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Die goldenen Gewänder

Die gesunde Natur Claus Gregors trug den Sieg davon. Die Besserung machte von Tag zu Tag Fortschritte, und am Weihnachtstage war Claus so weit hergestellt, daß er im Kreise seiner Angehörigen das Fest mitfeiern konnte. Der Plan, den Weihnachtsabend im Forsthaus Birkenhain zu verbringen, wurde fallengelassen. Sandlers fuhren hinüber zur Oberförsterei, weil man dem Genesenden die Fahrt zum Forsthaus noch nicht zumuten konnte.

Es war ein beglückendes Zusammensein. Auch die Feiertage verbrachte Pucki im Hause des Oberförsters. Dann machte sie einen Besuch in Rahnsburg bei Thusnelda. Die Freundin strahlte, denn der brave Töpfermeister Schratt hatte ihr am heiligen Abend den goldenen Ring an den Finger gesteckt. Er meinte, er brauche eine tüchtige Frau. Thusnelda hätte in all den Jahren, da er sie kenne, gezeigt, wie tapfer sie sich durchs Leben zu schlagen vermöchte. Solch eine fleißige Frau könne er gut brauchen, denn er wolle sein Geschäft langsam vergrößern. Das sei aber nur möglich, wenn daheim ein braves und sparsames Weib schalte und walte.

»Was stehen mir für Hochzeitsfeiern bevor«, lachte Pucki. »Carmens, meine eigene und nun auch deine. Inzwischen taufen wir bei Rose Teck.«

»Jawohl, die kleine Hedi.«

»Hedi?« fragte Pucki erstaunt.

»Freilich! Rose will doch, wenn's ein Mädel wird, eine Hedi haben. Nach dir soll sie so heißen!«

»Warum nicht gleich Pucki? Weißt du, ich glaube, da sind sich zum ersten Male Rose und Michael nicht ganz einig. Mir sagte er einmal, daß das Kind Rose heißen soll, nach der Mutter. Wenn sie sich dann mächtig gestritten haben, paß auf, dann wird's ein Junge«, lachte Pucki lustig.

»Wirst du zu meiner Hochzeit auch kommen, Pucki?«

»Natürlich werde ich das tun. Wir vier sind immer zusammen, wenn es heißt, ein Fest zu begehen.«

»Aber Pucki, ich werde doch eine Handwerkerfrau.«

»Fängst du auch mit dem Unsinn an, Thusnelda? Ist ein Handwerk nicht etwas Wunderschönes. Wenn wir vier später mit unseren Männern einmal zusammen sind, verkörpern sie das ganze Schaffen der Welt. Da ist der Offizier und der Arzt, daneben steht der Bauer, und ihm gesellt sich der Handwerker hinzu. – Ein prachtvolles Vierblatt! So soll es bleiben fürs Leben. Du mußt uns schon einladen, Thusnelda. Wenn du es aber nicht tust, dann erscheinen wir ungeladen. Jede von uns bringt ihren Mann mit. Wir werden den Rahnsburgern schon zeigen, was es heißt, in der Jugend Freundschaft zu schließen. Diese Freundschaft hält! Muß ich dich an mein Poesiealbum erinnern, in dem von deiner Hand geschrieben steht, daß du bis ans Lebensende meine Freundin bleiben willst?«

Mit glücklichem Lachen drückte Thusnelda dem Försterkinde die Hand.

Am Silvesterabend behauptete Claus, er sei nun wieder so weit hergestellt, um an die Aufnahme seiner Praxis denken zu können.

»Morgen beginnt das neue Jahr, Pucki, ein Jahr, dem wir beide in froher Erwartung entgegensehen. Es bringt uns etwas ganz Neues.«

»Ja, Claus, unser eigenes Heim.«

»Es bringt für dich neue Aufgaben, neue Pflichten, aber ich sehe getrost deinem Wirken entgegen. Ich glaube, mein liebes Kind, auch in deinem Herzen ist es nun ruhig und friedlich geworden. Die Unruhe, die in dir wohnte, ist verstummt. Dich beherrscht nicht mehr das quälende Hinausdrängen in die unbekannte Ferne, es ist wie eine stille Heimkehr, du hast dich auf dich selbst besonnen. So wollen wir gemeinsam unsere Kräfte sammeln, im Dienst der Allgemeinheit, um geben und schenken zu können. Wir sind noch jung, wir sind froh und stark.«

