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Dem Glück entgegen

Nun war es so weit! Doktor Claus Gregor hatte die Praxis des Rahnsburger Arztes übernommen und sich einige nette Zimmer eingerichtet. Der Oberförster meinte zwar, sein Sohn könne alltäglich mit dem Auto heraus in die Oberförsterei kommen, denn er sei ja durch den Fernsprecher jederzeit zu erreichen. Claus jedoch hielt es für zweckmäßiger, daß er in Rahnsburg bliebe.

Frau Reichert, Thusneldas Mutter, war dazu ausersehen worden, die Wohnung des jungen Arztes in Ordnung zu halten. Frau Reichert, die unermüdlich Tätige, war sehr dankbar dafür, daß sie die Stelle bekam. So konnte sie doch etwas besser für sich und ihre Kinder sorgen.

Rose freute sich ganz besonders herzlich auf das Kommen der Freundin. Sie hoffte im stillen, daß eine neue Zusammenkunft zwischen Pucki und Doktor Gregor alle Mißverständnisse beseitigen würde. Sie wollte es so einrichten, daß beide sich unerwartet trafen. Nach einem Vorwand sann sie schon seit Wochen. Es war ihr auch bekannt, daß Carmen für vierzehn Tage nach Birkenhain kommen würde. Carmen sollte in alles eingeweiht werden, und dann wollten sie gemeinsam das Glück der Freundin begründen.

Aber ehe Pucki im Forsthaus eintraf, erkrankte Roses kleiner Sohn. Die besorgte Mutter sandte nach Doktor Gregor, der glücklicherweise nur Masern feststellte und die junge Mutter beruhigte.

»Ein prächtiger, pausbackiger Junge, ein echtes Landkind, liebe Frau Rose«, sagte der junge Arzt.

»Er ist unsere ganze Freude, Herr Doktor.«

»Möge er sich so prächtig entwickeln wie seine Mutter. Ich erinnere mich noch genau an das schüchterne blasse Stadtkind, das mit einem ganzen Schwarm anderer Mädchen zu uns aufs Land kam. Wir mußten damals auch einige Stadtkinder in der Oberförsterei aufnehmen, da Pucki Sandler aus Versehen aus einer Zwei eine Zwanzig gemacht hatte.«

Roses Herz schlug rascher. Der Name der geliebten Freundin war gefallen. Vielleicht konnte sie das Gespräch weiterspinnen.

»Auf diese Weise hat Pucki mein Glück begründet. Hoffentlich erblüht ihr einst ein ähnliches Glück.«

»Das wollen wir von Herzen wünschen.«

»Ich freue mich sehr auf ihr Kommen, vielleicht ist sie wieder froher. Und wenn sie noch immer so traurig ist, schicke ich sie zum Herrn Doktor, damit er sie einmal gründlich untersucht.«

»Pucki hat gewiß sehr viel zu lernen, denn das Schlußexamen rückt immer näher.«

Rose faßte sich ein Herz. »Sie hat auch manchen Ärger. Ihre Mitschülerinnen necken sie beständig damit, daß sie eine Braut sei. Pucki leidet darunter. Sie ist doch noch keine Braut.«

»Wir wollen wünschen, daß sie bald eine wird.«

Rose machte sich mit dem Knaben zu schaffen. »Es kränkt sie so sehr, daß die Freundinnen sich einbilden, sie sei mit Herrn Rogaten verlobt. – Das stimmt aber nicht, das weiß ich genau.«

»Pucki wird schon allein wissen, wem sie Hand und Herz schenken soll. Doch nun auf Wiedersehen, liebe Frau Teck. In zwei Tagen komme ich wieder.«

»Bleiben Sie noch ein wenig, lieber Herr Doktor, ich – möchte Sie noch etwas fragen.«

»Sie brauchen sich wegen des Kindes keine Sorgen zu machen, Frau Teck.«

»Ach, es ist ja nicht wegen des Knaben – es handelt sich um – Pucki.«

»Ja, was ist es denn?«

»Ich bin doch Puckis beste Freundin«, fuhr Rose fort. Es wurde ihr schwer, weiter zu reden. Heiß stieg es ihr ins Gesicht. – »Ich bin so glücklich, und darum – weil Pucki mir dieses Glück verschaffte – – Ach, Herr Doktor, ich weiß genau, daß es nicht gut ist, wenn man sich in die Angelegenheiten anderer einmischt. Aber – dort drüben, auf jenem Stuhl hat Pucki gesessen und bitterlich geweint, weil – Sie so rasch abgereist sind. Und nun möchte ich am liebsten auch weinen, denn, wenn Pucki ihr Leben lang unglücklich wäre, wenn ich allein alles Glück haben soll – Pucki ist doch meine beste Freundin – –«

Roses Rede wurde immer stockender.

