Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hüte deine Zunge wohl

Förster Sandler überstand die schwere Erkrankung. Zwar war er äußerst geschwächt und mußte noch mindestens vierzehn Tage das Bett hüten, aber Lebensgefahr war nicht mehr vorhanden. Puckis Augen strahlten wieder heller, und auch die Kinder freuten sich mit der Mutter, daß der Großvater bald wieder gesund würde. Trotzdem wurde Pucki schon wieder von neuer Sorge erfaßt. Am Krankenlager des Vaters war sie öfters längere Zeit mit ihrer jüngsten Schwester Agnes zusammengekommen, die seit mehr als einem Jahr mit Walter Niepel, einem jungen Gutsbesitzerssohn, verheiratet war. Pucki kannte den Mann ihrer Schwester genau, denn als Kind war er ihr Spielgefährte gewesen. Manch übermütiger Streich war im Niepelschen Gutshause ausgeheckt worden. Um so mehr betrübte es sie, daß die Ehe der Schwester nicht so glücklich zu sein schien, wie sie es erhofft hatte. Vielleicht trug Agnes selbst die Schuld daran, denn sie war schon als Kind eigenwillig und eigensinnig gewesen. Nun klagte die Schwester über ihren jungen Ehemann, daß er sich nicht genügend um sie kümmere, sondern ganz in seiner Landwirtschaft aufginge.

»Aber das ist doch nur zu loben«, wandte Pucki ein. Sie versuchte der Schwester vorzustellen, daß die Ehe nicht nur aus glücklichen Tagen bestünde. Aber Agnes zeigte dafür kein Verständnis. Immer wußte sie von einem neuen Streit zwischen ihr und ihrem Mann zu berichten. Sie hatten sich zwar stets wieder schnell vertragen, aber es war doch ein Stachel im Herzen der jungen Frau zurückgeblieben.

Pucki war selbst hinaus auf das Niepelsche Gut gefahren, um unauffällig die Friedensvermittlerin zu spielen. Sie fand an Walter eigentlich nichts auszusetzen. Er bedauerte es, daß Agnes so launenhaft sei und sich in ihrem Haushalt nicht befriedigt fühle. Trotzdem klang ganz deutlich durch all seine Worte seine große Liebe zu seiner jungen Frau. Und wieder versuchte Pucki, der Schwester ins Gewissen zu reden, aber Agnes hörte recht wenig auf die guten Ratschläge. So war Pucki voller Sorgen, denn sie wußte aus Erfahrung, daß es in jeder Ehe Mißhelligkeiten gab, die durch ein liebes Wort zur rechten Zeit schnell beseitigt werden konnten. Dieses liebe Wort fand Agnes aber leider nicht. So gab es Tage, an denen die jungen Eheleute nicht ein Wort miteinander sprachen.

K.

Nun war heute nachmittag Agnes sehr erregt zu Pucki gekommen, um ihr von dem neuesten Zerwürfnis mit ihrem Mann zu erzählen.

»Walter ist für acht Tage nach Berlin gefahren. Er sagte, es sei eine berufliche Reise. Ich wollte ihn begleiten, aber er verweigerte es mir. Es ist zu einem großen Streit gekommen, und ich sagte ihm dabei, daß ich es bedaure, seine Frau geworden zu sein, und am liebsten wieder von ihm ginge.«

»Agnes – wie konntest du solche Worte sprechen!«

»In heftigem Zorn sind wir voneinander geschieden.«

»Und nun hast du Gewissensbisse? – Ach, Agnes, wie kann man im Zorn scheiden, wenn der andere auf acht Tage fortfährt? Es könnte Walter etwas zustoßen, und dein Leben lang müßtest du dir dann Vorwürfe machen. Du hättest ihm noch in letzter Stunde ein liebes Wort sagen müssen.«

»Warum immer ich? Er hätte es auch tun können.«

»Vielleicht machte er doch den Versuch, den du in deiner Erregung nur nicht erkannt hast.«

