Leo N. Tolstoi
Glück der Ehe
Leo N. Tolstoi

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VII. Kapitel

Unsere Reise nach Petersburg, acht Tage in Moskau, seine und meine Verwandten, die Einrichtung in der neuen Wohnung, die fremden Umgebungen und Gesichter – alles ging wie im Traum vorüber. Alles war so neu und mannigfaltig, so heiter und warm, so durchleuchtet von seiner Gegenwart und seiner Liebe, daß mir das stille Landleben als etwas Längstvergangenes, Wesenloses erschien.

Zu meiner Überraschung fand ich, statt der Kälte und des Stolzes, die ich erwartete, bei Verwandten und Bekannten eine so freundliche, herzliche Aufnahme, daß es aussah, als ob sie auf mich gewartet hätten und meiner bedürften, um sich wohl zu fühlen. Überraschend war mir auch, in diesem Gesellschaftskreis, den ich für den besten hielt, viele Bekannte meines Mannes zu finden, von denen er mir nie etwas gesagt hatte, und seine strengen Urteile über einige dieser Menschen – die mir so vortrefflich erschienen – waren mir unverständlich und unangenehm. Ich konnte nicht begreifen, warum er so kalt gegen sie war und einige derselben, die mir sehr gut gefielen, zu vermeiden suchte. Mir schien es ein Gewinn, so viele gute Menschen wie nur möglich kennenzulernen – und hier waren alle gut.

»Höre, wie wir uns einrichten wollen«, hatte er mir gesagt, ehe wir unser Landgut verließen. »Hier bin ich ein kleiner Krösus, aber in Petersburg sind wir nichts weniger als reich. Wir dürfen daher nur bis Ostern dort bleiben und nicht in die große Welt gehen, um nicht in Geldverlegenheit zu kommen; auch deinetwegen möchte ich es nicht.«

»Wozu die große Welt?« antwortete ich. »Wir werden ins Theater gehen, deine Verwandten besuchen, gute Musik hören und noch vor Ostern zurückkehren.«

Als wir aber nach Petersburg kamen, waren diese Vorsätze vergessen. Ich befand mich plötzlich in einer so neuen, heiteren Welt, sah mich von so vielen Freunden, so vielen neuen Interessen umgeben, daß ich mich unbewußt von meiner ganzen Vergangenheit und allen damit zusammenhängenden Plänen lossagte. – Es war doch nur Scherz, es hat noch gar nicht begonnen; hier erst beginnt das wahre Leben! Und was wird noch kommen! dachte ich.

Die Unruhe und Schwermut, die mich auf dem Lande gequält hatten, verschwanden plötzlich, wie auf einen Zauberschlag. Die Liebe zu Sergej wurde ruhiger, und es fiel mir nicht mehr ein zu fragen, ob er mich vielleicht weniger liebe als sonst.

Übrigens hätte ich auch nicht an seiner Liebe zweifeln können; er verstand jeden meiner Gedanken, teilte jede meiner Empfindungen, erfüllte jeden meiner Wünsche. Seine Ruhe verschwand oder reizte mich nicht mehr. Und dann fühlte ich, daß hier zu seiner früheren Liebe für mich noch ein Gefühl der Bewunderung kam. Oft nach einem Besuch, einer neuen Bekanntschaft oder einem Abend bei uns, wo ich innerlich zitternd die Pflichten der Wirtin erfüllt hatte, sagte er zu meiner Freude: »Schön, mein Kind, schön! Nur Mut! Wirklich vortrefflich!« Und ich war sehr erfreut darüber.

