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Der Triumph der Thermidoristen. – Theresia verläßt das Gefängniß. – Tallien's große Popularität. – Schließung des Jacobiner-Clubs. – Wie Paris nach dem 9. Thermidor aussah. – Theresia und Tallien heirathen. – » La Chaumière« (Hütte). – Der Luxus und Uebermuth der Madame Tallien. – Getäuschter Ehrgeiz. – Spitzfindigkeiten Tallien's. – Eheliche Zänkereien. – Madame Tallien, die Gebieterin ihres Gemahls. – Die Königin der Mode. – Der Salon in der »Chaumière«. – Politiker und Börsianer. – Luxus und Elend. – Tallien in Quibéron. – Seine royalistischen Zettelungen. – Der Jahrestag des 9. Thermidor. – Trinksprüche – Hinrichtungen zu Quibéron. – General Buonaparte bei Madame Tallien.
Dem Siege der Thermidoristen folgte ein Augenblick des Erstaunens: Tallien zählte zu den Erstauntesten!
Er war mit einem mal der Mann des Tages: hatte er es nicht gewagt, Auge in Auge dem Grünadrigen, dem Schreckensmann, gegenüberzutreten? Er sah unbestimmt voraus, daß es ihm beschieden sei, im Convent eine große Rolle zu spielen, zumal ihm die öffentliche Meinung alle Ehren des Tages zusprach.
Tallien glaubte ja, wie alle untergeordnete Charaktere bereitwillig Alles, was ihm schmeichelte, er hütete sich wohl, Widerspruch zu erheben, suchte vielmehr aus der augenblicklichen Lage und Stimmung den größtmöglichen Vortheil für sich zu ziehen. Persönliche Rücksichten waren es ja allein gewesen, die ihm sein Auftreten gegen Robespierre dictirt hatten, persönliche Interessen blieben auch ferner die Richtschnur seines Handelns. Man darf nach Zielen, nach politischen Ideen nicht suchen, man wird keine finden, auch bei ihm keiner Sorge für das öffentliche Wohl begegnen – der Wunsch, sich zu ergötzen, sich möglichst großer Reichthümer, sich einer schönen Maitresse zu erfreuen, beschäftigte ihn ganz allein. Auch mußte er darauf bedacht sein, die Zeugen seiner begangenen Unthaten zu beseitigen oder zum Schweigen zu bringen, die Einen aufs Schaffot zu schaffen, die Anderen einzusperren – damit ist er zunächst eifrig beschäftigt. In der ersten Nummer der von ihm nach dem 9. Thermidor gegründeten Zeitschrift » Amis des citoyens« ist die Rede von einem Agenten des Wohlfahrts- und Sicherheits-Ausschusses, den er als Mitschuldigen Robespierre's denuncirt – nur weil derselbe ihm in die Karten gesehen hatte und wußte, weß Geistes Kind er war – er wollte sich des lästigen Zeugen entledigen. In Gefangenschaft gerieth auch der »kleine Jullien.« Man sehe im »Anhang« den Brief.
Tallien schien ganz durchdrungen von dem abscheulichen Grundsatz Machiavelli's:
»Es ist nicht nöthig, daß Der, der regiert, ein rechtschaffener Mann ist, allein er muß wohl bedacht darauf sein, als solcher zu erscheinen.«
Der gelungene Staatsstreich hat ihm ganz neue Horizonte eröffnet: Ehrgeiz nistet sich in sein Herz ein, er meint, er wäre berufen, eine große Rolle zu spielen – dazu darf man keine allzu peinliche Vergangenheit haben, diese könnte ihm ja gelegentlich Einer oder der Andere vorwerfen.
Die ersten Maßregeln, welche die Thermidoristen trafen, um sich die Zukunft zu sichern, gingen dahin, ihre Privatangelegenheiten zu ordnen; Mallet du Pan sagt hierüber sehr richtig:
»Diese Leute sind Bediente, welche, nachdem sie ihre Herren ermordet haben, deren Stock in die Hand nehmen.«
Sie wollten in der That – nämlich zu ihrem eigenen Vortheil – den Fortbestand der Schreckensherrschaft; da es ihnen jedoch an Patriotismus, an Unternehmungsgeist, an Talent fehlte, ihren Wünschen die unlängst noch kritische Lage Frankreichs nicht zu Hilfe kam, so waren sie gleich nach dem Tage, an welchem sie ihren Rachedurst befriedigt hatten, genöthigt, der unwiderstehlichen Bewegung, die sich ganz Frankreichs bemächtigt hatte und von einer Herrschaft der Guillotine nichts mehr wissen wollte, nachzugeben.
Die Befreiung seiner Maitresse war zunächst das Wichtigste, was Tallien zu thun für nöthig hielt. Hätte er Theresia irgend einen Vorwurf zu machen gehabt, so war er jetzt zur Versöhnung geneigt: sie war zur Genüge bestraft durch ihre lange Haft und – noch hatte sie ihm ja den Treuschwur nicht abgelegt! Auch er war nicht weiß wie Schnee, hatte er nicht die Einkerkerung ihres Freundes Guéry veranlaßt und den Schein unterschrieben? Gleichviel – jetzt war Alles vergessen und vergeben.
Am 12. Thermidor verließ Theresia den Kerker – der »kleine Jullien« wanderte hinein.
»Verfolgung und Haß den Satelliten Robespierres,« so hatte am 11. in der Conventssitzung Tallien gerufen. »Man hat an die Spitze der Leitung des Unterrichtswesens einen jungen Menschen von 19 Jahren gestellt, einen jungen Mann, der seinem Alter nach in unsere Armeen an der Grenze gehört. Man hat ihn sogar nach einem Departement des Südens geschickt; in seiner Stellung hat er empörende Thaten begangen, Blut hat er vergossen, nur um sich vor Robespierre mit seinen Thaten zu brüsten, indem er demselben die Liste seiner Opfer vorlegte.«
Es war ja klug von Tallien, sich also vernehmen zu lassen, allein es war nichtswürdig, diesem »kleinen Jullien« in die Schuhe zu schieben, was er selber verbrochen hatte, übrigens hatte der Gemaßregelte sein eigenes Conto schon mit gar üblen Dingen stark belastet.
Die Frage, womit Theresia sich in der ersten Zeit ihrer wiedergewonnenen Freiheit beschäftigte, nimmt all unser Interesse in Anspruch. Sie brachte zunächst einige Ordnung in ihre Privatangelegenheiten, die durch ihre zweimonatliche Verhaftung und die Zeitumstände herabgekommen sein mochten. Sie brauchte vor Allem baares Geld. Ein Brief, welchen sie an eine Freundin in Bordeaux richtete, zeigt uns im Detail, womit sie sich abgab. Siehe den Brief im »Anhang.«
Nachdem nach dieser Richtung hin Alles geordnet war, schickte sie Geld an ihren Diener Joseph, der, wie man sich erinnert, mit dem Sohn in Bordeaux zurückgeblieben war. Dann wurde sie in Anspruch genommen durch die Einrichtung und den Ausbau ihrer Villa, der später berühmt gewordenen » Chaumière« am Cours la Reine, früher Eigenthum der Mlle. Raucourt. Nachdem auch diese Geschäfte erledigt waren, konnte sie sich der großen Popularität ihres Freundes freuen.
Der Kanzler Pasquier erzählt uns:
»Der Mann, dem die öffentliche Meinung alles Verdienst an der Reaction, deren wohlthuende Wirkung sich schnell bemerkbar machte, zuschrieb, ist Tallien – Frankreich vergißt den grausamen Proconsul von Bordeaux, einen der Anstifter der Septembermorde, den Königsmörder. Es giebt ja Gefühle, die so stark sind, daß sie allen anderen Schweigen gebieten. Dahin gehört das Dankgefühl.
Ich habe ihn im Odeon gesehen, als er zum ersten Male wieder in der Oeffentlichkeit erschien, nachdem man das Attentat, welches gegen ihn geplant – vielleicht nur angeblich geplant war – glücklich verhindert hatte. Man wußte, daß er kommen würde und das Theater war so voll gepfropft, daß kein Apfel zur Erde konnte, die Leute standen sogar dicht gedrängt auf den Treppen. Er ist da – welcher Empfang! Die Zuschauer der Logen des Parquels und des Parterre, Männer und Frauen klettern auf Sessel und Bänke, nicht endende Zurufe begrüßen ihn. Tallien ist eine ziemlich hübsche, noch jugendfrische Erscheinung; er sah sehr gelassen aus, sein Blick war klar.
Mad. Tallien erschien an seiner Seite. Auch in Bezug auf sie schien Alles vergessen zu sein, die öffentliche Meinung wollte ihr Nichts nachtragen.« Pasquier: »Mémoires I, 114.«
Gewiß! Der Mann, der die Gefängnisse öffnen ließ, um Unschuldigen die Freiheit wieder zu geben, verdient, daß ihm Vieles verziehen wird – gleichviel, welche Beweggründe ihn zu seiner guten That veranlaßt hatten.
Die ersten Monate, welche dem 9. Thermidor folgten, boten Tallien keine Zeit zum Nichtsthun und zu Zerstreuungen. Im Convent gingen die Wogen noch ziemlich hoch, während die Bevölkerung, um sich über die Verluste der Schreckenszeit zu trösten, blindlings dem Vergnügen nachging und in allerhand Ausschweifungen verfiel – unter der Asche aber lagen noch die glühenden Funken. Vor Allem mußten die einflußreichen Ausschüsse gebändigt werden. Tallien, von Cambon unterstützt, brachte ein Gesetz durch, nach welchem die Permanenz der Ausschüsse aufhörte, dieselben zum vierten Theil alle Monate erneuert werden sollten. Der Wohlfahrts-Ausschuß, durch die Guillotine decimirt, wurde wieder vollzählig gemacht. Der Mann der es gewagt hatte, Saint Just und Robespierre gegenüberzutreten, wurde Mitglied des Ausschusses. Die dictatorische Gewalt der Ausschüsse hatte damit ihr Ende erreicht. Im Interesse der Selbsterhaltung hatten die Thermidoristen zu so energischen Maßregeln gegriffen, Frankreich aber feierte sie ohne nach dem Grunde zu fragen, um ihrer Handlungen willen, die sie ihrer Weisheit zu Gute schrieben.
Tallien und die anderen Terroristen mußten wohl nunmehr einsehen, daß Frankreich eine Blutherrschaft fürder nicht mehr dulden würde; sie verfügten sich daher in Person in die Gefängnisse, öffneten die Thore und ließen sich von der jubelnden Volksmenge Beifall zollen.
Daß die Partei ihnen nicht zujauchzte, liegt auf der Hand. Eine Menge Mißvergnügter, darunter einige Tausend Bürger, welche 30 Sous per Tag dafür erhielten, daß sie den Sectionssitzungen beiwohnten und von den Thermidoristen jetzt das seltsame Honorar nicht mehr bezogen – schlossen sich den Jacobinern an, declamirten in den Versammlungen mit großer Leidenschaftlichkeit gegen das neue System und stießen Drohungen gegen die neuen Herren Frankreichs aus. Es kam soweit, daß sie am 23. Fructidor (9. September) ihren Zorn durch ein Attentat auf Tallien Luft machten. Der Convent gerieth darüber in große Aufregung. Merlin de Thionville sagte: »Das Volk wollte, daß die Herrschaft von Mordgesellen ein Ende haben sollte, es schob dem Jacobiner-Club das Attentat in die Schuhe. Erst am 21. Brumaire (11. November) beschlossen die Ausschüsse des Convents die Aufhebung des Clubs; das Local desselben wurde abgeschlossen und der Schlüssel beim Secretariat des Sicherheits-Ausschusses abgegeben.«
Theresia sagt in einem Brief, sie wäre es gewesen, welche die Schließung An Herrn de Pougens, datirt Brüssel, 16. November 1824. des Clubs veranlaßt habe. Daß sie dem Ereigniß nicht fern stand, darf angenommen werden. Nach dem Attentat, dem Tallien – damals noch nicht ihr Ehegemahl – entrinnen sollte, hat sie ihn gewiß angespornt, beim Convent den Antrag auf Auflösung des Jacobiner-Clubs, der, wie gesagt, mit dem Mordanfall in Verbindung gebracht wurde, einzubringen. Allein sie sagt in dem Briefe noch mehr:
»Ich bin es gewesen, die in der Rue Saint-Honoré, begleitet von Fréron und Merlin de Thionville, die Schlüssel zum Versammlungssaal des Jacobiner-Clubs wegnahm; ich verhinderte dadurch eine Versammlung an jenem Tage, wodurch die Gegner Zeit gewannen, die definitive Schließung durchzuführen und habe den Jacobinern die Möglichkeit genommen, sich zuvor zu berathen.«
Wir wollen den Worten von Frau Tallien mit keinem Zweifel zu nahe treten, sonderbar aber erscheint es, daß zwei Mitglieder des Convents, begleitet von einer Frau, sich anmaßten, in das Versammlungsrecht mit Gewalt einzugreifen, in dem Augenblick, da der Convent über den Ausnahmefall sich zu entscheiden im Begriff war.
