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Siebentes Capitel.

Allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung. – Vermehrung der Feste. – Die Güte der Madame Tallien. – Ihre Thätigkeit zu Gunsten der wegen des Fructidor-Aufstandes Verurtheilten. – Monsieur de Lacretelle. – Rückkehr Buonaparte's nach Paris. – Madame Tallien im Hause der Rue Chantereine. – Die Wahlen des Jahres VI. – Die zweimalige Wahl Tallien's wird cassirt. – Was thun? – Tallien schifft sich nach Aegypten ein. – Ein türkischer Gesandter in Paris. – Madame Tallien stürzt sich für ihn in Unkosten. – Besuch in Chantilly. – Villegiatur in Grosbois. – Ein sonderbares Uebereinkommen zwischen Barras, Ouvrard und Madame Tallien. – Wie Ouvrard aussah. – Eine Fete in Raincy.


Der Staatsstreich vom 18. Fructidor war gelungen. Zwar nicht ganz, da Barras immer noch genöthigt war, die Macht mit vier Collegen zu theilen.

In Paris herrschte etwas wie eine neue Schreckenszeit, eine wieder aufgebrühte »Terreur«. Fast jede Familie trauerte um einen Proscribirten. Man wagte es kaum, über die Personen Erkundigungen einzuziehen, für die man sich interessirte; man wußte, daß eine große Anzahl von Deputirten, Journalisten und anständigen Leuten nach den Hafenplätzen geschickt worden waren, um dem mörderischen Klima von Guiyana überantwortet zu werden.

Und warum?

Eigentlich lediglich aus dem Grunde, weil eine Courtisane den ehrgeizigen Wunsch gehegt hatte, daß ihr Herzallerliebster der alleinige Herrscher über Frankreich werden sollte.

Dieser aber hatte die Gelegenheit benutzt, um sich einiger ihm lästiger Personen zu entledigen; der Spaßvogel Rovère z. B. verdankte seine Proscription einigen Scherzen, welche er über gewisse häßliche Neigungen des Herrn Barras gemacht hatte. –

Mit der Zeit fingen die Salons an, sich zu öffnen, der Horizont klärte sich auf und wenn man zuweilen noch etwas wie fernes Donnern hörte, so war es nur das Echo der Todessalven aus den Ebenen von Grenelle oder der Zornesrufe der unglücklichen Deportirten. Dann wurde Alles ruhig und die alte Leichtlebigkeit der Pariser trat wieder in ihre Rechte. Die Bälle bei Véry-Frascati, im Pavillon de Hannover, im Tivoli u. s. w. wurden immer eifriger besucht. Die Bürgerin Tallien erschien in excentrischen Toiletten auf allen und that, was sie nur erdenken konnte, um die Erinnerungen an die Ereignisse des Fructidor zu verwischen. Bei Barras im Luxembourg reihte sich eine Fete an die andere, die Tallien, als Repräsentantin seines Hauses, war von bezaubernder Liebenswürdigkeit und gewöhnte sich mehr und mehr an die Rolle einer Souveränin – an leisem Geplauder mit Generälen und Journalisten fand sie ein besonderes Gefallen – sie meinte wohl, sich selber dadurch mehr Bedeutung beizulegen, auch gab es wohl eine dunkle Ecke, eine nicht beleuchtete Nische, in welcher ein flüchtiger Kuß auf den herrlichen Arm als statthaft galt.

Eine Dame, welche Madame Tallien kannte, und der wir schon Einiges nacherzählten, entwirft nochmals eine Skizze von ihr aus ihrer damaligen Glanzperiode:

»Ihr schönes schwarzes Haar war frisirt, wie man es an einigen altrömischen Büsten im Vatican sieht, kleine Locken hingen rings um die Stirn. Die Frisur paßte vortrefflich zu dem Typus ihrer Gesichtszüge, deren Regelmäßigkeit Bewunderung erweckte. Das Haar nahm sich wie ein Rahmen von polirtem Ebenholz aus, von welchem das Gesicht mit seinem weißen, aber darum doch blühenden Incarnat – einem Teint à la Cadix – sich herrlich abhob. Sie hatte ein sehr weites, in breiten Falten lang herabhängendes Kleid aus Musseline an; es war nach dem Muster einer griechischen Tunica geschnitten; wahrscheinlich waren solche 1798 in Paris angefertigten Costüme etwas eleganter als die, welche die Modistinnen einer Aspasia oder Poppäa herzustellen verstanden. Die Tunica legte sich in Falten über die Brust, die Aermel waren über der Achsel aufgebauscht und von einer antiken Camee festgehalten, Handschuhe trug die Dame nicht. An einem ihrer Arme, die der schönsten Statue Canova's hätten als Modell dienen können, trug sie eine Spange aus schwarz emaillirtem Golde, eine Schlange darstellend, deren Kopf ein zierlich geschnittener Smaragd bildete. Einen überaus prachtvollen Cachemirshawl, zu der Zeit in Frankreich eine Seltenheit, hatte sie um ihre Gestalt geschlungen und verstand es, sich mit demselben mit unbeschreiblicher Grazie und unnachahmlicher Coketterie auf verschiedene Art zu drapiren, die rothe Farbe desselben gab dem blendenden Weiß der Schultern und Arme einen erhöhten Zauber. Wenn sie lächelte, was sie in anmuthigster Weise that, um für die ihr von allen Seiten her zugedachten Verbeugungen zu danken, zeigte sie ihre perlenweißen Zähne, die gewiß viel Neid erregten.« Duchesse d'Abrantès: »Salons de Paris.« II. 279.

Das Directorium, welches die öffentliche Meinung seinerseits dahin bringen wollte, die Ereignisse des Fructidor in der Erinnerung zu verwischen, veranstaltete ein Fest um das andere.

»Ich sah,« schrieb später Graf Lavalette, »die fünf Könige, angethan mit Mänteln, mit Hüten, mit spitzenbesetzten Beinkleidern, als gehörten die hohen Herren der Zeit Franz I an. Die Gestalt La Reveillère's nahm sich aus wie ein Pfropfen auf zwei Stecknadeln gespießt, Talleyrand in seidnen, bordeauxrothen Beinkleidern, zu Füßen Barras' auf einer Art Feldstuhl sitzend, den »Souveränen« den Gesandten des Großherzogs von Toscana vorstellend – das war ein Anblick, der schwer zu schildern ist! Rechts von der Estrade, auf welcher die Gebieter Frankreichs standen, waren etwa 50 Musikanten und Opernsänger aufmarschirt; Laine, Laïs, Reynault leierten eine von Méhul componirte Cantate her. Auf einer andern Estrade gerade gegenüber befanden sich etwa 200 Frauen, lauter jugendlich frische Schönheiten, lächelnd und voller Freude über die Majestät der Pentarchie und das Glück der Republik. Sie waren so decolletirt, so kurz geschürzt, daß man sie fast für unbekleidet ausgeben konnte; sie hatten fleischfarbene Pantalons an und Ringe an den Zehen – so etwas wird man nie wieder zu sehen bekommen!« Briefe des Grafen Lavalette an Herrn Cuvillier-Fleury, geschrieben 1829.

