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Das Mäuseschwänzchen

Professor Bender berichtete schon am anderen Morgen seiner Tochter von Jules Sorgen. Pommerle lachte dazu hellauf.

»Der Jule ist und bleibt ein guter Junge, ich werde ihn beruhigen.«

»Nun«, scherzte der Professor, »hast du niemals daran gedacht, ihn einmal zu heiraten?«

»Aber Väterli, ich will eine tüchtige Gärtnerin werden. Erst muß ich noch einige Jahre die Schulbank drücken, dann geht es ins Leben hinaus. Was später wird, darüber brauche ich mir jetzt den Kopf noch nicht zu zerbrechen. Wenn der Jule aber ein junges Mädchen hat, das er von Herzen liebt, soll er ruhig seine Appi heiraten.«

»Das kannst du ihm sagen, Pommerle, denn Jule fühlt sich wirklich über seine zwei Bräute bedrückt.«

So suchte das junge Mädchen sehr bald den Jugendgespielen auf. –

Jule machte zwar einen etwas scheuen Eindruck, als Pommerle ihren Arm in den des Gefreiten schob und ihn aufforderte, mit ihm einen Spaziergang zu machen, ging aber bereitwillig mit.

»Ich gehe gern mit solch einem schmucken Soldaten spazieren, das kannst du dir denken, Jule.«

»Freilich, freilich«, seufzte er, »es macht alle Mädchen stolz und glücklich, wenn sie mit uns spazierengehen können.«

Pommerle lenkte die Schritte hin zum Hausberg. »Erinnerst du dich noch daran, lieber Jule, wie du einstmals hergelaufen bist, um den Kilian, der hier verzaubert sitzt, zu bitten, der Berg möge sich öffnen, möge auch dir die großen Gold- und Silberschätze zeigen.«

»Freilich erinnere ich mich noch daran.«

»Heute glaubst du doch nicht mehr daran?«

»Pommerle, – man kann nie wissen – –«

»Du, Jule, – hast du heute noch Angst vor dem Rübezahl?«

»Du redest so altklug, als ob du mit deinen vierzehn Jahren wüßtest, was in der Welt vorgeht! Es gibt viel Unerklärliches, und Leute mit weißen Haaren grübeln über das Unerklärliche nach. Du brauchst dir nicht einzubilden, daß du schon alles weißt. Wir sprechen oft von solchen Dingen, manchmal gibt es Dinge, – – die – – hängen zwischen Himmel und Erde, und – unsere Schulweisheit – – träumt von diesen Dingen. Das hat einmal ein großer Dichter gesagt.«

»Stimmt, Jule! – Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt.«

»Ja, Pommerle, so war es, – genau so hat unser Stubenältester gesagt. Darum brauchst du auch nicht über den Kilian und den Rübezahl zu lachen.«

»Laß gut sein, Julchen, ich weiß auch, daß unsere Fischer in Neuendorf bis in ihr hohes Alter hinauf an den fliegenden Holländer, an die Seeschlange und andere komische Dinge glauben. – Wollen wir nun einmal den Rübezahl rufen, damit er dir beisteht? Denn du hast Sorgen!«

Jule machte sich hastig von Pommerle frei. »Laß den Berggeist in Ruhe!«

»Der Berggeist hilft gerne verliebten Leuten. Er wurde von Liebenden immer angerufen, Jule, das weiß ich aus vielen Büchern, die ich geschenkt bekam, – und da du doch ein Liebender bist, soll er dir helfen, damit du bald deine Appi heiraten kannst.«

»Was weißt du denn von der Appi?«

»Alles, Jule! – Du gehst im Herbst, wenn du vom Heer entlassen wirst, zu Meister Rispe in Glogau, wirst dort beweisen, daß du ein tüchtiger Tischler bist, und dann wird Meister Rispe sehr froh sein, daß er dich zum Schwiegersohne bekommt. Ich komme dann zu deiner Hochzeit und werde sehr froh sein.«