Das kleine Ereigniß beweist wiederum, neben unzähligen gleichartigen Fällen, daß nach dem 9. Thermidor in Frankreich die vollkommenste Anarchie herrschte. Dieselben Zustände blieben auch unter dem Directorium bis zum 18. Brumaire. Nicht in den Verhältnissen allein, auch in den Geistern herrschte die Anarchie. Die Stockungen in Handel und Verkehr hatten ein allgemeines Elend herbeigeführt, die Memoirenschriftsteller jener Zeit entwerfen die traurigsten Bilder von den Leiden der Bevölkerung.
Wir wählen das nachfolgende, aus welchem der Leser zugleich ersehen kann, wie man zu der Zeit in Paris lebte.
»Die Noth war unbeschreiblich; das Elend hatte eine unglaubliche Höhe erreicht, das souveräne Volk aber kaum eine Klage auf den Lippen. Es war nur ein wüster Haufen noch ohne Energie, eine Heerde wilder Thiere, die unter der Hand Dessen, der sie bändigte, knurrte: nicht einmal der Gedanke an einen Aufstand war noch vorhanden. Jeden Morgen bot die Stadt einen kläglichen Anblick: Tausende von Frauen und Kindern hockten auf dem Straßenpflaster vor den Bäckerläden, um für Geld und gute Worte ein Stückchen Brod in Empfang zu nehmen. Mehr als die Hälfte von Paris nährte sich nur noch von Kartoffeln. Das Papiergeld hatte gar keinen Kaufwerth und baares Geld gab es nicht – und dies dauerte länger als ein Jahr! Ein Anblick, der vielleicht noch ergreifender war, bot sich dem Beobachter: die Unglücklichen, die in den Gefängnissen geschmachtet hatten, waren der Freiheit wiedergegeben. Dem Tode entronnen, waren sie vor Freude außer sich und hatten zum Leben doch Nichts mehr! Sie erregten allseitiges Interesse; daraus zog die bei uns Franzosen so erfinderische Eitelkeit Vortheil; Jeder von ihnen wollte glauben machen, er habe am schrecklichsten gelitten und da es zum guten Ton gehörte, Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein, rühmten sich Unzählige, die sich entweder versteckt gehalten oder ihre Ruhe durch irgend eine niedrige Handlung erkauft hatten, in den Gefängnissen geschmachtet zu haben. Tausende unschuldiger Menschen waren auf dem Schaffot gestorben, alle Rangstufen verwischt, der Reichthum war in andere Hände übergegangen. Da es noch gefährlich war, sich seiner Geburt zu rühmen und an frühere Daseinszustände zu erinnern, wollten die Emporgekommenen den Ton angeben und suchten die Mängel ihrer schlechten Erziehung hinter lächerlichen Formen und linkischen Nachahmungen zu verstecken. Eine andere mehr anmuthende Klasse der Gesellschaft, ich meine die Künstler, fanden Beachtung, indem sie dem Bedürfniß, welches viele Leute empfanden, Zerstreuungen im Bereich der Künste zu suchen, Genüge thaten. Dieser sehr verbreitete Geschmack artete bald jedoch dahin aus, daß er sich an die Moden hing, in die Sitten drang und unbegreifliche Verzerrungen hervorrief. Die jungen Männer kleideten sich als »Opfer,« die Haare wurden auf dem Hinterkopf in die Höhe gebunden, um an die Unglücklichen zu erinnern, welche »Toilette für die Guillotine« machten. Die Frauen aber ahmten in ihren Gewändern die Trachten der klassischen Zeit Griechenlands nach. Man wird es kaum glauben, ohne es selbst gesehen zu haben, daß reizende, wohlerzogene und edelgeborene Frauen Beinkleider in Fleischfarbe, Schuhe mit überhohen Hacken, im übrigen beinah durchsichtige Gazekleider bei völlig entblößtem Busen trugen. Auch die Arme waren bis unter die Achseln bloß – so zeigten sie sich an öffentlichen Orten – fanden Beifall und wurden mit Applausen begrüßt. Die alten Palais, die Privathäuser waren in Vergnügungsorte umgewandelt, z. B. das Elysée, Paphos, Tivoli, Idalie, überall dieselbe lärmende Ausgelassenheit, ein Breitmachen schlechter Manieren, eine Verachtung der Wohlanständigkeit welche Scham und Ekel hervorrufen mußte.« Comte Lavalette: »Mémoires et Souvenirs I, 156.«
Die Bürgerin Theresia war an dieser Corruption der Sitten, an diesen Orgien der Mode nicht unbetheiligt. An der Neugestaltung der Pariser Gesellschaft hatte sie als cokette Schönheit, als hochstehende Frau keinen geringen Antheil, sie war für andere Frauen die Tonangebende, sie war die herrschende Königin – nur mit einem guten Beispiel, das allerdings nicht mit demselben Eifer nachgeahmt wurde als die schlechten, ging sie voran: sie verheirathete sich!
Theresia verdankte es Tallien, daß sie in Bordeaux der Guillotine entrissen wurde, dafür hatte sie ihn allerdings bezahlt und sie waren sozusagen Beide quitt. Wenn sie ihm auch wegen der Einkerkerung ihres Freundes Guéry zürnte, so mußte sie sich doch auch sagen, daß sie Tallien die Freiheit verdankte.
Tallien aber, um sich bei ihr wieder einzuschmeicheln, hatte die Artigkeit, sie zu versichern, daß er ohne ihre Liebe – ohne ihren Brief – den Muth nicht gehabt haben würde, Robespierre anzugreifen.
Man war sich also gegenseitig zu Dank verpflichtet und der Schritt bis zum Abschluß des Ehebundes kein großer mehr. Vielleicht fühlte sich Theresia damals schon Mutter und fand in diesem Umstande die zur Ehe drängende Veranlassung. Das Mädchen, welches sie der Welt schenkte, wurde später die Gräfin Narbonne-Pellet. Daß moralische Beweggründe vorlagen, ist nicht anzunehmen: Tallien liebte Theresia und sie ihn – wenigstens glaubte er es, was ja auf dasselbe hinauskommt. Daß ihm irgend einer der Streifzüge der unverbesserlichen Cokette unbekannt geblieben wäre, ist nicht anzunehmen – er war verliebt und hatte, wie das der Fall zu sein pflegt, viel Nachsicht für Alles, was gegen Sitte, Ehre, Moral verstößt. Er ertheilte ihr eine unumschränkte Amnestie, zumal seine Eitelkeit ihm ins Ohr flüsterte: Du bist der Eroberer dieses schönen Weibes – dieses Weibes, das noch dazu eine Marquise ist. Für den Sohn eines Bedienten fiel der letztere Umstand mit in die Waagschale. Was wäre denn die Liebe, wenn nicht Eitelkeit hinzutreten und die unfehlbar sich einstellenden Risse überkleistern würde?
Vielleicht dachte dieser eingebildete Mensch gar, seine äußeren, von ihm überschätzten Vorzüge würden ihm die Eroberung sichern und konnte er es sich gar nicht denken, daß eines Tages Theresia, seiner müde, und zugleich begierig die nähere Bekanntschaft eines Anderen zu machen, mit diesem dasselbe Spiel treiben würde wie mit ihm. Wenn er sich einen solchen Fall auch vergegenwärtigt haben mag, Theresias Vermögen war andererseits ein gewaltiges Bindemittel – zunächst war er voller Liebe, ganz Liebe und sagte sich: » fortis est ut mors dilectio.«
Theresia war übrigens ihrerseits durchaus nicht frei von Illusionen, nur waren sie anderer Art als die ihres Freundes. Der Triumph am 9. Thermidor hatte berauschend gewirkt, das übertriebene Lob, welches sie von allen Seiten her dem Geliebten spenden hörte, die lärmenden Beifallsbezeugungen, die mehrere Monate lang das Erscheinen Talliens in der Oeffentlichkeit begrüßten, brachten sie dahin, zu glauben, sie habe sich in Bezug auf ihn getäuscht und Tallien wäre doch ein ganz bedeutender Mensch.
Ehrgeizig wie sie war, meinte sie, Tallien werde da nicht stehen bleiben, wo er stand. Er war ja noch jung, erst 25 Jahre alt: bei einigem Geschick konnte er noch Größeres erreichen – und war er nicht das Idol der Pariser Bevölkerung? Sie wollte ihn schieben … vorwärts … vorwärts! Wie blendend war auch für sie der Blick in die Zukunft. Sie liebte die vornehme Welt, freute sich der Macht, liebte über Alles den Luxus und glaubte, mit den Mitteln, welche die hohen Stellungen Tallien's einbringen müßten, alle ihre Wünsche nach dieser Richtung hin befriedigen zu können und dann – die Gewohnheit, die allmächtige Gewohnheit – Theresia war an Tallien gewöhnt und dann hatte sich Tallien, das muß man ihm lassen, seit seinem Verkehr mit ihr in seiner äußeren Erscheinung wie in seinen gesellschaftlichen Formen wesentlich verfeinert.
Ob sie ihn liebte? Das ist etwas anderes, eigentlich eine ganz überflüssige Frage, denn was hat die Liebe, ich bitte Sie, mit der Ehe zu schaffen? Sie glaubte, es würde die Ehe mit Tallien vortheilhaft für sie sein, alles Andere war doch nur Nebensache!
Am 26. December 1794 erhielt auf dem Stadthause zu Paris der in Bordeaux in wilder Hast geschlossene Bund die legale Weihe und hieß von da an Ehe. Theresia räumte ihre Zimmer in der Chaussse d'Antin und bezog mit ihrem Gatten das »Chaumière« benannte Haus, welches an der Ecke der Rue des Veuves (jetzt Avenue Montaigne) in dem Cours la Reine lag und ein reizendes Heim für das junge Paar darstellte.
Natürlich war die Bürgerin Tallien bedacht darauf, einen gesellschaftlichen Kreis um sich zu versammeln, hatte aber zunächst mancherlei Schwierigkeit, Rekruten für ihren Salon anzuwerben. Schuld daran war die Emigration, die noch Allen in den Gliedern liegende Schreckenszeit, die allgemeine Trauer um Dahingeschiedene, der allgemeine Ruin u. s. w. Deputirte, Bankiers, mit denen ihr Vater in Geschäftsverkehr gestanden hatte, Armee-Lieferanten, welche großen Luxus zu treiben begannen, einige Litteraten, einige Künstler stellten sich bei ihr ein. Auch Frauen kamen nach der Chaumière, und wenn sie sich mit diesen über Vergnügungen und Toiletten unterhielt, so lauschte ihr Ohr zugleich den politischen Gesprächen der Herren, um aus denselben Vortheil für ihren Gatten zu ziehen. Man spielte, man spielte sogar sehr hoch, man musicirte, schmauste und zechte – getanzt aber wurde in der Chaumière, obwohl der Tanz zu einer die ganze Gesellschaft beherrschenden Leidenschaft geworden war, nicht.
Die Dame des Hauses nahm Theil an allen, mit Vorliebe an politischen Gesprächen, sie suchte Jedem zu gefallen, was ihr ja nicht schwer fiel. Unter schönen Blicken, einem verheißungsvollen Lächeln, unter dem Klirren der Gläser wurde in der Chaumière mancher hochwichtige Act beschlossen – sie streute Samenkörnlein in den Boden, aus denen einst die Blüthen des für ihren Gatten ersehnten Ruhmes werden sollten – soll nicht auch in der Politik das Weib die Mitarbeiterin des Mannes sein?
In der wie gesagt allgemeinen Anarchie, welche dem 9. Thermidor folgte, spielte Frau Tallien eine in der That verdienstliche Rolle, sie ermahnte nach allen Richtungen zur Milde, zur Nachsicht, zum Vergessen, sie schlichtete die Zwietracht, wo sie nur irgend konnte, empfing auch, wie vordem in Bordeaux, Bittschriften, sie hatte eine förmliche Clientele von Bittstellern. Zurückgekehrte Emigranten, Royalisten kamen oder gingen, indem sie ihr ihre Bitten, an deren Erfüllung sie nicht zweifelten, vortrugen. Sie war unermüdlich in ihrem Bemühen, den Leuten Gefälligkeiten zu erweisen, ihre wohlthuenden, wohlwollenden Bestrebungen gönnten ihr keine Rast – dies der Ruhm, der ihr für immer bleiben muß. Man sehe im »Anhang« zwei ihrer Briefe. Man wird bemerken, daß ihre Fürsprachen in keinem banalen Ton geschrieben waren, daß in ihnen mehr Geist und Witz zum Ausdruck kommt, als man von der Schreiberin erwarten und aus deren Gesprächen schließen könnte.
