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3.

Es war zwei Uhr nachts, als ich in mein Wohnung zurückkehrte. Noch ganz erfüllt von den Eindrücken des Abends und dem Bild meines jungen Schützlings, war ich Beute einer Erregung, die mir jede Neigung zum Schlaf raubte. So fachte ich das Feuer im Kamin, wo die Scheite noch glimmten, wieder an und begann zu träumen. Diesmal freiwillig, aus Neigung, von einem Gegenstande, der mir das Herz bewegte, während ich gewöhnlich gewaltsam träumte, aus Müßiggängerei von einem Nichts.

Aber es ist eigentümlich, wie die kleinsten Gegenstände, die uns umgeben, bei der Richtung, die unsere Gedanken nehmen, eine Rolle spielen können. Während ich so träumte, lagen die Gegenstände meines Toilettentisches vor mir, die ich auf dem Kamin ausgebreitet zurückgelassen hatte, und darunter auch die vervollkommnete Rasierseife, die noch immer ihren zarten Rosenduft ausströmte. Dieser unvermutete Duft trug auf seinen Schwingen etwas wie eine aristokratische Stimmung in meine Seele und ließ mich meine Gedanken allmählich zurück verfolgen bis zu dem Augenblick, wo ich mich an der gleichen Stelle anschickte, in die Säle des Kasinos zu gehen, unter die Augen herrlich geschmückter Frauen, in die Gesellschaft der feinen und modernen Welt.

Schnell verjagte ich diese Vorstellungen von Luxus und weltlicher Größe, um in die ärmliche Wohnung meiner jungen Freundin zurückzukehren. Aber ich gestehe es, ich trat dort schon nicht mehr mit der gleichen Verzauberung ein wie zuerst. Die Einfachheit der Möbel erschien mir nüchtern, der Anblick der Küchengeräte verletzte mich, und der gewöhnliche Ton der Nachbarin klang mir in der unerfreulichsten Weise im Ohr. Um dem unglücklichen Eindruck, den dies alles auf meine Liebesträumereien machte, zu begegnen, mußte ich meine Einbildungskraft ständig mit dem jungen Mädchen beschäftigen, deren Haltung, deren Gesichtszüge und Stimme, ja deren bescheidene Kleidung mir einen edeln und anmutigen Eindruck gemacht hatten. Indem ich mich so stets nur mit demselben Gegenstand beschäftigte, gelang es mir, meine Liebe unentweiht in den Schlummer mit hinüberzunehmen. Ich wurde bald durch die Rückkehr meines Dieners gestört und benutzte einen Augenblick halben Erwachens, um mich auszuziehen und ins Bett zu legen.

Man wird es mir glauben, daß ich tüchtig müde war, und ich schlief in einem Zuge bis zwei Uhr nachmittags. In dem Augenblick, als ich die Augen öffnete, traf mich das Tageslicht in höchst unangenehmer Weise, da es so sehr von dem nächtlichen Bilde abstach, mit dem sich meine Einbildungskraft am Tage vorher beschäftigte, ehe ich entschlummert war. So begann ich die Vorgänge der Nacht zu bedauern und vor allem die Feuersbrunst, die ich wahrscheinlich weder heute noch an einem der folgenden Abende sich erneuern sehn würde. Ich empfand darüber eine große innere Leere und Verzagtheit.

Aber ich hatte doch wenigstens für den heutigen Tag einen reizvollen Gang in Aussicht: ich durfte zu meiner jungen Freundin zurückkehren. Das war schon viel und zwang mich, Freude darüber zu empfinden. Immerhin glaubte ich wahrzunehmen, daß zehn Stunden tiefen Schlafs und vor allem die Wiederkehr des Tageslichts ihr liebliches Bild etwas verwischt, und ihren Reizen etwas von ihrem Schimmer genommen hatten. Ich fürchtete ordentlich, sie völlig wiederhergestellt zu sehen, kühner unter dem Schutz der Mutter, vielleicht gar mit einer Hausarbeit beschäftigt. Ich erwog, daß eine Fülle zufälliger Umstände, die sich nicht gut noch einmal zusammenfinden konnten, dazu beigetragen hatten, ihr in meinen Augen vorübergehend einen Zauber zu verleihen, für den ich mich so begeistert hatte, als ob er von Dauer sein könnte. Als ich mich schließlich an gewisse romantische Ideen erinnerte, die auf eine Heirat hinzielten, und die mir wenige Stunden vorher ganz natürlich erschienen waren, konnte ich mich nicht hindern, sie jetzt geradezu exzentrisch zu finden, sehr zum Schaden meiner keimenden Leidenschaft, die dadurch die Aussicht auf eine glückliche Entwicklung einbüßte.

