Iwan Turgénjew
Aus der Jugendzeit
Iwan Turgénjew

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IV.

Ich erfuhr über ihn so Manches, wie ich es selbst von ihm, dem ich doch ziemlich viel zutraute, nicht erwartet hatte. Daß er sich mit Bezug auf den Dienst als mittelmäßiger oder, um es gerade heraus zu sagen, als absolut schlechter Soldat gezeigt hatte, wunderte mich nicht im Geringsten; was mich aber wirklich in Erstaunen versetzte, war die Thatsache, daß man ihm nicht einmal nachsagen konnte, er besäße persönliche Tapferkeit; während der Schlachten machte er den Eindruck eines matten, zu Thaten unlustigen Mannes, der von Sorgen gequält ist, Die ganze militärische Disziplin verstimmte ihn und war ihm lästig. Wenn es sich um ihn persönlich handelte, konnte er bis zum Wahnwitz kühn sein; er wies keine Wette zurück, sie mochte so unsinnig sein, wie sie wollte, aber Andern ein Leid zufügen, sich zu schlagen, Jemanden zu tödten, dazu war er nun einmal nicht im Stande, sei es, weil sein Herz von Natur zu sanft und gut war, sei es, daß die »baumwollene« Erziehung, die er, wie er sich ausdrückte, in seiner Jugend empfangen hatte, ihn daran verhinderte. Zu jeder Zeit und auf jede nur denkbare Art und Weise war er bereit sich selbst zu zerstören; aber Andern einen Schaden zufügen – nein!

»Der Teufel selbst kann aus diesem Menschen nicht klug werden,« sagten die Kameraden, wenn sie von ihm sprachen. »Er ist eigentlich schlaff, wie ein Waschlappen, aber zu andern Zeiten geberdet er sich wie ein Mensch ohne Sinn und Verstand, oder wie ein Verzweifelter.«

Später nahm ich einmal die Gelegenheit wahr Mischa zu fragen, welcher böse Geist ihn treibe, so maßlos zu trinken, sein Leben ohne rechte Ursache aufs Spiel zu setzen und tausend ähnliche tolle Streiche zu begehen. Und er hatte immer nur eine und dieselbe Antwort: »Es ist der Gram.«

»Gram? Worüber grämst Du Dich denn?«

»Worüber? Nun das liegt doch auf der Hand. Man hält Einkehr bei sich, man besinnt sich auf sich selbst, man denkt an all das Elend, an all die Ungerechtigkeit, die in Rußland herrscht, da kommt der Gram schon von selbst. Man grämt sich, daß man sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf schießen möchte. Man fängt an, teufelmäßig liederlich zu leben, und kann doch eigentlich selbst nicht dafür.«

»Was kann Dich denn aber der Zustand in ganz Rußland kümmern?«

»Weshalb soll ich mir darüber denn keine Sorge machen? Aber das muß ich allerdings sagen: Ich fürchte mich fast schon, daran auch nur zu denken.«

»Ich will es Dir besser sagen, was an Deinem Gram schuld ist: Deine eigene Unthätigkeit.«

»Aber was soll ich denn eigentlich thun, bestes Onkelchen? Ich verstehe ja nichts. Sein ganzes Leben auf eine einzige Karte setzen, daß es im Handumdrehen heißt, man hat Alles gewonnen oder Alles verloren, das verstehe ich. Und trinken, trinken, immer noch mehr trinken, das verstehe ich ebenfalls. Zeigen Sie mir doch einmal etwas, was ich thun soll und wofür ich mein Leben einsetzen soll. Sofort thue ich es! Nicht einen Augenblick zögere ich!«

»Weshalb denn immer gleich das Leben einsetzen? Begnüge Dich doch damit, einfach und schlicht zu leben, wie andere Menschenkinder.«

»Das kann ich nun einmal nicht. Sie machen mir den Vorwurf, daß ich ohne Ueberlegung handele. Aber wie soll ich denn anders thun! Beginne ich erst, überhaupt einmal nachzudenken, Herrgott, was geht mir dann Alles durch den Kopf! Das Ueberlegen eignet sich auch gar nicht für uns Russen. Das ist etwas für die Deutschen!«

Was sollte man solchen Einwendungen entgegenhalten? Was konnte man mit Aussicht auf Wirkung bei ihm vorbringen? Er war eben ein Verzweifelter, und damit ist Alles gesagt.