»Ich bilde mir ein, daß die vorlaute Agnes alles verdorben hat – – weil, weil – die Freundinnen so albernen Unsinn schrieben. – – Der Hans Rogaten ist doch nur ihr Freund und – und – – Ich weiß, daß Pucki Ihnen gut ist – und – –« Rose Teck begann zu weinen und eilte aus dem Zimmer.

Doktor Gregor war langsam von der Tür zurückgekommen. Nun stand er am Bett des Kindes und schaute sinnend auf den Knaben nieder. In seinem Gesicht zuckte es.

»Und – und – –« wiederholte er, »hier hat Pucki gesessen und geweint und – und – –? Liebe Rose Teck, liebe kleine dumme Rose, was hast du mir heute für Glück gebracht!«

Er setzte sich auf den Stuhl und wartete. Er wußte genau, daß die Mutter ihr krankes Kind nicht lange allein lassen würde. So war es auch. Rose trocknete sich draußen im Hausflur rasch die Augen und betrat, in dem Glauben, daß der Arzt gegangen sei, wieder das Zimmer. Als sie des Arztes ansichtig wurde, machte sie hastig kehrt, um das Zimmer wieder zu verlassen.

»Frau Rose, liebe Frau Rose!«

Claus sprang auf und hielt sie fest. Sie wehrte sich ein Weilchen, wieder kollerten Tränen aus ihren Augen.

»Seien Sie mir nicht böse, Herr Doktor. Aber – ich mußte es sagen, und wenn es noch so dumm war. Ich weiß nicht, wie man solche Sachen richtig erzählt. Hier draußen auf dem Lande reden wir, wie es uns ums Herz ist.«

»Sie wollten mich vorhin etwas fragen, liebe Frau Rose. – Jetzt werde ich fragen: Woher wissen Sie das alles?«

»Was denn?«

»Daß mir Pucki gut ist, daß sie mit Hans Rogaten nicht verlobt ist.«

Rose war noch verlegen; nur mit niedergeschlagenen Augen konnte sie antworten. Sie erzählte von dem Brief, den Agnes heimlich gelesen hatte, von den Vermutungen der törichten Schwester und von den Neckereien der Seminaristinnen.

»Nun ist Pucki immer traurig«, sagte Rose endlich.

»Weil sie glaubt, daß der Claus Gregor nichts mehr von ihr wissen will?«

»Weil er mit kurzem Abschied fortging. – Wie hatte sie sich gefreut, als Sie zu ihr kamen! Immerfort hat sie auf Sie gewartet. Dann sind Sie nur ins Forsthaus gekommen, um ihr flüchtig Lebewohl zu sagen.«

»Warum habe ich das getan, Frau Rose?«

»Weil – weil – – Ich weiß es nicht, Herr Doktor.«

»Weil mir das Herz weh tat, weil ich geglaubt habe, sie liebte einen anderen Mann. Konnte ich denn anders handeln! Und nun sehen Sie mich einmal an, Sie gute Frau. Ganz fest in die Augen sollen Sie mir schauen und meine Frage beantworten: Hat mich Pucki wirklich von Herzen lieb?«

»Aber natürlich hat sie das!«

»Und ebenso lieb habe ich die kleine Pucki. Mir hat es sehr weh getan zu hören, daß sie sich mit Hans Rogaten verlobt hätte.«

»Und das ist ganz bestimmt nicht wahr.«

»Da Sie es genau wissen, liebe Frau Rose, muß ich es schon glauben. Sie sind eine prächtige Frau. Wäre ich heute nicht zu Ihnen gekommen, so hätte ich noch weiter in dem Gedanken gelebt, daß auch mir ein großes Glück zerschlagen sei. Sehen Sie, liebe Frau Rose, nun sind Sie mir heute zur Freudenbringerin geworden.«

»Ich?« fragte Rose mit verklärten Augen.

