Iwan Turgénjew
Aus der Jugendzeit
Iwan Turgénjew

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II.

Ich kann mich Mischa's noch erinnern, als er dreizehn Jahre alt war. Damals war er ein hübscher Junge mit rosigen Wangen und weichen Lippen – wie er denn überhaupt weich und voll in seiner körperlichen Anlage war – und feucht schimmernden Augen, sorgfältig gekämmt und gekleidet, bescheiden und freundlich, fast wie ein Mädchen. Nur eines mißfiel mir an ihm: Er lachte selten, und wenn er einmal lachte, so standen seine großen, weißen, wie bei einem Raubthier spitzigen Zähne unangenehm vor; sein Lachen klang gellend, roh, beinahe thierisch, und dabei funkelte es so böse und unheimlich in seinen Augen.

Die Mutter lobte ihn fortwährend, weil er so ungemein folgsam und bescheiden sei, niemals an der Gesellschaft loser Knaben Gefallen fände und sich weit lieber in derjenigen von Frauen aufhalte.

»Der Junge ist verweichlicht, ein richtiges Muttersöhnchen,« sagte der Vater von ihm. »Aber er geht gern in die Kirche und das macht mir Freude.«

Ein Nachbar, ein alter, sehr vernünftiger Mann, der früher Friedensrichter im Distrikt gewesen war, sagte mir einmal, als wir von Mischa sprachen, mit Bezug auf diesen: »Passen Sie auf, das wird noch einmal ein Revolutionär!«

Diese Prophezeiung setzte mich, wie ich mich erinnere, damals sehr in Erstaunen. Allerdings muß ich hinzufügen, daß der Friedensrichter a. D. sehr leicht geneigt war, in einem etwas ungewöhnlich angelegten Menschen gleich einen Revolutionär zu erblicken.

Ein solcher Musterknabe blieb Mischa bis zu seinem achtzehnten Jahre, bis zu dem Zeitpunkte, als seine Eltern starben, die übrigens Beide an einem und demselben Tage aus dem Leben schieden. Da ich beständig in Moskau meinen Aufenthalt hatte, erhielt ich über das Leben und Treiben meines jungen Verwandten keine zuverlässigen Mittheilungen. Ein Herr, der aus jenem Gouvernement stammte und mit dem ich zufällig in Moskau zusammentraf, erzählte mir zwar, daß Mischa sein Stammgut für einen Spottpreis verkauft habe, das erschien mir aber so unwahrscheinlich, daß ich an der Richtigkeit der Nachricht zweifelte. Da jagt eines schönen Morgens, es war im Herbst, eine mit zwei herrlichen Trabern bespannte Kalesche, auf deren Bock ein ungeheuerlich aussehender Kutscher sich breit machte, auf den Hof meines Hauses, hält vor der Eingangsthüre still, und in dieser Kalesche sitzt, gehüllt in einen Offiziersmantel mit riesengroßem Pelzkragen und die Militärmütze so recht verwegen auf einem Ohre tragend – Mischa! Wirklich, mein lieber Verwandter Mischa war angekommen!

Als er mich erblickte (ich stand an einem Fenster des Salons und blickte erstaunt auf die Equipage, die so plötzlich bei mir vorfuhr), wollte er sich ausschütten vor Lachen; sein Lachen war noch immer so gellend und unangenehm scharf, wie früher. Dann warf er mit einer schnellen Bewegung den Mantel ab, sprang aus dem Wagen und trat in mein Haus.

»Mischa! Michael Andrejewitsch!« begrüßte ich ihn. »Sind Sie es denn wirklich?«

»Sagen Sie doch 'Du' zu mir und nennen Sie mich einfach Mischa,« unterbrach er mich. »Ich bin's übrigens, bin's in eigener Person und ganz leibhaftig. Ich bin hierher nach Moskau gekommen, um mir die Leute ein Bischen anzusehen und mich selbst ansehen zu lassen. Natürlich wollte ich doch auch Sie begrüßen! Wie finden Sie meine Traber? He?«

Wieder lachte er laut.

