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Drei Soldaten

Das Zimmer neben der Garage war von Pucki sehr nett ausgestattet worden. Sie hatte für die Einquartierung unter dem Jasminbusch noch ein Gartenplätzchen hergerichtet, damit dort die drei Soldaten bei gutem Wetter ihre Mahlzeiten einnehmen konnten.

Die Knaben befanden sich in fieberhafter Erregung. Gar zu gern hätten sie auf dem Marktplatz die Einquartierung erwartet, um der Verteilung der Quartierzettel beizuwohnen. Aber Pucki erlaubte das nicht. In das Gedränge, das einsetzen würde, wollte sie ihre Kinder nicht schicken. Sie durften nur bis an die nächste Straßenecke gehen, um die Soldaten, die die Kastanienallee herunterkamen, zu beobachten und vielleicht jene herauszufinden, die ihr Quartier bei Doktor Gregor suchten.

Karl nahm sich sofort vor, jeden daherkommenden Soldaten zu fragen. Er meinte sogar, es sei vielleicht richtig, wenn er auf eine Stange einen Zettel stecken würde mit der Aufschrift: »Hier Einquartierung für Doktor Gregor.« Sein Schulfreund hatte ihm erzählt, daß einer der Gutsbesitzer genau solch ein Schild angefertigt hätte und damit auf dem Marktplatz stehen wolle, denn er bekäme siebenundsechzig Mann.

»Wir möchten auch so viele Soldaten haben«, klagte Peter, »drei sind zu wenig. In der Klinik ist so viel Platz!«

»Vielleicht findet einer sein Quartier nicht«, tröstete Karl den jüngeren Bruder, »dann bringen wir ihn mit zu uns. Oder einer zankt sich mit dem Manne, der ihm sein Bett geben soll, wie damals der Mann gegenüber. Den nehmen wir dann auch mit, und er kommt in die Klinik zu Tante Waltraut.«

»Ach, die arme Tante Waltraut hat keinen Soldaten!«

»Emilie und Mutti haben doch auch keinen. Wir geben unsere aber nicht ab. Die sind nur für uns!«

Am späten Nachmittag verbreitete sich die Kunde, daß die Soldaten gekommen wären. Rudi und Peter warfen die Spielsachen, die sie gerade in Händen hielten, in hohem Bogen in die Ecke und schrien: »Die Soldaten kommen! – Wir müssen 'raus!«

»Nur bis an die Ecke der Lindenallee«, mahnte die Mutter, als die Knaben erregt an ihr vorüberstürmten. »Noch besser wäre es, ihr bliebet an der Gartentür stehen und nehmt dort die Soldaten Empfang.«

»Mutti, sollen wir Blumen mitnehmen?« fragte Peter.

»Komm doch, sonst gehen die Soldaten woanders hin«, rief Karl erregt, und schon eilten die Knaben davon.

Sie hatten kaum das Haus verlassen, als drei Soldaten die Kastanienallee entlang kamen. Sie waren schwer bepackt, hatten jeder einen Tornister auf dem Rücken, oben darauf eine graue Rolle und den Stahlhelm auf dem Kopf.

Karl eilte ihnen entgegen. »Bitte, Sie sind hier richtig, dort drüben wohnen wir. Sie sind doch die drei Soldaten für die Kastanienallee?«

»Ja, wir sind die Einquartierung«, sagte der eine und lachte die Kinder vergnügt an.

»Mutti hat schon Speise gekocht. Sie hat gesagt, Sie werden heiß und hungrig sein. Und die Bierflaschen habe ich schon in einen Eimer mit Wasser gestellt. – So, da sind wir. Das hier ist unser Garten, und dort hinten wohnen Sie!«

»Ihr wohnt ja sehr hübsch hier. Müde sind wir freilich.«

»Drei schöne weiche Betten sind da«, rief Peter, »und früh können Sie so lange schlafen wie Sie wollen. – Darf ich Ihnen den Tornister tragen?«

»Nein, mein Junge, ein Soldat muß sein Gepäck selber tragen; es ist auch zu schwer für dich.«

»Ach, ich möchte auch Soldat sein«, rief Karl.

Rudi hatte den dritten Soldaten an der Hand genommen und trippelte neben ihm her durch den Garten. Peter wies mit dem Finger auf die Klinik: »Hier liegen die Kranken. Wenn Sie bei uns krank werden, holt Sie der Vater in das weiße Haus. Aber jetzt kommen Sie erst mal hier 'rein. – Da, sehen Sie, dort ist Ihre Stube.«

»Da haben wir aber ein feines Quartier bekommen. Das ist nett!«

Karl öffnete die Tür. Im nächsten Augenblick hatten die drei Soldaten ihr Gepäck auf die Erde gelegt und die Helme abgenommen. Dann wischten sie sich die Schweißtropfen von der Stirn.

