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Drittes Kapitel

Wie mein Onkel die Bekanntschaft eines alten Sergeanten und eines Pudels machte, was ihn hinderte, zu Herrn Minxit zu gehen

Am folgenden Tage um acht Uhr in der Frühe war mein Onkel frisch herausgeputzt; er wartete, um sich auf den Weg zu machen, nur auf ein Paar Schuhe, die ihm Cicero bringen sollte, jener berühmte Stadtherold, dessen wir schon Erwähnung getan und der das Handwerk eines Schusters mit der Würde eines Stadttrommlers in sich vereinigte.

Cicero ließ nicht lange auf sich warten. In jenen Zeiten der guten, frischen und franken Art war es Brauch, wenn ein Handwerker seine Arbeit in einem Haus ablieferte, ihn nicht gehen zu lassen, ohne ihm ein Glas Wein vorzusetzen. Das war nicht gerade fein, ich gebe es zu; aber dieses wohlwollende Entgegenkommen brachte die Stände einander näher; der Arme wußte dem Reichen für die Zugeständnisse, die er ihm machte, Dank und neidete ihm nichts. So hat man denn auch während der Revolution Beispiele wunderbarster Ergebenheit von Dienern gegen ihre Herren, Pächtern gegen ihre Edelleute, Handwerkern gegen ihre Meister gesehen, die sich in unserer Zeit unverschämten Hochmuts und lächerlichen Stolzes sicher nicht wiederholen würden.

Benjamin bat seine Schwester, eine Flasche Weißen abzuziehen, um mit Cicero anzustoßen. Meine Schwester zapfte eine, zapfte zwei, zapfte drei, und so bis zu sieben.

»Meine teure Schwester, ich bitte Sie, noch eine Flasche.«

»Aber du weißt ja nicht, Unglücklicher, daß du schon bei der achten bist!«

»Sie weiß wohl, liebe Schwester, daß wir nicht rechnen miteinander.«

»Aber du weißt wohl, du, daß du eine Reise vorhast.«

»Noch diese letzte Flasche, und ich gehe.«

»Ja, du bist in einem schönen Zustand, zu gehen! Wenn man dich nun holen käme, um einen Kranken zu besuchen?«

»Wie wenig, liebe Schwester, weiß Sie doch die Wirkungen des Weins zu würdigen! Man sieht, daß Sie nichts trinkt als die durchsichtigen Gewässer des Beuvron. Heißt es gehen? mein Schwerpunkt ist immer auf demselben Fleck; heißt es zur Ader lassen? ... apropos, Frau Schwester, ich muß Ihr zur Ader lassen, Beißkurz hat es mir beim Weggehen ans Herz gelegt. Sie klagte diesen Morgen über einen mächtigen Kopfschmerz, ein Aderläßchen wird Ihr guttun.« Und Benjamin zog sein Besteck hervor, während meine Großmutter sich mit der Feuerzange bewaffnete.

»Teufel! Sie spielt einen recht widerspenstigen Kranken. Also gut, vergleichen wir uns: Ich werde Ihr nicht zur Ader lassen, und Sie wird gehen, uns noch eine achte Flasche Wein abzuziehen.«

»Ich werde dir nicht ein Glas abziehen.«

»So werde ich es tun«, sagte Benjamin, ergriff die Flasche und steuerte nach dem Keller.

Meine Großmutter, die nichts Besseres sah, ihn aufzuhalten, hängte sich an seinen Zopf; aber Benjamin, ohne sich mit diesem Zwischenfall zu befassen, begab sich so festen Schrittes in den Keller, als hätte er höchstens ein Bündel Zwiebeln am Ende seines Zopfes hängen, und kehrte mit seiner gefüllten Flasche zurück.

»Nun, meine liebe Schwester, das war wohl der Mühe wert, zu zweit in den Keller zu gehen wegen einer lumpigen Flasche Weißwein; aber ich muß Sie warnen: wenn Sie in diesen schlechten Gepflogenheiten verharrt, wird Sie mich zwingen, mir meinen Zopf abschneiden zu lassen.«

Indessen versteifte sich Benjamin, der eben noch den Marsch nach Corvol als einen höchst unbequemen Dienst betrachtet hatte, nun darauf, zu gehen. Meine Großmutter hatte, um ihn daran zu hindern, seine Schuhe in den Schrank geschlossen.

»Ich sage Ihr, ich werde gehen.«

»Ich sage dir, du wirst nicht gehen.«

»Will Sie, daß ich Sie an meinem Zopf zu Herrn Minxit trage?«

Solcher Art war das Zwiegespräch, das sich zwischen Bruder und Schwester entsponnen hatte, als mein Großvater eintrat. Er machte der Verhandlung ein Ende, indem er erklärte, er habe am folgenden Tag in La Chapelle zu tun und werde Benjamin mitnehmen.