Jule schaute Pommerle unsicher an: »Es ist schon immer bestimmt gewesen, daß wir zwei uns heiraten sollten.«

»Das haben wir Kinder uns so ausgedacht, doch das hat keinen Wert. Du bist mir immer ein lieber Freund, Jule, und es ist etwas sehr Schönes, wenn man einen Freund auf Erden hat, den man in seiner Not befragen kann und der einem mit Rat und Tat hilft. – Und nun, lieber Jule, erzähle mir einmal, wie deine Appi aussieht.«

Aber der Jule kam nicht so rasch über Pommerles Worte hinweg. Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß Pommerle im Ernst nicht daran gedacht hatte, den langjährigen Spielgefährten zu heiraten. Erst als Pommerle immer wieder vergnügt und ruhig von Jules bevorstehendem Glück erzählte, fiel von dem schwerfälligen Gefreiten die Seelenlast ab. Als nun Pommerle gar bestätigte, daß sie sich darauf freue, zunächst den Beruf einer Gärtnerin zu erlernen und auszuüben, wurde es hell in der umdüsterten Soldatenseele. Er drückte die Jugendgespielin stürmisch an sein Herz.

»Ich habe der Appi schon von unterwegs eine Karte geschrieben. Ich habe sie wirklich sehr gern, sie ist mein ganzes Glück! Sie macht mir das Herz warm und voll, und wenn ich mich einmal ärgere, brauche ich nur an sie zu denken, und alles ist wieder gut.«

»Dann gehst du abends zu ihr, sagst ihr: ›Meine liebe Appi –‹«

»Ich sage ihr ganz was anderes«, flüsterte Jule verschämt, »ich sage ihr: ›Du bist das süßeste Mäuseschwänzchen auf der Welt.‹ Das hört sie sehr gern! – Immer, wenn ich sie ›mein Mäuseschwänzchen‹ nenne, lacht sie wie der Mond. Sie ist genau so schön und so rund wie der Mond. Ich will dir jetzt ihr Bild zeigen.«

Wieder zog Jule das Bild aus seiner Brusttasche. Pommerle betrachtete es befriedigt. »Sie gefällt mir, Jule, sie wird gewiß eine gute und liebe Frau sein. Eure Herzen werden ineinanderschlagen: es werden zwei Seelen und ein Gedanke sein. Oh, es muß sehr schön sein, wenn man verliebt ist. Ich bin leider noch nicht verliebt gewesen.«

»Pommerle, dann hast du das Beste, was es auf Erden gibt, noch nicht genossen. – O daß sie ewig grünen bliebe, die junge Zeit der schönen Liebe. – Pommerle, das ist ein Gedicht, das habe ich – – glaube ich, selber gedichtet.«

»Julchen, schwindle nicht, sonst kommt der Rübezahl und verwandelt dein ›Mäuseschwänzchen‹ in ein Mäuschen.«

Jule sah sich ein wenig ängstlich um und sagte rasch: »Nein, es war ein anderes Gedicht, das hier habe ich von deinem Vater gelernt. Soll ich dir noch mehr von meinem ›Mäuseschwänzchen‹ erzählen?«

Während des ganzen Weges mußte Pommerle die Schwärmereien des Jugendfreundes anhören. Mitunter lachte sie freilich, wenn der Gefreite in gar zu verzückten Ausdrücken von seiner Appi sprach, ermunterte ihn aber doch immer wieder, noch mehr zu erzählen.

