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Grüß euch Gott alle miteinander

»Groß-Dassow! Umsteigen nach Zempin, Hollenstedt, Rahnsburg, Welpen.«

Pucki sprang aus dem Abteil. Nun kam die Kleinbahn, die sie nach Hause brachte. Nur noch drei Stationen, und der kleine Ort Rahnsburg war erreicht, von dem aus sie die zwanzig Minuten währende Fußwanderung nach Birkenhain antreten mußte. Sie hatte den Eltern geschrieben, sie sollten ja keinen Wagen an die Station schicken; eine der Schwestern sollte sie abholen, noch besser beide. Dann wollte sie den geliebten Wald begrüßen. Pucki freute sich ganz besonders auf diesen Weg durch den heimatlichen Wald, den sie so sehr liebte.

Als Pucki auf dem Bahnsteig von Groß-Dassow stand, summte sie halblaut vor sich hin: »Ich ging durch einen grasgrünen Wald und hörte die Vögelein singen.«

»Ich auch«, sagte eine tiefe Männerstimme neben ihr.

Puckis Gesang verstummte; sie wandte sich um.

»Onkel Oberförster! – Das ist aber fein! Wo willst du hin?«

»Nach Rahnsburg. Ich hatte hier zu tun, und habe dich kommen sehen. Nun können wir das letzte Wegstück zusammenfahren. Das heißt, wenn die angehende Kindergärtnerin Lust dazu hat. Mit solch einer gelehrten jungen Dame darf ich nicht mehr umgehen wie mit der kleinen Pucki, die den Onkel Oberförster mächtig auszankte, als er den Leuten nicht erlauben wollte, Holz zu sammeln.«

Puckis Gesicht strahlte. »Du bist eine gute Vorbedeutung, Onkel Oberförster! Denke doch, sechs Wochen Ferien!«

»Prächtig siehst du aus, Pucki. Die Stadtluft hat deiner Frische nichts anhaben können.«

»Leipzig ist wunderschön, Leipzig hat auch prachtvolle Luft. Man ist nach kurzer Zeit draußen im Grünen. Du mußt nicht denken, daß ich zwischen hohen Mauern ersticke.«

»Aber vielleicht in der Gelehrsamkeit?«

»Einsteigen in Richtung – –«

»Nun vergessen wir noch das Einsteigen«, lachte Oberförster Gregor. »Schnell, Fräulein Kindergärtnerin, der Zug fährt uns sonst davon.«

Beide stiegen in dasselbe Abteil. Pucki fand es herrlich, daß sie keine anderen Mitreisenden hatten. Der Oberförster Gregor setzte sich neben das junge Mädchen und legte seinen Arm um dessen Schulter, wie bei einer alten lieben Bekannten, denn er kannte sie ja von Kind auf an.

»Onkel Oberförster, wie geht es dir und der lieben Tante Gregor?«

»Gut, Pucki, es geht uns allen gottlob recht gut. Ich freue mich herzlich, daß unsere Pucki wieder in der Försterei ist.«

»Es ist immer schön in der Heimat«, sagte Pucki glücklich.

»Und wie groß du geworden bist, Pucki! Ein wirklich hübsches Mädchen bist du geworden. Da wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis der Rechte kommt und unsere liebe kleine Pucki heiratet.«

»Ich werde niemals heiraten, Onkel Oberförster.«

»Ach – sieh mal an!« scherzte der Oberförster. »Weißt du nicht mehr, daß du mir vor einem Jahr sagtest, daß du sechs bis acht Kinder haben möchtest.«

»In meinem Kindergarten werde ich sogar dreißig bis vierzig haben.«

»Wenn nun aber einer vor dich hinträte, dich recht lieb ansähe und dir sagte: Pucki, süßer kleiner Puck, ich habe dich von Herzen lieb. Ich möchte dir einen Kuß geben – den Verlobungskuß. Dann wird geheiratet, und alle deine Wünsche gehen in Erfüllung.«

