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Unsere Soldatenfreunde

»Im Schuppen steht ein großer Korb mit Birnen, den Herr Mahler vorhin gepflückt hat. Ihr könnt davon nehmen soviel ihr wollt«, sagte Pucki, »aber nicht, um selbst zu essen, sondern unsere Einquartierung soll die Früchte haben. Für den Marsch, den die Soldaten morgen vorhaben, ist das erfrischend. Sie sollen sich ihre Brotbeutel damit füllen.«

»Fein, Mutti! Dürfen wir ihnen so viele Birnen geben, wie die Soldaten haben wollen?«

»Ja, Karl – sie sollen reichlich zulangen. Wir haben genug, und für die Soldaten ist Obst eine schöne Erfrischung.«

»Wenn der große Korb aber leer wird, Mutti?« fragte Peter.

»Das ist unmöglich, Peterli! Soviel Birnen können die Soldaten nicht mitnehmen. Ihr könnt jetzt ein Henkelkörbchen füllen, das bringt ihr dann unserer Einquartierung.«

Die Knaben stürmten davon. Jeder kam sehr bald mit einem Körbchen zurück, jeder füllte es bis zum Rande. Dann suchten sie die Soldaten auf und boten ihnen das Obst an. Es wurde mit Dank angenommen.

»Das ist ein guter Gedanke von deiner lieben Mutti«, sagte der Gefreite. »Obst auf dem Marsch erfrischt. Mitunter ist man sehr durstig. Wir lassen deiner Mutti herzlich danken.«

»Willst du noch mehr Birnen haben?« fragte Karl den Gefreiten, »wir haben noch soooo viele!«

»Danke, wir haben genug! Ich kann den anderen noch abgeben.«

»Kriegen die anderen Soldaten keine Birnen?«

»Ich weiß es nicht. Nicht jeder ist so aufmerksam wie deine gute Mutti.«

»Oh, dann bringen wir den anderen Soldaten auch Birnen. Mutti hat gesagt, wir können der Einquartierung von den Birnen geben. Die anderen Soldaten sind doch auch Einquartierung?«

»Natürlich, wir Soldaten sind alle Einquartierung!«

»Ich weiß, wo noch ein Soldat ist«, schrie Peter aufgeregt. »Drüben die Gemüsefrau hat einen, und Onkel Puche mit den schönen Spielsachen hat auch einen.«

»Und bei Hellriegel sind drei«, ergänzte Karl. »Dort sind die Soldaten, die zuerst bei uns waren.«

Die Knaben eilten davon zum Schuppen und füllten die Körbe erneut mit Birnen. Da die Mutti gesagt hatte, daß die Birnen für die Soldaten wären, erschien es den Kindern selbstverständlich, daß jeder Soldat von dem Obst etwas haben müßte. Auf dem Birnbaum hingen ja noch so viele Birnen, und erst vor wenigen Tagen hatte der Vati gesagt, Geben sei etwas Schönes und mache die größte Freude.

»Ich mach' mir jetzt 'ne Freude«, sagte Karl, »ich laufe rasch zu Onkel Hellriegel und bringe den drei hübschen Soldaten meinen Korb. Ihr beiden Kleinen geht 'rüber zu Frau Rudolfi und gebt dem Einquartierer auch Birnen. Dann holen wir rasch neue und gehen weiter.«

Sie stürmten davon. Der Soldat bei Frau Rudolfi lachte über das ganze Gesicht. »Ich habe schon Birnen, Kinder, und auch Pflaumen. Meine gute Wirtin hat mir gesagt, daß ich mir nehmen soll, soviel ich will. Aber es ist hübsch von euch, daß ihr an mich denkt.«

»Ich möchte auch ein Soldat sein, wenn die Soldaten soviel Obst bekommen, wie sie wollen«, meinte Peter nachdenklich.

»Freilich, Soldat sein ist etwas Feines. Alle Menschen sind gut zu uns!«

»Ach, dann werde ich bald ein Soldat! Mutti ist ja auch sehr gut, aber Obst darf ich doch nicht soviel essen wie die Soldaten. – Willst du Birnen haben, Soldat?«

»Danke, mein lieber Junge, ich habe genug. Aber geht mit dem Körbchen dort hinüber in jenes Haus. Dort wohnen zwei Soldaten, denen könnt ihr das Obst bringen.«

Das geschah. Peter schüttete seinen Korb dem einen Soldaten gerade vor die Füße, Rudi gab seinen Vorrat dem anderen. Die Knaben hielten sich nicht lange auf, rannten wieder zurück und füllten ihre Körbe erneut.