»Jetzt müssen wir heimgehen, Pommerle, ich will der Appi einen Brief schreiben. Sie bekommt täglich einen Brief von mir, sonst bricht ihr das Herz vor Kummer. Mir will sie auch jeden Tag schreiben. – Nun weiß ich, daß ich dir nicht wehtue, nun kann ich meine heiße Liebe zu ihr fließen lassen, wie die Oder bei Glogau! Komm, wir wollen heim!«

Eine Stunde später saß Jule bei der schwierigen Arbeit des Briefschreibens. Pommerle hatte schon mehrmals in sein Stübchen geschaut und gefragt, ob er noch immer nicht fertig sei. Doch Jule seufzte:

»Du weißt, ich habe nie gerne geschrieben, es war zu schwer. Ich schreibe den Brief erst ins Unreine. Unser Stubenältester ist ein lieber Kamerad, der mir die Briefe stets durchsieht, weil ich Fehler mache. Das will mein ›Mäuseschwänzchen‹ nicht.«

»Siehst du, Jule, das kommt davon, wenn man hinter die Schule geht und nicht lernen will. Erst später, als dir mein Väterli ernsthaft ins Gewissen redete, hast du angefangen, etwas zu lernen. Die Lücken machen sich jetzt bemerkbar, Jule. Wir Kinder denken immer, wir müssen für den Lehrer lernen. Es wird uns ja manchmal verflixt sauer, aber später merkt man, daß man vieles versäumte.«

»Ja, Pommerle, das merke ich auch«, sagte der Jule und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirne. »Pommerle, willst du nachher den Brief durchlesen und die Fehler richtigmachen?«

»Gerne helfe ich dir, lieber Jule.«

»Ich habe immer eine Zeitung neben mir liegen, wenn ich schreibe, ich suche dann so lange darin herum, bis ich das schwierige Wort, das ich schreiben möchte, finde. Manchmal finde ich es nicht. Dann schreibe ich einen anderen hübschen Satz aus der Zeitung ab, weil ich genau weiß, daß ich dann keinen Fehler mache. – Manchmal paßt dieser Satz nicht ganz in meinen Brief, den ich mit Liebe aus meinem Herzen schreibe. Dann wundert sich mein ›Mäuseschwänzchen‹. Ich sagte ihr schon, woher das kommt, ich erzähle ihr alles, was mich bewegt.«

»Bist du nun bald fertig mit dem Briefe?«

»Es geht gar so langsam«, seufzte der Jule.

»So gib einmal her, was du fertig hast«, tröstete Pommerle, »dann helfe ich dir weiter.«

»Du darfst aber zu keinem Menschen erzählen, was zwei Liebende sich schreiben. So etwas muß ein Geheimnis bleiben. Unser Stubenältester sagte einmal: ›Wenn still ein Herz in Liebe glüht, soll man nicht mit dem kleinen Finger daran rühren, sonst wird der Götterfunken ausgepustet.‹«

»Jule, ich schwöre dir, zu schweigen! Ich werde deine Herzensgeheimnisse heilig halten. Niemand soll erfahren, was deine Liebe dir diktierte.«

Jule reichte Pommerle ein Blatt mit zahlreichen Verbesserungen. Auch ein Tintenfleck war darauf zu sehen. Pommerle begann zu lesen:

»Hertziges, süßes Mäuseschwänzchen! Es ist der erste Brief, den ich Dir in all meiner Liebesgluht aus dem schönen Hirschberg, meiner Heimad, zu Füßen lege. Immer denke ich an mein süßes Mädchen. Dankerfüllt zeigen wir allen Freunden und Bekannten an, daß heute – – ich gesund hier bin. Ich liebe Dich, mein Mäuseschwänzchen. Im Treumen ist mir Dein Bilt erschinen. Ein entsetzliches Unglück ereignete sich gestern abend. Der Professor hatte nehmlich mit mir eine Aussprache, aber dann gink alles gut. Die berühmte Filmschauspielerin sah ganz entzückend aus, so entzückend wie Du, wenn ich Dich sehe ...«

Weiter war der Brief noch nicht gediehen. Pommerle hatte einige Worte verbessert.