So wurde ich allmählich wieder der Mann von gestern. Die Flamme, die vorübergehend mein Herz entzündet hatte, verglomm mehr und mehr, und schon erstand neben ihr, bleicher noch als zuvor, von neuem die Langeweile. Gleichwohl konnte ich nicht wieder völlig derselbe werden. Jede innere Bewegung, die wir empfinden, läßt im Herzen eine Leere zurück und kann nicht von neuem erstehen. Bei einem zweiten ähnlichen Abenteuer hätte ich nicht die gleiche Reinheit der Empfindungen, nicht den lebhaften Zauber des Neuen, Ungeahnten finden können. Und das Bewußtsein, ohne Ergebnis einige dieser kostbaren Schätze verschwendet zu haben, war mir zu wenig fremd, als daß ich nicht etwas Hefe auf dem Grunde des Tranks gefunden hätte, an dem ich mich eben berauscht hatte.

In diesem Zustande befand ich mich nach ein oder zwei Stunden Muße und Langeweile. Alles war mir wieder gleichgültig geworden: ich hatte meinen Polypen vergessen; selbst meine Lebensgewohnheiten, die sonst dazu dienten, mich die Leere meiner Tage doppelt empfinden zu lassen, hatten ihre Herrschaft über mich verloren; unbeweglich saß ich an meinem Kaminfeuer: ohne den Wunsch, dazubleiben, aber auch ohne die Neigung fortzugehen. Eine in der Ecke des Spiegels befestigte Karte sagte mir, daß ich den Abend bei Frau von Luze zubringen sollte; ich betrachtete sie mit Geringschätzung, mit Ekel; ich lehnte mich gegen dieses unerwünschte Entgegenkommen auf; schließlich glaubte ich Frau von Luze selbst zu sehen, wie sie mich im Interesse ihrer jungen Cousine (das ist die Gattin, die mir mein Pate bestimmt hatte) auf das schmeichelhafteste empfing; ich überraschte mich bei dem Gedanken, ihr den Gruß zu verweigern, ihr den Rücken zuzukehren, und mich gleichzeitig an dem völlig erstarrten Antlitz meines Paten zu weiden. Nein, sagte ich zu ihnen allen, nein. Gestern konnte ich an eurer Zuvorkommenheit noch einiges Vergnügen finden, heute nicht mehr. Ein Kind, ein armes, einfaches Kind von niederer Herkunft würde den Vorrang vor euch allen haben, wenn ich überhaupt die Kraft in mir fühlte, zu lieben, wenn ich nur den leisesten Wunsch in mir empfände, diesen Platz zu verlassen, von dem aus ich euch angähne bei eurem Entgegenkommen, und mich langweile bei eurer liebenswürdigen Aufnahme.

Und um es ihnen noch besser zu zeigen, warf ich die Karte ins Feuer.

»Jakob!«

»Haben der gnädige Herr gerufen?«

»Zünde die Lampe an und erinnere dich, daß ich niemanden empfangen will.«

»Ja, aber der Herr Pate haben sagen lassen, daß Sie den gnädigen Herrn zu Frau von Luze abholen würden.«

»Schön, zünde die Lampe nicht an, denn ich werde ausgehen.«

»Also, was soll ich nun tun...?« »Nichts.«

»Und wenn er kommt...?«

»Schweig.«

»Und wenn...«

»Jakob, du bist der unerträglichste Diener, den ich kenne.«

»Es ist nicht erfreulich, was der gnädige Herr da sagen.«

»Ich glaube gar, du bist damit nicht einverstanden?«

»Doch, gnädiger Herr, aber...«

»Widersprich nicht! Troll dich! Laß mich! Verschwinde!«

Alsbald begann ich meine Stiefel anzuziehen, um auszugehen und meinem Paten zu entwischen, dessen Überlästigkeit mich in die schlechteste Laune versetzte. Nein, sagte ich mir, solange dieser Mann dich glücklich machen will, wirst du keinen glücklichen Augenblick haben. Welch harte Sklaverei! Wie schwer doch eine Erbschaft zu erringen ist! Nun würde man einmal ruhig zu Hause bleiben wollen, nein, da muß man sich selbst aus dem Hause jagen.