Bald nach unserer Ankunft schrieb er einen Brief an seine Mutter, und als er mich rief, um die Nachschrift zu machen, wollte er mir nicht erlauben zu lesen, was er geschrieben hatte. Nun bestand ich natürlich darauf und las den Brief. Es hieß darin: »Sie würden Mascha kaum erkennen, und ich erkenne sie selbst nicht. Woher hat sie diese reizende, graziöse Sicherheit, Freundlichkeit, Weltgewandtheit und Liebenswürdigkeit? Dabei ist sie immer einfach, anmutig, gütig. Alle Welt ist von ihr entzückt; auch ich kann sie nicht genug bewundern, und wenn es möglich wäre, hätte ich sie noch lieber als bisher.«

So bin ich also! dachte ich, und ich wurde noch heiterer als früher, und es schien mir sogar, als ob ich ihn noch mehr liebte als sonst. Mein Erfolg bei allen Bekannten war etwas Unerwartetes für mich. Hier sollte ich dem Onkelchen, dort dem Tantchen den Kopf verdreht haben; der eine versicherte, ich hätte in ganz Petersburg nicht meinesgleichen, die andere meinte, ich brauche nur zu wollen, um die gefeiertste Frau der Gesellschaft zu werden. Vor allem verliebte sich eine Kusine meines Mannes, die Fürstin D., eine nicht mehr junge Weltdame, plötzlich in mich und sagte mir so viel Schmeicheleien, daß ich förmlich davon berauscht war.

Als sie mich zum erstenmal aufforderte, einen Ball mit ihr zu besuchen, und Sergej darum bat, wandte er sich mit kaum merkbarem Lächeln zu mir und fragte, ob ich Lust dazu hätte.

Ich nickte zum Zeichen der Einwilligung und fühlte, daß ich errötete.

»Wie eine Verbrecherin, die ihr Geständnis ablegt!« sagte er mit gutmütigem Lachen.

»Du meintest ja, wir könnten nicht in die große Welt gehen – und du hast es auch nicht gern«, antwortete ich, indem ich ihn flehend ansah.

»Wenn du es sehr wünschest, wollen wir hingehen.«

»Aber – es wäre vielleicht besser, es nicht zu tun?«

»Du möchtest gern?« fragte er wieder. Ich antwortete nicht.

»Die große Welt zu besuchen, ist kein Unglück«, fuhr er fort, »aber die Weltwünsche, die nicht befriedigt werden, die sind verderblich. Jedenfalls müssen und werden wir hingehen«, fügte er hinzu.

»Die Wahrheit zu gestehen«, sagte ich, »im ganzen Leben habe ich nie etwas so gewünscht, wie diesen Ball zu besuchen.«

Wir gingen hin, und das Vergnügen, das ich dort fand, übertraf alle meine Erwartungen. Auf diesem Ball hatte ich noch mehr als sonst das Gefühl, der Mittelpunkt zu sein, um den sich alles bewegte. Nur für mich war dieser große Saal erleuchtet, erklang die Musik und waren alle diese Menschen versammelt, die sich mit mir freuten. Alle – von meinem Friseur und meinem Kammermädchen an bis zu meinen Tänzern und den alten Herren, die durch den Saal gingen – gaben mir zu verstehen, daß ich ihnen gefiel. Das allgemeine Urteil auf dem Ball, das ich durch die Kusine wieder erfuhr, war, daß ich den anderen Frauen durchaus nicht ähnlich wäre sondern etwas Eigentümliches, Einfaches, ländlich Frisches in meinem Wesen hätte.

Ich fühlte mich durch diesen Erfolg so geschmeichelt, daß ich Sergej offen sagte, wie gern ich in diesem Jahre noch zwei, drei Bälle besuchen möchte.

»Damit soll es dann genug sein, dann bin ich satt!« fügte ich hinzu, sagte damit aber nicht meine aufrichtige Meinung.

Sergej ging bereitwillig auf meine Wünsche ein, begleitete mich die erste Zeit mit sichtlichem Vergnügen, freute sich an meinen Erfolgen und schien völlig vergessen zu haben, was er früher gesagt hatte, oder anderen Sinnes geworden zu sein.

Nach und nach fing er jedoch an, sich zu langweilen und die Lebensweise, die wir führten, unbequem zu finden. Ich kümmerte mich nicht darum, und wenn ich zuweilen seinen forschenden, ernsten, fragenden Blick auf mich gerichtet fühlte, wollte ich dessen Bedeutung nicht verstehen. Ich war so trunken von der aufregenden Zuneigung, die mir von allen Seiten entgegenkam, so glückselig in dieser Luft des Schönen, der Freude, der Abwechslung, in der ich hier zum erstenmal atmete, daß sein moralischer Einfluß, der mich bis dahin beherrscht hatte, plötzlich nachließ. In dieser großen Welt fühlte ich mich Sergej nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, aber gerade darum liebte ich ihn noch mehr und noch bewußter als früher.

