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III

An diesem selben Abend, als die Bauernversammlung, einen Rekruten wählend, vor dem Kontore lärmte im kalten Nebel der Oktobernacht, saß Polikei auf dem Bettrand an seinem Tische und zerrieb auf ihm vermittels einer Flasche eine Arznei, die er nicht kannte, gegen eine Pferdekrankheit, die ihm gleichfalls unbekannt war. Da war Sublimat, Schwefel, Glaubersalz und ein Kraut, das Polikei gesammelt hatte, als es ihm einmal eingefallen war, dies Kraut sei sehr nützlich gegen Kurzatmigkeit, und er fand es dann auch nicht für überflüssig, es auch gegen andere Krankheiten zu geben. Die Kinder hatten sich bereits niedergelegt: zwei lagen auf dem Ofen, zwei im Bette, eines in der Wiege, bei der Akulina an der Spindel saß. Ein Lichtstummel, der von herrschaftlichen Kerzen geblieben war, »die schlecht gelegen hatten«, stand in hölzernem Leuchter am Fenster, und damit ihr Mann sich nicht von seiner wichtigen Arbeit loszureißen brauche, stand Akulina immer wieder selber auf, den Kerzenstummel mit den Fingern zu richten. Es gab Freidenker, die den Polikei für einen dummen Tierarzt und einen einfältigen Menschen hielten. Andere dagegen, und die Mehrzahl, hielten ihn zwar für einen schlechten Kerl, aber für einen großen Meister seines Faches. Akulina ihrerseits, ungeachtet dessen, daß sie ihren Mann häufig schalt und sogar schlug, hielt ihn zweifellos für den ersten Pferdearzt und den ersten Menschen auf der ganzen Welt. Polikei streute gerade in die hohle Hand irgendeine »Spezies«. (Eine Wage benützte er nicht und äußerte sich ironisch über die Deutschen, die Wagen benützen: »Das« – pflegte er zu sagen – »ist doch keine Apotheke«.) Polikei prüfte seine Spezies in der Hand und schüttelte sie auf; es schien ihm aber wenig, und er streute zehnmal mehr hinein. »Alles werde ich hineintun; es wird besser helfen,« sprach er zu sich. Akulina schaute sich rasch um, auf die Stimme ihres Gebieters, einen Befehl erwartend; da sie aber sah, daß die Sache sie nichts angehe, zuckte sie die Achseln: »Sieh' mal an, der Teufelskerl! Von woher nimmt er das denn!« dachte sie und machte sich wiederum ans Spinnen. Das Papierchen, aus dem die Spezies geschüttet war, fiel unter den Tisch. Akulina ließ das nicht durchgehen.

»Anjutka!« rief sie – »sieh, der Vater hat etwas unter den Tisch fallen lassen, heb' auf!«

Anjutka zog ihre dünnen, nackten Füßchen aus dem Kapott heraus, das sie bedeckt hatte, kroch wie ein kleines Kätzchen unter den Tisch und brachte das Papierchen.

»Da, Väterchen« – sprach sie und verschwand wieder im Bett mit kaltgewordenen Beinchen.

»Was stößt du mich denn« – zischte ihre jüngere Schwester, lispelnd und mit verschlafener Stimme.

»Ich werde euch!« sprach Akulina, und beide Köpfe verschwanden unter dem Kapott.

»Drei Rubel wird er geben« – murmelte Polikei, indem er die Flasche zustopfte – »ich werde das Pferd ausheilen. Es ist noch billig« – fügte er hinzu. »Geh' nur, denk dir nur alles aus! Akulina, geh' und bitte den Nikita um etwas Tabak. Morgen werde ich ihm zurückgeben.«

Und Polikei nahm aus seiner Hosentasche ein Pfeifchen aus Lindenholz heraus, das einstmals angestrichen gewesen und dessen Mundstück jetzt aus Siegellack war, und begann es zu richten.

Akulina ließ die Spindel stehen und ging hinaus, ohne hängen zu bleiben, was sehr schwer war. Polikei öffnete ein kleines Schränkchen, stellte die Flasche hin und steckte ein Schnapsfläschchen in den Mund, aber Schnaps war nicht darin. Er runzelte die Stirn; als aber seine Frau Tabak gebracht, er sich sein Pfeifchen gestopft, es angeraucht und sich auf das Bett gesetzt hatte, strahlte sein Gesicht in der Zufriedenheit und dem Stolze eines Menschen, der sein Tagewerk vollbracht hat. Dachte er nun daran, wie er morgen die Zunge des Pferdes ergreifen und ihm diese erstaunliche Mixtur ins Maul gießen werde, oder dachte er daran, daß einem »nötigen« Menschen niemand etwas abschlägt, und daß jetzt eben Nikita ihm gleichwohl Tabak geschickt hatte – es war ihm wohl. Plötzlich öffnete sich die Tür, die nur an einem Haken hing, und in den Winkel trat das »obere« Mädchen, nicht das zweite, vielmehr das dritte, kleine, das man für die Aufträge hielt. »Oben« bedeutet, wie allen bekannt, das Herrenhaus, wenn es auch unten gelegen hätte. Aksjutka – so hieß das Mädchen – flog immer wie eine Kugel, und dabei hielt sie ihre Arme nicht eingebogen, sie schaukelten vielmehr wie Perpendikel, der Schnelligkeit ihrer Bewegung entsprechend, nicht an den Hüften herab, vielmehr vor ihrem Körper her; ihre Wangen waren röter als ihr rosafarbenes Kleid; ihre Zunge bewegte sich immer ebenso rasch wie ihre Füße. Sie flog ins Zimmer, hielt sich aus irgendeinem Grunde am Ofen fest, fing an, sich zu schaukeln, und begann, als ob sie unbedingt nicht mehr als zwei, höchstens drei Worte auf einmal aussprechen wolle, keuchend folgende Ansprache, wobei sie sich an Akulina wandte:

