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Der Morgen des Gutsherrn

(Bruchstück aus dem unvollendeten Roman »Der russische Gutsbesitzer«)

I.

Fürst Nechljudow war neunzehn Jahre alt und Hörer des dritten Universitätskurses, als er zu den Sommerferien auf sein Landgut kam, um dort den ganzen Sommer allein zu verbringen. Im Herbst schrieb er mit seiner noch unausgeschriebenen, kindlichen Handschrift an seine Tante, die Gräfin Bjelorezka, die nach seiner Meinung seine beste Freundin und die genialste Frau der Welt war, den folgenden, hier in Übersetzung wiedergegebenen französischen Brief:

 

»Liebes Tantchen!

Ich habe einen Entschluß gefaßt, von dem mein ganzes ferneres Schicksal abhängt. Ich verlasse die Universität, um mich ganz dem Landleben zu widmen, denn ich fühle, daß ich dazu geschaffen bin. Um Gottes willen, lachen Sie nicht über mich, liebe Tante! Sie werden sagen, ich sei noch jung; vielleicht bin ich tatsächlich noch ein Kind, das hindert mich aber nicht, meinen Beruf zu erkennen, Gutes zu tun und Gutes zu lieben.

Wie ich Ihnen schon schrieb, ich habe hier alles in unbeschreiblicher Unordnung vorgefunden. Als ich die wirtschaftlichen Angelegenheiten regeln wollte und sie studierte, entdeckte ich, daß das Hauptübel in der jämmerlichen, elenden Lage der Bauern besteht und nur durch Arbeit und Geduld bekämpft werden kann. Wenn Sie nur zwei meiner Bauern, den David und den Iwan, sehen und das Dasein, welches sie mit den Ihrigen führen, beobachten könnten, – ich bin überzeugt, der bloße Anblick dieser beiden Unglücklichen würde stärker auf Sie wirken als alles, was ich Ihnen zur Begründung meiner Absicht sagen kann. Ist es nicht meine heilige, natürliche Pflicht, für das Glück dieser siebenhundert Menschen zu sorgen, für die ich einst vor Gott werde Rechenschaft ablegen müssen? Ist es nicht Sünde, sie aus Genußsucht oder Ehrgeiz der Willkür roher Aufseher und Verwalter zu überlassen? Und warum sollte ich in einer andern Sphäre Gelegenheit suchen, nützlich zu sein und Gutes zu tun, wenn ich eine so edle, glänzende und nahe Pflicht vor mir sehe? Ich fühle mich befähigt, ein guter Landwirt zu werden: und um das so zu sein, wie ich es mir denke, bedarf es weder eines Kandidatendiploms noch eines hohen Ranges, wie Sie das so heiß für mich ersehnen. Liebes Tantchen, entwerfen Sie keine ehrgeizigen Pläne für mich, gewöhnen Sie sich an den Gedanken, daß ich meinen eigenen Weg gehe, einen ganz besonderen Weg, der jedoch gut ist und mich – ich fühle es – zum Glück führen wird. Ich habe viel, sehr viel über meine zukünftigen Pflichten nachgedacht, habe mir Grundsätze für mein Tun notiert, und wenn Gott mir nur Leben und Kraft verleiht, wird mein Vorhaben gelingen.

Zeigen Sie diesen Brief nicht meinem Bruder Waßja: ich fürchte seinen Spott; er ist gewöhnt, über mich zu herrschen, wie ich gewöhnt bin, mich ihm zu unterwerfen. Wanja dagegen wird meinen Entschluß, wenn auch nicht gutheißen, so doch verstehen.«

Die Gräfin antwortete mit folgendem, hier ebenfalls in Übersetzung wiedergegebenem französischen Briefe:

»Dein Brief, mein lieber Dmitrij, hat mir nichts anderes bewiesen, als daß du ein vortreffliches Herz hast, was ich auch nie bezweifelt habe. Aber, mein lieber Freund, unsere guten Eigenschaften schaden uns im Leben mehr als die schlechten. Ich will nicht davon sprechen, daß du eine Dummheit begehst, daß Dein Tun mich bekümmert, ich will mich bemühen, nur durch Überredung auf Dich zu wirken. Laß uns überlegen, mein Freund: Du sagst, Du fühlest den Beruf zum Landleben in Dir, Du wollest das Glück Deiner Bauern begründen und Du hoffest, ein guter Landwirt zu werden. Ich muß Dir darauf antworten: Erstens: Wir erkennen unsern Beruf erst dann, wenn wir uns schon einmal in ihm geirrt haben. Zweitens: Es ist leichter, sein eigenes Glück zu begründen als das anderer Leute. Drittens: Um ein guter Landwirt zu werden, muß man ein kalter und strenger Mensch sein, was Du wohl Dein Lebtag nicht sein wirst, obgleich Du Dich bemühst, so zu scheinen.

Du hältst Deine Ansichten für unwiderleglich und sogar für Lebensregeln; in meinem Alter aber, mein Freund, glaubt man nicht mehr an Ansichten und Regeln, sondern nur an die Erfahrung; und meine Erfahrung sagt mir, daß Deine Pläne – kindisch sind. Ich zähle bald fünfzig Jahre und habe schon viele ehrenwerte Männer kennen gelernt, aber noch nie habe ich gehört, daß ein junger Mann von Stand und Fähigkeiten sich in einem Dorfe vergraben hätte, unter dem Vorwande, Gutes zu tun. Du hast seit je ein Original sein wollen, aber Deine Originalität ist nichts anderes als übermäßige Eigenliebe. Mein Freund, wähle lieber ausgetretene Pfade: sie führen schneller zum Erfolge, und wenn Du auch den Erfolg als solchen verschmähst, so brauchst Du ihn doch unbedingt, um die Möglichkeit zu haben, Gutes zu tun, – und das willst Du doch.

Die Armut einiger Bauern ist ein notwendiges Übel, aber ein Übel, dem man abhelfen kann, ohne all' seine Pflichten gegen die Gesellschaft, gegen seine Verwandten und gegen sich selbst zu vergessen. Es gibt keine Karriere, in der Du mit Deinem Verstande, Deinem Herzen und Deiner Liebe zur Tugend keinen Erfolg haben würdest; aber wähle wenigstens eine, die Deiner würdig ist und Dir Ehre macht.

Ich glaube, daß Du aufrichtig bist, wenn Du mir sagst, Du habest keinen Ehrgeiz; aber Du betrügst Dich selbst. Ehrgeiz ist in Deinem Alter und bei Deinen Mitteln eine Tugend; er wird erst dann zum Fehler oder zur Albernheit, wenn der Mensch nicht mehr imstande ist, diese Leidenschaft zu befriedigen. Auch Du wirst das noch erfahren, wenn Du Deinen Entschluß nicht änderst. Lebe wohl, lieber Mitja! Mir ist, als liebte ich Dich noch inniger wegen Deines törichten, aber edlen und großherzigen Planes. Tu, was Du für richtig hältst, aber ich gestehe, daß ich Dir nicht zustimmen kann.«

Der junge Mann dachte lange über diesen Brief nach; endlich kam er zu dem Schluß, daß selbst eine geniale Frau sich irren könne, reichte sein Entlassungsgesuch an der Universität ein und blieb auf seinem Gute.


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