In diesem Augenblick riß mir eine Stiefelstrippe ab; natürlich setzte ich auch das auf Rechnung meines Paten, den ich zu allen Teufeln der Hölle wünschte...

»Gnädiger Herr?«

»Näh diese Strippe an. Schnell.«

»Nämlich ... der Herr Pate ist da.«

»Dummkopf! Dacht' ich's mir doch, daß du ihn mir hinterrücks hereinlassen würdest. Aber ich bin nicht zu Hause. Verstehst du mich?«

Jakob ging erschreckt hinaus und wagte es nicht, den Stiefel aus meinen Händen zu nehmen, den ich zornbebend und mit wütenden Blicken schwenkte.

Kaum war Jakob verschwunden, da trat mein Pate ein, strahlend und in so großartiger Laune, daß sie einen zur Verzweiflung bringen konnte.

»Vorwärts, vorwärts, Eduard! Was, du bist noch nicht fertig? Eil dich, ich wärme mir unterdessen die Füße.«

Es ist stets ein unerfreuliches Ding um die sogenannte freundschaftliche Vertraulichkeit, die sich bei uns einnistet, sich breit macht, sich im Lehnstuhl ausstreckt und nur die Rechte der Freundschaft auszuüben glaubt, wenn sie uns aus dem stillen Winkel unserer Wohnung und der Freiheit unserer Häuslichkeit vertreibt. Diese Art und Weise war bei meinem Paten ganz besonders ausgebildet und kühlte schon für gewöhnlich meine Freude bei seinem Eintritt ab; diesmal verletzte sie mich aufs äußerste; ich knirschte gewissermaßen in den Zügeln und fühlte mich sehr versucht, ihm freimütig und schroff zu antworten. Da ich mich nun aber einmal daran gewöhnt hatte, mich im Hinblick auf seine Erbschaft zusammenzunehmen, so zog ich es vor, eine letzte Anstrengung zu machen und zu lavieren.

»Ich glaube,« sagte ich sehr liebenswürdig, »ich glaube, lieber Pate, daß ich Sie allein gehen lassen werde, wenn Sie es mir erlauben...«

»Ich erlaube dir nichts. Heut abend wenigstens nicht. Heute abend wird die Sache gemacht. Du brauchst dich bloß gut anzuziehen, freundlich und ein wenig liebenswürdig zu sein, und alles ist erledigt. Aber mach ein bißchen schnell; ich habe versprochen, daß wir früh kommen würden.« Es verletzte mich tief, daß er so über mich verfügt hatte, ja, daß er sich herausnahm, mir zuzumuten, liebenswürdig zu sein in einem Augenblick, wo ich dazu so gar keine Lust hatte; ich wagte es deshalb, meine Ablehnung in eine bestimmtere Form zu kleiden. »Ich glaube, mein lieber Pate, ich habe keine Lust, Sie zu begleiten.«

Mein Pate drehte sich um und guckte mir ins Gesicht. Alle seine Ansichten über die Gefügigkeit eines Erben gerieten bei dieser Äußerung des Widerstandes arg ins Wanken, und in dieser unerwarteten Lage wußte er kaum etwas zu sagen.

Nachdem er mich angeblickt hatte, sagte er kurz: »Laß sehn, erkläre dich.«

»Lieber Pate, ich habe nämlich nachgedacht.«

»Ach, ist es nur das? Nun wohl, folge meinem Rat, denke nicht mehr nach, oder du wirst nie heiraten. Nur weil ich nachgedacht habe, bin ich noch heute und für den Rest meiner Tage Junggeselle. Wenn du es ebenso machst, gehen mein Vermögen und deines auf dritte Personen über, und unser Name stirbt aus. Überlege nichts mehr; es ist außerdem unnütz. Wo die Verhältnisse so zueinander passen: Rang, Reichtum, schöne und liebenswürdige Person, ist Überlegung Unsinn. Du mußt handeln und zu Ende kommen. Zieh dich an und komm...«