Doktor Gregor erfaßte Roses Hände. »Ja, Sie! – Durch Sie wurde das Mißverständnis geklärt, unter dem ich litt. Wann kommt Pucki zurück?«

»Erst am zehnten Oktober.«

»Sie sagten vorhin, Pucki hätte Ihnen Ihr Glück verschafft. Heute haben Sie alles wieder gutgemacht. Ich glaube, wenn ich heute vor Pucki hintrete, wenn ich sie frage, wird sie mir nicht mehr ausweichen.«

»Sie wollten wirklich? – Und ich habe das in Ordnung gebracht?«

»Sie ganz allein.«

Da weinte Rose Teck abermals vor Glück. Sie drückte mehrfach die Hände des Arztes.

Claus Gregor war längst gegangen, und noch immer bewegte sie der Gedanke, daß Pucki nun auch durch sie das große Glück erleben würde, das sie selber gefunden hatte.

Bereits am übernächsten Abend traf Claus Gregor überraschend im Elternhause ein. Der Oberförster, der auf der Veranda saß und seine geliebte Pfeife rauchte, rief seinem Ältesten lachend entgegen:

»Guten Abend, Herr Doktor, ist in Rahnsburg nichts zu tun? Fürchten sich die Patienten vielleicht vor dir?«

Der große, stattliche Mann strahlte über das Gesicht. »Wären die Masern in Rahnsburg und Umgegend nicht ausgebrochen, wäre ich nicht hergekommen.«

»Rückst du vor den Masern aus?«

»Am zehnten Oktober kommt Pucki.«

»Waaaas?« Mehr sagte Oberförster Gregor nicht. Erst nach einer Weile setzte er hinzu: »Sie muß dir einen ausführlichen Brief geschrieben haben.«

In diesem Augenblick trat Frau Gregor auf die Terrasse. Sie wurde von ihrem Ältesten stürmischer als je begrüßt.

»Aber Claus, was ist mit dir?«

»Wundert euch nur über mich! Warum soll ich an meinem heimlichen Verlobungstage nicht froh sein.«

»Am heimlichen Verlobungstage? – Du?«

»Vorerst ist es eine heimliche Verlobung, da nur der Bräutigam etwas davon weiß. Aber am zehnten Oktober, oder sagen wir am elften Oktober, weiß es auch die Braut.«

»Pucki?« Das Ehepaar fragte es wie aus einem Munde.

»Wer sonst, liebe Eltern!«

Oberförster Gregor lachte. »So ein Mädel! Da will ich gerade an die Regierung schreiben, daß sie das ganze Jagen 124 freigibt, damit Pucki für ihren Kindergarten einen schönen großen Waldplatz bekommt.«

Frau Gregor lachte. Ihr Mann mußte immer scherzen. Auch Claus stimmte in das frohe Lachen der Mutter ein.

»Erzähle einmal vernünftig«, sagte die Mutter. »Hast du an Pucki geschrieben?«

»Nichts von alledem, liebe Mutter. Ich sagte dir schon: es ist eine heimliche Verlobung.«

»Claus, du bist heute wie dein Vater. Man wird nicht klug aus dir. Du weißt, wie sehr wir uns freuen würden, wenn wir Pucki als Schwiegertochter bekämen. Leider sah es in letzter Zeit so aus, als ob unsere Hoffnungen sich nicht verwirklichen wollten.«

»Darum war es ein Glück, daß der kleine Gottlieb Teck die Masern bekam.«

Es dauerte noch längere Zeit, ehe der überglückliche junge Arzt den Eltern berichtete, was er von Rose Teck erfahren hatte.

»Ich hab's immer gesagt«, meinte der Oberförster, »der kleine Racker, die Agnes, ist weit schlimmer als Mucki und Pucki zusammen, die auf den Waldbäumen sitzen und mit Kienäppeln nach den Menschen werfen. – Warte, der will ich einen Denkzettel geben!«

Dann erkundigte sich Claus nach Bianka. Das junge Mädchen wollte in der kommenden Woche zurück zu den Eltern fahren. Wenn auch die Schwermut noch immer nicht von ihr gewichen war, so sah sie doch nicht mehr ganz so hoffnungslos in die Zukunft wie zuvor.

