Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Pommerle, Pommerle!!!

Jules Urlaub war längst vorüber, er stand wieder in Glogau in seiner Garnison und schrieb an Pommerle glückliche Briefe. Die Verlobung mit seinem »Mäuseschwänzchen« sollte wirklich nach beendeter Dienstzeit stattfinden, und schon ein Jahr später würde geheiratet.

Pommerle gönnte dem Freunde sein Glück von ganzem Herzen, denn auch in ihrem Inneren jauchzte und jubelte es. Näher und näher rückte die versprochene Reise mit Gartenbaudirektor Olfert. Alles war bereits festgelegt. Zunächst sollte das junge Mädchen drei Tage in Erfurt im Hause Olferts bleiben, denn auch dort gab es viel Schönes zu sehen.

»Du mußt unsere Blumenstadt kennenlernen, Pommerle! Du wirst deine helle Freude an den herrlichen Anlagen und den großen Blumengärtnereien haben.«

Nach dreitägigem Aufenthalt in Erfurt sollte dann die Reise weiter nach Süddeutschland gehen. Frau Olfert, die ins Bad wollte, beteiligte sich nicht an der Fahrt, dagegen wollte die angehende Gartenbaulehrerin mitfahren. Luise Olfert, die das sechsundzwanzigste Lebensjahr erreicht hatte, freute sich ungemein, mit Pommerle zusammen zu sein. Sie schrieb nach Hirschberg, daß sie die angehende Gärtnerin schon vom Hörensagen herzlich liebgewonnen habe.

Je näher der Juli herankam, um so erregter war Pommerle. Professor Bender lächelte dazu, wußte er doch, daß Pommerle seine innere Freude kaum meistern konnte. Frau Bender dagegen hob öfters warnend den Finger, wenn das Mädchen, das sonst sehr gewissenhaft und zuverlässig war, etwas versäumte.

»Pommerle, Pommerle! Du träumst wieder!«

»Ja, Mütterlein, von Blumen und großen Gartenanlagen, von herrlichen Parks, die ich sehen werde. – Vor meinen Augen tanzen alle Blumen einen bunten Reigen. – Was werde ich Schönes zu sehen bekommen! Ich kann es kaum noch aushalten!«

Trotzdem bemühte sich Pommerle, ihre Pflichten treulich zu erfüllen, doch wurde es ihr recht schwer. Schon immer hatte sie Blumen geliebt; seitdem sie aber mit Direktor Olfert gesprochen hatte, sah sie in jedem Gewächs etwas Besonderes. Neckte man sie damit, daß sie eine Säuglingsschwester oder Kindergärtnerin hatte werden wollen, so verklärte sich das frische Mädchengesicht, und innig klang es:

»Das werde ich ja auch als Gärtnerin. Ich muß die hervorsprießenden Pflänzchen genau so treulich behüten wie ein Kindchen. Wachsen sie heran, muß ich gut achtgeben, damit ihnen kein Leid geschieht. In dem Beruf der Gärtnerin ist alles vereinigt, was ich ersehnte.«

Endlich war es so weit. Professor Bender und Frau begleiteten Pommerle von Hirschberg bis Berlin. Dort wollte man das junge Mädchen an den Zug nach Erfurt bringen. Alles war genau besprochen, in Erfurt wurde Pommerle von Olferts empfangen.

»Pommerle, Pommerle, wenn du deine Erregung nicht ein wenig meisterst, habe ich Sorgen, ob du heil und gesund in Erfurt ankommst«, sagte die Mutter warnend, als man in Berlin auf dem Anhalter Bahnhof auf den Zug wartete. Das sonst so geschickte Pommerle stolperte heute mehrmals über die eigenen Füße, stieß mit dem kleinen Handkoffer bald hier, bald dort an und sprach als Entschuldigung unzusammenhängende Worte.

Endlich saß das junge Mädchen im Abteil des Zuges und winkte abschiednehmend den Eltern zu.