Schon vor Tag war mein Großvater auf den Beinen. Nachdem er seine Vorladung gekritzelt und daruntergesetzt hatte: ›Wovon die Gebühr zwei Taler vier Groschen sechs Pfennig‹, wischte er seine Feder am Ärmel seines Überrocks aus, steckte seine Brille bedächtig in ihr Futteral und ging, Benjamin zu wecken. Dieser schlief wie der Prinz von Condé – wenn anders der Prinz sich nicht schlafend stellte – am Vorabend einer Schlacht.

»Holla, he! Benjamin, auf! es ist heller Tag.«

»Du täuschest dich«, antwortete Benjamin mit einem Grunzen und drehte sich nach der Wand um; »es ist schwarze Nacht.«

»Heb nur den Kopf in die Höhe, und du kannst den Sonnenschein auf dem Fußboden tanzen sehen.«

»Ich sage dir, es ist der Schein von der Laterne.«

»Ah, wolltest du vielleicht nicht gehen?«

»Nein; ich habe die ganze Nacht geträumt von hartem Brot und stichigem Wein, und wenn wir uns in Marsch setzen wollten, könnte uns ein Unglück zustoßen.«

»Also gut! Ich erkläre dir, daß, wenn du in zehn Minuten nicht aufgestanden bist, ich dir deine teure Schwester hereinschicke; wenn du dagegen aufgestanden bist, steche ich das Viertel alten Wein an, du weißt schon.«

»Du bist sicher, daß es Pouilly ist, nicht wahr?« sagte Benjamin und erhob sich auf sein Sitzteil; »du gibst mir dein Ehrenwort?«

»Ja, Gerichtsbotenehre!«

»Also, dann geh und stich dein Quart an; aber ich sage dir im voraus: wenn uns unterwegs ein Unglück zustößt, so hast du es bei meiner lieben Schwester zu verantworten.«

Eine Stunde später waren mein Onkel und mein Großvater auf dem Wege nach Moulot. In einiger Entfernung von der Stadt trafen sie zwei Bauernbuben, von denen der eine einen Stallhasen unter dem Arm trug, der andere zwei Hühner in seinem Korbe. Der erste sagte zu dem zweiten:

»Wenn du zu Herrn Klipp sagen willst, daß mein Stallhase ein Feldhase ist und daß du gesehen hast, wie ich ihn in der Schlinge fing, bist du mein Kamerad.«

»Ich will schon«, antwortete der zweite, »aber unter der Bedingung, daß du zu Frau Schnerr sagst, meine Hühner legten zweimal am Tag, und Eier, so groß wie Enteneier.«

»Ihr seid zwei kleine Gauner«, sagte mein Großvater, »ich werde euch nächstens von dem Herrn Polizeikommissar an den Ohren kriegen lassen.«

»Und ich, meine Freunde«, sagte Benjamin, »ich bitte euch, dieses Groschenstück von mir anzunehmen.«

»Das ist so die Freigebigkeit am rechten Ort!« sagte mein Großvater und zuckte die Achseln; »du wirst jedenfalls den ersten ehrlichen Armen, den du triffst, mit dem flachen Degen fortjagen, da du dein Geld an diese beiden Taugenichtse verluderst.«

»Taugenichtse für dich, Beißkurz, der du von jedem Ding nur das Oberhäutchen siehst; aber für mich zwei Philosophen. Sie haben da gerade eine Maschine erfunden, die, wohl eingerichtet, das Glück von zehn ehrlichen Kerlen machen würde.«

»Und was ist das für eine Maschine«, fragte mein Großvater mit ungläubigem Gesicht, »welche diese beiden Philosophen gerade erfunden haben, die ich mit Nachdruck durchwamsen würde, wenn wir Zeit hätten, uns aufzuhalten?«

»Diese Maschine ist einfach«, sagte mein Onkel. »Paß auf, wie sie arbeitet: Wir sind zehn Freunde und haben uns, statt uns zum Frühstück zusammenzufinden, zusammengefunden, um unser Glück zu machen.«

»Das lohnt allerdings, sich zusammenzufinden«, unterbrach mein Großvater.

»Wir sind alle zehn intelligent, findig, selbst gerissen bei Bedarf. Wir haben den hohen Ton an uns, die erhabene Diskussion; wir behandeln das Wort mit derselben Geschicklichkeit wie der Taschenspieler seine Muskatnüsse. Die Moralität der Sache anlangend, so sind wir alle tüchtig in unserm Beruf; und Menschen mit gutem Willen können, ohne sich bloßzustellen, sagen, daß wir mehr loshaben als unsere Kollegen.