»Hast recht, Claus, in mir ist nicht mehr jene Unruhe von einst. Es mag sein, daß das Glück ruhig macht. Ich sehe eine Welt vor mir voll goldener Sonnenfreude. Das Leben dünkt mir wie ein Frühlingsgarten. An deiner Seite will ich das Leben recht verstehen. Wenn ich in acht Tagen wieder fort muß, wird keine Bitternis in mir sein, und auch keine Klage wird über meine Lippen kommen. Es ist die letzte Trennung.«

Als die Gläser um Mitternacht aneinanderklangen, stieg in Puckis Herzen erneut das heilige Gelöbnis auf, ihr künftiges Leben so zu gestalten, daß sie vor sich selbst bestehen könne und die Augen nicht niederzuschlagen brauche, wenn von irgendwoher eine mahnende Stimme tönte: Nutzest du deine Jugend? Nutzest du die Gaben, die man dir verliehen?

Von Carmen waren glückliche Karten aus dem Gebirge angekommen. Später teilte sie Pucki mit, daß die Schneeverhältnisse ungünstig geworden wären. Nun wolle Christian, daß sie sein Weihnachtsgeschenk in Empfang nähme.

»Ein Geschenk, liebe Pucki«, so schrieb Carmen, »über das ich mich unsagbar freue. Beweist es mir doch erneut, wie gut mich Christian versteht. Immer hast du mich eine kleine Träumerin genannt, die zuviel der Vergangenheit nachhinge. Du hattest nicht unrecht. Ich weile gern mit meinen Gedanken in früheren Zeiten. Viel Trauriges, aber auch unendlich viel Schönes ist durch mein Leben gegangen. Ich habe Christian oft davon erzählt. Er bedauerte stets, daß er alle die Orte, alle die Menschen, von denen ich ihm berichtete, nicht persönlich kennt. Er meint, unser Zusammenleben würde sich noch traulicher, noch inniger gestalten, wenn auch er in meiner Vergangenheit Bescheid wüßte. Nun hat er mir eine Reise durch mein Leben geschenkt. So hat er scherzend diese Reise genannt, die uns nun gemeinsam durch alle jene Orte und zu den vielen Bekannten führen soll, die mit mir in Berührung kamen. Es ist ein Hin- und Herfahren in der Welt, aber Christian will alle Etappen meines Lebens in genau derselben Reihenfolge genießen, wie ich sie durchlaufen habe.«

»Welch schöner Gedanke«, sagte Pucki innig. »Claus braucht das nicht zu tun. Wir haben unsere Jugend fast gemeinsam verlebt.«

Weiter schrieb Carmen: »Wir beginnen unsere Reise durchs Leben mit Bremen. Dort liegt meine Mutter begraben. – Du weißt, ich verlor sie schon als kleines Mädchen. Gemeinsam mit Christian will ich an ihr Grab treten. Dann geht es nach Hamburg. Dort machte ich meine ersten Schulbesuche. Später kam ich nach Erfurt und schließlich nach Rotenburg. Pucki, dort lernte ich dich kennen, und von Rotenburg machen wir einen Abstecher – zur Waggerburg. Von ihr kommen wir für eine Stunde zu dir. Wir werden es so einrichten, daß wir dich sehen können, ehe du wieder nach Leipzig fährst. Du sollst endlich meinen Christian kennenlernen. Er will wissen, wie Pucki Sandler aussieht, denn von nun an nennt er dich nur noch Pucki. Ich gebe dir genauen Bescheid, wann wir ins Forsthaus kommen.«

Die Aussicht, Carmen so bald wiederzusehen, beglückte Pucki ungeheuer.

»Wenn Christian alle kennenlernen will, die mit Carmen in Berührung kamen, muß er unter allen Umständen auch Carmens drei Freundinnen gesehen haben. Ich werde an jenem Tage Rose und Thusnelda ins Forsthaus einladen. Dann hat er uns alle mit einemmal.«

»Darf ich nicht dabei sein, Pucki?« fragte Claus.

»Freilich, Claus, du gehörst doch zu uns. Christian muß dich auch kennenlernen, denn er soll doch zu unserer Hochzeit kommen.«

»Ich stelle mich rechtzeitig ein.« – –

Schon drei Tage später kam von Carmen eine Karte aus Rotenburg, in der sie mitteilte, daß sie mit ihrem Verlobten am nächsten Sonntagnachmittag im Forsthaus eintreffen würde. Vorerst seien sie bei Tante Grete und suchten auch noch andere Bekannte auf. Dann würde die Reise über Rahnsburg fortgesetzt.

