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Pucki sucht Beistand

Hedi Sandler schloß fest die Lippen. Das Lied, das die Kinder soeben in der Gesangstunde übten, sang sie nicht mit. Ihre Mitschülerin Thusnelda stieß sie leicht in die Seite.

»So singe doch, Herr Wolfgramm schaut immerfort zu dir herüber.«

Die zehnjährige Hedi schüttelte den blonden Lockenkopf. Das trotzige Kindergesicht verfinsterte sich. Da klang es aus den Kehlen der Schülerinnen:

»Nun ade, du mein lieb' Heimatland,
lieb' Heimatland, ade!
Es geht jetzt fort zum fremden Strand,
lieb' Heimatland, ade!«

Als das Lied abermals wiederholt wurde, füllten sich die Augen Hedis mit Tränen. Da wurde Herr Wolfgramm aufmerksam.

»Fehlt dir etwas, Pucki?«

In der ganzen Schule nannte man das Töchterchen des Försters Sandler nicht anders als Pucki. Das Kind war trotz seiner übermütigen Streiche bei Lehrern und Schülern recht beliebt. So wandten sich auch jetzt alle Köpfe zu ihm hin, als der Gesanglehrer die Frage stellte.

Pucki schüttelte den Kopf. »Mir fehlt gar nichts.« Sie bemühte sich, die Tränen zurückzudrängen, trotzdem kamen noch einige glucksende Laute aus ihrer Kehle. Als sich die Kinder dann setzen durften, fragte Thusnelda leise:

»Tut dir was weh, Pucki?«

»Nun singen wir auch hier vom Fortgehen! – Ich mag nicht fortgehen, ich will in Rahnsburg bleiben. Ich mag auch nicht aus dem Walde fort. – Ich will gar nicht viel lernen, wie die Mutti sagt.«

»Sei doch froh, Pucki, daß du in eine große Schule kommst, in der du immer weiter lernen kannst. Später kannst du dann auch mal Lehrerin werden und lernst fremde Sprachen. Dann kannst du in fremde Länder fahren, weil du auch dort mit den Leuten reden kannst. – Ich würde mich furchtbar freuen, wenn ich in solch eine Schule käme.«

»Freuen würdest du dich, wenn du den schönen Wald und die Rehe und die lieben Vöglein nicht mehr siehst? In Rotenburg gibt es nur hohe Häuser. Dort kommen keine Vögel in den Garten, die ich füttern kann, und den lieben Harras darf ich auch nicht mitnehmen. – Nein, ich will nicht in die große Schule, aber ...« fügte Pucki flüsternd hinzu, »bis zum April ist's ja noch so lange. Vielleicht überlegt es sich der Vater noch anders.«

»Das ist gar nicht mehr lange hin, Pucki. Februar – März, und dann kommt Ostern, und nach Ostern gehst du in die andere Schule.«

Es wurde wieder zum Singen gerufen, das Gespräch der beiden Freundinnen verstummte. Man sang jetzt ein hübsches Winterlied; da fiel auch Pucki mit ein.

»Nicht so laut singen, Pucki«, mahnte Herr Wolfgramm. Puckis Stimme war keine Zierde der Klasse. Sie sang weder gut noch rein. Am liebsten brummte sie in einem viel tieferen Tonfall mit, aber der Gesanglehrer hatte sie immer ruhig mitsingen lassen, denn er hoffte, daß sich ihr musikalisches Gehör bessern würde, und Pucki lernte so wenigstens die Texte der hübschen Lieder.

Während der Gesangstunde und des folgenden Unterrichtes gingen Puckis Gedanken immer wieder zu der großen Veränderung, die ihr bevorstand. Es erschien dem kleinen Mädchen nicht möglich, daß es nun fortkommen sollte. Nirgends war es so schön wie in der Försterei Birkenhain, die zwanzig Minuten von dem kleinen Städtchen Rahnsburg entfernt lag. Dort war Pucki aufgewachsen, dort hatte sie ihre vielen Lieblinge, die Haustiere und die Tiere des Waldes. Sie kannte jeden Holzschläger, der unter dem Vater arbeitete. Alles das sollte sie verlieren, sollte nicht mehr hinaus nach dem Niepelschen Gute gehen dürfen? Warum gab man ihr nicht auch einen Hauslehrer, wie ihn die drei Söhne des Gutsbesitzers hatten? Paul, Walter und Fritz, die Drillinge, waren noch zwei Jahre älter als sie, und sie brauchten nicht fort von daheim, weil noch immer Herr Hupfer den Unterricht erteilte. Wenn sie erst in Rotenburg war, konnte sie auch keinen Besuch mehr in der Oberförsterei und beim Schmanzbauern machen.