»Lieber Jule, wollen wir nicht einiges aus dem Briefe streichen? Man merkt gar zu sehr, daß du die Zeitung zu Hilfe genommen hast. Vielleicht sagst du mir, was du schreiben willst, ich schreibe dir alles vor – –«

Jule umarmte Pommerle stürmisch. »Ja, mach' das! Ich möchte doch so gern hinaus in die Berge gehen. So ein erster Brief dauert so entsetzlich lange. Ich wüßte schon, was ich der Appi schreiben wollte.«

»Na, dann mal los! Die Überschrift kann ja bleiben.«

»Herziges, süßes Mäuseschwänzchen! Es ist der erste Brief, den ich Dir aus dem schönen Hirschberg sende ...«

»Nein«, wehrte Jule, als Pommerle schrieb, »› ... den ich Dir in all meiner Liebesglut sende ...‹ Mein ›Mäuseschwänzchen‹ hat es gern, wenn ich von Liebe spreche.«

»Wie wäre es, Jule, wenn wir schrieben: ›All meine Herzgedanken sind immer nur bei Dir! Im Wachen und im Träumen sehe ich Dein liebes Bild ...‹?«

»Sehe ich dein liebes, süßes, schönes Bild«, warf Jule dazwischen.

»Gut«, meinte Pommerle, »es mag wohl so sein. Wenn man verliebt ist, macht man viele schöne Worte. – ›Meine Reise habe ich gut überstanden ...‹«

»Nein«, wehrte Jule abermals ab. »›Meine Reise war ein Denken an Dich. Auf jeder Station ...‹ Kannst du das schwere Wort auch richtig schreiben, Pommerle?«

»Ja, das kann ich. – Also weiter!«

»›Auf jeder Station sah ich ein Mäuseschwänzchen rascheln, das zu meinen Füßen kroch und mich anblickte, zärtlich wie Du!‹«

»Jule, das ist Quatsch! Ein Mäuseschwänzchen – – –«

»Schreibe nur so, wie ich es haben will!«

»Meinetwegen«, sagte Pommerle gelassen, »nur mußt du deiner Appi auch etwas von deiner Heimat erzählen, wie schön sie ist.«

»Hast recht! – ›Wenn ich den Kopf aus dem Fenster stecke, Du süßes, herziges Mäuseschwänzchen, steht der ganze Gebirgskamm vor meinen Augen! Da ist ganz in der Nähe der Prudelberg ...‹«

»Aber Jule, die Berge brauchst du einzeln nicht zu nennen. Nur so eine allgemeine Schilderung.«

»Sei still und störe meine Gedanken nicht. – ›So schön wie der Prudelberg bist Du, mein Mäuseschwänzchen! Nächstens gehe ich auf die Schneekoppe, das ist der höchste Berg im Riesengebirge. Von dem habe ich Dir schon erzählt. Wenn man von dort oben umherschaut, sind überall Berge, nicht so wie in Glogau. Du bist ja auch schon auf der Schneekoppe gewesen. Oben auf der Schneekoppe steht ein Haus ...‹«

»Aber Jule«, unterbrach Pommerle, »wenn die Appi schon auf der Schneekoppe war, brauchst du ihr das alles nicht zu schreiben.«

»Na, was soll ich denn dann schreiben?« rief er unwirsch. »Alles paßt dir nicht! Erst willst du, ich soll was von hier schreiben, und dann ist es dir wieder nicht recht. – Vom Rübezahl soll ich natürlich auch nichts erzählen?«

»Den Rübezahl kennt die Appi, denn Glogau liegt in Schlesien. – Schreibe ihr vom Vati, daß er sich freut, daß du hier bist, schreibe ihr von der Mutti, und schreibe auch, daß ich mich freuen würde, wenn ich deine Appi im Riesengebirge einmal sehen würde. – Jule, hast du ihr schon einmal von mir erzählt?«

»Immerzu«, sagte der Jule hastig, »wenn ich nicht bei meiner Appi bin, habe ich doch Sehnsucht nach euch. Nun schreibe aber weiter, denn ich will nachmittags in die Berge.«

Endlich war der Brief unter erregten Zwischenrufen beendet. Besonders der Schluß wurde von Pommerle beanstandet.

