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XVI.

Nach dem Essen versammelten sich wiederum die Gäste im Nebengebäude, und die junge Fürstin zeigte sich denselben. Die ganze Gesellschaft war genau dieselbe, wie an dem ersten, mir unvergeßlichen Abende: selbst Nirmatzky hatte sich eingefunden, Maidanow war dies Mal früher erschienen als die anderen, – er hatte neue Gedichte mitgebracht. Das Pfänderspiel ward wieder vorgenommen, jedoch ohne die frühere Ausgelassenheit, ohne Narrheiten und Lärm, – das Zigeunerhafte war daraus verschwunden. Sinaïde gab unserer Zusammenkunft eine neue Stimmung. In meiner Eigenschaft als Page saß ich neben ihr. Unter anderem schlug sie vor, es solle Derjenige, dessen Pfand herauskäme, einen Traum erzählen; das hatte jedoch keinen Erfolg. Entweder waren die Träume nicht interessant (Belowsorow z. B. hatte geträumt, er habe sein Pferd mit Karauschen gefüttert, und das Tier einen hölzernen Kopf gehabt), oder sie waren nicht natürlich, sondern erdichtet. Maidanow hatte uns eine ganze Novelle zum Besten gegeben: es kamen darin Grabgewölbe, Engel mit Harfen vor, redende Blumen und fernher zitternde Töne. Sinaïde ließ ihn nicht auserzählen. Wenn nun doch einmal Dichtungen an die Reihe gekommen sind. – sagte sie, – so mag jeder irgend Etwas unbedingt Erfundenes erzählen. – Der Erste, an den die Reihe kam, war wiederum Belowsorow.

Der junge Husar wurde verwirrt. – Ich kann nichts erfinden! rief er aus.

– Unsinn! warf Sinaïde ein. – Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie wären verheiratet, und erzählen Sie uns, wie Sie mit Ihrer Frau die Zeit verbringen würden. Würden Sie dieselbe unter Schloß und Riegel halten?

– Ja, das würde ich.

– Und würden ihr selbst Gesellschaft leisten?

– Gewiss!

– Vortrefflich. Und wenn ihr nun aber ein solches Leben lästig fiele, und sie Ihnen untreu würde?

– Ich würde sie töten.

– Wenn sie aber entflöhe?

– So würde ich sie einholen und dennoch töten.

– Gut, Gesetzt nun, ich wäre Ihre Frau, was täten Sie dann wohl?

Belowsorow schwieg einen Augenblick. – Ich würde mich umbringen ...

Sinaïde lachte auf. – Ich sehe Sie machen kurzen Prozeß.

Das zweite Pfand sollte Sinaïde auslösen. Sie hob den Blick zur Decke und wurde nachdenkend. – Nun, hört, sagte sie nach einer Weile, was ich erdichtet habe. Stellen Sie sich einen prunkvollen Palast vor, eine Sommernacht und einen zauberhaften Ball. Diesen Ball gibt eine junge Königin. Überall strotzt es von Gold, Marmor, Kristall, Seide, Lichter, Diamanten, Blumen, Wohlgerüchen und allen Bedürfnissen des Luxus.

– Sie lieben den Luxus? unterbrach sie Luschin.

– Luxus ist eine hübsche Sache, entgegnete sie, – ich liebe alles, was hübsch ist.

– Mehr als das Schöne? fragte er.

– Das ist mir gar zu spitzfindig, ich verstehe das nicht. Unterbrechen Sie mich nicht weiter. Der Ball also ist prachtvoll. Eine Menge Gäste, alle jung, schön, mutig, alle sterblich in die Königin verliebt.

– Sind keine Frauen unter den Gästen? Fragte Malewsky.

– Nein, – oder warten Sie, – es sind deren da.

– Alle häßlich?

– Reizend! Die Männer aber sind alle in die Königin verliebt. Sie ist hoch von Wuchse und von schlanker Gestalt; ein kleines goldenes Diadem krönt ihr schwarzes Haar.

Ich warf einen Blick auf Sinaïde – und in diesem Augenblicke kam sie mir so überaus erhaben über uns alle vor, mir deuchte, es strahle von ihrer Stirn, von ihren unbeweglichen Brauen, ein solcher Geist und solche Hoheit, daß mir der Gedanke kam: »diese Königin bist Du!« – alles drängt sich um sie herum, – fuhr Sinaïde fort, – alle verschwenden an sie die schmeichelhaftesten Reden.

– Sie liebt also Schmeichelei? fragte Luschin.

– Wie sind Sie unerträglich! immer müssen Sie mich unterbrechen ... Wer liebt sie denn nicht?

– Noch eine letzte Frage, – bemerkte Malewsky. Die Königin hat doch einen Gemahl?

– Daran hatte ich nicht gedacht. Nein, wozu denn einen Gemahl?

– Freilich, – äußerte Malewsky, – wozu der Gemahl?

– Silence! rief Maidanow, der das Französische sehr schlecht sprach.