Leider ist damit verbunden ein Cokettiren nach allen Seiten hin, das leichtfertigste Treiben, das man sich denken kann. Die furchtbaren Lehren der Ereignisse gingen fast spurlos an ihr vorüber, sie wurde darum nicht ernster; es scheint als habe ihr die Gabe der Ueberlegung gänzlich gefehlt, bei ihr ist Alles die Eingabe des Augenblicks, sie thut was ihr gefällt, was ihr wohlthut und bekümmert sich nicht um die Folgen. Man kommt beinahe auf den Gedanken, sie habe Gutes gethan nur um sich zu amüsiren, sie sei gefällig gewesen, um sich zu zerstreuen, um dem Bedürfniß der Intrigue zu genügen, weil es ihr gar so drollig vorkommt, sich in geschäftliche Angelegenheiten zu mischen und die Leute nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Ist es nicht köstlich – meint sie vielleicht – eine »politische Frau« zu sein?
Daß sie es ist, davon scheint sie durchdrungen, versuchte sie es doch die Leute glauben zu machen, sie habe Robespierre gestürzt. Im Jahre 1824 schrieb sie:
»Der 9. Thermidor ist der glücklichste Tag meines Lebens, denn meine schwache (sie sagt »kleine«) Hand half beim Umsturz der Guillotine.«
Das Publikum war in der That allgemein dieser Ansicht, gefiel sich vielleicht auch nur in derselben, denn es ist so gern bereit, in einem Idol – sei es Mann oder Frau – seiner Neigung, seiner Liebe, ebenso auch seinem Widerwillen, seinem Haß ein Sinnbild zu geben.
»Man war«, sagt ein Zeitgenosse, »der Madame Tallien dankbar für den wohlthätigen Einfluß, den sie nach dem 9. Thermidor ausübte und vereinte gern die Huldigungen des Dankes mit dem Cultus, den man ihrer Schönheit weihte.« Duc de Raguse: »Mémoires« I, 86.
Etwas zu viel gab Madame Tallien jedenfalls auf die Rolle eines Idols, die ihr zugeschrieben und von ihrer Selbstvergötterung soufflirt wurde. In dieser schweren Zeit der Noth erschien sie in unglaublich stylisirten, in den prunkvollsten Toiletten: sie, die »Madonna des 9. Thermidor«. Die damaligen Zeitungen besprechen zuweilen ihren seltsamen Aufputz.
Mallet du Pan in seiner »Correspondenz mit dem Wiener Hofe« spricht von einer Robe à la Grecque, welche die Frau eines Repräsentanten, Namens Tallien, trug und welche 12 000 Livres kostete. Wenn sie es liebte, sich Diejenigen zu verpflichten, welche sich an sie wendeten, so scheint sie irgend wie Erwähnenswerthes für die wirklich Armen nicht gethan zu haben und es gab damals Tausende, die vor Hunger und Kälte starben. Ihre Güte war also eine mehr passive als active, d. h. sie versagte ihren Freunden keinen Dienst, dachte aber nicht daran, das Elend in seinen Hütten aufzusuchen und zu trösten – das war übrigens damals so Sitte!
Man dachte nur daran, sich zu amüsiren, Feste zu feiern bis zur äußersten Ermüdung. Theater, Bälle, Concerte, Soupers und Diners theilten sich in die Zeit dieser Reichgewordenen, dieser Bankiers, Armeelieferanten und Speculanten in Nationalgütern, dieser Börsenhelden, dieser beutegierigen Deputirten, die damals Tout Paris darstellten und sich aus einer Orgie in die andere stürzten, ohne an die Gefahren, in denen das Vaterland schwebte, ohne an die maßlosen Leiden ihrer Mitmenschen zu denken.
Hören wir, was Mallet du Pan, der Schweizer Calvinist und Philosoph, weiter über die Gesellschaft sagt, in deren Mittelpunkt damals Madame Tallien stand. Er schreibt unter dem 1. Februar 1795:
»Mich überläuft ein Schauder, wenn ich einen Blick thue in das Leben dieser 3 oder 400 Deputirten. Sie würden Sodom und Gomorrha durch ihr lasterhaftes Leben in Erstaunen versetzt haben. Mitten unter zügellosen Ausschweifungen geben sie ihre Befehle, die Leute niederzumetzeln; sich den Umarmungen der gemeinsten Dirnen entwindend besteigen sie die Rednerbühne des Convents und sprechen von Tugend und Wohlanständigkeit; der schamloseste Wüstling würde erröthen, wenn er sähe, wie sie bei ihren obscönen Festen die Schlüssel eroberter Städte empfangen und Friedensvorschläge berathen. Fast alle in Paris sowohl wie in den Departements haben mit den Verhaftungen und Freilassungen Geldgeschäfte verbunden, auch mit Tod und Leben der Unglücklichen Schacher getrieben. Wie oft haben sie nicht Diesen oder Jenen aufs Schaffot geschickt, nachdem sie enorme Summen von ihm für seine illusorische Freigabe erpreßt hatten. Tugendhafte Frauen haben sie gezwungen, sich ihnen preiszugeben, um ihr eignes oder das Leben der Männer zu retten. Was die Gemeinheit an Gotteslästerungen vorzubringen nur im Stande ist, was die Unmoralität an Schurkenstreichen nur erdenken kann, das ist ihnen Gewohnheit, dient ihnen als Unterhaltungsstoff. Sie haben die Häuser, die Besitzungen, das Mobiliar Derer an sich gerissen, die sie haben köpfen lassen. Ihr Luxus ist derselbe, den einst persische Satrapen trieben. Sie geben sich auch nicht die geringste Mühe, ihren Reichthum zu verstecken – das Volk aber ist leider so tief gesunken, daß es nicht hinschaut, daß es gleichgültig bleibt, wenn die schönsten Schlösser, das reichste Mobiliar, Gold und Juwelen Denen zur Beute fallen, die ihm inmitten seines Elends mit ihrem frechen Reichthum ins Gesicht schlagen. Die meisten dieser Deputirten entstammen den niedrigsten Volksschichten, ihren Lastern, ihren gemeinen Instinkten haben sie die Heuchelei beigesellt. Gerechtigkeit, Tugend, Milde sind die Worte, die sie im Munde führen und – schänden!« Mallet du Pan: »Correspondance avec la Cour de Vienne.« I. 97.
Das also ist die Welt, in der Mad Tallien sich bewegte! Nach den Erfahrungen, die sie gemacht hatte, die ja bei der Auflösung der Gesellschaft zu Ludwig XVI Zeiten einsetzten, fand sie in den Verhältnissen Nichts besonders Auffälliges. Zuweilen mochte es sie allerdings unangenehm berühren, wenn sie in ihren Salons oder denen, die sich nach und nach wieder aufthaten, die Phraseologie dieser reich gewordenen Lumpen mit anhören mußte. Es handelte sich in den Gesprächen derselben stets um »faule Geschäfte«, um Börsenwucher, Speculationen in Lebensmitteln, um Verwerthung der Assignaten zum Nachtheil des Staates und dergleichen. Nachdem über solche Themata die Unterhaltung sich eine Weile breit gemacht hatte, tauchte wohl hier und da eine Bemerkung mit philosophischem Hintergrunde über die Beruhigung der Geister, über Kriege u. s. w., wohl gar über Kunst und Litteratur auf und ein galantes liebenswürdiges Bon mot würzte momentan die Plauderei.
Inzwischen kam Madame Tallien mehr und mehr dahinter, daß ihr Gatte in Bezug auf seine Carrière hinter ihren Erwartungen zurückblieb. An Tallien's Zuneigung fehlte es mehr und mehr, allein dafür hatte sie nur wenig Interesse, sie war mehr dafür, ausgezeichnet als geliebt zu werden. Es langweilte sie nicht wenig, daß Tallien, von dem sie erwartet hatte, er werde sich einen glänzenden Posten, einen Posten, wie es deren unter der Monarchie gab, erringen, ein einfacher Deputirter war und blieb, ganz verloren in der Masse der Uebrigen. Die Zukunft, von der sie geträumt und geschwärmt hatte, rückte nicht näher. So sehr sie ihn tagtäglich ermahnte und drängte, sich emporzuschwingen und dem Convent den Daumen auf's Auge zu drücken – Tallien, der Alles was er in sich hatte, bei der Verschwörung wider Robespierre verausgabt zu haben schien, vermochte es nicht, sich im Convent eine irgendwie hervorragende Stellung zu erkämpfen. Es steckte ja in ihm etwas Subalternes, Bedientenhaftes; gelernt hatte er ja so wenig, daß es ihm für das Studium ernster politischer Fragen an Vorkenntnissen fehlte; seine Talente lagen in einer Richtung, die ihm jetzt verlegt war: ein neunter Thermidor läßt sich nicht alle Tage machen. Er mischte sich in allerhand Zettelungen, beschäftigte sich mit Handelsspekulationen und zersplitterte seine Thätigkeit vielfach – er gehörte zu jenen Mittelmäßigen, die zuweilen flüchtig vom Lächeln des Glückes beleuchtet werden, um schnell wieder zu verschwinden.
Noch etwas wirkte vielleicht hemmend auf sein ferneres Gedeihen: er hatte stets Geld nöthig, um für die alles Maaß überschreitenden Ausgaben seiner Frau aufzukommen – woher sollte er es schaffen? Ganz einfach, indem er sich an den royalistischen Umtrieben der viel Geld zahlenden bourbonischen Agenten betheiligte! Die gegen ihn erhobene Anklage, er habe den Sohn Ludwig XVI im Temple vergiftet, ist hinfällig.
Zunächst ist der Knabe gar nicht vergiftet worden, sodann ist es unmöglich, daß Tallien ihn zu beseitigen vorhatte, weil Tallien ihn zum König ausrufen lassen wollte, um für sich während der Regentschaft eine einträgliche Stellung zu finden.
Der Tod des armen Prinzen vernichtete vor der Hand schöne Hoffnungen. Die Jacobiner hatten wahrlich nicht so ganz unrecht, wenn sie in Tallien, Barras und vielen anderen Thermidoristen nichts als verkappte Anhänger des Königthums witterten. Daß Tallien und Barras an den royalistischen Umtrieben betheiligt waren, wird auch aus dem Grunde wahrscheinlich, weil sie die Einzigen waren, die 1815 nicht exilirt wurden, wie die andern »Königsmörder des Convents.«
Tallien war jeden Pflichtgefühles bar, ihm waren die Grundsätze der Rechtlichkeit fremd; die Leichtigkeit, mit der er sich in tönenden Phrasen bewegen konnte, war vielleicht sein größtes Talent. Tallien war charakterlos, er war, wie Pasquier treffend sagt:
»Ein unwürdiges Instrument, dessen sich die Vorsehung einmal bediente, um Gutes zu thun, und ihn hernach wieder sich selbst und seinem verderbten Naturell zu überlassen.« –
Das junge Ehepaar war erst einige Monate verheirathet, als es schon abwärts ging: es scheint, als habe der Honigmond sich auf die wenigen Stunden eines lucullischen Déjeuners beschränkt. Zank und Streit wurden häufiger – dabei war Tallien seiner Frau gut, es ist kein Zweifel, daß er sie liebte, und gerade aus dem Grunde konnte er nicht gleichgültig bleiben gegenüber von Theresias leichtfertigen Streichen. Es gewann sogar den Anschein, als wollte die frivole Schöne durch dieselben den Gatten zum Aeußersten treiben. Trotz der seiner Verliebtheit entspringenden Verblendung, wurde Tallien doch schließlich gewahr, daß er in seinem Hause nicht viel gelte, er mochte wohl schrecklich unter der Wahrnehmung leiden, daß seine Frau nicht mehr schön für ihn allein war. Und schön war sie in dem vollen Umfang der Bedeutung des Wortes, Alles war schön an ihr – sie stand in schönster Blüthe.