Hunderte von Gedanken gingen Pucki durch den Kopf. Seit dem Tage, da ihr die Eltern gesagt hatten, daß sie nach Rotenburg aufs Gymnasium kommen sollte, gab sich Pucki die größte Mühe, daheim recht artig zu sein. Es glückte nicht immer; und als Pucki nach vierzehn Tagen sah, daß die Eltern ihren Entschluß nicht änderten, ließ ihr Bestreben wieder ein wenig nach. Heute faßte sie nun erneut den Entschluß, fleißig zu arbeiten und die Schulaufgaben pünktlich und gewissenhaft zu erledigen. Vielleicht bat dann der Rektor der Schule die Eltern, daß sie dort bleiben durfte.

Vielleicht konnte sie aber auch Herrn Hupfer, den Niepelschen Hauslehrer, bitten, daß er sie mit unterrichte. Die Drillinge sollten später doch auch aufs Gymnasium kommen. – O ja, sie wollte das Herrn Hupfer sagen! Die Mutti mochte den Hauslehrer gut leiden.

Auch der Schmanzbauer und der gute Onkel Oberförster würden traurig sein, wenn sie nicht mehr zu Besuch käme. Der große Claus, des Oberförsters ältester Sohn, war schon lange aus dem Elternhause fort und kam nur zu den Ferien heim. Er studierte auf einer Universität. Aber Eberhard, der zweite Sohn, war noch in Rotenburg bei Tante Grete, des Oberförsters Schwester, die mehrere Pensionäre bei sich hatte.

»Tante Grete ist gut, das weiß ich«, sagte Pucki leise vor sich hin, »aber immerfort möchte ich nicht bei ihr sein. Nein, ich will nicht nach Rotenburg, ich will im Walde bleiben!«

Als das Försterkind nach Schulschluß den Heimweg antrat, beschloß es, nochmals ganz energisch gegen die Umschulung Einspruch zu erheben. Noch war es Zeit! Der Januar ging erst seinem Ende zu, und bis Ostern war es noch eine lange Zeit. Wie gut hatten es ihre beiden kleineren Schwestern Waltraut und Agnes, die daheim bei den Eltern bleiben durften. Waltraut kam erst Ostern zur Schule, und Agnes war noch ganz klein.

Zeichnung Kirchbach

Im Dauerlauf trabte Pucki dem Forsthause zu. Wie die Bäume mit ihrer winterlichen Pracht leuchteten! Die Sonne spiegelte sich in ihrem Schneebehang; es sah aus, als wären die Zweige mit Silber bestreut. Hier und da fiel mit leisem Knistern eine kleine Schneelast von den breiten Tannenästen herab. Mit einem Glücksgefühl ohnegleichen stampfte das kleine Mädchen an der Seite der breiten Landstraße durch den tiefen, weichen Schnee. Wie das stob und sprühte, wenn die kleinen Füße die Schneedecke hochwarfen. Pucki lachte hell auf, und die Sorge des Umschulens war für Augenblicke vergessen. Nun sprang das Kind jauchzend in die Höhe und – pardauz! – da lag es im Graben, tief drinnen in weichen, weißen Schnee gebettet. Das rote Wollmützchen schaute gerade noch hervor. Nicht lange jedoch, da kam ein blondes Lockenköpfchen und schließlich ein kleiner Schneemann wieder zum Vorschein. Mit strahlenden Augen kroch Pucki aus dem Graben heraus, schüttelte sich im hellen Sonnenschein und lachte mit der Wintersonne um die Wette. Beim Erblicken des Forsthauses verflog die fröhliche Stimmung sogleich wieder.

»Nun ade, du mein lieb' Heimatland, lieb' Heimatland, ade«, murmelte der Kindermund und zog sich schmerzlich zusammen. – –

Obwohl es beim Mittagessen Bohnen gab, die Pucki nicht gerne mochte, aß sie ihren Teller doch leer.