»Ja, das tat er, aber in so dummer Weise, daß ich nicht darauf eingehen konnte.«

»Agnes, Walter hat dich sehr lieb.«

»Das bezweifle ich.«

»Ach, Agnes, ich bin älter und erfahrener als du, hinter mir liegen mehr als neun Ehejahre. Auch in meiner Ehe ist es mitunter zu kleinen Streitigkeiten gekommen. Vielleicht stehst du jetzt an so einer Eheklippe, die auch meinen Lebensweg damals bedrohte. Ich glaubte seinerzeit, mein Glück anderswo suchen zu müssen als im eigenen Heim. Es war ein glücklicher Zufall, daß ich die Worte erlauschte, die Claus zu seiner Mutter sagte. Er hatte ein großes Verständnis für meine Schwäche und suchte meine törichte Handlungsweise auf jede Weise zu entschuldigen. Er sagte, ich müsse mir erst klar darüber werden, daß es in der Ehe nicht nur Festtage gebe, sondern daß der Alltag mit seinen vielen zwingenden Forderungen an jeden Menschen herantrete. Agnes, er sagte weiter, daß viele Frauen eine Zeitspanne brauchen, um das wahre Eheglück zu erkennen. Es gebe gute und weniger gute Frauen, die letzteren liefen dem Manne einfach davon oder zerbrächen gewaltsam ihre Ehe. – Ich möchte dich bitten, Agnes, denke an deine Pflichten und hoffe auf die Zukunft. Wenn erst einmal in deinem Heim ein süßer, kleiner Junge oder ein blondlockiges Mädel schreit, dann sieht man keine Wolken mehr.«

»Ich bin der Meinung, daß eine Frau ruhig erst ohne Kinder ihr Leben genießen soll.«

»Nein, Agnes, Kinder sind wie eine Sonne, die in jedes Haus strahlt. Ich war damals wirklich töricht, als ich hoffte, eine große Künstlerin zu werden, denn ich hatte schon einen süßen Jungen. Ich muß also anfangs eine recht schlechte Frau und Mutter gewesen sein. – Ach, liebe Agnes, wenn dich doch meine Worte zur Einkehr veranlassen könnten!«

Pucki wurde durch das Eintreten ihrer beiden ältesten Knaben unterbrochen. Flüchtig begrüßten sie Tante Agnes, dann baten sie:

»Mutti, kannst du nicht schnell ein bißchen mit uns spielen?«

»Nein, Kinder, die Mutti hat Besuch, und ihr habt zu warten. Sie kommt nachher zu euch.«

»Mutti, dürfen wir im Nebenzimmer spielen?«

»Freilich dürft ihr das.«

»Aber dann kommst du?«

»Bleibst du noch lange hier, Tante Agnes?« fragten die Kinder.

»Ja, noch ein ganzes Weilchen, ihr Rangen.«

»Aber nach einem Weilchen kommst du doch zu uns, Mutti?«

»Natürlich, Peterli. Nun aber geht.«

Die Knaben verließen das Zimmer. Agnes lachte spöttisch. »Der Sonnenschein deines Hauses scheint dir oftmals auch Unruhe zu bereiten.«

»Aber Agnes, das gehört dazu. Auch diese Unruhe, wie du sagst, ist beglückend. Mir gehören diese Kinderherzen. Wenn ich traurig bin, sind sie es auch, und wenn ich mich freue, freuen sie sich mit mir. Viele glückliche Stunden, die einem nur durch Kinder bereitet werden, kann die Mutter haben.«

»Aber auch Ärger und Sorgen.«

»Das alles verblaßt, Agnes. Ich habe durch meine drei Kinder Stunden ungetrübten Glückes gefunden. Laß dir erzählen, wie mich meine Kinder erst kürzlich zu trösten suchten, als ich wegen Vaters schwerer Krankheit ganz niedergeschlagen war.«

Schweigend hörte Agnes dem Bericht der Schwester zu. »Du magst ja recht haben, Pucki. Deine Ehe ist vielleicht glücklicher als die meine.«

»Versuche nur für den anderen dazusein, Agnes! Stelle deine Wünsche zurück. Walter ist ein guter Mensch. Vor allem aber, Agnes, schreibe ihm noch heute ein paar liebe Worte nach Berlin.«

»Ich habe wenig Lust dazu.«

»Agnes, bitte, tu es mir zuliebe! – Erinnerst du dich an das Gedicht, das wir einstmals in der Schule lernten? Als Kind erfaßt man die ganze Wahrheit dieser Zeilen noch nicht. Ich muß oft daran denken. Weißt du noch:

Und hüte deine Zunge wohl,
bald ist ein böses Wort gesagt.
O Gott, es war nicht bös gemeint!
Der andere aber geht und klagt.«