Es gab immer soviel Besucher in der »Chaumière Tallien«, daß der Hausherr zu gar keiner rechten Intimität mit seiner Frau mehr kam. Die Abende, an denen man nicht ausging, sah er Theresia in ihrem Salon, umringt von einem Schwarm junger Leute, lauter Modenarren, » Incroyables«, oder vielmehr, da es »fein« war, das » r« zu verschlucken » Incoyables«. Die Stirnhaare, in die Gesichter gekämmt, hingen ihnen bis auf die Augen, herab die Frisur hieß » à l'imbécile«; mit affenartigen Bewegungen führten sie eine große Lorgnette vor den Augen hin und her, dazu die blauen Leibröcke mit bis zur Erde schleppenden Schößen, die Westen mit breiten Aufschlägen, die gelben, enganliegenden Hosen, große Berloques an den schweren, klirrenden Uhrketten. Einige hatten dicke, spiralförmig gewundene Stöcke, auch zweispitzige Hüte mit ungeheueren Cocarden in der Hand – es ist nicht zu sagen, wie diese Narren aussahen! Es gehört dazu noch eine besondere, sich nur an Laute haltende Sprache, eine Art von Gezwitscher, das den ganzen Salon zu füllen schien.
Tallien wollte von diesen Leuten Nichts wissen, obwohl ihre Besuche ihm in vieler Beziehung schmeichelten, gehörten diese Leute doch zu einem Theil der alten Aristokratie an – er war nicht Herr in seinem Hause, auch seine Rathschläge blieben meist unbeachtet, das einzige Recht, welches ihm geblieben war, war das: den Mund zu halten.
Jeder Liebende, der nicht wieder geliebt wird – und das ist ja leider meistens der Fall – hat Solches zu gewärtigen; Derjenige von Beiden, der nicht liebt, führt das Scepter: er ist Alles, der Andere wenig oder garnichts. Glücklicher Weise gab uns die Vorsehung in Gestalt der Einbildung und in Gestalt der Hoffnung ein Paar Zehrpfennige mit auf die Wanderung, die gerade bis zu dem Augenblick reichen, da wir den Chimären Valet sagen.
Tallien lebte nur in Illusionen und Hoffnungen, da trat jener Augenblick in seine Rechte, der Schleier zerriß vor seinen Augen. Hierin mag eine Entschuldigung zu suchen sein, daß er sich fortan in sinnlichen Excessen förmlich badete. Auch versuchte er wiederholt durch Ränke und Intriguen aller Art sich emporzubringen. Tallien aber war nicht aus dem Holz geschnitzt, das sich für Helden eignet, und so fiel er zuletzt zurück in die Bedeutungslosigkeit, aus der ihn das Glück für einen Augenblick emporgehoben hatte.
Daß Theresia ihn auch jetzt noch mit Rathschlägen zu beleben suchte, ist sicher anzunehmen, so ist z. B. die Rede, welche er am 5. Frimaire im Convent hielt, in welcher er für die Föderalisten von Bordeaux eine Lanze einlegte, sicherlich von ihr ihm soufflirt worden, ebenso auch sein Antrag, nach welchem der Erlaß vom 6. August 1793, durch welchen die Föderalisten für vogelfrei erklärt wurden, aufgehoben werden sollte. –
Madame Tallien's Ehrgeiz ging dahin, in ihrem Salon alle diejenigen Deputirten vereinigt zu sehen, welche am 9. Thermidor gegen Robespierre aufgetreten waren, auch die Anderen nach und nach an sich zu locken und eine Vereinigung herbeizuführen, als deren Führer sie sich ihren Gatten dachte. Der Plan war gewiß gut und auch durchführbar, allein Tallien hatte den dazu nöthigen Muth, das savoir faire nicht. In bewegten Zeiten kann ein Mann, zu dessen Charakter sich Klugheit und Kenntnisse gesellen, stets Etwas aus sich machen. Zudem war nach Beseitigung des Wohlfahrtsausschusses ein hoher Posten frei – allein Tallien war nicht der Mann, der auf denselben gepaßt hätte.
Wir können um ihres Ehrgeizes willen Madame Tallien nicht tadeln, obwohl sie mit der Erreichung ihrer Ziele vielleicht eigennützige Interessen verband; die wildbewegten Geister zu versöhnlicher Stimmung zu bewegen, war doch gewiß ein edler Gedanke, den wir ihr anrechnen wollen. Bemüht, ihren Traum in Wirklichkeit zu verwandeln, versuchte Frau Tallien auch durch ihr Beispiel wieder bessere gesellschaftliche Formen, vor Allem eine gewähltere Ausdrucksweise einzuführen, die Blutflecken, den Schmutz, der Vielen anklebte, zu entfernen. Sie hatte sich mit einem Generalstabe von Frauen umringt, die, in ihrem Erscheinen liebenswürdig und von entgegenkommendem Wesen, ihr behülflich sein sollten, diejenigen Männer, welche sie zu einer Partei vereinigen wollte, anzulocken und zu fesseln. Unter diesen Frauen war Madame de Rovère, die Frau des bekannten Mitgliedes der Bergpartei, Madame de Châteaurenault, ebenfalls die Frau eines Deputirten, und Madame de Beauharnais, deren Gemahl auf dem Schaffot gefallen war, und die ihre Trauer auf allen Bällen, in allen Concerten zur Schau trug. Die Bekanntschaft der Letzteren hatte die Dame des Hauses im Gefängniß gemacht, beide Damen wurden mit der Zeit intime Freundinnen. Theresia stellte die anmuthige junge Wittwe verschiedenen Herren vor, die ihr in ihrer pekuniären Bedrängniß Beistand leisteten, unter ihnen war Barras, ein häufiger Besucher der »Chaumière Tallien«.
Die lockeren Sitten der Tallien und ihrer Hofdamen,, die Verachtung allen Schamgefühls thaten doch den politischen Erfolgen viel Abbruch. Der Skandal, den ihre an paradiesische Zustände erinnernden luftigen Costume in ganz Paris hervorrief, findet seinen Ausdruck in der Aufzeichnung eines Zeitgenossen Victor de Broglie: »Souvenirs« I, 23. :
»Ich sah bei Ranelagh die schöne Madame Tallien als Diana gekleidet, die Büste war nur zur Hälfte verhüllt, die zierlichen Füße steckten in Sandalen; sie war bekleidet – vielleicht ist das Wort zu kühn – mit einer Tunica, welche bis zum Knie reichte.«
Die schöne Frau, um mehr Erfolg zu haben als die Anderen, zeigte sich gewöhnlich im vollen Liebreiz ihrer Jugend, dem sie keine Hülle zumuthete, die die Männer in ihrem Urtheil hätte unsicher machen können. Schlechte Beispiele finden ja stets Nachahmer. In Zeiten der Anarchie, der moralischen Zerfahrenheit, die großen Krisen zu folgen pflegen, werden die noch ungewiß Schwankenden, die unentschlossen am Scheideweg Stehenden stets von schlechten Beispielen mit fortgerissen. Madame Tallien trifft der Vorwurf, der Entsittlichung Vorschub geleistet zu haben durch ihr Beispiel.
Mallet du Pan schreibt:
»Die Unverschämtheit, mit welcher sich der Luxus, besonders in Bezug auf Toiletten, breitmacht, übertrifft Alles, was an Immoralität unter der Monarchie geleistet wurde.«
Diese im Januar 1795 geschriebenen Zeilen gelten als unumstößliche Wahrheit auch noch für die beiden nachfolgenden Jahre. In einer Zeitung vom Jahre 1797 steht zu lesen:
»Der vorige Sonntag fiel mit dem Decadentage zusammen, es war ein Festtag für alle Religionen und ein Jeder hatte sich beeilt, bei dem schönen Wetter und nach den vorhergehenden Regentagen das Freie aufzusuchen. Die Champs Elysees waren voll von Lustwandelnden – da stiegen zwei Frauen aus einem Cabriolet, die Eine war sittsam gekleidet, die Andere, den Busen und die Arme entblößt, hatte nur ein einziges Gewand von durchsichtiger Gaze angelegt und trug ein fleischfarbenes Pantalon. » La petite Poste ou le prompt Informateur« vom 3. Messidor des Jahres V (22. Juni 1797).«
Vielleicht war diese Dame nicht Madame Tallien, allein diese muß die Verantwortung übernehmen für solche Excesse der Mode und Immoralität.
Diejenigen Conventsmitglieder, welche noch festhielten an Moral und Sittenreinheit, waren natürlich empört über Das, was sie im Salon der Tallien zu sehen bekamen: wenn sie die kleinen Füße, die Arme, die schwellenden Conturen der Büste bewundern konnten, für die Idee, dies Alles den Blicken preiszugeben, hatten sie keine Bewunderung übrig. Sie kamen nicht wieder, kehrten vielmehr in ihre Clubs zurück. Dort sprachen sie frei von der Leber weg ihre Meinung über die zuchtlose Schöne aus. Von den Rednerbühnen in den Versammlungssälen fielen Donnerworte wider die »Cabarrus und die Verderbniß der Sitten, die sie in die Republik einschmuggle.« Sie schonten auch die Aristokraten nicht, mit denen sie Ellbogen an Ellbogen im »Salon der Cabarrus« gestanden hatten, auch die Armeelieferanten, Wucherer und Schlemmer, denen sie in der »Chaumière« begegnet waren, bekamen ihr Theil ab Donnernde Applause huldigten den Worten der Redner.
Levasseur hatte bei den Jacobinern geredet und die Worte ausgestoßen:
»Laßt uns von Tallien einen genauen Bericht über seine Beziehungen einfordern, er soll uns sagen, wohin ihn das Weib des Emigrirten, die Tochter des Schatzmeisters eines Königs gebracht hat!«
Tallien protestirte in ziemlich ungeschickter Weise, betheuerte, daß seine Seele rein wäre wie frisch gefallener Schnee, wurde aber trotzdem aus dem Jacobiner-Club ausgestoßen
Ihn aus dem Convent zu jagen, war nicht möglich, allein er war auch dort den heftigsten Angriffen ausgesetzt, und zwar stets um »der Cabarrus« willen. In der Sitzung vom 2. Januar 1795 wurde er gezwungen, auseinanderzusetzen, wie weit er eigentlich mit ihr gekommen wäre. Hören wir den Sitzungsbericht des »Moniteur«:
Duhem: Und wir, die wir nicht die Schätze der Cabarrus besitzen … (Großer Lärm.)
Tallien (nachdem er mit lauter Stimme das Wort verlangt hat, besteigt die Tribüne): Es kostet einem Volksrepräsentanten eine gewisse Ueberwindung, die Versammlung von seiner Person zu unterhalten. Ich habe mir selbst seit längerer Zeit schon Stillschweigen auferlegt in Bezug auf das gesprochene wie das geschriebene Wort. Ich habe dem Vaterlande das Opfer meiner verletzten Eigenliebe gebracht: allein seit einigen Tagen ist dieses Haus Zeuge der wildesten Schmähungen. Mein Stillschweigen ist zu Ende, denn es wäre ein Zugeständniß der Abscheulichkeiten, die man einem Volksrepräsentanten zumuthet. Man hat in dieser Versammlung von einer Frau gesprochen … ich hätte nie gedacht, daß sie die Debatten des Convents in Anspruch nehmen würde Tallien vergißt, daß sie schon im Jahre vorher den Convent beschäftigt hatte und zwar mit der Petition, die er sie einzureichen veranlaßt hatte und welche in der Sitzung vom 24. April 1793 vorgelesen worden war.. Man hat von der Tochter Cabarrus' gesprochen. Wohlan, ich gebe inmitten meiner Collegen, inmitten des Volkes, das mich hört, die Erklärung ab, daß diese Frau meine Frau ist! …
… Was die Frau betrifft, mit der man die Versammlung beschäftigen wollte, so möge man wissen, daß ich sie seit Langem kenne. Ich habe sie in Bordeaux gerettet. Ihr Unglück, ihre Tugenden wurden Veranlassung, daß ich sie liebte. Als sie zur Zeit der Tyrannei und Unterdrückung in Paris eintraf, wurde sie verfolgt und in den Kerker geworfen.
Ein Abgesandter des Tyrannen kam zu ihr und sagte: Schreibe, daß Du Tallien gekannt hast als einen schlechten Bürger, dafür sollst Du die Freiheit haben und einen Paß, um in die Fremde zu gehen.
Sie wies den Abgesandten voller Empörung von sich. Deshalb hat sie das Gefängniß erst am 12. Thermidor verlassen. Man hat unter den Papieren des Tyrannen einen Vermerk gefunden, durch den sie auf das Schaffot gebracht werden sollte. Das, Bürger, das ist meine Frau!« –
Seine Frau war sie in der That, war es aber erst seit einer Woche! Wie stolz war Theresia, wie dankbar war sie dem Bürger Duhem, daß er vor versammeltem Convent von ihr gesprochen hatte. Allerdings weder in wohlwollender, noch auch in höflicher Form, aber das war ja gleichgültig. Er hatte von ihr gesprochen! Von dem Verlangen erfüllt, daß sie überall das Thema der Unterhaltung bilde, war sie entzückt zu hören, daß der Convent sie zum Gegenstande seiner Berathungen gemacht hatte.
