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Der Ahnherr

Frühlingssonne lag auf den breiten Avenuen und den schmalen Seitenwegen des Parkes, die mit ihrem gelben Kies hellfarbige Bänder in das dunkle Grün der Büsche und Grasplätze schlangen.

Auf den Reitwegen sprengten vereinzelte Reiter dahin. In gemächlichem Schritt kamen kleine Gruppen plaudernder Damen unter den sich wölbenden Zweigen dahergezogen. Die Pferde nicken mit den Köpfen, der Sand knirscht zuweilen unter ihren Hufen, dann setzt sich die Kavalkade plötzlich in Galopp und verschwindet um eine Biegung der Allee; und immer neue Reiter tauchen auf. Zuweilen bleiben die Spaziergänger stehen, und die auf den Bänken Sitzenden drehen die Köpfe. Auf der breiten Chaussee jagen die Wagen hin mit den silbergeschirrten Trabern, oder der rote, gelbe oder braune Fleck eines dahinflitzenden Automobils, das so gar nicht in die Idylle des Parkfriedens zu passen scheint, schießt vorbei. Der feine blaue Rauch wirbelt hinter ihm drein, und sein mißtönendes Tuten verklingt wieder in der Ferne. –

Ich war auf meinem Lieblingsspaziergang, an dem kleinen Flusse entlang, der durch das Wäldchen strömt, – rasch dahinfließend unter den überhängenden Zweigen, in langsamen Windungen sich schlängelnd durch die saftgrünen nassen Wiesen, zuweilen mit einem kleinen Wasserfall über abgeschliffene Steine oder wild zwischen schroffen Felsstücken mit weißem Gischt hinsprudelnd. Hier standen auf einer kleinen Anhöhe unter schattenden Buchen zwei Bänke. Ganz in der Nähe führte ein breiter Reitweg hin, sich dem Laufe des Flusses anschmiegend, während ein wenig weiter in grader Linie die mit gelbem Kies bestreute Chaussee sich streckte, wo die flinken Wagen vorbeirollten.

Auf der andern Bank hatte ich oft einen älteren Mann getroffen, einfach, aber trotz der Schlichtheit seiner Anzüge sehr sauber gekleidet, das Gesicht ganz glatt rasiert, obgleich die Stoppeln aus den Falten und Runzeln der Haut grau hervorschimmerten. Er trug dabei immer seltsam schmalgestreifte Westen, immer blauweiß, rotgelb oder gelbweiß, deren Knopflöcher alle nachgezogen waren, woran man sehen konnte, wie sie mit äußerster Anstrengung geschont wurden.

Er saß hier jeden Morgen pünktlich um zehn Uhr, und wartete. Denn er sah öfters nach der Uhr, und dann immer den Reitweg hinunter, bald nach der einen, bald nach der andern Seite. Aber ich bekam nicht heraus, auf wen er wohl warten konnte. Dabei beobachtete er jedes Pferd, schüttelte oft mißbilligend den Kopf, und nur selten sah ich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesichte, das sympathisch war, mit den hellen, noch so scharf blickenden Augen.

Seit ein paar Tagen nickte er mir jeden Morgen zu, wenn ich an ihm vorüberging, um mich auf die Bank gegenüber ein paar Augenblicke zu setzen.

In diesen entlegenen Teil des Parks kam selten ein Mensch. Es war doch wohl zu einsam für die meisten, und so waren wir fast immer die einzigen Besucher. –

Eines Tages war meine Neugier doch zu rege geworden; ich mußte abwarten, auf wen der Alte hier eigentlich lauerte. Ich hatte mir ein Buch mitgenommen, und blieb auf der Bank sitzen, scheinbar ganz in mein Lesen vertieft.

Dabei ließ ich meinen Alten nicht aus den Augen. – Die Zeit verging. Zuweilen sah ich von meiner Lektüre auf, beobachtete die Finken und geschäftigen Amseln, die in den Büschen und unter den Bäumen auf der Erde ihr Futter suchten, sah auch einer ganzen Weile ein paar Eichhörnchen zu, die sich am Stamme einer alten Eiche neckend jagten, bis das Herannahen von Pferden sie in die weit ausladende Krone des Baumes vertrieb.