»Laß mich, Pucki!«

»Nein, Agnes, du hast Walter zum Abschied ein hartes Wort gesagt. Du hast es dir gewiß nicht richtig überlegt und nicht so gemeint. In ihm klingen diese Worte aber noch lange nach. – Agnes, liebe Agnes, der andere aber geht und klagt.«

»Ich muß nun heimgehen, Pucki.«

»Bleibe noch ein wenig hier, Agnes. Wir Schwestern hielten immer treu zusammen. Bitte, tu es mir zuliebe und schreibe noch heute ein paar liebe Worte an Walter!«

»Wenn er mir schreibt, werde ich ihm antworten.«

»Laß uns sogleich eine Karte an ihn schreiben. Denke daran, liebe Schwester, daß ihm in Berlin ein Unglück geschehen könnte. – Dann ist es zu spät. Erlebt man es nicht oft genug, daß einer, dem man noch ein gutes Wort sagen möchte, plötzlich davon geht? Sein Leben lang denkt man dann trauernd an diese versäumte Gelegenheit. – Agnes, liebe, liebe Agnes, laß uns an Walter eine Karte schreiben! Er freut sich gewiß über einen lieben Gruß von dir!«

Im Laufe der nächsten zehn Minuten erreichte es Pucki wirklich, daß Agnes ihrem Mann einen freundlichen Gruß sandte. Pucki merkte deutlich, daß ihre gutgemeinten Worte nicht ganz auf fruchtlosen Boden gefallen waren. – –

Nachdem Agnes gegangen war, betrat Pucki das Nebenzimmer. Peter und Rudi spielten miteinander, Karl aber saß untätig dabei. Als Mutti sich zu den Kleinen setzte, trat er sofort an ihre Seite.

»Mutti, ich möchte dich einmal etwas fragen. Die beiden anderen dürfen aber nicht dabei sein.«

»Freilich, Karlchen, wenn du mir etwas heimlich zu sagen hast, gehen wir sogleich hinüber ins andere Zimmer, und du schüttest mir dein Herz aus.«

Da die beiden anderen Knaben sich im Spielen nicht stören ließen, entfernte sich Pucki mit Karl.

»Mutti, können wir nicht hinüber in Vatis Zimmer gehen, damit uns Peter und Rudi ganz bestimmt nicht hören können?«

»Ist es denn etwas Schlimmes, Karlchen?«

»Anfangs war es gar nichts Schlimmes, aber jetzt ist es etwas Schlimmes geworden.«

»Dann wollen wir hinüber in Vatis Zimmer gehen.«

Als sie dort angekommen waren, schwieg Karl noch ein Weilchen. Endlich sagte er zögernd: »Mutti, wie war das schöne Gedicht, das du zu Tante Agnes gesagt hast? Du hast so laut gesprochen, daß ich es nebenan hören konnte.«

Pucki wiederholte den Vers.

»Was bedeutet das, Mutti?«

»Man soll niemals ein böses Wort zu einem anderen Menschen sagen, der vielleicht verreist oder den man eine Weile nicht sieht. Es könnte sein, daß diesem Menschen ein Unglück zustößt. Dann trägt man sein Leben lang eine Schuld mit sich herum, weil man sich niemals mehr mit ihm aussöhnen kann.«

»Mutti – so ist es auch mit mir.«

»Wieso, Karlchen?«

»Mutti, du weißt doch, der Manfred Heiwer ist mein allerbester Freund. Wir sind uns immer gut, aber neulich haben wir uns furchtbar gezankt. Er wollte, ich sollte in ihrem Garten vom Dach des Schuppens springen, und weil ich mir den Fuß verknackst habe, hast du mir verboten, zu springen. Darum bin ich nicht gesprungen. Da hat der Manfred gesagt, ich wäre ein Feigling. Ich bin aber kein Feigling, Mutti!«

»Nein, Karlchen, das bist du nicht, das hast du oft bewiesen. Im Gegenteil, es war gut von dir, daß du an das Verbot der Mutter gedacht hast.«

»Feigling! Feigling! Feigling! hat er gesagt. Dreimal hat er dieses Wort gesagt. – Mutti, da habe ich ihm ein paar gelangt, und wir haben uns dann feste gehauen. Dann habe ich gesagt, er soll sich auch mal den Fuß verknacksen, daß er im Bett liegen muß. – Ja, Mutti, das habe ich ihm gewünscht! Und Ochse habe ich zu ihm auch noch gesagt und noch viele andere Schimpfworte.«