O, dieser Duhem! Wie gern wäre sie ihm um den Hals gefallen, daß er ihr das Vergnügen gemacht hatte, sie von der Rednertribüne des Convents aus zu beleidigen.
Trotz der lockeren Sitten, welche die Hohepriesterin der Mode aufbrachte, hatte Madame Tallien einen wohlthätigen Einfluß, der darin bestand, daß in Frankreich der frühere gesellige Verkehr wieder zu Ehren kam. Indem sie allen Reichgewordenen, die sie um sich versammelte, den Geschmack am Geldausgeben beibrachte, verschaffte sie einer Menge von Leuten Arbeit, Geld kam wieder in Circulation, in die oberen Klassen kehrte geistiger Schwung zurück.
Daß sie die allergewöhnlichsten Deputirten bei sich empfing, geschah deshalb, weil sie ihnen Geschmack am gesellschaftlichen Leben beibringen wollte. Die Unterhaltung war dann eine sehr decente, es wurde musicirt, und man ließ für einige Augenblicke die abscheuliche Politik links liegen. Theresia war bemüht, ihren Gästen zu gefallen, sie plauderte, sie spielte Klavier, sie sang, ja sie declamirte sogar.
»Eines Tages,« so berichtet ein zeitgenössischer Journalist, »wollte Madame Tallien, die soeben ihre Kunstfertigkeit im Harfen- und Klavierspiel gezeigt hatte, ihren Gästen den Beweis führen, daß ihr kein Talent versagt wäre, und declamirte einige Verse aus der Rolle der Agrippina im »Britannicus«.
»Mein Gott, theuere Freundin,« rief ihr Merlin de Thionville zu, »Sie haben ja instinctiv die Rolle der Agrippina gelernt wie ich die des Brutus.« » Tableau de Paris« vom 18. Venlôse des Jahres V (5. März 1796).
Die Bankiers, die Lieferanten und Consorten begannen allmählig, dem Beispiele der »Chaumière« folgend, Gesellschaften zu geben: es war eine ganz neue Gesellschaft im Entstehen, durchsetzt von den Ueberbleibseln der alten.
Die im Mai 1795 nach Paris zurückgekehrte Madame de Staël sagt:
»Welch' sonderbares Schauspiel, diese neue Pariser Gesellschaft! Man sah an den Decadentagen, die Sonntage waren ja abgeschafft, Vertreter des ancien régime und die Frischgebackenen der Neuzeit kunterbunt beisammen, aber nicht mit einander ausgesöhnt. Die eleganten Manieren der Wohlerzogenen schauten aus bescheidenen Garderoben, Die aus der Zeit der » Terreur« noch beibehalten waren, heraus. Linkisch, plump und befangen bewegten sich Die, die ihre unvortheilhafte Erscheinung mit den Narrheiten der neuesten Moden verhüllten. Diese bekehrten Jakobiner versuchten sich zum ersten Mal auf dem Parquett der guten Gesellschaft, und erschienen besonders komisch, wo sie versuchten, die Allüren derselben nachzuahmen. Die Damen des ancien régime umschwärmten diese Herren, um die Rückkehr von Gatten, Brüdern, Söhnen und Vettern zu erschmeicheln, ihr graciöses Wesen, ihre feine Ueberredungskunst gewannen Sieg auf Sieg.« Mad. de Staël: »Considérations sur la révolution française.«
Es sei an dieser Stelle die Bemerkung eingeschaltet, daß Madame Tallien, trotzdem sie viel darauf gab, für eine Dame von Geist zu gelten, diejenigen Salons mied, in denen das gesellschaftliche Geplauder die Hauptsache war. Wie leicht wäre es ihr z. B. geworden, Zutritt zu den Cirkeln der Staël zu finden! Diese von allen Vorurtheilen freie Dame hätte ihr die Pforten ihres Salons weit geöffnet, verkehrten doch in demselben alle Berühmtheiten des Tages. Auch hatte Madame de Staël den 2. September 1792 nicht vergessen, den Tag, an welchem Tallien bei ihr erschien, um einen Paß zu überreichen und ihr einen Gensdarmen zur Verfügung zu stellen, der für ihre sichere Beförderung nach der Grenze einzustehen hatte – hatte Tallien nicht »in edelmüthiger Aufwallung« damals auch gesagt, er wolle die Namen Derjenigen vergessen, welche er in ihrem Hause fand? Es sind im Leben Tallien's so wenig gute Handlungen verzeichnet, daß man bereitwillig nacherzählt, was die geniale Frau von ihrem damaligen Retter zu sagen weiß.
Warum Mad. Tallien sich in dem Salon der Staël nicht sehen ließ? Sie hätte in dieser Gesellschaft auserwählter Geister, wie sie klug genug war, sich selbst zu sagen, keine gute Rolle gespielt: an der Seite einer Königin des Geistes wäre sie, die nur eine Königin der Schönheit war, erblaßt. Sie hätte höchstens den zweiten Platz eingenommen – das ging nicht!
Später, zur Zeit des Directoriums, kam sie auf den Gesellschaften bei Barras im Luxembourg und in Grosbois häufig mit der genialen Frau zusammen, allein die Beziehungen zu ihr blieben auf Formen der Höflichkeit beschränkt.
Vor allen Dingen wollte Mad. Tallien sich amüsiren und das Leben nach ihrem mehr auf materielle als geistige Genüsse gerichteten Geschmack genießen, sie versäumte es dabei nicht, über den Trümmern der Schreckenszeit das Walten eines Geistes der Milde, der Verzeihung des Vergessens zu fördern und sie hat oft, das ist keinem Zweifel unterworfen, ihrem Gatten das Evangelium der Langmuth, der Mäßigung gepredigt. Tallien aber war unfähig, länger als für den Zeitraum einiger Wochen einem edlen Ziele zuzustreben, er fiel stets zurück in sein eigentliches Naturell, ein rohes, gewaltthätiges, heftiges Naturell. Er, ein Kind der Schreckenszeit – » fils de la Terreur« – er erkannte kein anderes Regierungsprincip an, als das der Gewaltmaßregeln, der Einschüchterungen. Die Worte, welche er gelegentlich in einer Conventssitzung fallen ließ: »Die Vertreter der Republik dürfen sich nicht in zwei Theile spalten, in Verfolger und Verfolgte,« waren ihm unzweifelhaft von Theresia dictirt, denn sein Verhalten entsprach solchen Worten durchaus nicht.
Er war in der letzten Zeit in eine düstere Stimmung verfallen; er sowohl wie Theresia mochten wohl allmählich der Erkenntniß gekommen sein, daß man doch nicht zu einander passe. So pflegt es immer zu gehen, wenn die Leute sich hinreißen lassen, wenn sie auf irgend Etwas Rücksicht nehmen, zum Beispiel auf gewisse physische Vorzüge – stets mehr oder weniger anfechtbar – und diese Rücksichten bei der Heirath ein lauteres Wort sprechen, als die ruhige Ueberlegung
Jetzt erst kam Tallien dazu, nachzudenken, und jeden Tag wurde er mehr gewahr, wie sehr seine Gattin doch das Gegentheil von Dem war, was er von ihr erwartet, von ihr gewünscht hatte. Ihre unvernünftigen Geldausgaben machten ihm nicht weniger zu schaffen als ihre allzu freigebig vertheilten Coketterien und ihre allzu natürlichen Costüme. Nachdem er alles aus Bordeaux mitgebrachte Geld verausgabt hatte, sah er den Augenblick kommen, da er für die bisherigen Ausgaben nicht mehr werde aufkommen können, war sich auch klar darüber, daß es Frauen giebt, die ihre Gatten nur so lange lieben – oder ertragen – als dieselben ihnen mit ihrer Liebe zugleich volle Börse entgegen bringen – Tallien war sich klar darüber, daß er nicht mehr so wie früher von seiner Frau behandelt würde. Ach! Diese betrübende Wahrnehmung war auch bei ihm Veranlassung, daß er immer häufiger dem Bachus und der Venus vulgivaga zu opfern begann! Lassen wir die Männer ungezählt, die zu diesen traurigen Auskunftsmitteln greifen, um den Gram zu vergessen, den ihnen Die bereiten, die sie einst für den Inbegriff aller Liebenswürdigkeit, für begehrenswerther hielten als irgend Etwas auf der Welt. Wenn sie sich dann einem liederlichen Wandel, in welchem sie Vergessenheit suchen, hingeben, werden sie von den Mitmenschen ohne Erbarmen gesteinigt – Niemand giebt sich die Mühe, nach den Gründen zu forschen und doch sind nicht selten die zu Grunde Gehenden die besten Ehemänner gewesen.
Hätte Tallien gelesen, was Massillon sagt, so wäre er vielleicht vor Thoresschluß zur Einsicht gekommen; Massillon sagt:
»Es ist nicht in der Ordnung, Das zu lieben, was weder unser Glück noch unser Frieden ist, noch zu unserer Vervollkommnung beiträgt … Im Grunde des Herzens fühlen wir wohl, wie ungerechtfertigt eine solche Liebe ist; mag sie noch so gebieterisch aufgetreten sein, wir gewahren mit der Zeit in den Geschöpfen, welche uns dieselbe einflößten, Gebrechen und Schwächen, durch welche sie entwerthet werden. Wir sehen dann, wie gehaltlos, wie eitel, wie unbeständig diese Gegenstände unserer Liebe sind. Jemehr wir uns mit ihnen befassen, desto häufiger sagen wir uns selbst: Dein Herz hat sich getäuscht, nicht gefunden, was es gesucht hat. Der Verstand würde, wenn er könnte alsdann über unsere Schwächlichkeit erröthen, wir tragen nur noch unter Seufzen und Gestöhn unsere Ketten weiter – unsere Leidenschaft spannt uns auf die Folter!«
Tallien war auf dieser letzten Etappe der Liebe angelangt, allein es waren vor der Hand die Geldverhältnisse, die ihn am meisten quälten; hätte der Arme alle Schätze Indiens besessen, sie wären wie Wasser durch die schönen schlanken Finger mit den rosigen Nägeln geflossen!
So legte sich denn Tallien auf die Speculation, was eigentlich damals sozusagen Jeder that, d. h. er stürzte sich in Börsengeschäfte. Er wurde Licht- und Seifenhändler – allein er hatte kein Glück; als es mit der Herrlichkeit des Convents zu Ende ging, war er Mitglied einer Gesellschaft für Armeelieferungen, der Compagnie »Quen« in der Rue Taranne; auch Fouché und Réal gehörten ihr an. Es ist anzunehmen, daß Tallien sich auch an anderen ähnlichen Unternehmungen betheiligte, nur um das Danaidenfaß der häuslichen Ausgaben zu füllen.
Auch in der Politik versuchte er wiederholt sein Glück; um sich nicht vergessen zu machen, mischte er sich in alle möglichen Combinationen; so gehörte er z. B. den Mitgliedern eines Comités an, an dessen Spitze der Abbé Sieyès stand und das sich häufig in der »Chaumière«, zuweilen auch bei Julie Talma versammelte. Madame Tallien, aus welcher bekanntlich die Thermidoristen die »Göttin der Republik« machen wollten, übernahm zuweilen, umringt von bewundernden Freunden, das Präsidium. Tallien, um etwas aus sich zu machen, kam auf die seltsamsten Einfälle; so schlug er u. A. ein Fest vor zum Andenken an den Tod Ludwig XVI, was ihn nicht verhinderte, am Tage, an welchem der Tod des unglücklichen Sohnes Ludwigs erfolgte, eine große Fete beim Grafen Carletti, dem Gesandten eines kleinen italienischen Staates, mitzumachen; natürlich erschien Theresia an seiner Seite. – Diesmal wurde ihr ein noch nicht dagewesener Triumph zu Theil. Mallet du Pan sagt darüber: Mailet du Pan; »Correspondance avec la cour de Vienne«. I, 233.