Die Feste bildeten kein Hinderniß für Frau Tallien, gefällig und hilfsbereit zu sein – sie fand Zeit für gute Handlungen. Viel wurde sie in Anspruch genommen, wenn es sich um neue Verhaftungen handelte, gern war sie bereit, die Schritte zu thun, um welche sie ersucht wurde.

»Ich habe selbst erfahren,« so berichtet eine Dame, Madame de Chastenay: »Mémoires.« I. 364. »daß sie mit entgegenkommender Güte, mit Muth und Hartnäckigkeit den Leuten die größten Dienste erwies. Unter Anderen verdankte ihr Herr de la Millière sein Leben zu einer Zeit, wo es ihr allein möglich war, bis zu Barras zu gelangen und einen Aufschub zu erwirken.«

Unter den vierzig Journalisten, welche wegen der Vorgänge am 18. Fructidor verhaftet worden waren, befanden sich zwei junge Männer, Herr de Lacretelle und Herr de Norvins. Den Brüdern dieser beiden Herren war es gelungen, Madame de Staël für die Sache zu gewinnen, denn diese, obwohl sie zu dem Staatsstreiche gedrängt hatte, mißbilligte in hohem Grade die demselben folgenden grausamen Maßregeln. Frau von Staël machte sich mitten in der Nacht auf und eilte zu Madame Tallien, welche damals in der Rue de la Chaussée d'Antin Nr. 21 gegenüber von dem Hause wohnte, in welchem Mirabeau gestorben ist. Madame Tallien wurde geweckt und mußte, nachdem sie sich angekleidet hatte, sofort mit der Staël nach dem Luxembourg fahren, um Barras die für die Entlassung der beiden Journalisten nöthigen Anordnungen abzunöthigen. De Norvins, »Mémorial«. II, 139. – Lacretelle, »Dix années d'épreuves«, 327-342. So geschah es.

Einer solchen Opferfreudigkeit, solchen der Menschlichkeit erwiesenen Diensten gegenüber schweigt mancher Tadel und den beiden Frauen gebührt das höchste Lob. Man darf sich wahrlich nicht wundern, wenn die geretteten Herren im Drange ihres Dankgefühls, von Madame Tallien nur in der höchsten Bewunderung sprechen. Man lasse sich nur nicht verleiten, z. B. Das, was Lacretelle im XI. Bande seiner »Geschichte Frankreichs« sagt, für historische Wahrheit zu halten; man thut gut, auch in anderer Beziehung dem sonst schätzenswerthen, aber etwas charakterlosen Autor in politischen Dingen ein richtiges Urtheil nicht unbedingt zuzutrauen. Lacretelle ist in seinem politischen Urtheil Nichts als eine sich stets drehende Wetterfahne. Mögen hier die Aeußerungen einer Dame über ihn Platz finden, deren Salon er besuchte, sobald er ihrer Hülfe bedurfte: »Er war allem Anschein nach der Meinung, Wahrheit und Gerechtigkeit gebe es stets da, wo die Macht ist, deshalb stellte er sich auch unweigerlich dem Sieger zur Verfügung: man wußte oft gar nicht, wie es möglich war, daß er so rasch zur Stelle war. Dabei hatte er noch Zeit gehabt, in der Druckerei vorzusprechen, um schnell noch in irgend einem Artikel über die Ereignisse des Tages einige Phrasen einzufügen, Lob und Preis enthaltend, gleichviel ob das Volk oder die royalistische Partei die Oberhand behalten hatten. Die verschiedenen Wandlungen, welche sich in unseren Tagen in der staatlichen Machtsphäre vollzogen haben, finden sich verschieden aufgeführt in den zeitlich verschiedenen Ausgaben seines Werkes. Dazu bedurfte es bei ihm keiner besonderen Ueberwindung; es geschah gewissermaßen instinctiv; er näherte sich der obersten Staatsgewalt etwa so, wie man sich dem Feuer nähert, wenn man friert. Sein Gewissen machte ihm keinerlei Vorhaltungen, man hatte den Muth nicht, größere Anforderungen an ihn zu stellen als es sein Gewissen that, denn er war von der geringsten Gunstbezeugung, die ihm zu Theil wurde, so überglücklich, er liebte Die, welche Etwas für ihn thaten, so schwärmerisch, er vergaß ihrer in einer so naiven Weise, wenn sie ihm nichts mehr nützen konnten, daß man mehr erstaunt als ärgerlich war.« (Madame Ancelot: » Un salon de Paris« p. 41). Man sieht, daß man aus Lacretelle's Werken nicht mehr machen darf als aus dem Autor selbst.

Die Dinge nahmen indeß einen seltsamen Verlauf. Bonaparte war, nachdem er den Frieden von Campo Formio abgeschlossen und in Rastatt verweilt hatte, nach Frankreich zurückgekehrt und traf für die ägyptische Expedition seine Vorbereitungen. Er zeigte sich nur wenig in der Oeffentlichkeit, denn er wußte wohl, wie sehr er dem Directorium verdächtig war, wenn dasselbe auch im Luxembourg ihm zu Ehren ein glänzendes Fest gegeben hatte. Er spielte den Zugeknöpften, empfing aber doch in seinem kleinen Hause der Rue Chantereine zuweilen Besucher.

Madame Tallien hatte sich beeilt, ihn zu dem glänzenden Erfolge seines Feldzuges zu beglückwünschen; sie stellte sich auch zu demselben Zweck bei ihm ein, als er Mitglied des Institutes geworden war. Ein Besucher, der sich zu derselben Zeit bei ihm eingefunden hatte, lüftet den Vorhang ein wenig vor dem Salon des so schnell berühmt gewordenen Generals:

Um 9 Uhr Abends stellten sich in der Rue Chantereine einige Besucher ein, unter ihnen befand sich auch Madame Tallien; die öffentliche Meinung, die voller Bewunderung für den jungen General war, hätte keinen beredteren Dolmetscher finden können. Die Unterhaltung mit ihr aber bewegte sich sonderbarer Weise in Betrachtungen über Kriegswaffen, über Flinten, Säbel und deren Klingen, »die man so herzustellen verstand, daß sie sogar Eisen durchschneiden.« Ein Anwesender erwähnte als Beweis für die Wahrheit der aufgestellten Behauptung, er besitze einen aus Corfu mitgebrachten Yatagan, welcher die erwähnte schneidige Eigenschaft besäße. »Was machen Sie mit dem Dinge?« frug der General. – Er habe es dem Schauspieler Talma gegeben, erwiderte der Herr (Arnault). – »Das ist so die Art der Herren Poeten,« rief lachend der General, »sie weihen ihre Huldigungen sogar Theaterkönigen.« – »Ich muß bitten, General, das tue ich nicht einmal Helden gegenüber. Etwas anderes ist es in Bezug auf die Damen, wie Madame Tallien bezeugen wird.« Arnault: »Souvenirs d'un Sexagénaire« IV, 17.