Wir bilden, in allen Ehren und Würden, eine Gesellschaft zum Selbstanpreisen auf Gegenseitigkeit, um unser bescheidenes Verdienst aufzublasen, aufschäumen und überwallen zu machen.«

»Ich verstehe«, sagte mein Großvater, »der eine verkauft Rattentod und hat nur eine große Trommel, der andere Schweizertee und hat nur ein paar Schallbecken. Ihr vereinigt eure Lärminstrumente und ...«

»Just so«, unterbrach ihn Benjamin. »Du begreifst, daß, wenn die Maschine nach Wunsch arbeitet, jeder der Sozietäre neun Instrumente um sich hat, die einen erschrecklichen Lärm vollführen.

Wir sind unser neun, die sagen: der Advokat Page trinkt viel; aber ich glaube, dieser Teufelskerl tut einen Aufguß von Blättern des Landrechts von Nevers in seinen Wein; er hat die Logik auf Flaschen gezogen. Alle Prozesse, die er gewinnen will, gewinnt er auch, und neulich hat er gar schweren Schadenersatz für einen Edelmann herausgedrückt, der einen Bauern totgeschlagen hatte.

Der Gerichtsvollzieher Parlanta ist ein bißchen verdreht, aber er ist der Hannibal unter den Gerichtsvollziehern. Sein lieblicher Arrest ist unausweichlich; um ihm zu entrinnen, müßte der Schuldner überhaupt keinen Leib haben. Er würde auch die Hand an einen Herzog oder Pair legen.

Was Benjamin Rathery anlangt, so ist er ein Mann ohne Arg, der sich über alles lustig macht und dem Fieber eine Nase dreht, ein Mann, wenn Sie so wollen, der Gabel und der Flasche, aber gerade deswegen würde ich ihn seinen Kollegen vorziehen. Er sieht nicht aus wie jene ungemütlichen Ärzte, deren Krankenregister ein Friedhof ist; er ist zu lustig und verdaut zu gut, als daß er viele Mordtaten auf dem Gewissen haben könnte. So sieht sich jeder der Gesellschafter mit 9 multipliziert.«

»Ja«, sagte mein Großvater, »aber wird dir das neun neue rote Fräcke verschaffen? Neunmal Benjamin Rathery, was hat man davon?«

»Das macht soviel wie neunhundert Beißkürze«, wandte Benjamin lebhaft ein. »Aber laß mich meine Darlegung beenden, nachher magst du spotten.

Da hast du also neun wandelnde Reklamewesen, die sich überall einschmeicheln, dir am Morgen in einer andern Form dasselbe wiederholen, was sie dir am vergangenen Abend gesagt; neun Anschlagzettel, welche sprechen, welche die Passanten beim Arm anhalten; neun Firmenschilder, die in der Stadt umgehen, die diskutieren, die Dilemmas und Enthymeme von sich geben und sich über dich lustig machen, wenn du nicht ihrer Meinung bist.

Dies hat zur Folge, daß der Ruf von Page, von Rapin, von Rathery, der mühselig im Umkreis ihrer kleinen Stadt herumhumpelte wie ein Advokat in einem Circulus vitiosus, mit einem Schlage einen ungeheuern Aufschwung nimmt. Gestern hatte er keine Füße, heute hat er Flügel. Er dehnt sich aus wie ein Gas, wenn man das Behältnis öffnet, in dem es eingeschlossen ist. Er verbreitet sich über die ganze Provinz. Die Klienten treffen aus allen Orten des Kreises bei diesen Leuten ein; sie kommen von Süd und Nord, von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang wie in der Apokalypse die Auserwählten in der Stadt Jerusalem. Nach fünf oder sechs Jahren steht Benjamin Rathery an der Spitze eines hübschen Vermögens, das er, mit großem Gekling von Gläsern und Flaschen, in Dejeuners und Diners anlegt; du, Beißkurz, du trägst keine Vorladungen mehr aus: ich kaufe dir eine Amtmannschaft. Deine Frau ist mit Seide und Spitzen bedeckt wie eine Muttergottes; dein Ältester, der schon Chorknabe ist, tritt ins Seminar ein; dein Zweiter, der schmächtig und gelb ist wie ein Kanarienhahn, studiert die Medizin, ich vermache ihm meinen Ruhm und meine alten Klienten und versorge ihn mit roten Fräcken. Aus deinem Jüngsten machen wir einen Rechtsverdreher. Deine älteste Tochter heiratet einen Mann der Feder. Die Jüngste verehelichen wir an einen wohlbestallten Bürgersherrn, und am Tage nach der Hochzeit stellen wir die Maschine auf den Speicher.«

»Ja, aber deine Maschine hat einen kleinen Fehler; sie ist nicht für den Gebrauch ehrlicher Leute.«

