Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Puckis felsenfester Entschluß

Nun war Hedi Sandler wieder in Leipzig. Das Seminar hatte begonnen. Sie nahm sich vor, von nun an nur ihrer Arbeit zu leben, ja sogar die Zusammenkünfte mit Hans Rogaten einzustellen. Diese Zusammenkünfte hörten für die nächste Zeit ohnehin auf, da Hans Ende August mit seinem Vater eine vierwöchige Reise nach Norwegen antrat. Immerhin fand sie bei ihrer Ankunft einen Blumenstrauß von ihm vor. Der treue Freund hatte sich bei den Wirtsleuten erkundigt, wann sie zurückkäme, um sie mit Rosen zu erfreuen.

Schon vor der ersten Unterrichtsstunde stellte Pucki fest, daß fast alle Mitschülerinnen sie mit eigenartigen Blicken musterten.

»Wenn ich verlobt wäre«, flüsterte Lilli, »würde ich den Ring beständig tragen.«

»Und ich würde ein vergnügteres Gesicht machen als Pucki.«

»Ich aber«, sagte Lulu schwärmerisch, »ich klappte die Lehrbücher zu, ginge hinaus in die Anlagen und dichtete Verse, die die Lüfte hintragen sollten zu dem Manne, der um mein Herz die güldene Kette legte, der – –«

»Was redet ihr für albernes Zeug«, brauste Pucki auf. »Gilt das Gequatsche vielleicht mir?«

»Du bist eine heimliche Braut!«

»Und ihr seid taktlose und alberne Mädchen.«

»Du hast uns einen netten Brief als Antwort geschrieben, Pucki. Daß wir dir daraufhin nicht wiederschrieben, kannst du dir denken. Wir haben es nicht nötig, uns von dir Vorhaltungen machen zu lassen. Bildest du dir etwa ein, du darfst so zu uns sprechen, weil du bereits eine heimliche Braut bist?«

»Ich bin keine heimliche Braut, zum Kuckuck! Und, damit ihr es wißt, ich werde Kindergärtnerin. Mein Entschluß steht felsenfest. Ich habe bereits eine Anfrage von unserem Bürgermeister in Rahnsburg bekommen. Dort wird im nächsten Jahr ein Kindergarten eingerichtet. Ich werde dort Leiterin. Und unser Oberförster wird mir wahrscheinlich eine Waldparzelle zur Verfügung stellen, damit ich mit meinen Kindern auch im Walde einen Tummelplatz habe. Das ist alles beinahe abgemacht. Würde ich das alles tun, wenn ich Braut wäre? Dumm seid ihr! Ihr kennt nun meinen felsenfesten Entschluß. Bitte, laßt das alberne Getuschel nun endlich sein.«

Sie wurden zwar nach Puckis Worten stiller, aber sie tuschelten doch noch untereinander weiter.

»Mich hat der Hans Rogaten gründlich ausgescholten«, sagte Lilli, »als er hörte, daß ich seine Wirtin ausgefragt habe. Ich habe ihm dafür die Kundschaft entzogen. Ich kaufe nie mehr im ›Goldenen Löwen‹, ich kaufe im ›Weißen Elefanten‹.«

»Mich hat er sogar angeschrieen«, sagte Susi, »als ich ihm von seiner Braut erzählte. Ich kaufe auch nicht mehr im ›Goldenen Löwen‹. Medizin brauche ich nicht, und Seife und Mundwasser bekomme ich überall.«

»Vielleicht ist sie doch nicht mit ihm verlobt«, fiel eine vierte Seminaristin ein. »Es handelt sich vielleicht doch nur um eine Jugendfreundschaft. Wie könnte Pucki sonst wegen eines Kindergartens mit dem Bürgermeister verhandeln?«

»Das ist Verstellung! Ich kenne so was. Die beiden halten ihr Verlöbnis streng geheim; eines Tages stehen sie vor dem Altar.«

Pucki kümmerte sich von nun an nicht mehr um das Getuschel der Mitschülerinnen. Eifriger denn je widmete sie sich ihren Arbeiten und erntete manches Lob. Immer noch war ihr der Kindergarten der liebste Aufenthalt. Wenn sie von den Kleinen mit ihrem Kosenamen gerufen wurde, vergaß sie für Stunden ihr Herzweh und redete sich mehr und mehr in den Gedanken hinein, ihr Leben als Kindergärtnerin zu beschließen.