»Jetzt zu Onkel Puche, dort ist auch einer, der Hunger auf Birnen hat.«

»Ach ja«, jauchzte Rudi, »Onkel Puche mit den vielen Pferdchen und den kleinen Autos im Laden.«

Die Kinder betraten den Laden. Onkel Puche hatte immer wieder neues Spielzeug. Er war ein ganz besonders freundlicher und kinderlieber Mann, der den Knaben sogleich eine laufende Ente vorführte. Rudi wollte noch mehr sehen, schüttete in seiner Erregung den Korb mit den Birnen um, und Herr Puche mußte sie wieder zusammensuchen.

»Wollt ihr die vielen Birnen essen?«

»Nein, Mutti hat gesagt, alle Soldaten sollen von unseren Birnen abbekommen. Nun tragen wir zu jedem Soldaten die Birnen hin. Hast du auch einen Soldaten?«

»Jawohl, einen mit einer Posaune.«

Rudi kniff die Augen zusammen. »Onkel Puche, was hast du?«

»Einen Soldaten von der Musik, kleiner Mann.«

»Au, fein, wo ist er?«

»Ich glaube, er sitzt hinten im Gärtchen und putzt sein Instrument.«

»Da gehen wir hin!«

»Ja, das macht man. Da ihr die Birnen hergebracht habt, soll sie der Soldat von der Musik auch haben.«

»Und nachher zeigst du mir noch mal die Wackelente!«

»Auch das, mein Junge. – Geht gleich hier durch den Laden und weiter durch den Flur, dann kommt ihr in den Garten. – Hört mal, er bläst gerade.«

»Au fein«, sagte Rudi und klopfte auf sein Bäuchlein. »So was höre ich gern!«

Die langgezogenen Töne der Posaune waren deutlich zu vernehmen. Einen Augenblick lauschten die beiden Knaben, dann eilten sie davon. Sie sahen den Soldaten auf einem Holzschemel sitzen. Rudi stellte sich links von ihm, Peter rechts von ihm auf. So schauten sie schweigend auf den Musiker, der sich in seiner Arbeit durch die Kinder nicht stören ließ.

Eine Posaune war beiden Knaben etwas ganz Neues. Voller Staunen sahen sie zu, wie der Soldat aus einem langen goldenen Rohr ein zweites zog, es wieder hineinschob und wieder herauszog.

»Kriegst du das Ding da nicht 'raus?« fragte Peter mitleidig.

Der Musiker setzte das Instrument für einen Augenblick ab, lachte die Kinder an, führte die Posaune wieder an den Mund und blies Rudi mit einem langen Tone an.

»Das Ding da möchte ich haben«, sagte Rudi.

»Willst du es mir mal geben?« fragte Peter. »Ich möchte auch mal blasen.«

»Na, das würde 'ne feine Musik werden«, meinte der Soldat.

»Blas doch weiter!«

Der Posaunist tat den beiden Knaben den Gefallen. Er zog das zweite Rohr rasch hin und her, und wieder stellte Peter bedauernd fest, daß der arme Soldat trotz aller Mühe das zweite goldene Rohr nicht aus dem ersten herausreißen konnte.

»Kannst du es nicht herauskriegen? – Ist wohl sehr schwer?«

»Du bist schon ganz rot«, rief Rudi.

Peter fühlte grenzenloses Mitleid mit dem armen Soldaten, der das Rohr nicht herausziehen konnte.

»Die Emilie sagt immer, es muß eingerostet sein, darum geht es nicht 'raus. – Ich helfe dir!«

Blitzschnell hatte der Knabe den Zug der Posaune erfaßt, sprang damit zurück und riß ihn mit einem energischen Ruck heraus. Er hatte dabei so viel Kraft angewandt, daß er rücklings ins Blumenbeet fiel. In den hocherhobenen Händen hielt er den Posaunenzug.

»'raus ist er!«

Der Musiker war im ersten Augenblick verdutzt. Jäh war der Ton abgebrochen; er hielt nur noch das Schallstück seiner Posaune in Händen.