Dafür aber war jetzt mein Alter aufgesprungen und war rasch bis an den Reitpfad geeilt, wo er nun stand, den Hut ganz langsam abnahm, den Rücken beugte, aber das kluge Gesicht nicht senkte, sondern die Augen fest auf einen jungen Reiter von etwa zehn Jahren richtete, der in Gesellschaft eines Offiziers, und von zwei Dienern in der königlichen Livree begleitet herannahte, und den Alten mit einem Lächeln wiedergrüßte, als wollte er sagen: Na, da bist du ja auch wieder, wie jeden Morgen.

Der kleine Prinz war im Schritt herangekommen, und schlug nun einen kurzen Trab ein, während der Alte mit dem Hut in der Hand ihm nachblickte.

Dann ging er auf seine Bank zurück, und schien gar nicht mehr auf das zu achten, was um ihn herum geschah.

Er sah auch nicht, als ich mich erhob und fortging.

Es war offenbar, daß er nur auf das Vorbeikommen des Prinzleins gewartet hatte. Alle Unruhe war von ihm gewichen, und er saß da mit einem glücklichen Lächeln, als sei ihm die größte Gnade zuteil geworden.

Es mußte auch solche Käuze geben.

Ihn beglückte ersichtlich der Gruß dieses so frisch und gesund aussehenden Fürstenkindes. Vielleicht war er selbst einmal irgendwo an einem Hofe gewesen, vielleicht neben einem ebenso hübschen kleinen Reiter hergeritten, und das ließ nun sein Herz schneller schlagen unter seiner gestreiften Stallweste, die mir jetzt mit ihrer Eigenart sein letztes Geheimnis enthüllt hatte. –

Bei der nächsten Gelegenheit fragte ich ihn, ob ich richtig geraten. Er sah mich böse und mißtrauisch an und gab mir keine rechte Antwort. Wollte mir auch nicht sagen, bei wem er einmal gewesen. Nur daß er an einem kleinen Hofe gewesen, verriet er mir doch, anscheinend gegen seinen Willen. –

Dann kamen ein paar Regentage, und ich ging nicht spazieren, trotzdem ich gern gewußt hätte, ob mein Alter auch in diesem trüben kalten Wetter auf seiner Warte getreulich saß, oder sich sagte, daß unter diesen Umständen auf ein Treffen mit dem Königskinde nicht zu hoffen war. –

Am ersten schönen Tage war er wieder da, und es dauerte nicht lange, da kamen die Reiter, die er erwartete, zwischen den Büschen auftauchend näher.

Der Prinz Ernst saß heute auf einem andern Pferde, einem unruhigen Braunschimmel, der beständig tänzelte, sodaß der begleitende Offizier beruhigend auf Roß und Reiter einsprach.

So kamen sie dem Alten näher, der heute einen weißen Strohhut trug, den er nun langsam abnahm.

In diesem Augenblick tutete mit einem erschreckenden Ton ganz in der Nähe ein Auto.

War es dieser wie ein Elefantenschrei klingende Huppenton, oder der helle Strohhut des Alten – der Braunschimmel legte die Ohren an, und da der kleine Reiter nicht recht achtgegeben, sondern nach dem Alten gesehen hatte, wollte er durchgehen, stieg, machte einen Satz zur Seite und jagte davon.

Aber schon war einer der Reitknechte neben ihm, um in die Zügel zu greifen; allein der Schimmel war schon im Galopp, und so fuhren sie zu dreien in das dichte Gebüsch, dessen Zweige knackten und brachen.

Der andere Reitknecht war abgesprungen und brachte das schnaubende Pferd wieder auf den Weg. Es war nichts geschehen. Der kleine Reiter lächelte und hatte die Zügel wieder fest in der Hand; und schon ritten sie im Schritt zu dreien weiter, und das Tier ging jetzt ganz fromm zwischen den beiden andern Pferden.

