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Wir bekommen Einquartierung

Die Rahnsburger Kinder befanden sich in hellster Aufregung. Einer schrie es dem anderen zu, es sei ein Quartiermeister im Orte gewesen, der habe gesagt, es kämen viele Soldaten die Stadt; sie sollten in den verschiedensten Häusern untergebracht werden. Wer irgendwie einen geeigneten Raum habe, solle sich melden. Zwei Nächte lang würden die Soldaten in Rahnsburg weilen, um dann weiterzumarschieren.

Karl hörte die Kunde von seinem Freunde Ernst. Im Sturmschritt kam er nach Hause.

»Mutti – wir bekommen Einquartierung! Es kommen massenhaft Soldaten her. Laß uns auch Soldaten nehmen! Der Vati hat so viele Betten drüben in der Klinik. In jedes kann er einen Soldaten legen, denn die Soldaten sollen sich gut ausschlafen, weil sie große Märsche gemacht haben. – Wir nehmen recht viele Soldaten in die Klinik, nicht wahr, Mutti?«

»Hurra, wir bekommen Soldaten!« lärmte Peter. »Mutti, wir müssen überallhin einen Soldaten bekommen. – Au, fein!«

»Soldaten«, schrie auch der kleine Rudi begeistert. »Rudi will auch einen Soldaten haben!«

Karl hatte inzwischen des Vaters Spazierstock aus dem Schirmständer geholt, legte ihn über die Schulter und stolzierte damit im Zimmer auf und ab. Dabei sang er schallend:

»Wenn die Soldaten
durch die Stadt marschieren,
öffnen die Mädchen
die Fenster und die Türen!«

»Lärmt nicht so entsetzlich, Kinder.«

»Mutti, liebes Mütterchen, wir möchten jeder gerne einen Soldaten! – Mutti, ich zeige ihnen die ganze Stadt; dann gehen wir alle zum Konditor und essen Windbeutel! Liebe Mutti, bitte, bitte, laß Soldaten kommen!«

»Aber Kinder, wir bekommen ja drei Soldaten!«

Peter führte einen wahren Indianertanz auf. »Drei Soldaten! – Für jeden von uns Jungen einen. – Mutti, der eine Soldat gehört mir!«

»Es wird darauf ankommen, meine lieben Kinder, ob ihr artig seid.«

»Wir alle sind furchtbar artig!«

»Erst abwarten!«

»Ach, Mutti, du kannst doch die lieben Soldaten nicht 'rausschmeißen, wenn sie hier sind und wenn wir mal unartig sind. Dafür kann doch der Soldat nichts, auch wenn der Peter wieder mal schwindelt.«

»Wenn ihr unartig seid, dürft ihr nicht zu den Soldaten. Außerdem dürft ihr sie auch nicht zu viel belästigen. Die Leute sind von ihren langen Märschen müde und brauchen Ruhe.«

»Ach, Mutti, wir werden ihnen schon mächtig helfen. – ›Zupacken, in der Not beistehen‹, hat der Vater vom Onkel Doktor Eck gesagt. Wir wissen schon, was sich für einen richtigen Jungen gehört. Immer zuspringen, denn nur dadurch kann aus einem kleinen Jungen ein großer, richtiger Mann werden!«

»Brav, Karlchen! Wenn ihr seht, daß sich jemand quält oder müht, müßt ihr nach Kräften versuchen, ihm beizustehen. Schon als Kinder.«

»Tun wir auch, Mutti!«

»Mutti – wenn wir tüchtig einem helfen, der sich quält, kriege ich dann einen Soldaten für mich ganz allein?«

»Peterchen, der Soldat braucht Ruhe, wenn er hier ist.«

»Aber er kann doch nicht zwei Tage lang schlafen. – Mutti, gibst du ihm auch Speise mit Himbeertunke?«

»Wir werden ihnen ein kräftiges Essen kochen.«

»Ach, Mutti, koche ihm doch Speise mit Himbeertunke. – Mutti, darf ich meinem Soldaten meine Speise geben?«

»Ich gebe meinem Soldaten auch meine Speise«, rief Karl begeistert. »Ich bin der Älteste, ich nehme mir den größten Soldaten! – Mutti, wo werden die drei Soldaten schlafen? – Zimmer eins drüben in der Klinik ist leer.«

»In der Klinik werden sie nicht schlafen, Karl. Die Soldaten haben schwere Stiefel an den Füßen, sie würden zu viel Unruhe in das Haus der Kranken bringen. – Hier neben der Garage ist doch das Zimmer, in dem früher der Chauffeur schlief. Es ist groß und hat zwei Fenster; dort stellen wir drei Betten hinein.«