»Es ist und bleibt mein felsenfester Entschluß! Keiner wird mich darin irremachen.«

Daß Pucki seit ihrer Rückkehr aus dem Elternhaus stark verändert war, merkten auch die Lehrkräfte des Seminars. Manch forschender Blick streifte das junge Mädchen, und einmal, als Pucki wieder im Kindergarten weilte und mit den Kleinen spielte, strich ihr Fräulein Keding fast liebevoll über das Blondhaar. Pucki fühlte den teilnehmenden Blick und wandte sich hastig ab.

»Tante Pucki«, klang es schon wieder, »wir wollen zusammen spielen: ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen?‹«

Wie gern stimmte sie sonst dem Wunsche zu, denn gerade dieses einfache Kreisspiel hatte sie besonders gern, weil es sie an ihr erstes Zusammentreffen mit Claus Gregor erinnerte. Damals hatte sie seine Hand gefaßt; er stand neben ihr und lachte zu dem fröhlichen Kinderkreis. Heute wurde es ihr schwer, den Wunsch der Kinder zu erfüllen. Trotzdem wurde zu dem Spiel Aufstellung genommen, doch wieder sah Pucki die forschenden Augen der Leiterin auf sich ruhen.

Dann ging es ans Märchenerzählen. Das war Puckis ganze Freude. Wohl erzählte sie den Kleinen immer wieder die hübschen Volksmärchen, die sie schon von den Eltern gehört hatte. Aber den Kleinen gefielen jene Märchen viel besser, die Pucki aus sich selbst heraus ersann. Fräulein Keding behauptete, in ihrer langjährigen Tätigkeit als Leiterin habe noch keine Kindergärtnerin so entzückend zu erzählen verstanden wie Hedi Sandler. Das stand auch in allen ihren Zeugnissen zu lesen. Daheim hatten die Eltern einmal im Scherz Pucki veranlaßt, ihnen eine ihrer ausgedachten Geschichten zu erzählen. Da saß das junge Mädchen mit versonnenem Gesicht auf dem Stuhl, und in ihren Zügen drückte sich alles das deutlich aus, was sie berichtete. Sie selbst lebte die Märchen mit, das Erdachte wurde Wirklichkeit. Sie fühlte sich glücklich in diesem Märchenland, das sie selbst schuf.

Die erste Woche in Leipzig war vergangen. Pucki war nur einmal für kurze Zeit mit Hans Rogaten zusammengewesen. Man hatte sich in einem großen Café getroffen. Die Unterhaltung bewegte sich in Erzählungen von daheim, Claus Gregor wurde jedoch nicht erwähnt. Dann berichtete Hans Rogaten von seiner bevorstehenden Reise, auf die er sich sehr freute.

An einem frühen Nachmittag, als Pucki in ihrem Zimmer saß und ihre Aufgaben machte, wurde die Tür stürmisch aufgerissen. Pucki blickte auf.

»Carmen! – Du – wie kommst du hierher?«

Die Umarmungen wollten kein Ende nehmen. Obwohl sich die Freundinnen im vorigen Jahr in Rahnsburg gesehen hatten, feierten sie ein Wiedersehen, das wie auf eine Trennung von Jahrzehnten schließen ließ.

»Carmen, du siehst geradezu entzückend aus! – Ja, ich weiß es, du bist sehr glücklich. Aber wie kommst du plötzlich nach Leipzig? Ist dein Christian auch hier?«

»Nein, Pucki, alles kam sehr plötzlich. Ich schrieb dir doch, daß Vater und Christian wieder eine größere Seereise antreten, daß beide erst im November heimkommen. Ich bin daher zu Christians Eltern nach Berlin gefahren, um mich im Hause meiner Schwiegermutter ein wenig in hauswirtschaftlichen Dingen zu vervollkommnen.«

»Ja, das schriebst du mir. Ach, Carmen, ich freue mich herzlich, daß Christians Eltern an dir so großes Gefallen finden. Es ist wie bei Rose Scheele. Aber wie kommst du nach Leipzig?«

»Meine Schwiegereltern sind mit dem Auto hier. Vater hatte hier geschäftlich zu tun, und ich bat, sie möchten mich mitnehmen. Ich wollte schon lange einmal nach dir sehen, Pucki, denn deine Briefe gefallen mir nicht mehr.«

