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Pommerles Erfolge

Arnulf Bender war wieder abgereist. Trotz der ablehnenden Worte des Bruders hatte er beim Abschiednehmen gesagt, daß er seinen Sohn Felix nach Hirschberg schicken wolle. Der Einfluß des Professors sei gewiß ein so großer, daß Felix bestimmt einen hochbezahlten Posten in irgendeinem Betriebe erhalten werde. Alle Einwendungen des Professors, er müsse erst die Fähigkeiten des Neffen kennen, ehe er ihn empfehlen könne, blieben ungehört. So sahen Benders mit Sorge der Zukunft entgegen, denn es war nicht ausgeschlossen, daß Felix schon in Kürze eintraf.

»Vielleicht ist es gut so«, tröstete Frau Bender den Gatten, »du kannst ihm ernsthaft ins Gewissen reden. Wenn er bisher ein fauler Schlingel war, nimmt er sich vielleicht von nun an zusammen.«

»Ich habe nicht die richtigen Beziehungen, weiß nicht, wo ich Felix unterbringen könnte. Es müßte ein kaufmännischer Betrieb sein, da er als Buchhalter ausgebildet wurde. – Ich fürchte, mein liebes Frauchen, ich werde keinen Erfolg haben.«

Kummervoll blickte Pommerle den Vater an. »Das wäre schlimm, Väterli! Doch ich glaube, du wirst Erfolg haben! Dem Felix reden wir ins Gewissen. Der Jule war doch auch einmal ein fauler Strick. Du nahmst ihn vor, und nun ist Julchen ein Prachtstück geworden.«

»Pommerle, du denkst dir die Sache viel einfacher, als sie wirklich ist. Jule wuchs unter meinen Augen auf, den Felix kennen wir nicht. Man soll niemals einen Menschen empfehlen, von dessen Tüchtigkeit oder gutem Willen man nicht überzeugt ist.«

»Wenn es ihm aber so schlecht geht, Väterli? Einem Menschen geht es schlecht, wenn er nichts zu tun hat; dann kommt er auf dumme Gedanken. Das hat uns schon viel, viel früher der alte Harfenkarle gesagt.«

»Hast recht, mein Kleinchen, Müßiggang ist aller Laster Anfang! Trotzdem ist es nicht richtig, daß Onkel Arnulf seinen Sohn sogleich herschickt. Ich werde schriftlich nochmals abraten.«

»Inzwischen siehst du dich um, ob du ihn irgendwo unterbringen kannst, Väterli. Wenn der Felix herkommt, hältst du deine Fuchtel über ihn, dann muß er ein guter Mensch werden. Versuche es nur einmal, und du wirst Erfolg haben.«

Pommerle ließ von nun an den Eltern keine Ruhe mehr. Zwei Tage später fragte sie, ob der Erfolg schon da sei.

»Ich warte erst den Brief meines Neffen ab, du kleine Ungeduld! Ich weiß noch nicht einmal, was er überhaupt kann.«

Aber Pommerle war durch des Vaters Worte wenig befriedigt. Die Not des armen Felix wollte ihr nicht aus dem Kopf. Wie konnte Felix Bewerbungsschreiben absenden, wenn er kein Geld hatte? Am liebsten hätte sie dem neuen Verwandten geschrieben und Briefmarken eingelegt. Es gab doch so viele große Geschäfte und Fabriken; irgendwo mußte der Felix unterkommen. – Ob man nicht versuchen konnte, den Vetter zu empfehlen? Onkel Arnulf sollte wissen, daß sie keine Erbschleicherin war, daß sie von Herzen gern anderen Gutes gönnte.

›Ich will es ihm beweisen!‹ Das waren die Gedanken, die Pommerle nicht mehr losließen. Wenn sie durch die Straßen Hirschbergs ging, betrachtete sie jedes größere Geschäft aufmerksam. In der Schule fragte Pommerle die Kameradin Elfriede Bauer, ob ihr Vater keinen jungen Buchhalter brauche. Elfriede verneinte. Sie hätten einen Buchhalter, der ginge nicht fort.