»Brav war das«, sagte die Mutter. »Wenn ich sonst weiße Bohnen auf den Tisch brachte, dauerte es recht lange, bis du aufgegessen hattest. Heute hast du mich recht erfreut.«

»Ja, Mutti, ich habe mir auch vorgenommen, von jetzt an immer die weißen Bohnen zu essen. Und wenn du nach Ostern und im Sommer immerzu weiße Bohnen kochst, werde ich meinen Teller immer ganz leer essen.«

»Sehr brav«, lobte Frau Sandler, obwohl sie ahnte, welche Gedanken ihr Töchterchen bewegten. Hedi schöpfte aus der Antwort neue Hoffnung. Vielleicht hatten sich die Eltern die Umschulung doch überlegt.

»Wenn ein Mensch mal eine Reise macht, Vati, kostet das viel Geld? Und wenn ein Kind fortfährt, muß es dann auch bezahlen, wenn es was essen will?«

»Gewiß, mein Kind«, antwortete der Förster.

»Wenn ich ein Vater oder eine Mutter wäre, behielte ich mein Kind immer bei mir und sparte das viele Geld, das ich sonst bezahlen müßte.«

»Ja, ja, Pucki«, sagte Förster Sandler, »die Kinder kosten den Eltern viel Geld. Aber die Eltern geben es gern und freudig her, denn sie wollen, daß aus ihren Kindern einmal tüchtige Menschen werden.«

»Aus der Thusnelda wird auch mal ganz was Tüchtiges, und sie bleibt doch in Rahnsburg und lernt. Vati, ich habe die Thusnelda sehr lieb, sie bleibt meine Freundin bis an mein Lebensende, und ich möchte immer mit ihr zusammen sein.«

»In den Ferien wirst du natürlich deine Freundinnen alle wiedersehen, mein Kind. Es ist schade, daß wir in Rahnsburg keine andere Schule haben, so daß wir dich fortgeben müssen, aber es wird dir auch in Rotenburg gefallen.«

»Nun habe ich den Teller mit den Bohnen so schön aufgegessen, und nun soll ich doch weg!« stieß Pucki hervor.

Die Mutter erhob warnend den Finger. »Pucki!«

»Ich hoffe«, sagte der Vater, »daß du verständig genug bist, um einzusehen, wie gut wir es mit dir meinen, wenn wir dich nach Rotenburg geben. Deine Eltern bringen für dich ein großes Opfer.«

»Onkel Niepel gibt seine drei Jungen auch nicht weg«, klang es zurück.

»Das ist ganz etwas anderes. Niepels haben einen Hauslehrer, der – –«

»Könnten wir nicht auch so 'nen Hauslehrer haben? Wenn Waltraut auch in die Schule kommen soll, kann sie auch bei ihm lernen.«

»Finde dich endlich mit dem Gedanken ab«, sagte der Förster streng, »daß du nach den Osterferien nach Rotenburg aufs Gymnasium kommst. Dir ist Tante Perler nicht unbekannt, es wird dir dort schon gefallen. Außerdem ist Eberhard dort und wahrscheinlich noch ein anderes Mädchen in deinem Alter. Auch darfst du hin und wieder über den Sonntag heimkommen. Onkel Oberförster holt seinen Sohn öfters mit dem Auto ab.«

»Ach ja«, sagte Pucki tief atmend, »wir sind ja schon mal in Rotenburg gewesen, das weiß ich noch.«

»Du bist also ganz in unserer Nähe, und wenn du die Woche über artig und fleißig warst, kannst du auch einmal in Begleitung Eberhards mit der Bahn heimkommen. Dann gibt es bald große Ferien, es ist also gar nicht schlimm.«

»Es ist sehr schlimm«, murmelten die Kinderlippen. »Aber – wir wollen mal sehen.«

Was sie damit meinte, wußte keiner. Pucki beschloß aber, noch einmal allerlei Versuche zu unternehmen, um in der alten Schule bleiben zu können.

Der erste Angriff wurde auf Hauslehrer Hupfer unternommen. Als Pucki wieder einmal auf dem Niepelschen Gute weilte und mit den drei zwölfjährigen Knaben an einem Schneemann baute, den Herr Hupfer noch verschönte, klopfte ihm Pucki plötzlich auf den Rücken.

