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Das große Schweigen

Sechs Jahre waren sie verheiratet, aber die Ehe war kinderlos geblieben, wie sehr sie beide sich ein Kind gewünscht hatten. Das hatte in ihnen eine Verstimmung geweckt, die sie nicht überwinden konnten; und so war eine leichte Entfremdung eingetreten, die sie vor den Leuten zwar verbargen, aber daheim gingen sie kühl nebeneinander her. Im Sommer ließ er sie allein reisen und war ganz froh, wie sie nicht darauf bestand, daß er sie begleiten solle.

Er hatte sein Geschäft im selben Hause, die Bureauräume der Bank lagen unten, die Wohnung in der dritten Etage. Nie betrat seine Frau die Arbeitsräume. Wenn sie etwas wollte, telephonierte sie bei ihm an. Da sagten sie sich mehr als Auge in Auge, denn am Abend waren sie meist vom Hause fort, gingen viel in Theater und Gesellschaften. Er hatte daneben seinen Klub, die Aufsichtsratssitzungen oder auch zu arbeiten, so daß sie sehr wenig unter vier Augen waren.

Im letzten Sommer war sie allein fortgewesen in der Schweiz, hatte viele neue Menschen kennen gelernt, hatte ihm überaus nette Briefe geschrieben, in denen sie ihm die Gesellschaft beschrieb, mit der sie zusammen war. Das verstand sie, auf dem Papier sich zu geben und zu plaudern, da kam sie ganz ungeniert aus sich heraus, viel rückhaltloser, als wenn sie sich gegenüber standen.

Nun war der Herbst gekommen, und sie war zurückgekehrt. Sie schien noch stiller zu sein als sonst, ging fast gar nicht weg, sondern konnte ohne Beschäftigung dasitzen und vor sich hinträumen, die Hände lässig im Schoße, die Augen ins Weite gerichtet, als ob sie noch immer nach den fernen Schneebergen ausschaute.

Er ließ sie gewähren, und mischte sich nicht ein. Oft ging sie wie schlafwandelnd hin. Wenn jemand sie dann anredete, schrak sie nervös zusammen, als ob sie aus einem Traume jäh aufgerissen würde.

Sie war nicht krank, wie er anfangs glaubte, sondern nur so seltsam matt. Ihre Augen bekamen zuweilen einen eigenartigen Glanz. Er riet ihr, zum Arzt zu gehen, aber sie schüttelte den Kopf. Nein! er brauchte sich nicht zu sorgen, sie wußte, sie war ganz gesund. Nur hatte sie keine Lust mehr herumzujagen, wie sie das früher getan. Sie wurde eben alt und wollte Ruhe haben.

Allein das wollte er nicht zugeben, und lachte sie aus. Davon konnte doch keine Rede sein. Sie nahm es noch mit den jüngsten Frauen auf. Das wußte sie selbst ganz genau. Er brauchte ihr das nicht erst zu sagen, das würden ihr die andern schon zu verstehen geben. Er sah es ja doch in Gesellschaft, wie man sich für sie interessierte. Also das war es nicht.

Er war in dieser Zeit viel netter zu ihr geworden; und sie nahm das alles mit einem leichten Befremden hin, ohne es grade abzulehnen. Mit einer großen Ruhe, in die sich ein fragendes Staunen mischte, als ob sie ihn nie recht begriffen habe, als lerne sie ihn jetzt erst recht kennen, zuweilen gar, als müsse sie ihm ein Unrecht abbitten. –

– Ich muß gleich fort, sagte er eines Morgens, kann auch zu Tisch nicht zurück sein. Warte also nicht auf mich. Ich frühstücke unterwegs. Dafür kannst du mir dann zu abend etwas Gutes besorgen, willst du?

– Schön, es soll alles geschehen. Ich habe mich schon ganz darauf eingerichtet.

– Also, adieu, Marta! was machst du denn heute?

– Ich weiß noch nicht, ich will mal sehn.

– Bis um sieben bin ich bestimmt zurück. Falls noch irgend etwas sein sollte, kannst du über mich disponieren.

– Gut, Rudolf. Adieu! ...

Er ging hinunter ins Bureau, um noch einige Anweisungen zu geben, dann verließ er das Haus. Gegen seine Gewohnheit sah er sich noch mal um, und ihm schien, als ob Marta droben hinter dem Store an ihrem Fenster gestanden hatte, der sich bewegte.

Das war nicht ihre Art, ihm nachzusehen; das hatten sie nur im ersten Jahre ihrer Ehe getan, daß sie sich beim Fortgehen noch einmal zugewinkt hatten. All das war seit Jahren eingeschlafen. Und war doch so nett gewesen, wenn man es recht bedachte.