»Die Gnädige befahl dem Polikei Iljitsch, augenblicklich nach oben zu kommen, sie befahl ...« (Sie hielt inne und schöpfte tief Atem.) »Jegor Michailowitsch war bei der Gnädigen, von den Rekruten sprach man, man erinnerte an Polikei Iljitsch ... Awdotja Mikolawna befahl, diesen Augenblick zu kommen, Awdotja Mikolawna befahl ...« (wiederum ein Seufzer) »diese Minute zu kommen.«

Etwa eine halbe Minute blickte Aksjutka auf Polikei, auf Akulina, auf die Kinder, die sich unter der Decke hervorstreckten, erfaßte eine Nußschale, die auf dem Ofen herumlag, warf sie nach Anjutka, und nachdem sie noch einmal gesagt hatte, »diesen Augenblick zu kommen«, flog sie wie ein Wirbelwind aus dem Zimmer, und die Perpendikel bewegten sich mit gewohnter Raschheit quer zur Richtung ihres Laufes hin und her.

Akulina erhob sich wiederum und brachte ihrem Manne die Stiefel. Es waren schlechte, durchlöcherte Soldatenstiefel. Sie nahm den Kaftan vom Ofen und gab ihn ihm, ohne ihn anzublicken.

»Iljitsch, wirst du nicht ein anderes Hemd anziehen?«

»Nein!« – sprach Polikei.

Akulina sah ihm kein einziges Mal ins Gesicht, während er sich anzog, und sie tat gut daran, daß sie ihn nicht anschaute: Polikeis Gesicht war bleich, sein Unterkiefer zitterte, und in seinen Augen lag jener weinerliche, unterwürfige und tief unglückliche Ausdruck, wie er nur bei guten, schwachen und schuldigen Menschen vorkommt. Er kämmte sich und wollte weggehen; seine Frau hielt ihn aber auf, rückte ihm die Gurtschnur seines Hemdes zurecht, die auf den Rock herunterhing, und setzte ihm die Mütze auf.

»Wie, Polikei Iljitsch, die Gnädige verlangt nach Ihnen?« erklang die Stimme der Tischlersfrau aus dem Verschlag hervor.

Die Tischlersfrau hatte erst heute morgen mit Akulina eine heftige Auseinandersetzung gehabt wegen eines Topfes Waschlauge, den ihr die Kinder des Polikei ausgegossen hatten, und ihr war es im ersten Augenblicke angenehm, zu hören, daß man den Polikei zur Gnädigen rufe: es wird wohl nicht zum Guten sein. Zudem war sie eine feine, politische und giftige »Dame«. Niemand verstand besser mit einem Worte abzutrumpfen; so dachte sie wenigstens selber von sich:

»Man will wohl in die Stadt schicken, Einkäufe zu machen,« fuhr sie fort. »Ich vermute so, daß man einen zuverlässigen Menschen auswählt; Sie schickt man denn auch. Sie werden mir dann ein Viertelchen Tee kaufen, Polikei Iljitsch?«

Akulina hielt die Tränen zurück, und ihre Lippen verzogen sich zu einem bösen Ausdruck. So hätte sie sich auch eingekrallt in die spärlichen Haare dieser Kanaille von Tischlersfrau. Als sie aber auf ihre Kinder schaute und daran dachte, daß sie Waisen bleiben werden, und sie selber eine Soldatenwitwe, vergaß sie die giftige Tischlersfrau, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, setzte sich auf das Bett, und ihr Kopf sank auf die Kissen.

»Mamuschka, du hast mich plattgedrückt«, brummte das lispelnde Mädchen, indem es sein Kleid unter dem Ellenbogen der Mutter hervorzog.

»Wenn ihr doch alle sterben würdet! Zum Kummer habe ich euch geboren!« schrie Akulina und erfüllte die ganze Hütte mit ihrem Schluchzen, zum Troste der Tischlersfrau, die noch nicht die Waschlauge vom Morgen vergessen hatte.


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