Irgend jemand hatte aufgeschrien. Jetzt sah ich den Alten, wie er sich an einen Baum hielt, die Augen geschlossen.

Ich war rasch bei ihm und stützte ihn, sonst wäre er gefallen, so zitterten ihm die Kniee.

Angstvoll fragte er mich:

– Was ist geschehen? um Gotteswillen, was ist geschehen? ...

Ich beruhigte ihn, so gut es ging. Es war nichts passiert, der Gaul war nur in das Gebüsch gedrängt, sonst nichts. Er wollte es nicht glauben, denn er hatte in seiner Aufregung von dem Augenblicke an nichts mehr gesehen, als das ungebärdige Pferd anfing durchzugehen.

Er glaubte schon, daß der Reiter abgeworfen, oder der Gaul gegen einen Baum gerannt sei.

– Es ist ihm wahrhaftig nichts geschehen? fragte er angstvoll.

Aber er konnte sich ja selbst überzeugen. Dort hinten ritten sie alle hin.

– Ach, helfen Sie mir nur bis zur Bank! ... So, ich danke Ihnen. Der Schreck ist mir in die Glieder gefahren. Wenn man nicht helfen kann, und dann sich sagen muß, daß man mit daran schuld ist. Ich habe ja den bösen Blick von dem Braunschimmel gleich gesehen; aber wo sollte ich den Hut lassen? Ich habe ihn doch so langsam abgenommen, wie es eigentlich gar nicht sein darf.

– Es ist ja alles vorüber, und es ist auch gar nicht Ihr Hut schuld, sondern einzig das Auto.

Nun hustete er so scharf auf, daß ich ihn ansah.

– Ja, sagte er, das ist auch noch dazu gekommen, ich habe mich so arg erkältet, habe schon zwei Nächte gehustet; und nun dachte ich, das bischen Sonnenschein müsse mir gut tun. Und es ist unserm Prinzen Ernst nichts geschehen? ... Sie wissen es gewiß? ...

– Ganz gewiß.

– Dann ist es gut! dann ist es gut! ...

– Aber, lieber Herr, sagte ich, Sie sind ja so schwach. Sie werden ja nicht nach Hause kommen. Sie zittern ja an allen Gliedern.

– Doch, doch! ... lassen Sie nur.

– Fällt mir nicht ein. Ich kann Sie doch nicht allein lassen; ich begleite Sie ein Stück. Können Sie mit der Pferdebahn fahren, oder wohnen Sie in der Nähe?

– Nein, nein, es ist nicht nötig.

– Aber bester alter Herr, machen Sie keine Umstände, kommen Sie her, stützen Sie sich auf meinen Arm, ich bringe Sie, wenn Sie so weit gehen können.

Er wollte allein aufstehen, aber er sah ein, daß er doch zu schwach war.

Nein, das ging so nicht; und ich genierte mich auch ein wenig, mit diesem glattrasierten Alten mit seiner Kutscherweste Arm in Arm durch den Park zu schleichen. So winkte ich denn an der Allee die erste leere Droschke heran, und obgleich er protestierte, erklärte ich ihm einfach, das gehe nicht. Er habe zu gehorchen, ich wollte ihn nun mal nach Hause bringen, und alles andere gehe ihn nichts an. Das sei meine Sache. Damit hob ich ihn in den Wagen; und schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu fügen und mir seine Adresse anzugeben.