»Warum nicht?«

»Darum.«

»Nun also?«

»Weil ihre Wirkung unsittlich ist.«

»Könntest du mir das mit Nun und Also beweisen?«

»Geh zum Teufel mit deinem Nun und Also. Du, der du ein gelernter Mann bist, du urteilst nach deinem Verstand; ich aber bin ein armer Gerichtsbote und urteile nach meinem Gewissen. Ich behaupte, daß jeder, der sein Vermögen anders als durch seine Arbeit und seine Fähigkeiten erwirbt, nicht der rechtmäßige Besitzer davon ist.«

»Sehr richtig, was du da sagst, Beißkurz«, rief mein Onkel aus, »du hast vollkommen recht. Das Gewissen, das ist der beste aller logischen Gründe, und die Marktschreierei, unter welcher Form sie sich auch verstecken mag, ist immer ein Schwindel. Also fort mit unserer Maschine, und sprechen wir nicht mehr davon!«

Unter solchem fortwährendem Geplauder näherten sie sich dem Dorfe Moulot. Auf der Schwelle einer Weinbergpforte erblickten sie eine Art von Soldaten, tief in den Brombeeren steckend, deren braune und rote vom Frost verkrümmte Blattbüschel wie ungeordnetes Haar durcheinanderfielen. Dieser Mann hatte auf dem Kopf ein Stück Dreispitz ohne Kokarde; sein trümmerhaftes Gesicht hatte einen Steinton, jenen braungoldenen Ton, den alte Denkmäler im Sonnenschein zeigen. Zwei große weiße Schnurrbartenden umrahmten seinen Mund wie zwei Parenthesen. Er trug eine alte Uniform. Eine alte verblichene Tresse lief quer über den einen Ärmel. Der andere Ärmel, seiner Auszeichnung beraubt, hatte dort nur noch ein Rechteck aufzuweisen, das sich von dem übrigen Tuch durch neuere und dunklere Wolle unterschied. Die nackten Beine des Soldaten, von der Kälte geschwollen, waren rot wie rote Rüben. Aus einer Feldflasche ließ er ein paar Tropfen Branntwein auf ein paar trockne Brocken Schwarzbrot fallen; ein Pudel von der großen Art saß vor ihm auf den Hinterbeinen und folgte allen seinen Bewegungen wie ein Taubstummer, der mit den Augen die Befehle hört, die ihm sein Herr erteilt.

Mein Onkel wäre eher an einer Schenke vorübergegangen als an diesem Mann. Er machte am Rand des Weges halt. »Kamerad«, sagte er, »das ist ein schlechtes Frühstück.«

»Ich habe noch schlechtere gehabt; aber Fontenoy und ich, wir haben guten Appetit.«

»Was für ein Fontenoy?«

»Mein Hund, der Pudel, den Sie da sehn.«

»Teufel, das ist ein schöner Name für einen Hund! In der Tat, der Glanz des Namens hat gut bei den Königen sein; warum nicht einmal bei einem Pudel?«

»Das ist sein Kriegsname«, fuhr der Sergeant fort, »sein Taufname ist Azor.«

»Und warum nennt Ihr ihn Fontenoy?«

»Weil er in der Schlacht von Fontenoy einen englischen Hauptmann zum Gefangenen gemacht hat.«

»Ah, wie das?« fragte mein Onkel ganz erstaunt.

»Sehr einfach, indem er ihn am Rockzipfel festhielt, bis ich soweit war, ihm die Hand auf die Schulter legen zu können; wie er da ist, wurde Fontenoy in den Armeebefehl gesetzt und hatte die Ehre, Ludwig XV. vorgestellt zu werden, der zu mir zu sagen geruhte: ›Sergeant Duranton, Er hat da einen schönen Hund.‹«

»Das ist einmal ein König, leutselig gegen die Vierfüßler! Ich wundere mich, daß er Eurem Pudel keinen Adelsbrief verliehen hat. Wie kommt es denn, daß Ihr den Dienst eines so guten Königs quittiert habt?«

»Weil man mich übergangen hat«, sagte der Sergeant funkelnden Auges und die Nasenflügel von Zorn geschwellt. »Zehn Jahre sind es, daß ich diese goldenen Litzen auf dem Arm trage; ich habe alle Feldzüge Moritzens von Sachsen mitgemacht und habe mehr Narben auf dem Leibe, als man für zwei Invaliden brauchte. Sie haben mir die Achselstücke versprochen. Aber den Sohn eines Webers zum Offizier ernennen, das wäre ein Skandal gewesen, der alle die aufgeplusterten Perücken der Königreiche von Frankreich und Navarra zum Haarsträuben gebracht hätte. Sie ließen mir eine Art von kleinem Kavalier, frisch aus seiner Pagenschale gekrochen, über den Leib steigen. Das mag auch wissen, sich totschießen zu lassen, denn sie sind tapfer, man kann es ihnen nicht nehmen; aber das weiß nicht zu kommandieren: Kopf ... rrrechts!«

