Iwan Turgénjew
Aus der Jugendzeit
Iwan Turgénjew

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V.

Nach seiner Rückkehr aus dem Kaukasus erschien er wieder in Moskau und zwar in Tscherkessenuniform, mit aufgenähten Patronenhülsen auf der Brust, mit dem Dolch im Gürtel und der hohen Pelzmütze auf dem Kopfe. Obgleich er vollständig aus dem Militärdienste geschieden war, trug er dieses Kostüm doch bis an sein Lebensende. Wegen fortgesetzter Unpünktlichkeit im Dienste hatte er seinen Abschied erhalten. Von Zeit zu Zeit suchte er mich auf, und zwar mit dem ausgesprochenen Zwecke, sich etwas Geld von mir zu leihen. Zu dieser Zeit begannen für ihn die wirklichen Lasten und Mühseligkeiten auf dem Wege durchs Leben oder, wie er selbst es nannte, »die sieben Simeonstage«. Jetzt begann auch sein zeitweiliges Auftauchen und Verschwinden, jetzt nahm die Fluth schön geschriebener Briefe ihren Anfang, die an alle möglichen Personen adressirt waren, vom Metropoliten bis herunter zu Bereitern, Stallmeistern und Hebammen. Wo er nur irgend konnte, machte er einen Besuch, gleichviel ob er die Leute kannte oder ob sie ihm vollständig fremd waren. Als lobenswerth muß dabei allerdings erwähnt werden, daß er bei solchen Besuchen niemals ein knechtisches, kriechendes Wesen zur Schau trug; just das Gegentheil war der Fall; er trat mit großer Sicherheit auf, blickte Jeden heiter und freundlich an und nur der nun schon unvermeidlich gewordene Branntweingeruch, der ihn überall hin begleitete, sprach gegen ihn, und ebenso die orientalische Uniform, die sich nach und nach in Lumpen verwandelte.

»Geben Sie mir eine Kleinigkeit, wenn ich es auch nicht verdiene. Gott wird es Ihnen schon lohnen,« sagte er mit freimüthigem Lächeln und ehrlichem Erröthen. »Wenn Sie mir nichts geben, so sind Sie ja auch vollständig in Ihrem Recht und ich werde mich auch nicht weiter darum grämen. Ich werde mir auch ohne Ihre Gabe zu helfen wissen. Gott wird mich unterstützen. Es giebt wirklich viele Menschen, die noch weit ärmer sind als ich und dabei auch viel mehr werth, daß ihnen geholfen werde.«

Besonders bei den Frauen hatte Mischa mit seinem Bittgesuch vielen Erfolg, denn er verstand sich darauf, ihr Mitleid wachzurufen. Nur darf man nicht etwa glauben, daß er ein Lovalace war oder sich einbildete, einer zu sein. O nein, in dieser Hinsicht war er wirklich sehr bescheiden. Ob dieses Temperament ein Erbtheil von seinen Eltern war oder ob darin nur aufs Neue sein Bestreben zum Ausdruck kam, Niemandem etwas Unangenehmes zuzufügen, das muß ich unentschieden lassen; nach seiner Ansicht war es nämlich die größte Beleidigung, die man einer Frau zufügen kann, wenn man mit ihr in zu intimen Verkehr sich einließ. Sein Benehmen gegenüber dem weiblichen Geschlecht war höchst zartsinnig und rücksichtsvoll. Die Frauen erkannten dies dankbar an und suchten es ihm durch Mitleid und Unterstützung in jeder Weise zu vergelten, bis er sie endlich durch seine Unthätigkeit, seine Trunksucht, durch sein ganzes verzweifeltes Auftreten, ich kann kein anderes Wort finden, abstieß.

In anderer Beziehung dagegen legte er wieder einen fast unglaublichen Mangel an Anstandsgefühl an den Tag, und so kam er endlich auf der allertiefsten Stufe der Erniedrigung an. Einmal vergaß er sich soweit, daß er im Adelskasino zu T. eine Büchse auf den Tisch stellte und daneben eine Tafel mit folgender Inschrift anbrachte:

»Jeder, den die Lust anwandelt, dem altadligen Poltew – die Dokumente über die Herkunft, die Familie u. s. w. liegen zur Ansicht aus – einen Nasenstüber zu geben, kann diesen seinen Wunsch befriedigen, sobald er vorher einen Rubel in die Büchse geworfen hat.«

Es fanden sich, wie man mich versicherte, eine ganze Anzahl Liebhaber, denen es Spaß machte, dem Edelmann einen Nasenstüber zu versetzen. Allerdings darf ich hierbei nicht verschweigen, daß Mischa einen dieser Liebhaber, der nur einen Rubel in die Büchse legte, sich dann aber erlaubte, Jenem zwei Nasenstüber zu geben, zuerst fast erwürgte und ihn dann zwang, nachdem er endlich losgelassen hatte, ihn um Vergebung zu bitten. Ferner darf man nicht unerwähnt lassen, daß er einen ganzen Theil des auf diese Weise zusammengeschlagenen Geldes an andere arme Teufel vertheilte. Aber deshalb ist die Taktlosigkeit doch nicht geringer zu beurtheilen.