Das war ein ganzes Stück draußen, und eine rechte Verbindung gab es nicht. Diesen weiten Weg war der Alte in dem kalten Regen der letzten Tage jeden Morgen gegangen von seiner Wohnung bis zum Parkwalde. –

Es war ein altes baufälliges Häuschen, in dem er wohnte, offenbar ein ehemaliges Bauernhaus, dem später ein Stock aufgesetzt war, und das sich seltsam unter den hohen Neubauten ausnahm. Ein Kohlenplatz war noch daneben und hinten lagen Ställe. Ein Fuhrherr hatte hier seine Wagen und Droschken stehen. Das mußte es ihm offenbar angetan haben; und es stellte sich denn auch heraus, daß er sich in aller Morgenfrühe, trotz seiner Jahre, noch nützlich machte, um sich ein wenig zu seiner geringen Pension hinzuzuverdienen, und dabei den Geruch des Stalles zu atmen, auch wenn es sich nicht um die Pferde eines stolzen Marstalls, sondern nur um elende Droschkengäule handelte.

Vor dem Hause wollte er mich verabschieden, allein das ließ ich mir nicht gefallen, und so half ich ihm die enge Stiege hinauf: und da meine Neugier rege war, nutzte ihm all sein Sträuben nichts, er mußte mich noch in sein Zimmer einlassen. Er konnte ja auch nicht gut anders, nach dem, was ich für ihn getan hatte.

Er brauchte sich des Aussehens seines Zimmers nicht zu schämen. Es war alles in seiner Einfachheit in tadelloser Ordnung, peinlich sauber, gleich seinem Anzuge, wie gestriegelt. So mußte er auch einmal seine Pferde gehalten haben.

Was mir sofort auffiel, waren die vielen Photographien und Postkarten, die überall herumstanden, oder mit Reißnägeln an den Wänden befestigt waren. Er wollte mich offenbar davon abhalten, sie mir genauer anzusehen, wollte mich verabschieden, aber das ließ ich mir nicht gefallen, und ehe er was erwidern konnte, sagte ich:

– Ah, sieh da, lauter Bilder von der Herzogin-Witwe, von unserer verstorbenen jungen Königin und dem Erbprinzen. Sie waren gewiß mal bei der Herzogin Melitta? – Habe ich recht? –

Einen Augenblick zauderte er, dann sagte er:

– Da Sie nun doch einmal da sind, ja, das war ich.

– Na, das ist doch keine Schande.

Da lächelte er nur vor sich hin.

– Nun verstehe ich auch Ihre Liebe zu dem kleinen Erbprinzen. Das wäre ja unnatürlich, wenn Sie sich nicht für den hübschen kleinen Jungen interessierten.

– Finden Sie ihn hübsch?

– Na, aber selbstverständlich, bildhübsch!

– Ach, sagte er und seufzte wie voller Befriedigung auf, während er sich in einen alten Großvaterstuhl niederließ.

– Wissen Sie, fuhr er fort. Ich habe nämlich mit niemandem je darüber gesprochen. Und hier weiß kein Mensch, wo ich früher einmal vor vielen, vielen Jahren gewesen bin. Sie glauben alle bei einem Grafen. Aber ich war bei Hofe. Bei der Prinzeß Melitta, über zwanzig Jahre lang. Die habe ich schon gekannt, als sie kaum zwölf Jahre alt war, da bin ich schon mit ihr ausgeritten, und wenn sie dann plötzlich querfeldein sprengte, wissen Sie, da kamen die andern nicht mit. Da war keine Hecke zu hoch und kein Graben zu breit, es ging drüber weg. Das kannte ich schon, und ich hatte selbst immer ein Pferd, das mitkam; aber die andern blieben auf dem geraden Wege, da hatte keiner den rechten Mut. Und als das ein paarmal passiert war, hatte ich einfach die Aufgabe, hinter ihr drein zu jagen, damit doch wenigstens einer bei der Hand war, wenn ihr oder dem Pferde was geschah. Aber da passierte nichts; denn ihre Pferde hatte ich selber eingeritten, die verstanden sich auf das Springen. Nicht nur im Sprunggarten, die scheuten vor keinem Hindernis, und wenn es noch so absonderlich war. Ja, ja! ...

Und nun fiel er plötzlich zusammen, und fing an zu husten, so jämmerlich, daß ich ihm riet, sich einen heißen Tee zu machen und sich zu Bett zu legen.

