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XV.

Im Laufe der folgenden fünf, sechs Tage bekam ich Sinaïde fast nicht zu Gesichte: sie schützte Krankheit vor, was jedoch die gewohnten Gäste nicht abhielt, ihrem, – wie sie es nannten, – Dujourdienste, – obzuliegen; Maidanow ausgenommen, der sogleich mutlos zu werden und sich zu langweilen pflegte, wenn er keine Gelegenheit fand, in Entzücken zu geraten. Belowsorow saß düster, rot im Gesicht und bis an den Hals zugeknöpft, in einem Winkel; auf dem feinen Gesichte des Grafen Malewsky spielte beständig ein böses Lächeln; er war in der Tat bei Sinaïde in Ungnade gefallen und suchte sich mit besonderem Eifer bei der alten Fürstin einzuschmeicheln, die er sogar in einer Staatskutsche zum Generalgouverneur begleitet hatte. Was jedoch diesen Besuch anbetrifft, so war er erfolglos, für Malewsky aber sogar mit einer Unannehmlichkeit verknüpft gewesen: es ward ihm ein gewisser Vorfall mit gewissen Offizieren der Wegekommunikation ins Gedächtnis gerufen – und er hatte sich gezwungen gesehen, sich, zur Rechtfertigung, auf seine Unerfahrenheit zu berufen. Luschin besuchte täglich zwei Mal das Haus, blieb aber nicht lange da; seit unserer letzten Erörterung fürchtete ich ihn ein wenig und fühlte doch zu gleicher Zeit aufrichtige Zuneigung für ihn. Eines Tages spazierten wir zusammen im Neskuschnigarten; er war sehr herzlich und freundlich gegen mich, teilte mir die Namen und Eigenschaften verschiedener Gräser und Pflanzen mit, als er sich plötzlich, ohne sichtbaren Grund vor die Stirn schlug und rief: und ich, ich Narr, glaubte, sie wäre eine Coquette! Ja, – es muß für gewisse Personen süß sein, sich für andere zu opfern.

– Was wollen Sie damit sagen? fragte ich.

– Ihnen habe ich gar nichts sagen wollen, gab er mir trocken zur Antwort.

Sinaïde vermied mich: meine Erscheinung, – es war mir unmöglich es nicht zu bemerken, – machte auf sie einen unangenehmen Eindruck. Unwillkürlich wandte sie sich von mir ab ... Unwillkürlich! das eben war das bittere, das war es, was mir Kummer verursachte! Dabei war jedoch nichts zu machen – und ich bemühte mich, ihr nicht vor Augen zu kommen und sie nur aus der Ferne zu beobachten, was mir nicht eben immer gelang. Es ging in ihr, wie schon früher, Etwas Unbegreifliches vor; ihr Gesicht war verändert, sie selbst war ganz umgewandelt Besonders auffallend deuchte mir diese Veränderung an einem warmen, stillen Abend. Ich saß auf einer niedrigen Bank unter einem breiten Fliederbusche; jenes Plätzchen war mir lieb geworden: ich konnte von dort aus das Fenster von Sinaïdes Zimmer sehen.

Ich saß still da; über meinem Kopfe trieb ein kleiner Vogel in dem dunkeln Laubdach sein rühriges Wesen; eine graue Katze schlich langgestreckt, vorsichtig in den Garten und die ersten Maikäfer summten in der noch lichtgetränkten, aber doch nicht mehr hellen Luft, schwerfällig umher. Ich saß und hatte den Blick aus das Fenster gerichtet und wartete, ob es sich nicht auftun werde: richtig, – es öffnete sich und an demselben erschien Sinaïde. Sie hatte ein weißes Kleid an und war selbst, an Gesicht, Schultern, Armen – bleich wie Kreide. Sie stand lange regungslos da und blickte starr und gerade vor sich hin, unter den zusammengezogenen Brauen hervor. Diesen Blick kannte ich an ihr noch nicht. Daraus preßte sie die Hände zusammen, fest, fest zusammen, führte sie an die Lippen, an die Stirn, – riß sie plötzlich wieder voneinander, warf das Haar hinter die Ohren zurück, schüttelte dasselbe und schlug, nachdem sie mit einer gewissen Entschiedenheit mit dem Kopfe von oben hinab genickt hatte, das Fenster zu.

Drei Tage darauf begegnete ich ihr im Garten. Ich wollte ihr ausweichen, sie selbst jedoch hielt mich an.

– Geben Sie mir die Hand, – sagte sie mit der früheren Freundlichkeit, – wir haben lange nicht miteinander geplaudert. Ich warf einen Blick auf sie: ihre Augen leuchteten sanft und ihr Gesicht lächelte, aber gleichsam wie durch einen Schleier.

– Sind Sie noch immer unwohl? fragte ich sie.

– Nein, jetzt ist alles vorüber, erwiderte sie und brach eine kleine rote Rose ab. – Ich bin noch etwas matt, das wird aber auch vorübergehen.

– Und werden Sie dann wieder sein, wie früher? fragte ich.

Sinaïde führte die Rose ans Gesicht und – mir deuchte, der rote Widerschein der Blättchen rötete ihre Wangen. – Habe ich mich denn verändert? fragte sie mich endlich.

– Ja, das haben Sie, – gab ich halblaut zurück.

– Ich bin kalt gegen Sie gewesen, – ich weiß es, begann Sinaïde, – Sie hätten das aber nicht so ernst nehmen sollen ... Ich konnte nicht anders ... Doch, wozu davon reden!

– Sie wollen nicht, daß ich Sie liebe, – das ist es! rief ich in düsterer Aufregung.

– Nein, lieben Sie mich, aber nicht wie bisher.

– Wie denn?

– Lassen Sie uns Freunde sein – weiter nichts! – Sinaïde gab mir die Rose. daran zu riechen. – Hören Sie mich, ich bin ja viel älter als Sie, – ich könnte Ihre Tante sein, wahrhaftig! Nun, wenn auch nicht das, so doch Ihre ältere Schwester. Und Sie ...

– Ich bin in Ihren Augen nur ein Kind, unterbrach ich sie.

– Nun ja, aber ein liebes, gutes, kluges Kind, das ich sehr gern habe. Wissen Sie was? Vom heutigen Tage an ernenne ich Sie zu meinem Pagen; vergessen Sie nun aber nicht, daß Pagen ihre Herrin nicht verlassen dürfen. Da, nehmen Sie dies als Zeichen Ihrer neuen Würde, – fügte sie hinzu, indem sie die Rose in das Knopfloch meines Jäckchens steckte, – das Zeichen unserer Gewogenheit.

– Früher bekam ich von Ihnen andere Beweise Ihrer Gewogenheit, stotterte ich.

– Ah! sagte Sinaïde und blickte mich von der Seite an ... Was für ein Gedächtnis er doch hat! Nun, ich bin auch jetzt bereit ...

Und, sich zu mir niederbeugend, drückte sie mir einen keuschen, ruhigen Kuß auf die Stirne.

Ich sah sie an, – sie aber wandte sich ab, indem sie sagte: folgen Sie mir, mein Page – und begab sich in ihre Wohnung. Ich folgte ihr – und fühlte mich betroffen. Ist denn wirklich, dachte ich, dieses sanfte, bedächtige Mädchen dieselbe Sinaïde, die ich gekannt habe? Selbst ihr Gang schien mir langsamer geworden zu sein, ihre ganze Gestalt majestätischer und schlanker ...

Und, o mein Gott! mit welcher neuen Stärke entflammte die Liebe in mir!


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