»Hast du auch Koffer und Kopf bei dir?« scherzte der Vater. »Pommerle, heute kommst du mir vor wie der Jule, der alles vergaß, als er einst von Herrn Stadler im Auto nach Neuendorf mitgenommen wurde. Steige nicht zu zeitig aus, Pommerle, zapple auch nicht zuviel herum, damit die Mitreisenden durch dich nicht gestört werden.«

Zunächst saß Pommerle recht ruhig auf seinem Eckplatz und las in einem Buche für Blumenfreunde. Doch bald suchten die Mitreisenden mit dem frischen jungen Mädchen ins Gespräch zu kommen. Da konnte Pommerle die innere Freude nicht länger meistern. Sie sprach lebhaft von den Herrlichkeiten, die sie sehen würde, doch als dann gar einer der Mitreisenden von der Blumenausstellung erzählte, die gerade jetzt in Erfurt stattfände, rückte das junge Mädchen immer unruhiger hin und her.

Es dünkte Pommerle eine Ewigkeit, ehe sie in Erfurt ankam. Dort standen Herr und Frau Olfert auf dem Bahnsteig und nahmen das junge Mädchen in Empfang. Daheim angekommen, schloß Pommerle mit Luise sehr schnell Freundschaft, denn sie wirkte äußerst vertrauenerweckend, und Pommerle war der Meinung, daß sie mit Luise über alle Schönheiten der Natur, die sie demnächst erleben werde, eingehend plaudern und von ihr Belehrung finden werde.

Was gab es in Erfurt nicht alles zu sehen! Für die Stadt selbst hatte Pommerle kein großes Verständnis, nur die riesigen Gärtnereien ließen sie nicht los. Luise mußte stets mahnen, Pommerle möge heimkommen, aber nur schweren Herzens riß sich die Staunende von den Herrlichkeiten los. Was waren das für Gärtnereien! So weit das Auge reichte: Blumenfelder, Glashäuser, in denen die merkwürdigsten Gewächse gezogen wurden, und überall freundliche Menschen, die der Wissensdurstigen gerne Auskunft gaben.

Die Blumenausstellung selbst versetzte Pommerle in einen Freudentaumel. Am liebsten hätte sie sich in die bunte Pracht geworfen, die Arme weit ausgebreitet, um die herrlichen Blumenkinder voller Entzücken ans Herz zu drücken. Drüben das stolze Lilienfeld! Im Laufschritt eilte das junge Mädchen hinüber, schritt weiter und immer weiter und vergaß Luise, die irgendwo mit einem Gärtner ein Gespräch führte.

Nur weiter, nur Neues sehen! Man hatte ja wenig Zeit und wollte möglichst alles betrachten. Hier das große Gewächshaus zog Pommerle besonders an. So ging sie hinein, um die seltsamen Pflanzen und Blumen zu beschauen, die sie noch nie gesehen hatte. Hier und dort standen auf kleinen Schildchen lateinische Namen, die sie auch nicht kannte.

»Das alles werde ich später lernen, alles! Jede Blume der Welt muß ich wissen. Wie ein zweibeiniges Lexikon der Botanik will ich auf der Erde umherwandeln.«

Gewächse, die Pommerle ganz besonders gut gefielen, wurden in das kleine Notizbuch, das sie dem Handtäschchen entnahm, eingeschrieben. Schließlich begann sie kleine Zeichnungen anzufertigen, um später Direktor Olfert zu fragen, wie diese oder jene Pflanze heiße.

Immer Neues, immer Herrlicheres war hier zu sehen! Pommerle vergaß Zeit und Stunde. Das riesengroße Glashaus bot zuviel des Sehenswerten. Endlich erinnerte sich das junge Mädchen, daß es wohl längst Zeit sei, zu Luise zurückzukehren.

