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IX

Als alles verstummt war, kroch Polikei, gerade als sei er schuldig, leise herunter und begann sich zurechtzumachen. Aus irgendeinem Grunde war es ihm unheimlich, hier mit den Rekruten zu übernachten. Die Hähne krähten bereits häufiger. Baraban hatte allen seinen Hafer gefressen und riß an der Kordel nach dem Tränktrog zu. Iljitsch spannte ihn an und führte ihn an den Bauernfuhren vorbei. Die Mütze mit ihrem Inhalt war unversehrt, und die Räder des Wägelchens rasselten wiederum auf dem gefrorenen Wege nach Pokrowskoje zu. Dem Polikei ward es erst dann leichter, als er die Stadt hinter sich hatte. Bis dahin schien es ihm immer aus irgendeinem Grunde, als ob hinter ihm her Verfolger zu hören seien, man ihn anhalten, ja und ihm an Stelle des Ilja die Hände auf den Rücken binden und ihn morgen zur Aushebung führen werde. War es aus Kälte, war es aus Furcht, Frost lief ihm über den Rücken, und er trieb und trieb den Baraban an. Der erste Mensch, der ihm begegnete, war ein Pope in einer hohen Wintermütze mit einem einäugigen Knecht. Noch unheimlicher ward es da dem Polikei. Hinter der Stadt schwand aber diese Furcht allmählich. Baraban ging im Schritt, der Weg geradeaus war etwas übersichtlicher; Iljitsch nahm die Mütze ab und fühlte das Geld. »Soll ich es nicht in den Busen stecken?« dachte er. »Man muß sich dazu entgürten. Lieber will ich dort unter der Anhöhe anhalten; da werde ich vom Wagen herabsteigen und mich zurechtmachen. Die Mütze ist von oben festgenäht, unten aber aus dem Futter wird es nicht herausspringen. Auch werde ich die Mütze nicht abnehmen, bis ich zu Hause bin.« Als er bei der Anhöhe angelangt war, sprang Baraban aus eigenem Antrieb im Trab den Berg hinauf, und Polikei, der ebenso wie Baraban möglichst rasch nach Hause wollte, hinderte ihn nicht. Alles war in Ordnung, wenigstens schien es ihm so, und er überließ sich Träumereien über den Dank der Herrin, über die fünf Rubel, die sie ihm geben werde, und die Freude der Seinen. Er nahm die Mütze ab, fühlte noch einmal den Brief, stülpte sich die Mütze tiefer in die Stirn und lächelte. Der Plüsch auf der Mütze war aber faul, und gerade weil am Tage vorher Akulina ihn sorgfältig an der durchrissenen Stelle genäht hatte, war er am anderen Ende auseinandergegangen, und gerade die Bewegung, mit der Polikei, als er in der Finsternis die Mütze abgenommen hatte, den Geldbrief tiefer unter das Futter hineinzuschieben gedachte, gerade diese Bewegung hatte die Mütze aufgeschlitzt und das Kuvert mit einer Ecke aus dem Plüsch herausgedrängt.

Es begann hell zu werden, und Polikei, der die ganze Nacht über nicht geschlafen hatte, schlief ein. Nachdem er die Mütze in die Augen gedrückt und damit den Brief noch mehr herausgedrängt hatte, begann Polikei im Einschlummern mit dem Kopf an die Seitenstangen des Wagens zu stoßen. Er erwachte in der Nähe seines Hauses. Seine erste Bewegung war, sich nach der Mütze zu fassen, sie saß fest auf seinem Kopfe; so nahm er sie denn auch nickt ab, überzeugt, das Kuvert sei drinnen. Er trieb den Baraban an, rückte das Heu zurecht, nahm wiederum die Miene eines Verwalters an, und gewichtig um sich schauend, ließ er sich dem Hause zu rütteln.

Da ist die Küche, da ist der Flügel, da trägt die Tischlersfrau Leinwand, da ist das Kontor, da ist das Haus der Herrin, in dem Polikei sogleich beweisen wird, daß er ein treuer und ehrenhafter Mensch ist, daß »man schlecht reden sozusagen über einen jeden kann«, und die Gnädige wird sagen: »Nun, danke, Polikei, da hast du drei«, vielleicht aber auch fünf, vielleicht aber sogar zehn Rubel, und sie wird befehlen, ihm eine Tasse Tee zu bringen, vielleicht aber auch ein Schnäpschen. Bei der Kälte käme das nicht ungelegen. Für zehn Rubel werden wir sowohl bummeln am Feiertag und Stiefel kaufen, als auch dem Nikita, so soll es auch sein, viereinhalb abgeben, denn der hat schon begonnen, uns allzusehr zuzusetzen ... Etwa hundert Schritte vor dem Hause holte Polikei noch einmal mit der Peitsche aus, rückte den Gürtel und das Halstuch zurecht, nahm die Mütze ab, ordnete sich die Haare und steckte ohne Hast die Hand unter das Futter. Die Hand bewegte sich in der Mütze, rascher, noch rascher; die andere steckte sich auch dahin, das Gesicht ward bleicher und bleicher; eine Hand war durch das Futter hindurch wieder zum Vorschein gekommen. Polikei sprang auf die Knie, hielt das Pferd an und begann den Wagen zu durchsuchen, das Heu, die Einkäufe, seinen Brustlatz, seine Hose: das Geld war nirgends.

»Mein Gott! Ja, was ist denn das? Ja, was wird denn daraus werden!« heulte er los, indem er sich in die Haare griff.

Aber da erinnerte er sich denn auch, daß man ihn sehen könne, wendete den Baraban um, drückte die Mütze in die Stirn und jagte den erstaunten und unzufriedenen Baraban den Weg zurück.

»Ich kann es nicht ausstehen, mit dem Polikei zu fahren,« mußte wohl Baraban denken. »Einmal im Leben hat er mich zur Zeit gefüttert und getränkt, und nur deshalb, um mich so unangenehm zu betrügen. Wie habe ich mich bemüht, nach Hause zu laufen. Ich ermüdete schon; als es aber eben erst nach unserem Heu zu riechen begann, da jagt er mich auch wieder zurück.«

»Du Teufelsmähre!« schrie unter Tränen Polikei, indem er sich im Wagen erhob und dem Baraban mit dem Zügel das Maul riß.


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