Leo N. Tolstoj
Anna Karenina. Erster Band
Leo N. Tolstoj

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7.

An der Eingangsthür wurden abermals Schritte vernehmbar und die Fürstin Bezzy, welche erkannte, daß dies die Karenina sei, blickte auf Wronskiy.

Dieser schaute nach der Thür und sein Gesicht nahm einen seltsam neuen Ausdruck an. Er blickte erfreut, starr und zugleich schüchtern geworden auf die Eingetretene und erhob sich langsam. Im Salon erschien niemand anders als Anna Karenina.

Wie stets mit außerordentlich gerader Haltung, die Richtung des Blickes in nichts verändernd, legte sie mit jenem schnellen, festen und gewandten Schritt, durch welchen sie sich vor den übrigen Damen der großen Welt auszeichnete, die wenigen Schritte zurück, die sie von der Dame des Hauses trennten, drückte dieser die Hand, lächelte und blickte mit dem nämlichen Lächeln auch nach Wronskiy.

Dieser verbeugte sich rief und schob ihr einen Sessel zu.

Sie dankte nur mit einer Verneigung des Hauptes, errötete aber und wurde finster, wandte sich indes gleich darauf, ihren Bekannten flüchtig zunickend und ihnen die dargereichten Hände drückend, an die Fürstin Bezzy.

»Ich war bei der Gräfin Lydia und wollte eigentlich früher kommen, allein ich habe mich im Sitzen dort verspätet. Sir John war bei ihr; er ist ein sehr interessanter Mann.«

»Ah, ist das nicht jener Missionar?«

»Ja wohl; er erzählt sehr fesselnd vom indischen Leben.«

Die allgemeine Unterhaltung, von der Ankunft des Gastes unterbrochen gewesen, flackerte jetzt wieder auf wie das Licht einer ausgeblasenen Lampe.

»Sir John! Ja, Sir John! Ich habe ihn gesehen, er spricht sehr gut. Die Wlasjewa ist vollständig vernarrt in ihn.«

»Ist es denn wahr, daß die Wlasjewa, die jüngere, den Topoff heiraten wird?«

»Man sagt, es sei völlig sicher.«

»Ich wundere mich über die Eltern. Man sagt, diese Ehe werde aus Liebe geschlossen?«

»Aus Liebe? Was sind das für antediluvianische Ideen, die Ihr da habt? Wer spricht heute noch von Liebe?« äußerte die Frau des Gesandten.

»Was ist zu thun? Diese alte dumme Mode ist noch immer nicht abgeschafft,« sagte Wronskiy.

»Um so schlimmer für diejenigen, welche sich noch von ihr beherrschen lassen. Ich kenne glückliche Ehen, die nur vernunftgemäß geschlossen worden sind.«

»Mag sein, aber auch im Gegenteil; wie häufig verfliegt das Glück der Vernunftehen gleich dem Staub, besonders dadurch, daß sich eben jene Leidenschaft plötzlich zeigt, die wir nicht anerkannt haben,« sagte Wronskiy.

»Aber Vernunftehen nennen wir die, welche nur von Leuten geschlossen werden, die sich im Leben ausgetobt haben. Es ist hier wie mit dem Scharlachfieber, man muß eben erst hindurch sein.«

»Dann muß man eben lernen die Liebe künstlich abzuimpfen, wie die Pockenkrankheit.«

»In meiner Jugend war ich einmal in einen Kurrendesänger verliebt,« sagte die Fürstin Mjagkaja, ich weiß aber wirklich nicht, ob es mir etwas genützt hat.«

»Nein, ohne Scherz, ich glaube, daß man, um die Liebe zu erkennen, sich erst in ihr täuschen muß um sich dann zu bessern,« sagte die Fürstin Bezzy.

»Auch noch nach der Heirat?« frug scherzend die Frau des Gesandten.

»Man kann nie zu spät Reue empfinden,« sagte der Diplomat in einem englischen Sprichwort.