Das versprach er mir denn auch; und so verließ ich ihn, denn meine Zeit drängte, und schickte ihm noch die alte Frau hinauf, die drunten in dem Waschhause in Wolken von Seifendampf stand, und die für ihn kochte und gelegentlich sorgte. –

Am nächsten Tage sah ich wieder nach ihm. Da stand es arg schlecht. Er lag fest, und der Doktor mußte kommen, und wollte ihn gleich ins Krankenhaus bringen, aber dagegen sträubte er sich. Er konnte sich von seinem Zimmer und seinen Bildern nicht trennen.

Er hatte mich, ehe ich noch ein Wort sagen konnte, ausgefragt, ob irgend etwas über den Unfall des Erbprinzen in den Zeitungen gestanden hatte. Keine Zeile, denn es hatte ja kein Mensch außer uns etwas davon gesehen. So was kam nicht gleich in die Zeitung.

Und nun sorgte er sich, was Prinz Ernst wohl heute bei seinem Spazierritte sagen oder doch denken würde, wenn er nicht auf dem gewohnten Platze auf ihn wartete, und seinen Hut vor ihm zog wie all die Tage zuvor.

Darüber tröstete ich ihn nun, daß er ja in ein oder zwei Tagen wieder auf sein und sich dort hinstellen konnte. –

Aber die beiden Tage gingen vorüber, und der Arzt gab keine Hoffnung. Starkes Fieber hatte sich eingestellt, und es ging zu Ende. Es hatte kaum Zweck mehr, ihn ins Krankenhaus zu schaffen.

Und in seinen Fieberphantasien kam immer der Name Melitta vor, und der kleine Erbprinz Ernst. Er sprach mit ihnen, aber mir unverständliches Zeug. Nur die beiden Namen waren in ihrer steten Wiederholung erkennbar ...

Am letzten Abend, als ich zu ihm kam, war er wie es schien, bei ganz klarer Besinnung. Alles was er sprach, hatte Zusammenhang, und er fing an zu erzählen von seiner einstigen Herrin, von ihren gemeinsamen Ritten als Kind und später als erwachsene Prinzessin an dem kleinen Hofe. Wie sie dann verheiratet worden war gegen ihren Willen, an einen viel älteren Mann, der ihr unsympathisch war, der es versuchte, ihren so starken Eigenwillen mit Gewalt zu beugen, ohne daß es ihm gelang.

Beim Einzuge in die Residenz war er vor dem sechsspännigen Galawagen her geritten, in dem das Brautpaar saß. Früher hätte er das als die höchste Ehre angesehn, aber so war er tief traurig gewesen, weil er an das kommende Glück, das alle dem Paare wünschten, nicht recht glauben konnte.

Dann war eine ganz wilde Zeit gekommen, so wie es wohl kommen mußte. Sie haßte den alten nörgelnden Mann und versuchte alles, um sich zu betäuben. Sie lachte und scherzte mit allen am Hofe, nur weil sie sah, daß es den Herzog ärgerte; sie trank an der Hoftafel, um sich zu betäuben, und wenn der Herr abwinkte, rief sie laut die Diener herbei, um sich immer wieder einschenken zu lassen.

Manchmal ließ sie sich noch spät am Abend ihr Pferd satteln und jagte in die Dämmerung hinaus, nur von ihm, ihrem Reitknecht begleitet, den sie von Jugend an kannte, der einzige, der mit an den neuen Hof genommen war.

Und draußen konnte sie oft die Zügel auf den Hals des Pferdes werfen, und vor sich hinstarren in die Landschaft, und die Zähne trotzig zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Vor ihm genierte sie sich nicht, da ließ sie wortlos ihren Zorn aus, schlug mit der Reitgerte in die blühenden Zweige und peitschte manchmal wie sinnlos ihr Pferd zu immer tollerem Lauf, als wolle sie allem ein Ende machen.

Er war der einzige Mensch, den sie duzte, – nie vor den Leuten, immer wenn sie draußen durch Wald und Feld ritten.