Pommerle steckte den Finger in den Mund und biß aus Verlegenheit darauf. »Ich glaube, ich bin ein paar Stunden in dem Gewächshause gewesen.« Die Armbanduhr wurde befragt. »Gleich sieben, – und um drei Uhr sind wir von daheim fortgegangen. – Nun muß ich aber sausen!«

Zurück zum Eingang! Die Tür war verschlossen. Aber das Gewächshaus hatte noch einen anderen Eingang. Der lag allerdings jenseits. Mit raschen Schritten eilte Pommerle durch das Haus, hin zur anderen Tür, doch auch die ließ sich nicht öffnen.

Pommerles Herz begann heftig zu pochen. Ganz gewiß würde jemand kommen, der hier zu tun hatte. Inzwischen wollte sie die Blumen, die in der Nähe des Einganges standen, genauer betrachten. – Um acht Uhr wollten Olferts mit ihr ins Theater gehen, und der Zeiger der kleinen Armbanduhr rückte weiter und immer weiter. Erst klopfte Pommerle ein wenig scheu an die große Tür. Niemand kam. Ihr Klopfen wurde stärker, schließlich hämmerte sie kräftig. Man solle sie hinauslassen, rief sie erregt, denn die Uhr zeigte bereits halb acht.

»Sie werden mich suchen, werden durch die Ausstellung laufen. Dazu brauchen sie Stunden. Ob sie in dieses abgelegene Gewächshaus kommen, ist fraglich. – Was mache ich nur? Ich kann doch unmöglich durch eines der großen Glasfenster kriechen.«

Forschend gingen die Augen des jungen Mädchens umher. Einige der großen Fenster ließen sich öffnen, aber davor stand Blume an Blume. Sie hätte erst mehrere Dutzend Töpfe fortnehmen müssen, ehe es möglich war, ins Freie zu gelangen. Doch unmöglich konnte sie die ganze Nacht hindurch hierbleiben. So begann Pommerle vorsichtig die Töpfe auf die Erde zu stellen, um eines der Fenster frei zu machen, durch das sie hinauskriechen könne.

Die Arbeit war halb getan, als Pommerle auf einem der Wege einen Mann kommen sah. Da klopfte sie erneut heftig gegen die Tür. »Ich bin eingeschlossen, bitte, lassen Sie mich heraus!«

Der Mann kam näher. Durch das Glas erblickte er Pommerle und begann zu lachen. »Ja, kleines Fräulein, die Schlüssel zum Gewächshaus habe ich nicht, da muß ich erst zum Obergärtner gehen, und das wird eine Viertelstunde dauern. Ich gehöre nur zur Aufsicht.«

»Es geht auf acht Uhr. Ich räume schon ab, vielleicht können Sie mir ein wenig helfen, wenn ich durchs Fenster steige.«

»Durch dieses Fenster können Sie nicht hinaus. Sie haben sich das ungünstigste ausgesucht. Hier steht der große Wasserbottich, und der ist nicht zugedeckt. Warten Sie also ganz geduldig, ich hole den Schlüssel.«

Pommerles Herz wurde immer schwerer. Was blieb ihr schließlich übrig? Sorgsam stellte sie die Töpfe mit den Blumen wieder an Ort und Stelle, während der Aufsichtsbeamte mit raschen Schritten davonging, um den Obergärtner zu benachrichtigen.

Acht Uhr war bereits vorüber, als Pommerle das Gewächshaus verlassen konnte. Der Obergärtner, der anfangs ein finsteres Gesicht zeigte, schmunzelte bald, als er mit dem jungen Mädchen sprach. Es freute ihn, daß ein Menschenkind sich derart an Blumen begeistern und Zeit und Stunde darüber vergessen konnte.

»Wollen Sie mir, bitte, auch noch den Weg nach der Gertrudstraße zeigen?«

»Das ist noch ein gutes Stück. Wir queren am besten hier durch.«

Man kam in ein ganz neues Gebiet, denn den südlichsten Teil des Ausstellungsgeländes hatte Pommerle noch nicht gesehen. Wie gern wäre sie hier und dort stehengeblieben, um auch hier so unendlich vieles zu bestaunen. Aber unmöglich durfte sie Olferts noch länger warten lassen. Sie waren wahrscheinlich längst ins Theater gegangen und ärgerten sich über ihren unpünktlichen Gast. Oder – einer war daheimgeblieben und durch ihre Schuld um die Freude des Theaterbesuches gebracht worden. Vielleicht waren ihre Gastgeber auch so erzürnt, daß sie am morgigen Tage die geplante Autofahrt nach Mannheim und Heidelberg nicht unternahmen.