»Das ist es eben,« rief Bezzy, »man muß sich bessern, wenn man geirrt hat. Wie denkt Ihr darüber?« wandte sie sich an Anna, die mit kaum bemerkbarem, kaltem Lächeln auf den Lippen, dem Gespräch schweigend zugehört hatte.

»Ich denke,« antwortete Anna, mit dem abgestreiften Handschuh spielend, »ich denke wie viel Köpfe, so viel Sinne und ebenfalls, wie viel Herzen so viel Arten von Liebe.«

Wronskiy hatte Anna angeblickt und in höchster Spannung erwartet, was sie sagen würde. Jetzt seufzte er auf wie nach einer überstandenen Gefahr, als sie diese Worte gesprochen hatte.

Anna wandte sich plötzlich an ihn.

»Ich habe ein Schreiben von Moskau erhalten. Man schreibt mir, daß Kity Schtscherbazkaja sehr krank ist.«

»Sollte es möglich sein?« antwortete Wronskiy finster werdend.

Anna blickte ihn streng an.

»Interessiert Euch dies nicht?«

»Im Gegenteil, außerordentlich. Was schreibt man Euch denn, wenn die Frage erlaubt ist?« frug er.

Anna stand auf und trat zu Bezzy.

»Gebt mir doch eine Schale Thee,« sagte sie, hinter deren Stuhl stehen bleibend.

Während Bezzy ihr den Thee eingoß, ging Wronskiy zu Anna hin.

»Was schreibt man Euch?« wiederholte er.

»Ich denke oft, daß die Männer gar nicht erkennen, was unedel ist, und doch stets hiervon sprechen,« sagte Anna, ohne Wronskiy zu antworten. »Ich wollte Euch das schon lange mitteilen,« fügte sie alsdann hinzu, einige Schritte weiter gehend und sich an einen Ecktisch mit Albums setzend.

»Die Bedeutung Eurer Worte verstehe ich nicht ganz.« versetzte er, ihr die Schale reichend.

Sie blickte auf den Diwan neben sich und er ließ sich sogleich auf demselben nieder.

»Ja, ich wollte Euch sagen,« fuhr sie fort, ohne ihn anzusehen, »daß Ihr schlecht gehandelt habt, schlecht, sehr schlecht.«

»Weiß ich etwa nicht selbst, daß ich unrecht gethan habe? Aber wer war die Ursache, daß ich so handelte?«

»Weshalb sagt Ihr mir dies?« frug sie ihn streng anblickend.

»Ihr wißt es, weshalb,« versetzte er kühn und freudig, ihrem Blick begegnend und ohne die Augen zu senken.

Nicht er, sondern sie geriet in Verwirrung.

»Dies sagt mir nur das Eine, daß Ihr kein Herz habt,« sagte sie, aber der Blick ihrer Augen zeugte davon, daß sie wisse, er besitze ein Herz, und daß sie sich vor diesem Herzen fürchte.

»Wovon Ihr soeben sprecht, das war nur ein Irrtum, keine Liebe gewesen.«

»Ihr wißt, daß ich Euch verboten habe, dieses Wort auszusprechen; es ist ein häßliches Wort,« sagte Anna erschreckend; sogleich aber empfand sie, daß sie mit diesem einen Worte des »Verbietens« gezeigt hatte, sie räume sich selbst gewisse Rechte über ihn ein, und dies mußte ihn nur noch mehr ermutigen, von Liebe zu ihr zu sprechen. »Ich wollte Euch dies schon längst sagen,« fuhr sie fort, ihm entschlossen ins Auge blickend, während ihr Gesicht sich mit glühendem Purpur bedeckte, »heute bin ich mit bestimmtem Vorsatz hierher gekommen, da ich wußte, ich würde Euch hier antreffen. Ich bin gekommen, Euch zu sagen, daß dies ein Ende nehmen muß. Ich habe nie vor jemand erröten müssen, Ihr aber bringt mich so weit, daß ich mich vor mir selber schuldig fühlen muß.«

Er blickte sie an und war überrascht von dieser neuen, durchgeistigten Schönheit ihres Gesichts.