Ich habe vorhin erwähnt, daß über sein Leben im Kaukasus eine große Zahl Geschichten im Umlauf waren; ich will Ihnen einige davon zum Besten geben.

Eines Tages prahlte Mischa in der Gesellschaft von Offizieren mit einem echten tscherkessischen Säbel, den er gegen irgend etwas Anderes eingetauscht hatte.

»Es ist eine echte persische Klinge,« behauptete er.

Einige Offiziere bezweifelten die Echtheit und Mischa gerieth bei der Verteidigung seiner Ansicht immer mehr in Eifer.

»Wissen Sie,« rief er endlich, »was Säbelklingen anbetrifft, erklärt man im allgemeinen den einäugigen Abdul für den größten Kenner und Sachverständigen. Ich werde ihn einfach aufsuchen und ihn um seine Ansicht befragen.«

»Welchen Abdul?« riefen die Offiziere, aufs Höchste überrascht. »Etwa Abdul-Khan, der in den Bergen haust? der mit uns auf Kriegsfuß steht?«

»Denselben.«

»Nun, er wird Dich für einen Spion halten, wird Dich festnehmen und wenn er Dich nicht in strengem Gewahrsam hält, so schlägt er Dir mit Deinem eigenen Säbel den Kopf ab. Wie willst Du denn überhaupt zu ihm gelangen? Bevor Du noch zu ihm vordringst, bist Du schon gefangen und weggeführt.«

»Ihr könnt reden, was Ihr wollt, ich gehe dennoch zu ihm.«

»Ich wette, daß Du nicht gehst.«

»Ich halte jede Wette.«

Ohne sich im Geringsten stören oder aufhalten zu lassen, sattelte Mischa sein Pferd und machte sich auf den Weg.

Drei Tage vergingen. Alle glaubten mit Bestimmtheit, daß der tollkühne Mensch sein Ende gefunden habe. Da aber kehrte er zurück und zwar in furchtbar betrunkenem Zustande und mit einem andern Säbel als demjenigen, wegen dessen er ausgeritten war. Man bestürmte ihn mit Fragen.

»Es ist Alles sehr hübsch und einfach gegangen,« berichtete Mischa; »dieser Abdul-Khan ist wirklich ein sehr netter Kerl. Zuerst ließ er mir allerdings Fesseln an die Füße legen und alle Anstalten treffen, um mich auf einen Pfahl zu spießen. Ich erklärte ihm nun aber in aller Ruhe, weshalb ich gekommen sei und zeigte ihm dabei meinen Säbel. ›Es lohnt wirklich nicht der Mühe, mich gefangen zu nehmen, denn Lösegeld wird für mich doch von keiner Seite gezahlt. Verwandte habe ich nicht und ein Fremder wendet auch nicht einen einzigen Kopeken daran, mein Leben von Dir zu erkaufen.‹

»Abdul-Khan schien sehr verwundert zu sein; er betrachtete mich aufmerksam mit dem einen Auge, das er noch sein eigen nennt. Dann sagte er: ›Russe, Du scheinst mir ein durchtriebener Schelm zu sein; darf man Dir trauen?‹ – ›Du kannst mir trauen,‹ antwortete ich; ›ich lüge niemals.‹ (Das war der Fall; Mischa hat wirklich nie in seinem Leben gelogen). »Abdul sah mich von Neuem aufmerksam an. Dann fragte er: ›Kannst Du Wein trinken?‹ – ›Gewiß‹ antwortete ich; ›ich trinke, soviel Du nur irgend willst, Wein, Branntwein mir ist es gleich.‹ Abdul-Khan schien aus seinem Staunen gar nicht mehr herauszukommen und rief den Namen Allahs an. Darauf befahl er seiner Tochter – mir wenigstens kam es so vor, als sei das Mädchen seine Tochter; es war übrigens ein sehr niedliches Geschöpfchen, aber Augen hatte es gerade wie ein Schakal – er befahl also seiner Tochter, mir einen Schlauch voll Wein zu bringen, und nun machte ich mich darüber her und zeigte, was ich in dieser Beziehung zu leisten im Stande sei.