Wie oft hatte er ihren Fuß in seinen Händen gehalten, wenn sie aufstieg, hatte sie hundertfach aufgefangen, wenn sie vom Pferde glitt, in seine Arme.

Der Herzog konnte sie auf ihren Ritten nicht begleiten, die Ärzte hatten ihm alle Anstrengungen verboten und schickten ihn endlich ganz nach dem Süden.

Das war gut, das war sehr gut gewesen! denn sonst hätte es doch wohl geschehen können, daß der Knecht seine Herrin gerächt hätte an ihrem Peiniger, dem zum Trotz sie keine andere Begleitung mitnahm, oder ihr jubelnd entfloh wie in ihrer Mädchenzeit. Und dann lachte sie, wenn sie allein waren, ihr altes frohes Lachen, und fing an mit ihm zu schwatzen und tat, als sei er der einzige Mensch, zu dem sie Vertrauen hatte. Er war auch der Einzige, mit dem sie von alten Zeiten sprechen konnte, der sie schon gekannt, als er selbst noch ein Junge gewesen.

Einmal nur war sie ganz böse geworden, als sie ihn überraschte, wie er mit einem Mädchen schäkerte und scherzte. Denn er war ein stattlicher Bursche, hinter dem die Weiber her waren. Da hatte sie ihn ganz zornig angesehen, ihn hart angefahren und den ganzen Tag wie einen Hund behandelt, der was Böses ausgefressen hat.

Dann schickte sie ihn gleich fort, wenn er so was anfing, drohte sie ihm – und wußte nicht, wie sie sich damit verriet, denn es war Gekränktheit und Eifersucht.

Er sah von dem Tage keine andere mehr an; und da wurde alles wieder wie früher, und eines Tages doch so ganz anders. Denn in der Öde und Verlassenheit ihres Lebens, in dem kahlen Dasein, das sie führte, wurde er schließlich der Einzige, der sie ganz kannte.

Im Frühjahr darauf mußte sie mit dem Gatten, der zu einer Festlichkeit zurückkam, wieder zusammentreffen. Da hatte sie ihn beschworen, daß er stets in ihrer Nähe blieb, denn ihr graute vor dem alten Manne. Sie hatte Angst.

Und er hatte in der Nacht im Schlosse gewacht, trotz all der Diener; hatte sich vor ihren Zimmern aufgehalten, um zur Stelle zu sein.

Aber niemand hatte sie gekränkt. –

Nach Monaten, als der Herzog im Sommer wieder in sein Land zurückkam, wurde es für sie ganz unerträglich. Da war sie völlig verzweifelt, und wollte fort, hinaus in alle Welt, nur nicht länger an dem Hofe bleiben.

Da er auf ihr Geheiß sich beständig in ihrer Nähe aufhielt, hörte er einst am Abend, wie der Herzog in hellem Zorn verlangte, sie solle den Diener entlassen, den sie beständig um sich hatte, wenn sie nicht wollte, daß er selbst den Menschen mit Schimpf und Schande verjagte.

Alle Welt hielt sich ja schon darüber auf.

Da hatte sie gelacht; und er hörte, wie sie ihm zurief, am Schlusse einer heftigen Szene, die sie ganz sinnlos gemacht hatte:

– Ihn fortschicken? – niemals! Den einzigen Menschen, den ich habe, ihn der ...

Mehr hatte er auf seinem Lauscherposten nicht verstanden, trotzdem sie es laut rief, – so brauste es ihm in den Ohren über das, was sie sagte, wie sie alles, auch das Letzte verriet.

Dann nur ein gurgelnder Schrei, so daß er schon herbeistürzen wollte. Aber dann hörte er ihr höhnend stolzes Lachen, und wie eine Tür hinter ihr ins Schloß fiel.

Der Schrei kam nicht von ihr. –

Und dann Totenstille ringsum ...

Er aber schlich davon, und ließ sich nirgends sehen.