Bei diesem scharf ausgesprochenen Wort der Exerziervorschrift drehte der Pudel seinen Kopf militärisch nach rechts. »Schon gut, Fontenoy!« sagte sein Herr; »du vergißt, daß wir außer Dienst sind«, und er nahm seinen Gedanken wieder auf: »Ich habe das dem allerchristlichsten König nicht hingehen lassen können; von dem Augenblick an war ich mit ihm auseinander und habe ihn um meinen Abschied gebeten, den er mir in Gnaden erteilt hat.«

»Ihr habt recht getan, braver Mann«, rief Benjamin, wobei er dem alten Soldaten auf die Achsel klopfte – ein sehr unvorsichtiges Beginnen, für das ihn der Pudel beinahe zerrissen hätte. »Wenn Euch meine Anerkennung angenehm sein kann, so gebe ich sie Euch ohne Einschränkung; die Adligen haben mir zwar nie geschadet in meinem Avancement, aber das hindert nicht, daß ich sie von ganzem Herzen hasse.«

»In diesem Fall ist es also ein ganz platonischer Haß«, unterbrach mein Großvater.

»Sage lieber, ein ganz weltweiser Haß, Beißkurz! Der Adel ist das ungereimteste Ding, was es gibt. Er ist eine offensichtliche Empörung des Despotismus gegen den Schöpfer. Hat Gott von den Kräutern der Wiese die einen höher, die andern niedrig gemacht, und hat er den Vögeln Wappen auf die Flügel oder den Raubtieren aufs Fell geätzt? Was bedeuten diese höheren Menschen, die ein König durch Patente macht, wie er einen zum Steuereinnehmer oder Salzverkäufer macht? ›Vom heutigen Datum an habt ihr den Herrn Soundso als einen Menschen höherer Art zu erachten. Gezeichnet: Ludwig XVI.‹, und weiter unten: ›Choiseul‹. Ha, eine schön eingerichtete Höherartigkeit!

Ein Bauer ist von Heinrich IV. zum Grafen gemacht worden, weil er dieser Majestät eine gute Gans vorgesetzt hat; ein Kapaun zu der Gans, und er wäre zum Marquis gemacht worden; es hätte weder mehr Tinte noch mehr Pergament gekostet. Heute haben die Abkömmlinge dieser Menschen das Vorrecht, uns zu prügeln, uns, deren Vorfahren niemals die Gelegenheit gehabt haben, irgendeinem König einen Flügel irgendeines Vogels vorzusetzen. Und man sehe nur ein wenig zu, an was die Größe dieser Welt hängt! Wenn die Gans etwas mehr oder weniger gebraten gewesen wäre, wenn man ein Körnchen Salz mehr oder ein Körnchen Pfeffer weniger zugesetzt hätte, wenn etwas Ruß in die Pfanne oder etwas Asche auf die Schnitten gefallen wäre, wenn man sie ein wenig früher oder später aufgetragen hätte, wäre eine Adelsfamilie weniger in Frankreich. Und das Volk beugt die Stirn vor solcher Größe!

Sage mir doch, schwachsinniges Volk, welchen Wert legst du denn den drei Buchstaben bei, die diese Leute vor ihren Namen setzen? Sind sie dadurch auch nur um einen Fingerbreit größer geworden? haben sie mehr Eisen im Blut als du? mehr Hirnsubstanz in ihrem Schädelkasten? können sie einen schwereren Degen führen als du? Heilt dieses Wunder-Von die Skrofeln? bewahrt es den so Betitelten vor Leibweh, wenn er zuviel gegessen, und vor Kopfweh, wenn er zuviel getrunken hat? Siehst du nicht, daß alle diese Grafen, diese Barone, diese Marquis nichts sind als große Buchstaben, die ungeachtet des Platzes, den sie in der Zeile einnehmen, nicht mehr zu sagen haben als die einfachen kleinen? Wenn ein Herzog und ein Holzhauer in einer amerikanischen Steppe zusammen wären oder mitten in der Wüste Sahara, so möchte ich wohl wissen, welcher von beiden adliger ist als der andere!

Ihr Urgroßvater war Schildträger, und dein Vater macht baumwollene Mützen, was beweist das für sie oder gegen dich? Kommen sie mit dem Schild ihres Urgroßvaters auf die Welt? Tragen sie seine Narben auf ihrer Haut? Was ist das für eine Größe, die vom Vater auf den Sohn sich fortsetzt wie das Licht einer Kerze, die man an einer erlöschenden anzündet? Die Schwämme, die auf den Trümmern einer gestürzten Eiche wachsen, sind sie Eichen?