Alles, was mich umgab, war mir so erfreulich, daß ich nicht begreifen konnte, was er Unangenehmes für mich darin finden konnte. Wenn ich in den Ballsaal trat und aller Augen auf mich gerichtet sah, kam ein mir neues Gefühl des Stolzes und der Selbstzufriedenheit über mich. Er dagegen – als ob er sich schämte, vor der Menge zu zeigen, daß er mich besaß – beeilte sich, mich zu verlassen, und verlor sich in der schwarzen Schar der Fräcke.

Warte nur! dachte ich oft, während ich ihm mit den Augen bis ans Ende des Saales folgte. Warte nur, wenn wir nach Hause kommen, sollst du einsehen, für wen ich mich bemühe, schön und glänzend zu sein, und wen ich unter allen denen liebe, die mich an diesem Abend umringt haben.

Ich glaubte aufrichtig, daß mich meine Erfolge nur seinetwegen freuten und daß ich nach ihnen nur strebte, um sie ihm darzubringen. Als eine Gefahr des Weltlebens konnte ich mir die Möglichkeit denken, daß ich mich in einen der mir begegnenden Männer verliebte und mein Mann eifersüchtig würde. Aber er glaubte so fest an mich, schien so ruhig und kaltblütig und alle diese jungen Leute schienen mir so unbedeutend im Vergleich mit ihm, daß auch diese meiner Ansicht nach einzige Gefahr in nichts versank. Ich kann aber nicht leugnen, daß mir die Aufmerksamkeiten, die mir in der Gesellschaft zuteil wurden, Vergnügen gewährten, daß sie meiner Eigenliebe schmeichelten, mich dazu brachten, Sergej Michailowitsch meine Liebe als ein Verdienst anzurechnen, und mich in meinem Benehmen gegen ihn zuversichtlicher und nachlässiger machten.

»Oh, ich habe wohl gesehen, daß du sehr lebhaft mit der N. N. gesprochen hast!« sagte ich, als wir eines Morgens vom Ball zurückkamen, indem ich ihm mit dem Finger drohte. Die Dame, die ich genannt hatte, war eine in Petersburg sehr bekannte Frau, mit der er sich wirklich unterhalten hatte. Meine Absicht war, ihn etwas aufzustacheln, denn er war besonders schweigsam und düster.

»Ach, Mascha, was soll das? Wie kannst du so mit mir sprechen?« sagte er durch die Zähne und verzog das Gesicht wie in körperlichem Schmerz. »Das paßt weder für dich noch für mich! Laß das den anderen, dieser falsche Ton kann uns den echten nur verderben; hat es schon getan. Aber ich hoffe noch immer, daß wir den echten wiederfinden.«

Ich schämte mich und schwieg.

»Sollen wir nach Hause zurückkehren, Mascha, was meinst du?« fragte er.

»Der echte Ton ist uns nicht verdorben und kann niemals verdorben werden«, sagte ich, und damals glaubte ich das wirklich.

»Das gebe Gott!« antwortete er. »Sonst – sonst wär's die höchste Zeit, aufs Land zu gehen.«

Er sagte dies nur das eine Mal; die übrige Zeit erschien er mir ebenso gut gestimmt wie ich selbst, und ich war heiter und sorglos.

»Wenn es ihm jetzt auch etwas langweilig wird«, tröstete ich mich selbst, »so habe ich mich ja auch um seinetwillen auf dem Lande gelangweilt, und wenn sich unsere Beziehungen etwas geändert haben, so kommt doch alles wieder ins alte Geleise, wenn wir diesen Sommer bei Tatjana Simonowna in unserem Heim in Nikolski sind.«

*

Überraschend schnell ging der Winter für mich vorüber, und gegen unsere Absicht brachten wir auch noch das Osterfest in Petersburg zu. In der Woche nach dem Fest, als wir zur Abreise fertig waren, gepackt hatten und mein Mann, nachdem er Geschenke, Kleider, Blumen für unsere Hausgenossen eingekauft hatte, in besonders sanfter und heiterer Stimmung war, erschien plötzlich die Kusine und bat uns dringend, bis Sonnabend zu bleiben und noch den Empfang der Gräfin R. zu besuchen.