»Bengel«, sagte er ärgerlich, »was fällt dir ein!«

Treuherzig blickte Peter ihn an. »Weil du dich doch so sehr quälst, du armer Soldat, habe ich das eingerostete Ding 'rausgezogen. Nun habe ich dir fein geholfen! – Ich habe aber gezerrt!«

Jetzt erst begriff der Musiker. Das strahlende Kindergesicht sagte ihm, daß hier kein Schabernack geplant war. Da begann er laut zu lachen.

»Du kleiner Dummsack, kennst du noch keine Posaune?«

Peter schüttelte den Kopf.

»Da will ich dir das Instrument erklären. Sieh einmal her. Durch das Hin- und Herschieben dieses zweiten Teiles, es heißt der Zug, werden die Töne gebildet. – Nun paß einmal gut auf.«

Der Posaunist setzte sein Instrument zusammen und begann zu blasen. »Hör zu – jetzt kommen die hohen Töne –, und jetzt blase ich einige andere Töne.«

Hin und her zog der freundliche Mann an seiner Posaune. Voller Bewunderung schauten ihm beide Knaben zu.

»Rudi will auch eine Posaune haben!«

K.

Es war ganz selbstverständlich, daß die Kinder den Musiker nicht so schnell wieder verließen. Währenddessen suchte Karl vergeblich seine Brüder. Er hatte inzwischen noch einem anderen Soldaten in der Kastanienallee einen Korb voll Birnen gebracht. Nun stand er allein vor dem bereits stark geleerten Korb in dem Schuppen und schalt auf die beiden Brüder, die nicht zurückkamen. Schließlich ging er zu dem Tisch unter dem Jasminstrauch, an dem die drei Soldaten saßen und ihre Sachen putzten. Er wollte ihnen helfen, aber keiner duldete das.

»Das muß alles ganz genau gemacht werden«, sagte einer der Soldaten, »sonst bekommen wir Schelte. Bei den Soldaten herrscht Ordnung. – Wie ist denn das, mein Junge, wolltest du nicht den Parademarsch lernen?«

»Bitte, wenn es Ihnen keine Mühe macht. – Bis Sie fertig sind, können Sie mir noch von den Soldaten erzählen. Ich höre das so gerne.«

Mit großer Aufmerksamkeit lauschte Karl den Berichten, die die drei gaben. So mancher Scherz wurde erzählt, aber auch die ernsten Seiten des Soldatenlebens verschwiegen sie nicht.

»Streng geht es zu, aber das muß so sein. Ohne strenge Erziehung wird aus keinem Menschen etwas Ordentliches.«

»Das sagt meine Mutti auch. – Oh, meine Mutti will auch aus uns tüchtige Jungen machen, und der Vati auch.«

Schließlich war das Putzen beendet, und den Soldaten machte es Freude, Karl als jüngsten Soldaten anzulernen. Der Kleine machte rechtsum und linksum, er lauschte den in militärischer Kürze gegebenen Befehlen und war mit ernstem Gesicht bei der Sache.

»Hinlegen«, klang es. »Aufstehen!«

»Und wie ist es mit dem Gewehr?« fragte Karl.

Einer der Soldaten holte eine Holzlatte herbei. »Laß dir zu Weihnachten ein Gewehr schenken, Karl, heute versuchst du es hiermit.«

Wieder gab Karl sich die größte Mühe, seinen Soldaten zufriedenzustellen. Der Gefreite fing sogar an, den jüngsten Soldaten anzuschreien.

»Stramm gestanden! – Kopf geradeaus! – Mensch, wie faßt du denn das Gewehr an? – Gewehr über! – Gewehr ab! – Hinlegen! – Mensch, du liegst ja da wie ein Frosch! – Aufstehen – Bauch hinein!«

Karlchen standen die Schweißtropfen auf der Stirn. Als der Gefreite mit den Übungen Schluß machen wollte, bat der Knabe dringend:

»Bitte, machen Sie weiter, es ist sooo schön!«

Die Soldaten lachten. »Jetzt ist es genug«, meinte der Gefreite. »Überanstrengung ist nicht richtig!«

»Machen wir Morgen weiter?«

»Nein, mein Junge, morgen früh rücken wir wieder ab.«

»Ach, wie schade! – Kommen Sie nicht bald wieder?«

»Vorläufig nicht, kleiner Mann. Aber es kann wohl möglich sein, daß ihr im nächsten Jahre wieder Einquartierung bekommt.«