Wenn ich höre, daß der König eine Adelsfamilie geschaffen hat, kommt es mir vor, als wenn ein Landwirt in sein Feld einen langen Pinsel von Mohnkopf pflanzt, der zwanzig Furchen mit seinem Samen anstecken und doch alle Jahre nicht mehr tragen wird als vier große, rote Blätter. Indessen, solang es Könige geben wird, solang wird es Adlige geben.

Die Könige machen Barone, Grafen, Herzöge, damit die Bewunderung stufenweise zu ihnen ansteigen kann. Die Adligen sind, im Vergleich zu ihnen, die Kleinigkeiten draußen vor der Tür, die Schauparade, welche den Maulaffen einen Vorgeschmack der Herrlichkeiten des Schauspiels geben soll. Ein König ohne Adel, das wäre ein Saal ohne Vorzimmer. Aber diese Eitelkeitsschleckerei wird ihnen teuer zu stehen kommen. Es ist unmöglich, daß zwanzig Millionen Menschen fortwährend damit einverstanden sind, im Staate nichts zu sein, nur damit einige tausend Höflinge etwas seien; wer Vorrechte gesät hat, wird Revolutionen ernten.

Die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo alle diese glänzenden Wappen in die Gosse wandern und die, die sich jetzt damit brüsten, auf die Protektion ihrer Kammerdiener angewiesen sind.« –

»Was«, sagt ihr, »alles das hat dein Onkel Benjamin gesprochen?«

Warum nicht?

»Alles in einem Atem?«

Ohne Zweifel! Was ist Erstaunliches daran? Mein Großvater besaß einen Humpen, der anderthalb Maß hielt, und mein Onkel leerte ihn auf einen Zug: er nannte das Tiraden machen.

»Und seine Worte, wie sind sie uns erhalten worden?«

Mein Großvater hat sie aufgeschrieben.

»Da hatte er also dort, im freien Feld, alles, was man zum Schreiben braucht?«

Wie dumm! ein Gerichtsvollzieher!

»Und der Sergeant, hat er auch was zu sagen?«

Gewiß; es ist wohl recht und billig, daß er spricht, damit mein Onkel ihm antworten kann.

Der Sergeant also sagte:

»Drei Monate bin ich nun unterwegs; ich gehe von Hof zu Hof und bleibe so lange, wie man mich behalten will. Ich lasse die Kinder exerzieren, erzähle den Männern unsere Feldzüge, und Fontenoy belustigt die Weiber mit seinen Sprüngen. Ich bin nie in Eile, irgendwohin zu kommen, denn ich weiß nicht recht, wohin ich gehe. Sie schicken mich nach Haus, aber ich habe kein Zuhaus. Es ist schon lange her, daß meines Vaters Backofen ein Loch zum Boden hat, und meine Arme sind ausgefressener und rostiger als zwei alte Flintenläufe. Desungeachtet glaube ich, daß ich in mein Dorf zurückkehre. Nicht als ob ich hoffte, dort besser dran zu sein als anderswo. Die Erde ist dort so hart wie überall, und man trinkt auch dort den Branntwein nicht aus Wagengleisen. Aber was liegt daran? Ich gehe nun einmal. Es ist Laune, wie bei einem Kranken. Ich werde die Garnison des Ortes vorstellen. Wenn sie den alten Soldaten nicht ernähren wollen, so müssen sie ihn doch wohl oder übel begraben; und«, fügte er hinzu, »so viel Mitleid werden sie doch haben, dem Fontenoy ein bißchen Suppe auf mein Grab zu stellen, bis er vor Kummer gestorben ist; denn Fontenoy wird mich nicht allein dahingehn lassen. Wenn wir allein sind und er mich anschaut, verspricht er mir das, der gute Fontenoy.«

»Das also ist das Los, das sie Euch bereitet haben!« sagte Benjamin. »Wahrhaftig, die Könige sind die größten Egoisten unter allen Wesen. Wenn die Schlangen, von denen unsere Dichter so schlecht sprechen, eine Literatur hätten, sie würden die Könige zum Symbol der Undankbarkeit machen. Ich habe irgendwo gelesen, daß, als Gott das Herz der Könige gemacht hatte, ein Hund es wegschleppte, worauf, da er seine Arbeit nicht von vorn anfangen wollte, er einen Stein an die Stelle setzte. Dies dünkt mich sehr wahrscheinlich. Was die Capets anlangt, so haben sie vielleicht eine Lilienzwiebel statt dessen; ich bezweifle, daß man mir das Gegenteil beweist.