»Lassen Sie die Jungen mal allein machen, ich will Sie was Wichtiges fragen.«

»Etwas, was die drei nicht hören dürfen?«

»Ja.«

»So komm, wir gehen hinein ins Haus.«

Im Zimmer des Hauslehrers schüttete Pucki ihr Herz aus. »Ich werde immer sehr fleißig bei Ihnen lernen. Ob Sie nun drei oder vier Kinder unterrichten, ist doch einerlei. Ich kann gewiß auch stillsitzen und will viel lernen. Jeden Tag holt mich Onkel Niepel mit dem Wagen ab, und wir machen hier Schule. Bitte, gehen Sie doch mal zu meinen Eltern und sagen Sie ihnen, daß ich jetzt bei Ihnen lernen will.«

»Nein, Pucki, das geht nicht.«

Das kleine Mädchen stampfte mit dem Fuß auf. »Ja, es geht!«

»Nein, mein Kind! Die Knaben sind zwei volle Jahre älter als du und mit dem Lernen viel weiter. Wenn deine Eltern außerdem beschlossen haben, dich nach Rotenburg aufs Gymnasium zu schicken, so solltest du ihnen dankbar sein. Es kostet deinen Eltern gar viel Geld, sie werden manches entbehren müssen – –«

»Sie brauchen aber nichts zu entbehren, wenn sie mich dabehalten«, klang es zurück.

»Du solltest froh sein, daß dir Gelegenheit gegeben wird, etwas mehr zu lernen, als in Rahnsburg möglich ist.«

»Ach, ich lerne dort gerade genug. Immerfort kommt was Neues!«

»Höre mal, mein liebes Kind, gegen den Wunsch deiner Eltern gibt es kein Auflehnen, das merke dir. Es wird dir in Rotenburg außerdem gut gefallen.«

»Nein, nun gefällt es mir gerade nicht«, erwiderte Pucki trotzig. »Alle wollen mich nur weg haben! Waltraut und Agnes wollen allein zu Hause sein. – Na, wenn Sie nicht wollen, dann weiß ich schon, wer mir hilft, und an dem Schneemann baue ich nun nicht mehr weiter.«

»Komm mit hinaus, kleiner Eigensinn, deine Freunde warten auf dich.«

Während sich die drei Knaben mit dem Schneemann beschäftigten, machte Pucki Schneebälle und bewarf damit die Arbeitenden. Die Bälle, die am festesten gedrückt waren, bekam Herr Hupfer. Doch er lachte nur dazu, und bald war eine lustige Schneeballschlacht im Gange.

Plötzlich hielt Pucki im Werfen inne. »Wenn ich in Rotenburg bin, liegt kein Schnee auf den Straßen. Dort ist gleich alles Schmutz.«

»Wo denkst du hin«, lachte der Hauslehrer, »Rotenburg ist keine große Stadt, dort gibt es genug Schnee!«

Bei ihren drei Freunden fand Pucki auch keine Unterstützung. Paul, Walter und Fritz bedauerten natürlich, Pucki zu verlieren, vertrösteten sie jedoch auf Pfingsten und auf die großen Ferien. Dann würde man alles Versäumte nachholen.

»Du«, flüsterte Paul der Spielgefährtin zu, »in Rotenburg kannst du viel dummes Zeug machen, dort kannst du auf die Klingelknöpfe drücken. Beim Arzt und beim Apotheker geht das fein, das haben wir dort auch mal gemacht. – Na, überhaupt: In einer großen Stadt ist es lustig!«

»Ich will aber nicht auf Klingelknöpfe drücken, ich will lieber im Walde sein.«

»Dann kannst du dich auf den Balkon stellen«, sagte Walter geheimnisvoll, »und von oben her auf die Vorübergehenden ein bißchen Wasser gießen. Au, Pucki, das macht Spaß!«

In Puckis Augen trat ein Leuchten. »Tante Grete hat auch einen Balkon.«

»Na, siehst du, dann wird es dir schon gefallen. Wir besuchen dich auch mal, dann gehen wir durch die Stadt und klingeln überall.«

Trotz dieser verlockenden Aussichten wurde das Herz des kleinen Mädchens nicht leichter. Da Herr Hupfer bei den Eltern kein gutes Wort einlegen wollte, würde vielleicht der gute Onkel Oberförster seinen Liebling hierbehalten wollen und den Eltern die Umschulung ausreden. Pucki konnte es daher kaum erwarten, bis sich eine Gelegenheit bot, nach der Oberförsterei zu gehen. Der Vater hatte eines Tages diesen Gang zu machen, und Pucki bat stürmisch, sie mitzunehmen.