»Es war ein prunkvolles Fest, auf welchem Frauen, ebenso verderbt in ihren Sitten, wie in ihren Grundsätzen, durch Geschmeide, durch die kostbarsten Stoffe, durch die prachtvollsten Equipagen, in denen sie vorfuhren, einander zu überbieten suchten. Eine große Anzahl Deputirter drängte sich um diese prostituirten Weiber. Eine darunter, die Mad. Tallien, empfing Huldigungen, als wäre sie eine Königin. Auch Mad. de Staël stellte ihre Unverschämtheit und Unmoralität zur Schau; es herrschte eine lärmende Freude, welche allen Orgien eigen zu sein pflegt.«
Und solche Feste fielen in die Zeit einer allgemeinen Hungersnoth, in der das Volk unter schweren Drangsalen litt, eine Zeit, vor der keine glückverheißende Zukunft lag – welch demoralisirendes Beispiel für die Massen! Politiker der damaligen Zeit bekümmerten sich nicht um die Gesammtheit: ihre Politik war nichts als persönliches Interesse. »Genießen« hieß es bei ihnen; schnell sollte das auf unlautere Weise in wenigen Tagen erworbene Vermögen ausgegeben werden – wer weiß, ob es morgen noch möglich ist! Die Bewohner von Paris schienen ihrerseits einem Rausch, einem Taumel verfallen, der sie der Vernunft beraubte. Das Volk machte es ebenso wie seine Vertreter!
»Leidenschaftlich wird das Spiel in Börseneffecten betrieben. Ungeheure Vermögen sind in Papieren vorhanden und im Handumdrehen in Nichts verwandelt. Bestechlichkeit überall, gegenseitige Beraubung, schamlose Sitten, eine Million Familien, früher wohlhabend, jetzt in tiefem Elend, ein unverschämter, der Hungersnoth ins Antlitz schlagender Luxus, – dabei führt dieses Gesindel, das drei Viertel der Bewohnerschaft von Paris darstellt, Tugend, Moral, Menschlichkeit im Munde … das ist die Lage, in der sich diese unglückliche Stadt befindet« – so schrieb am 21. Juni 1795 Mallet du Pan.
Die großen Krisen der Revolution, die Hinrichtungen, die Kriege hatten keine Charaktere geschaffen, alle Hülfsquellen waren erschöpft, die großmäuligen Phrasendrescher im Convent konnten dem Uebel nicht steuern – es kam darauf an, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Volksvertreter und ihre Weiber aber waren dazu nicht geeignet. Entsagung, Opferwilligkeit, Wohlthätigkeit den Unglücklichen gegenüber – das war nöthig. Was verstanden von solchen Dingen die genußsüchtigen Egoisten?
Aller Luxus, den er entfaltete, alle die Freuden, denen er nachjagte, bekamen allmählich für Tallien einen bitteren Beigeschmack; in diesem Gefühl der Bitterkeit liegt vielleicht der Grund zu den bluttriefenden Vorschlägen, welche er damals im Convent machte. Der Terrorist, der von Blutdurst gequälte Bösewicht schaute jetzt hinter der ihm so lächerlich stehenden Maske des Weltmannes hervor – was scheerte es ihn noch, daß er den glänzendsten Salon in Paris, daß er die schönste Frau hatte! Er war unglücklich.
Am 13. Germinal des Jahres III schwang sich Tallien wieder einmal auf die Tribüne des Convents: »Die zur Deportation verurtheilten Volksvertreter (Barère war darunter) müssen sofort hingerichtet werden,« das war der Sinn seiner Rede – ein lautes Murren auf allen Bänken folgte … Die Versammlung ging zur Tagesordnung über – ein harter Schlag!
Es waren kaum zwei Monate verflossen, da wurde – es war am 1. Prairial – der Convent von einem eindringenden Volkshaufen überrascht. Diesmal wurden die Aufständischen noch abgewiesen, 15 Deputirte aber als ihre Mitschuldigen verhaftet. »Es genügt nicht,« ruft Tallien, »einige Leute zu arretiren, hinweg mit ihnen! Möge die Sonne nicht aufgehen, ehe diese Schurken nicht spedirt sind!«
Als Tallien endlich doch einsehen mußte, daß die Blutgesetze und Blutthaten außer Mode gekommen waren, schlug er sich zur Partei der Gemäßigten – er ging eben, grundsatzlos wie er war, dorthin, wohin ihn persönlicher Vortheil zu locken schien – daß ihm als Volksvertreter auch die Interessen des Volkes am Herzen liegen mußten, daran dachte er nicht.
Tallien goß also Wasser in seinen Wein, die Schwenkung warf Einiges für ihn ab, ehrenvoll aber war die Sache gerade nicht. Es handelte sich um folgenden Vorfall: Roederer hatte sich zur Schreckenszeit, um seinen Kopf zu retten, auf ein Dorf – Pecq hieß es – zurückgezogen und dort eine satyrische Abhandlung über die Schreckenszeit geschrieben, strotzend von reactionären Doctrinen und Schlagwörtern. Er schickte seine Schrift an einen Redacteur der Zeitung » Le Républicain« mit Namen Charles. Dieser nahm Kenntniß davon und fand Gelegenheit, eines Abends in der » Chaumière Tallien« einige Bruchstücke vorzulesen. Theresia und viele der Anwesenden waren entzückt davon und Tallien kam dadurch auf den Gedanken, sich die Schrift anzueignen; er richtete eine dahingehende Bitte an Herrn Charles. Da dieser sich willfährig zeigte, nahm er die Blätter an sich und las später im Convent den Inhalt vor, indem er sich für den Autor ausgab. Barère: »Mémoires« IV, 105. – Sainte Beuve »Causeries du Lundi« III, 350. »Tallien hatte nur ein Paar einleitende Worte dazu geschrieben. Roederer aber war seitdem (28. August 1794) heimlich mit Tallien gemeinschaftlich in schriftstellerischer Thätigkeit und lieh demselben seine Ideen.« – Dadurch machte er wieder von sich reden.
Seine Rückkehr zur Mäßigung aber hielt nicht vor. Einen Monat später, als die Chouans in der Bretagne und Normandie sich von Neuem erhoben und beim Convent angezeigt war, daß ein 4000 Mann starkes Emigrantencorps von englischen Schiffen an unseren Küsten ausgeschifft wäre, kam der Wohlfahrts-Ausschuß auf den sonderbaren Gedanken, Tallien wäre: der Mann, den man brauche und in der That wurde Tallien eines Nachts aus seinem Bette geholt, um sofort als Convents-Commissar zur Armee des Ostens abzugehen, ausgestattet mit unbegrenzten Vollmachten.
Der Convent bog wieder in das alte Geleise der Gewaltthaten ein, er meinte, die Republik wäre in Gefahr; Commissare eilten auf allen Straßen zu den verschiedenen Armeen. Der Deputirte Blad wurde hinter Tallien her spedirt. Tallien hatte den sehr allgemein gehaltenen Befehl, dem General Hoche beizustehen, ohne sich jedoch in Militärangelegenheiten zu mischen und, falls es nothwendig würde, Massenaushebungen in der Bretagne und Normandie vorzunehmen.
Tallien war außer sich vor Freude über den ihm ertheilten Auftrag, Hoche aber durchaus zufrieden mit der ihm durch die Commissare gebotenen Hilfe. Gewöhnt an gewaltthätige Maßregeln, schaffte Tallien die für die Armee benöthigten Lebensmittel, Pferde etc. durch erdenklich grausame Maßregeln herbei.
Es war bekanntlich zu einer, allerdings nur mündlichen Capitulation der gelandeten Emigrirten dem General Hoche gegenüber gekommen: die Royalisten sollten, mit Ausnahme ihrer Führer, als kriegsgefangen behandelt werden. Die Convents-Commissare hatten sich damit einverstanden erklärt.
»Sie werden, meine Herren,« sagt Tallien zu den Gefangenen, »mit aller Humanität behandelt werden, welche man dem Unglück schuldet.« Comte d'Allonville: »Mémoires secrets« III, 390.
Darauf reiste er nach Paris, um dem Convent Bericht zu erstatten. Er hatte damals in der That keinerlei blutdürstige Absichten in Bezug auf die Gefangenen; General Hoche hatte nicht aufgehört, zur Milde zu mahnen und Tallien hatte sich gefügt.
»Ich werde mich zum Anwalt der Gefangenen machen,« schrieb er dem General, ehe er abreiste, »ja ich werde für diese Scheusale bitten.« Bergonnioux: »Vie du général Hoche« p. 190-191.
In Paris am 8. Thermidor angekommen, benachrichtigte ihn seine Frau, die inzwischen herrlich und in Freuden gelebt hatte, sogleich – er war eben aus dem Wagen gestiegen – es wären wichtige Neuigkeiten eingetroffen. Der Wohlfahrts-Ausschuß habe Beweise über Tallien's geheime Beziehungen zu den Royalisten in Händen. Sieyès, dieser »Maulwurf der Revolution,« wie Robespiere ihn genannt haben soll, war es, der Lunte gerochen, compromittirende Schriftstücke in Holland abgefangen und dem Ausschuß vorgelegt hatte.
Dieser Nachricht gegenüber hielt sich Tallien für verloren. Wie sollte er sich jetzt noch vor dem Wohlfahrts-Ausschuß vertheidigen? Ein Entschluß mußte gefaßt werden, die Zeit drängte. Im Einvernehmen mit seiner Frau beschloß Tallien, Alles zu leugnen und seine über alle Zweifel erhabene republikanische Gesinnung zu bethätigen, vor Allem dadurch, daß er die Royalisten von Quibéron den höchsten Strafen preisgab. Aber die Capitulation? Es blieb Nichts übrig, als sie geradezu in Abrede zu stellen. Und seine Worte? Er mußte sie ableugnen. Und seine Briefe, seine Papiere? Sie mußten vernichtet werden.
Dies Alles geschah. Hunderte von Gefangenen wurden geopfert, um den Verräther seiner wohl verdienten Strafe zu entziehen.
Am 9. Thermidor fand im Convent eine besonders feierliche Sitzung statt. Sämmtliche Volksvertreter waren zu derselben im Ornat erschienen; Blumenguirlanden schmückten die Wände des Sitzungssaales, ein Orchester ließ feierliche patriotische Weisen ertönen, Chöre weißgekleideter Jungfrauen sangen Chénier's Hymnen. Die Sitzung begann damit, daß Courtois einen Bericht über den 9. Thermidor des vergangenen Jahres verlas. Dann bestieg Tallien die Rednertribüne. Auch er verlas einen Bericht und zwar über die Ereignisse von Quiberon. Anmerkung des Uebersetzers. Auf der Halbinsel Quiberon im Departement Morbihan waren am 26. und 27. Juni 1795 einige Tausend Emigrirte gelandet, um von dort aus eine gegen den Convent aufständische Bewegung zu Gunsten der entthronten Königsfamilie in Fluß zu bringen. Dieses Unternehmen scheiterte vollkommen, die Truppen des in Morbihan commandirenden General Hoche behielten die Oberhand. Er war bemüht, mit demselben seiner erschütterten Popularität wieder aufzuhelfen und sich eine neue Bürgerkrone dedeciren zu lassen.
An Festtagen pflegt alle Welt nachsichtig gestimmt zu sein – wer aber hätte am 9. Thermidor mehr Nachsicht verdient, als Tallien? Der Convent geizte nicht mit beifälligen Zurufen, sie waren die Decharge, die er seinem Mitgliede ertheilte. In der Sitzung am 9. Thermidor des Jahres II hatte Tallien bekanntlich einen Dolch über seinem Haupte geschwungen und gerufen:
»Ich habe bemerkt, daß der neue Cromwell eine Armee aufstellt – ich habe mich mit einem Dolch bewaffnet, um ihm denselben in die Brust zu stoßen, falls der Convent den Muth nicht hätte, ihn in Anklagezustand zu versetzen.«
Der Coup mit dem Dolch war so gut gelungen, daß er am 9. Thermidor des Jahres III noch einmal seine Wirkung ausüben sollte – allein diesmal gelang es nicht. Tallien sprach über die Besiegten von Quiberon, zog dabei den Dolch aus der Brusttasche und rief, indem er ihn in der Sonne blitzen ließ:
»Dieser Dolch ist einer von den Dolchen, mit welchen die Ritter bewaffnet waren, um sie den Patrioten in's Herz zu stoßen. Diese Dolche gegen sich selbst zu kehren, haben sie wohl bleiben lassen, denn die Klingen – sind vergiftet! Alle Völker sollen es hören: ein Thier, das von einem solchen Dolch getroffen wurde, zeigte Spuren von Vergiftung!«
So lautete der Galimathias, mit welchem unser politischer Charlatan die Stirn hatte, vor den Convent zu treten. Tallien, in dessen Gehirn, wie sein Freund Barras berichtet, »Blitzlichter nicht heimisch waren,« sprach hier nur nach und that, was Andere ihm eingelernt hatten. Die Geschichte mit den vergifteten Dolchen war eine Erfindung! Wenn auch Niemand daran glauben mochte, der Convent, in Harnisch gebracht durch die Landung so vieler Emigrirter, war zur Milde nicht gestimmt. Die Mitglieder des Wohlfahrts-Ausschusses aber, Thermidoristen wie Tallien, kamen, geschmeichelt von den die Stimmung des Convents treffenden Worten des Redners, stillschweigend dahin überein, Nichts zu erwähnen von dessen royalistischen Intriguen – den Abtrünnigen aber wohl im Auge zu behalten.