»Wie lieb von dir, Carmen.«

»Du bist verändert, Pucki. – Fehlt dir etwas?«

»Ich habe sehr viel zu lernen, Carmen. Ostern steige ich ins Examen. Dann übernehme ich vielleicht einen Kindergarten in Rahnsburg. Vielleicht gehe ich auch woanders hin.«

»Pucki, du verbirgst mir etwas.«

»Ach, Carmen, ich bitte dich, fange nicht auch davon an. Ich will dir alles sagen: Ich habe mich felsenfest entschlossen, bis an mein Lebensende Kindergärtnerin zu bleiben. – Du wirst bald eine glückliche Frau sein, Rose ist bereits eine strahlende Mutter. Unsere kleine Thusnelda, die fleißig in Rahnsburg plättet, hat auch schon einen Verehrer, der sie wahrscheinlich über kurz oder lang heiraten wird.«

»Und du? Du hast doch gewiß viele Verehrer, Pucki? Wer dich kennt, muß dich liebhaben.«

»Ach, Carmen, du weißt, ich habe viele Jugendfreunde. Wenn ich mit ihnen zusammentreffe, sind sie nett und freundlich und tun auch wohl einmal so, als ob sie verliebt wären. Aber ob es wirklich Liebe ist, was uns zueinander zieht? Und die anderen, von denen man denkt, daß es Liebe ist, was sie fühlen –, die sehen wieder nur die Freundin in mir.«

Um Carmens Lippen lag ein Lächeln. »Das sind ja merkwürdige Geschichten, die du mir da erzählst, Pucki. Ich kann mir schon denken, daß viele deiner Jugendfreunde die gute Pucki als Hausfrau haben möchten. Wie ist es denn mit Claus Gregor?«

»Ich sagte dir schon, ich will Kindergärtnerin bleiben, mein Entschluß steht felsenfest.«

»Auch Felsen können wanken und stürzen, Pucki. Ich habe es doch selbst im vorigen Jahre erlebt.«

»Das wird bei mir niemals geschehen. Ich sage dir, Carmen, felsenfest steht mein Entschluß.«

»Hat sich Claus bereits anderweitig gebunden?«

»Was hast du nur immer mit Claus?«

»Ein anderer kommt doch für dich gar nicht mehr in Betracht, Pucki.«

Sekundenlang schaute Pucki Carmen stumm an. Dann sagte sie kläglich: »Meine liebsten Freundinnen sagen alle, daß nur Claus der Mann sei, der für mich bestimmt wäre. Merkwürdig, daß ihr euch alle täuscht.«

»Pucki, du bist unglücklich. Ist Claus bereits verlobt?«

»Ich glaube nicht. Aber – für mich empfindet er gewiß nur Freundschaft. Und nun bitte ich dich, Carmen, frage nicht weiter – es quält mich. – Ja, ich habe ihn lieb. Aber ein junges Mädel von heute geht an einer stillen Liebe nicht zugrunde, hängt ihr auch nicht jahrelang nach. Ich ringe mich schon durch! Ich habe meinen Beruf, dem will ich mich doll hingeben. Es kann nicht jedes junge Mädchen heiraten.«

»Aber gerade um dich wäre es schade.«

»Nein, Carmen, ich freue mich, wenn meine Freundinnen glücklich sind. Später komme ich als gute alte Tante zu euch, warte eure Kinder, spiele mit ihnen und erzähle ihnen Märchen.«

»Ach ja, deine schönen Märchen, Pucki. Weißt du noch, wie herrlich die Abendstunden waren, wenn du uns selbstausgedachte Märchen erzählt hast?«

»Ja, ich weiß. – Und diese Märchen werde ich euren Kindern erzählen, euren Kindern und den Kleinen in meinem Kindergarten.«

»Ich hoffe zuversichtlich, liebste Pucki, daß auch du jenes große Glück kennenlernst, in dem ich lebe. Du weißt ja noch nicht, wie das Leben dadurch bereichert wird. Gerade jetzt, da Christian weit fort ist, fühle ich so recht, was er mir ist.«

»Ist es nicht schrecklich, einen Verlobten zu haben, der nicht immer um dich sein kann?«

»Er liebt seinen Beruf. Dieser Beruf reißt ihn oft von meiner Seite. Wenn er dann zurückkehrt, feiern wir jedesmal ein Fest. Ich denke es mir auch für später sehr schön. Immer soll sein Heim eine Stätte des Friedens, des Ausruhens und der Freude sein, damit er so recht erkennt, was es heißt, eine fürsorgliche Gattin zu besitzen.«

Pucki schwieg dazu. Sie hatte schon von Rose so viel von den Schönheiten des eigenen Heims gehört, daß ihr das Herz wieder schwerer wurde. Sollte ihr nie dieses Glück beschieden sein?

