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X.

In diesem Augenblick tauchte vor dem Fenster der Kopf einer Bäuerin auf, welche Leinwand auf einem Schulterjoch trug, und gleich darauf trat Davids Mutter, eine hochgewachsene, sehr frische und lebhafte Fünfzigerin, in die Stube. Ihr von Pockennarben und Runzeln durchfurchtes Gesicht war häßlich, aber die gerade, starke Nase, die feinen, aufeinandergepreßten Lippen und die lebhaften, grauen Augen drückten Klugheit und Energie aus. Die eckigen Schultern, die flache Brust, die dürren Hände und die starken Muskeln an den schmutzigen, nackten Füßen bewiesen, daß sie längst aufgehört hatte, ein Weib zu sein, und nur noch eine Arbeiterin war. Sie trat schnell ins Zimmer, schloß die Tür, zupfte ihren Faltenrock zurecht und warf einen bösen Blick auf den Sohn. Nechljudow wollte sie anreden, aber sie wandte sich von ihm ab, blickte das dunkle, hölzerne Heiligenbild an, das hinter dem Webstuhl hervorsah, und bekreuzigte sich. Dann rückte sie das schmutzige, karierte Tuch, das sie um den Kopf gewickelt hatte, zurecht und verneigte sich tief vor dem Herrn.

»Wünsche einen guten Feiertag, Euer Durchlaucht,« sagte sie, »Gott segne dich, du unser Vater.«

Als David seine Mutter erblickte, geriet er in Verlegenheit, krümmte den Rücken ein wenig und senkte den Kopf noch tiefer.

»Danke, Arina,« antwortete Nechljudow, »eben sprach ich mit deinem Sohn von eurer Wirtschaft.«

Arina – oder wie die Bauern sie zu nennen pflegten, als sie noch Mädchen war: Arischka, der Junge – preßte das Kinn in die rechte Faust, die sie mit der flachen linken Hand stützte, und begann, ohne den Herrn zu Ende zu hören, so laut und gellend zu sprechen, daß ihre Stimme die ganze Stube füllte und man von draußen hätte glauben können, es sprächen mehrere Weiberstimmen zugleich.

»Ach, mein Vater, was kann man mit ihm reden! Er kann ja nicht einmal sprechen wie ein Mensch. Da steht er, der Dummkopf,« fuhr sie fort, und wies mit verächtlicher Kopfbewegung auf Davids massige Jammergestalt; »was ist das für eine Wirtschaft, Väterchen Durchlaucht? Wir sind nackt, elender als wir hast du keinen einzigen unter deinen Leuten; wir haben weder für uns noch für den Gutsherrn etwas, – es ist eine Schande! Und an allem ist er schuld. Wir haben ihn gefüttert und großgezogen, konnten kaum erwarten, daß er erwachsen sei. Jetzt haben wir es erwartet, und was haben wir davon? Er frißt unser Brot, seine Arbeit aber ist so viel wert, wie die von dem verfaulten Klotze dort. Er kann nichts als auf dem Ofen liegen oder er steht da und kratzt seinen dummen Kopf!« sagte sie, indem sie ihm nachmachte: »wenn du ihm wenigstens drohen wolltest, Väterchen! Ich selbst bitte dich: strafe ihn doch um Gottes willen, oder steck' ihn unter die Soldaten, damit's ein Ende hat. Ich kann es mit ihm nicht mehr aushalten, wirklich!«

»Ist es nicht Sünde, David, seine eigene Mutter so weit zu bringen?« fragte Nechljudow den Bauern vorwurfsvoll.

David rührte sich nicht.

»Wenn's noch ein kranker Mensch wäre,« fuhr Arina ebenso lebhaft und eifrig gestikulierend fort, »aber man braucht ihn ja nur anzusehen, den Mehlsack! Er könnte schon arbeiten, der Taugenichts! Aber nein, er liegt auf dem Ofen und verlottert. Und wenn er etwas anfaßt, macht er es so, daß ich's gar nicht ansehen kann: ehe er sich erhebt, ehe er einen Schritt macht oder sonst was –« sie dehnte die Worte lang und bewegte ihre eckigen Schultern ungeschickt hin und her. »Heute ist der Alte selbst in den Wald gefahren, um Reisig zu holen, und hat ihm befohlen, die Löcher zu graben, er aber hat die Schaufel nicht einmal in die Hand genommen –« sie schwieg einen Augenblick. »Er hat mich Arme zugrunde gerichtet!« begann sie plötzlich zu jammern, holte mit dem Arme aus und näherte sich drohend dem Sohne; »du unausstehliche, glatte Fratze, Gott verzeih' mir's!« Und sie wandte sich verächtlich und zugleich verzweifelt von ihm ab, spuckte aus, wandte sich wieder dem Herrn zu, wobei sie mit derselben Lebhaftigkeit und mit Tränen in den Augen mit den Armen durch die Luft fuchtelte. »Ich bin ganz allein, Wohltäter; mein Mann ist alt und krank und zu gar nichts mehr nütze, alles muß ich allein machen. Auch ein Stein platzt schließlich! Der Tod wäre leichter als ein solches Leben: dann wäre doch wenigstens alles aus. Er hat mich zugrunde gerichtet, der Schurke! O du unser Vater, ich ertrage es nicht lange mehr. Unsere Schwiegertochter hat sich auch zu Tode gearbeitet, und mir wird es ebenso gehen.«


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