Sehr kleinlaut und niedergeschlagen klingelte Pommerle an der Pforte der Villa. Frau Olfert öffnete selbst.

»Gott sei Dank, Kind, daß du wieder da bist. Wir sind seit einer Stunde in größter Sorge, haben schon nach dir suchen lassen. – Wo hast du solange gesteckt?«

»Bitte, entschuldigen Sie, – es war sehr schlimm! Man hatte mich eingeschlossen, ich hatte die Zeit ganz vergessen, weil ich soviel Schönes sah.«

»Mein Mann ist mit Luise ins Theater gegangen. Ich glaube, es hat keinen Zweck mehr, daß wir nachgehen.«

In Pommerles Augen traten Tränen. »Jetzt habe ich Ihnen eine große Freude zerstört. – Ich bin gar nicht wert, daß Sie noch weiter so lieb und gut zu mir sind. – Die Blumen waren so schön, ich habe solche Gewächse noch niemals gesehen. Es war mir, als hätte mich jemand verzaubert.«

»Nicht weinen, mein liebes Pommerle, es ist ja jetzt nicht mehr schlimm. Die Hauptsache ist, daß du gesund wieder zurückgekehrt bist. Irgendwo mußtest du ja sein. Luise hatte also recht, wenn sie sagte, daß du wahrscheinlich irgendwo in der Ausstellung sitzen und das Ausgestellte bewundern würdest.«

»Es wäre mir ganz recht, wenn man mich nicht zur Fahrt mitnähme, denn ich habe so viele Freude nicht verdient.«

Frau Olfert mußte das trostlose junge Mädchen beruhigen, was ihr schließlich durch liebe Worte gelang.

Gartenbaudirektor Olfert drohte Pommerle am anderen Morgen schelmisch: »Pommerle, Pommerle, was soll werden, wenn ich dir noch mehr Herrlichkeiten zeige? Werden wir dich auf der Reise verlieren, oder werden wir dich in acht Tagen nach Erfurt wieder zurückbringen?«

»Es wird nie wieder geschehen, ich werde mir nicht wieder durch die Schönheiten der Natur meine Sinne umnebeln lassen. In Zukunft will ich mit beiden Füßen fest auf der Erde stehenbleiben und nicht nur in den Blumenhimmel schauen.«

»Na, na, Pommerle! Wir werden dich manchmal ein wenig allein lassen müssen, denn ich verbinde mit dieser Reise auch einige geschäftliche Besuche, und Luise muß zum Beispiel in Schwetzingen zu einem Bekannten gehen, und der Schwetzinger Park ist gefährlich.«

»Gefährlich? Wieso das, Herr Direktor?«

»Weil er so schön ist, daß auch ältere Leute als du nicht mit beiden Füßen mehr auf der Erde bleiben und in den Parkhimmel schauen.«

»Dann freue ich mich sehr auf diesen Park. – Wo liegt er?«

»Im Kreise Mannheim. Schwetzingen selbst ist keine große Stadt, besitzt aber ein schönes altes Schloß und den berühmten Park, den man mit Recht einen der schönsten unseres Vaterlandes nennen kann.«

»Ist es ein alter Park mit hohen Bäumen?«

»Der Park wurde Mitte des achtzehnten Jahrhunderts vom Kurfürsten Karl Theodor in altfranzösischem Stil angelegt. Darin befinden sich zahlreiche Wasserkünste und allerlei Zierbauten.«