Im Laufe dieser seiner Fahrt »durch die sieben Simeonstage« suchte er auch einmal sein heimatliches Nest auf, welches er für einen Spottpreis an einen damals sehr bekannten Geschäftsmann, einen Wucherer und Güterschlächter verkauft hatte.

Der neue Besitzer war im Hause anwesend und als er die Mittheilung erhielt, daß der ehemalige Gutsherr, der allmälig zum Vagabunden herabgesunken sei, angekommen wäre, gab er strengen Befehl, ihn nicht ins Haus zu lassen und ihn nöthigenfalls sogar mit Gewalt am Eintritt zu hindern.

Mischa erkälte, daß er überhaupt nicht daran denke, über die Schwelle eines Hauses zu schreiten, das schon dadurch entweiht sei, daß ein so ehrloser Schuft es besitze; wenn er aber einen Besuch beabsichtigt hätte, so würde er sich durch kein Verbot und keine Drohung davon abbringen lassen. Er hatte nur die Absicht, den Kirchhof zu betreten und die daselbst befindlichen Gräber seiner Eltern zu besuchen.

Auf den Kirchhof traf er einen alten Leibeigenen, der ihn, als er noch ein Kind war, gewartet hatte.

Der Wucherer, der jetzige Gutsbesitzer, hatte den alten Mann von seinem kleinen Gehöfte gejagt, ihm auch jede Unterstützung an Korn, Fischen u.s.w., die er bisher erhalten, entzogen und ihn darauf angewiesen, im Stall eines benachbarten Bauern zu nächtigen. Mischa hatte die Rolle als Gutsherr nur kurze Zeit gespielt; es war ihm deshalb auch nicht gelungen, bei den Dorf- und Hofleuten ein tieferes Gefühl der Dankbarkeit für ihn zu begründen. Dennoch aber konnte der alte Diener es nicht über sich gewinnen, fernzubleiben; kaum hatte er von der Ankunft seines ehemaligen Herrn gehört, als er auch schon auf den Kirchhof lief. Hier fand er Mischa auf der bloßen Erde zwischen den Grabsteinen sitzen; sofort bat er um die Erlaubniß, ihm die Hand küssen zu dürfen, und dem alten Mann traten die Thänen in die Augen, als er sehen mußte, daß der einst so sorgfältig gepflegte Körper seines Wartekindes kaum noch von den nothdürftigsten Lumpen umhüllt wurde.

Mischa sah den alten Diener lange an, ohne ein Wort zu sprechen.

»Timothej!« sagte er endlich.

Timothej erzitterte am ganzen Körper.

»Was befehlen Sie, gnädiger Herr?«

»Hast Du eine Schaufel, einen Spaten?«

»Ich kann ihn herbeiholen. Aber was wünschen Sie mit einem Spaten zu beginnen, Herr Michael Andrejewitsch?«

»Ich will mir hier ein Grab graben, Timothej, und mich für alle Ewigkeit hier zwischen den Gräbern meiner Eltern zur Ruhe legen; auf der ganzen großen Welt ist ja nichts als dies einzige Plätzchen mein Eigenthum geblieben. Bringe mir also den Spaten.«

»Sofort!« sagte Timothej und entfernte sich.

Bald kehrte er mit dem verlangten Gegenstande zurück und Mischa begann nun zu graben. Timothej stand daneben, hielt sich das Kinn mit der einen Hand und wiederholte immer aufs Neue:

»So ist's, gnädiger Herr, so ist's! Dir und mir, uns Beiden ist wirklich nichts geblieben, als dieses Fleckchen Erde hier.«

Mischa grub unverdrossen und warf nur von Zeit zu Zeit die Bemerkung ein:

»Es lohnt sich ja überhaupt nicht zu leben. Meinst Du nicht auch, Timothej?«

»Nein, es lohnt sich wirklich nicht. Väterchen,« lautete jedesmal die Antwort.

Die Grube war mittlerweile schon ziemlich tief geworden. Einige Bauern sahen der Arbeit zu, liefen dann zu dem jetzigen Gutsherrn, dem Geschäftsmann und Wucherer, und theilten ihm mit, was Mischa beginne. Zuerst wurde der Gutsbesitzer wüthend und wollte zur Polizei schicken. »Das ist ja die reine Profanation!« schrie er einmal über das Andere. Dann aber überlegte er es sich und kam dabei wohl zum Bewußtsein, daß es nicht gerathen sei, mit dem launenhaften Menschen anzubinden und daß er Alles vermeiden müsse, was etwa einen Skandal hervorrufen könne. So beschloß er denn, in eigener Person auf den Kirchhof zu gehen; das that er denn auch und als er dort Mischa traf, der sich noch immer im Schweiße seines Angesichts abmühte das Grab zu vollenden, verneigte er sich sehr tief vor ihm. Mischa aber fuhr fort zu graben, als habe er das Erscheinen seines Nachfolgers im Gutshofe gar nicht bemerkt.