»Mutti, komm rasch, wir werden dir helfen, die Betten hineinzustellen.«

»Aber Peterli, die Soldaten kommen erst am Donnerstag! Wir haben noch vier Tage Zeit.«

»Bekommen die anderen Leute auch Soldaten?«

»Ja, fast alle. Gegenüber, unsere Frau Rudolfi, bekommt auch einen.«

»Wird der Soldat es aber gut haben! Der kann den ganzen Tag aus den Körben Äpfel und Birnen essen!«

Frau Rudolfi war die Gemüsefrau, bei der Frau Gregor ihre Einkäufe zu machen pflegte. Die gute Kaufmannsfrau schenkte den Kindern öfters eine Handvoll Kirschen, wenn die Kleinen gar zu sehnsüchtig die Waren betrachteten.

»Mutti, könnten wir nicht auch noch einen Hauptmann und ein Pferd kriegen?«

»Einen Hauptmann bekommt der Apotheker.«

»Oder einen Mann, der Musik macht, Mutti, mit dem großen Blechhorn? – Ach, liebe Mutti, nimm doch noch einen von der Musik!«

»Die sind alle schon verteilt. Ich weiß, daß Kaufmann Puche einen Musiker bekommt.«

»Ach fein, Onkel Puche, zu dem gehe ich gerne«, rief Peter. Bei Puche gab es so wunderschöne Spielsachen, außerdem führte er den Kindern oftmals irgendein Spielzeug vor. Es gab immer etwas Neues bei dem Spielwarenhändler zu sehen.

Als der Vater sich zum Mittagessen einstellte, wurde auch er von seinen Knaben bestürmt, noch mehr Soldaten aufzunehmen. Drei wären viel zu wenig. Emilie wolle gewiß auch einen Soldaten haben, und auch die Mutti könne einen brauchen.

»Aber Kinder, an drei Soldaten haben wir genug. Jeder von euch hat einen, das genügt.«

»Wie heißt mein Soldat, Vati?« fragte Peter.

»Karl bekommt den Gefreiten, ihr beide bekommt jeder einen Oberschützen.«

»Au – fein«, schrie Peter, »ich will einen Oberschützen!«

»Vati, was ist denn ein Gefreiter?«

»Das ist ein Soldat, der befördert wurde, weil er sich gut geführt hat.«

»Vati, hat sich mein Oberschütze nicht gut geführt? Vati, was hat er denn gemacht?«

Doktor Gregor sah zur Zimmerdecke hinauf und sagte: »Vielleicht hat er mal Erdbeeren genascht oder ist einmal mit dem Finger in den Marmeladentopf gegangen. Oder er hat seinem Hauptmann was vorgelogen.«

Da fragte Peter nicht weiter. Pucki trat den Gatten unter dem Tisch auf den Fuß. Sie fürchtete, daß durch dieses Scherzwort neues Unheil angerichtet würde, und sagte rasch: »Der Oberschütze kann natürlich auch Gefreiter werden, wenn er länger Soldat ist. Da er Oberschütze geworden ist, hat er sich auch schon eine Auszeichnung verdient, denn sonst wäre er erst Schütze.«

Das Fragen der Kinder begann erneut. Claus und Pucki mußten die wissensdurstigen Kinder immer wieder befriedigen. Schließlich wurde dem Vater das ewige Fragen zu viel.

»Jetzt seid ihr ruhig, sonst sage ich den drei Soldaten, sie dürfen nicht kommen.«

Diese Drohung half, aber nur so lange, wie der Vater im Eßzimmer war. Kaum hatte er den Raum verlassen, da wurde die Mutter erneut mit Fragen bestürmt. Und wieder gab es die Ermahnung, bis zum Donnerstag artig zu sein.

»Du bist unser liebes Pucki-Mütterlein«, sagte Karl. »Ich habe nun auch ein Heiligtum. – Du bist in meinem Federkasten.«

»Wo bin ich, Karlchen?«

»Ich trage dich in meiner Büchermappe mit herum.«

Pucki glaubte, Karl hätte ein Bild von ihr und forschte nicht weiter. Als sie aber am Nachmittag den Nähkorb hervorholte, um zu nähen, war schon wieder ein Fingerhut verschwunden. Seit Tagen fehlte der eiserne Hut, und heute vermißte sie nun den goldenen. Den Kindern war streng verboten, den Nähkorb anzurühren. Also mußte der Fingerhut herausgefallen sein, aber dann hätte er sich beim Aufräumen finden müssen. – Daß Peterli sich heute vormittag auch ein »Heiligtum« geholt hatte, ahnte die Mutter nicht.

Währenddessen saßen die Knaben beisammen und überlegten, auf welche Weise sie den Eltern eine besonders große Freude bereiten könnten.