»Und herrliche Blumenanlagen?«

»Natürlich auch, Pommerle. Im Schwetzinger Park wirkt jedoch am stärksten die künstlerische Anlage des ganzen Parks. Man hat Durchblicke von geradezu berauschender Schönheit. Ich glaube, ich bin schon mehr als fünfundzwanzigmal durch diesen Park gegangen, und immer wieder bin ich entzückt!«

»Na, da wird es mir wohl übel ergehen, Herr Direktor.«

»Glücklicherweise kann man dich in diesen Park nicht einsperren; die große Eingangspforte ist den ganzen Tag über weit geöffnet. Du brauchst also dort nicht über das Gitter zu steigen.«

»Oh, Herr Direktor, ich habe an dem einen Abenteuer genug! Mag der Park noch so schön sein, ich bin pünktlich zur Stelle.«

Am nächsten Tage trat man die Reise im Auto an, die erst nach Heidelberg führte. Unterwegs war viel Schönes zu sehen. Man machte an Orten, die in gärtnerischer Hinsicht Besonderes boten, halt, und immer staunte das junge Mädchen über die Pracht. Doch nach dem Schwetzinger Park zog es Pommerle mit allen Sinnen. Einen Park, der den Menschen berauschte, hatte sie bisher noch nicht gesehen. – Gewiß, manche Anlagen waren wunderschön, aber Direktor Olfert meinte, an Schwetzingen gemessen, wären sie nicht das rechte.

In Heidelberg blieb man einen Tag, ging hinauf zum Schloß, machte einen Rundgang, und Pommerle hielt sich an der Seite Luises.

»Ihr dürft meinetwegen nicht nochmals Angst ausstehen. Ich bin wie der Schatten, der neben euch geht.«

Tags darauf ging die Reise weiter. In Mannheim wollte man übernachten, jedoch vorher in Schwetzingen länger verweilen, damit mehrere Stunden zur Besichtigung des berühmten Parkes verblieben.

Es war mittags gegen zwölf Uhr, als die Reisenden den Ort erreichten.

»Nun wird erst gegessen«, entschied der Direktor, »dann führen wir unser liebes Pommerle in den Park; um zwei Uhr habe ich mich mit Bekannten verabredet. Wann willst du bei Langners sein, Luise?«

»Um vier Uhr, Papa.«

»Also, kleines Pommerle, nun paß gut auf. Wir bringen dich in den Schwetzinger Park, und Luise bleibt noch eine halbe Stunde bei dir. Um sechs Uhr treffen wir uns wieder. Das ist in dem großen Park natürlich nicht ganz einfach, aber an der Eingangspforte stehen zwei Bänke, dort finden wir uns pünktlich um sechs Uhr wieder zusammen. – Und nun wiederhole einmal, kleine Schwärmerin!«

»Um sechs Uhr auf einer der beiden langen Bänke, die an der großen Eingangspforte stehen. Herr Direktor, Sie können sich fest darauf verlassen, daß ich schon fünf Minuten vor sechs Uhr auf der Bank sitze. Wenn der Park das reine Paradies ist, schaue ich doch jede Viertelstunde nach der Uhr und schwöre, so wahr man mich Pommerle nennt, daß ich fünf Minuten vor sechs Uhr auf der großen Bank an der Eingangspforte sitze und warte.«

»Es tut mir unendlich leid, mein liebes Kind, daß ich dich heute nicht begleiten kann. So werde ich dich einer Führung anvertrauen. Du siehst das Wichtigste, und wenn die Führung beendet ist, kannst du dir den Park noch allein ansehen. Aber – – um sechs Uhr!«

»Todsicher, Herr Direktor!«

»Dann sind wir also einig! Um sieben Uhr ist Abfahrt nach Mannheim, wo wir übernachten. Auch in Mannheim gibt es viel zu sehen.«

»Diesmal mache ich keinen Ärger, so wahr ich das Pommerle bin!«

Der Nachtisch, den Direktor Olfert geben ließ, schmeckte Pommerle schon nicht mehr recht, obwohl sie sonst sehr gern Süßes aß. Ihre Blicke gingen hinaus ins Freie; doch von hier aus konnte sie leider nichts von dem Schlosse und dem herrlichen Park sehen. Es war, als ob ihre Augen für alles andere geschlossen blieben. Sonst betrachtete das junge Mädchen aufmerksam alte Bauwerke, schöne Kirchen, heute fragte sie nur nach dem Park. Sie hörte kaum zu, wenn Direktor Olfert von Mannheim erzählte, das man heute noch erreichen werde.