Am Abend aber hatte den Herzog einer seiner Schwindelanfälle gepackt. Der Hofjägermeister war hinausgeeilt, ein Glas Wasser herbeizuschaffen, da war der Herzog allein auf den Balkon getreten, um Luft zu bekommen, und war über das niedere Gitter, an das er sich lehnen wollte, in die Tiefe gestürzt.

Die Herzogin aber war von diesem Ausgang so erschüttert, daß sie das Zimmer hütete. Dann ging sie zur Kur fort, in aller Stille und in tiefster Trauer. –

Er aber blieb zurück und wartete ...

Aber nichts wurde über ihn bestimmt.

 

Vier Monate später wurde die Herzogin von einer Tochter entbunden, die dann später dem Erbprinzen vermählt ward, dem jetzigen Könige, dem sie schon im zweiten Wochenbette wieder entrissen wurde, nachdem das Kind tot zur Welt gekommen war. – – –

 

Das alles erzählte mir der Alte, unter langen Pausen stockend, aber ganz sachlich, mit nur andeutenden Worten, wie eine lang auf dem Herzen getragene schwere Beichte.

Von sich sprach er immer nur in der dritten Person, als von dem Reitknecht.

Er hatte dann seine Herrin über ein Jahr lang nicht gesehen. Und als sie ihm zum ersten Male wieder begegnete, kannte sie ihn kaum; da war er ihr nichts als irgendein Bedienter, über den sie wegsah, der kein Mensch sondern nur eine Notwendigkeit war. –

Die Pferde standen ungenützt im Stalle ... Sie fuhr nur noch im Wagen.

Eines Tages wurde er in die Hauptstadt versetzt, tat fern von ihr seinen Dienst, und Jahre hernach, als er alt und grau geworden, wurde er in Pension geschickt. –

Seither hatte ihn nur das eine noch erhalten, daß er nach dem Tode der jungen Königin, die von seiner Existenz nie eine Ahnung gehabt, die er nur von fern ein paar Mal als Kind gesehen, jede Gelegenheit suchte, um dem Erbprinzen zu begegnen. –

War der wirklich so hübsch, wie er es sich vorstellte? War er geschaffen dazu, einmal König zu sein? ... ein König! – – –

Schweigend starrte der Alte in die letzte Abenddämmerung, die in die stille kleine Stube herein schien, – legte sich wie lächelnd langsam zurück, bäumte sich noch einmal auf – und als der Arzt gerufen war, da war es aus mit ihm. –

Und während ich daheim die Erzählung des Alten überdachte, fiel mir ein, was man für den Toten noch tun konnte.

Und ich nahm einen großen Bogen und schrieb einen Brief in schönster Schrift mit einer recht unleserlichen Unterschrift; und erzählte dem jungen Prinzen Ernst, daß der alte Mann, der ihn so oft an den Vormittagen im Wäldchen dicht am Wasserfall gegrüßt hatte, heute abend gestorben sei und deshalb nicht mehr an seinen gewohnten Platz kommen könne, wo er sich an einem der Tage vor dem Scheuwerden des Pferdes im Regen den Tod geholt habe. Ein alter treuer Diener seines Hauses, der vor Jahrzehnten am Hofe seiner Frau Großmutter ihr steter Begleiter auf dero Spazierritten gewesen sei; und seine letzten Gedanken hatten denn auch dieser seiner Herrin und ihm, dem von ihm so geliebten Erbprinzen gegolten. –

Am folgenden Tage hatte sich ein Abgesandter vom Hofe nach dem Alten erkundigt; – und als sie den Toten zur letzten Ruhe brachten, da lag auf seiner schlichten Bahre ein Kranz des Erbprinzen, mit einer langen Schleife in den Landesfarben.

Ich konnte die Augen nicht davon lassen, und fragte mich, ob der Alte etwa schon kindisch geworden war in einem Wahne, der nichts als leere Phantasterei des Alters sein konnte; oder ob ihm vielleicht doch, als dem Ahnherrn des kleinen Prinzen, die Farben des königlichen Hauses zukamen.


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