Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

»Ja, ich wollte dich noch fragen –« begann Nechljudow wieder, »warum hast du den Dünger nicht abgeführt?«

»Was ist denn das für Dünger, Väterchen Durchlaucht! Da ist ja nichts zum Fortführen! Was hab' ich denn für Vieh? Eine Stute und ein Füllen! Ein Kalb hab' ich im Herbst dem Meier des Hofes übergeben. Das ist all mein Vieh.«

»Warum hast du denn das Kalb fortgegeben, wenn du so wenig Vieh hast?« fragte der Herr verwundert.

»Womit soll ich's denn füttern?«

»Hast du denn nicht Stroh genug, um eine Kuh zu füttern? Die andern Bauern haben's doch!«

»Die andern haben gedüngten Boden, der meine aber ist nichts als Lehm, da ist nichts zu machen.«

»So dünge ihn, damit er nicht mehr lehmig sei; dann wird das Getreide gedeihen und du wirst Futter für dein Vieh haben!«

»Wenn ich aber kein Vieh hab', – woher soll ich denn den Dünger nehmen?«

»Ein merkwürdiger cercle vicieux!« dachte Nechljudow, es fiel ihm jedoch kein guter Rat ein.

»Man muß auch bedenken, Euer Durchlaucht, nicht der Dünger läßt das Korn wachsen, sondern Gott der Herr,« fuhr Iwan fort; »im vorigen Jahre zum Beispiel habe ich von einem Scheffel Aussaat sechs Schober geerntet, von den gedüngten Feldern aber haben sie kaum ein Garbenhäuflein zusammenbekommen. Nur Gott macht alles!« fügte er mit einem Seufzer hinzu. »Und das Vieh gedeiht nun einmal nicht auf meinem Hofe. Im vorigen Sommer ist mir eine junge Kuh verreckt, die andere hab' ich verkauft: ich hab' kein Futter gehabt. Und im vorvorigen Jahr ist mir eine prächtige Kuh gefallen; als sie von der Weide heimgetrieben wurde, war sie noch ganz gesund, plötzlich fiel sie um, und bald war's aus. Ich hab' halt kein Glück!«

»Nun, Bruder, damit du nicht sagen kannst, du habest kein Vieh, weil du kein Futter hast, und kein Futter, weil du kein Vieh hast, – da hast du, kauf' dir eine Kuh!« sagte Nechljudow errötend, indem er ein Päckchen Papiergeld aus der Tasche zog und aufrollte; »der Kauf möge mir Glück bringen! Und das Futter hol' dir von der Gutstenne, – ich werde die Weisung geben. Schau, daß du am nächsten Sonntag eine Kuh hast; ich komme nachsehen!«

Tschurißjonok lächelte verlegen, streckte aber die Hand nicht nach dem Gelde aus, so daß Nechljudow es endlich auf den Tisch legte, wobei er noch mehr errötete.

»Wir sind sehr dankbar für Ihre Gnade,« sagte der Bauer mit seinem gewöhnlichen, etwas spöttischen Lächeln.

Die Frau seufzte ein paarmal in ihrer Ecke tief auf und schien ein Gebet zu flüstern.

Dem jungen Gutsherrn wurde unbehaglich zumute; er erhob sich schnell von der Bank, ging in den Flur hinaus und rief dem Bauern zu, ihm zu folgen. Es war ihm so angenehm, einen Menschen vor sich zu haben, dem er eine Wohltat erwiesen hatte, daß er sich noch nicht gleich von ihm trennen wollte.

»Ich freue mich, dir helfen zu können,« sprach er, beim Brunnen stehen bleibend; »man kann dir gern helfen, weil du, wie ich weiß, kein Faulpelz bist. Solange du arbeitest, werde ich dir helfen, und mit Gottes Hilfe wird's auch wieder besser gehen.«

»Wie sollte es uns besser gehen, Euer Durchlaucht?« sagte Iwan, und sein Gesicht nahm plötzlich einen ernsten, ja sogar strengen Ausdruck an, als sei er unzufrieden mit der Voraussetzung des Herrn, daß es ihm besser gehen werde. »Solange ich mit den Brüdern beim Vater lebte, kannten wir keine Not, aber seit er gestorben ist und wir uns getrennt haben, ist's immer schlechter geworden. Das macht das Alleinstehen.«

»Warum habt ihr euch denn getrennt?«

»Die Weiber sind an allem schuld, Euer Durchlaucht. Damals lebte Ihr Großväterchen nicht mehr, zu seinen Lebzeiten hätten sie's nicht gewagt, denn er hielt auf Ordnung. Er kümmerte sich, ganz wie Sie, um alles selbst; damals hätten sie an eine Trennung gar nicht zu denken gewagt. Der selige Herr liebte es nicht, den Bauern ihren Willen zu lassen. Nach seinem Tode wurde der Verwalter Andrej Iljitsch über uns gesetzt; ich will ihm nichts Böses nachsagen, aber er war ein Trunkenbold, sah nicht auf Genauigkeit und Ordnung. Sie gingen zu ihm, einmal, noch einmal, und baten: Erlaube, daß wir uns trennen, wir haltens mit den Weibern nicht mehr aus. Na, er schimpfte und schlug, aber zuletzt kam's doch dazu, daß die Weiber ihren Willen durchsetzten: wir Brüder trennten uns. Aber was kann denn ein Bauer allein leisten? Es gab auch gar keine Ordnung mehr; Andrej Iljitsch ging mit uns um, wie es ihm paßte. Wir sollten alles haben, woher wir's jedoch nehmen sollten, das sagte er uns nicht. Dann wurde die Kopfsteuer erhöht, auch die anderen Abgaben wuchsen, an Land aber hatten wir weniger als früher, und die Mißernten kamen. Na, und als dann die Vermessung kam, und als er einen Teil unserer gedüngten Felder für Herrschaftsbesitz erklärte, da richtete er uns ganz zugrunde, der Schuft, an den Rand des Grabes brachte er uns! Ihr Väterchen – Gott schenke ihm die ewige Ruh'! – war ein guter Herr, aber wir sahen ihn fast nie: er lebte immer in Moskau. Immer öfter mußten Fuhren dorthin abgehen. Manchmal waren die Wege unbefahrbar, oder es fehlte an Futter, – aber man mußte fahren! Na ja, der Herr brauchte es ja! Wir dürfen das nicht übelnehmen. Aber es war halt keine Ordnung. Seit durch Ihre Gnade jedes Bäuerlein zu Ihnen darf, sind wir ganz andre Leute geworden und haben auch einen anderen Verwalter. Jetzt wissen wir's recht gut, daß wir einen Herrn haben. Ich kann's gar nicht sagen, wie die Bauern für deine Gnade dankbar sind. Während der Vormundschaft hatten wir doch keinen eigentlichen Herrn; jeder wollte Herr sein: der Vormund war Herr, Iljitsch war Herr, seine Frau spielte den Herrn, und selbst der Schreiber war Herr! In jener Zeit haben die Bauern viel, ach viel Kummer erlebt!«

Nechljudow empfand wieder etwas wie Scham oder Gewissensbisse. Er lüftete den Hut und ging weiter.


 << zurück weiter >>