»Bitte, nehmen Sie hier Platz. Sie dürfen sich setzen. Das alles hat die Mutti für Sie hergerichtet. Jetzt rufe ich die Mutti, und dann bekommen Sie gleich was zu essen.«

»Nur etwas zu trinken«, sagte der eine, »mit dem Essen hat es noch Zeit!«

»Ich hole schon was«, rief Peter geschäftig und rannte davon. Er wußte ja, daß in der Küche ein Eimer mit Bierflaschen stand. Er hatte die Flaschen selbst hineingestellt.

»Emilie, die Soldaten sind da«, schrie er in die Küche, »sie haben so einen dollen Durst und können kaum sprechen.«

K.

Emilie packte drei Flaschen in ein Körbchen. Peter wollte gleich damit fortlaufen. »Halt, mein Junge, die Gläser!«

Peter hörte nicht mehr. Im Galoppschritt erreichte er wieder das Zimmer, und kurze Zeit später hatte jeder der Soldaten eine Flasche am Munde.

Da trat Frau Doktor Gregor ein. Ein Ruck, die drei hielten im Trinken inne, schlugen die Hacken zusammen, hielten die Flasche an die Hosennaht und begrüßten so die Hausfrau.

»Ich möchte wünschen, daß es Ihnen in der kurzen Zeit Ihres Aufenthaltes in meinem Hause gut gefällt. Sollten Sie noch irgendein Anliegen haben, brauchen Sie es nur einem meiner Kinder zu sagen, sie werden mir sofort Nachricht geben. In etwa einer Stunde wird das Abendbrot fertig sein. Sie haben doch heute keinen Appell mehr?«

»Nein, heute nicht. Vielen Dank.«

Die Knaben standen da und staunten. Das Zusammenknallen der Hacken, das Strammstehen machte einen gewaltigen Eindruck auf sie.

»Karlchen«, wandte sich Pucki an ihren Ältesten, der sofort versuchte, die Hacken zusammenzuknallen und die Hände an die Seiten zu legen, »du zeigst unserer Einquartierung nachher, wo sie Abendbrot essen soll.«

»Der Rudi zeigt es«, rief der Jüngste, faßte wieder nach der Hand des einen Soldaten und rief ihm zu: »Du, Soldat, komm mit!«

Da horchte Pucki auf. Sie vernahm Emiliens Stimme, dann eine Männerstimme. Schritte näherten sich der Garage. Und nun kamen drei Soldaten an, die von Emilie geführt wurden.

»Melde gehorsamst: die Einquartierung ist da. Drei Mann für Herrn Doktor Gregor.« Einer wies einen Zettel vor.

Pucki schaute von einem zum anderen. »Hier sind ja schon drei Mann. Wir haben nur drei Mann Einquartierung zu bekommen.«

»Zu Doktor Gregor sollen wir nicht«, sagte einer der vorher Angekommenen, »wir sind bei Hellriegel einquartiert.«

»Meine Herren, dann ist es ein Irrtum. Sie sind hier in der Kastanienallee Nummer acht und Hellriegel wohnt weiter hinten, in der Kastanienallee zwanzig.«

»Wie schade!«

»Mutti, laß sie doch hierbleiben«, rief Peter. »Wir haben in der Klinik so viele Betten! – Mutti, ach, bitte, sie gefallen mir so gut!«

»Uns gefällt es hier auch sehr gut«, meinte einer der Soldaten, »aber es ist ja unsere Schuld.«

»Bleibt ruhig hier«, sagte Peter, »der Vati hat so viele Betten.«

»Nein, mein Junge, unser Befehl lautet: Kastanienallee zwanzig, wir müssen gehorchen. Ein Soldat muß immer gehorchen.« Schon warfen sie die Tornister auf den Rücken.

»So schöne Soldaten gehen weg«, meinte Rudi schmollend, als die drei mit herzlichen Dankesworten Abschied nahmen.

Dann wurden die drei anderen Soldaten in Augenschein genommen. Auch sie waren hocherfreut über das behagliche Quartier, das ihnen bereitet war.

»Da werden wir aber gut schlafen«, lachte der Größte, »in der letzten Zeit haben wir oft keine guten Betten gehabt.«

Pucki verabschiedete sich bald und nahm Karl mit, damit er den Soldaten Bier bringen sollte. Das geschah. Selbstverständlich blieben die Kinder bei der Einquartierung. Allerhand Fragen wurden gestellt, und mit größter Aufmerksamkeit wurde der Inhalt der Tornister durchstöbert.