»Unmöglich, mein lieber Pate. Ich will meinetwegen nicht mehr nachdenken. Aber, um zu heiraten, müßte ich doch wenigstens den Wunsch dazu verspüren ...«

»Teufel auch, bist du etwa entschlossen, nicht zu heiraten? Dann bitte, sag es; nun, sprich doch...!«

Bei diesen Worten hatte mein Pate einen bezeichnenden Ton angeschlagen, der mir die Aufforderung zu enthalten schien, mich über Annahme oder Ablehnung der Erbschaft zu erklären. Dieser schrecklichen Wahl wünschte ich gerade auszuweichen, ohne recht zu wissen, wie ich es anfangen sollte. Glücklicherweise kamen mir da meine romantischen Gedanken vom Abend vorher wieder in den Sinn. Die ließ ich mir jetzt als Vorwand dienen: »Und wenn,« sagte ich mit einem halben Lächeln, »wenn mein Herz bereits nach einer andern Seite eine Entscheidung getroffen hätte ...?«

»Vorwand!« erwiderte er. »Sag lieber frei heraus: ›Ich will nicht heiraten‹, dann weiß ich, wonach ich mich zu richten habe.«

»Und wenn Sie sich nun täuschten, lieber Pate, und wenn ich wirklich verliebt wäre; würden Sie mir auch dann raten, Ihr Fräulein zu heiraten, wenn ich mein Herz einer anderen geschenkt hätte?«

»Das kommt darauf an. Wen liebst du?«

»Ich liebe eine junge reizende Person.«

»Ist sie reich?«

»Es hat nicht den Anschein.«

»Ihr Name?«

»Den kenne ich nicht.«

»Das ist aber stark! Zum Teufel, was bedeutet denn das?«

»Das bedeutet, daß wenn dieses junge Mädchen auch arm und von niederer Herkunft sein mag, sie mir doch teuer genug ist, um mich, wenn ich gegenwärtig überhaupt ans Heiraten dächte, was durchaus nicht der Fall ist, zu ihr mehr als zu irgendeiner anderen hingezogen zu fühlen.«

»Ha, ha, arm, niederer Herkunft und schön! Das ist ja, wie ich sehe, eine Verplemperung nach allen Regeln der Kunst.«

»Verplemperung, wahrhaftig nicht, mein Pate, ich versichere es Ihnen.«

»Treiben wir keinen Scherz, bitte! –«

»Glauben Sie mir, daß auch ich nicht dazu aufgelegt bin.«

»Geh doch! In deiner Stellung, reich, aus guter Familie an ein Wesen ohne Namen und ohne Vermögen zu denken ...! Mit derartigen Mädchen kann man wohl ein Verhältnis haben, aber man heiratet sie nicht.«

Dieser Vorschlag meines Paten, der mir das junge Mädchen, dessen schüchterne Schamhaftigkeit mich ganz besonders gerührt hatte, zu beschimpfen schien, brachte mich außer mir. Wie er in meinem Herzen von neuem die lebhaften Gefühle weckte, die es tags vorher hatten höher schlagen lassen, so erfüllte er mich gleichzeitig mit Verachtung für einen Greis, der Worte des Lobes und der Achtung nur für Reichtum und Rang zu finden wußte, den heiligen Zauber der Unschuld aber ganz zu verkennen und mich geradezu aufzufordern schien, ihn ohne Gewissensbisse zu entweihen.

»Mein Pate,« sagte ich feurig, »Sie beschimpfen ein liebenswürdiges und tugendhaftes junges Mädchen, ein Kind, reiner, als Sie es ahnen können, weit achtungswürdiger als diejenige, welche Sie mir zu erwählen raten; tausendmal lieber würde ich sie heiraten, als daß ich diese Blume zu brechen vermöchte...!«