Als man endlich vom Tisch aufstand, überreichte Herr Olfert dem Pommerle eine Mark. »Die Führung kostet etwas, du kannst zum Schluß dem Führenden noch eine Kleinigkeit geben.«

Pommerle suchte in ihrer kleinen Handtasche. »Danke, Herr Direktor, ich habe auch Geld bei mir. Sie haben so furchtbar viele Ausgaben durch mich – – –«

»Laß nur, Pommerle, du bist unser lieber Gast, da sollst du keine Ausgaben haben.«

»Im Koffer habe ich noch über zwanzig Mark. Das Geld gaben mir die Eltern mit. Ich habe davon noch gar nichts gebraucht und habe noch immer die zwei Mark, die darüber waren.«

»Du brauchst auch heute nichts, Pommerle.«

»Abends, wenn wir den Park gesehen haben, schreibe ich eine Karte an die Eltern, damit sie wissen, daß ich den schönsten Park Deutschlands gesehen habe.«

»Ja, das kannst du tun. Dann wirst du die zwei Mark in Angriff nehmen müssen.«

So steckte Pommerle die eine Mark ein, wartete jedoch voller Ungeduld, daß man endlich hinüber zum Schloß gehe.

Man überquerte den Markt und stand bald vor dem alten Schloß und der großen Pforte, die in den riesigen Park führte. Schon von hier aus hatte man einen geraden Durchblick auf eine prachtvolle Wasserkunst und weiter rückwärts auf herrlich angelegte Laubengänge.

Pommerle stand wie gebannt und blickte auf die kerzengeraden riesenhaften Bäume, die einer Schnur gleich den breiten Weg einsäumten.

»Pommerle, hier ist die Bank. – – Pommerle – – Pommerle – –«

»Ja, bitte, was wünschen Sie, Herr Direktor?«

»Hier, am Eingang, Punkt sechs Uhr!«

»Ganz in Blau das Beet dort, und dort ganz in Rot. – Solche Anlagen mache ich später auch. – Wie schön sich das alles von dem gepflegten Rasen abhebt. – Sehen Sie, Herr Direktor, dort die Marmorgruppe und ringsherum die herrlichen Anlagen!«

»Laufe uns doch nicht davon, Pommerle! Ich denke, du willst wie unser Schatten neben uns wandeln? Ich will mich erkundigen, wann die nächste Führung beginnt.«

Der Direktor bezahlte die Eintrittskarten. Ihm wurde der Bescheid, daß eine Führung durch den Park in einer Viertelstunde beginne.

»Das ist gut«, sagte Olfert, »Luise, du machst die Führung noch mit und entfernst dich um halb drei Uhr. Schärfe aber unserem lieben Pommerle nochmals ein, daß sie öfters auf die Uhr schaue.«

»Papa, ich bin überzeugt, daß Pommerle uns diesmal nicht warten läßt.«

Als die Führung begann, verabschiedete sich der Direktor von den beiden jungen Mädchen, um seinen Besuch zu machen. Mit einer Gruppe anderer Besucher folgten Luise und Pommerle dem Beamten, der sie durch die prachtvollen Gänge des Parkes zu den herrlichen Standbildern, den Marmorgruppen, den einzelnen Zierbauten, den verschiedenen Wasserkünsten und den selten schönen Anlagen der einzelnen Blumenbeete führte. Einen Park von solchen Ausdehnungen hatte Pommerle nie geahnt, viel weniger gesehen. Sie bedauerte nur, daß der Erklärer so rasch weiterging. Gar zu gern hätte sie den indischen Pavillon, die Marmorgruppen genauer angesehen, vor allem aber erfahren, was das für seltene Blumen waren, die hier umherstanden.