Pucki sah im Geiste Hans Rogaten vor sich stehen, der ihr von Bianka Gossen erzählt hatte, von dem reizenden jungen Mädchen, das in der Oberförsterei weilte, das Claus zu seinen Eltern geschickt hatte. Das bedeutete natürlich nichts anderes, als daß die Eltern ihre künftige Schwiegertochter genauer kennenlernen sollten. Pucki wollte sich nicht verraten, welche heißen Wünsche ihr Herz zeitweilig hegte. Keiner sollte wissen, daß in ihr oftmals Gedanken aufgestiegen waren, die Frau des junges Arztes Gregor zu werden. Oh, sie würde sich die Augen aus dem Kopfe schämen, sie würde nie mehr den Onkel Gregor und dessen Frau ansehen können, wenn man dort ahnte, daß sie sich um ihren Sohn Claus Hoffnungen gemacht hatte.

»Ich bin nicht fürs Heiraten«, sagte sie endlich noch einmal.

»Dann bist du eine Ausnahme, Pucki. Und da du jetzt so furchtbar gelehrt bist, möchte ich mich auch gelehrt mit dir unterhalten. Paul Verlaine sagt einmal in einem Gedicht: ›Der Kuß ist die feurige Begleitung auf der Tastatur der Zähne zu den lieblichen Liedern, die die Liebe einem brennenden Herzen singt‹.«

»Entschuldige, Onkel Oberförster, aber das finde ich reichlich überschwenglich!«

»Ein altes lateinisches Epigramm sagt: ›Was ist süßer als Met? Der Tau des Himmels. – Was ist süßer als der Tau? Honig vom Hybla. – Und was ist süßer als Honig? Nektar. – Und süßer als Nektar? – Der Kuß‹.«

»Ach, Onkel Oberförster, was soll das? Mir brauchst du keine gelehrten Abhandlungen zu halten.«

»Und ich hatte mir eingebildet, junge Mädchen hören nichts lieber als solche Weisheiten. Warum küssen sich denn die Menschen, wenn sie verliebt sind?«

In Puckis Augen blitzte es auf. Sie hatte kürzlich Viktor Scheffels »Trompeter« gelesen. Schelmisch schaute sie den Oberförster an.

»Warum küssen sich die Menschen, Onkel Oberförster? Die Antwort soll dir der Kater Hidigeigei geben:

›Warum küssen sich die Menschen?
Es ist nicht Haß, denn sie beißen sich nicht,
Ist nicht Hunger, denn sie fressen sich nicht,
Es kann auch kein zweckloser, blinder
Unverstand sein, denn sie sind sonst
Klug und selbständig im Handeln.
Warum also, frag' umsonst ich,
Warum küssen sich die Menschen?‹«

Der Oberförster lachte auf. »Du bist die Alte geblieben, Pucki, auf alles findest du eine Erwiderung. Du hast den Schnabel auf dem rechten Fleck. Warte nur, wenn erst der Rechte kommt, wirst du den Kater Hidigeigei nicht mehr zitieren. Dann wird es so sein, wie es bei allen anderen ist.«

»In der englischen Rechtsprechung hieß es früher: Wenn ein Mann ein Mädchen gegen ihren Willen küßt, darf sie ihm die Nase abbeißen.«

»Wird notiert, Pucki! Ich werde dich später mal, wenn du erst verlobt bist, daran erinnern. Ich nehme an, daß dein Bräutigam, sobald er dich sieht, Lust bekommt, deinen roten Mund zu küssen, auch auf die Gefahr hin, die Nase zu verlieren.«

»Aber nun etwas anderes, Onkel Oberförster. – Erzähle mir lieber von – von – Eberhard.«

»Er ist daheim. Er hat Semesterferien. Er nimmt sein Studium sehr ernst.«

»Wenn Eberhard daheim ist, so – ist es jetzt in der Oberförsterei nicht so still. Da ist lustiges junges Volk.«

»Es ist auch noch anderer Besuch da, Pucki, ein gar liebes, prächtiges Mädel, das dir gefallen wird. Unsere Bianka bleibt noch eine ganze Weile bei uns.«

»Eure Bianka?«

»Nun ja, so nennen wir das zarte Geschöpf. Sie ist im vierten Grade mit uns verwandt.«

»So hat sie eure Herzen im Sturm erobert?«

»Sie ist ganz anders als du, Pucki. Ein wenig zart. Nun, sie muß eben noch lange bei uns oder in Rahnsburg bleiben.«

»Für immer?« fragte Pucki schnell.