So grübelte Pommerle immer weiter. Wer könnte ihr helfen? – Da rief ihr eines Tages nach Schulschluß einer der Primaner zu: »Na, du reizendes Mädchen, du Liebling vom Bürgermeister!«

Schon war Pommerles Plan gefaßt. Wenn der Bürgermeister wirklich gesagt hatte, daß sie ein lieber Mensch sei, würde er ihr vielleicht einen Gefallen tun. Es war natürlich furchtbar schwer, diesen Herrn zu sprechen, Pommerle wagte sich auch nicht ins Amt hinauf. Man würde sie auslachen, wenn sie eine Unterredung mit dem Bürgermeister der Stadt erbat. Da ihr aber kein anderer helfen konnte, verdichtete sich ihr Plan mehr und mehr, und eines Tages, als um zwölf Uhr die Schule geschlossen worden war, stand das junge Mädchen vor dem Rathaus, mit dem festen Entschluß, noch heute den Bürgermeister zu sprechen.

Das Herz schlug Pommerle bis zum Hals hinauf, als sie im Anmeldezimmer stand und verlegen ihre Bitte vorbrachte. Noch saßen zwei andere Bürger Hirschbergs wartend da, und Pommerle, die gefürchtet hatte, man werde sie gar nicht vorlassen, wurde ein Stuhl angewiesen. Nun saß sie mit klopfendem Herzen da, sah einen nach dem anderen im Nebenzimmer verschwinden und wartete, bis schließlich einer der Beamten sagte:

»Der Herr Bürgermeister läßt bitten!«

Dr. Urbach betrachtete lächelnd die schüchterne Bittstellerin. Pommerle wagte kaum den Blondkopf zu heben. Der Raum, in dem sie sich befand, kam ihr gar feierlich vor.

»Nun, Pommerle, ich freue mich, daß du mich einmal besuchst. Was führt dich her? – Setze dich zuerst nieder.«

Pommerle setzte sich so auf die vordere Stuhlkante, daß sie fast umgefallen wäre, zog den Kopf zwischen die Schultern und wußte nicht, wie sie beginnen sollte. Ihr Verhalten kam ihr plötzlich furchtbar dreist vor.

Dr. Urbach fragte nach den Eltern, sogar nach Jule, dem Soldaten, und versuchte mit freundlichen Worten Pommerles Schüchternheit zu verscheuchen. – Endlich wiederholte er seine Frage: »Nun, Pommerle, was führt dich zu mir?«

Zögernd begann das junge Mädchen, sprach von den Verwandten, denen es nicht gut gehe, vom Besuch des Onkels, vom Felix, der Buchhalter sei und eine Anstellung suche.

»Ich möchte ihm furchtbar gern helfen und – da ich nicht weiß, wer ihn in Hirschberg anstellen könnte, komme ich zu Ihnen, Herr Bürgermeister. Vielleicht wissen Sie, wer den Felix Bender mit einem guten Gehalt annehmen würde?«

»Was kann der Felix denn?«

»Er ist Buchhalter –«

Dr. Urbach stellte noch weitere Fragen, die leider von Pommerle nicht beantwortet werden konnten. Mehr und mehr erkannte er jedoch, daß das gutherzige junge Mädchen stark von der Not der Verwandten berührt war und helfen wollte.

»Was meint denn dein Vater zu der Sache?«

»Er hat an Felix geschrieben. – Der Felix wird wahrscheinlich bald herkommen, dann möchte ich, daß er sogleich eine Stellung hat. – Vater will erst wissen, was der Felix leistet.«

»Da hat der Vater recht, Pommerle. Keiner weiß, was dein Vetter kann. Wenn er aber nach Hirschberg kommt, gute Zeugnisse und den festen Willen zur Arbeit hat, könnte man herumhorchen. Du weißt doch, daß wir in Hirschberg mehrere große neue Unternehmungen haben, denke einmal an die große Zellwollfabrik, die sich rasch vergrößert. Da wäre es nicht ausgeschlossen, daß Direktor Monno helfen könnte.«