Weil man diesen Leuten mit Öl ein Kreuz auf die Stirn gemacht hat, sind sie geheiligt, sind sie Majestät, sind sie Wir statt Ich; sie können nicht unrecht tun; ritzt sie ihr Kammerdiener, wenn er ihnen das Hemd überzieht, so begeht er ein Sakrileg. Ihre Wickelkinder sind Hoheiten; die Knirpschen, die eine Frau auf der Hand trägt und deren Wiege man mit einem Hühnerkorb zudecken könnte, sind allerhöchste Hoheiten, sozusagen erhabne Hochgebirge! Fehlte nur noch, daß man ihren Ammen die Brustwarzen vergoldet. – Wenn das die Wirkung von etwas Öl ist, welchen Respekt müssen wir vor den Anchovis haben, die in Öl schwimmen, bis man sie ißt?

Bei der Kaste der Gesalbten geht der Hochmut bis zum Wahnwitz. Man vergleicht sie dem Jupiter, der den Blitz in der Hand hält, und sie fühlen sich nicht überehrt mit dieser Vergleichung. Man lasse den Blitz weg, und sie würden sie übelnehmen. Immerhin, der Jupiter hat das Zipperlein, und zwei Kammerdiener müssen ihn zur Tafel führen oder ins Bett bringen. Der Reimer Boileau hat, auf sein eigenes Gewicht hin, den Winden Schweigen geboten, weil er von Ludwig XIV. sprechen wollte:

›Und ihr, ihr Winde, schweiget stille,
Von Ludwig will ich singen.‹

Und Ludwig XIV. hat dies nur natürlich gefunden; nur hat er nicht daran gedacht, den Kommandanten seiner Kriegsschiffe zu befehlen, von Ludwig zu sprechen, um die Stürme zu beschwichtigen.

Alle diese armen Toren glauben, das Stück Erde, wo sie regieren, sei ihnen zu eigen; Gott habe es ihrem Urvorvordern gegeben, Fläche und Tiefe, um es zu genießen, ungestört und ungehindert, er und seine Nachkommen. Wenn ihnen ein Höfling sagte; Gott habe die Seine eigens dazu geschaffen, um das große Becken in den Tuilerien zu speisen, sie hielten ihn für einen Mann von Geist. Diese Millionen Menschen rundum betrachten sie als ein Besitztum, das man ihnen, bei Strafe des Galgens, nicht streitig machen darf; die einen sind auf der Welt, um ihnen Geld zu verschaffen, die andern, um für ihre Zwistigkeiten zu sterben, andere wieder, die besonders flüssiges und rosiges Blut haben um sie mit Geliebten zu versorgen. Alles das ergibt sich offenbar aus dem Kreuz, das ein alter Erzbischof mit seiner zittrigen Hand ihnen auf die Stirn gemacht hat.

Sie nehmen euch einen Mann in der Kraft seiner Jugend, legen ihm ein Gewehr in den Arm, einen Ranzen auf den Rücken, bezeichnen ihn am Kopf mit einer Kokarde, und sagen: ›Mein Bruder von Preußen hat Unrecht gegen mich begangen, du wirst auf alle seine Untertanen losgehn. Ich habe ihnen durch meinen Gerichtsvollzieher, den ich einen Herold nenne, ankündigen lassen, daß du am nächsten Ersten die Ehre haben wirst, dich an ihrer Grenze vorzustellen, um sie totzustechen, und daß sie sich bereithalten mögen, dich gebührend zu empfangen. Unter Monarchen sind das Rücksichten, die man sich schuldet. Beim ersten Anblick wirst du vielleicht denken, daß unsere Feinde Menschen sind; ich belehre dich eines Bessern: es sind Preußen; du wirst sie von der menschlichen Rasse an der Farbe ihrer Uniformen unterscheiden. Trachte wohl danach, deine Pflicht zu tun; denn ich werde dahinten auf meinem Throne sitzen und dir zusehn. Wenn du den Sieg davonträgst und ihr nach Frankreich heimkehrt, so wird man euch unter die Fenster meines Palastes führen; ich werde in großem Staat herniedersteigen und sagen: ›Soldaten, ich bin mit euch zufrieden.‹ – Wenn ihr hunderttausend Mann seid, so wirst du mit einem Hunderttausendstel teil an diesen sechs Worten haben. Für den Fall, daß du auf dem Schlachtfeld bleibst, was sehr wohl der Fall sein kann, so werde ich deiner Familie den Totenschein schicken, damit sie dich beweinen und deine Brüder dich beerben können. Wenn du einen Arm oder ein Bein verlierst, werde ich dir bezahlen, was sie wert sind; aber wenn du das Glück oder das Unglück hast – wie du willst –, der Kugel zu entgehen, und du hast nicht mehr die Kraft, deinen Tornister zu schleppen, werde ich dir den Abschied geben, und du kannst krepieren, wo du willst, das geht mich nichts mehr an.‹«

»Das ist die Geschichte!« sagte der Sergeant; »wenn sie aus unserm Blut den Phosphor herausgezogen haben, aus dem sie ihren Ruhm machen, werfen sie uns beiseite wie ein Winzer die Treber auf den Mist, nachdem er den Saft ausgepreßt hat.«

»Das ist sehr unrecht von ihnen«, sagte Beißkurz, der mit seinen Gedanken in Corvol war und seinen Schwager gern dort gesehen hätte.