Wir kommen auf Tallien zurück. Er war bei den Wahlen des Jahres VI in zwei Departements wiedergewählt worden, allein das Directorium hatte beide Wahlen cassirt. Was sollte nun aus dem Aermsten werden? Er gehörte zu den Menschen, die, wenn sie der öffentlichen Thätigkeit beraubt sind, Nichts mehr vorstellen, die eine völlige Unbeholfenheit, eine Unzulänglichkeit nach allen Richtungen hin an den Tag legen. Tallien war ein Ignorant, zu träge um etwas anderes zu sein als »Volksvertreter«. Er hatte Nichts für sich als das Verdienst, welches ihm in Bezug auf die Ereignisse des 9. Thermidor eine Zeit lang zugesprochen wurde, – jetzt sank er zurück in sein Nichts – er war ja nur ein leeres, tönendes Gefäß gewesen.

Seine Lage war eine überaus schwierige. Als der Gatte der Maitresse eines höchst gestellten Staatsbeamten war seine Rolle eine klägliche und in der That kaum möglich, ihr etwas Würdevolles zu geben – Tallien war entschlossen, das Joch abzuschütteln, gab sich jedoch den Anschein, als wäre Alles beim Alten; den Abend vor seiner Abreise nach Aegypten brachte er noch bei Barras zu. Tallien hatte viele Schulden: so viel Vergnügen seine Gattin darin gefunden hatte, Alles unbezahlt zu lassen, so unangenehm war für ihn die Notwendigkeit, zu zahlen. Er hatte nicht einmal mehr das zum Lebensunterhalt nöthige baare Geld. Theresia aber war nicht die Frau, die sich am Nothwendigen genügen läßt. Talliens Ersparnisse von Bordeaux her sind längst erschöpft; seine Zeitung bringt ihm gar nichts mehr ein und seitdem er nicht mehr Volksvertreter ist, drehen ihm die Geldbeschaffer den Rücken. Die Frauen sind gewöhnlich Denen gegenüber, die sie zu lieben aufgehört, die ihre Hoffnung in Bezug auf eine glänzende Stellung oder ein glänzendes Vermögen nicht erfüllt haben, ohne jedes Mitleid – dies wurde auch Tallien in Bezug auf Theresia gewahr und doch verzieh er ihr, verfiel aber allmählich in jenen traurigen Zustand, der vielleicht die schrecklichste Qual im Menschenleben ist, das heißt den Folgen gekränkter Liebe; ihnen gesellte sich die zweitgrößte Plage: der Mangel an Geld!

Ach! Ueberall fehlen die 28 Livres Diäten, die er als Volksvertreter erhielt! Und ach! Auch die Naturallieferungen: Oel, Zucker, Reis, Tuch, Leinwand, welche sich die Herren liefern ließen, als wäre die Volksvertretung eine Wohlthätigkeits-Anstalt, La Reveillère-Lépaux: »Mémoires« I, 214. giebt es nicht mehr: auch damit ist es vorbei! Vorbei!

Staunen wir einen Augenblick über den in die Augen springenden Contrast: Der Mordgeselle vom September, der » Septembriseur« Tallien, der an Allem zweifelnde Genußmensch, erscheint neben der Exmarquise, mit der er sein Dasein aufputzte, jetzt als ein guter Mensch, ihm wendet sich die allgemeine Theilnahme zu. Und zwar deshalb, weil diese Exmarquise – ihn unglücklich macht.

Was soll nun geschehen? Es bleibt ihm, dem Helden des Thermidor, nur ein Weg noch, ihm, der mit 25 Jahren Präsident des Convents war, ihm, der dem Herrn Barras am 13. Vendémiaire den kleinen, gelbhäutigen, damals völlig unbekannten Bonaparte empfohlen hatte, ihm, dessen Gattin dem völlig mittellosen General zu einer neuen Uniform verholfen hatte, ihm, der dem General als Zeuge diente bei seiner Verheirathung mit einer der alten Maitressen, deren Barras, der andere Zeuge, sich entledigen wollte, indem er sie heirathen ließ, – ihm, dem einst großen Tallien, war es beschieden, von seinen früheren Schützlingen sich selber jetzt Schutz zu erbitten: er bat um einen bescheidenen Posten in der Intendantur der für Aegypten bestimmten Armee. Man sehe im »Anhang« einen noch nicht veröffentlichten Brief des General Bonaparte an Tallien aus Cairo; in demselben handelt es sich um dienstliche Angelegenheiten.

Er verzehrte sich selbst in seinem gekränkten Eigendünkel. Er, um ein kleines Amt petitioniren – o tempora! Sein körperliches Befinden ließ nach.

»Ich sah Tallien wieder,« berichtet Madame de Chastenay, »mein Gott – wie hatte sich der Mann verändert! Ein halbes Jahrhundert, sollte man denken, hätte dazu gehört. Ich ahnte, daß er es war, es machte ihm Freude, daß ich ihn anredete.« Madame de Chastenay: »Mémoires« II, 48.

Aus dem Entschluß Tallien's, nach Aegypten zu gehen, kann man darauf schließen, daß sein Leben an der Seite Theresias durch fortwährende Scenen und Zänkereien ganz unerträglich geworden war: die finanzielle Frage kam wohl hinzu, denn ein altes Sprichwort sagt: »wenn es kein Heu in der Raufe mehr giebt, beißen sich die Pferde.« Soweit wird es wohl zwischen Herrn und Frau Tallien nicht gekommen sein, aber man darf annehmen, daß ihre Auseinandersetzungen lärmend und angreifend waren. Invectiven und Anklagen flogen hin und her, man sagte sich harte Wahrheiten. In Folge seines Unglücks in der Ehe, in seinen Geschäften, in der Politik faßte Tallien den Entschluß, in Aegypten Vergessenheit zu suchen und dort dem treulos entflohenen Glück nachzujagen. Ganz unangebracht sind Theresias Worte:

»Ist es meine Schuld, daß Tallien nach Aegypten ging, obwohl die Rolle, die er in Paris spielte, ihn zurückhielt?«

Unbegreiflich ist, wie nur die menschliche Natur es fertig bringen kann, unangenehme und peinliche Erinnerungen zu verwischen, um sich selbst Recht zu geben, wo Nichts ist wie Unrecht.

