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XIV.

Am folgenden Morgen stand ich früh auf, schnitt mir einen Stock und begab mich zur Stadt hinaus. Ich will mir, dachte ich, den Kummer vertreten. Es war ein herrlicher Tag, hell und nicht zu heiß; ein munterer, frischer Wind strich über die Erde hin, rauschte spielend durch die Bäume, alles bewegend und nichts zerstörend. Ich schlenderte lange über Berg und Tal; ich fühlte mich nicht glücklich; ich hatte das Haus verlassen, um mich meiner Schwermut hinzugeben; – aber die Jugend, das schöne Wetter, die frische Luft, das Vergnügen am raschen Gehen, die Wonne des einsamen Liegens auf dem üppigen Grase taten das Ihrige; die Erinnerung an jene unvergeßlichen Worte, an jene Küsse, drängte sich wieder in meine Seele. Wohltuend wirkte der Gedanke auf mich, daß Sinaïde doch trotz allem meiner Entschlossenheit, meinem Heldenmute, Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse ... Sie mag andere mir vorziehen, dachte ich, sei es! Dafür sprachen die andern nur von Dem, was sie tun wollen, ich aber habe es schon vollbracht! Und noch ist das lange nicht alles, was ich für sie zu tun im Stande bin! – Meine Einbildungskraft hatte einen hohen Flug genommen. Ich begann mir vorzustellen, wie ich sie aus Feindeshänden erretten, wie ich ganz von Blut bedeckt sie dem Gefängnis entreißen, wie ich zu ihren Füßen meinen Geist aufgeben wollte. Ich gedachte eines Bildes, das bei uns im Gastzimmer hing: Malek-Adèlé, wie er Mathilde entführt, – und wandte sogleich meine ganze Aufmerksamkeit einem herbeigeflogenen großen Buntspechte zu, der geschäftig den schlanken Stamm einer Birke hinaufhüpfte und unruhig, bald rechts, bald links, hinter demselben hervorguckte, ganz wie ein Musikant hinter dem Halse seiner Baßgeige. Dann stimmte ich das: »Nicht weißer Schnee ist's was dort schimmert« an und sprang dann zu einer damals vielgesungenen Romanze: »Ich harre Dein, wenn Zephyrs sanfter Hauch,« über; darauf deklamierte ich laut Jermaks Anrede an die Sterne aus Chomjakows Trauerspiel; ich versuchte sogar Etwas Rührendes zu dichten, hatte auch den Vers, mit welchem das Gedicht schließen sollte, gefunden: »oh, Sinaïde, Sinaïde!« es kam jedoch weiter nichts heraus.

Inzwischen war die Stunde des Mittagessens gekommen. Ich stieg ins Tal hinab; ein enger, sandiger Fußweg schlängelte sich durch dasselbe und führte in die Stadt. Ich schlug diesen Fußweg ein ... Dumpfer Hufschlag ließ sich plötzlich hinter mir hören. Ich blickte mich um, blieb unwillkürlich stehen und zog die Mütze ab. Es waren mein Vater und Sinaïde. Sie ritten nebeneinander. Mein Vater, mit dem ganzen Oberleibe zu ihr hinübergebeugt und die Hand auf den Hals ihres Pferdes gestützt, sagte ihr Etwas; er lächelte, Sinaïde hörte ihn schweigend, mit gesenktem, strengem Blicke und geschlossenen Lippen an. Anfänglich hatte ich nur die beiden gesehen, doch einige Augenblicke darauf zeigte sich hinter einer Biegung des Tales Belowsorow, in Husarenuniform und Dolman, auf einem schaumbedeckten Rappen. Das stattliche Pferd schüttelte den Kopf, schnaubte und tanzte, während der Reiter es zugleich zügelte und spornte. Ich trat auf die Seite. Mein Vater nahm die Zügel zusammen, richtete sich wieder empor, Sinaïde erhob langsam die Augen zu ihm und – beide flogen dahin ... Mit Säbelgeklirre setzte Belowsorow ihnen nach. »Er ist rot wie ein Krebs, dachte ich – und sie ... Warum ist sie so bleich?« Ich beschleunigte meinen Schritt und langte kurz vor dem Essen zu Hause an. Mein Vater saß bereits umgekleidet, gewaschen und mit frischem Gesichte neben dem Armstuhle meiner Mutter und las derselben mit seiner gleichmäßigen, klangvollen Stimme das Feuilleton des »Journal des Débats« vor; meine Mutter hörte ihm jedoch zerstreut zu; und mich gewahr werdend, fragte sie, wo ich denn den ganzen Tag gewesen sei, und setzte hinzu, sie liebe es nicht, wenn man sich den ganzen Tag, Gott weiß wo und mit wem, umhertreibe. Ich bin ja allein spazieren gegangen, wollte ich entgegnen, mein Blick fiel jedoch auf meinen Vater, und ich verstummte.


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