Pucki hatte nichts Eiligeres zu tun, als Rose Teck und Thusnelda von dem bevorstehenden Besuch zu unterrichten.

»Ihr müßt am Sonntagnachmittag zu mir kommen. Es soll sein wie in der Kinderzeit. Bei Kaffee und den geliebten Waffeln wollen wir uns viel erzählen.«

Auch Claus, der langsam seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte, meinte, er werde unter allen Umständen an dieser Kaffeegesellschaft teilnehmen. Er freue sich sehr darauf, in Puckis Freundinnenkreis zu sitzen und Carmens Verlobten kennenzulernen. – –

Und dann war der Sonntagnachmittag da! Alle waren gekommen. Förster Sandler und seine Frau hatten sich zurückgezogen. Dieser Nachmittag gehörte uneingeschränkt der Jugend.

Claus fand großen Gefallen an Christian Stieger. Für die beiden Männer gab es viele Anknüpfungspunkte. Die Freundinnen aber rückten immer enger zusammen, hatten viel zu lachen und viele Heimlichkeiten auszupacken. Dabei strahlten ihre Augen immer heller.

Nach dem Kaffeetrinken schlug Claus dem jungen Offizier einen Spaziergang durch den winterlichen Wald vor.

»Fast sieht es aus«, meinte er lachend, »als könne unsere liebe Weiblichkeit ihre Geheimnisse besser austauschen, wenn keine Männerohren lauschen.«

Stieger war mit dem Spaziergang sehr einverstanden, und die beiden Herren entfernten sich.

Die Mädchen waren längst vom Kaffeetisch aufgestanden. Sie saßen im Wohnzimmer in dem kleinen Erker auf einem Sofa und steckten die Köpfe zusammen. Ihre Gedanken schweiften weit zurück in die Vergangenheit, in die Zeiten, da sie sich gefunden hatten. Da war zuerst Thusnelda gewesen, die mit Pucki bei Fräulein Caspari die Geheimnisse des Abc erlernt hatte. Später kam dann Rose, das blasse Stadtkind, dazu, die die Dritte im Bunde der kleinen Freundinnen wurde. Und viel später erst, bei Tante Grete in Rotenburg, hatten sich Pucki und Carmen gefunden. Dieser Freundschaftsbund war, wenngleich der jüngste, doch der innigste geworden.

»Weißt du noch, Carmen, wie du mich getröstet hast, als ich am ersten Abend bei Tante Grete vor Heimweh nicht einschlafen konnte?«

»Ich werde das nie vergessen, Pucki, denn dein Kummer schnitt mir ins Herz. Ich hatte doch so früh schon das Leid um die tote Mutter erlebt, ich verstand dich. Ich weiß, daß die Jugend schon bittere Tränen weinen kann.«

»Und ich werde nie vergessen«, sagte Rose Teck voller Innigkeit, »wie ich hier im Forsthause glückliche Wochen verleben durfte. Auch ich weiß, wie bitter meine Tränen flossen, als ich wieder fort mußte, und wie sehr ich mich nach Wald und Feld zurückgesehnt habe.«

»Es war deine Bestimmung, Rose«, sagte Thusnelda. »Du, das Großstadtkind, solltest aufs Land zurück, woher vielleicht einmal deine Vorahnen stammten.«

»Unbewußt hast du die Sehnsucht nach dem Lande in dir herumgetragen«, spann Carmen den Gedanken fort. »Als du dann hinauskamst und die freie Gottesnatur um dich war, ist alles mit Macht zum Ausbruch gekommen, und da konntest du nicht mehr zurück. Und wie wohl einst deine Voreltern, so zog es dich hinaus, um Feld und Garten bestellen zu helfen.«

»Dorthin, wo du den Michael und die Heimat gefunden hast«, setzte Pucki hinzu.