»Nein – so lange, bis sie sich gründlich erholt hat oder – bis sie heiratet.«

»Will sie das?«

»Nun, ich denke, das will doch jedes junge Mädchen. – Nur du bist eine Ausnahme.«

»Ja, ich habe später meinen Kindergarten mit dreißig bis vierzig Kindern. Ihnen will ich alles sein. Im übrigen – – Ich bin oft mit Hans Rogaten zusammengewesen. Rogaten ist wirklich ein reizender Mensch. Er gefällt mir jedesmal besser, wenn ich ihn sehe. Aber schau doch hinaus! Überall Wald – oh, ich liebe den Wald!«

»Warum erkundigst du dich gar nicht nach Claus, Pucki?«

»Claus? Wir haben uns oft geschrieben. Ich weiß, daß er in Breslau ist.«

Oberförster Gregor nahm die goldene Brille von der Nase, putzte sie umständlich, setzte sie wieder auf und schaute Pucki dann ziemlich scharf an. Da wandte sie den Kopf rasch zur Seite, wies auf einige Schwalben, die auf den Telegraphendrähten saßen und sagte:

»Sieh, die reizenden Vöglein.«

»Wirklich reizend«, wiederholte der Oberförster. Er schien sichtlich zufriedengestellt zu sein.

Nun noch eine Station, dann waren sie in Rahnsburg.

»Also von Claus will ich dir erzählen, Pucki. Das heißt, nur wenn du etwas von ihm hören willst. In etwa acht Tagen kommt er nach Hause. Dann wird er mit Doktor Kolbe in Rahnsburg verhandeln, um dessen Praxis zum ersten Oktober zu übernehmen. Claus liebt die Großstadt nicht. Es war immer sein Wunsch, sich in einem kleinen Ort niederzulassen. Nun bietet sich ihm in Rahnsburg eine gute Gelegenheit, diesen Wunsch zu erfüllen.«

»Das ist sicherlich klug von ihm gehandelt. Er ist in Rahnsburg bekannt und weiß, daß er sich dadurch einen Stamm von Patienten sichert.«

»Wenn du einmal Schnupfen hast, Pucki, gehst du doch auch zu ihm, nicht? Oder – – kannst du ihn nicht mehr leiden?«

»Warum sollte ich ihn nicht leiden können? Wir waren immer gute Freunde, und Freundschaft ist etwas Schönes. Ich kenne einen prächtigen Spruch: Die Freundschaft ist die heiligste der Gaben, und einen Freund kann jeder haben, der selbst versteht, ein Freund zu sein.«

Das war der Spruch, den ihr Hans Rogaten heute morgen gesandt hatte.

»Sehr richtig«, meinte Herr Gregor. »Ein schöner Spruch, nur ist echte Freundschaft selten. Und Freundschaft zwischen Mann und Frau? Gewöhnlich wird Liebe daraus.«

»Ach, Onkel Oberförster, das mag in eurer Zeit so gewesen sein, heutzutage ist das anders. Bin ich nicht mit Eberhard befreundet? Will ich ihn etwa heiraten? – Nein! Oder mit den Niepelschen Drillingen? Und das sind doch meine allerbesten Freunde seit jeher. Oder gar der gute Junge, der Rogaten? Er ist der aller-allerbeste.«

»Und Claus?«

»Der – natürlich auch.«

»Na, da müssen wir eben abwarten, wem die Nase zuerst abgebissen wird. Etwas anderes kann man jetzt noch nicht sagen.«

»Gleich sind wir in Rahnsburg!«

»Ich habe das Auto an die Bahn bestellt. Ich setze dich in Birkenhain ab.«

»Nein, Onkel Oberförster, ich laufe. Aber meinen Koffer könntest du mitnehmen? Willst du das tun?«

»Wenn ich Pucki nicht bekomme, nehme ich wenigstens den Koffer. – Warum willst du nicht mit mir fahren? Eberhard sitzt am Steuer. Er fährt dich bestimmt nicht in den Graben.«

»Ach, ich möchte lieber laufen«, sagte Pucki verträumt. »Wenn ich mit dem Auto so schnell durch den Wald rase, kann ich meinen lieben alten Wald nicht begrüßen.«