L. Sciout in seiner »Geschichte des Direktoriums« sagt:
»Dieser Schurke hat mit Spanien zu Gunsten des Dauphin unterhandelt; nach dem Tode desselben schmiedete er Pläne, um einen spanischen Infanten auf den französischen Thron zu setzen. Um sein nichtswürdiges Intriguenspiel zu verstecken, spielte er den gesinnungstüchtigen Terroristen.«
Was mochte Tallien für Gründe haben, den Republikaner zu spielen und sich zugleich den Feinden der Republik zu verkaufen? Der Republik, hatte er es doch zu verdanken, daß er überhaupt Etwas war, und die Republik machte es möglich, daß ein Mann, wie er, eine Rolle spielen konnte. Man suche die Frau! Wahrscheinlich folgte er den Anweisungen Theresias und setzte in sein Doppelspiel die Hoffnung, Mittel zu bekommen, um für die unsinnigen Geldausgaben Theresias aufzukommen. Mit seinen 28 Livres täglicher Diäten ging das nicht!
Kehren wir zur Jahresfeier des 9. Thermidor zurück. Als im Sitzungssaal des Convents die Festlichkeit beendet war, kehrte Tallien in seine » Chaumière« zurück. Auch das Tallien'sche Ehepaar gab an dem Tage ein kleines Fest. Zunächst ein Galadiner. Die Dame des Hauses sprach von demselben noch in späteren Jahren und sagte, sie habe alle namhaften Volksvertreter, namentlich die hervorragenden Parteiführer, um ihre Tafel versammelt. Die bedeutenderen Girondisten und alle Thermidoristen, wie Louvet, Lanjuinais, Boissy d'Anglas, Fréron, Barras, Rovère waren erschienen.
Madame Tallien liebte es sehr, daß die Oeffentlichkeit sich mit ihr beschäftigte, daß man sich erzählte, was sie that, was sie sagte. Sie war mit ihrem Gatten insofern einig, als sie, wie er, den Tag, die Wiederkehr des 9. Thermidor, für besonders geeignet hielt, sich in Erinnerung beim Publikum zu bringen; auch ließ sie im » Moniteur« folgende Note inseriren:
»Tallien, für den der heutige Tag neue Lorbeeren den alten hinzufügte, hatte mehrere seiner Collegen zu einem frugalen Mahle eingeladen. Folgende Trinksprüche wurden ausgebracht. Lanjuinais toastete aus den 9. Thermidor und sprach:
»Dem 9. Thermidor weihe ich dies Glas und den Volksvertretern, Freunden der Freiheit, welche an dem denkwürdigen Tage den Tyrannen niederschlugen und seitdem mit der ganzen Tyrannei aufgeräumt haben. Möge die Anhänglichkeit der Collegen, die Liebe aller Franzosen der Lohn für ihren Patriotismus, ihren Opfermuth sein!«
Tallien brachte den zweiten Trinkspruch aus, welcher also lautete:
»Ein Hoch allen Volksvertretern, die unter der tyrannischen Herrschaft des ancien régime für vogelfrei erklärt wurden, ein Hoch den 73 und den anderen Opfern der Schreckenszeit, ein Hoch allen Denen, die während dieser Zeit der Zerstörung treu festhielten an der Liebe zur Freiheit!«
Louvet fügte hinzu:
»Auf ihren innigen Anschluß an die Männer des 9. Thermidor!« Es wurde getrunken:
»Auf das Wohl der Armeen der Republik! Mögen sie in einem ruhmreichen Frieden, den sie erkämpfen, den Dank für ihre Aufopferung finden!«
»Den Manen aller Franzosen, die im Kampfe wider die Monarchie gefallen sind.«
»Allen Freunden von Freiheit und Gleichheit! Gleichviel, in welchem Lande sie leben.«
»Den der französischen Republik befreundeten Staaten!«
»Der Verfassung der Republik! Möge durch Weisheit und Ueberlegung der Volksvertreter den Mängeln abgeholfen werden, die sich eingeschlichen haben möchten.«
»Dem General Kosciusko und Allen, die wie er in Eisen gelegt sind um der Freiheit willen.«
»Der Milde! Möge das französische Volk als Sieger das Beispiel dieser erhabenen Tugend geben!«
»Der Eintracht unter den Volksvertretern, den Freunden von Gerechtigkeit und Menschlichkeit!«
Der letzte Toast aber wurde von jubelnden Zurufen begrüßt – bei dem letzten und allerletzten Toast ist das ja gewöhnlich so – er lautete:
»Auf Tallien's, Hoche's und des Siegers von Quiberon Wohl!«
Der »Moniteur« bezeichnet, wie man hört, das Diner als »ein frugales Mahl« – aber eine solche Bezeichnung verdiente es doch nicht, denn es ging gar hoch her, elf Toaste passen nicht zu einem Mahl, das frugal ist. Hören wir nur, was nach 29 Jahren die Erinnerung der Madame Tallien in die Feder dictirte:
»Als ich gewahr wurde, daß der Toaste immer mehr wurden und befürchten mußte, man werde sich in der Aufregung schließlich die Teller an den Kopf werfen, erhob ich mich, und mit einer Kaltblütigkeit, welche meinen Gästen imponirte, brachte auch ich einen Toast aus, und zwar einen, der beruhigend auf die erhitzten Gemüther wirkte. »Ich erhebe mein Glas«, rief ich, »um das Vergessen begangener Fehler, um das Verzeihen empfangener Beleidigungen zu feiern, hoch lebe die Aussöhnung aller Franzosen!«
Der Convent, dem Tallien Nichts von den zwischen den Combattanten getroffenen Vereinbarungen, um dem brudermörderischen Kampfe ein Ende zu machen, mitgetheilt hatte, der Convent, vor dem Tallien die Gefangenen mit Schmähungen überschüttet hatte, sah sich veranlaßt, den Befürchtungen der Republikaner, dem kühnen Vorgehen der Royalisten gegenüber, die Gesetze in aller Strenge zur Anwendung zu bringen. Eine in Vannes zusammentretende Commission erhielt den Auftrag, von den eigentlichen Emigranten die von diesen angeworbenen abzusondern. Dadurch konnte eine gewisse Anzahl der unglücklichen Gefangenen gerettet werden. Hoche hatte indeß das Seinige gethan, um die Leute so schlecht wie möglich überwachen zu lassen und Fluchtversuche zu erleichtern, allein, vertrauend in die Bestimmungen der Capitulation, blieb der größere Theil im Lager. Die Soldaten, welche nicht dasselbe Vertrauen hatten wie Die, welche sie bewachten, ließen so Viele wie möglich entwischen. Trotzdem war die Zahl der Opfer eine ungeheuere, fünf Monate lang wurden jeden Tag Gefangene erschossen.
Der Eindruck, den diese Niedermetzelungen hervorrufen mußten, war in Paris kein besonders tiefer. Ein Zeitgenosse, der in der Armee Condé's stand, spricht davon, indem er sagt:
»Es ist mir peinlich, bemerken zu müssen, daß die schauderhaften Ereignisse, die der Catastrophe von Quiberon folgten, nicht jenes Grauen erweckt haben, das sie hätten zur Folge haben müssen. Und dann … weshalb soll ich es verschweigen? Einige geschiedene Frauen, einige Leute, die aus der Abwesenheit Anderer Vortheil gezogen hatten, fürchteten die Rückkehr ihrer Verwandten oder Ehegatten – es war natürlich nur ein Bruchtheil von Dem, was früher die gute Gesellschaft hieß. Ihre Stimmen aber vereinigten sich mit Denen, welche nationale Güter erworben hatten, und gegen Alles, was sie aus Coblenz hörten, angingen …« Comte d'Allonville: »Mémoires secrets«. III, 398.
Es scheint, daß die Hinrichtungen von Quiberon Madame Tallien doch in nicht geringe Empörung versetzt haben; zudem war es ihr auch durchaus nicht recht, daß der Convent Herrn La Revellière ihrem Gatten als Präsidenten vorzog. Hören wir Lacretelle zu, der um eben diese Zeit eine Zusammenkunft mit Theresia hatte. Da diese stets derselben Ansicht war, wie Der, mit welchem sie sprach, so fühlt man sich versucht, heftigen Schmerzensergüssen bei einer im Allgemeinen gleichgültigen, allerdings zugleich auch gutmüthigen Frau ein wenig zu mißtrauen. Kann man auf der anderen Seite einem Manne vollkommenes Vertrauen schenken, dem Madame Tallien in so liebenswürdiger Weise gestattete, ihr die schönen Arme zu küssen? Herr Lacretelle erzählt:
»Ich hatte das Glück gehabt, Frau Tallien besuchen zu dürfen, war auch mehrfach mit ihr in Gesellschaften zusammengetroffen, sie wurde damals allseitig gefeiert, es waren ihr so Viele zu Dank verpflichtet. Ihre Beziehungen zu mir hatten etwas vom Zauber der Freundschaft, wärmere Gefühle habe ich mir nicht gestattet. Eines Tages war sie von einem meiner Artikel so zufrieden gestellt, daß sie mir erlaubte, ihren Arm zu küssen, diesen Arm, würdig der capitolinischen Venus.«
Man sieht daraus, mit welchen Mitteln Madame Tallien zu Macht und Einfluß zu gelangen suchte – dies in Parenthese.
»Eines Tages,« fährt Lacretelle fort, »kam ich voller Bestürzung zu ihr, auch sie war ungewöhnlich bleich; ich fand trotzdem den Muth zu trivialen Redensarten.
›Ist das,‹ rief sie, ›die Art, wie wir mit einander reden, nachdem so Entsetzliches sich zugetragen hat? Sie verstehen mich gewiß ebenso gut, wie ich Sie verstehe.‹
Thränen liefen in Strömen über ihre Wangen.
›Ach!‹ rief sie, ›wäre ich nur dort gewesen! – Mein Gott, ja. Freilich dann … Es giebt gewiß Keinen unter diesen, dem Bürgerkriege zum Opfer Gefallenen, der nicht hundertmal ausgerufen hätte: wäre nur Madame Tallien hier! – Ja, ohne Zweifel, es wäre mir gelungen, Vieles zum Besseren zu wenden. Die Militär-Commission fällte täglich nur über 10 bis 30 Gefangene, die am andern Tage erschossen wurden, ihr Urtheil. Eine Massenhinrichtung, wie Madame Tallien und Herr de Lacretelle zu vermuthen scheinen, hat nicht stattgefunden. Die Commission, der der abscheuliche General Lemoine präsidirte, wurde erst nach fünfmonatlichem Bestehen aufgelöst. Frau Tallien hätte also zu Verwendungen hinlänglich Zeit gehabt. Wir hätten Zeit gewonnen; nach Paris zurückgekehrt, hätte ich mich an die Spitze der Mütter, Töchter, Schwestern dieser unglücklichen Emigrirten gestellt, oder mich vielmehr der Mademoiselle de Sombreuil angeschlossen, neben der ich Nichts bin. Man sieht, daß die Legende von der Mlle. de Sombreuil und ihrem Becher mit Blut schon im Umlauf war, gerade wie die vom Briefe Theresias an Tallien, datirt 7. Thermidor. Ja, ich hätte an die Thür aller unserer Thermidoristen geklopft, ich wäre mit ihr vor den Convent getreten. Alles, was Paris nur an geistig hochstehenden Personen aufzuweisen hat, wäre auf die Gallerien im Sitzungssaal geeilt, ein feierlicher Act der Milde, wohlunterstützt von der Politik, hätte sich vollzogen, einen neuen Sieg der Frauen dargestellt, und: er hätte dem Convent Ehre eingetragen. Das war der Plan, der mir vorschwebte, als ich von der Niederlage der Emigrirten, die mir von vorherein unvermeidlich erschienen war, hörte. Ich war im Begriff abzureisen, als ich meinen Gemahl heimkehren sah und von ihm die Worte hörte, die mich ins Herz trafen: Alles ist vorbei! Und so sage ich mir selbst: für mich und meinen Einfluß, den diese Unglücklichen so oft gesegnet haben, ist Alles vorbei. Das schreckliche Ereigniß von Quiberon wird den Vorwand zur Undankbarkeit abgeben, man wird sich frei machen von der Erkenntlichkeit für Den, der den 9. Thermidor machte. Ich aber … ich will mich nicht frei machen … nein, ich will meine Pflichten nicht abschütteln, im Stillen will ich weinen und klagen. Ich will Den nicht schelten, der meinem Namen einigen Ruhm gab; ich will mich von dem Ruhme, der mich berauscht, losmachen. Seien Sie gewiß, mein Freund, man wird mich mit ebensoviel Schmähungen, als man mir früher Segenswünsche darbrachte, bedecken. Diejenigen, welche mir noch ein wenig Dank schuldig zu sein glauben, werden sich damit zufrieden geben, daß sie ausrufen: »Arme Madame Tallien!«‹« Lacretelle: »Dix années d'épreuves«, p. 145.
