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XIII

»Schläft die Herrin oder nicht?« fragte plötzlich neben Aksjutka eine rauhe Bauernstimme. Sie öffnete ihre Augen, die sie vordem zugekniffen hatte, und erblickte irgendeine Gestalt, die, so schien es ihr, höher war als der »Flügel«; sie kreischte auf und flog so rasch zurück, daß ihr Rock ihr gar nicht nachfliegen konnte. Mit einem Sprung war sie bei der Aufgangstreppe, mit einem zweiten im Mädchenzimmer, und mit wildem Schluchzen warf sie sich auf das Bett. Dunjascha, ihre Tante und das andere Mädchen erstarrten vor Schrecken; noch hatten sie sich nicht erholt, als schwere, langsame und unentschlossene Schritte im Vorraum und bei der Türe erschallten. Dunjascha stürzte zur Gnädigen, wobei sie das geschmolzene Wachs umwarf, das zweite Dienstmädchen versteckte sich hinter den Röcken, die an der Wand hingen, das Tantchen, energischeren Charakters, wollte gerade die Türe zuhalten, als diese sich öffnete und ein Bauer ins Zimmer trat. Das war Dutloff in seinen Booten. Ohne die Furcht der Mädchen zu beachten, suchte er mit den Augen das Heiligenbild, und da er das kleine Heiligenbild nicht fand, das in der linken Ecke hing, bekreuzigte er sich nach dem Schränkchen mit den Tassen zu, legte seine Mütze aufs Fenster, fuhr mit der Hand tief in seinen Schafpelz, als wolle er sich unter der Achselhöhle kratzen, und holte einen Brief heraus mit fünf braunen Siegeln, auf denen ein Anker dargestellt war. Dunjaschas Tantchen griff sich an die Brust ... Es kostete ihr Anstrengung zu sprechen, ihre Stimme stockte:

»Hast du mich aber erschreckt, Naumütsch. Ich kann gar kein Wort herausbringen. So habe ich auch geglaubt, mein Ende sei gekommen!«

»Kann man denn so!« sprach das zweite Mädchen, unter den Röcken hervorschauend.

»Auch die Gnädige haben Sie sogar beunruhigt,« sprach Dunjascha, aus der Türe tretend. – »Wer kriecht denn auch zur Mädchentreppe, ohne gefragt zu haben? Der richtige Bauer!«

Ohne sich zu entschuldigen, wiederholte Dutloff, er müsse die Gnädige sehen.

»Sie ist krank,« sprach Dunjascha.

Zu dieser Zeit brach Aksjutka in ein so unanständig lautes, wieherndes Lachen aus, daß sie wiederum ihren Kopf in die Kissen des Bettes verstecken mußte, aus denen sie ihn, ungeachtet der Drohungen Dunjaschas und ihres Tantchens, eine ganze Stunde nicht erheben konnte, ohne sogleich vor Lachen zu bersten, als ob etwas zerspringen müsse in ihrer Brust und ihren roten Backen. Ihr schien es so lächerlich, daß sich alle erschreckt hatten, und sie versteckte wiederum den Kopf; wie in Krämpfen zappelte sie mit dem Schuh, und ihr ganzer Körper flog nur so.

Dutloff blieb stehen, blickte aufmerksam auf sie, als ob er sich Rechenschaft darüber ablegen wolle, was denn nur mit ihr vorgehe; ohne aber herauszubringen, um was es sich handle, drehte er sich wieder um und setzte seine Rede fort.

»Das bedeutet, wie es ist, eine sehr wichtige Sache,« sprach er. – »Sagen Sie nur, ein Bauer habe einen Brief mit Geld gefunden.«

»Was für Geld?«

Bevor ihn Dunjascha anmeldete, las sie die Adresse und fragte noch einmal Dutloff, wo und wie er dies Geld gefunden habe, das Iljitsch aus der Stadt bringen sollte. Als sie alles bis ins einzelne erfahren hatte und die Läuferin, die nicht aufhörte in ihrem wiehernden Gelächter, in den Vorraum hinausgestoßen hatte, ging Dunjascha zur Gnädigen; indes, zu Dutloffs Staunen, empfing ihn die Gnädige gleichwohl nicht und sagte auch nichts Vernünftiges der Dunjascha.

»Ich weiß nichts und will nichts wissen,« sprach die Gnädige, »was für ein Bauer und was für Geld es ist. Niemanden kann und will ich sehen. Er soll mich in Ruhe lassen.«

»Was werde ich denn dann anfangen?« sprach Dutloff, indem er das Kuvert in seinen Händen drehte: »Nicht wenig Geld ist darin. Was ist denn nur darauf geschrieben?« fragte er Dunjascha, und die las ihm von neuem die Adresse vor.