»Was wollt Ihr aber von mir?« sagte er dann einfach und ernst.

»Ich will, daß Ihr wieder nach Moskau fahrt und Kity um Verzeihung bittet,« antwortete sie.

»Ihr selbst wollt dies nicht.«

Er erkannte wohl, daß sie ihm dies sagte, weil sie sich selbst zwang nicht das auszusprechen, was sie vielleicht wünschte.

»Wenn Ihr mich liebt, wie Ihr sagt,« flüsterte sie, »so thut es, damit ich ruhig werde.«

Sein Gesicht leuchtete auf.

»Als ob Ihr nicht wüßtet, daß Ihr für mich das ganze Leben seid. Aber Beruhigung verstehe ich Euch nicht zu geben und so kann ich sie Euch also auch nicht geben. Aber mich selbst, meine Liebe – ja. Ich kann an Euch und mich nicht gesondert denken; und Ihr und ich sind beide für mich eins. Daher sehe ich von vornherein weder eine Ruhe für mich selbst, noch für Euch. Ich sehe nur die Möglichkeit einer künftigen Verzweiflung, eines Unglücks, oder die Möglichkeit eines Glückes – ach, welches Glückes! Ist dieses aber unmöglich?« fügte er hinzu, nur die Lippen leise bewegend. Sie verstand ihn aber.

Alle Kräfte ihres Geistes strengte sie an, um zu sagen, was sie sagen mußte, aber anstatt dessen heftete sie nur einen Blick auf ihn, der voll von Liebe war – und brachte kein Wort hervor.

»Da haben wir's!« jubelte Wronskiy innerlich. »Gerade, als ich schon den Mut verlor und als es schien, daß kein Erfolg mehr zu hoffen sei, – da haben wir's. Sie liebt mich. Sie gesteht es ein!«

»So thut es doch um meinetwillen und sprecht nie mehr solche Worte zu mir. Wir wollen gute Freunde sein,« sprach sie, während ihr Auge ganz anderes kündete.

»Freunde können wir nicht sein, das wißt Ihr selbst. Aber wir werden die glücklichsten oder die unglücklichsten unter den Menschen sein, und dies liegt in Eurer Macht.«

Sie wollte etwas erwidern, doch er unterbrach sie.

»Ich bitte freilich nur um eins, ich bitte um das Recht, hoffen zu dürfen in Qualen, wie jetzt; wenn dies aber nicht möglich ist, so befehlt mir zu verschwinden und ich werde verschwinden. Ihr werdet mich dann nicht mehr sehen, sobald Euch meine Gegenwart lästig ist.«

»Ich will Euch nicht vertreiben.«

»Aber dann ändert Euch nicht in dieser Absicht, laßt alles so, wie es ist,« sagte er mit bebender Stimme. »Dort kommt Euer Gatte« –

In der That trat in diesem Augenblick Aleksey Aleksandrowitsch mit seinem gleichgültigen ungeschickten Gang in den Salon.

Nachdem er seine Frau und Wronskiy gemustert hatte, schritt er zu der Dame des Hauses hin und begann, sich niedersetzend, und eine Schale Thee nehmend, mit seiner unbewegten, stets vernehmbaren Stimme in seinem gewohnten launigen Tone mit dieser zu reden, über irgend jemand scherzend.

»Euer Abend ist ja recht gut besetzt,« sagte er, die Gesellschaft überblickend, »lauter Grazien und Musen.«

Die Fürstin Bezzy vermochte indes diesen Ton seiner Rede nicht zu ertragen weil er sneering war, wie sie ihn nannte, und als kluge Frau brachte sie ihn sogleich auf ein ernstes Thema über die allgemeine Wehrpflicht.

Aleksey Aleksandrowitsch ließ sich sofort auf das Gespräch ein und begann mit großem Ernste die neue Verordnung vor der Fürstin Bezzy zu verteidigen, welche ihm opponierte.