»›Dein Säbel,‹ sagte Abdul dann zu mir, ›ist nicht echt; nimm hier diese Klinge, sie ist eine wahrhaft echte. Und nun wollen wir leben als Gastfreunde und Brüder.‹ So blieb ich einen Tag bei Abdul-Khan. Sie sehen, meine Herren, daß Sie Ihre Wette verloren haben; nun zahlen Sie also.«

Eine zweite Geschichte. Mischa huldigte dem Kartenspiel mit großer Leidenschaft. Aber da er niemals im Besitze von baarem Geld und im Bezahlen seiner Spielschulden auch nichts weniger als pünktlich war, so mochte Niemand mehr mit ihm spielen. Eines Tages nun bestürmte er einen seiner Kameraden mit den dringendsten Bitten.

»Spiele doch mit mir! Thue mir doch den Gefallen, mach' mit mir ein Spielchen.«

»Aber wenn Du verlierst, bezahlst Du ja doch nicht.«

»Geld habe ich allerdings nicht, aber wenn ich verliere, will ich mir eine Kugel durch die linke Hand schießen, mit dieser Pistole hier.«

»Welchen Vortheil hätte ich davon?«

»Einen Vortheil allerdings nicht, aber die Sache ist doch immerhin interessant.«

Dieses Gespräch fand nach einer kleinen Kneiperei statt und hatte einige Zeugen. Der verrückte Vorschlag Mischa's mochte dem Offizier vielleicht wirklich besonders interessant erscheinen, genug, er willigte darein. Es wurden Karten herbeigebracht und das Spiel begann. Mischa hatte Glück und gewann hundert Rubel.

Plötzlich schlug sich sein Gegner mit der Hand vor die Stirne.

»Welch ein Dummkopf bin ich doch!« rief er dabei. »Es war sicherlich nur eine plumpe Falle, und doch bin ich hineingegangen. Wenn Du verloren hättest, so hättest Du Dir ja doch nicht durch die Hand geschossen. Du hättest Dich jedenfalls gehütet.«

»Meinst Du?« erwiderte Mischa. »Nun, ich habe zwar gewonnen, aber Du sollst es nun doch mit Deinen eigenen Augen sehen.«

Er ergriff die Pistole und – paff! – schoß er sich durch die linke Hand. Die Kugel durchbohrte die Hand auf beiden Seiten. Nach Verlauf von acht Tagen war die Wunde übrigens wieder geheilt, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen.

Wieder ein anderes Mal ritt Mischa zur Nachtzeit mit seinen Kameraden auf einem schmalen Pfade dahin; neben diesem Wege gähnte der Schlund eines finsteren Abgrundes, von dem man den Boden nicht sehen konnte.

»Nun,« meinte einer der Offiziere, »so tollkühn unser Mischa auch sein möge, in diesen Abgrund hinabzuspringen, wird er doch hübsch bleiben lassen.«

»So? Ich werde dennoch hineinspringen!«

»Das wirst Du nicht thun. Dieser Abgrund hat eine Tiefe von mindestens sechzig Fuß, und bei einem Sprunge dort hinunter kann man nicht nur Arme und Beine, sondern auch den Hals brechen.«

Der Freund wußte ganz genau, an welcher schwachen Stelle man Jenen packen mußte: bei seiner Eitelkeit. Diese war bei Mischa in unglaublich hohem Grade entwickelt:

»Ich sage, ich springe hinab, also werde ich springen. Wollen wir wetten? Zehn Rubel?«

»Gut, es gilt.«

Kaum hatte der Offizier dies gesprochen, als Mischa sich auch schon aus dem Sattel geschwungen hat und nun in die Schlucht hinunter. Man hörte ihn über das Gestein dahinkollern. Alle Anwesenden waren vor jähem Schreck wie erstarrt; eine Minute verrann – da hörte man Mischa's Stimme und sie klang so dumpf, als dringe sie aus dem Schooße der Erde hervor:

»Ich bin unverletzt! Ich fiel in den Sand! Es hat aber eine ganze Zeit lang gedauert, bis ich hier unten ankam. Jetzt schuldet Ihr mir zehn Rubel!«

»Komm wieder herauf!« riefen die Kameraden.