Da hielt der Zug. Puckis scharfe Augen hatten bereits die beiden Schwestern bemerkt. Da stand die sechzehnjährige Waltraut und neben ihr die zwölfjährige Agnes. Pucki machte sich durch lautes Rufen bemerkbar. Die beiden Försterskinder eilten herbei, und dann gab es eine stürmische Begrüßung. Auch Eberhard gesellte sich zu den dreien. Er schien recht enttäuscht zu sein, daß Pucki und die Schwestern nicht mitfahren wollten. Im Auto wäre für alle Platz gewesen.

»So nimm wenigstens deine Waltraut mit«, lachte der Oberförster.

»Nein, Onkel Oberförster, ich gehe mit Pucki.«

Den Koffer nahm der gute Oberförster im Wagen mit. Dann schritten die drei Försterskinder dem Elternhause zu. Obwohl Pucki erst Ostern den gleichen Weg gegangen war, schien es ihr eine Ewigkeit her zu sein, daß sie hier gewesen war. Sie gingen durch die Straßen Rahnsburgs und erreichten bald den Wald. Wieder nahm sie der grüne Dom auf. Puckis Herz pochte vor Glück und Wonne. Ja, hier war die Heimat, hier fühlte sie sich geborgen. Wie konnte es auch anders sein? Als kleines Mädchen war sie unter den grünen Tannen umhergesprungen, dann war alltäglich der Weg zur Schule durch den Wald zurückgelegt worden. Heute war sie groß und erwachsen, und wie lange noch würde sie hier weilen? Ostern war ihre Ausbildung beendet, dann hieß es, sich eine Stellung suchen. In Rahnsburg gab es für sie keinen Wirkungskreis. Also hieß es, gar bald scheiden. Diese Gedanken beschäftigten Pucki, als sie dem Forsthause zuschritt.

»Du bist ja so still«, sagte Waltraut. »Was hast du?«

»In mir ist nichts als Freude, Waltraut, Freude über die Heimkehr, über das Zusammensein mit den Eltern, über die Heimat.«

Agnes plauderte munter darauf los. »Rose Teck weiß schon, daß du heute kommst. Sie erwartet dich. Ihr Kindchen ist furchtbar niedlich, Gottlieb heißt der Junge. Der alte Schmanzbauer läßt dich herzlich grüßen. Du sollst bald herauskommen.«

Die Schmanz! Das kleine Besitztum, das eine halbe Stunde vom Forsthaus Birkenhain entfernt lag. Wie oft war Pucki in ihrer Kinderzeit zum Schmanzbauern gegangen. Rose Scheele, einst ein blasses Stadtkind, war zu den Sommerferien ins Forsthaus gekommen, war später zum Schmanzbauern in Dienst gegangen und hatte vor knapp zwei Jahren den Sohn des Schmanzbauern, den Michael Teck, geheiratet, der jetzt den Hof bewirtschaftete. Der einjährige Gottlieb war die Freude der Eltern und das Glück der Großeltern.

»Natürlich gehe ich bald zu Rose, ich gehe zu allen, allen! Ich muß alle wiedersehen, die mir lieb sind. Sechs Wochen habe ich dafür Zeit. Aber ich werde kaum fertig werden mit meinen Besuchen.«

Vor dem Forsthaus stand Förster Sandler mit seiner Frau und dem treuen Hausmädchen, der Minna, die nun schon beinahe zwanzig Jahre im Forsthause weilte.

Mit ausgebreiteten Armen eilte Pucki auf die Eltern zu. –

Bereits eine halbe Stunde später saßen alle am Kaffeetisch, und wieder gab es die von Pucki so sehr geliebten Waffeln. Selbst an dieses Gebäck knüpften sich für sie liebe Erinnerungen.

»Weißt du noch – Waffeln?« fragte Pucki und lachte zu Minna hinüber, die mit am Kaffeetisch saß.