Was Theresia, die nachherige Chimay auch sagen mag, es steht unumstößlich fest, daß Tallien keinerlei Rolle mehr in Paris spielte, die ihn festgehalten hätte. Er konnte sich dort unmöglich noch länger halten und man kann es ihm durchaus nicht verdenken, daß er sein Glück in Aegypten versuchen wollte, während seine Frau, sich für die aufgedrungene Vereinigung zu Bordeaux rächend, ihr Glück bei Barras suchte. Außerdem gehört für manche Frauen der Treubruch zu den Freuden der Ehe!

Tallien hatte nicht daran gedacht, daß er im Lande der Pharaonen unter der strengen Aufsicht Bonaparte's stehen und es ihm nicht möglich sein würde, mit gewohnten Schlichen und Kniffen das Glück herauszufordern, wie damals in Bordeaux; er büßte in dieser Beziehung im Laufe der Zeit alle seine Hoffnungen ein. Auch stieß ihm manche Widerwärtigkeit zu: die größte aber war wohl die, daß er, kaum in Aegypten gelandet, dem »kleinen Jullien« begegnete, der ebenfalls zum Intendanturbeamten gemacht war, Jullien, dem Nämlichen, der ihn einst in Bordeaux bei Robespierre denuncirt hatte, Jullien, den er nach dem Thermidor ins Gefängniß hatte werfen lassen, Man sehe im »Anhang« einen Brief Jullien's. das demselben aber bald wieder die Thore geöffnet hatte – welche Tücke des Schicksals!

Es giebt Nichts, was so sehr zum Nachdenken auffordert, als die Ruhe einer langen Reise. Der Gedanke an seine Frau verließ Tallien während seiner Meerfahrt nicht. Die großen Coketten werden gewöhnlich nach einiger Zeit den Männern, mit denen sie zusammen gelebt haben, unleidlich, diese Männer aber, so wie sie von diesen Frauen getrennt sind, denken ihrer fort und fort, als könnten sie ohne sie nicht leben! Im Laufe seiner Betrachtungen arbeitete Tallien sich vielleicht zu jener großen Wahrheit hindurch, welcher die an Liebe so reiche Mademoiselle de Lespinasse, deren Briefe Barère, der alte College vom Convent her, jetzt gerade zu veröffentlichen im Begriff war, folgende Worte giebt:

»Was die Frauen wollen, ist in wenigen Worten gesagt: sie wollen vorgezogen werden; es braucht eigentlich keine geliebt zu werden!«

Auch Theresia forderte keine Liebe, nur materiell zufrieden gestellt zu werden, wünschte sie. Gelang es ihr von sich selbst Aufheben zu machen und Andere um sie her dazu zu veranlassen, so war sie glücklich. Der arme Tallien hatte vor seiner Verheirathung Nichts davon gemerkt. Er liebte sie immer noch; sowie er von ihr fort war, machte sich die alte Liebe wieder geltend. Von jedem Ankerplatz des Schiffes, auf dem er die Ueberfahrt machte, schrieb er. Es liegt ein Brief aus Rosette vor Im »Anhang« mitgetheilt. vom 17. Thermidor des Jahres VI, welcher das Gesagte beweist.

Arnault, der geistreiche Autor der » Souvenirs d'un sexagénaire,« der den General Bonaparte begleitete, aber in Malta blieb, um seinen Freund Regnault (de Saint Jean d'Angély), der erkrankt war, zu pflegen, begegnete, als er nach Frankreich zurückkehrte, dem Schiff, auf welchem Tallien die Ueberfahrt nach Aegypten machte. Er schreibt:

»Auf der Höhe der Insel Pantellaria haben wir ein kleines Segelboot angerufen, welches auf der Fahrt nach Malta war, oder vielmehr der Flotte folgte. Es befand sich unter Anderen auch Tallien, der nicht wieder gewählte Deputirte, das von seinem Sockel gestoßene Idol der Pariser, an Bord desselben. Er sucht den Orient auf, um sein Glück zu machen oder am Ende nur um seinen Lebensunterhalt zu finden. Vor drei Jahren regierte er noch in Frankreich, in Chaillot hielt er Hof. Heut, allen Vertrauens, aller Macht beraubt, ohne einen anderen Begleiter als Brindavoine, den einstigen Groom von Madame Tallien, flüchtet er sich unter den Schutz eines Generals, den er früher protegirt hatte.« Arnault: »Souvenirs d'un Sexagénaire«. IV, 176.

Wenn Tallien seine Frau nicht vergessen konnte, so war das bei Theresia ganz anders: sie hatte ihn schon vergessen, als er noch in Paris war und lebte jetzt genau so, wie vordem. Theresia war, das muß man ihr lassen, keine Heuchlerin; was sie that, that sie vor der Oeffentlichkeit, sie verheimlichte oder versteckte Nichts. Hierin liegt gewiß ein Verdienst, allein es hingen damit doch mancherlei Unzuträglichkeiten zusammen. In ihrem Innern beglückwünschte sich Theresia jedenfalls, daß Tallien abgereist war. Sie fand, wie so viele Frauen, daß die Abwesenheit des Mannes das beste in der Ehe ist! Es scheint, daß sie sich äußerlich gegen eine solche Auffassung ein wenig gewehrt hat, denn wir erfahren, daß sie damals einem Bittsteller sagte:

»Was kann ich jetzt noch thun! Ich habe nicht einmal das Recht, meinen Mann zu verhindern, daß er abreist.« Comte Dufort de Cheverny: »Mémoires« II, 385.

Ihr Credit wurde durch Tallien's Abreise in keiner Weise nachtheilig beeinflußt: nur ihr Mann wurde geschmäht, sie nicht! Das ist der Welt Lauf. Thut eine Frau Unrecht, so ist es ihr Mann, dem man den Rücken wendet. Madame Tallien wurde einflußreicher, als sie je zuvor gewesen war; Barras willfahrte jeder ihrer Launen: sie war in Wahrheit Gebieterin, war die Königin.

Am Tage nach Tallien's Abreise fand im Luxembourg der officielle Empfang eines außerordentlichen Gesandten der Türkei statt. Die Zeitungen vom Thermidor des Jahres V sind voll von Beschreibungen der dem Fremden gegebenen pomphaften Feste. Man führte denselben in alle Vergnügungslocale.