»Jule, so schreibt kein vernünftiger Mensch, auch wenn er noch so verliebt ist!«

»Zebe schreibt immer so!«

»Wer ist das?«

»Der Stubenälteste, der mir beim Briefeschreiben hilft. Die Appi würde sich wundern, wenn es heute anders wäre.«

»Hat dich der Stubenälteste nicht ein wenig ausgelacht?«

»Er hat auch eine Braut. – Schreibe, wie ich gesagt habe!«

»Meinetwegen!« sagte Pommerle. – »›Lebe wohl, Du bist ein einziges Zuckerstückchen, mein Mäuseschwänzchen! Ich küsse Deine Zuckernase, Deinen Honigmund und Deine Schokoladenwangen, denn Du bist das süßeste Zuckerzeug der ganzen Welt.

Dein immer liebender Jule‹«

»So, – –« sagte Pommerle, »hier hast du den Brief. Nun schreibe ihn recht sauber ab, dann kannst du loslaufen!«

Die Arbeit dauerte noch ein ganzes Weilchen. Erst am späten Nachmittag wurde das Schreiben in Hirschberg in den Briefkasten geworfen.

Am nächsten Morgen händigte Professor Bender Jule einen Brief aus. Seine Augen leuchteten wie zwei Sonnen. Den Brief in der Hand, lief der Jule vom Frühstückstisch fort, um ihn allein, ohne forschende Augen, zu lesen. Eine halbe Stunde verging, der Jule kam nicht zurück. Als dann Frau Bender hinaus auf den Hausboden ging, hörte sie aus Jules Zimmer lautes Stöhnen. Erschreckt öffnete sie die Tür. Da saß der Gefreite, kummervoll zusammengesunken, und hielt eine Ansichtspostkarte in der Hand.

»Jule, was ist denn geschehen?«

»Alles ist aus, – mein Glück ist hin – –«

»Aber Jule!«

»Alles dahin – – sie will mich nicht mehr. – Alles ist aus! Alles aus, – hier steht es!«

Quer über die Ansichtskarte war mit Blaustift geschrieben: »Es ist alles aus!«

Frau Bender betrachtete die Karte genauer. Es war Jules eigene Karte. Er hatte sie geschrieben, als er von Glogau abgefahren war. Auf der Umsteigestation Kohlfurt war sie von ihm in den Postkasten gelegt worden. Und da Jule eben nicht ganz firm im Schreiben war, stand zu lesen: »Allen Leuten will ich sagen, Du bist eine Gans –« Dann war kein Platz mehr auf der Bildseite der Karte. Der Jule hatte sie umgewendet und auf der anderen Seite weitergeschrieben: »– Herrliche Blume, die gibt es während der Fahrt überall in den Gärten. Frülinksblumen!«

Apollonia mochte nur die erste Seite der Karte gelesen haben, auf der stand, daß Jule allen sagen wolle, sie sei eine Gans. Warum hatte er auf die andere Seite die Worte von den Blumen gekritzelt? So war von Apollonia die Karte durchstrichen worden, und darüber stand: »Es ist alles aus!« Das war die ganze Botschaft, die sie heute dem Gefreiten Jule Kretschmar sandte.

»Es ist alles aus, – es ist alles aus – –« Das waren die Worte, die Jule ununterbrochen wiederholte. Dabei verzog er das Gesicht jammervoll, war sogar dem Weinen nahe, so daß Frau Bender lebhaftes Mitgefühl mit ihm empfand.