Pommerles Augen strahlten. »Väterli kennt den Direktor. – Ach ja, er muß den Felix nehmen, er zahlt sicherlich ein gutes Gehalt. Der Felix wird gewiß sehr gern in der Fabrik arbeiten. – Herr Bürgermeister, wollen Sie Herrn Direktor Monno nun sagen –«

»Halt, halt, Pommerle! So schnell geht das nicht. Deinen Vetter Felix müssen wir uns zuvor einmal ansehen!«

»Sollen wir ihn kommen lassen?«

»Wäre es nicht besser, er suchte sich in Ostpreußen eine Stellung? Auch dort sind neue Industrien erstanden.«

Pommerles frohes Hoffen schwand wieder. Sie merkte, daß der Bürgermeister Zusicherungen nicht geben wollte. Außerdem sah sie ein, daß niemand einen wildfremden Menschen einstellen konnte, dessen Leistungen unbekannt waren.

»Ach – entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister«, sagte das junge Mädchen, sich erhebend, »ich glaube, es war sehr dumm von mir.«

»Nein, liebes Pommerle, es war nicht dumm. Ganz im Gegenteil! Es ist lieb, wenn du dich frühzeitig um deine Mitmenschen kümmerst und versuchst, ihnen zu helfen. Vielleicht kann ich später etwas für den Felix tun. – Er liegt dir wohl sehr am Herzen?«

»Ja!« sagte Pommerle treuherzig, »er ist doch mein Vetter geworden, und – ich – habe meine bestimmten Gründe.«

Sehr herzlich verabschiedete der Bürgermeister das junge Mädchen und trug ihm Grüße an die Eltern auf.

»Es ist doch das reizendste Mädchen von Hirschberg. Mit seinen fünfzehn Jahren so harmlos wie selten ein anderes Mädel dieses Alters.«

Als Pommerle heimkam, traf sie Emilie schon im Vorgarten. »Jetzt ist auch der andere Bender da! Kaum ist der Alte fort, schickt er den Jungen!«

»Der Felix ist schon da!« Für Pommerle hatte diese Nachricht keine Schrecken. Im Gegenteil! Wenn der Felix hier war, konnte er sich sogleich bei Direktor Monno bewerben und bald eine gute Stelle haben.

Felix Bender war ein großer, hagerer Mensch mit blassem Gesicht und tiefliegenden Augen. Seine verschwommenen Züge wirkten unsympathisch. Trotz der hinter ihm liegenden Dienstzeit war nichts Straffes in seinen Bewegungen, seine langsame Sprache mißfiel Pommerle geradezu. Was erlaubte sich Felix eigentlich, sich in der Sofaecke zu räkeln, während die Mutter im Zimmer auf und ab ging? Auch paffte er den Rauch seiner Zigarette dem näherkommenden Pommerle gerade ins Gesicht. Unwillkürlich verglich Pommerle den Felix mit Jule; dabei schnitt der Jugendfreund sehr gut ab.

»Ihr lebt hier sehr fein!« Das waren die Begrüßungsworte. »Vater sagte, ihr seid reiche Leute.«

»Das sind wir nicht, Felix«, sagte Frau Bender, »dein Onkel hat sein Leben lang fleißig gearbeitet und vorwärtsgestrebt –«

»Ist ja schon immer der weise Sokrates gewesen«, lachte Felix.

»So mußt du auch fleißig lernen und streben, denn ohne Arbeit bringt man es zu nichts«, meinte Pommerle.

»Schau, schau, was du weißt! Du hast mit deinen fünfzehn Jahren natürlich schon sehr viel gearbeitet!«

»Das hat Pommerle immer getan, Felix, sie ist eine der besten Schülerinnen, macht sich im Hause nützlich, der Garten ist völlig ihr Werk. Mehr kannst du von einem fünfzehnjährigen Mädchen nicht verlangen.«

Felix unterdrückte eine Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag. Währenddessen betrachtete Pommerle den neuen Vetter verstohlen. Er gefiel ihr nicht. Felix sah nicht so aus, als habe er die Absicht, sich durch Fleiß vorwärts zu bringen. Er würde wahrscheinlich auch dem Bürgermeister nicht gefallen.

