Iwan Turgénjew
Aus der Jugendzeit
Iwan Turgénjew

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III.

Zwei Monate lang etwa mochte dieses Amüsement, dieses tolle Leben gedauert haben. Da stehe ich wieder einmal am Fenster meines Salons und schaue in den Hof hinab, was muß ich da für einen neuen seltsamen Mummenschanz gewahren? Langsamen Schrittes, demüthig und bescheiden tritt ein Klosterbruder auf den Hof; die Kapuze hat er über die Stirne tief ins Gesicht gezogen, die Haare sind, soviel man davon sehen kann, sorgfältig gescheitelt und nach rechts und links zur Seite gekämmt. Die lang wallende Mönchskutte wird von einem ledernen Gürtel zusammengehalten. Aber dieses Gesicht, diese Gestalt, sollte es möglich sein? Mischa? Ja wahrhaftig, er ist's!

Ich ging die Treppe hinunter, um ihn im Hofe zu begrüßen.

»Was soll denn nun wieder diese neue Maskerade?« fragte ich.

»Von einer Maskerade ist hier keine Rede, Onkelchen,« erwiderte Mischa mit tiefem Seufzer. »Ich habe mein gesammtes Geld bis auf den letzten Kopeken ausgegeben und verthan; nun hat mich die Reue ergriffen und ich that das Gelübde, ins Sergej-Kloster zu Troitzko zu gehen und dort meine Sünden zu bereuen. Welch ein anderer Zufluchtsort stände mir denn jetzt wohl noch offen? Und so komme ich denn zu Ihnen, lieber Onkel, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie, wie es die Pflicht des verlorenen Sohnes ist, um Verzeihung zu bitten.«

Ich blickte Mischa ganz überrascht an. Sein Gesicht war so rosig und frisch, wie nur je zuvor – es hat übrigens bis zuletzt dieses Aussehen nicht verloren – die Augen schimmerten noch immer so feucht, blickten noch immer so freundlich und schmachtend darein, die Händchen waren noch immer so weiß; leider aber verbreitete er auch noch immer einen starken Branntweingeruch um sich.

»Was soll ich dazu sagen?« bemerkte ich schließlich. »Ich kann Deinen Entschluß nur billigen und ich wüßte auch keinen andern Ausweg für Dich. Aber weshalb riechst Du so entsetzlich nach Branntwein?«

»Das ist noch ein Rest vom alten Adam,« entgegnete er und platzte in sein altes, lautes, gellendes Lachen aus. Plötzlich aber schien er sich auf seinen neuen Stand zu besinnen, verbeugte sich steif und tief, wie es die Mönche zu thun pflegen, und fügte hinzu:

»Wollen Sie mir nicht ein kleines Zehrgeld mit auf den Weg geben? Ich mache die Reise bis nach dem Kloster zu Fuß.«

»Wann gehst Du auf die Wanderung?«

»Heute noch, sofort.«

»Weshalb hast Du es denn so eilig?«

»Onkelchen, mein Wahlspruch war von jeher: Schnell, immer nur schnell!«

»Und welchen Wahlspruch hast Du jetzt?«

»Denselben. Nur sage ich jetzt: Schnell zum Guten.«

So verließ mich denn Mischa und ich blieb allein, um über die Wandelbarkeit aller menschlichen Schicksale meine Betrachtungen anzustellen.

Aber bald wurde ich wieder an die Existenz meines Neffen erinnert.

Kaum zwei Monate waren nach seinem Abschiedsbesuche verflossen, als ich einen Brief von ihm erhielt, und zwar war dies der erste von allen jenen, die ich in der Folgezeit in großer Zahl empfing. Und beachten Sie den eigenthümlichen Umstand: Ich habe selten eine so saubere und klare Handschrift gesehen wie diejenige dieses halbverdrehten Menschen. Der Stil war auch durchaus korrekt, wenn auch einige gesuchte Ausdrücke mitunterliefen.

In diesen Briefen wechselten die Bitten um Unterstützung beständig mit den Versprechungen der Besserung ab, ferner mit Betheuerungen, flehentlichen Anrufungen und Segenswünschen. Alles schien aufrichtig gemeint zu sein und war es vielleicht auch wirklich. Die Unterschrift Mischa's war stets mit vielen Punkten, Strichen und Schnörkeln verziert; auch hatte er die Gewohnheit, möglichst viele Ausrufungszeichen im Texte jedes Briefes anzuwenden.

Im ersten seiner Briefe theilte mir Mischa mit, daß sein Geschick eine neue »Wendung« genommen hatte. (Später sprach er nicht mehr von einer neuen »Wendung«, sondern vom »Auftauchen einer neuen Idee«, und es »tauchte« sehr viel »auf«.) Er schrieb mir also, daß er nach dem Kaukasus gehe, um »seine Brust dem Vaterlande und dem Czaren darzubringen«, indem er als Fähnrich in ein Regiment einträte. Irgend eine wohlthätige alte Tante, die sich für ihn interessirte, hatte ihm bereits eine kleine Summe zur Beihilfe bei der Equipirung gesandt, und mich bat er nun ebenfalls um eine Unterstützung für denselben Zweck. Ich erfüllte seine Bitte und zwei Jahre lang hörte ich nicht das Mindeste von ihm.

Unter uns gesagt: Ich zweifelte sehr stark daran, ob er wirklich nach dem Kaukasus gegangen sei. Aber dies war nun doch der Fall. Wie ich später hörte, war er durch Protektion, die er sich zu verschaffen gewußt hatte, als Fähnrich im T.'schen Regimente einrangirt worden, und zwei Jahre lang blieb er bei demselben im Dienste. Eine ganze Menge Geschichten waren über ihn und seine Streiche im Umlauf und ein Offizier seines Regimentes, mit dem ich durch Zufall zusammentraf, theilte mir dieselben später auch mit.


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