Die Anwesenheit des Orientalen verdrehte den Parisern förmlich die Köpfe: Effeid-Ali-Effendi ist der schwierig auszusprechende, in den sonderbarsten Varianten auf allen Lippen lebende Name! Im Tivoli, Idalie, bei Feydeau: man sieht ihn überall und ist entzückt; besonders die Damen sind es – von Effeid-Ali-Effendi! Voran selbstverständlich Madame Tallien: aus einem im Elysée gegebenen Feste setzt sie sich neben ihn; des Türken Gruß ist zwar etwas wegwerfend, Theresia aber ist entzückt. Weiter verlangt sie nichts: das Publikum hat den Gruß bemerkt, tout Paris spricht von dem Gruß. Es war unter diesen ungebildeten Emporkömmlingen, die damals allein die Pariser Gesellschaft bildeten, von Nichts die Rede als von gleichgültigen, albernen Dingen.

Wer sich ein Bild von den gesellschaftlichen Zuständen der damaligen Zeit machen will, lese nach, was Mallet du Pan in seiner Correspondenz mit dem Wiener Hof sagt:

»Die Ueberhebung, die Leichtfertigkeit, der moralische Niedergang der Pariser Bevölkerung ist unglaublich. Viele Volksvertreter sind mehr mit ihren Vergnügungen als mit den drohenden Gefahren der Zeit beschäftigt. Die Lage ist eine solche, daß über Frankreich die entsetzlichsten Zustände hereinbrechen können, das Volk lebt im Elend, Klagen hört man überall, dabei zeigt sich die Oberflächlichkeit, die Verderbtheit der Pariser in hellstem Licht. Zu dreißig Theatern und ebensoviel Vergnügungsorten strömen täglich Schwärme von Müßiggängern und gemeinen Emporkömmlingen. In der vorigen Woche nahm an einem Abend der Kunstfeuerwerker Ruggieri 25 000 Frcs. ein! Der ottomanische Gesandte, wie er genannt wird – er ist nämlich nichts als ein einfacher Consul, beauftragt, über die Bezahlung von Getreidelieferungen zu verhandeln – nimmt zur Zeit dieses Volk von Kindern ganz in Anspruch. Es hat nichts mehr von Dem, worin es sich früher hervorthat: seine Moden, seine Sitten, seine Redeweise, seine Vergnügungen haben in allen Klassen einen abschreckenden Ausdruck von Gemeinheit, von Schamlosigkeit angenommen – das ist der Stempel, den ihm die Revolution aufdrückte! Man kann sich nichts Kläglicheres, nichts Unwürdigeres denken als die Einführung des türkischen Abgesandten beim Directorium. Der Marquis d'El Campo erschien dazu in einem Wagen, in welchem die Tallien neben noch anderen Curtisanen saß.«

Der sittenstrenge Calvinist hat wenig übrig für Madame Tallien. Auch der Effendi scheint zu denken wie Mallet du Pan. Auf dem großen Ball, welcher ihm zu Ehren im Odeon gegeben wurde, hatte Madame Tallien, um ihm eine Aufmerksamkeit zu erweisen – sagen wir, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – sich türkisch gekleidet. Man denke sich nur, daß dieser Türke mit allem Phlegma seiner Race, im Angesicht von 4000 Zuschauern, vor diesem schönen kleidsamen Turban, diesem duftig-zarten Mieder, diesen weiten, bauschigen, seidenen Beinkleidern, daß er an Theresia gleichgültig vorüber schreitet – o diese Türken! Wie sie, erstarrt in ihrem Türkenthum, doch so ohne alle Erziehung sind! Stellte Theresia nicht alle Haremsschönen seiner Heimath in den Schatten? Da sollte noch Einer kommen und sagen, die Türken wären Kenner in Bezug auf die Frauen! Wie sehr hätte es der eitlen Theresia gefallen, hätte Effeid-Ali-Effendi durch einige schmeichelhafte Worte des Kenners ihre Schönheit gewissermaßen abgestempelt. Diesmal wurde ihre Enttäuschung noch besonders bitter dadurch, daß der Gefeierte vor einer anderen Dame, der Mademoiselle Lange, stehen blieb. »Sie war sehr reich gekleidet, dabei aber hielt sich ihre Toilette in den Grenzen der Wohlanständigkeit.« » Semaine critique«, III.

»Schön – das ist schön,« sagte der weiterschreitende Ottomane. »Rapsodies,« IV.Qatartal 1797. – De Goncourt »Le directoire.«

Madame Tallien suchte sich für die erlittene Schlappe zu trösten, indem sie nach Chantilly aus Besuch zu einem Herrn Potter ging. Dieser Potter, Engländer von Geburt, hatte sich 1793 in Chantilly niedergelassen, dort eine Porzellan- und Fayence-Manufactur errichtet, und war während der Terreur eingekerkert worden. Da er am 9. Thermidor noch am Leben war, wurde er der Freiheit zurückgegeben. Es ist schon erwähnt worden, daß es Mode wurde, als die Seele des Staatsstreiches vom 9. Thermidor Madame Theresia zu bezeichnen, besonders die Freigekommenen huldigten dieser Auffassung, und Mister Potter bezeichnete Theresia gern als seine Lebensretterin, seine Wohlthäterin. Es wurden große Vorbereitungen in seinem Etablissement zum würdigen Empfang der gefeierten Dame getroffen, eine Zeitung berichtet:

»Der Bürger Potter, Irrthümlich steht »Peters« statt »Potter« da. Eigenthümer der Manufactur zu Chantilly und des Weilers, welcher in den Gärten des Prinzen liegt, läßt mit großen Kosten Alles erneuern, um seine Wohlthäterin, die göttliche Cabarrus, zu empfangen!« Wir verdanken die Details der Güte des Archivars vom Oise-Departement, Herrn Roussel.