»Wie lange bleibst du hier?«

»Gar nicht lange, Pucki. Vater hat geschäftliche Besuche zu machen. Wir waren gegen zehn Uhr in Leipzig. Ich wußte, daß du im Seminar bist. So bin ich mit Mutter zum Völkerschlachtdenkmal gefahren, dann haben wir uns noch andere Sehenswürdigkeiten angeschaut. Nun lassen dich die Eltern bitten, mit mir zu kommen. Wir wollen zusammen sein. Sie möchten dich gern kennenlernen, denn ich habe ihnen viel von dir erzählt.«

»Ach, Carmen, ich bin keine gute Gesellschafterin.«

»Die Eltern haben es uns freigestellt, ob wir den Nachmittag allein miteinander verleben wollen. Dann sollen wir um sieben Uhr zum Abendessen kommen. Sonst müßten wir sogleich nach dem Augustusplatz gehen. Dort erwarten uns die Eltern.«

»Ach, Carmen, ich möchte noch ein wenig mit dir allein sein. Sollten deine Schwiegereltern es jedoch lieber sehen –«

»O nein, Pucki, meine Schwiegereltern sind prächtige Menschen, die genau wissen, daß die Jugend sich viel zu erzählen hat. Sie haben schon gesagt, daß ich wahrscheinlich mit dir erst um sieben Uhr kommen würde. Mir ist es ja auch recht, wenn wir noch allein bleiben.«

Am Nachmittag schlenderten die beiden Freundinnen zusammen durch die Anlagen der Stadt. Es gab so viel zu erzählen, und die Zeit eilte wie im Fluge dahin. Als sie sich auf den Weg machten, um sich mit Herrn und Frau Stieger zu treffen, war Carmen vollkommen über Puckis Seelenkummer aufgeklärt. Helfen konnte sie ihr schwerlich, zumal sie es nicht für richtig hielt, sich in die Angelegenheiten zweier Liebesleute einzumischen. Dazu kannte sie Doktor Gregor auch viel zu wenig.

»Wenn du mich einmal brauchst, Pucki, komme ich im Oktober auf vierzehn Tage nach Rahnsburg. Du hast dann auch wieder Ferien, und wir können vergnügt zusammen sein.«

»Carmen, das wäre herrlich!«

»Ich glaube, du kannst eine Freundin gut gebrauchen.«

»Dich kann ich immer brauchen, Carmen. Ach ja, ich schreibe schon morgen an meine Eltern. – Du bist uns immer ein lieber Gast.«

»Vielleicht ist es gut, daß ich komme. Vielleicht kann ich dir ein wenig helfen.«

»Genau dasselbe hat schon Rose gesagt. Wer weiß, wie mein künftiges Glück aussehen wird! Ach, Carmen, es wird eine herrliche Zeit sein, wenn wir beide zusammen sein können.«

Inzwischen hatten sie das Speisehaus erreicht, in dem sie sich treffen wollten. In Carmens Schwiegereltern lernte Pucki prächtige Menschen kennen. Aber auch das junge Mädchen gefiel Stiegers sehr gut.

»Möge eure Freundschaft bis ans Ende eurer Tage dauern«, sagte Frau Stieger warm, »denn es gibt nichts Schöneres im Leben, als ein festes Zusammenhalten in Freude und Leid.«

Da Herr Stieger ein humorvoller Mann war, verlief der Abend recht fröhlich. Pucki bedauerte nur, daß man so bald wieder scheiden mußte.