»Ja, komm herauf,« erwiderte Mischa. »Das ist leicht gesagt. Hol mich der Teufel, wenn ich weiß, wie ich hier herauskommen soll. Jetzt holt vor allen Dingen Laternen und Stricke. Damit mir aber in der Zwischenzeit das Warten nicht zu langweilig wird, kann mir Einer von Euch seine Feldflasche hinunterwerfen.«

Fast fünf Stunden mußte Mischa auf dem Grunde der Schlucht zubringen, und als man ihn endlich heraufzog, stellte es sich heraus, daß der eine Arm vollständig ausgerenkt war. Das machte ihm aber nicht die geringste Sorge. Am nächsten Tage renkte ihm ein Kurschmied, der sich auch ein Bischen auf das Menschenkuriren verstand, die Schulter wieder ein, und Jener konnte seinen Arm wieder gebrauchen, als ob gar nichts passirt wäre.

Seine Gesundheit war überhaupt von einer unglaublichen, man man möchte fast sagen: unerhörten Widerstandskraft. Ich habe schon erwähnt, daß sein Gesicht bis zum Tode eine rosige, beinahe kindliche Frische bewahrte. Trotz seiner Unmäßigkeit und seines unregelmäßigen Lebenswandels wurde er doch niemals von einer Krankheit heimgesucht. In Fällen, bei welchen ein Anderer gestorben, zum Mindesten aber gefährlich erkrankt wäre, schüttelte er sich einfach, wie eine Ente, die aus dem Wasser steigt; dann war alles Ungemach vergessen und er blühte herrlicher auf, als je zuvor.

Einmal, es war auch während seines Aufenthaltes im Kaukasus – ich schicke gleich voran, daß ich selbst diese Geschichte für unglaublich halte, aber man erzählte sie doch allgemein und sie kann zugleich als Beweis dafür gelten, wessen man Mischa für fähig hielt – einmal stürzte er also, als er sich wieder toll und voll getrunken hatte, mit dem Leib und den Beinen in einm Fluß, so daß nur der Kopf und die Arme über der Oberfläche des Wassers blieben. Es geschah das im strengen Winter; in der Nacht fror es und als man ihn am nächsten Morgen gewahrte, konnte man seine Beine und seinen Leib nicht mehr sehen, es hatte sich nämlich eine ziemlich dichte Eisschicht um seinen Körper gebildet. Man denke nur – nicht einmal einen Schnupfen hat er sich bei diesem Abenteuer zugezogen.

Ein anderes Mal – dieses trug sich aber nicht mehr im Kaukasus zu, sondern in Rußland, in der Nähe von Orel und ebenfalls im strengen Winter – mein Mischa befand sich also ein anderes Mal in einer außerhalb der Stadt gelegenen Schenke und zwar in Gesellschaft von sieben Gymnasiasten. Diese jungen Leute feierten ihr Abiturientenexamen und luden meinen Neffen als liebenswürdigen Menschen – oder, wie man damals zu sagen pflegte: einen »Seufzer-Menschen« – ein, an ihrer Feier theilzunehmen. Es wurde unmäßig viel getrunken und als sich die lustige Gesellschaft zum Aufbruch rüstete, war Mischa wieder total betrunken und befand sich in vollkommen bewußtlosem Zustande. Die Gymnasiasten hatten nur einen einzigen dreispännigen Schlitten mit ziemlich hohem Hintertheile. Nun war guter Rath theuer, wo man den Körper des Bezechten lassen sollte. Einer der jungen Leute schlug nun, wahrscheinlich inspirirt von Erinnerungen an seine klassischen Studien, vor, Mischa mit den Füßen an den Hintertheil des Schlittens zu binden, etwa wie Hektor an den Wagen des sieghaften Achilles gebunden war. Mit großem Beifall wurde der Vorschlag angenommen, und die Füße nach oben gerichtet, den Kopf im Schnee schleifend, an manchen Stellen tüchtig auf den Erdboden aufschlagend, bald nach links, bald nach rechts geworfen, während der ganzen Fahrt auf dem Rücken liegend; so legte Mischa die ganze etwa zwei Werst betragende Strecke zurück, und er bekam nicht einmal einen Husten nach dieser Affaire. Es war, als wäre absolut nichts passirt. Danach mag man beurtheilen, mit welcher schier unverwüstlichen Konstitution ihn die Natur ausgestattet hatte.


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