»Ich möchte auch einmal ein Soldat werden«, sagte Karl, »ich habe die Soldaten sehr gern!«

»Wenn du die Schule hinter dir hast, wirst du auch zur Wehrmacht kommen, mein Junge.«

»Das ist fein!« rief Karl und klatschte erfreut in die Hände. Er hüpfte von einem Bein auf das andere und rief: »Ich werde Soldat, ich werde Soldat! – Kann ich mir aussuchen, was für ein Soldat ich werde?«

»Freilich – du kannst dich zur Infanterie, zur Luftwaffe, zur Marine oder zur Artillerie melden.«

»Au, ich fliege«, rief Karl voller Begeisterung, »ganz hoch hinauf!«

»Das ist was sehr Feines! – Mein Freund ist sogar Fallschirmspringer. Fallschirmschützen nennt man die. Erst geht es mit dem Flugzeug in die Luft, dort hängt er sich an einen Schirm, springt ab – der Schirm öffnet sich, und langsam schwebt er auf die Erde herunter.«

»Oh, du Schwindler!« rief Peter. »Na, du bist einer!«

Peter konnte sich das natürlich nicht vorstellen, denn er hatte noch nie einen Fallschirm gesehen, noch davon gehört. Karl dagegen wollte mehr wissen.

»Es ist natürlich kein richtiger Schirm, sondern ein Fallschirm«, sagte der Soldat.

»Oh, du Schwindler – du Schwindler«, rief Peter noch lauter. Dann zog er Rudi vor die Garage und neigte sich flüsternd zu ihm: »Ich weiß was. Wir gehen nachher mit dem Soldaten, der so schön schwindelt, auf die Wiese. Ich möchte so gerne mal über den Bach gehen. Aber das ist dort 'ne Lügenbrücke. Ich will mal sehen, ob das wirklich 'ne Lügenbrücke ist. – Du, Rudi, ich laß den Soldaten, der eben mächtig geschwindelt hat, über die Brücke gehen.«

»Au, dann fällt er – patsch – ins Wasser. – Das ist fein!«

Karl hatte sich inzwischen den Fallschirm genauer erklären lassen. Da kamen die beiden jüngeren Knaben, listig mit den Augen zwinkernd, wieder herein.

»Wir haben eine so schöne Wiese, auf der die Frösche quaken«, sagte Peter, »komm mal mit zu den lieben Fröschen.«

»Laß mich erst meine Sachen in Ordnung bringen, Kleiner.«

Aber Peter zog ihn am Ärmel. »Bitte, komm doch mal mit!«

»Was soll ich denn auf der Wiese?«

Rudi stellte sich auf die Zehenspitzen, packte den Soldaten vorn am Rock und zog ihn zu sich herab. »Dort ist 'ne Lügenbrücke, wir wollen mal sehen, ob du ins Wasser fällst.«

»So? – Eine Lügenbrücke ist dort?«

»Ja. – Wer schwindelt, fällt hinein, das hat der Onkel Doktor gesagt.«

»Laß mich die Sachen erst in Ordnung bringen, es dauert nicht mehr lange, dann komme ich mit zur Lügenbrücke.«

Voller Ungeduld warteten die beiden Knaben, bis der Oberschütze endlich fertig war. Schließlich folgten die drei Soldaten lachend den voraneilenden Kindern zur Wiese.

»So – Peterchen, jetzt gehst du zuerst über die Brücke«, sagte der eine der Soldaten.

Peter wehrte entsetzt ab. Über den kleinen Graben war ein breites, sehr festes Brett gelegt. Trotzdem war den Kindern verboten worden, auf diesen durch einen Zaun abgegrenzten Teil der Wiese zu gehen. Nur in Begleitung Erwachsener war ihnen das Betreten erlaubt. Aber gerade der Bach hatte für die Knaben eine so große Anziehungskraft, daß sie immer wieder eine Begleitung suchten, um hinzugehen. Aber es war nicht einmal gefährlich, wenn man in den Bach fiel; dazu war er viel zu flach. Pucki saß heute noch der Schreck in den Gliedern, wenn sie an den Unglücksfall dachte, als ihr Jüngster fast im Schlamm des Baches erstickt war.

»Ich gehe als Erster über die Brücke«, sagte Karl siegessicher, da er sich nicht erinnern konnte, in den letzten Tagen eine Unwahrheit gesagt zu haben. Stolz ging er hinüber und kam ebenso stolz wieder zurück.