Obgleich fast sieben Jahre verflossen waren, seitdem ich Mischa zum letzten Male gesehen, hatte ich ihn doch sofort wiedererkannt. Sein Gesicht hatte das jugendliche Aussehen bewahrt und es war auch noch ebenso rosig wie früher; von einem Schnurrbart war noch nicht die leiseste Spur wahrzunehmen. Die Wangen sahen jedoch etwas aufgedunsen aus und sein Athem duftete entsetzlich nach Branntwein.

»Bist Du denn schon lange in Moskau?« fragte ich. »Ich glaubte Dich ruhig bei der Bewirthschaftung Deines Gutes.«

»Meines Gutes? Ach, wie lange habe ich das schon verkauft! Kaum waren meine Eltern – Gott schenke ihnen die ewige Seligkeit – gestorben« (Mischa bekreuzte sich bei diesen Worten aufrichtig und ohne das geringste Zeichen von Spott), »da ging's wie der Blitz! Eins zwei drei – ich war es los! Ich habe es sicherlich zu billig fortgegeben! Es war ein Schurkenstreich, ich bin beim Verkauf einer richtigen Canaille in die Hände gefallen. Aber gleichviel! Was thut's? Ich lebe nun doch wenigstens zu meinem Vergnügen und ich unterhalte auch Andere. Aber weshalb sehen Sie mich so sonderbar, so erstaunt an? Glauben Sie, ich hätte mich darin finden können, Zeit meines Lebens auf der Ackerscholle zu sitzen? Wie ist es denn übrigens, theuerstes Onkelchen, bietest Du mir nicht ein Gläschen an?«

Mischa sprach äußerst schnell, eintönig und gewissermaßen wie ein schlaftrunkener Mensch.

»Mischa!« schrie ich laut auf. »Besinne Dich doch! Fürchtest Du denn Gott gar nicht mehr? Sieh Dich doch nur einmal an! In welchem Zustande bist Du? Und Du willst jetzt noch ein Gläschen von mir haben? Ein so schönes Gut, wie es das Deinige gewesen, für ein Nichts, für ein Butterbrod fortgeben!«

»Den lieben Gott,« erwiderte Jener, »fürchte ich wohl, und ich' denke auch immer an ihn; Gott ist sehr gut und deshalb wird er mir auch verzeihen. Ich aber bin ein guter Mensch; ich habe noch niemals in meinem Leben Jemanden etwas zu Leide gethan. Das Gläschen – nun, solch ein Gläschen ist auch sehr gut und kränkt Niemandem. In welchem Zustande ich bin, fragen Sie? Ich sollte doch meinen, in einem ganz achtbaren Zustand. Wenn Sie wollen, Onkelchen, gehe ich hier auf der Dielenspalte entlang oder tanze Ihnen so steif wie eine Latte etwas vor, blos um Ihnen zu zeigen, daß ich vollkommen nüchtern bin.«

»Lasse mich zufrieden. Das könnte ein netter Tanz werden. Setze Dich lieber ganz ruhig hierher!«

»Setzen? Nun meinetwegen! Aber weshalb sagen Sie mir kein Wort über meine Gäule? Sehen Sie die Thiere nur einmal genau an, sie sehen wie Löwen aus. Vorläufig habe ich sie nur gemiethet, ich ruhe aber nicht eher, als bis ich sie gekauft habe, und den Kutscher auch, der gehört dazu. Es ist doch ungleich vortheilhafter, mit eigenem Gespann zu fahren. Ich hatte mir das Geld zum Ankauf auch schon zurechtgelegt, bin es aber gestern im Pharaospiele losgeworden. Na, thut nichts! Morgen werden wir es uns schon wieder zurückholen. Aber nun, Onkelchen, wie ist es denn wirklich mit einem Gläschen?«

Ich konnte mich von meinem Staunen und Schrecken noch immer nicht erholen.

»Mischa, ich bitte Dich, bedenke doch, wie alt Du bist! Du solltest Dich weder um Pferde, noch um das Kartenspiel kümmern, sondern Du solltest zur Universität gehen und studiren oder in den Staatsdienst eintreten.«

Mischa fing erst wieder zu lachen an; dann pfiff er in langsamem Tempo eine Melodie.