»Wenn ich nicht mehr schwindle, ist das die größte Freude. Dann bekomme ich einen Soldaten. Ich habe heute schon hundert Soldaten gesehen.«

»Ist gar nicht wahr, Peter, die Soldaten kommen erst am Donnerstag.«

»Quatsch! – Tausend Soldaten sind angekommen, ich habe sie gesehen.«

»Du schwindelst schon wieder! Du bekommst überhaupt keinen Soldaten. – Fertig! – Oder du mußt sehr artig sein, zuspringen und helfen, wenn einer was nötig hat. Wenn ich nur wüßte, wo wir helfen können!«

»Vielleicht der Emilie in der Küche oder dem Vati bei den Kranken – oder Tante Waltraut? Wir können vielleicht bei den Kranken sitzen und ihnen Geschichten erzählen, dann merken sie nicht, daß ihnen etwas wehtut.«

Dieser Vorschlag leuchtete den anderen Knaben ein. Sie gingen zur Klinik und warteten mäuschenstill, bis Tante Waltraut aus einem der Zimmer kam.

»Jetzt sind wir da, Tante Waltraut. Wir möchten gerne helfen. Hier gibt es doch viel Arbeit. Wo können wir helfen?«

»Ihr wäret mir gerade die Richtigen! Was wollt ihr denn helfen?«

»Jeder setzt sich an das Bett eines Kranken. Dann streicheln wir ihm die Hände und sagen, daß es gar nicht schlimm mit ihm ist und daß er nicht zu sterben braucht. – Wir erzählen ihm eine schöne Geschichte vom großen Frosch oder dem Froschkönig; da freut er sich. – Laß uns mal zu einem Kranken gehen, Tante Waltraut.«

»Das ist sehr nett von euch, aber – ich kann euch wirklich nicht brauchen. Um Kranke zu pflegen, muß man etwas mehr verstehen. Kranke brauchen Ruhe, und ihr könnt nicht ruhig sein.«

»O doch, Tante Waltraut! Wir können ganz ruhig sein, du brauchst es nur mal zu versuchen.«

»Nein, nein, geht wieder ab. Wenn ihr größer seid, könnt ihr helfen. Lauft in den Garten, pflückt ein paar Blümchen für die Vasen, aber reißt keine Wurzeln aus.«

»Oh, Blumen abpflücken verstehen wir!«

Alle drei gingen in den Garten. Es war eine Freude, den Kindern beim Pflücken der Blumen zuzusehen. Oft genug waren sie dabei gewesen, wenn die Mutter Sträuße für die Krankenzimmer zurechtmachte. Allerdings wählten die Knaben die schönsten Blumen, auch solche, die Pucki gern als Gartenschmuck zurückbehalten hätte. Die Kinder waren sehr stolz, als jeder mit zwei schönen Sträußen zu Tante Waltraut zurückkehrte.

»Das habt ihr gut gemacht«, lobte sie, »nun werden sich die Kranken an den Blumen erfreuen und rascher gesund werden.«

»Tante Waltraut, mein Freund Manfred hat mir gesagt, es ist für meine Eltern sehr gut, wenn die Leute recht lange in der Klinik bleiben. Jeden Tag müssen sie bezahlen. Das Geld bekommt der Vater.«

»Der Vati ist glücklich, wenn er seine Kranken recht bald gesund gemacht hat. Denke doch, Karlchen, oftmals sind es Väter und Mütter, die hier liegen. Sie sehnen sich zurück nach ihren eigenen Kindern, nach der täglichen Arbeit. So sorgt dein Vati dafür, daß die Kranken recht bald wieder in ihr eigenes Heim kommen.«

»Dann verdient er aber nicht so viel, sagt der Manfred.«

»An den eigenen Verdienst denkt der Vati nicht, wenn es gilt, anderen zu helfen. Ihr sollt später auch so werden. Erst soll man anderen Menschen Freuden bereiten und dann erst an sich selber denken.«

Peter lachte laut auf. »Erst will ich Freude haben, dann die anderen!«

Dann liefen die Knaben wieder davon. Sie fragten bei Emilie, ob sie ihr helfen könnten, sie suchten die Mutti auf und warteten sehnsüchtig auf den Nachmittag, an dem die Vorbereitungen für die Einquartierung getroffen werden sollten. Endlich war es so weit!