Die Gräfin, sagte sie, lasse mich sehr darum bitten, denn Prinz M., der damals in Petersburg war und mich auf dem letzten Ball kennengelernt hatte, wolle nur meinetwegen den Empfang besuchen und habe gesagt, ich sei die schönste Frau in Rußland. Ganz Petersburg würde dort bei der Gräfin sein – kurzum, es hätte weder Sinn noch Verstand, wenn ich nicht hinkäme.

Sergej befand sich am anderen Ende des Saales, wo er mit jemandem sprach.

»Nun, Marie? Kommen Sie?« fragte die Kusine.

»Wir wollten übermorgen heimreisen«, antwortete ich unentschlossen, indem ich meinen Mann ansah. Unsere Augen begegneten sich, und er drehte sich rasch zur Seite.

»Ich werde ihn bereden, noch zu bleiben«, sagte die Kusine, »und Sonnabend kommen Sie, um allen die Köpfe zu verdrehen, ja?«

»Das würde unsere Pläne zerstören, und wir haben alles eingepackt«, antwortete ich, schon sehr geneigt nachzugeben.

»Könnte sie denn nicht schon heute abend den Prinzen sehen?« rief Sergej vom anderen Ende des Saales mit einer Aufregung, die ich früher nie an ihm bemerkt hatte und die er nur mühsam unterdrückte.

»Ach, er ist eifersüchtig! Das sehe ich ja zum erstenmal!« rief die Kusine lachend aus. »Es handelt sich übrigens nicht um den Prinzen, Sergej Michailowitsch, um unser aller willen rede ich ihr zu, und die Gräfin R. wünscht so sehr, daß sie kommt.«

»Es hängt von ihr ab«, gab er kalt zur Antwort und ging hinaus.

Ich sah, daß er ungewöhnlich aufgeregt war. Das beunruhigte mich, und ich gab der Kusine kein Versprechen.

Sobald sie fort war, begab ich mich zu meinem Manne. Er ging mit nachdenklicher Miene hin und her und sah nicht und hörte nicht, als ich auf den Zehenspitzen ins Zimmer trat. – Er denkt an sein liebes Nikolski, sagte ich zu mir selbst, während ich ihn ansah, und an den Morgentee im hellen Saale, an seine Felder, seine Bauern, an die Abendstunden im Diwanzimmer und unsere geheimen Soupers. Nein nein, alle Bälle der Welt und die Schmeicheleien aller Prinzen der Erde gebe ich für seine freudige Verwirrung und seine stille Zärtlichkeit.

Ich war im Begriff, ihm zu sagen, daß ich den Empfang nicht besuchen würde, da ich keine Lust dazu hätte, als er plötzlich aufsah und bei meinem Anblick die Stirn runzelte. Der sanfte, nachdenkliche Gesichtsausdruck war verschwunden, und in seinem Blick lag wieder etwas Forschendes, Überlegenes, Gönnerhaftes. Er wollte also nicht, daß ich ihn als einfachen Menschen ansähe, wollte immer als Halbgott auf einem Piedestal vor mir stehen!

»Was willst du, meine Liebe?« fragte er, indem er sich gleichgültig und nachlässig zu mir umdrehte.

Ich antwortete nicht. Mich ärgerte, daß er sich verstellte, sich nicht so zeigen wollte, wie ich ihn liebte.

»Du willst Sonnabend zu dem Empfang gehen?« fragte er.

»Ich möchte wohl«, antwortete ich, »aber es ist dir nicht angenehm. Es ist ja auch alles eingepackt«, fügte ich hinzu.

Noch nie hatte er mich so kalt angesehen, so kalt mit mir gesprochen.

»Ich reise nicht vor Dienstag und werde befehlen, wieder auszupacken«, sagte er. »Du kannst also hingehen, wenn du Lust hast. Sei so gut und gehe hin. Ich reise nicht.«

Wie immer, wenn er aufgeregt war, fing er an, mit ungleichen Schritten im Zimmer umherzugehen, und sah mich nicht an.