»Schön war das gerade nicht, Karl. Ich hoffe aber, daß ihr euch bald wieder vertragen werdet. Wenn ihr euch morgen in der Schule trefft, versöhnt ihr euch, und alles ist wieder gut. Dann geht ihr gemeinsam nach Hause und seid wieder die besten Freunde.«

»Das geht nicht, Mutti.«

»Warum geht es nicht, Karlchen?«

»Als er Feigling zu mir sagte, das war am Dienstag. Am Mittwoch ist der Manfred nicht mehr in der Schule gewesen. Heute ist er auch nicht gekommen. Der Anton sagte, der Manfred ist krank geworden und hat im Bett liegen müssen. – Siehst du, Mutti, ich hatte ihm doch gerade gewünscht, daß er auch mal im Bett liegen muß. – Mutti, ich habe es ihm aber in meinem Herzen wirklich nicht gewünscht, ich habe es nur so hingesagt. Nun ist er krank, und das tut mir leid.«

»Siehst du, Karlchen, man soll seine Zunge hüten. Aber hier weiß die Mutti einen Rat. Wir kaufen Schokolade, Karlchen, und damit gehst du zu Manfred, wünschst ihm gute Besserung, und alles ist wieder gut. Es wäre häßlich von dir gewesen, wenn du deinem Freunde ernstlich das Kranksein gewünscht hättest.«

»Mutti, ich habe es wirklich nur so hingesagt. Manfred ist doch mein allerbester Freund. Es tut mir so leid, daß er krank ist.«

»Wir wollen den Besuch nicht lange hinausschieben, mein lieber Junge. Noch heute gehst du zu Heiwers und verträgst dich wieder mit Manfred.«

»Ja, Mutti, ich will ihm sagen, daß ich es nicht so gemeint habe.«

»So ist es recht, mein lieber Junge. Manfred wird dann auch nicht mehr sagen, daß du ein Feigling bist, und ihr seid wieder die besten Freunde.«

Pucki kaufte für ihren Ältesten eine Tafel Schokolade und schickte ihn am Nachmittag zu Heiwers, denn sie ahnte, daß ihr gutherziger Junge durch seine unüberlegten Worte bedrückt war.

Karl kam sehr bald wieder zurück. »Mutti, ich darf nicht zu Manfred. Tante Heiwer hat mir gesagt, Manfred wird sehr krank werden, sie muß sehr vorsichtig sein. Niemand darf zu ihm kommen. Ich habe ihr die Schokolade gegeben und gesagt, sie soll Manfred grüßen, und ich möchte nicht, daß er krank wäre, ich hätte es nicht böse gemeint.«

»Das wird Tante Heiwer gern bestellen. Hoffentlich ist Manfred recht bald wieder gesund.« – –

Am nächsten Tag fragte Karl die Mutter abermals, ob er zu Manfred gehen dürfte. »Nein, mein Junge, ich will selbst einmal nachfragen, was ihm fehlt. Mich wird Tante Heiwer wohl vorlassen, und ich werde Manfred alles sagen. Ich werde ihm auch erzählen, warum du nicht vom Dach des Schuppens heruntergesprungen bist; dann wird er dich nicht länger als Feigling ansehen.«

»Mutti, ich möchte es Manfred so gern selber sagen. Dann ist alles wieder gut.«

»So warte bis zum Abend, Karlchen, dann will ich sehen, ob du zu ihm gehen darfst.« – –

Voller Unruhe wartete Karl auf die Rückkehr der Mutter. »Mutti, darf ich morgen zu ihm gehen?«

»Nein, mein lieber Junge. Manfred hat die Masern. Es darf niemand zu ihm gehen, weil das eine sehr ansteckende Krankheit ist.«

»Mutti – ich will mich gern anstecken lassen, aber ich muß ihm sagen, daß ich es nicht böse gemeint habe. Bitte, laß mich nur ganz kurze Zeit zu ihm gehen!«

»Nein, Karlchen, das geht doch nicht. Seine Mutti hat ihm aber alles gesagt. Manfred ist dir nicht mehr böse.«

Trotzdem gab Karl sich nicht zufrieden. Seine innere Unruhe wuchs von Tag zu Tag. Sehr oft lief er zum Heiwerschen Hause und schaute hinauf zu den Fenstern, hinter denen sein Freund lag. – Ob es nicht möglich war, daß er ihn sprechen konnte? Nur für ein paar Augenblicke wollte er zu Manfred gehen.