Plötzlich fiel ihm ein, er hatte was anzuordnen vergessen. Trotzdem er kaum eine Minute Zeit hatte, mußte er umkehren, hatte rasch die Anordnung getroffen und ging nochmal in sein Zimmer, um zu telephonieren, nahm den Hörer und sah, daß der Apparat noch nach oben zu seiner Frau umgestellt war. Er streckte die Hand nach dem Umschalter aus, als er die Stimme seiner Frau hörte, die mit jemandem sprach. Er wollte sich trennen, denn er war nicht neugierig, – als er stutzte! Denn er hörte deutlich, wie jemand ein rasches: Du Liebe! einfließen ließ und dann hastig sagte:

– Was ist denn das bloß für ein abscheuliches Knacken in der Leitung?

Sie lachte nur und sagte:

– Das kommt davon, wenn Sie etwas sagen, was Sie per Telephon nicht sollen. Du du! ...

Wer konnte das sein, mit dem sie sich heimlich duzte? Die Stimme kannte er nicht; sie klang im Ärger sehr schneidig, wie ein Kommandoton. Dann eine hastige Verabredung. Bis zwölf habe er Dienst, dann wollten sie sich treffen. Noch ein paar rasche Worte, die er kaum verstand, dann war es still.

Er legte den Hörer hin, nahm ihn nach einem Moment wieder auf und hörte seine Frau fragen:

– Bitte, wer dort?

– Marta!

– Ja?

– Mit wem hast du eben gesprochen?

– Wieso? ...

– Mit wem du eben gesprochen hast?

– Ich habe gar nicht gesprochen.

– Aber, Marta, ich habe doch alles gehört.

Es blieb still, und er wiederholte:

– Wird's bald? ... ich will es wissen! oder ...

– Was wünschst du?

– Du hast eben ein Rendezvous mit jemandem verabredet, und ich will wissen, wer das war.

– Aber du irrst dich.

– Ich komme zu dir hinauf. Bis dahin wirst du dir überlegt haben, daß du mir zu antworten hast.

Damit legte er den Hörer hin, griff nach Stock und Hut, und während ihm das Blut bis in den Hals schlug, stieg er die Treppe hinauf. Ganz rasch ging er die Stufen hinauf, und atmete nur vor der Korridortür einmal ganz tief.

Er schloß auf, und trat in den Flur. Im Augenblick, als er die Klinke zu ihrem Zimmer, wo er sie vermutete, niederdrückte, hörte er einen kurzen scharfen Knall, und dann sah er sie am Tische wanken und zusammenstürzen, beide Hände um den kleinen Revolver gekrampft, den sie hatte spannen wollen, und dessen Kugel zu früh losgegangen war, so daß sie ihr in den Leib gedrungen war.

Blitzschnell hatte er das gesehen, in dem Momente, da er sie auffing. Und der andere Gedanke kam ihm, ob sie nicht vielleicht die Waffe hatte gegen ihn richten wollen, der kam, Rechenschaft von ihr zu fordern. Aber das war nur einen Moment lang.

Er beugte sich über sie, sah ihr in die Augen und fragte:

– Weshalb hast du das getan? ... um wen? –

Aber sie gab keinen Laut von sich.

Er hob sie auf das kleine Sofa und fragte wieder, während er sie an den Armen festhielt:

– Den Namen! ich will den Namen wissen! ...

Aber sie schüttelte den Kopf.

– Sag mir den Namen! – ich muß – ich muß ihn wissen! –

Er starrte in ein brechendes Auge. –

Und er fühlte, daß sie das Geheimnis mit hinübernehmen würde. – Der Arzt war gekommen und hatte nur noch feststellen können, daß es zu spät war. Dabei enthüllte er ihm, daß auch das Kind, das sie unter dem Herzen trug, offenbar von der Kugel mitgetroffen war.

Er wußte nur zu gut, daß er nicht der Vater dieses Kindes sein konnte. –

Alles suchte er durch, forschte und fragte. Aber sie hatte ihr Geheimnis so gut bewahrt, daß er auch nicht die leiseste Spur entdeckte. Nichts! – aber auch gar nichts! ...

Während der Beisetzung hatte er weder Auge noch Ohr für das, was dabei geschah. Er beobachtete jeden Menschen, ob er es sein könne. Zuweilen glaubte er gefunden zu haben, aber es war nichts.

Er reiste an den Ort, wo sie den Sommer zugebracht, und fragte alle Welt aus. Niemand wußte etwas.

Er gab es nicht auf, trotzdem er die Nutzlosigkeit einsah. Er wollte es wissen, ihr Geheimnis ergründen, von dem er keine Ahnung gehabt hatte.

Und immer sah er ihr Gesicht vor sich, wie sie die Zähne zusammengebissen, damit kein Laut ihr entschlüpfte.

Selbst noch auf dem Totenbette hatte sie diesen krampfhaften Zug um den Mund, diesen energischen Willen zum ewigen Schweigen, dem er sich schließlich besiegt beugen mußte.


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