Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Am folgenden Tage sah ich Sinaïde nur im Fluge: sie hatte mit ihrer Mutter eine Ausfahrt in einer Mietsdroschke gemacht. Dafür sah ich aber Luschin, der mich übrigens kaum eines Grußes würdigte, und Malewsky. Der junge Graf verzerrte sein Gesicht zu einem Lächeln und redete mich freundlich an. Von allen Besuchern des Nebengebäudes war es ihm allein gelungen, Eintritt in unser Haus zu erlangen und meiner Mutter Beifall zu gewinnen. Mein Vater dagegen mochte ihn nicht und benahm sich gegen ihn mit einer übertriebenen Höflichkeit, die an Beleidigung streifte.

– Ah, monsieur le page, – begann Malewsky, – ich bin sehr erfreut Sie zu sehen. Was macht Ihre schöne Königin?

Sein frisches, hübsches Gesicht war mir in diesem Augenblicke so zuwider – und er sah mich so selbstgefällig höhnisch an, daß ich ihm nichts antwortete. – Sie sind doch nicht böse? fuhr er fort. – Das ist unrecht. Nicht ich habe Sie zum Pagen ernannt, – Pagen halten vornehmlich Königinnen. Erlauben Sie mir indessen die Bemerkung, daß Sie Ihrem Amte schlecht vorstehen.

– Wieso?

– Die Pagen dürfen sich von ihren Gebieterinnen unbedingt nicht trennen; die Pagen müssen alles wissen, was dieselben tun – ja sie müssen sogar bei Tage wie bei Nacht über sie wachen – setzte er, den Ton dämpfend, hinzu.

– Was wollen Sie damit sagen? – Was ich sagen will? Ich drücke mich doch, denke ich, deutlich genug aus. Bei Tage – wie bei Nacht. Bei Tage geht es noch hin; bei Tage ist es hell und es gehen Menschen vorüber; nachts aber, – ist ein Unglück bald geschehen. Ich rate Ihnen, nachts nicht zu schlafen und Wache zu halten, nach Möglichkeit Wache zu halten. Erinnern Sie sich, – bei Nacht, im Garten, am Springbrunnen, – dort ist es, wo Sie Wache halten müssen. Sie werden mir Dank wissen.

Malewsky lachte und wandte mir den Rücken. Wahrscheinlich legte er seinen Worten keine tiefere Bedeutung bei; er hatte den Ruf eines Meisters in der Kunst des Mystifizierens und zeichnete sich in dieser Hinsicht vornehmlich auf Maskenbällen aus, wozu ihn die fast unbewußte Falschheit, von der sein ganzes Wesen durchdrungen war, ganz besonders befähigte ... Er hatte mich wohl nur aufziehen wollen, jedes seiner Worte aber bohrte sich wie ein vergifteter Stachel in mein Herz. Das Blut stieg mir zu Kopfe. Ah! das ist es! sagte ich zu mir selbst. Meine gestrigen Vermutungen waren also doch begründet! Mich hatte es nicht umsonst in den Garten gezogen! Wohlan denn, rief ich laut und schlug mich mit der Faust vor die Brust, daraus wird nichts! Eigentlich wußte ich aber selbst nicht, woraus nichts werden sollte. – War es Malewskys Absicht, sich in den Garten hineinzuschleichen? dachte ich (er kann sich verraten haben, und frech genug ist er, um es zu tun), – oder ist ein anderer da? – (die Umzäunung unseres Gartens war sehr niedrig und es bedurfte keiner Mühe über dieselbe hinüberzuklettern), genug, mit heiler Haut soll Derjenige nicht davon kommen, der mir in den Weg tritt! Ich rate Niemandem, mir in den Wurf zu kommen! Ich will der ganzen Welt beweisen, und auch ihr, der Treulosen (ich nannte sie wahrhaftig die Treulose), daß ich Rache zu üben verstehe!

Ich kehrte auf mein Zimmer zurück, nahm aus meinem Schreibtisch ein englisches Messer, das ich vor Kurzem gekauft hatte hervor, prüfte die Schärfe desselben und steckte es dann, mit finsterer Miene und kalter, gesammelter Entschlossenheit, in die Tasche, als wären dergleichen Dinge nichts Ungewohntes für mich und ich kein Neuling darin. Mein Herz war von Bosheit geschwellt und wie zu Stein geworden. Bis zum Anbruche der Nacht behielt ich meine finstere Miene und hielt die Lippen geschlossen, ging beständig auf und ab, das warmgewordene Messer krampfhaft mit der Hand in der Tasche umklammernd, und bereitete mich im voraus auf Fürchterliches vor. Diese neuen, noch nicht dagewesenen Empfindungen beschäftigten mich und hielten mich dermaßen in Aufregung, daß ich sogar an Sinaïde eigentlich nur wenig dachte. Mir schwebte beständig Aleko, der junge Zigeuner, vor: – »Wohin, du schöner Jüngling? Sprich! Bleib' liegen da und stirb!« und ferner: »Du bist ja ganz mit Blut bespritzt! ... O sprich, was tatest Du?… Nichts!« – Mit welchem grausamen Lächeln wiederholte ich dieses: nichts!

Mein Vater war nicht zu Hause; meiner Mutter aber, die sich seit einiger Zeit in einem fast beständigen Zustande zurückgehaltener Aufregung befand, fiel mein verzweifeltes Aussehen auf und beim Abendessen sagte sie zu mir: Du siehst ja aus wie eine Maus in der Grütze! Ich lächelte bloß herablassend dazu und dachte: wenn sie nur wüßte! Es schlug 11 Uhr; ich ging auf mein Zimmer kleidete mich aber nicht aus; ich wartete auf Mitternacht: endlich schlug die Stunde. Auf! flüsterte ich durch die Zähne, knöpfte meine Jacke bis oben zu, streifte sogar die Ärmel zurück und begab mich in den Garten.