Am selben Tage fragte auch Bender nach dem Können seines Neffen. »Du bist natürlich nicht zu uns gekommen, um für Wochen unser Gast zu sein, Felix. Wir werden versuchen, für dich Arbeit zu finden. Vierzehn Tage lang magst du hierbleiben, obwohl ich nicht weiß, ob dir Erholung notwendig ist. Nach deinen Berichten hast du vor deiner Dienstzeit nur zweimal je vier Wochen gearbeitet. – Warum hast du es in den Stellungen nicht länger ausgehalten?«

»Viel Arbeit und wenig Geld«, brummte der Gefragte. »Was soll ich mich ausnützen lassen!«

»Du wirst mir nachher deine Zeugnisse zeigen. Dann werden wir überlegen, was wir tun können.«

»Zunächst möchte ich das Riesengebirge kennenlernen!«

Pommerle maß den Vetter mit erstaunten Augen. Was war das für eine dreiste Art! Wie ungezogen begegnete er seinen Verwandten. Der Jule war mitunter auch frech, aber so ganz anders war sein Benehmen, daß man ihm nie lange zürnen konnte.

Nach dem Abendessen war Professor Bender mit Felix zusammen.

»Jetzt wird ihm Väterli mal gründlich seine Meinung sagen. – Meinst du nicht auch, Mütterchen, daß er ihn kleinkriegen wird?«

»Es ist sehr gut, wenn unser Väterli eingehend mit Felix spricht.«

»Wenn er bei anderen Leuten genau so frech ist, wird ihn keiner haben wollen. – Ich gehe nicht noch einmal zum Bürgermeister.«

»Wohin, Pommerle?«

Da mußte Pommerle erzählen, doch Frau Bender war mit dem Vorgehen ihrer Tochter gar nicht einverstanden. Sie meinte, der Herr Bürgermeister habe mehr zu tun, als die Wünsche eines jungen Mädchens anzuhören, die recht voreilig waren.

Am anderen Morgen, als Pommerle längst in der Schule war, nahm sich Professor Bender erneut seinen Neffen vor. Sehr ernste Worte wurden gesprochen, und heute kam nicht mehr so viel Widerrede wie gestern. Felix fühlte, daß er mit seinem großen Mund hier nicht durchkam. Er sah sogar ein, daß der Onkel in vielem recht hatte. Leider war er kein Freund von dauernder Arbeit. Hier fand er keine Unterstützung für seine Trägheit. Der Haushalt des Onkels war auch ganz anders als der daheim. Onkel Bender schien wirklich nicht der reiche Mann zu sein, für den ihn der Vater hielt. Hier atmete alles gediegene Einfachheit und Sparsamkeit.

Zunächst räumten Benders dem Neffen das Fremdenzimmer ein. Der Professor war der Meinung, daß es angebracht sei, seinen Neffen erst einmal eine Zeit lang unter Augen zu haben, um seinen Charakter kennenzulernen. Erst dann wollte er Versuche machen, ihn ins Brot zu bringen. Man würde dem Gast die Schönheiten des Gebirges zeigen, aber niemals dabei übersehen, daß ein solches Leben nicht von Dauer sein könne. Bender nahm sich vor, selbst mit Felix eine Kammwanderung zu unternehmen; in Gottes herrlicher Natur konnte man am besten miteinander reden.

An einem der nächsten Tage traf Pommerle zufällig den Bürgermeister auf der Straße.

»Nun, kleiner Blondkopf, wie steht es mit dem Vetter Felix? Hat er sich schon beworben? Soll ich jetzt einmal mit Herrn Direktor Monno reden?«

Pommerle machte ausweichende Bemerkungen.