Emilie und der Chauffeur stellen drei Bettstellen auf, Pucki sorgte für Vorhänge an den Fenstern, und auch die Kinder suchten zu helfen. Sie durften dieses und jenes herbeibringen. Karl trug aus seinem Schlafzimmer einen Wasserkrug herbei, mußte ihn aber wieder zurücktragen. Dabei stolperte er, und der Krug zerbrach. Obendrein schnitt er sich noch in die Hand und mußte vom Vater verbunden werden. Peter kletterte auf die Stehleiter, als die Mutter für einige Augenblicke das Zimmer verlassen hatte, machte oben Turnübungen, um Rudi zu belustigen, fiel dabei kopfüber herunter und schlug sich eine große Beule, die in der Klinik von Tante Waltraut gekühlt wurde. Rudi wurde schließlich hinausgeschickt. Er ging laut weinend ab, und noch lange hörte die Mutter sein unwilliges Schreien. – Aber auch Doktor Gregor hörte es. Da riß ihm die Geduld, und Rudi bekam eine anständige Tracht Prügel; da setzte das Weinen in verstärktem Maße ein.

Am nächsten Tage wußte man schon mehr von der Einquartierung. Am Donnerstag, nachmittags gegen vier Uhr, sollten die Truppen kommen und mit klingendem Spiel in die Stadt einmarschieren. Auf dem Marktplatz würden die Quartierzettel verteilt werden.

»Mutti, wir gehen zum Markt und holen sie, sonst finden sie uns nicht, unser Haus liegt weit draußen.«

»Die finden uns schon.«

»Mutti, dürfen wir ihnen entgegengehen?«

»Nein, Kinder, ihr bleibt zu Hause.«

»Ach, Mutti, liebes, gutes Pucki-Mütterchen, wo kommen sie denn her?«

»Wahrscheinlich von Pelitz über die Rahnsburger Brücke.«

»Über die Brücke?« forschte Peter mit weitgeöffneten Augen.

»Freilich, Peter!«

»Mutti, wenn nun aber einer da ist, der ein bißchen geschwindelt hat? – Oder ist die Rahnsburger Brücke keine Lügenbrücke? – Mutti, ich will die Soldaten doch lieber hier erwarten. – Mutti, wie viele kommen denn?«

»Mehr als tausend!«

Peter lachte und schüttelte sich vor Vergnügen. »Mutti, jetzt darfst du nicht mehr über die Brücke gehen; jetzt hat meine liebe Mutti auch geschwindelt! Wenn ich »tausend« sage, schiltst du, denn ich soll nicht so aufschneiden! – Siehst du, Mutti, nun sagst du selbst – ›tausend‹. Eine große Mutti kann auch mal aufschneiden.«

»Du irrst, Peter, Mutti weiß es ganz genau, daß mehr als tausend Soldaten nach Rahnsburg kommen.«

»Können denn tausend Soldaten in unsere Stadt hinein?«

»Wenn tausend Hündchen in unseren Garten kommen können, wie du meinst, werden wohl tausend Soldaten in der ganzen Stadt Platz haben. – Und nun schaue einmal her. Du weißt gar nicht, was tausend für eine Menge ist. Jetzt will ich dir zeigen, wieviel Erbsen man braucht, um tausend Stück zu haben.«

Pucki schüttete aus einem Behälter, der auf dem Küchenschrank stand, eine Anzahl Erbsen auf den Tisch. »Sieh her, Peter, das sind etwa hundert Erbsen. Nun denke dir mal, jede Erbse wäre ein kleiner Hund.«

»Wären das aber 'ne Masse Hunde, Mutti!«

»Tausend Hunde sind aber noch viel mehr, Peterli. – Wenn du immerfort die Zahl tausend im Munde führst, ist das recht töricht. Schaue dir nochmals die hundert Erbsen an, da siehst du, daß hundert schon sehr viel ist. – Peterli, die Kinder nennen dich in Rahnsburg den Lügenpeter. Das macht die Mutti sehr traurig. Es ist nicht schön, wenn ein Kind einen so häßlichen Namen hat.«

»Mutti, dich haben sie doch auch immer ›Pucki‹ genannt, weil du soviel dummes Zeug gemacht hast. Das stand alles in dem Buch.«

Pucki atmete schwer. Es war doch nicht leicht, Kinder zu erziehen. Dabei gab sie sich die größte Mühe, ihre Kinder zu ordentlichen und rechtschaffenen Menschen zu machen. Soeben war sie eifrig bemüht gewesen, die großsprecherische Art ihres Kindes mit Vernunft zu bekämpfen. Der Erfolg schien nur gering. Nochmals versuchte sie, dem Knaben den Unterschied zwischen zehn, hundert und tausend klarzumachen, aber schon eine halbe Stunde später vernahm sie aus dem Garten Peters Ruf:

»Karlemann, komm rasch mal her, hier krabbeln tausend kleine Tiere!«

»Ach, Peterli«, seufzte die Mutter, »wird es mir gelingen, aus dem Lügenpeter einen wahrheitsliebenden Peter zu machen?«


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