»Nun«, sagte Herr Stieger, »ich habe häufig in Leipzig zu tun. Von nun an werde ich Carmen jedesmal bei Ihnen absetzen, Fräulein Sandler.«

Diese Zusammenkunft wirkte noch längere Zeit in Pucki erfrischend nach. Sie freute sich, daß die mutterlose Freundin die Schwiegereltern liebte und an der Seite Christians einem großen Glück entgegensah. Für sie selbst kamen häufig noch Stunden, in denen das blonde Köpfchen trauernd auf der Seite hing, wenn sie betrübt an Claus dachte. Er hatte ihr von Breslau aus schon zwei Kartengrüße gesandt, einen längeren Brief aber erhielt sie nicht. So schrieb auch sie nur kurze Karten, die gar nichts besagten. Ihre Eltern ließ sie nichts von ihren trüben Stimmungen merken. Trotzdem fühlte die Mutter aus jeder Zeile, daß ihre Tochter nicht mehr die alte war.

Die Eltern sprachen viel von der fernen Tochter. Waltraut und Agnes fingen oftmals Bemerkungen auf. Während Waltraut herzliches Mitleid für die ältere Schwester hegte, lachte Agnes verschmitzt dazu.

»Warte noch ein Weilchen«, sagte sie eines Tages zu Waltraut, »ich weiß etwas.«

Ihr streng gehütetes Geheimnis drückte sie so gewaltig, daß sie sich gern einem Menschen anvertraut hätte. Wem aber? Waltraut? – Sie würde den Mund nicht halten können und wahrscheinlich mit den Eltern darüber sprechen. Darum entschloß sich Agnes, auch weiterhin zu schweigen.

Eines Tages fragte der Vater, ob Waltraut oder Agnes Lust hätten, mit ihm hinaus nach der Schmanz zu gehen. Waltraut hatte keine Zeit, sie hatte noch Schularbeiten zu erledigen, Agnes dagegen war sogleich bereit. Auf der Schmanz gab es immer die guten Backbirnen. Diese Birnen aß sie für ihr Leben gern. Der Schmanzbauer hatte ihr erzählt, daß auch Pucki in jüngeren Jahren wegen dieser Birnen häufig zu ihm gekommen sei.

Während Förster Sandler das Gehege in der Gegend der Schmanz abschritt, weilte Agnes bei Rose und dem Kinde.

»Wenn Pucki einmal ein kleines Mädchen hat«, sagte Agnes altklug, »muß sie es von Anfang an so einrichten, daß dein Gottlieb einmal Puckis Tochter heiratet.«

»Das mußt du mit deinen zwölf Jahren natürlich wissen«, meinte Rose fröhlich lachend.

»Ich weiß mancherlei. Ihr denkt, ich bin dumm, weil ich erst zwölf Jahre alt bin, aber ich weiß was!«

»So, Agnes, was weißt du denn?«

»Etwas sehr Schönes.«

»Willst du es mir nicht erzählen? Ich höre auch gern etwas Schönes, kleine Agnes.«

»Nein, ich sage es nicht. Es handelt sich um Pucki.«

»Pucki ist meine beste Freundin, da darfst du es mir sagen.«

»Nein, ich sage es nicht.«

»Wenn es etwas Schönes ist, kannst du es mir doch sagen, damit ich mich darüber freuen kann!«

»Es ist ein Geheimnis. Aber ich freue mich darüber. Ich will es dir sagen. Ich freue mich, daß Pucki sich bald verloben wird.«

Rose wurde aufmerksam. »Was weißt du davon, Agnes?«

»Du darfst Pucki kein Wort davon schreiben, Rose. Pucki ist mit Hans Rogaten heimlich verlobt.«

»Das ist Unsinn, Agnes!«

»Nein, das ist kein Unsinn, ich weiß es ganz genau.«

»Wer hat dir das gesagt?«

»Ich habe einen Brief gelesen, den ihre Freundin Lilli aus Leipzig geschrieben hat. In dem Brief stand, daß Hans Rogaten Pucki liebt. Lilli ist nämlich eine Mitschülerin von Pucki in Leipzig.«

»Wenn du so etwas gelesen hast, hat diese Lilli dummes Zeug geschrieben.«

»Na, du wirst es ja sehen, Rose. Sie verlobt sich doch mit Hans Rogaten.«

»Sprich nicht mehr davon, Agnes, du würdest Pucki dadurch nur verärgern. Wie kommst du eigentlich zu diesem Briefe?«

Agnes errötete. »Pucki war immer traurig, da wollte ich wissen, was ihr fehlt. – Nun weiß ich es.«