Als Luise, nachdem die Führung ihren Abschluß gefunden hatte, fortgehen wollte, schaute Pommerle nach der Armbanduhr.

»In zehn Minuten vier, ich vergesse nichts, Fräulein Olfert. In zwei Stunden sitze ich am Eingang auf der Bank.«

»Recht so, Pommerle, denn wir müssen heute unbedingt nach Mannheim. Papa hat morgen eine wichtige Besprechung, die er unter keinen Umständen versäumen darf. Es kommen einige Herren von auswärts, wir müssen also am heutigen Abend noch fahren.«

»Sie können sich auf mich verlassen. Ich weiß, was auf dem Spiele steht.«

Die zweistündige Führung hatte Pommerle noch lange nicht befriedigt. So wollte sie die Stunden, die ihr noch verblieben, auf eigene Faust ausnutzen, um alles genau zu sehen, was man bisher nur flüchtig ins Auge gefaßt hatte. Direktor Olfert hatte wirklich nicht zuviel damit gesagt, daß man in diesem Park alles vergessen könne. In den wundervollen Laubengängen kam man sich wie verzaubert vor.

»Ich möchte einmal eine bekannte Gärtnerin werden, der man erlaubt, einen Park anzulegen. Ich möchte auch etwas schaffen, über das die Welt noch hundert Jahre später staunt. Wie schön wäre es, wenn einmal im Lexikon zu lesen stände: Der Park von – von – – na, einerlei; also, dieser Park, einer der schönsten Deutschlands, wurde von der Gärtnerin Hanna Bender angelegt. – Au fein, das wäre eine Sache!«

Wie rasch doch die Zeit verging! Pommerle hatte die Armbanduhr vom Handgelenk genommen und trug sie in der Hand.

»Das ist mein Gedankenklöppel. Nun weiß ich, daß ich häufig nachsehen muß.«

Und wirklich, um fünf, um ein viertel sechs und um halb sechs schaute Pommerle nach der kleinen Uhr.

»Noch zwanzig Minuten, dann sause ich zum Eingang und setze mich auf die Bank. Sie sollen staunen, wie pünktlich ich sein kann!«

Der Uhrzeiger wandelte weiter. Pommerle hielt es für richtig, dem Eingang zuzustreben. Dort war ja schon das graue Gittertor. Die Uhr wurde wieder um das Handgelenk gelegt, und noch eine Viertelstunde vor sechs war das Tor erreicht. Ganz in der Nähe, in den herrlichsten bunten Sommerblumen ausgelegt, prangte das badische Wappen. Das hatte Pommerle vorhin nicht gesehen.

»Wo habe ich nur meine Augen gehabt?«

Ebenso erschien ihr das Häuschen mit dem spitzen Giebel fremd, dessen Säulen mit Kletterrosen umrankt waren. Da mußte sie rasch noch einmal hingehen; es waren ja nur wenige Minuten.

Dieses Häuschen hatte der Erklärer auch nicht gezeigt. – Und hier die Marmorgruppe auch nicht. – Pommerle ging zur Eingangspforte und sah eine lange Bank. Für Augenblicke glaubte sie allerdings, daß diese Bank heute mittag vor der Pforte gestanden hatte, doch da waren schon wieder so wundervoll geschnittene Hecken, daß das junge Mädchen an nichts anderes dachte, als daß es selbst einmal, wenn es einen Garten anzulegen hatte, den Taxus in genau derselben Form bearbeiten werde. – Nun saß Pommerle auf der Bank, ließ seine Blicke umherschweifen und schaute von Zeit zu Zeit auf die kleine Uhr am Handgelenk.

»Sechs Uhr«, lachte sie fröhlich, »nun haben sich Direktor Olfert und Luise verspätet. – Oh, ich will sie ein wenig necken!«

Das alte Schloß hatte man sich vorhin gar nicht angesehen, das konnte nachgeholt werden. Pommerle ging zum Gittertor, die Tür gab aber nicht nach, sie war verschlossen.