»Ich verstehe dich wirklich nicht!« sagte ich, indem ich stehenblieb und ihm mit den Augen folgte. »Du behauptest, immer friedfertig zu sein (er hatte das nie behauptet), warum sprichst du denn so sonderbar mit mir? Ich bin bereit, dir mein Vergnügen zu opfern, und du verlangst mit einer Ironie, die ich noch nie bei dir bemerkt habe, daß ich hingehen soll.«

»Nun gut! Du bringst mir ein Opfer (er betonte das letzte Wort) und ich dir. Was willst du mehr? Ein Wettstreit der Großmut! Gibt es ein größeres Eheglück?«

Es war das erste Mal, daß ich solche lieblosen, spöttischen Worte von ihm hörte; aber sein Spott beschämte mich nicht, er reizte mich nur, und seine Härte erschreckte mich nicht, sondern ging auf mich über.

Sagt er das, der sich immer vor einer Phrase zwischen uns scheute, der immer aufrichtig und einfach sein wollte? Und warum? Weil ich ihm ein Vergnügen opfern wollte, das mir nicht als etwas Unrechtes erschien, und weil ich ihm das offen und liebevoll sagte? Wir hatten unsere Rollen vertauscht: er vermied ein offenes Aussprechen, und ich suchte es.

»Du hast dich sehr verändert«, sagte ich mit einem Seufzer. »Was ist es denn, das du mir zum Vorwurf machst? Der Empfang ist es nicht, du hast etwas anderes, Älteres gegen mich auf dem Herzen. Warum dieser Mangel an Aufrichtigkeit, der dir früher so verderblich schien? Sage doch gerade heraus, was du gegen mich hast!«

Was wird er antworten? dachte ich und erinnerte mich voll Selbstzufriedenheit, daß er mir im Laufe des ganzen Winters nicht die geringste Schuld nachweisen konnte.

Während ich mit ihm sprach, trat ich in die Mitte des Zimmers, so daß er dicht an mir vorbeigehen mußte, und sah ihn an. – Er wird kommen, wird mich umarmen, und dann ist alles gut, dachte ich und bedauerte schon, daß ich keine Gelegenheit haben würde, ihm zu beweisen, wie unrecht er mir tat. Aber er blieb am Ende des Zimmers stehen und sah mich an.

»Du begreifst noch immer nicht?« sagte er.

»Nein!«

»Nun, so laß dir sagen, daß mir, was ich fühle, ekelhaft ist – zum erstenmal im Leben ekelhaft, und doch bin ich nicht imstande, dieses Gefühl zu unterdrücken.«

Er blieb wieder stehen, sichtlich selbst betroffen von dem rauhen Ton seiner Stimme.

»Was willst du damit sagen?« fragte ich mit Tränen des Unwillens.

»Es ist mir ekelhaft, daß der Prinz dich hübsch gefunden hat und daß du ihm darum nachläufst – und darüber deinen Mann und dich selbst und die Würde der Frau vergißt und nicht begreifen willst, was dein Mann deinetwegen empfinden muß, wenn in dir selbst kein Gefühl der eigenen Würde lebt. Im Gegenteil, du erlaubst dir, deinem Manne zu sagen, daß du bereit bist, ihm ein Opfer zu bringen, was doch nichts anderes heißt als: es wäre zwar ein großes Glück für mich, wenn ich mich Sr. kaiserlichen Hoheit zeigen könnte. Aber ich will dir dieses Glück zum Opfer bringen.«

Er wurde immer heftiger, je länger er sprach. Die eigene Stimme, die böse, hart und rauh klang, schien ihn aufzuregen. Nie hatte ich ihn so gesehen und hätte nie erwartet, daß er so sein könnte. Sein Gesicht glühte. Das Blut drang mir zum Herzen, ich fürchtete mich vor ihm; aber das Gefühl unverdienter Schmach und beleidigter Eigenliebe stachelte mich an, und ich wollte mich rächen.