»Es geht aber durch ganz tiefen Schnee«, warnte der Vater.

»Vati, ich gehe an jedem Tage in die Schule im allertiefsten Schnee. Das macht mächtigen Spaß!«

»Also gut, ziehe dir die derben Stiefel an. Am Nachmittag gehen wir.«

Unterwegs begann das Kind erneut: »Vati, einmal sagte uns die Lehrerin, es ist ein Junge gestorben, weil er große Sehnsucht nach den hohen Bergen hatte. Ich werde auch Sehnsucht nach den Bäumen haben und werde krank werden, wenn ich in Rotenburg sein muß.«

»Du törichtes Mädchen, du machst dir die Sache selbst schwer; Rotenburg ist kaum zwei Stunden von uns entfernt, und oftmals wirst du bei uns sein können.«

»Aber wenn ich nicht bei euch bin, werde ich immerfort weinen. Dann sind meine Augen rot und dick, und vom vielen Weinen werden die Augen schlecht. – Vati, wenn ich ein Kind hätte, würde ich es nicht nach Rotenburg schicken.«

»Aber ich schicke mein kleines Mädchen nach Rotenburg, und dabei bleibt es.« Förster Sandler sagte diese Worte sehr bestimmt.

Da schwieg Pucki und hoffte darauf, daß ihr der gute Onkel Oberförster Beistand leisten würde.

In der Oberförsterei wurde erst alles Geschäftliche erledigt. Währenddessen weilte Pucki bei Frau Gregor und fragte nach Claus und Eberhard.

»Kommt der große Claus auch nicht mehr nach Rotenburg?«

»Nein, mein Kind, du weißt, daß Claus Arzt werden will. Er muß noch auf der Universität bleiben und sehr viel lernen.«

»Immer das alte Lernen!«

»Wenn du erst älter bist, wirst du einsehen, mein liebes Kind, daß man nie genug lernen kann. Auch Claus wird sich freuen, wenn er hört, daß du dir Mühe gibst, vorwärts zu kommen. Tante Grete ist eine sehr liebe Tante, bei der du dich wohlfühlen wirst. Außerdem ist ja auch Eberhard dort und noch ein anderes Mädchen.«

»Mir wäre es lieber, wenn der große Claus noch da wäre, den mag ich besser leiden als Eberhard.«

»Den großen Claus siehst du zu Ostern, mein Kind.«

Auch hier merkte Pucki, daß ihr kein Beistand wurde. Aber der Onkel Oberförster würde ihr schon helfen. Wenn nur erst die Unterredung mit dem Vati beendet wäre!

Es dauerte nicht mehr lange, da erschien Oberförster Gregor und begrüßte das Kind herzlich.

»Sind die kleinen Beine im Schnee nicht stecken geblieben«, fragte er lachend.

»O nein, ich kann durch viel tieferen Schnee laufen, Onkel Oberförster. – Ich habe dir was zu sagen, bitte, komm mal mit.«

Pucki hielt es für angebracht, dem guten Onkel unter vier Augen die Wünsche anzuvertrauen. Sonst redete womöglich die Tante dazwischen und verdarb den Plan.

»Hast du schon wieder ein Geheimnis?« lachte der gutmütige Oberförster.

»Ja«, nickte das Kind wichtig.

»Dann wollen wir hinüber in mein Arbeitszimmer gehen.«

»Ach ja, zu den vielen Geweihen. Ich setze mich in den großen Stuhl.«

Erwartungsvoll blickte Oberförster Gregor, als beide in seinem Arbeitszimmer angekommen waren, auf das kleine, blondlockige Mädchen, dessen Blicke an der Zimmerdecke hingen. Pucki schien angestrengt nachzudenken.