»Michael Andrejewitsch, würden Sie mir erlauben zu fragen, was Sie da eigentlich machen?«

»Wie Sie sehen, grabe ich mein Grab.«

»Weshalb?«

»Weil ich nicht Lust habe, noch länger zu leben.«

Ganz erstaunt ob dieser Antwort hob der Fragesteller beide Hände empor.

»Sie wünschen nicht länger zu leben?«

Mischa warf ihm einen drohenden Blick zu.

»Darüber können Sie noch in Erstaunen gerathen? Sie wissen doch sehr gut, daß Sie die Ursache meines Kummers sind. Jawohl, Sie! Jawohl, Du! Du Judas, Du hast es Dir zu Nutze gemacht, daß ich noch jung und unerfahren war! Du hast es benutzt, um mich auszuplündern, um mich zu berauben! Und jetzt schindest Du Deine Bauern, daß es einen Stein erbarmen könnte! Hast Du diesem hinfälligen, siechen Greise nicht sein tägliches Brod geraubt? Jawohl, Du hast es gethan! O Gott im großen Himmel! Ueberall Ungerechtigkeit! Nirgends etwas Anderes als Unterdrückung und Frevelthat! Da mag denn Alles zu Grunde gehen, Alles und ich dazu! Ich will nicht länger leben, ich mag nicht länger in diesem Rußland leben!«

Und noch kräftiger und schneller als zuvor arbeitete Mischa mit dem Grabscheit.

»Zum Teufel auch,« dachte der Gutsherr; »was soll denn das bedeuten? Es scheint wirklich, als wolle er sich ein Grab machen und sich dann gleich hineinlegen. Michael Andrejewitsch,« fuhr er dann laut fort, »ich muß Sie doch um Entschuldigung bitten. Hören Sie mich nur an, es waltet hier ein Mißverständniß vor.« Mischa grub. »Aber wozu diese Verzweiflung?« Mischa grub ruhig weiter und warf die ausgehobene Erde dem Gutsherrn auf die Füße. »Da, Du Landverschlinger!« schrie er dabei; »nimm es und friß es auf!«

»Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie im Unrecht sind. Sie sollten lieber in meine Wohnung kommen, sollten dort etwas genießen und ein Wenig ausruhen.«

Mischa erhob den Kopf.

»Sieh einmal, jetzt singst Du in einer ganz anderen Tonart. Wie ist's darum? Giebt's bei Dir auch etwas zu trinken?«

»Ganz gewiß! Weshalb nicht?« erwiderte der Gutsherr, sehr erfreut, daß die Sache eine für ihn so günstige Wendung nahm.

»Ladest Du auch den alten Timothej ein?«

»Freilich, auch ihn.«

Mischa dachte einen Augenblick nach.

»Das sage ich Dir von vornherein: Du weißt, daß Du mich ausgeplündert hast und daß Du Schuld an meiner jetzigen Lage bist, bilde Dir also nicht etwa ein, daß Du die Sache mit einer einzigen Flasche todt machen könntest.«

»Seien Sie unbesorgt! Es ist von Allem so viel da, als Ihr Herz begehrt.«

Mischa richtete sich ganz empor und warf den Spaten zur Seite. »Nun, mein lieber Timothej,« wandte er sich an seinen alten Wärter, »so wollen wir denn dem Hausherrn die Ehre erweisen. Gehen wir!«

»Sehr gern,« antwortete der Alte.

So begaben sich die Drei ins Herrenhaus.

Der durchtriebene Gutsbesitzer wußte ganz genau, wie er sich zu verhalten habe. Mischa begann allerdings damit, daß er sich von Jenem das Ehrenwort geben ließ, er wolle seinen Bauern in Zukunft alle möglichen Erleichterungen zu Theil werden lassen, aber schon eine Stunde später tanzte Mischa mit Timothej, Beide vollständig betrunken, Galopp in demselben Zimmer, in welchem, wie man meinen konnte, noch der Geist von Andrej Nikolajewitsch Poltew, Mischa's Vater, umging; wieder eine Stunde später lag Mischa, der trotz seines vielen Trinkens doch nicht viel Branntwein vertragen konnte und deshalb schon eingeschlafen war, auf einem Wagen. Seine Mütze hatte man ihm auf den Kopf gesetzt, seinen Dolch neben ihm gelegt, und so wurde er nach der etwa fünfundzwanzig Werst entfernten Nachbarstadt gefahren. Dort legte man ihn an einem Zaun nieder, wo er sich bei seinem Erwachen zum größten Erstaunen wiederfand. Timothej, der noch nicht eingeschlummert war, sondern immer noch versuchte für sich allein Galopp zu tanzen, wurde einfach aus dem Hause geworfen. Was man mit dem Herrn zu thun beabsichtigt hatte, konnte somit wenigstens beim Diener ausgeführt werden.


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