»Du bist also kein Schwindler«, sagte der Oberschütze. »Jetzt kommt dein Bruder an die Reihe.«

»Nein«, rief Peter erregt, »gehen Sie erst mal 'rüber!« Er wies auf den Soldaten, der vom Fallschirm gesprochen hatte.

Der Soldat ging sogar zweimal über die Brücke, ohne in den Bach zu fallen. Peter kniff die Augen zusammen. »Es wird wohl doch keine Lügenbrücke sein«, meinte er nachdenklich. »Dann gehe ich auch mal hinüber.«

»Ich traue mich nicht«, scherzte der zweite Soldat, »ich habe vorhin ein wenig geschwindelt.«

»Ach, geh doch mal 'rüber, bitte, bitte«, drängte Peter.

Der zweite, ein gutmütiger Bayer, wollte den Knaben einen besonderen Spaß machen. Nur zögernd wagte er den ersten Schritt. »Oh – wenn es eine Lügenbrücke ist – –«

»Geh doch«, drängte Peter.

Obgleich nur drei Schritte zu machen waren, um den kleinen Graben zu überqueren, fing der Soldat plötzlich an zu stolpern und saß gleich darauf mit beiden Beinen im Wasser. Da er hohe Stiefel an hatte, machte ihm das nichts aus.

»Oh – –« rief er, während er das Lachen mühsam unterdrückte, denn er sah die entsetzten Gesichter der Knaben, »das kommt davon, wenn man eine Unwahrheit sagt. – Ja, ja, es ist schon besser, man denkt sich keine Lügen aus. – Das hier ist eine ganz gefährliche Brücke!«

»Eine richtige Lügenbrücke«, meinte Peter staunend und betrachtete sie mit Ehrfurcht.

»Nun geh du einmal hinüber«, sagte der erste Soldat.

»Kommt fort«, sagte Peter und hatte es plötzlich recht eilig, »wir wollen dort drüben hingehen, dort ist es auch sehr schön. – Oder wir gehen in die Laube. – Kommt doch!«

Die Soldaten lachten noch immer über den gelungenen Scherz. Kurze Zeit später tummelten sich alle auf der Wiese. Die gutmütigen Soldaten spielten mit den Knaben, und die Kinder stellten fest, daß Soldaten ganz herrliche Menschen waren, mit denen man vortrefflich spielen konnte.

Schließlich rief Emilie zum Abendessen. Peter eilte der Mutter entgegen. »Mutti – es ist wirklich 'ne Lügenbrücke. Der eine Soldat ist ins Wasser gefallen. – Mutti, er hat eine Lüge gesagt, und schon ist er 'reingeplumpst!«

»Sollt ihr zum Bach gehen, Kinder?«

»Die Soldaten waren dabei und haben uns beschützt«, sagte Karl, »da durften wir doch hingehen. – Mutti, einer ist wirklich in den Bach gefallen. Es war dort aber nicht tief, da ist er rasch wieder herausgekommen.«

»Also, merke dir, Peterli«, sagte Pucki ernst, »wenn es mir wieder einmal scheint, als hättest du eine Unwahrheit gesprochen, dann gehe ich mit dir zur Lügenbrücke.«

»Ach, Mutti«, klang es angstvoll, »ich will ja nicht mehr lügen!«

Nach dem Abendessen wollten die Knaben wieder zu den Soldaten gehen, aber die Eltern wehrten ab. »Laßt die armen Soldaten in Ruhe, sie wollen schlafen. Sie sind froh, wenn sie ins Bett kommen.«

»Aber morgen«, bat Karl. »Wir haben sie noch so furchtbar viel zu fragen. – Mutti, ich möchte gerne einen Fallschirm haben. Damit kann man fliegen, und ich möchte Flieger werden.«

»Vielleicht willst du gleich ein Luftschiff«, lachte Pucki. »Bis es so weit ist, mußt du noch viel anderes lernen.«

»Ja, Mutti, morgen zeigt mir der Soldat das richtige Marschieren, das Kehrtmachen und den Paradeschritt. Wenn ich dann mal zu den Soldaten komme, habe ich alles schon gelernt. Dann werde ich rasch ein Oberschütze, ein Unteroffizier und dann ein General!«

Im Traume sah Karl sich bereits als tüchtigen Soldaten, Peter dagegen träumte von einer hohen Bogenbrücke, über die eine Eisenbahn fuhr. Und da ein Mann im Zuge saß, der gelogen hatte, brach die Brücke zusammen.

Ja, eine Lügenbrücke war etwas sehr Schlimmes.


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