»Na, mein Kind, was hast du wieder angestellt?«

»Der Vati sagt, daß ein Oberförster ein Mann ist, der alle Förster unter seiner Aufsicht hat. Wenn ein Förster was im Walde machen will, muß er erst den Oberförster fragen. Und wenn sich Leute Holz holen wollen, muß immer erst der Oberförster die Erlaubnis geben. Das ist doch so, nicht?«

»Ganz genau so!«

»Dann hast du also auch über meinen Vati was zu sagen?«

Herr Gregor lachte. »Wie man es nimmt!«

»Der Vati darf doch keine Bäume umhacken lassen, wenn du es nicht willst?«

»Das ist schon richtig.«

»Du kannst also meinem Vati was befehlen?«

Zeichnung Kirchbach

»Befehlen, Pucki? – Dein Vati weiß genau, was er zu tun hat. Er kennt alle Vorschriften genau und richtet sich danach.«

»Aber manchmal sagst du ihm doch was.«

»Gewiß, Pucki.«

»Onkel Oberförster – du hast mich doch lieb? Du freust dich doch, wenn ich herkomme?«

»Gewiß, Pucki, du bist mein kleiner, blonder Liebling.«

»Na, das habe ich doch gewußt. – Wenn ich nun nie wieder zu dir käme, würdest du doch traurig sein.«

»Sehr traurig sogar«, klang es ernsthaft zurück.

Hedi umarmte den guten Onkel stürmisch. »Oh, wir sind uns einig, lieber, lieber Onkel Oberförster. Ich würde immerfort weinen, wenn ich dich nicht sehen würde. – Willst du meinem Vati was befehlen?«

»Was soll ich ihm denn befehlen, du kleine Schmeichelkatze?«

»Ach bitte, sage ja!«

»Ich werde mich schön hüten! Nein, Pucki, erst muß ich wissen, was ich dem Vati befehlen soll.«

Die weichen Kinderhände glitten streichelnd über die Wangen des Oberförsters hinweg. »So ein lieber, guter Onkel! Jeden Tag möchte ich dich sehen. Bei dir ist es so schön. – Hörst du nicht auch gerne die Vöglein singen?«

»Ja, Pucki, sehr gern, aber nun rücke erst einmal mit deinem Anliegen heraus.«

»Der Vati hat sich ausgedacht, Onkel Oberförster, ich soll nach Rotenburg in eine andere Schule. Onkel Oberförster, ich möchte nicht fort, und darum sollst du dem Vati sagen: Ich bin der Oberförster, und Pucki bleibt in Birkenhain und geht weiter nach Rahnsburg zur Schule.«

»Das soll ich deinem Vater sagen?«

»Ach ja! – Du stellst dich vor ihn hin, wie damals vor den einen Holzschläger, den du so mächtig ausgezankt hast. Dann sagst du: Pucki bleibt hier!«

»Das wäre ja eine neue Mode, Pucki!«

»Nicht wahr, lieber Onkel Oberförster, du sagst es dem Vati.«

»Sieh mal, Pucki, über seine Kinder hat immer noch der Vater zu bestimmen, da darf sich ein anderer nicht einmischen. Und wenn es dein Vater für richtig hält, dich nach Rotenburg zu schicken, muß es dabei bleiben.«

Pucki legte beide Hände auf den Rücken und sah den Oberförster erstaunt an.

»Du bist doch der Oberförster und der Alleroberste im Walde. Wenn du zu meinem Vati sagst, daß es dir leid tut, wenn ich fortgehe, und wenn du ihn dann bittest, läßt mich der Vati hier.«

»Nein, Pucki, das sage ich ihm nicht!«

»Oh – – –«

»Deine Eltern wollen, daß du viel lernst. Du bist ein aufgewecktes Kind, und da mußt du eben auf die hohe Schule nach Rotenburg. Ich denke, du willst mal meinen Claus heiraten?«

»Ja, Onkel Oberförster, den Claus will ich heiraten.«

»Der will aber kein dummes Mädchen zur Frau. Er hat erst zwölf Jahre auf der Schulbank gesessen, nun lernt er weiter, und es dauert noch etwa sechs Jahre, ehe er ausgelernt hat. Das Lernen macht ihm viel Freude. Wenn der Claus einmal ein Arzt ist, will er eine Frau haben, mit der er sich über alles unterhalten kann und die gut rechnen kann und auch sonst noch allerlei versteht.«