»So will ich dir sagen, Agnes, daß das großer Unsinn ist, was du sprichst. Und weil das der Fall ist, deswegen darfst du zu keinem Menschen davon reden, daß Pucki und Hans Rogaten ein Paar werden wollen. Es ist wirklich nicht wahr. Du kannst es mir glauben.«

»Aber – ich habe es doch schon – einem gesagt.«

»Das ist sehr unrecht von dir. Pucki kommt dadurch in ein ganz falsches Licht. Das mußt du einsehen, Agnes. Im übrigen finde ich es nicht schön, daß du fremde Briefe liest.«

»Das hat Claus auch gesagt.«

Rose horchte auf. »Claus Gregor? Hast du ihm vielleicht von diesem Briefe erzählt?«

»Ja –.«

»Was hast du ihm gesagt, Agnes?«

»Als er zu uns kam, sagte ich ihm, ich kenne ein Geheimnis. Ich freute mich sehr, daß wir eine Braut im Hause haben.«

»Du hast Herrn Gregor gesagt, daß Pucki mit Hans Rogaten verlobt ist?«

»Ja – –«

»Und was antwortete Claus darauf?«

Agnes überlegte ein Weilchen. »Ich weiß es nicht mehr genau. Er ist bald wieder fortgegangen.«

»Wann war das?«

Auch darüber konnte Agnes keine genaue Auskunft geben. Sie wußte nur, daß Claus wenige Tage später nochmals im Forsthause gewesen war, um sich zu verabschieden.

»Ich könnte dir geradezu böse sein, Agnes. Du hast Pucki dadurch großen Kummer bereitet. Doch das verstehst du eben noch nicht. Solltest du Doktor Gregor wiedersehen, so halte gefälligst deinen Mund.«

»Warum bist du plötzlich so böse?«

»Wenn Pucki traurig ist, hast du allein die Schuld daran.«

»Warum denn?«

»Durch deine törichten Reden. – Versprich mir, daß du nie wieder davon reden wirst, daß Pucki und Hans Rogaten verlobt sind.«

»Wenn sie sich aber verloben?«

»Die beiden werden sich niemals verloben. Es wäre viel besser, du kümmertest dich um deine Schularbeiten.«

Agnes hatte die sonst so ruhige Rose noch nie so erregt gesehen wie heute. Ihr wurde nur eins klar, daß sie eine Dummheit begangen hatte. Ziemlich rasch verabschiedete sie sich und lief dem Vater nach, denn sie mochte die Vorwürfe Roses nicht länger mit anhören. Warum hatte sie überhaupt von ihrem Geheimnis gesprochen? Es wäre besser gewesen, sie hätte alles für sich behalten.

Rose Teck blieb in Gedanken versunken allein zurück. Konnte es möglich sein, daß die vorwitzige Agnes das aufkeimende Glück der Schwester zerstört hatte? Wenn Claus Gregor hörte, daß Pucki bereits heimlich verlobt sei, so war es für ihn selbstverständlich, sich der jungen Braut von nun an fernzuhalten, selbst dann, wenn er auf dieses Glück gehofft hatte. Claus war gewiß nur ins Forsthaus gekommen in der Absicht, mit Pucki zu reden. Das war nach jenem Zerwürfnis in der Oberförsterei gewesen. Er trug also Pucki nichts nach, wie jene meinte. Hatte er sich für Breslau erst entschlossen, nachdem er durch Agnes gehört hatte, daß Pucki bereits einem anderen ihr Wort gegeben hatte? War es ihm vielleicht zu schwer, mit dem geliebten Mädchen zusammen zu sein und ging er darum einem weiteren Zusammentreffen aus dem Wege, indem er die Vertretung in Breslau angenommen hatte?

»Ich bin keine kluge Frau«, sagte Rose vor sich hin, »aber ich fühle, daß Doktor Gregor unsere Pucki immer lieber gewonnen hat. Er ist ihr von Herzen gut. – Was kann ich tun, um Pucki glücklich zu machen? Wie fange ich es an, daß dieses Mißverständnis aus der Welt geschafft wird? – Wem vertraue ich mich an?«

Rose saß am Bett ihres Kindes und grübelte. Es erschien ihr als eine Ungerechtigkeit des Schicksals, daß die gute, warmherzige Pucki auf das Glück verzichten sollte, das ihr, der armen Rose Scheele, unverdient in den Schoß gefallen war.


 << zurück weiter >>