Es schien, als ob Dutloff da immer noch etwas nicht glauben wollte. Er hoffte, das Geld sei vielleicht nicht der Gnädigen und man habe ihm die Adresse nicht richtig vorgelesen. Aber Dunjascha bestätigte ihm das nochmals. Er seufzte, steckte das Kuvert wieder an seine Brust und wollte Weggehen.

»Es ist zu sehen, man muß es der Polizei abgeben,« sprach er.

»Warte, ich will noch einmal versuchen, ich werde sagen,« hielt ihn Dunjascha zurück, die aufmerksam zugeschaut hatte, wie das Kuvert im Brustlatz des Bauern verschwand. – »Gib den Brief her!«

Dutloff holte ihn wiederum heraus, legte ihn aber nicht sogleich in die ausgestreckte Hand Dunjaschas.

»Sagen Sie, es habe ihn auf dem Wege Dutloff, Simon, gefunden.«

»Ja, so gib doch her!«

»Ich dachte, das ist nur so ein Brief, ja, ein Soldat las, daß Geld darin sei!«

»Ja, so gib ihn doch!«

»Ich wagte auch nicht nach Hause zu gehen deswegen ...« sprach wiederum Dutloff, ohne sich von dem wertvollen Kuvert zu trennen. – »So melden Sie ihr denn auch!«

Dunjascha nahm das Kuvert und ging noch einmal zur Gnädigen.

»Ach, mein Gott, Dunjascha,« sprach die Gnädige mit vorwurfsvoller Stimme, »sprich mir doch nicht von diesem Geld. Sobald ich mich nur an dieses kleine Kindchen erinnere..

»Der Bauer, Herrin, weiß nicht, wem Sie es abzugeben befehlen,« sprach wiederum Dunjascha.

Die Gnädige öffnete das Kuvert, erbebte aber, als sie nur das Geld erblickte, und dachte nach.

»Furchtbares Geld, so viel Böses richtet es an!« sprach sie.

»Das ist Dutloff, Herrin. Befehlen Sie ihm zu gehen oder werden Sie geruhen, zu ihm herauszukommen? Ist das Geld noch unversehrt?« fragte Dunjascha.

»Ich will nicht dieses Geld. Das ist furchtbares Geld. Was hat es angerichtet! Sag' ihm, er soll es behalten, wenn er will,« sprach plötzlich die Gnädige, indem sie die Hand der Dunjascha suchte. – »Ja, ja, ja,« wiederholte die Gnädige der erstaunten Dunjascha, »er soll es sich ganz nehmen und tun, was er mag.«

»Anderthalbtausend Rubel« – bemerkte Dunjascha leicht lächelnd, wie zu einem Kinde.

»Laß ihn alles nehmen,« wiederholte ungeduldig die Gnädige. – »Was, verstehst du mich denn nicht? Dieses Geld ist Unglücksgeld, sprich mir niemals davon. Soll es sich der Dauer nehmen, der es fand. Gehe, nun so gehe doch!«

Dunjascha trat ins Mädchenzimmer.

»Ist es vollzählig?« fragte Dutloff.

»Ja, zähle du es schon selber zusammen,« sprach Dunjascha, indem sie ihm das Kuvert gab; »es ward befohlen, es dir abzugeben.«

Dutloff nahm die Mütze unter den Arm und begann gebückt zu zählen.

»Ist kein Rechenbrett hier?«

Dutloff hatte verstanden, die Gnädige verstehe aus Dummheit nicht zu zählen und habe ihm befohlen, das zu tun.

»Zu Hause wirst du es zusammenzählen, dir gehört es ... es ist dein Geld!« sprach Dunjascha grimmig. – »Ich will nicht, spricht sie, es sehen; gib es dem, der es brachte.«

Ohne sich aufzurichten, heftete Dutloff seine Augen auf Dunjascha. Dunjaschas Tantchen rang nur so die Hände.

»Mütterchen, leibliches! Da hat einmal Gott Glück gegeben! Mütterchen, leibliches!«

Das zweite Mädchen wollte es nicht glauben.

»Wie denn, Awdotja Michailowna, Sie scherzen wohl?«

»Da scherzt man auch noch! Sie befahl, es dem Bauern abzugeben ... Nun, nimm das Geld, ja, und mach', daß du fortkommst,« sprach Dunjascha, ohne ihren Verdruß zu verbergen. – »Des einen Kummer, des andern Glück.«

»Das ist wohl eine Kleinigkeit, anderthalbtausend Rubel,« sprach das Tantchen.