»Der Aufenthalt bei uns hat ihr gut getan. Vor allem war es dein aufmunternder Zuspruch, liebe Mutter, der ihr neuen Lebensmut gab.«

»Ein sehr trauriges Schicksal. Da näht solch junges Ding bereits an der Aussteuer, verbringt Wochen des Glückes an der Seite des Verlobten, und plötzlich kommt ein Tag, der das ganze Glück vernichtet.«

»Sehr schlimm für ein junges Menschenkind«, stimmte Claus bei, »sich sagen zu müssen, daß alles hätte bleiben können, wie es war. Bianka litt vor allem unter der Vorstellung, daß sie allein die Schuld am Tode des geliebten Mannes trug.«

»Es war eben Bestimmung, Claus. Sie wollte durchaus diese Segelpartie unternehmen. Der Verlobte stimmte erst nach einigem Zögern zu. Daß er in den Fluten den Tod fand, hat Bianka fast um den Verstand gebracht.«

»Wir wollen hoffen, daß auch ihr ein neues Glück erblüht, daß sie sich langsam zum inneren Frieden durchringt. Ein Mensch von zwanzig Jahren hat keine Ursache, am Leben zu verzweifeln.«

»Na, und deine Pucki? Sie lief auch mit einem Gesicht umher wie die Katze, wenn's donnert.«

»Gewiß, Vater, das wird nun bald anders werden.«

»Du wirst ihr heute noch schreiben?«

Claus lächelte. »Nein«, sagte er, »das werde ich nicht tun, sondern ich will mich nicht um das Glück bringen, ihre Augen aufleuchten zu sehen. Ich werde nach einer guten Gelegenheit suchen, ihr – –«

»So willst du warten, bis Pucki nach Birkenhain kommt?«

»Ja, Mutter. – Da ich so lange habe warten müssen, bis sich mein Herzenswunsch erfüllt, so kann ich mich auch noch diese wenigen Tage beherrschen.«

»Na, aber dann geht es los!« lachte der Oberförster verschmitzt. »Das können ja fröhliche Herbstferien werden, zumal auch Carmen hier ist, die zierliche, schwarzhaarige Braut aus Hamburg.«

Im Laufe der nächsten Tage erfuhr Oberförster Gregor alle näheren Zusammenhänge.

»So ein dummes Ding, diese kleine Agnes! Pucki war gewiß auch ein vorwitziges Mädchen, aber Briefe, die anderen gehörten, hätte sie niemals gelesen. Na, nun geht es trotz aller Hindernisse mit vollen Segeln dem Glück entgegen. An dem Glück der jungen Leute wollen wir uns mitfreuen.«

An demselben Tage, an dem Oberförster Gregor über das Verhalten der kleinen Agnes mißbilligend den Kopf schüttelte, saß Agnes mit großen Augen im Wohnzimmer und lauschte dem Gespräch der Eltern nebenan. Die kleine Neugierige ging zur Tür und legte ein Ohr daran, um besser hören zu können.

»Meine Sorge um Pucki wird immer größer«, sagte die Mutter. »Ich weiß, daß sie Claus innig liebt. Wer mag Schuld daran tragen, daß die beiden so fremd auseinandergingen? Wenn es Pucki nur nicht zu schwer nimmt.«

»Mach dir keine Sorgen, sie schreibt ja ganz vernünftige Briefe. Sie liebt ihren Beruf, und wenn ihr eine Ehe nicht beschieden ist, wird sie sich eine Zukunft zimmern, die sie befriedigt.«

»Ich sehe tiefer, Martin. Pucki ist eine viel zu herbe Natur, um in laute Klagen auszubrechen. Es frißt an ihr, und ich fürchte, über ihrem künftigen Leben wird ein dunkler Schatten liegen. Ich bedauere es unendlich, daß sich die beiden, die prächtig zueinander passen, durch ein Mißverständnis entfremdeten.«

»Noch ist nicht aller Tage Abend, liebe Frau. Wenn unsere Pucki heimkommt, kannst du sie ins Gebet nehmen.«

»Sie wird mir nicht viel sagen. Sie wird von dem Kindergarten erzählen, dessen Leiterin sie werden will, und ihr Leid in sich verschließen.«

Das Herz der kleinen Agnes pochte stürmisch. Gerade kürzlich hatte sie ein Buch in die Hände bekommen, das sie mit Begeisterung gelesen hatte. Einem jungen Mädchen hatte der Mann die Treue gebrochen. Je länger sie überlegte, um so klarer wurde ihr, daß sie durch ihre törichten Reden das Mißverständnis zwischen Claus und Pucki verschuldet hatte. Er war nach dem Forsthaus gekommen; vielleicht wollte er gerade an jenem Tage um Pucki anhalten. Sie aber hatte ihm erzählt, daß Pucki mit Hans Rogaten heimlich verlobt sei. Sie allein traf die Schuld an diesem ganzen Verhängnis.