Madame Tallien liebte wohl das Landleben, um sich nach den Lustbarkeiten und dem aufregenden Trubel ihres Pariser Lebens ein wenig zu erholen, allein eine vollkommene Ruhe und Abgeschiedenheit sagte ihr doch nicht zu; Gäste zu empfangen, Jagden beizuwohnen, Bälle, Diners mußten mit dem Landaufenthalt verbunden sein. So finden wir sie bald darauf in Grosbois, der herrlichen Besitzung, die einst Monsieur, dem Bruder Ludwig XVI, jetzt aber dem Director Barras gehört. Barras hatte Grosbois als Nationalgut für einen geringen Preis von dem Gelde gekauft, welches er herausgeschlagen hatte aus den in Marseille und Toulon geraubten Kirchengegenständen. Die republikanischen Grundsätze des abtrünnigen Edelmannes hatten sich darauf beschränkt, unter den veränderten staatlichen Verhältnissen seinen durch eine wilde Jugend zerrütteten Vermögensverhältnissen wieder aufzuhelfen. Obwohl man in dieser Uebergangszeit es in Bezug auf Ehrenhaftigkeit nicht genau nahm, so war Barras doch auch unter den neuen Verhältnissen eine im Allgemeinen anrüchige Persönlichkeit. Wenn der Bürger Carnot ihn nicht ausstehen konnte, so war sein Standpunkt ein durchaus berechtigter. Viele aber meinten, die Führung des Directors ginge sie nichts an. Alle Minister, Madame de Staël, welche allmorgendlich ihrem Freunde Benjamin Castans vorzeichnete, was er den Tag über denken sollte, Madame Visconti, soeben in Paris mit der Bagage des General Berthier angelangt, Madame Hamelin, der Straßenjunge im Unterrock – eigentlich konnte man sich so nicht ausdrücken, weil sie ein Kleidungsstück der Art nicht trug – amüsant wegen ihrer gewagten Bewegungen und ihrer noch viel gewagteren Redeformen, Madame Hainguerlot, welche schön war, ohne es dem Anschein nach zu wissen, und gern die Geistreiche spielte, was ihr zuweilen mißlang, Madame Raguet, deren geistige Anlagen, wie bei vielen ihrer Geschlechtsgenossinnen, sich darauf beschränkten, daß sie Geld auszugeben und sich zu putzen verstand – solche und ähnliche Größen fanden sich in Grosbois ein, es gab dann ein Lärmen und Jagen Tag aus und ein, Soupers, Dejeuners im Freien, begleitet von Lachsalven und dem Knallen der Champagnerpfropfen – war es nicht eine Lust zu leben in dieser liederlich-lustigen Directorialzeit?

Unter den Herren, die in Grosbois verkehrten, waren auch nur die alten Bekannten vom Luxembourg. Eine bunt durcheinander gewürfelte Gesellschaft! Man hielt sich viel im Freien auf, ging im Park spazieren, fütterte die Karpfen oder Fasanen; des Abends war meist » grand jeu« oder es wurde getanzt.

»Mehrere Damen,« so erzählt Jemand, der eines Tages zum Diner in Grosbois war, »gingen an die Eingänge eines umfriedigten Platzes, um sich von Damhirschen erschrecken zu lassen, welche dort gehalten wurden. Alle Einrichtungen waren nach dem Geschmack der Zeiten, da es noch Prinzen gab: es ist eine Eigenthümlichkeit der Emporkömmlinge, daß sie nie Neurer, sondern stets nur Nachahmer sind; zu Mustern nehmen sie sich meist vornehme Narren, die in ihrem Aeußern recht auffallend sind.«

Graf Dufort de Cheverny erzählt in seinen Memoiren: »Vorgestern kam durch Blois ein verschlossener Wagen; es wollte Jemand durch die Latten sehen, um zu wissen, was in dem Wagen steckte; der Fuhrmann kam seiner Neugierde zuvor und sagte, es wären 6 Damhirsche darin, welche er in der Nähe von Fontainebleau an den Director Barras abzuliefern habe, welcher die Thiere aus Chinon habe kommen lassen, um sie in seinen Park zu setzen!«

Zu solchen Dingen gab es Geld, für die Beköstigung der Armen keins!

Madame Tallien pflegte erst kurz vor dem Frühstück aus ihren Gemächern herabzukommen; sie betrat den Salon nie anders als am Arme Barras'. Oder vielmehr Barras hatte mit einer Ungenirtheit ohne Gleichen, mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen ihre Taille mit seinem Arm umschlungen. Man fand diesen Ausdruck eines gemächlichen Daheims reizend.

»Schöne Athenienserin,« sagte er zu ihr eines Morgens, »wem wünschen Sie, daß ich Sie zuführe?«

Die schönen Glieder wiegend, wendend und windend wie eine schmeichelnde Katze, richtete Theresia einen gar sanften Blick auf ihn, und machte sich mit einem bezaubernden, man möchte sagen nur für ihn bestimmten, discreten Lächeln los und ließ ihn stehen. Sie ging den Salon rings herum, und richtete, im Styl Longueville's, der ihr so wohl stand, ein freundliches Wort an Jeden der Anwesenden. Endlich blieb sie bei Dem stehen, dem sie an diesem Tage eine besondere Höflichkeit zu erweisen für gut hielt. Später trat auch Barras, der inzwischen in vollendet weltmännischer Form seine Gäste bewillkommnet hatte, wieder zu ihr: Theresia sprach bald mit dem Bürger Talleyrand, bald mit dem Bürger – er hat einen so häßlichen Namen, daß man sich genirt, ihn zu nennen – dem Bürger Cochon.

»Wie?« rief Barras, »ein tête-à-tête mit einem Minister, schöne Athenienserin? Möchten Sie ihn verführen? Als eine zweite Aspasia die Regierung Frankreichs übernehmen?«

Er nannte seine Maitresse gern Aspasia, vielleicht kam es ihm so vor, als »schlüpfe er selbst dabei in die Sandalen eines Perikles« – so meint wenigstens die Herzogin von Abrantes.

Nachdem das Begrüßungsformular erledigt war, verfügte man sich in den Eßsaal: es war mittlerweile 11 Uhr geworden. Nach dem Frühstück, das auch häufig im Freien eingenommen wurde, folgte in den schattigen Gängen des Parks ein Spaziergang; war auch dieser beendet, so sammelte sich die ganze Gesellschaft in den Spielsälen.

In Paris wurde damals viel von den erschrecklichen Summen gesprochen, welche in Grosbois aus einer Hand in die andere gehen sollten, und es scheint in der That, als wäre das schöne Schloß zur Zeit Barras' eine Spielhölle gewesen. Es wurde Pharo. Einundzwanzig, Bouillotte u. s. w. gespielt, während des Spieles herrschte ein tiefes Schweigen ringsum, nur die monotonen Stimmen der Croupiers ließen sich vernehmen. Auch »Kreps«, ein Würfelspiel, welches Madame de Châteaurenault, eine der Favoritinnen des Gebieters von Grosbois, eingeführt hatte, fand viel Beifall; in den Billardsälen erholten sich erhitzte Spieler, die Glückspilze umschwärmten die Damen in den Salons und wurden von ihnen gern gesehen, obwohl man behaupten will, daß das Glück im Spiel alles Glück der Liebe absorbire.

Ach! Könnten doch die alten Mauern des Schlosses von Grosbois reden, was für schnurrige Dinge bekämen wir da zu hören. Köstlich muß das Bild gewesen sein: »Barras im Kreise seiner lauschenden Gäste,« wenn er von seinen Abenteuern zu Lande und zu Wasser, von den überstandenen Gefahren erzählte. – Wahrscheinlich dasselbe, was er in seinen Memoiren mittheilt; am Ende hat ihn gar Madame Tallien geliebt »ob der bestandenen Gefahren,« wie Desdemona den Mohr!