Wronskiy und Anna blieben an dem kleinen Ecktisch sitzen.

»Aber das ist doch gegen den Anstand,« zischelte eine der Damen, mit den Augen nach der Karenina sowie nach Wronskiy und Annas Gatten hinweisend.

»Was habe ich Euch gesagt?« antwortete die Freundin Annas.

Aber nicht nur allein diese Damen, sondern fast alle, welche im Salon waren und auch die Fürstin Mjagkaja, sowie Bezzy selbst, blickten mehrmals auf die entfernt von dem gemeinschaftlichen Kreis befindlichen Zwei, als ob dies störend einwirkte.

Aleksey Aleksandrowitsch war der einzige, der den Blick auch nicht einmal nach jener Seite wandte und von dem begonnenen, interessanten Gespräch nicht abgelenkt wurde.

Als die Fürstin Bezzy den unangenehmen Eindruck bemerkte, der bei jedermann hervorgerufen zu sein schien, zog sie eine andere Persönlichkeit auf ihren Platz zur Weiterführung des Gesprächs mit Aleksey Aleksandrowitsch und begab sich zu Anna.

»Ich bin stets erstaunt über die Klarheit und Präcision der Ausdrucksweise Eures Gatten,« sagte sie. »Die transcendentesten Begriffe werden mir klar, wenn er spricht.«

»O ja,« antwortete Anna, von einem Lächeln des Glückes strahlend und ohne ein Wort von dem vernommen zu haben, was Bezzy zu ihr gesagt hatte.

Sie schritt zu der großen Tafel und beteiligte sich nun an der gemeinsamen Unterhaltung.

Aleksey Aleksandrowitsch trat, nachdem er etwa eine halbe Stunde verweilt hatte, zu seiner Gattin und schlug ihr vor, gemeinschaftlich heimzukehren, sie antwortete ihm jedoch, ohne ihn anzublicken, daß sie zum Abendessen bleiben werde.

Aleksey Aleksandrowitsch verabschiedete sich und ging.

Der Kutscher der Karenina, ein alter dicker Tatar, in glänzendem Lederkittel hielt nur mit Mühe noch das durchfrorene Handpferd, einen Grauschimmel, welcher sich vor der Einfahrt bäumte. Ein Diener öffnete die innere Thür. Der Portier stand an dem Außenthor.

Anna Arkadjewna nestelte mit ihrer kleinen gewandten Hand die Spitzen ihres Ärmels von einem Häkchen im Pelz los und lauschte dabei, das Köpfchen beugend, mit Entzücken den Worten die Wronskiy, der sie begleitete, sprach.

»Ihr habt doch nichts gesagt, nehme ich an. Ich fordere ja auch nichts,« sagte er, »aber Ihr wißt, daß ich nicht der Freundschaft nur bedürftig bin, für mich ist nur ein einziges Glück im Leben möglich, und dies ist das Wort, welches Euch so verhaßt ist, das Wort ›Liebe‹«.

»Liebe,« wiederholte sie langsam, mit innerlich klingender Stimme und fügte dann plötzlich, gerade, als sie die Spitze gelöst hatte, hinzu: »Ich liebe dieses Wort aus dem Grunde nicht, weil es für mich zuviel bedeutet, bei weitem mehr, als Ihr begreifen könnt,« sie blickte ihm ins Antlitz.

»Auf Wiedersehen.«

Sie reichte ihm die Hand, ging mit schnellem elastischem Schritte an dem Portier vorüber und verschwand in ihrem Coupé.

Ihr Blick, die Berührung ihrer Hand, erfüllten ihn mit Glut. Wronskiy küßte seine Hand an der nämlichen Stelle, wo sie dieselbe berührt hatte und fuhr nach Hause, glücklich in dem Bewußtsein, daß er am heutigen Abend seinem Ziele weit näher gekommen sei, als während beider letztvergangenen Monate.


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