«Ich sehe schon, Onkelchen, daß Sie in diesem Augenblicke in etwas mißmüthiger Stimmung sind. Ich werde also ein anderes Mal wiederkommen. Aber halt! wissen Sie, kommen Sie doch heute Abend zum ›Sokolniki‹.Ein öffentlicher Park bei Moskau. Dort habe ich nämlich mein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort singen die Zigeuner; ich sage Ihnen, es ist eine Lust! Schön, zum Verrücktwerden schön! Ueber meiner Bude hängt eine Fahne und auf die Fahne habe ich mit großen Buchstaben malen lassen: Poltews Zigeunerchor. Die Fahne dreht und wendet sich wie eine Schlange, und die Buchstaben sind von Gold. Wer das ansieht, muß seine helle Freude daran haben. Jedermann ist geladen, Jeder willkommen, Niemand wird zurückgewiesen. Ich sage Dir: das macht ein Aufsehen in Moskau; so etwas ist noch nicht dagewesen. Alle Welt spricht davon. Nun, wie ist's? Werden Sie kommen? Besonders eine von den Zigeunerinnen, die reine Natter! Schwarz ist sie wie ein Paar Stiefel und böse wie ein Kettenhund, aber Augen hat sie! Augen! Wie glühende Kohlen! Man weiß nicht genau, will sie Einen im nächsten Augenblick beißen oder küssen? Nun, Sie werden doch kommen, Onkelchen, nicht wahr? Also auf Wiedersehen!«

Er umarmte mich stürmisch, gab mir einen schallenden Kuß auf die Schulter, sprang in den Hof hinunter, stieg in die Kalesche, schwenkte mit einem lauten Schrei die Mütze über dem Kopfe; der ungeheuerlich aussehende Kutscher blickte seitwärts über den Bart zu ihm hinüber, zog dann die Zügel an – Alles war verschwunden!

Am andern Tage – ich weiß kaum selbst zu sagen, aus welchem Grunde es geschah, genug, ich that es – am andern Tage ging ich zum »Sokolniki«. Ich sah dort in der That die Bude, die Fahne und die Aufschrift. Die Dielen der Bude waren etwas erhöht angebracht und von dorther ertönte wildes Schreien, Kreischen und Johlen. Eine große Volksmenge drängte sich um das Zelt und in seinem Innern. Auf den Dielen war ein Teppich ausgebreitet; hier saßen männliche und weibliche Zigeuner. Sie sangen und schlugen das Tambourin, und mitten unter ihnen, eine Guitarre in den Händen haltend, mit rothseidenem Hemd und sammetnen, faltigen Hosen bekleidet, drehte sich Mischa wie ein Kreisel herum und schrie dazu mit heiserer Stimme: »Immer herein! meine Herrschaften! Immer herein! Treten Sie näher. Die Vorstellung wird sofort beginnen! Heda, Champagner her! Lasset die Pfropfen springen! Bis an die Decke müssen sie springen! Vorwärts doch – Hurrah!«

Glücklicherweise bemerkte er mich nicht und so gelang es mir, mich schnell wieder zu entfernen.

Ich will Ihnen, meine Herren, nun nicht des Langen und des Breiten mein Erstaunen über die Veränderung schildern, die mit dem jungen Manne vorgegangen. Aber unwillkürlich drängt sich doch die Frage auf: Wie hatte sich der stille und bescheidene Knabe so furchtbar schnell in solchen Trunkenbold und leichtsinnigen Strick verwandeln können? Hatte diese tolle Wildheit seit seiner frühesten Jugend in ihm geschlummert und war sie erst dadurch zu Tage getreten, daß der Druck der väterlichen Aufsicht nicht mehr auf ihm lastete? Welcher Art das Aufsehen war, das er, wie er selbst sagte, in Moskau machte, darüber konnte nicht der leiseste Zweifel bestehen. Ich habe in meinem Leben leichtsinnige Menschen in großer Zahl gesehen, aber dieser Leichtsinn erinnerte schon mehr an das Gebahren eines Tollhäuslers, an tatsächliches Bestreben, sich selbst zu vernichten, es war eine Art Verzweiflung.


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