»Sind Sie dann auch wieder da? Bis dahin habe ich viel dazugelernt.«

»Nächstes Jahr sind wir nicht mehr bei den Soldaten, da ist unsere Dienstzeit zu Ende.«

»Dann bin ich wieder in meiner Heimat«, rief der Oberschütze. »Ade, schöne Soldatenzeit, dann hat Reserve Ruhe!«

»Üben Sie nachher wieder mit mir?«

»Nein, nachher heißt es antreten, dann haben wir Dienst. Aber am Abend können wir es noch einmal versuchen.«

Eine halbe Stunde später kamen Peter und Rudi zurück. Sie wurden von Karl gewaltig angeschrien.

»Mensch, ist das Pünktlichkeit? Wartet nur, euch will ich das beibringen!«

Rudi wollte dem Bruder von der Posaune erzählen, aber der große Bruder schnitt ihm kurz das Wort ab.

»Stramm gestanden! – Donnerwetter, Mensch, donner – – wetter! Kopf geradeaus! – Du stehst da wie ein Frosch! – Bauch 'raus!« –

Die beiden Brüder wußten nicht, was Karl eigentlich von ihnen wollte. Da faßte er sie energisch an den Schultern, stellte sie nebeneinander auf und begann erneut: »Rechtsum – linksum – –«

Obwohl Rudi sich nach der falschen Seite drehte, störte das den Bruder Karl nicht.

»Hinlegen! – – Aufstehen! – Donnerwetter! – Bauch 'rein – – Bauch 'raus – – Arme vorwärts streckt! – – Hinlegen! – – Bauch 'raus – – Donnerwetter!«

»Du oller Dussel«, rief Peter, »wenn ich auf dem Bauch liege, kann ich den Bauch doch nicht 'rausbringen.«

»Mund halten! – Beim Militär gibt es keine Antwort! – Bauch 'raus, habe ich gesagt!«

Rudi rollte sich mehrmals um sich selbst, dann stand er auf und lief fort. Peter wollte das gleiche tun, aber da hielt Karl ihn fest.

»Du bleibst, Gefreiter. Ich bin dein General! Marsch! – Halt! – Augen linksum – Augen kehrt – – Geradeaus! – Hinlegen –«

»Du denkst wohl, du bist schon ein richtiger Soldat!« schrie Peter und stürmte auf seinen General los, um ihn mit beiden Fäusten zu bearbeiten. »Du bist noch ein dummer Junge! – Da hast du eine!«

Karl griff nach der Latte, die eigentlich sein Gewehr war, und wollte damit auf den Bruder losschlagen. Doch der lief rasch davon, versteckte sich im Schuppen und aß dort aus dem halbgeleerten Korb eine Birne nach der anderen.

Währenddessen unterzog er die Geräte, die im Schuppen verwahrt waren, einer genaueren Durchsicht.

»Da ist auch 'ne Posaune!« sagte er zu sich selber. Er nahm die Baumspritze zur Hand, setzte das eine Ende an den Mund und zog die Spritze auf und zu. Dabei stieß er laute, langgezogene Töne aus.

Das Spiel begeisterte ihn immer mehr und mehr. Er lief hinaus in den Garten, gerade Herrn Mahler in den Weg.

»Sich mal, ich posaune!«

»Pfui! Wie kannst du die Baumspritze an den Mund setzen! Riechst du denn nichts?«

»Macht nichts«, erwiderte Peter.

Aber Herr Mahler nahm dem Knaben die Spritze fort. Erst kürzlich hatte er mit einem Gemisch von Karbolineum und Wasser gespritzt.

»Du – meine Posaune ist das«, rief Peter ärgerlich.

»Mach fix, daß du weiterkommst!«

»Ich gebe dir keine Birne!« Mit diesen Worten entfernte sich Peter. Als er dann in die Nähe der Wiese kam, hörte er schon wieder Karls befehlende Stimme: »Hinlegen! – Aufstehen! – Gewehr über! – Gewehr ab! –«

Vorsichtig schaute Peter zu dem Bruder hinüber. Der war allein. Er spielte mit sich selbst Soldat.

Dann kehrte Peter in den Schuppen zu dem Korbe mit den süßen Birnen zurück, um weiterzuessen.


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