»Es klappt wohl nicht recht mit dem Felix?«

»Väterli will erst, daß er sich ein wenig bei uns erholt. Vielleicht muß er ihm auch erst noch ein wenig ins Gewissen reden.«

»Aha, so steht es also!«

»Dann wird der Felix vielleicht doch nach einer Stelle suchen. – Wenn Sie dann für ihn ein gutes Wort einlegen wollten – wäre es sehr schön.«

Pommerle war froh, daß sie sich bald wieder von Dr. Urbach verabschieden konnte. Ein peinliches Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt, als der Bürgermeister von Felix sprach.

Professor Bender widmete dem Neffen viel Zeit. Mehr und mehr mußte er erkennen, daß Felix bisher ein unbrauchbares Glied der Menschheit gewesen war. Keine Arbeitslust war vorhanden, kein Streben, nicht einmal jugendlicher Frohsinn wohnte in dem jungen Mann. Es ging nicht an, daß er irgendwo für Felix ein gutes Wort einlegte, und doch durfte sein Neffe nicht länger untätig durchs Leben gehen. So versuchte Bender immer wieder ein gutes Samenkorn ins Herz des Faulpelzes zu legen.

Für den Sonntag war eine Tagestour zum Kynast und weiter zum Kochelfall vorgesehen. Pommerle freute sich unbändig darauf, obwohl sie diesen Ausflug schon mehrfach mit den Eltern gemacht hatte. Unterwegs versuchte sie, Felix immer wieder etwas Schönes zu zeigen. Der hatte freilich recht wenig Interesse für Blumen, Moose und Gräser, doch gefiel ihm die frische Art der Base. So hörte er ruhig zu, als sie von den fleißigen Gebirgsbewohnern erzählte. Schließlich begann sie vom Harfenkarle zu reden, der schon seit Jahren tot, ihr aber so manches wunderschöne Lied auf seiner Harfe vorgespielt habe.

»Soll ich dir einmal eins sagen, Felix?«

Der nickte.

»Zur Arbeit, nicht zum Müßiggang
Hat mich mein Gott geschaffen.
Drum will ich auch mein Leben lang
Die Kraft zusammenraffen,
Daß ich mich als rechtschaff'ner Mann
Mit Weib und Kind ernähren kann.
Ich bin gesund und wohlgemut
Und das ist wohl mein größtes Gut!«

Pommerle hatte den Vers mit so viel Innigkeit gesprochen, daß Felix unwillkürlich den Kopf senkte.

»Wenn ich dir das auf Schlesisch sage«, fuhr Pommerle lebhaft fort, »klingt es noch viel schöner. Aber diese Mundart wirst du nicht verstehen. Felix, ich kann ganz gut schlesisch sprechen.«

»Dann sage den Vers mal auf Schlesisch.«

»Zor Arbeit, ne zum Mißiggang
Hot mich mei Goot geschoffa,
Drim will ich oll mei Laba lang
De Kräft' zomma roffa.«

»Felix, klingt das nicht sehr schön?«

Der wurde immer schweigsamer. Ob die herrliche Natur einen so gewaltigen Eindruck auf ihn machte, ob es Pommerles frisches, aufrichtiges Wesen war, das ihm den Unterschied zwischen daheim und hier fühlbar machte, niemand wußte es.

Als man dann oben aus dem Turm der alten Burg Kynast stand und hinunter ins Tal schaute, sagte Felix plötzlich:

»Ihr habt allerlei Industrie hier. – Ich müßte eigentlich etwas finden.«

»Willst du denn?« rief Pommerle lebhaft. »Felix, willst du fleißig arbeiten? Dann kann ich dir vielleicht einen Posten besorgen.«