»Ich habe das längst erwartet!« sagte ich. »Sprich nur – sprich . . .«

»Was du erwartet hast, weiß ich nicht«, fuhr er fort, »ich aber mußte das Schlimmste erwarten, seit ich dich Tag für Tag in diesem Schmutz, dieser Leere, diesem Luxus, dieser albernen Gesellschaft sehe. Und ich habe es erwartet – habe erwartet, daß ich mich zu schämen haben würde, wie es heute der Fall ist, und in tiefster Seele verletzt würde. Ja, es ist mir weh zumute, sehr wehe! Deine Freundin erlaubt sich, mir mit ihren schmutzigen Händen ans Herz zu greifen und von Eifersucht zu sprechen – von meiner Eifersucht – und auf wen? Auf einen Menschen, den ich so wenig kenne wie du. Aber du willst mich absichtlich nicht verstehen, willst mir ein Opfer bringen! Ich schäme mich deinetwegen, deiner Erniedrigung schäme ich mich – ein Opfer«, wiederholte er.

Das also ist die Überlegenheit des Mannes! dachte ich: die Frau, die nichts getan hat, beleidigen und demütigen, dazu also hat er das Recht! Aber ich will mich nicht beugen.

»Nein, ich bringe dir kein Opfer!« sagte ich und fühlte, wie sich meine Nasenflügel dehnten und mir das Blut aus dem Gesicht wich. »Ich werde Sonnabend den Empfang besuchen, werde unter allen Umständen hingehen!«

»Ich wünsche dir viel Vergnügen!« schrie er zornig. »Zwischen uns aber ist alles zu Ende – du sollst mich nicht länger quälen. Ich war ein Tor, daß ich . . .« Seine Lippen zitterten, und mit absichtlicher Anstrengung zwang er sich, nicht auszusprechen, was er hatte sagen wollen.

Ich fürchtete und haßte ihn in diesem Augenblick. Wie gern hätte ich ihm noch mancherlei gesagt, mich für seine Beleidigungen gerächt; aber wenn ich jetzt zu sprechen versuchte, mußte ich fürchten, in Tränen auszubrechen, und das wäre mir ihm gegenüber wie eine Demütigung erschienen.

Schweigend verließ ich das Zimmer. Kaum aber hörte ich seine Schritte nicht mehr, als ich vor dem, was geschehen war, erschauderte. Mich beschlich die Furcht, daß wirklich das mich beglückende Band auf ewig zerrissen sein könnte.

Einen Augenblick war ich im Begriff, zu ihm zurückzukehren. Aber dann fragte ich mich: Ob er sich wohl genug beruhigt hat, um mich zu verstehen, wenn ich ihm schweigend die Hand reiche und ihn ansehe? Wird er meine Großmut erkennen? Was aber, wenn er meine Traurigkeit für Verstellung hält oder meine Reue, im Bewußtsein seines Rechts, mit stolzer Ruhe hinnimmt und mir gnädig verzeiht? Und warum, warum? Wie ist's möglich, daß er, den ich so sehr geliebt habe, mich so grausam beleidigt?

Ich ging nicht zu ihm, sondern in mein Zimmer, wo ich lange einsam sitzen blieb, weinte und mich mit Grauen an jedes Wort des eben stattgefundenen Gesprächs erinnerte und die bösen Ausdrücke unwillkürlich mit anderen, sanften, freundlichen vertauschte, bis mir plötzlich wieder einfiel, wie schwer er mich gekränkt hatte und wie es zwischen uns stand.

*

Als ich mich abends an den Teetisch begab, wo S. mit meinem Manne erschien, fühlte ich, daß sich eine Kluft zwischen uns aufgetan hatte. S. fragte mich, wann wir zu reisen gedächten; ich hatte jedoch nicht Zeit zu antworten, so schnell fiel Sergej Michailowitsch ein.

»Dienstag«, sagte er, »wir gehen noch zum Empfang der Gräfin R. Du gehst doch?« wandte er sich zu mir.

Ich erschrak vor dem gleichgültigen Ton seiner Stimme und sah schüchtern zu ihm auf. Seine Augen waren fest auf mich gerichtet, böse und spöttisch. Er sprach ausdruckslos und kalt.