»Ja, ja, Pucki, unter dem Topfschrank hast du gesessen, um die gemausten Waffeln zu verzehren. Dann wurde durch den umgeworfenen Eimer das schöne weiße Kleidchen beschmutzt.«

Wie viel gab es da zu erzählen! Alle die kleinen Erlebnisse aus Rahnsburg und der Umgebung von Birkenhain wurden wieder lebendig. Zunächst berichtete der Vater von den Drillingen aus dem Niepelschen Gutshause, von Paul, Walter und Fritz. Sie waren nur zwei Jahre älter als Pucki.

»Alle drei sind zur Zeit stramme Soldaten. Für Paul ist die militärische Zucht besonders gut angebracht«, berichtete der Vater. »Sie wird ihm guttun. Aus ihm wird niemals ein ordentlicher Landwirt werden, wenn er nicht in strenge Zucht kommt.«

»Und Walter und Fritz?« forschte Pucki.

»Sind prächtige Jungen. Fritz hat sich den Forstberuf erwählt, Walter bleibt Landwirt.«

Der erste Nachmittag war den Eltern gewidmet. Aber am nächsten Morgen drängte es Pucki, hinaus zur Schmanz zu gehen. Anfangs wollte sie zur Oberförsterei, schob diesen Besuch aber noch hinaus. Der konnte morgen oder übermorgen ausgeführt werden. Claus kam ja erst in acht Tagen. Pucki würde in der Oberförsterei jenes junge Mädchen kennenlernen, jene Bianka Gossen, die wahrscheinlich die heimliche Braut von Claus war.

Eine heimliche Braut! Wenn man sich verlobte, möchte man sicherlich auch sein Glück allen lieben Freunden und Bekannten mitteilen. Man konnte von dem Erwählten reden, konnte Glückwünsche entgegennehmen. Wenn man aber heimlich verlobt war, heimlich wie Carmen und wahrscheinlich auch wie Bianka – dann mußte man alle innere Glückseligkeit ängstlich verschweigen, mußte sich gleichgültig stellen.

»Ich würde mich niemals heimlich verloben – nie! An dem Tage, an dem ich mich verlobe, sollen es alle, die mir lieb sind, wissen, daß ich eine glückliche Braut bin. – Lieber Schatz, würde ich zu ihm sagen: Jetzt fahren wir nach Rahnsburg, kaufen die goldenen Ringe und stecken sie uns an die Finger. Im Nebenhaus wohnt der Drucker, der druckt uns die Anzeigen und abends schreiben wir die Umschläge. Du trägst alles noch sofort zum Postkasten, damit am nächsten Tage jeder weiß, daß Pucki Sandler sich verlobt hat mit dem lieben – – Ja, mit wem denn?« fragte sie sich. »Wer wird wohl einmal auf dem weißen Karton neben meinem Namen stehen?«

Dann warf sie den Kopf stolz in den Nacken. »Ich habe meinen Kindergarten mit dreißig, vierzig oder gar fünfzig Kindern. – Vielleicht könnte ich in Rahnsburg einen Kindergarten eröffnen. Wenn eines meiner Kinder erkrankt ist, gehe ich sofort zu Doktor Gregor und sage zu ihm: Herr Doktor, ein Kind ist heute erkrankt.«

Plötzlich fiel Puckis Hand schwer auf den Tisch. »Es ist besser, ich gehe zur Schmanz, als daß ich mich wie ein Backfisch benehme. Ich bin Kindergärtnerin, stehe vor dem Examen, und bin zwanzig Jahre alt. Zwanzig Jahre! – Oh, das ist eigentlich schon sehr alt.«

Ganz allein legte Pucki den Weg durch den Wald zur Schmanz zurück. Sie lehnte die Begleitung Waltrauts ab. Sie wollte allein sein. Es plauderte sich gewiß gut mit der jüngeren Schwester, aber an diesem ersten Vormittag galt ihr Denken dem geliebten Wald und allem, was darin lebte. So brauchte Pucki fast eine Stunde, bis der Schmanzhof in Sicht kam. Jetzt erst beschleunigte sie ihre Schritte.

Drüben auf der Wiese stand eine Frauengestalt. Das rote Kopftuch leuchtete wie ein Fliegenpilz. Das war Rose, die Jungbäuerin, die, den langen Rechen in der Hand, das Heu wendete. Unweit von ihr stand der große, sehnige Michael, Roses Mann.