Karl betrat das Haus. Es war niemand zu sehen. Rasch huschte er die Treppe hinauf. Er wußte ja im Hause genau Bescheid. Dort drüben die zweite Tür ging ins Kinderzimmer. Leise drückte Karl die Klinke nieder. Richtig, da stand an der Wand Manfreds Bett, in dem der Kranke mit hochrotem Kopf lag. Die Mutter hatte den Knaben für einige Augenblicke allein gelassen.

Karl trat an das Bett des Freundes. »Du – Manfred, ich habe es nicht böse gemeint. Es tut mir furchtbar leid, daß du krank bist. Ich würde gern für dich einen Tag im Bett liegen. – Manfred, bist du mir noch böse?«

»Fein, Karl, daß du zu mir gekommen bist«, sagte Manfred matt. »Ich habe schon oft nach dir gerufen, aber die Mutter sagt, du darfst nicht zu mir kommen, sonst wirst du auch krank.«

»Nun bin ich doch gekommen, denn ich bin kein Feigling, Manfred.«

»Nein, Karl, du bist kein Feigling, ich habe es auch nur so gesagt.«

»Bist du mir nicht mehr böse, weil ich mich mit dir geprügelt habe?«

»Ich bin dir nicht böse, du bist ja mein bester Freund.«

Karl umarmte seinen besten Freund leidenschaftlich. »Du wirst immer mein allerbester Freund sein. – Und nun möchte ich, daß du bald gesund bist. Wenn ich kann, komme ich wieder heimlich zu dir.«

»Ach ja, komm bald wieder!«

»Ich komme bald wieder, Manfred, ich habe dich doch so lieb. Und wenn ich dich später auch mal wieder verkeile. – Nein, ich keile dich lieber nicht mehr, du bist ja mein allerbester Freund!«

»Du bist kein Feigling, Karl, dich habe ich am allerliebsten von allen Jungen in der Schule.«

Da öffnete sich die Tür des Zimmers, und Frau Heiwer trat ein. »Karl, was willst du hier? Aber Junge, du darfst doch nicht zu deinem Freund kommen! Jetzt aber rasch hinaus!«

»Tante Heiwer, wir sind uns wieder gut! Ich habe nur meinen besten Freund mal schnell besucht.«

»Flink aus dem Krankenzimmer, Karl! Manfred hat Masern, und du würdest sie auch bekommen, wenn du noch länger hierbleibst.«

Karl wurde schnell aus dem Zimmer geführt. Frau Heiwer rief sofort durch den Fernsprecher Frau Gregor an und erzählte ihr, was vorgefallen war. Sie möchte wegen der Ansteckungsgefahr alle Vorsichtsmaßregeln gebrauchen.

So empfing die Mutter ihren Ältesten draußen an der Haustür.

»Du bist ungehorsam gewesen, Karl!« sagte sie.

»Ja, Mutti, aber ich wollte Manfred gern einmal besuchen. Er ist doch noch viele Wochen krank. Sei nicht böse, Mutti. Ich freue mich so, daß ich bei ihm gewesen bin. Ich bin auch kein Feigling mehr, Mutti.«

Pucki sagte nichts mehr. Sie begriff ihren Ältesten nur zu gut. Sie bereitete ihm selbst ein Bad, machte ihm Gurgelwasser und brachte seine Kleidungsstücke fort, damit jede Ansteckung nach Möglichkeit verhütet würde. – –

Aber eine Masern-Epidemie griff in Rahnsburg mehr und mehr um sich. Schon drei Tage später klagte Karl über Kopfschmerzen; leichtes Fieber stellte sich ein.

»Ich habe es mir gleich gedacht«, sagte der Vater. »Rege dich nicht auf, ich glaube, daß du in wenigen Tagen nicht nur Karlchen, sondern auch unsere beiden anderen Jungen pflegen mußt. Masern sind eine Kinderkrankheit, die jedes Kind durchmachen muß.«

»Lieber Claus, ich habe alles getan, was ich tun konnte.«

»Selbstverständlich, kleine Frau. Karl hat wieder einmal seinen Willen durchgesetzt. Er wollte ja für seinen Freund im Bett liegen, nun kann er es mehrere Wochen tun.«

Als Karl hörte, daß er Masern hätte, schaute er die Mutter mit einem glücklichen Ausdruck an. »Bitte, sage Manfred, daß jetzt alles wirklich wieder gut ist. Sage ihm auch, daß ich sein allerbester Freund bleibe.«


 << zurück weiter >>