Agnes wurde immer unruhiger. Was sollte nun werden? Sie schaute hinüber zum Wandkalender. In drei Tagen kam Pucki nach Birkenhain. Dann mußte sie alles wieder gutmachen. Wenn nicht anders, würde sie zu Onkel Claus gehen und – und – –

Ja, das war der einzige Ausweg!

Claus war in Rahnsburg, er hatte vor- und nachmittags Sprechstunden. Nach Rahnsburg ging sie alltäglich zur Schule. Wenn sie einmal, sogleich nach Schulschluß, zu Doktor Gregor ging und ihm sagte, daß Pucki nicht mit Hans Rogaten verlobt sei, so würde niemand daheim etwas davon erfahren, was sie in ihrer Dummheit angerichtet hatte.

Dieser Plan festigte sich mehr und mehr und wurde am nächsten Tage ausgeführt. Die Sprechstunden des Arztes waren vorüber, als sie ankam. Claus empfing seine kleine Bekannte aber doch noch.

»Nun, kleine Agnes, was fehlt dir denn?«

»Onkel Claus – ich habe etwas Dummes gemacht. Ich wollte es wirklich nicht.«

»Was hast du auf dem Herzen?«

»Ich habe einmal einen Brief, der an Pucki gerichtet war, gelesen. Onkel Claus, es ist nicht wahr, daß Pucki mit Hans Rogaten verlobt ist. Ich habe mir das so gedacht, weil es in dem Brief stand. Nun ärgert sich Pucki darüber, daß ich so was gesagt habe. Onkel Doktor, das wollte ich dir sagen, weiter nichts.«

»Und ich wollte dir schon längst sagen, Agnes, daß du ein kleines, vorwitziges Ding bist. Würde es dir etwa gefallen, wenn Pucki oder Waltraut in deinen Sachen kramten?«

Er konnte unmöglich ernst bleiben, als er das kleine ängstliche Mädchen so mit niedergeschlagenen Augen schuldbewußt vor sich stehen sah.

»Versprich mir, in Zukunft nicht mehr in den Sachen der Schwester herumzuschnüffeln!« sagte er dann.

»Ich mache es ganz gewiß nie wieder, Onkel Doktor.« Agnes verzog das Gesicht zum Weinen. »Ich habe Pucki sehr lieb und möchte, daß sie wieder fröhlich wird.«

»Geh nur ruhig nach Hause, Agnes, diesmal kann der Onkel Doktor deiner Schwester helfen. Er gibt ihr eine Medizin, die sie wieder froh macht.«

Da blitzten die Augen der Zwölfjährigen auf.

»Was für eine Medizin?« fragte sie.

»Nun aber 'raus«, rief Claus Gregor lachend und gab sich den Anschein, als wolle er hinter der Davonlaufenden hereilen, die die Tür hinter sich zuwarf.

Beruhigt und innerlich froh ging Agnes nach Hause.

Claus Gregor stand noch ein Weilchen mitten im Zimmer und lachte. »Nun weiß ich es von allen Seiten, daß sie mich liebt«, dachte er. »Ich war ein Tor, jemals daran zu zweifeln. Komm nur heim, kleine Pucki! Als ich dich zum ersten Male im Garten des Forsthauses sah, sahst du mich mit deinen blauen Augen lange an und sagtest zu mir: ›Ich habe dich gern!‹ Das hast du auch meinem Bruder bestätigt, dem du in deiner offenen Art die Antwort gabst: ›Der große Claus gefällt mir weit besser als du.‹ – So ist es geblieben, liebe kleine Pucki. Ich weiß, du hattest mich immer gern, und ich, ich habe dich ebenso lieb. Wenn du nur erst hier wärest! Jetzt soll uns kein Mißverständnis mehr trennen.«

An diesem Abend sagte Claus leise und glücklich vor sich hin: »Nur noch zwei Tage, dann kommt sie nach Birkenhain.«


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