»Sind sie nicht alle prächtige Männer?« fragte Carmen. »Pucki, Thusnelda, Rose: Wie gefällt euch mein Christian?«

»Ich könnte mir keinen besseren für dich denken, Carmen«, meinte Pucki. »Du sagtest einmal, ihr hättet euch auf den ersten Blick gefunden. ›Gefunden‹ war das rechte Wort, denn ihr suchtet euch unbewußt schon lange.«

»Ja, Carmen, bei dir war das alles so ganz anders als bei uns«, sagte Thusnelda. »Meinen Verlobten kenne ich seit Jahren, eigentlich von Kindheit auf. Und doch ist mir lange nicht in den Sinn gekommen, daß wir einmal fürs Leben zusammenfinden würden. Auch du, Pucki, und dein Claus –«

»Nein, Thusnelda, bei uns ist das auch anders«, unterbrach Pucki. »Du weißt doch, ich habe meinem Claus schon als kleines Mädel eine Liebeserklärung gemacht. So wußte er immer, woran er war.«

»Na, na«, lachte Rose, »wenn du ihm später noch einmal eine Liebeserklärung gemacht hättest, würdest du dir viel Kummer erspart haben.«

»Hast recht, liebe Rose, und du warst schließlich unser guter Engel.«

Allmählich wurde es stiller in der Runde. Die rot verschleierte Lampe ließ ihr gedämpftes Licht auf die vier Freundinnen fallen.

»Ich will die große Lampe anzünden«, meinte Pucki, »im Erker ist es so dunkel, daß wir uns kaum richtig sehen können.«

»Es ist wunderschön so«, erwiderte Carmen. »So traulich, so still, wie es in unseren Herzen ist.«

»Wie im Märchen«, sagte Rose Teck.

Wieder war es ein Weilchen mäuschenstill. Man hörte nur das Ticken der Uhr.

Carmen legte plötzlich ihren Arm um Puckis Schultern. »Weißt du noch? Wir waren klein, und du erdachtest für uns allerlei Scherze und Späße. Später wußtest du gar wunderschöne Geschichten zu erzählen, und jetzt sagt man von dir, du könntest prächtige Märchen ersinnen. – Ist es heute nicht, als säßen wir selbst im Märchenland? Vier Freundinnen, die in alle vier Winde auseinanderfliegen werden. Heute sitzen wir noch einmal in dem Hause, das uns wie ein festes Band umschlingt. – Pucki, erzähle uns ein Märchen, das für diese Stunde paßt.«

»Ein Märchen«, lachte das junge Mädchen. »Ist die Wirklichkeit nicht genau so schön wie ein Märchen? Liegt vor uns allen nicht sonnenhell das Leben? Wir wandern der Sonne entgegen, wir werden sie aufgehen sehen. Der Frühling, der in uns wohnt, treibt uns zu ihr hin. Und mit der ganzen Lust unseres Hoffens, mit dem festen Glauben der Jugend werden wir diese Sonne begrüßen.«

»Du sprichst«, sagte Thusnelda leise, »als erzähltest du schon ein Märchen. – Bitte, bitte, mache uns die Freude, erzähle, wie einst, von Mucki und Pucki.«

Einen Augenblick dachte das junge Mädchen nach. Sein Gesicht nahm einen stillen, fast verklärten Ausdruck an.

»Ein Märchen, das wir alle erleben wollen, das uns auf unserer Wanderfahrt durchs Leben begleiten soll. Das Märchen von den Waldfrauen, die in tiefster Weltabgeschiedenheit lebten. Alle Schätze der Erde gehörten ihnen, und doch waren sie nicht glücklich. Was nützte ihnen der Reichtum der Welt? Oftmals blickten sie sehnsuchtsvoll empor zur Sonne, der es gegeben war, mit ihren goldenen Strahlen, ihrem warmen Licht allen Menschen Freude zu schenken. Aber die Waldfrauen wußten nicht, wie sie es beginnen sollten, um, gleich der Sonne, Glück zu spenden. Ihre Gedanken galten den Schätzen, die sie in ihrer Weltabgeschiedenheit argwöhnisch hüteten.

Je älter sie wurden, um so härter empfanden sie ihr zweckloses Dasein. Große Traurigkeit bemächtigte sich ihrer. An einem Sommertage, als die Sonne wieder strahlend die blitzenden Schätze der Waldfrauen beleuchtete, rief eine von ihnen verzweifelt:

›Du ewig junge, du glückliche Sonne, hilf uns! Schenke uns dein Leuchten, schenke uns deine Wärme, zeige uns den Weg, der uns froh und jung macht! Was nützen uns alle Schätze der Welt, wenn wir dabei unfroh und elend sind?‹

›Oh, ihr Toren‹, schalt die Sonne. ›Wertlos sind die Schätze, die ihr hegt, wenn ihr argwöhnisch darüber wacht, daß sie euer bleiben. Wißt ihr nicht, daß auch ihr Lichtspender sein könnt?‹

›So zeige uns den Weg!‹ Flehend streckten die Waldfrauen ihre Arme der Sonne entgegen.