»Rose – Rose! Ich bin es, Pucki!«

Der Rechen flog zu Boden, die Jungbäuerin lief der Freundin entgegen, und stürmisch umarmten sich beide.

»Ich habe es geahnt, daß du heute kommst«, sagte Rose. »Ich bin mit ganz besonderem Frohgefühl erwacht.«

Pucki ließ die Blicke über das einstmals so schmale Stadtkind hingleiten. Was war aus der blassen Rose Scheele geworden, seitdem sie auf der Schmanz lebte! Und seitdem Rose ein Kind wiegte, seit dieser Zeit hatte sich ihr Gesicht verschönt. Immer wieder blickte Pucki in das weiche Frauengesicht mit den sanften, lieben Augen, die in heller Freude leuchteten.

Nun kam auch Michael herbei und schüttelte Pucki derb die Rechte. »Was macht der kleine Gottlieb?« fragte sie.

»Den besorgt die Mutter. Sie macht noch immer das Hauswesen, während wir Felder und Wiesen betreuen. Hier hat jeder seine Arbeit.«

»Deinen kleinen Buben möchte ich gern einmal sehen, Rose.«

»Natürlich, Pucki! – Willst du noch ein wenig hierbleiben? Ich bin gleich mit dem Heuwenden fertig.«

»Kann ich dir dabei helfen?«

»Na, na«, lachte Michael, »für die Kindergärtnerin ist das eine ungewohnte Arbeit.«

Schon hatte ihm Pucki den Rechen aus der Hand genommen und machte sich mit Feuereifer an die Arbeit, die sie tadellos verrichtete.

»Na ja«, meinte Michael, »es ist eben Pucki Sandler. Eine andere würde es nicht so gut machen. – Mußt unbedingt einen Landwirt heiraten. Wie wäre es mit einem der Niepelschen Jungen?«

»Ich habe später einen Kindergarten. – So, nun komm, Rose! Jetzt gehen wir ins Haus, ich will doch den Schmanzbauern und seine Frau begrüßen.«

Bei den alten Bauersleuten war die Wiedersehensfreude nicht geringer. Alle liebten Pucki, alle freuten sich, wenn sie sich auf der Schmanz sehen ließ.

Und nun stand Pucki vor dem Bettchen, in dem der einjährige Knabe lag und unverständliche Worte ausstieß. Er streckte der Mutter die Ärmchen entgegen und lächelte ein wenig, als Pucki den blondlockigen Knaben emporhob und auf den Arm nahm.

»Rose – wie ist dir zumute? Ist es nicht etwas Schönes, in so jungen Jahren Mutter zu sein?«

»Wir haben schon einmal darüber gesprochen, Pucki. Es gibt kein größeres Glück, als ein Kindchen sein eigen zu nennen.«

»Du warst schon damals so glücklich, als dich Michael erwählte. Damals sagtest du, du könntest dir nicht denken, daß es noch schöner werden könnte.«

»Gewiß, Pucki – damals erfüllte mich die Liebe zu Michael, damals wußte ich noch nicht, was es heißt, Mutter zu sein. Du bist mir eine treue und sehr liebe Freundin, deinen Eltern und dir verdanke ich viel! Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich niemals aus der Stadt herausgekommen wäre? Vielleicht lebte ich heute noch in der Stadt. Nun aber ist um mich her reinste Freude, helles Glück und Sonnenschein.«

»Du bist also ganz glücklich, Rose?«

»Ja, Pucki, ich wünschte, daß auch dir ein gleiches Glück beschieden wäre, so, wie es mir mühelos in den Schoß fiel.«

»Ich liebe meinen Beruf.«

»Das glaube ich dir, Pucki, sonst hättest du ihn nicht erwählt. Er ist schön, besonders für ein junges Mädchen. Wenn du aber erst einmal ein eigenes Kind hast, dann wirst du erkennen, daß es nichts Größeres gibt als Mutter zu sein. Ich möchte dir so viel darüber sagen, aber ich kann das nicht so ausdrücken. Ich weiß nur, daß alles in mir anders wurde in dem Augenblick, als der Kleine in der Wiege lag und schrie.«