Arme Madame Tallien! Das ist wahr in der That, aber nicht aus den Gründen ist sie arm, die sie angiebt. Ihre Worte kommen diesmal nicht aus dem Herzen; sie denkt vor Allem an den Einfluß, den die Ereignisse von Quiberon auf ihr Renommé ausüben können, und tritt nicht in Berathung mit ihrem Mann, um die blutigen Folgen zu vermeiden. Uebrigens sind ihr die Beweggründe zur Genüge bekannt, welche Tallien veranlaßt haben, von der ursprünglich beabsichtigten Milde abzusehen und in das Gegentheil umzuschlagen. Dadurch war sie wohl genöthigt, sich einer Einmischung in die traurigen Ereignisse zu enthalten, mußte sie doch den Verdacht wider ihren Gatten dadurch von Neuem beleben.
Arme Madame Tallien! Wenn sie wirklich gesagt hat, was Lacretelle von ihr erzählt, sie wolle ihre Pflichten nicht abschütteln, so sieht man, bis wohin die Erblindung gewisser Frauen über sich selbst reicht, denn in demselben Augenblick, in welchem sie die Worte sagte, scheint sie an Scheidung zu denken, mit anderen Worten, ihre Pflichten abzuschütteln. Mad. Tallien hatte nach dem 9. Thermidor sich in den Vordergrund, in hellen Sonnenschein, gestellt und die nachsichtige Bereitwilligkeit des Publikums, die Legende zu glauben, welche sie um ihren Namen geschlungen hatte, bewahrte ihr einen gewissen Nimbus: sie war ein volles Jahr lang für das Volk ein Idol, und das will, soweit die Pariser Bevölkerung in Betracht kommt, viel sagen. Sie fand an der Rolle, welche sie spielte, großen Gefallen, und konnte sich nicht entschließen, von ihrem Piedestal herabzusteigen; deshalb mochte sie wohl auch die ersten Pflichten einer Frau, die Pflichten der Mutter, abschütteln. Es war ja allerdings damals nicht Mode, eine gute Mutter zu sein, eine Frau, die dem entsagt, verdient aber in der That Mitleid – arme Madame Tallien!
In Bordeaux hatte sie mit einem Diener bekanntlich ihren kleinen Sohn zurückgelassen; derselbe war 4 Jahre alt, als sie zu ihrem Freunde nach Paris reiste. Seitdem hatte sie sich nur wenig um ihn gekümmert, um sich selbst kümmerte sie sich um so mehr; gab viel, sehr viel Geld für ihre Toiletten aus und spielte die Cokette in großem Stil. Alles Uebrige schien sie nichts anzugehen – Tallien eben so wenig wie ihr erster Gatte.
Herr de Lacretelle fügt seinen oben erwähnten Mittheilungen noch hinzu:
»Solche Worte deuten auf eine edle Seele, und diese edle Seele hatte es dem Himmel gefallen, mit der bezauberndsten Gestalt zu schmücken. Das Publikum that Unrecht, Frau Tallien seines Dankgefühls zu berauben. Ich hatte für ihr Vorgefühl und dessen Berechtigung zu viel Verständniß, um es bekämpfen zu können. Für mich, bemerkte ich ihr, giebt es einen Cultus, von dem ich nicht lasse – das ist der, den ich der »hülfreichen Madonna« weihe. Ihr Gemahl trat ein. Ich hatte für ihn nur eisige Worte und beeilte mich, fortzukommen.«
Einen so schönen Namen einer Frau beizulegen, die der Mutter des Heilands doch in Nichts glich, ist geschmacklos in hohem Grade; man muß aber bedenken daß in diesen Zeiten des Unglaubens » Notre Dame de Thermidor« oder » Notre Dame de Bon-Secours« vor keiner anderen »Dame« etwas voraus hatte. Das Volk, oft so ungerecht in seinem Widerwillen, wie in seiner Zuneigung, gab der Tallien ja auch noch den Beinamen » Notre Dame de Septembre.« Es scheint, man habe durchaus eine »Madonna« aus ihr machen wollen, gleichviel, ob sich mit der Bezeichnung auch eine schaurige Erinnerung, verknüpft. Es war ja damals Gebrauch, Spitznamen an bekannte Persönlichkeiten zu vertheilen – sollte nicht Bonaparte einst den Namen » général Vendémiaire« führen?
Die Herrschaft des Convents ging inzwischen mehr und mehr zu Ende; sie fand dasselbe schließlich in der royalistischen Erhebung vom 13. Vendemiaire. Es war ein Glück für die Mitglieder, daß der unter Barras commandirende General Bonaparte für ihre Sicherheit aufkam. Der Aufstand war, wie alle royalistischen Unternehmungen, ohne alle Einsicht geführt. Für Tallien aber war gerade vor Thoresschluß die Gefahr, die ihm aus der Stimmung des Convents erwuchs, eine sehr ernste: er stand unter der Anklage, zweien Herren zu dienen.
In der Sitzung vom 1. Brumaire (23. October) sagte der Repräsentant Thibaudeau, Thibaudeau überlebte alle seine Collegen vom Convent und wurde unter Napoleon III Senator. während eine lautlose Stille in der Versammlung herrschte:
»Die Agenten der Regierung zu Genua und Venedig haben vor einiger Zeit schon berichtet, daß die Emigranten auf Tallien rechneten, um die Monarchie wieder herzustellen. Ein Brief des Prätendenten, Monsieur genannt, und von ihm unterzeichnet, besagt ausdrücklich: er, der Prätendent, setze große Hoffnungen in Tallien. Die Beweisstücke sind in den Händen der Ausschüsse.« Débats et Décrets, Vendémiaire, an IV, 465-505.
Mad. Tallien konnte also nicht, wie Mad. Roland that, sich die »Frau Cato's« nennen. Sie hätte nur bei der damals so ausgesprochenen Vorliebe für das Antike mit dem classischen Dichter ausrufen können: »Seid nachsichtig, wenn ich, trotzdem ich ihn bewundere, ihm nicht nachahme.«
Sie wußte jetzt zur Genüge, daß Tallien vollkommen ausgebeutelt war, und daß er fortan zurücksinken werde in seine Bedeutungslosigkeit und Unfähigkeit. Ihre Hoffnungen waren also nach dieser Richtung hin zu Wasser geworden – sie mußte suchen, sich aus der Affaire zu ziehen.
Um diese Zeit etwa, das heißt vor dem 13. Vendémiaire, wurde der General Bonaparte bei Mad. Tallien eingeführt und zwar durch Barras. Barras: Mémoires I, 285. Trotz seiner Aermlichkeit, von der seine schäbige Uniform Zeugniß ablegte, war die Dame so freundlich, ihn zur Wiederkehr einzuladen und der junge Corse hütete sich, eine Verbindung zu vernachlässigen, die ihm Vortheil bringen konnte. Er begann damals, sich eine Vorstellung von dem großen Einfluß zu machen, welchen die Frauen auf alle Verhältnisse ausüben. Es ist ein Brief an seinen Bruder Joseph vorhanden, in welchem er sagt:
»Frauen sind überall: in den Theatern, auf den Promenaden, in den Bibliotheken. In den Studirzimmern der Gelehrten sieht man sehr hübsche. Hier allein von allen Orten der Welt verdienen die Frauen das Steuer zu führen; die Männer sind ganz toll hinter ihnen her, sie denken nur an sie, leben nur durch sie und für sie. Eine Frau muß 6 Monate in Paris sein, und sie wird wissen, was ihr gebührt, wie weit ihre Herrschaft geht.« Comte de Survilliers (König Joseph) » Mémoires.« Der Brief ist vom 18. Juli 1795.
So wurde denn der Mad. Tallien, welche glaubte, ihr gebühre Alles und die Welt wäre nur für ihren Gebrauch geschaffen, auch von Dem gehuldigt, der bald in Bezug auf sich dieselbe Anschauung haben sollte wie die Dame. Der kleine General, welcher instinktiv wußte, daß die Frauen den Werth der Männer nach der größeren oder geringeren Aufmerksamkeit taxiren, welche sie ihnen darbringen, that das Erdenklichste, um sich die Gunst der schönen Herrin der »Chaumière« zu erwerben. Der Lieferant Ouvrard Ouvrard: »Mémoires« I, 20. hat uns ein hübsches Bild von einer Abendgesellschaft bei der Tallien hinterlassen. Er erzählt, Bonaparte habe auf derselben den Wahrsager gespielt und aus der Hand der Dame des Hauses alles mögliche krause Zeug herausgelesen.
Nachdem er sich das Wohlwollen der Schönen gesichert hatte, ging Bonaparte daran, sich eine Gunst zu erbitten. Man weiß, wie überaus knapp damals seine Mittel waren, er war Brigade-General à la suite, bezog kein Gehalt, und nahm seine Mahlzeiten bei Mad. Permon, einer Freundin seiner Mutter, ein; seine abgetragene Uniform, seine zerrissenen Stiefel führte er in allen Straßen von Paris spazieren. Eines Abends bat er Mad. Tallien, sie möchte sich doch für ihn verwenden. Sie war ja, wie er wohl wußte, die Vertheilerin aller Gunst- und Gnadenbeweise. Vor ihr ebneten sich ja die Wege, alle Hindernisse verschwanden; ihr Wille hatte größere Macht als das Gesetz.
Ein Erlaß des Wohlfahrtsausschusses vom Jahre III bewilligte den activen Officieren das Tuch für Uniformen. Bonaparte, der, wie man hörte, » à la suite« geführt wurde, hatte auf diese Tuchlieferung keine Ansprüche; das wußte er natürlich, wußte aber auch, daß, wenn Mad. Tallien sich für ihn verwandte, das Tuch ihm bewilligt werden würde. So bat er sie denn, ihm einen Brief an Herrn Lefeuve, einen höheren Intendanturbeamten der 17. Division, zu geben – und siehe da, der Brief wirkte Wunder: Bonaparte bekam eine neue Uniform!
Die kleine Geschichte ist auch noch anders, mit einigen romantischen Ausschmückungen erzählt worden, und zwar von Alissan de Chazet, dem Mad. Tallien sie mit verschönenden Zuthaten erzählt hatte und von Mad. Sophie Gay, welche aus derselben Quelle schöpfte. Lairtulier in seinem Buch »Berühmte Frauen« wiederholt die Version der Genannten; die Ouvrard's ist aber wohl die allein zuverlässige.
Der Salon in der »Chaumière Tallien« war damals sehr besucht, sowohl um der Dame als um des Herrn willen. Dort wurden alle Intriguen der Politiker gesponnen, dort die Geschäfte der Armeelieferanten besprochen, über Speculationen mit Nationalgütern verhandelt. Wer immer in faulen Geschäften thätig war, sei es in der Politik, sei es im Erwerbe, stellte sich dort ein. Dort war es auch, wo die Rollen für den 13. Vendémiaire vertheilt wurden, der die Volksvertretung rettete und den Mann in die Höhe hob, der sie später zerschmettern sollte um selbst an ihre Stelle zu treten.
Durch seine Siege bekannt geworden, ging es dem kleinen General schon besser, auch flossen ihm erhebliche Remunerationen zu. Zum Chef der Armee des Innern ernannt, und in einem schönen Hause der Rue des Capucines untergebracht, kam Bonaparte immer häufiger in die »Chaumière«.
Tallien, geplagt von dem Verlangen, von sich reden zu machen, oder seine Wiederwahl zu sichern, kam auf den sonderbaren Gedanken, mehrere seiner Collegen anzuklagen, sie wären die Mitschuldigen der royalistischen Empörer vom 13. Vendémiaire. Die Anklage war lächerlich, absurd, es fand sich Niemand, sie zu unterstützen; sie diente nur dazu, den unter der Asche glimmenden Funken der Zwietracht von Neuem anzufachen und das Ausnahmegesetz, ein Rachegesetz, vom 3. Brumaire durchzubringen – es war der letzte gesetzgeberische Act des Convents!
Am Tage darauf ging der Convent, während die politischen Leidenschaften wild aufkochten, aus einander: dem Platz, auf welchem die Guillotine ihre Blutarbeit begonnen hatte, hinterließ er – man weiß nicht recht aus welchem Grunde – den Namen » Place de la concorde«, Eintrachtsplatz.