»Du?«

»Ich war doch deinetwegen beim Bürgermeister. Der hat mich sehr gern, er kennt auch den Direktor der neuen Zellwollfabrik. Sie vergrößert sich von Jahr zu Jahr. – Man kann dort natürlich nur Leute brauchen, die furchtbar viel arbeiten.– Wirst du dort angestellt, können wir zusammen ins Gebirge wandern. Ich zeige dir die Schneekoppe. – Sieh hin, dort drüben ist sie! Ich zeige dir den Zackelfall, wir gehen zur schönen kleinen Teichbaude und im Winter fahren wir beide Ski! – Felix, es wäre fein, wenn du in Hirschberg eine Anstellung fändest!«

Pommerle hatte sich in Feuer geredet. »Den Tag über wird mächtig gearbeitet, abends ist dann noch viel Zeit für schöne Spaziergänge und andere Freuden. Hier in Hirschberg ist es nämlich herrlich, jeder, der hier lebt ist glücklich! Ja, Felix, wenn du hierbleiben könntest, würdest du auch ein glücklicher Mensch werden. – Wir sind gesund und frohgemut und das ist wohl das höchste Gut!«

»Pommerle, was lärmst du heute so sehr?« fragte Frau Bender, die der Tochter glühendes Gesicht liebevoll beobachtete.

Pommerle streifte Felix, den sie bisher nicht hatte leiden mögen, mit einem warmen Blick. Stürmisch ergriff sie dessen Hand: »Nicht wahr, du nimmst die Stelle an, die ich dir bringe? Du arbeitest dann sehr fleißig?«

»Wo ist denn die Stelle?«

Pommerles roter Mund blieb geöffnet. »Ich – – ich – – muß eben noch einmal – zum – Bürgermeister gehen. – Dann werde ich vielleicht Erfolg haben.«

Daraufhin wurde Pommerle recht kleinlaut. Sie hatte wohl zu viel versprochen und unnötige Hoffnungen in Felix geweckt.

Aber Pommerle schien wieder einmal vom Glück begünstigt zu sein. Am Kochelfall saß die ganze Familie des Bürgermeisters. Pommerle hätte nicht gewagt sogleich ihr Anliegen vorzubringen, aber Dr. Urbach kam an den Benderschen Tisch, ließ sich Felix bekannt machen und wandte sich schließlich an Pommerle mit der Frage:

»Ist das dein Schützling, für den ich mich verwenden soll?« Felix machte heute einen besseren Eindruck. Er gab sich eine straffere Haltung, während der Bürgermeister mit ihm sprach. Pommerle aber summte ganz leise vor sich hin:

»Zur Arbeit, nicht zum Müßiggang, hat mich mein Gott geschaffen.«

Als Benders aufbrachen, klopfte der Bürgermeister dem jungen Mädchen auf die Schulter: »Morgen bin ich mit Direktor Monno zusammen, ich will mit ihm reden. Ich glaube, daß er tüchtige Menschen noch brauchen kann.«

Zwei Tage später hielt Felix die Aufforderung der Zellwollfabrik in Händen, er solle sich vorstellen. Als er Pommerle das Schreiben zeigte, umklammerte sie ängstlich seinen Arm.

»Ich habe für dich gebeten, Felix, ich will, daß auch du ein tüchtiger Mensch wirst, daß dich meine Eltern herzlich liebbekommen. Dir gehört dann auch was von unserem Hause. Ich will es einmal nicht allein haben, will fleißig arbeiten, mir selber was schaffen. Aber einen faulen Kerl kann der Väterli nicht leiden, dem gibt er nichts. – Felix, ich will dich als meinen Vetter immer liebhaben, nur mußt du sehr fleißig sein. Bitte, sei auch so tüchtig wie mein Väterli!«

Felix Bender wurde angenommen. Der Professor suchte ihm ein nettes Zimmer; er hielt es nicht für richtig, daß sein Neffe bei ihm wohne.

Pommerle war sehr stolz auf die Anstellung des Vetters.

»Siehst du, Väterli, du sagtest, wir würden keinen Erfolg haben. Nun haben wir Erfolg gehabt!«

»Du hast es geschafft, Pommerle!«

»Und nun liegt es am Felix. – Väterli, ich glaube er wird doch noch ein tüchtiger Mensch!«


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