»Jule, höre mich einmal ruhig an.«

»Es ist alles aus! – – Dabei hat mir Meister Rispe gesagt, ich solle zu ihm in die Werkstatt kommen. Wenn ich mich tüchtig zeige, solle ich später die Werkstatt haben und die Appi dazu. – Nun ist alles aus! Sie hat vielleicht schon einen anderen. Ich weiß schon, ich bin ihr manchmal zu dumm. Richtig schreiben kann ich auch noch immer nicht.«

»Ja, ja, Jule, das ist es schon!«

»Sie ist ja auch so schön, so klug! Tausend Millionen Männer kann sie haben. – Ach, nun ist alles aus – – alles ist aus!«

»Nein, Jule, es handelt sich hier um ein Mißverständnis. Deine Appi hätte eigentlich merken müssen, daß du dich töricht ausgedrückt und wieder einmal falsch geschrieben hast.«

Aber kein noch so freundlicher Zuspruch fruchtete etwas. Jules Herz war voller Liebesweh, er wollte nichts anderes hören. So wußte Frau Bender keinen anderen Ausweg, als Pommerle von dem Leid des Freundes zu erzählen. Sie fand vielleicht die passenden Trostworte.

Das junge Mädchen kicherte übermütig, als sie die Karte las, die ihr die Mutter brachte.

»Allen Leuten will ich sagen, du bist eine Gans – –« Da war es freilich selbstverständlich, daß das »süße Mäuseschwänzchen« beleidigt dem Jule erklärte: »Nun ist alles aus!« Aber Pommerle ahnte, welche Finsternis in Jules Seele herrschte. So eilte sie hurtig hinauf zu dem Freunde. Auch nicht eine Stunde länger sollte er in seinem Gram verharren.

»Es ist alles aus, – es ist alles aus!« klang es ihr schon an der Tür entgegen.

So setzte sich Pommerle, wie ganz kürzlich der Vater, neben Jule auf die Bettkante und streichelte seine Hände. »Es ist gar nichts aus, Jule! Dein ›Mäuseschwänzchen‹ bekommt heute deinen Brief, und alles ist wieder gut. Verliebte Leute müssen sich zanken. Es gibt ein so schönes Gedicht, Jule, darin heißt es: ›Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt ...‹ Wenn man verliebt ist, muß es so sein. Da muß man bald jauchzen, bald müssen die Tränen fließen. Das sagen alle meine Freundinnen. – Sieh mal, Jule, das gehört zur glücklichen Liebe; darum muß es auch einmal finstere Nacht in deinem Inneren sein. Das ist der Lauf der Welt.«

»Sie schreibt hier: ›Es ist alles aus!‹«

»Auch das gehört zu der großen Liebe, Jule. Meine Freundinnen sagen: ›Ein Gewitter reinigt die Luft.‹ Darum muß es heute bei dir gewittern. Das ist gar nicht schlimm.«

Als alles das bei Jule nicht verfangen wollte, sagte Pommerle liebevoll: »Rübezahl, der mächtige Berggeist, hat dir immer beigestanden, er verläßt dich nicht. Rübezahl neckt gar zu gern verliebte Leute, er wird auch dir weiterhelfen. Sende deinem ›Mäuseschwänzchen‹ die Karte noch einmal zurück und schreibe dazu, daß es auf der anderen Seite weitergehe, daß sie eine ganz herrliche Blume sei. Aber schreibe das Wort ›ganz‹ richtig, lieber Jule!«

Der machte kreisrunde Augen. Pommerle hielt ihm die Karte hin. »Sieh einmal, lieber Jule, wenn du mir diese Karte geschrieben hättest, wüßte ich gleich, daß du nicht richtig schreiben kannst. Aber deine Appi weiß es noch nicht, darum bildet sie sich nun ein, du wolltest sie kränken. – Soll ich deinem ›Mäuseschwänzchen‹ schreiben und alles erklären?«

»Pommerle, wenn du das tun wolltest, würde ich es dir niemals vergessen! Du wärst meine Lebensretterin, denn ich kann ohne mein ›Mäuseschwänzchen‹ nicht mehr leben!«

»Na, na«, meinte Pommerle trocken, »so schlimm wird es nicht sein! Aber ich kann nicht sehen, daß du traurig bist, lieber Jule, darum werde ich sofort schreiben. Ich nehme die Karte mit.«

In Jules Herz stieg neue Hoffnung auf. Wenn Pommerle etwas übernahm, kam es fast immer zum guten Ende. Das wußte er. Trotzdem blieb die bange Furcht in ihm, daß Apollonia unversöhnlich bleiben könne.