›Nehmt eure Schätze und nützet sie. Verlaßt den Wald, in dem ihr fern vom Leben haust. Geht zu den Menschen in Stadt und Land, zu den Menschen mit den zerfurchten Gesichtern, die müde wurden in der quälenden Angst um das Heute, um das Morgen. Geht zu den Menschen, denen der Kampf um ein bißchen Luft und Licht die Furchen ins Gesicht schrieb. Bringt ihnen das kalte Gold, damit es zum segenspendenden Quell werde.‹

Sofort begannen die Waldfrauen ihre Schätze einzupacken und aufzunehmen, aber sie brachen unter der Last zusammen.

›Hilf uns‹, flehten sie erneut zur Sonne, ›wir sind zu schwach. Was sollen wir tun?‹

Tiefer neigte sich der Sonnenball. Die ganze Glut seiner Scheibe traf den Schatz der Waldfrauen, löste ihn auf, zog ihn empor und ließ ihn, einem sanften Sprühregen gleich, wieder niederrieseln auf die weltfernen Frauen. Über die graugrünen Erdkleider fielen feine goldene Fäden, reihten sich zu Tausenden aneinander und wurden zu leuchtenden Gewändern von nie geschauter Pracht.

›Nun gehet hin zu den Leidtragenden auf dieser Erde! Euch darf der Tag nicht müde machen, ihr tragt die goldenen Gewänder, die Hoffen und Freude bringen.‹

Von den erstaunten Frauen fiel plötzlich alle Erdenschwere ab. Sie reckten die Arme, an denen das zarte Goldgespinst hing. Sie fühlten nichts mehr vom drückenden Alter, nichts mehr von Müdigkeit, und ihre Füße schienen über den Waldteppich zu schweben.

So gingen sie auseinander, die eine nach Süden, die andere nach Norden, die dritte und vierte nach West und Ost. Und überall da, wo sie Menschen trafen, zupften sie aus ihrem Gewande ein feines Goldfädchen heraus und wanden es den Mühevollen um die Stirn. Dann reckten sich deren Glieder, und neue Kraft schien ihnen gegeben zu sein. Die Frauen mit den goldenen Gewändern aber wanderten von Ort zu Ort. Ihr Leben hatte wieder Zweck und Inhalt bekommen. So schreiten sie noch heute umher. Wir sehen sie nicht, nur das Leuchten aber fühlen wir in ihrer Nähe.«

Pucki schwieg. Zunächst sagte keine der Freundinnen ein Wort. Schließlich schmiegte sich Carmen an Pucki.

»Ich habe dich verstanden, Pucki. Auch wir haben unseren Schatz argwöhnisch gehütet. Nun aber wollen wir, gleich jenen Frauen, aus unseren goldenen Gewändern Fäden um Fäden ziehen und denen von unserem Glück schenken, die uns die Nächsten sind und sein werden. Ihnen soll unsere Liebe, unsere ganze Sorge gelten, ihnen wollen wir das Glück bringen und für immer zu erhalten suchen.«

»Und lesen wir einmal die Sorgen in ihren Augen«, setzte Rose hinzu, »dann nehmen wir solch ein goldenes Fädchen und knüpfen es den Kummervollen um die Stirn. Wir lächeln sie an, und alles ist wieder gut.«

»Ja, Rose, so soll es sein! Du weißt es, denn du hast dein Heim schon begründet«, rief Pucki.

»Du schreitest im goldenen Gewande einher und spendest Glück«, setzte Thusnelda hinzu.

»Lehre uns, wie wir es machen müssen, um das Glück, dem wir entgegengehen, zu erfassen, zu halten und zu vertiefen«, sagte Pucki ernst. – –

Eine Viertelstunde später gesellten sich Claus und Christian wieder zu den Freundinnen. Man mahnte zum Aufbruch, doch war es nun kein schmerzliches Scheiden. Wohl wurden Abschiedsworte gewechselt, aber sie taten nicht weh. Still ging jeder seines Weges, der eine nach Norden, der andere nach Süden, wie jene Waldfrauen in ihren goldenen Gewändern.

Als Claus Pucki von der Gartentür zurück ins Forsthaus geleitete, riß er seine junge Braut in leidenschaftlicher Aufwallung an sich und küßte sie.

»Ich habe deine Erzählung gehört, Pucki. Wie glücklich bin ich, dich mein nennen zu dürfen.«

Und noch einmal zog er sie fest in seine Arme und küßte sie lange.


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