»Ja«, antwortete ich.

Abends, als wir allein waren, trat er zu mir und bot mir die Hand.

»Bitte, vergiß, was ich dir gesagt habe«, fing er an.

Ich nahm seine Hand; ein zitterndes Lächeln zuckte über mein Gesicht, und die Tränen wollten mir aus den Augen fließen; aber er zog die Hand wieder weg und setzte sich, als ob er eine empfindsame Szene fürchtete, ziemlich entfernt von mir in einen Lehnstuhl.

Ist's möglich, daß er sich noch immer im Recht glaubt? dachte ich, und meine beabsichtigte Erklärung, daß ich nicht auf den Empfang gehen wolle, blieb unausgesprochen.

»Es muß der Mutter geschrieben werden, daß wir unsere Abreise verschoben haben«, sagte er, »sie ängstigt sich sonst.«

»Und wann gedenkst du abzureisen?« fragte ich.

»Am Dienstag nach dem Empfang«, antwortete er.

»Ich hoffe, daß das nicht um meinetwillen geschieht«, sagte ich, indem ich ihm ins Gesicht sah. Aber er starrte mich mit verschleierten Augen an, die mir nichts sagten, und er schien mir plötzlich alt und unangenehm.

*

Wir fuhren zu dem Empfang. Unsere Beziehungen schienen wieder gut und freundlich zu sein, aber sie waren ganz anders als früher.

Auf dem Empfang saß ich zwischen den übrigen Damen, als der Prinz sich mir näherte, so daß ich gezwungen war, aufzustehen, um mit ihm zu sprechen. Während ich mich erhob, sah ich mich unwillkürlich nach Sergej Michailowitsch um und bemerkte, daß er mich am anderen Ende des Saales beobachtete und sich abwandte. Ich schämte mich plötzlich, und es war mir unangenehm, daß ich in Verwirrung kam und unter den Blicken des Prinzen errötete; aber ich mußte stehen bleiben und anhören, was er mir sagte, während er mich von oben herunter betrachtete.

Unsere Unterhaltung dauerte nicht lange. Er hatte keinen Platz, sich neben mich zu setzen, und fühlte wahrscheinlich, daß mir unbehaglich zumute war. Das Gespräch drehte sich um den letzten Ball. Dann fragte er, wo ich den Sommer verleben würde usw. Als er sich von mir entfernte, sprach er den Wunsch aus, meinen Mann kennenzulernen, und ich sah, daß sie am anderen Ende des Saales zusammentrafen und miteinander sprachen. Der Prinz schien etwas über mich zu sagen, denn mitten im Gespräch sah er sich nach der Seite um, wo ich saß. Sergej wurde plötzlich dunkelrot, grüßte tief und verließ den Prinzen.

Was mußte der Prinz von mir und besonders von meinem Manne denken? Ich errötete ebenfalls, schämte mich und war überzeugt, daß alle Anwesenden sowohl mein Unbehagen dem Prinzen gegenüber als auch das sonderbare Benehmen meines Mannes bemerkt hatten. Gott weiß, was sie darüber dachten; vielleicht ahnten sie sogar etwas von unseren Zwistigkeiten.

Die Kusine brachte mich in ihrem Wagen nach Hause. Unterwegs sprachen wir von meinem Manne; ich hielt es nicht aus und erzählte ihr, was wegen dieses unglücklichen Empfangs zwischen uns vorgefallen war. Sie suchte mich zu beruhigen, sagte, das wäre eine unbedeutende Zwistigkeit, wie sie in jeder Ehe vorkäme, und würde keine Spuren hinterlassen. Dann erklärte sie mir von ihrem Standpunkt aus den Charakter meines Mannes und fand, daß er verschlossen und stolz geworden sei. Ich stimmte ihr zu, und es kam mir vor, als ob ich anfinge, ihn besser zu verstehen und ruhiger zu beurteilen. Nachher aber, als ich wieder mit ihm allein war, lag mir dieses Urteilen über ihn wie ein Verbrechen auf dem Gewissen, und ich fühlte, daß die Kluft, die uns trennte, noch größer geworden war.


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