– Merci, sagte Sinaïde zu ihm. Die Königin also hört alle diese Reden an, lauscht der Musik, blickt indessen auf keinen der Gäste besonders. Sechs Fenster stehen von oben bis unten weit offen, von der Decke bis an den Fußboden; durch dieselben sieht man einen dunkeln Himmel mit großen Sternen und einen dunkeln Garten mit großen Bäumen. Die Königin schaut in den Garten hinaus. Dort, zwischen den Bäumen ist ein Springbrunnen: gleich einem Gespenste schimmert im Dunkeln die hohe, hohe Wassergarbe. Durch das Stimmengewirr und die Töne der Musik lauscht die Königin dem steten Plätschern des Wassers. Sie schaut hinaus und denkt: Ihre alle hier, seid edle, kluge, reiche Herren, ihr drängt Euch um mich herum, Ihr seid neidisch auf jedes meiner Worte, seid alle bereit für mich, zu meinen Füßen, das Leben zu lassen: ich gebiete über Euch ... aber dort, neben dem Springbrunnen, neben jenem plätschernden Wasser, da steht und wartet auf mich der, den ich liebe, der über mich gebietet. Er hat weder ein reiches Kleid an noch Edelsteine, auch kennt ihn niemand, er wartet aber auf mich und ist überzeugt, ich werde kommen, – und kommen werde ich, und keine Macht wird im Stande sein mich zurückzuhalten, wenn ich zu ihm gehen, bei ihm bleiben, mit ihm dort, im Dunkel des Gartens, beim Rauschen des Laubes und Plätschern des Brunnens, mich verlieren will ...

Sinaïde schwieg.

– Das wäre Dichtung? fragte Malewsky schlau.

Sinaïde würdigte ihn keines Blickes.

– Was würden wir aber tun, meine Herren, – fragte plötzlich Luschin, – wenn wir uns unter den Gästen befänden und von dem Dasein des Glücklichen am Brunnen unterrichtet wären?

– Halt, halt, – unterbrach ihn Sinaïde; ich selbst will Ihnen sagen, was ein jeder von Ihnen tun würde. Sie, Belowsorow, würden ihn herausfordern; Sie, Maidanow, ein Epigramm auf ihn verfassen ... Übrigens, nein, – Sie verstehen nicht, ein Epigramm zu schmieden: Sie würden einen langen Jambus, nach der Art Barbiers, auf ihn schreiben und Ihr poetisches Produkt dem »Telegraphen« übermachen. Sie, Nimatzky, würden von ihm Geld – doch nein, Sie würden ihm selbst Geld auf Zins leihen; Sie, Doktor ... sie hielt inne ... – Da weiß ich nun wirklich nicht, was Sie tun würden.

– Als Leibarzt, sagte Luschin, würde ich der Königin den Rat erteilen, keine Bälle zu geben, wenn ihr so wenig an den Gästen gelegen ist.

– Vielleicht hätten Sie Recht. Und Sie Graf ...

– Nun und ich? wiederholte mit seinem bösartigen Lächeln Malewsky ...

– Sie würden ihm ein vergiftetes Konfekt geben.

Malewskys Gesicht verzerrte sich ein wenig und nahm für einen Moment einen jüdischen Ausdruck an, doch lachte er gleich darauf.

– Was Sie nun betrifft, Woldemar, fuhr Sinaïde fort, ... doch genug davon; lassen Sie uns ein anderes Spiel vornehmen.

– Monsieur Woldemar, als Page der Königin, würde ihre Schleppe getragen haben, wenn sie in den Garten gegangen wären, – bemerkte Malewsky bissig. Ich wurde feuerrot, Sinaïde legte indessen rasch ihre Hand auf meine Schulter, erhob sich von ihrem Platze und sagte mit leichtem Zittern der Stimme: Ich habe Ew. Erlaucht nie das Recht zugestanden, frech zu sein, und darum bitte ich Sie, sich zu entfernen. – Sie wies auf die Türe.

– Aber ich bitte, Fürstin – stotterte Malewsky und ward leichenblaß im Gesichte.

– Die Fürstin hat Recht – rief Belowsorow und erhob sich gleichfalls.

– Bei Gott, ich glaubte gar nicht, – fuhr Malewsky fort; in meinen Worten, denke ich, lag doch nichts, was ... Ich habe nicht entfernt die Absicht gehabt, Sie zu beleidigen ... Vergeben Sie mir!

Sinaïde musterte ihn mit kaltem Blicke und lächelte ebenso kalt. – Meinethalben, Sie können bleiben, sagte sie mit einer verächtlichen Bewegung der Hand. – Wir hatten Unrecht, Herr Woldemar und ich, Ihretwegen in Zorn zu geraten. Es macht Ihnen Vergnügen zu sticheln ... nun, wohl bekomme es Ihnen.

– Vergeben Sie mir – wiederholte Malewsky nochmals. Ich aber, wenn ich mich Sinaïdes Bewegung erinnerte, dachte: eine wirkliche Königin hätte einem Frechen die Türe nicht mit größerer Würde weisen können.