»Mehr«, bestätigte Dunjascha. – »Nun wirst du ein Zehnkopekenlichtchen dem heiligen Nikolai aufstellen,« sprach spottend Dunjascha. – »Wie, du kommst gar nicht zu dir? Auch ein Gut wäre es noch dem Armen! Der aber hat selber viel!«

Dutloff begriff endlich, daß dies kein Scherz sei, und begann das Geld, das er zum Zählen auseinandergenommen hatte, wieder zusammenzulegen und ins Kuvert zu stecken; seine Hände zitterten ihm aber, und er schaute immer auf das Mädchen, um sich zu überzeugen, daß dies kein Hohn sei.

»Sieh' einmal an, er kann es nicht fassen, er ist froh,« sprach Dunjascha, womit sie beweisen wollte, daß sie gleichwohl sowohl den Bauern wie auch das Geld verachte. – »Gib, ich werde es dir hineinlegen.«

Und sie wollte es nehmen. Dutloff gab es aber nicht; er preßte das Geld zusammen, steckte es noch tiefer ein und griff nach der Mütze.

»Bist du froh?«

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll! Das ist geradeso ...«

Er sprach nicht zu Ende, machte nur eine abwehrende Handbewegung, lächelte, brach beinahe in Tränen aus und ging fort. Das Glöckchen läutete im Zimmer der Gnädigen.

»Wie, hast du es abgegeben?«

»Ja!«

»Wie denn, ist er sehr froh?«

»Er ward ganz so wie ein Verrückter.«

»Ach, ruf' ihn doch, ich will ihn fragen, wie er es fand. Rufe ihn hierher, ich kann nicht herauskommen.«

Dunjascha lief und traf den Bauern noch im Vorraum. Ohne die Mütze aufzusetzen, hatte er seinen Beutel herausgenommen, und sich bückend, band er ihn auseinander. Das Geld hielt er aber in den Zähnen. Ihm schien es vielleicht, daß das Geld nicht sein sei, solange es nicht in seinem Beutel liege. Als ihn Awdotja rief, erschrak er.

»Wie, Awdotja ... Awdotja Michailowna ... will sie es mir wieder abnehmen? Wenn Sie ein gutes Wörtchen einlegen, bei Gott, ich werde Ihnen Honig bringen.«

»So, so! Du hast schon welchen gebracht!«

Wiederum öffnete sich die Türe, und man führte den Bauern zur Gnädigen. Nicht froh war es ihm zumute. »Ach, sie wird es zurücknehmen!« dachte er aus irgendeinem Grunde, während er, als ob er im hohen Grase schreite, seinen ganzen Fuß erhob und sich bemühte, nicht mit den Bastschuhen Lärm zu machen, während er durch die Zimmer ging. Er begriff und sah gar nichts, was um ihn war. Er ging an einem Spiegel vorüber, sah irgendwelche Blümchen, irgendein Bauer in Bastschuhen hebt die Füße in die Höhe, der gnädige Herr mit einem Augengläschen ist da gemalt, irgendein grünes Fäßchen und etwas Weißes ... Sieh', dies irgendwie Weiße fing an zu sprechen. »Das ist die Gnädige!« Gar nichts unterschied er, nur die Augen rollte er. Er wußte nicht, wo er sei, und alles erschien ihm wie im Nebel.

»Das bist du, Dutloff?«

»Ich bin es, Herrin. Wie es war, so habe ich es auch nicht angerührt,« sprach er. »Ich bin nicht froh, wie vor Gott! Wie habe ich das Pferd gequält!«

»Nun, dein Glück,« sprach sie mit verächtlich gutmütigem Lachen. – »Nimm' es, nimm' es dir!«

Er sperrte nur so die Augen auf.

»Ich bin froh, daß es dir zufiel. Gib Gott, daß es zum Guten ausschlage! Wie denn, bist du froh?«

»Wie, nicht froh! Schon so froh, Mütterchen! Immer werde ich für Sie zu Gott beten. Ich bin schon so froh, daß, Gott sei Dank, unsere Herrin lebt. – Das war denn auch meine ganze Schuld.«

»Wie hast du es denn gefunden?«

»Das heißt, wir konnten uns immer für die Herrin in Ehren bemühen, aber nicht daß ..

»Er hat sich schon völlig verwirrt, Herrin,« sprach Dunjascha.

»Ich hatte meinen Neffen zur Aushebung gebracht, ich fuhr zurück, auf dem Wege fand ich es auch. Polikei muß es wohl versehentlich verloren haben.«

»Nun geh', geh', Täubchen ... Ich bin froh!«

»So froh, Mütterchen!« sprach der Bauer.

Später fiel es ihm dann ein, daß er nicht gedankt und sich nicht so zu benehmen verstanden habe, wie es sich gehört hätte. Die Gnädige und Dunjascha lächelten; er aber schritt wiederum wie im hohen Grase daher und hielt gewaltsam an sich, um nicht Trab zu laufen; denn sonst schien es ihm immer, jetzt eben, in diesem Augenblick werde man ihn noch anhalten und ihm das Geld abnehmen ...


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