Für Sekunden durchzuckte sie ein jäher Schreck. Das Erlebnis im Gewächshaus stand wieder vor ihrer Seele. Pommerle schaute durch die Gitterstäbe und schüttelte verwundert den Blondkopf. – Ja, wo war sie denn? Das hier war freilich genau solch großes Tor wie vorhin, aber links lag kein Schloß. Nur Felder.

Plötzlich wußte Pommerle, daß sie an einem falschen Tor saß und wartete. Was nun? – Im Sturmlauf durch den großen Park! – Aber wie fand sie den kürzesten Weg?

Einige Spaziergänger kamen. »Bitte, wie komme ich zum Haupteingang?« fragte Pommerle atemlos.

»Wir sind hier fremd, wahrscheinlich müssen Sie sich links halten.«

Rasch hinein in den breiten Weg, der in der gewiesenen Richtung führte. Wieder traf die Eilende eine Gruppe Menschen: »Bitte, wie komme ich nach dem Haupteingange?«

»Wir sind hier fremd, ich glaube, Sie müssen sich rechts halten.«

Pommerle eilte zurück. Überall Menschen, die sich an dem herrlichen Park erfreuten. Sie gingen so langsam, so bedächtig, betrachteten die Schönheiten, so daß sich Pommerle sagte: ›Sie sind alle fremd hier, sie können mir nicht raten.‹

Endlich sah sie das große Wasserbassin mit den Löwenköpfen. Hier war man mit dem Erklärer gegangen, diesen Ulmenweg war man heraufgekommen. So eilte Pommerle abermals rückwärts, stand aber bald wieder an einem Gewirr von Wegen, und die Uhr zeigte bereits zwanzig Minuten nach sechs.

»Ich schwöre«, stammelte Pommerle mit bebenden Lippen, »so wahr ich Pommerle heiße, bin ich fünf Minuten vor sechs auf der Bank. Und jetzt – – –«

Noch fünfmal fragte sie, bis ein älteres Ehepaar dem erregten jungen Mädchen den Weg wies.

»Es ist schwer zu beschreiben. Wir werden aber mit dir gehen, bis du auf den Hauptweg kommst.«

»Vielen, vielen Dank!« Pommerle war nur für eine Minute glücklich, denn der alte Herr ging am Stock und so langsam, daß immer neue kostbare Minuten verstrichen, bis endlich der breite Hauptweg erreicht war. »Danke, vielen Dank!« rief Pommerle, dann eilte sie wie ein gehetztes Reh den Weg entlang, stolperte, fiel längelang zu Boden, riß sich die linke Handfläche blutig und kam endlich, kurz vor dreiviertel sieben, an der Bank an, auf der Direktor Olfert mit seiner Tochter wartend saß.

Pommerle konnte kein Wort hervorbringen, sie mußte erst Luft schöpfen. Direktor Olfert lächelte und sagte ruhig: »Pommerle, Pommerle, wie nenne ich dich von nun an?«

Mit einer Verspätung von einer Stunde fuhr man aus Schwetzingen ab, Mannheim entgegen. Pommerle war sehr unglücklich. Tränen rannen unaufhörlich über ihre frischen Wangen.

»Es ist ja alles gut, kleines Hannchen!«

»Ach«, schluchzte Pommerle, »Sie haben ja recht, Herr Direktor, ich bin nicht mehr Pommerle, ich bin ein pflichtvergessenes Mädchen.«

»Na, so wollen wir wieder Frieden schließen«, sagte Olfert, hielt den Wagen an und nahm Pommerles Hand in die seine. »Hat dir der Park von Schwetzingen gefallen, Pommerle?«

»Ja, ach ja«, klang es unter Schluchzen.

»Dann ist alles wieder in bester Ordnung.«

»Ja, ja – –« Trotzdem schluchzte Pommerle noch längere Zeit in das Taschentuch.


 << zurück weiter >>