Man darf übrigens nicht denken, daß in Grosbois ein unanständiger Ton herrschte, es wurde auf äußere Schicklichkeit streng gehalten. Nur auf den Bällen im Luxembourg ging es etwas unmanierlich bei Herrn Barras her: »es schlangen sich die duftlosen Blüthen des neuen Treibhauses mit dem faulenden Gestrüpp des alten zu einem Kranz zusammen.« Man hat auf allen Bällen dieselbe Erscheinung: auf denen, die Herr Boyer-Fonfrède, wie auf denen, die Herr Vilain XIV in dem kleinen Hause gab, welches er für Mademoiselle d'Hervieux hatte bauen lassen.

Wenn in Grosbois der Ton der guten Gesellschaft auch so leidlich ausrecht erhalten war, in Bezug auf Ehrgefühl existirten keine Vorschriften. Hier ein Ereigniß, dessen Heldin Niemand anders als die gefeierte Maitresse des Herrn Barras war. Barras selbst erzählte es so gern, indem er dazu lachte, daß ihm die Thränen über die Backen liefen.

Der Herr hatte stets Geld nöthig einmal für sich selbst, sodann für seine Maitressen. Da Bonaparte keinerlei Anstalten machte, ihm die 3 Millionen zu schicken, welche er nach den Ereignissen vom Fructidor von demselben verlangt hatte, und da »diese filzigen Geschäftsleute« die Dienste, welche er ihnen erwies, indem er ihnen Lieferungen für die Armee zuschanzte, nicht honorirten ohne gekniffen zu werden, so entschloß er sich, im Einvernehmen mit der Bürgerin Tallien, zu einem »durchaus anständigen Geschäft« würde Brantôme sagen: zu einem »gemeinen Streich« meinte La Reveillère-Lépeaux. Er stellte nämlich dem Lieferanten Ouvrard vor, daß, wenn demselben an einer weiteren Protection seitens der Regierung gelegen sei, er die schöne Madame Tallien zu seiner Maitresse machen und sich so einrichten möchte, daß die Oeffentlichkeit von dem Verhältniß Kenntniß habe. Auch hätte der Herr Lieferant von Pferden, Stiefeln und Uniformen für die Armeen, für Schuhwerk, Kleider und Pferde der viel verbrauchenden Dame aufzukommen; womit und in welchen Werthen er sich von derselben zahlen ließ, sollte seine Sache sein. Der Vertrag hatte dagegen Nichts einzuwenden – Theresia auch nicht. Der Gedanke, der dem Geschäft zu Grunde lag, war freilich weder gut noch schön, aber das Geschäft selbst war gut, die Waare schön. Alle Betheiligten waren zufrieden; der Abschluß des Geschäftes fand in Grosbois statt, und zwar, wie ein Zeitgenosse La Reveillère-Lépeaux: »Mémoires« II, 248. mittheilt, gelegentlich einer großen Jagd.

»Es waren,« so lesen wir, »zahlreiche Einladungen ergangen, die Gäste kamen am Abend an. Ouvrard und die Tallien wurden in neben einander liegenden Gemächern untergebracht. In der Frühe, zum Schall der Jagdhörner, schwang sich Theresia auf eines der Rosse Ouvrard's: Ouvrard reitet neben ihr, zwei Jockeys, der eine in der Livree Ouvrard's, der andere in der der Frau Tallien, folgen. Das Paar, das bald von der übrigen Jagdgesellschaft getrennt wird, verirrt sich. Nach erfolgter Rückkehr fand ein ergiebiger Schmaus statt, während dessen ward der Frau Tallien als der Favoritin des hochnoblen Lieferanten Ouvrard gehuldigt.

Ouvrard war offenbar etwas verwirrt über die ihm aufgenöthigte Rolle und mochte sich sogar etwas lächerlich vorkommen. Nachdem man gehörig den Freuden der Tafel gehuldigt hatte, fuhr man in die Oper. Madame Tallien nimmt in der Equipage Ouvrard's Platz; Ouvrard führt sie in seine Loge – jetzt weiß ganz Paris Bescheid und Paris erzählt sich Wochen lang schnurrige Dinge über das »neue Verhältnis.«

Wer wäre nicht mit dem ehrenhaften La Reveillère empört über eine solche Schmach? Keine der »hohen contrahirenden Parteien,« so würde die Diplomatie sich ausdrücken, – und um einen eminent diplomatischen Act handelte es sich – hatte die geringsten Bedenken. Uebrigens waren derartige Abkommen nichts Neues. Hatte Le Brun, der Dichter, nicht kurz vor der Revolution seine Ehefrau dem Prinzen Conti verkauft?

Wir möchten an ein geistreiches Wort des Prinzen de Signe erinnern, der einmal sagte:

»Es giebt Leute, denen sogar Fehltritte nicht übel stehen, weil sie dabei Grazie entwickeln und Takt zeigen.«

Zu solchen Leuten zählte jedenfalls Madame Tallien, aber wie zu allen Zeiten die Kleinen dulden müssen, wenn die Großen Böses thun, so mußten in diesem Falle unsere armen Soldaten im Felde darben. Dafür, daß ein Lieferant seiner Maitresse zierliche Sandalen aus parfümirtem Leder schenkte, bekamen die Soldaten Stiefel mit Pappsohlen, dafür, daß er ihr schöne Pferde verehrte, bekamen unsere Cavallerie-Regimenter die abscheulichsten Kracken geliefert, dafür, daß das Liebchen des Herrn Lieferanten Sammet und Seide und kostbare Geschmeide trug, froren die Soldaten in allzu eng geschnittenen Mänteln, welche schon nach dem ersten Bivouac in Fetzen gingen. So zeigt sich das Abkommen in seiner ganzen empörenden Verworfenheit – was noch darum und daran hängt, ist ein Wust sich täglich erneuernder Nichtswürdigkeiten.