Während Pommerle einen lieben Brief an Appi schrieb, kritzelte der Jule den Rand der Zeitung voll. Immer wieder stand das Wort »ganz – ganz – ganz« darauf, und zum Schluß war zu lesen: »Ich bin wirklich eine Ganz!«

Noch zur selben Stunde trug Pommerle den Brief zur Post. Sie hatte den Freund in den schönsten Farben geschildert, sprach auch von dessen tiefer Trauer. Der Jule sei zwar immer ein fauler Schüler gewesen, aber ein fleißiger Tischler und ein schrecklich guter Mensch.

»Wer das Glück hat, den Jule einmal zu heiraten, der braucht Tod und Teufel nicht zu fürchten, der wird von dem guten Jule auf Händen in dem Paradies der Liebe umhergetragen.« Pommerle fand diesen Satz herrlich. Apollonia konnte ganz bestimmt nicht widerstehen. Auch über die Karte, die der Jule geschrieben hatte, wurde Aufklärung gegeben, so brauchte das süße »Mäuseschwänzchen« keinen Augenblick daran zu zweifeln, daß Jule in seiner Appi eine herrliche Blume sah.

Obwohl Professors Jule öfters nach seinem Dienst und seinem Leben als Soldat ausfragten, erhielten sie niemals einen vernünftigen Bescheid. Jule war derart in seinen Schmerz eingesponnen, daß er keine Lust verspürte, von sich selbst zu erzählen. Alle seine Gedanken drehten sich um die verlorene Appi.

Sehr energisch verlangte Bender, daß er einmal seinen einstigen Lehrherrn, den Tischlermeister Reichard, aufsuche; Jule aber schüttelte den Kopf.

»Ich bin viel zu traurig, ich kann ihm doch nichts erzählen. Und von Appi mag ich nichts sagen. Appi ist mir verloren.«

»Du hast doch Sabine, der lieben Tochter deines einstigen Meisters, so oft deine Sorgen anvertraut, Jule. Sie wird auch jetzt wieder ein gutes Wort für dich haben.«

»Es ist ja alles aus! – Wozu soll ich erst mit Sabine reden?«

»Aber Meister Reichard und Sabine wissen, daß du hier bist. Sie würden es als große Ungezogenheit ansehen, wenn du nicht hingehen wolltest.«

»Es ist doch alles aus!« beharrte der Jule. »Ich will keinen Menschen sehen, will mit keinem reden! – Herr Professor, wenn Sie es gut mit mir meinen, sprechen Sie nicht mehr mit mir!«

»Jule, du bist ein recht verrückter Bengel geworden!«

So hielt es Bender für richtig, den vergrämten Soldaten Pommerle zu überlassen. Pommerle hatte ja auch den Brief an die Appi geschrieben. Wahrscheinlich würde schon morgen eine Antwort aus Glogau eintreffen, die günstig lautete. Wenn Appi ein einigermaßen vernünftiges Mädchen war, verzieh sie dem Jule den Schreibfehler, und alles war wieder gut.

Pommerle tröstete auch wirklich den verzweifelten Jule so gut sie das konnte.

»Erzähle mir doch ein wenig von deinem Soldatenleben, Jule. Ich möchte rasend gern wissen, was du treibst.«

Doch Jule wehrte auch Pommerle ab und schwieg beharrlich.

Am nächsten Tage traf ein Brief aus Glogau ein. Jule wurde anfangs blaß und rot, dann lief er mit dem Brief hinauf in sein Zimmer, stürmte nach einer halben Stunde heraus, drückte Pommerle vor Freude halbtot und rief lachend:

»Alles ist wieder gut! Was wollt ihr nun von mir wissen?«


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