»Schön, dann brich sie nicht, aber heirate die andere.«

»Warum, wenn ich keine Liebe für sie empfinde, wenn meine Neigung mich anderswohin treibt? Sie spielten eben auf meinen Rang an; nun ich langweile mich dabei; auf meinen Reichtum ... er sollte, meine ich, dazu dienen, mich die Auswahl einer Gattin freier treffen zu lassen, als einen anderen. Wie! Wenn ich in dieser Person ohne Vermögen und ohne Namen, in diesem gering geachteten Mädchen, wenn ich in diesem Geschöpf die Schönheit, die Tugend und tausend andere Eigenschaften gefunden hätte, die sie meiner Achtung und meiner Liebe wert machen ..., wer sollte mich hindern, einer ehrbaren Neigung zu folgen! Wer dürfte mich tadeln, wenn ich den Wunsch empfände, meinen Reichtum mit ihrer Dürftigkeit zu teilen, ihrer Schwäche durch meine Kraft Halt zu geben, ihr einen Namen zu verschaffen, wenn sie keinen hat, und in diesen edlen, großmütigen Beweggründen ein echteres, reineres, verdienteres Glück zu finden, als das ist, welches ich bei der Übereinstimmung einiger eitler und gekünstelter Verhältnisse erwarten darf. Ach, mein Pate, ich wünschte, ich hätte die Kraft dazu; ich wünschte, ich wäre nicht bereits so entnervt, so verdorben durch die Anschauungen der Welt, in der ich lebe, so festgekettet durch tausend Bande, die mich hindern und fesseln, ohne mir das Glück zu geben, dann würde ich es schließlich zu finden wissen bei dieser bescheidenen Gefährtin, die Sie zum Gegenstande Ihrer Verachtung, Ihrer Beschimpfung machen!«

»Du predigst großartig, aber wie ein Dummkopf. Von solchen Gedanken ist man heute zurückgekommen. Das ist gut für Romane. Im Leben, da nennt man's eine Albernheit. Solltest du jemals eine derartige Dummheit begehen, so erinnere dich daran, daß du zwar dein, aber nicht mein Vermögen mit ihr teilen wirst. Darum habe ich das meinige nicht behütet, vermehrt, Zinsen tragen lassen, um es in die Hände einer leichten Person fallen zu lassen, um es ausgerechnet dazu zu verwenden, eine Familie verfallen zu lassen, es zu verschwenden, um Leute aus dem Keller zu unterhalten, die du uns zu Verwandten geben willst.«

Diese Worte waren nicht gerade geeignet, mich von meinen Anschauungen zurückzubringen. Auch faßte ich alsbald meinen Entschluß: »Für den Augenblick, mein Pate, denke ich noch nicht daran, zu heiraten; aber ich rechne darauf, diesen Schritt ungehindert tun zu können, wann und wie es mir beliebt, sei es selbst mit einer jungen Dame, die Sie verachten, ohne sie zu kennen. Es ist nur recht, daß ich mich in diesem Falle jeden Anspruchs auf Ihre Erbschaft entschlage. Nehmen Sie sie zurück und geben Sie mir das Recht wieder, frei über mich selbst zu verfügen. Und möchte doch das alles ohne Groll auf beiden Seiten geschehen. Was Sie betrifft, glauben Sie es mir, ich schwöre es Ihnen, Sie werden mir nur um so teurer sein, wenn ich in Ihnen nicht mehr den eigennützigen Herrn meines Geschicks zu erblicken brauche, wenn ich mich nicht mehr damit abquälen muß, mich demutsvoll vor Ihren Anschauungen, die nicht die meinigen sind, zu beugen: mit einem Wort, wenn ich nur noch Ihr Neffe sein darf, der Sie liebt, und nicht mehr Ihr Erbe, der Sie fürchtet und auf Widerstand gegen Sie sinnt.«

Während ich so sprach, schwankte der Ausdruck im Antlitz meines Onkels zwischen zornigen und bitteren Empfindungen. Seine Pläne umgestoßen, sein Wille mißachtet, seine Wohltaten zurückgewiesen; alles trug dazu bei, ihn in einen Zustand von Aufgebrachtheit und Verwirrung zu versetzen, der ihn bald blaß, bald rot werden ließ: »Ah, ah, dahin wolltest du also kommen,« brach er endlich los. »Meine Güte ermüdete dich? Mein Joch war dir zu schwer? In aller Freundschaft wolltest du meine Ratschläge, meine Sorgfalt, meine Wohltaten los werden? Das genügt, ich verstehe! Aber, mein Herr, verzichten Sie künftig auf meine Freundschaft wie auf mein Vermögen. Weder die eine, noch das andere gehören Ihnen mehr und sollen Ihnen auch nicht mehr unbequem werden. Ich grüße Sie.«

Er ging. Ich begleitete ihn einige Schritte und kehrte dann in mein Zimmer zurück.


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