans Halt; bestätigt wird dies außerdem durch den Bericht des Bürgers Boulanger, Brigadegeneral. In Orleans ließ sie sich einen Paß ausstellen für Fontenay-aux-Roses. Dort, im Hause ihres Mannes, sah sie Tallien wieder, und zwar in aller Heimlichkeit, denn dieser arme Tallien, dessen Sache vor dem Wohlfahrts-Ausschuß schlecht genug stand, wußte, daß Theresia noch weniger gut angeschrieben war, als er selbst. Gerade zu dieser Zeit schrieb der kleine Jullien, welcher Robespierre drängte, Beide gefangen zu nehmen (11. Prairial – 30. Mai), er glaube die Abschrift eines Briefes Tallien's an den National-Club mittheilen zu sollen. Derselbe falle zusammen mit der Abreise der Fontenay, welche der Wohlfahrts-Ausschuß ohne Zweifel hätte verhindern und die Frau arretiren sollen. Es befänden sich darin über sie sehr interessante, die Politik angehende Mittheilungen. Papiers inédits trouvés chez Robespierre, Saint Just, Payan etc. supprimés ou omis par Courtois III, 31.

Man darf annehmen, daß die Doppelverhaftung seitens Robespierre's im Princip beschlossen war; Jullien hatte in seinen Briefen die wider Tallien gerichteten Denunciationen bestätigt. Während man den Bericht des Wohlfahrtsausschusses, der dem Convent vorgelegt werden sollte, und der sich auf die von Jullien angestellten Ermittelungen stützte, abwartete, mußte man Theresias habhaft werden und sie dingfest machen.

Tallien aber hatte offenbar ein Vorgefühl von Dem, was kommen würde.


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