Das Pfänderspiel hörte bald nach dieser kleinen Scene auf; es war allen etwas unbehaglich zu Mute, nicht sowohl in Folge des Auftrittes selbst als vielmehr aus einem unbestimmten, drückenden Gefühle, welches daraus entsprang. Niemand sprach davon, doch empfand es jeder an sich und an den anderen. Maidanow las uns seine Gedichte vor – und Malewsky lobte dieselben mit übertriebenem Eifer. »Er möchte sich jetzt gern wieder weiß brennen,« flüsterte mir Luschin zu. Wir trennten uns bald. Sinaïde wurde nachdenklich; die Fürstin ließ melden, sie habe Kopfschmerz; Nirmatzky begann über seine Rheumatismen zu klagen ...

Ich konnte lange nicht einschlafen; ich war von Sinaïdes Erzählung betroffen. Sollte dieselbe wirklich eine Anspielung enthalten? fragte ich mich; und auf Wen oder Was war sie gerichtet? Und wenn wirklich Grund zu einer Anspielung vorhanden wäre, wie konnte sie sich entschließen ... Nein, nein, es ist unmöglich – flüsterte ich, indem ich mich bald auf die eine, bald auf die andere meiner glühenden Wangen legte ...Mir fiel jedoch der Ausdruck in Sinaïdes Gesichte während ihrer Erzählung ein ... ich erinnere mich des Ausrufes, der Luschin im Garten von Neskuschni entschlüpft war, auch der plötzlichen Veränderung in seinem Benehmen gegen mich – und ich verlor mich in Vermutungen. Wer ist er? diese drei Worte schienen vor meinen Augen zu schweben, scharf in das Dunkel eingegraben; es war mir zu Mute als habe sich dicht über mir eine unheildrohende Wolke niedergelassen; ich empfand den Druck derselben und war beständig gewärtig, sie werde sich entladen. Ich war Vieles in der letzten Zeit gewöhnt worden, hatte Vielerlei bei Sassekins kennen gelernt; die Unordnung, die Talglichte, die zerbrochenen Messer und Gabeln, das finstere Aussehen des Bonifacius, das zerlumpte Stubenmädchen, die Manieren der Fürstin selbst, – dieser ganze häusliche Zustand fiel mir nicht mehr auf ... Was ich aber jetzt an Sinaïde dunkel zu bemerken glaubte, – daran konnte ich mich nicht gewöhnen ... Eine Aventurière, – hatte meine Mutter sie einmal genannt. Eine Aventurière, – sie, mein Abgott, meine Göttin! Diese Benennung brannte mich wie Feuer, ich suchte mich derselben zu erwehren, indem ich mich in die Kissen vergrub, ich war entrüstet – und doch, was hätte ich hingegeben, wozu wäre ich fähig gewesen, nur um jener Glückliche am Brunnen sein zu können! ...

Mein Blut war erhitzt und kochte in den Adern. »Garten ... Springbrunnen« ... dachte ich ... »Ich will doch in den Garten gehen!« Geschwind warf ich mich in die Kleider und schlich zum Hause hinaus. Die Nacht war finster, die Luft etwas frisch, leise flüsterten die Bäume; vom Gemüsegarten zog Fenchelgeruch herüber. Ich durchstrich alle Alleen; das leichte Geräusch meiner eigenen Schritte erregte mich und hielt mich in Spannung; ich blieb von Zeit zu Zeit erwartend stehen und lauschte; stark und laut pochte mir das Herz. Endlich kam ich bis an den Zaun und stützte mich auf eine dünne Stange. Plötzlich, – oder war es mir nur so vorgekommen? – huschte einige Schritte von mir eine weibliche Gestalt vorüber ... Ich richtete gespannt den Blick ins Dunkel und hielt den Atem an. Was ist das? Sind es Schritte, die ich zu hören wähne, – oder klopft mein Herz wieder? »Wer ist da?« stammelte ich kaum hörbar Was ist denn das? unterdrücktes Lachen? ... oder Rauschen in den Blättern? ... oder ein Seufzer, hart an meinem Ohre? Ein Schauer überlief mich ... »Wer ist da?« fragte ich noch leiser.

Ein leichter Windhauch zog vorüber; am Himmel schoß ein feuriger Streif dahin: eine Sternschnuppe. »Sinaïde?« wollte ich fragen, aber der Laut erstarb mir auf den Lippen. Und plötzlich wurde es grabesstill rund umher, wie das um Mitternacht oft der Fall ist ... Sogar die Grillen im Laube hatten in ihrem Zirpen innegehalten, – nur ein Fenster klirrte irgendwo. Nachdem ich einige Zeit auf demselben Flecke stehen geblieben war, kehrte ich auf mein Zimmer, in mein kalt gewordenes Bett zurück. Ich befand mich in einer sonderbaren Aufregung: mir deuchte, ich hätte mich zu einem Stelldichein hinausbegeben, – und sei allein geblieben und am Glücke eines andern vorübergegangen.


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