»Ich glaube, ich werde niemals heiraten, Rose.«

»O doch, Pucki! Wer dich sieht, muß dich liebhaben. Ich kann mir sogar denken, daß du eine prächtige Frau und Mutter werden wirst. Ich glaube auch, ich weiß, wem du einmal angehören wirst.«

Pucki lachte ein wenig. »Wen hast du für mich ausgesucht?«

»Darüber spricht man nicht. Ich hätte das gar nicht sagen dürfen.«

»Rose, ich möchte es aber gern wissen. – Wir sind doch gute Freunde.«

»Ich denke, du weißt selbst, für wen dein Herz schlägt.«

»Ach, Rose, das ist ja eben das schlimme. – – Sage mal, kennst du eigentlich die Bianka Gossen, die bei Gregors ist?«

»Freilich kenne ich sie. Sie ist schon mehrmals hier gewesen.«

»Sie gibt mal eine prächtige Frau für Claus ab.«

Rose stutzte. »Das Fräulein Gossen? – Wer sagte das?«

»Nun, man erzählt doch, daß sie die heimliche Braut von Claus ist. Ich wünsche ihm von Herzen Glück, denn er verdient eine gute Frau. Er wird mit ihr sehr glücklich sein. Auch der Onkel Oberförster hat das gesagt. Wenn Claus erst in Rahnsburg als Arzt lebt, wenn ihm seine Frau eine nette Häuslichkeit einrichtet, wird ganz gewiß das große Glück in ihm sein, das auch in dir ist.«

Rose war still geworden. Ihre Augen suchten den Boden.

»Meinst du das nicht auch?« fragte Pucki dringlicher. »Fräulein Gossen paßt doch gut zu Claus.«

»Hat dir der Herr Oberförster gesagt, daß Fräulein Gossen seinen ältesten Sohn heiraten wird?«

»Nein – –«

»Wer hat es sonst gesagt?«

»Keiner, Rose, aber – es ist doch so das richtigste.«

Rose atmete sichtlich erleichtert auf. »Nein«, sagte sie, »das zarte Fräulein Bianka ist keine Frau für Doktor Gregor. Er will doch nur dich.«

»Er will – – nur mich?«

»Nun ja, ich denke es mir.«

Pucki legte das Kind, das sie noch auf dem Arm hielt, mit einem energischen Ruck in die Wiege zurück. Dann preßte sie Rose so stürmisch an sich, daß sie leise aufschrie. Aber auch das Kind begann zu schreien. Es war eine so unsanfte Behandlung nicht gewohnt.

»Aber Pucki, was hast du nur? – Was ist plötzlich in dich gefahren?«

Das junge Mädchen beherrschte sich. »Nichts, gar nichts! Ich habe meinen Kindergarten mit fünfzig bis sechzig Kindern. Aber – Rose«, Pucki sah sich um, ob niemand in der Nähe wäre, der das Gesprochene hören konnte: »Rose, wie kommst du dazu, so etwas zu sagen?«

»Er hat dich doch immer gern gehabt. Wenn er von dir spricht, klingt seine Stimme ganz anders als sonst, wenn er von anderen redet.«

»Rose, Rose! Ich muß dich erst mal abdrücken!«

Rose lachte nur dazu. Sie trug den schreienden Knaben im Zimmer umher, und als Pucki erneut erklärte, sie fände einen Kindergarten als das richtigste für sie, schwieg Rose still.

Als sich Pucki nach einer halben Stunde verabschiedete, flüsterte Rose noch einmal: »Und ich glaube doch, daß der Gedanke an den eigenen Kindergarten verblaßt, wenn erst Doktor Gregor vor dir steht und die Frage an dich richtet: Willst du mein sein?«

Im Sturmschritt eilte Pucki davon. Aber mitten im Walde blieb sie stehen. Dort jubelte und jauchzte die Zwanzigjährige. Es hörte ja keiner zu, nur die kleinen Vöglein, und die konnten es wissen: Claus Gregor, dich habe ich lieb, dich, dich ganz allein! Für dich gebe ich gern den Kindergarten auf.

In der Försterei ahnte niemand, welch ein Sturm durch die Seele des jungen Mädchens gebraust war. Sie erzählte nur von Rose und ihrem Buben.


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