Ich hatte den Platz, wo ich Wache halten wollte, schon beizeiten gewählt. Am Ende des Gartens, dort wo der Zaun, der unser Gebiet von dem der Sassekins schied, an eine gemeinsame Mauer stieß, stand eine vereinzelte Tanne; unter den niedrigen, dichten Ästen derselben konnte ich mich recht gut verbergen, und soweit es das nächtliche Dunkel zuließ, sehen, was um mich her vorging. In der Nähe zog sich ein Pfad hin, der mir von jeher geheimnisvoll erschienen war; in Schlangenwindungen zog sich derselbe hart am Zaune vorüber, an welcher Stelle Fußspuren verrieten, daß Jemand hinübergestiegen war, und verlor sich in einer runden Laube dichter Akazien. Ich war an die Tanne gelangt, lehnte mich gegen den Stamm und begann meine Wache.

Es war eine ebenso ruhige Nacht, wie die vorige; doch standen weniger Wolken am Himmel; die Umrisse der Gebüsche, selbst die größerer Pflanzen, waren deutlicher zu unterscheiden. Die ersten Minuten des Wartens erschienen mir drückend, fast beängstigend. Ich war zu allem bereit und zog nur noch in Erwägung: wie ich vorgehen sollte? Ob ich mit einem: »Wohin? Halt! Bekenne, – oder stirb!« – beginnen, oder gleich zustoßen sollte ... jeder Laut, jedes Geräusch, auch das leiseste, schien mir bedeutungsvoll, ungewöhnlich ... Ich hielt mich bereit ... beugte mich nach vorn .... Doch es verging eine halbe Stunde, es verging eine ganze; mein Blut beruhigte sich, kühlte sich ab; die Vorstellung, daß ich alles umsonst tue, mich sogar lächerlich mache, daß Malewsky mich nur gefoppt habe, schlich sich allgemach in meine Seele ein. Ich verließ meinen Hinterhalt und machte eine Runde durch den Garten. Wie absichtlich ließ sich nirgends das geringste Geräusch hören; alles war in Ruhe versunken; selbst unser Hofhund schlief, zusammengerollt, bei dem Torpförtchen. Ich kletterte auf die Trümmer des Treibhauses, sah das weite Feld vor mir, gedachte meiner Begegnung mit Sinaïde und verlor mich in Gedanken ... Plötzlich schrak ich zusammen ... Mir deuchte, ich habe das Knarren einer geöffneten Tür, dann das Knistern eines gebrochenen Zweiges vernommen. In zwei Sprüngen war ich die Trümmer hinuntergesprungen – und blieb wie erstarrt stehen. Rasche, leichte, aber behutsame Schritte ließen sich im Garten hören. Sie kamen zu mir heran. »Da ist er ... da ist er endlich!« zuckte es durch mein Herz. Krampfhaft zog ich das Messer aus der Tasche, schlug es heftig auf, – rote Funken flimmerten vor meinen Augen, das Haar auf meinem Kopfe sträubte sich vor Angst und Wut ... Die Schritte kamen gerade auf mich zu – ich bog mich nach vorn, es zog mich denselben entgegen ... Ein Mann wurde sichtbar ... Mein Gott! Es war mein Vater!

Ich erkannte ihn sogleich, obgleich er ganz in einen dunklen Mantel gehüllt war und den Hut über die Augen gezogen hatte. Er ging auf den Zehen an mir vorüber. Er hatte mich nicht bemerkt, obgleich mich nichts verdeckte, ich hatte mich aber so niedergedrückt und klein gemacht, daß ich fast dem Erdboden gleich kam. Der eifersüchtige, auf Mord sinnende Othello, war plötzlich in einen Schulbuben umgewandelt ... Die unerwartete Erscheinung meines Vaters hatte mich dermaßen erschreckt, daß ich im ersten Augenblicke nicht einmal bemerkte, von wo er gekommen, wohin er verschwunden war. Als alles rund umher wieder ruhig geworden, dann erst richtete ich mich auf und stellte die Frage an mich: »weshalb wandelt mein Vater denn bei Nachtzeit im Garten umher?« Vor Schreck hatte ich mein Messer ins Gras fallen lassen, ich suchte aber nicht einmal mehr nach ihm: tiefe Scham erfüllte mich. Ich war plötzlich nüchtern geworden. Auf dem Rückwege nach Hause trat ich jedoch zu meinem Bänkchen unter dem Fliederbusche hin und warf einen Blick auf das Fenster von Sinaïdes Schlafzimmer. Die nicht sehr großen, etwas gewölbten Scheiben des Fensters schimmerten in mattem Blau vom Widerscheine des nächtlichen Himmels. Auf einmal veränderte sich die Farbe derselben ... Hinter ihnen, ich sah es, sah es, deutlich, – wurde vorsichtig und sachte eine weiße Gardine heruntergelassen, ganz bis aufs Fensterbrett herab – und so blieb sie auch unbeweglich hängen.

– Was bedeutet das? fragte ich mich laut, fast unwillkürlich, als ich mich wieder in meinem Zimmer befand. Ist das Traum? Zufall? Oder ... Die Vermutungen, die mir unerwartet in den Kopf stiegen, waren so neu und sonderbar, daß ich nicht wagte mich denselben zu überlassen.


 << zurück weiter >>