Ouvrard war übrigens kein Alltagsmensch, das bekundete schon sein Aeußeres: diese lebhaften, stechenden Augen, diese schmalen Lippen, diese spitzige Nase! Ouvrard war voll schlagfertigem Witz, hatte feine Manieren, und verstand es, das Geld mit derselben Nonchalance zum Fenster hinauszuwerfen, mit der er es verdiente. Ouvrard war ein Richelieu im Reich des Mammon, er war von Lastern zerfressen und hatte zugleich hervorragende Eigenschaften, unter diesen ist besonders sein Hang zum Geldausgeben anzuführen, er hat dadurch und durch das Beispiel, welches er gab, sein Möglichstes gethan, um Frankreich von den Nebeln des Geizes und der Kleinlichkeit zu befreien, zwei abscheulichen Fehlern, welche seit 1789 unser Frankreich mit bürgerlicher Versumpfung bedrohen. Es giebt so wenig Leute, welche es verstehen, reich zu sein – Ouvrard verstand es, nachdem er reich zu werden verstanden hatte. Er war kühn, freigebig und prachtliebend. Er liebte ein Leben, verfeinert durch Kunst und Luxus, liebte die Schale mehr als den Kern, was elegant war, liebte er. Keine Freude versagte sich der Mann und deshalb erschien er der Madame Tallien auch als das Ideal eines Liebhabers. Ouvrard versagte sich später sogar nicht den Luxus eines Schwiegersohnes aus dem Faubourg Sr. Germain, eines Vollblutaristokraten, eines zurückgekehrten Emigrirten, eines Grafen und Generals: es war einige Jahre, nachdem seine Maitresse, die eine ähnliche Geschmacksrichtung gezeigt hatte, einem Grafen zum Altar gefolgt war.

Ouvrard und die Tallien waren beide frei von Vorurtheilen, Beide schätzten im Leben die materiellen Freuden über Alles – beide hatten Alles, was Ehre und Pflicht heißt, abgeschüttelt – sie waren einander durchaus würdig.

Hatte sich Barras das schöne Grosbois zugelegt, Ouvrard kaufte sich, nachdem er Theresia erstanden hatte, ebenfalls einen fürstlichen Besitz in der Nähe von Paris; es war das Schloß Raincy: der Herr Armeelieferant wollte daraus sein Marly machen. Dort veranstaltete er alsbald wahre Zauberfeste; von ihnen wurde mehr noch gesprochen als von denen zu Grosbois. Seine Liebenswürdigkeit, seine Freigebigkeit wurden noch mehr gerühmt als seine Feste.

»Eines Tages,« erzählt Herr de Norvins-Monbreton, »sprach ich mich sehr lobend über Ouvrard aus. Einige Damen baten mich, ich möchte ihnen doch den Aufenthalt im Telegraphen-Pavillon, der im Park von Raincy liegt, für einen Tag beim Besitzer erwirken, und ihm die Theilnahme an dem dorthin verlegten Pic-Nic einräumen. Ich that, wie man gewünscht hatte und erhielt die Zusage. Als wir – wir waren zwanzig Personen – mit unseren Provisionen anlangten, fanden wir ein vorzügliches Dejeuner servirt. Der Haushofmeister überreichte mir ein Billet seines Herrn, in welchem derselbe sich entschuldigte, sich beim Frühstück nicht einfinden zu können, er hoffe jedoch, zum Diner das Glück zu haben, die Gesellschaft begrüßen zu können. Allein auch zum Diner erschien Herr Ouvrard nicht und entschuldigte sich abermals. Um 9 Uhr Abends, als wir uns zur Heimfahrt rüsteten, wurde noch Thee, Eis, Sorbet u. s. w. in vorzüglicher Qualität servirt. Die ganze Aufnahme, die wir gefunden hatten, war so reich, so vornehm, wie man es nur denken kann, das Vornehmste aber war die Bescheidenheit, das Zartgefühl unseres Wirthes, der sein Erscheinen nicht für passend gehalten hatte.« De Norvins: »Mémorial.«

So war Ouvrard; man könnte ähnliche Beispiele seiner Feinfühligkeit und seines guten Geschmackes anführen; er war ein opulenter Geldmann und das Geld hatte besonders damals einen blendenden Glanz. Vor ihm strichen die Flagge: Vanberchem und sein Schwager Bazin, Hollinguer, Séguin, Récamier, Tourton und Ravel, Perrgaux, die Brüder Michel, Lecoulteux, Julien und Basterrèche, Hervas, Delessert, d'Etchegoyen, Baquenault, Pourtalès. Hamelin, Gebrüder Enfantin, Barillon, Doyen: die Ueberlegenheit von Ouvrard's Finanzgenie wurde allseitig anerkannt.

Kurze Zeit nachdem die schöne Tallien sein eigen geworden war, gab Ouvrard ihr zu Ehren ein glänzendes Fest in Raincy – die neue Gebieterin empfing die Gäste. Der Architect Berteaux war mit der Veranstaltung und allem Detail der Festlichkeiten betraut worden. Das Frühstück wurde in der Orangerie eingenommen unter Entfaltung eignes wahrhaft orientalischen Pompes. Ein Zeitgenosse sagt darüber Folgendes:

»In der mit Marmor gepflasterten Orangerie stand auf einer Erhöhung, parallel mit einer Reihe von schönen Orangebäumen, die mit dem Duft ihrer Blüthen und Früchte den Raum füllten, die Tafel; in der Mitte der Tafel war ein Marmor-Bassin, gefüllt mit crystallhellem Wasser, auf dessen Grund Goldstaub lag und das von vielfarbigen Fischen belebt war, angebracht. Das Frühstück war lucullisch, der Schmuck der Tafel reizend. In dem an die Orangerie stoßenden Raum wurde der Kaffee servirt. Die Wände desselben waren bekleidet mit frischem Weinlaub, an dem die herrlichsten Trauben hingen. In den vier Ecken sah man vier Bassins von Marmor in Form von Muschelschalen, in denselben sprudelten kleine Quellen von Punsch, Orangenwasser, Limonade u. s. w. Früchte beider Hemisphären, theils natürlich, theils aus Zucker kunstvoll nachgemacht, füllten die prächtigen Porzellanschüsseln und Körbe, das Tafelgeschirr aus Gold und Silber war von großartigem Effect, an Reichthum jeder Phantasie spottend.«

Madame Tallien thronte wie eine Königin inmitten des Volkes ihrer Gäste. Die ganze Finanzwelt von Paris war vertreten, auch vornehme Fremde waren erschienen, die feinere Pariser Gesellschaft aber glänzte durch Abwesenheit. Unter dem dichten Heer von schönen Frauen war die Königin doch die allerschönste!

Eine schmetternde Fanfare von Jagdhörnern lud zur Tafel und später zum Aufbruch. Man begab sich zurück ins Schloß, kleidete sich schnell zur Jagd um und bestieg Pferde oder Wagen und jagte davon. Das Programm des Tages wurde nach Art von Armeebefehlen laut verkündet. Ein Bild voll Lebendigkeit und Lärm, voller Farbenpracht.

Den Heimkehrenden wiesen Hunderte von Fackeln und bunte Laternen den Weg, bald waren alle um reich besetzte Tafeln versammelt.

So lebte und amüsirte man sich damals in den Kreisen der haute finance!


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