»Ja, gut rechnen muß ich wohl können«, sagte Pucki nachdenklich, »ich muß dann lange Rechnungen schreiben für die Leute, die krank waren. Dann muß ich auch alle die Sachen kennen, die der Onkel Doktor in seinen Schränken hat. Das lerne ich aber auch nicht in Rotenburg. – Willst du wirklich meinen Vati nicht bitten, daß er mich hier läßt?«

»Nein, Pucki, und nun sei hübsch vernünftig! Geh mit frohem Mut und hellen Augen zu Tante Grete, es wird dir dort gefallen.«

Wieder war das Kind um eine Hoffnung ärmer geworden. Nun blieb also nur noch der Schmanzbauer übrig. Im Herbst war der Schmanzbauer mit seinem Fuhrwerk zum Forsthaus gekommen und hatte das große Feld, das zum Forsthaus gehörte, umgepflügt. Pucki stand dabei, als der Vater sagte:

»Wenn Sie mal ein Anliegen haben, mein lieber Teck, will ich Ihnen gern helfen, als Dank für Ihre freundliche Hilfe.«

Nun überlegte das Kind: Wenn der Schmanzbauer bat, man möge sie in Birkenhain lassen, mußte der Vater sein Wort einlösen. Es war daher notwendig, daß sie möglichst bald hinüber zur Schmanz ging, damit der Bauer zum Forsthaus kam und sein Anliegen vorbrachte. Da aber die Schmanz sehr abseits lag und kein Weg durch den Schnee gebahnt war, mußte Pucki ihr Anliegen bis Ende Februar hinausschieben. Als dann aber die Schneeschmelze eintrat, bedrängte sie die Mutter so lange, bis sie eines Tages mit ihr einen Spaziergang zur Schmanz machte.

Wieder war Pucki voller Hoffnungen. Der Schmanzbauer und seine Frau, die das kleine Försterkind herzlich liebten, bewirteten es mit Kuchen und den gebackenen Birnen, die Pucki so gern aß. Als der Schmanzbauer nach dem Stall ging, schloß sich Pucki ihm an.

»Der Vati ist dir sehr dankbar, weil du ihm im Herbst den Acker umgepflügt hast. Er hat dir doch gesagt, du kannst dir was von ihm wünschen.«

»Deine Eltern sind immer so gut zu uns gewesen. Wir freuen uns, wenn wir ihnen auch einmal einen Dienst erweisen können.«

»Willst du mir nicht auch mal einen Gefallen tun?« fragte das Kind.

»Natürlich, Pucki!«

Da schilderte Hedi das große Unglück, das ihr bevorstand. Sie bat den Schmanzbauer, er möge den Vater bestimmen, sie im Elternhause zu lassen.

Aber auch der Schmanzbauer gab fast die gleiche Antwort, die der Oberförster Gregor gegeben hatte.

»Ich habe auch öfters in Rotenburg zu tun, Pucki, dann besuche ich dich.«

Hedi Sandler senkte mutlos das Köpfchen, denn auch die letzte Hoffnung war damit begraben. Nun gab es wohl keine Rettung mehr. Das Osterfest konnte sie noch daheim verleben. Dann kam auch der große Claus zurück, aber auch er würde nichts bei den Eltern ausrichten. Wahrscheinlich riet auch er, recht viel zu lernen.

So trat Pucki betrübt den Heimweg an der Seite der Mutter an. Die guten Vorsätze, recht artig zu sein, hatten auch keinen Zweck. Es war bei den Eltern eben fest beschlossen, daß sie fortkam, und niemand konnte daran etwas ändern.

Eines Tages war Pucki wieder ganz besonders unartig.

»Höre, mein Kind«, sagte der Förster sehr ernst, »wenn es mit dir nicht anders wird, lasse ich dich auch an den Sonntagen nicht von Rotenburg nach Birkenhain kommen. Solch unartiges Mädchen will ich in meinem Hause nicht haben. Du gibst deinen Geschwistern ein schlechtes Beispiel. Nimm dich zusammen!«

Diese Worte erschreckten Pucki. Wenn sie nicht einmal am Sonntag heimkommen durfte, würde sie vor Sehnsucht sterben. Es war doch besser, sie nahm sich wieder zusammen.

So vergingen die Wochen. Sonst hatte sich Pucki sehr auf das Osterfest gefreut, aber in diesem Jahr war die Freude nur gering. Nur der Gedanke, daß der große Claus auch zu den Ferien heimkam, tröstete sie ein wenig.


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