»Beißkurz«, sagte Benjamin, indem er ihn von der Seite ansah, »wähle deine Ausdrücke besser; hier ist nichts zu spaßen. Ja, wenn ich sehe, wie diese stolzen Krieger, die den Ruhm ihres Landes mit ihrem Blute getränkt haben, nun wie der arme alte Cicero den Rest ihres Lebens in einer Flickschusterbude zubringen sollen, während ein Schwarm vergoldeter Affen alles Geld der Steuern an sich rafft und die liederlichen Frauenzimmer, um sich morgens höchst nachlässig einzuwickeln, Kaschmire haben, von denen ein Faden mehr wert ist als alle Kleider einer armen ehrlichen Hausfrau, so bin ich in einer Aufwallung gegen die Könige. Wenn ich der liebe Gott wäre, so zöge ich ihnen eine Bleiuniform auf den Leib und ließe sie tausend Jahre Dienst auf dem Monde tun mit allen ihren Ungerechtigkeiten im Ranzen. Die Kaiser wären die Feldwebel.«

Nachdem er Atem geschöpft und sich die Stirn getrocknet hatte, denn er schwitzte, mein würdiger Großonkel, vor Erregung und Zorn, zog er meinen Großvater beiseite: »Wenn wir diesen wackern Mann und diesen ruhmbedeckten Pudel mit zu Manette nähmen behufs eines Frühstücks?«

»Hm, hm«, wandte mein Großvater ein.

»Was Teufel«, verteidigte sich Benjamin, »man trifft nicht alle Tage einen Pudel, der einen englischen Hauptmann zum Gefangenen gemacht hat, und alle Tage veranstaltet man politische Feste für Leute, die weniger wert sind als dieser ehrenwerte Vierfüßler!«

»Aber – hast du Geld?« fragte mein Großvater; »ich habe nur ein Dreißighellerstück, das mir deine Schwester heute morgen gegeben hat, weil es, wie ich glaube, nicht recht geprägt ist; und sie hat mir dazu auf die Seele gebunden, ihr mindestens die Hälfte wiederzubringen.«

»Ich? ich habe keinen Heller; aber ich bin der Arzt von Manette, wie sie von Zeit zu Zeit meine Wirtin ist: wir geben uns wechselseitig Kredit.«

»Nur Manettes Arzt?«

»Was geht das dich an?«

»Nichts; aber ich kündige dir hiermit an, daß ich nicht länger als eine Stunde bei Manette sitzen will.«

Mein Onkel brachte also seine Einladung bei dem Sergeanten vor. Dieser nahm ohne Förmlichkeiten an und stellte sich vergnügt zwischen meinen Onkel und meinen Großvater in Reih und Glied, um, wie man im Soldatenton sagt, Tritt zu fassen.

Ein Stier, den ein Bauer auf die Weide führte, kam ihnen entgegen. Gereizt jedenfalls durch Benjamins roten Frack, stürzte er sich plötzlich auf ihn. Mein Onkel wich seinen Hörnern aus, und als ob er Gelenke von Stahl hätte, setzte er, ohne eine größere Anstrengung als für einen Tanzschritt, mit einem Sprung über einen breiten Graben, der die Straße von den Feldern trennte. Der Stier, der sich ohne Zweifel darauf versteifte, dem roten Frack einen Riß beizubringen, wollte dasselbe Manöver ausführen wie mein Onkel, fiel aber mitten in den Graben. »Das geschieht dir recht«, sagte Benjamin; »so geht's, wenn man mit Leuten Streit sucht, die gar nicht an dich denken.« Aber der Vierfüßler, hartnäckig wie ein Russe, der Sturm läuft, ließ sich von diesem Mißerfolg nicht werfen; seine Hufe in die halb aufgetaute Erde gestemmt, suchte er den Hang emporzuklettern. Als mein Onkel dies sah, zog er seinen Degen, und während er nach besten Kräften die Schnauze seines Feindes spickte, rief er dem Bauern zu: »Verehrtester, haltet Euer Vieh fest, sonst muß ich ihm meinen Degen durch den Leib rennen!« Aber während er noch so sprach, fiel ihm der Degen in den Graben. »Zieh deinen Frack aus und wirf ihm den hin; rasch!« rief Beißkurz. »Rettet Euch in die Weinberge!« schrie der Bauer. »Ks, ks, Fontenoy!« machte der Sergeant. Der Pudel warf sich auf den Stier, und da er seine Leute kannte, biß er ihn in die Weiche. Die Wut des Tieres wandte sich nun gegen den Hund; während er aber wütend um sich stieß, kam der Bauer herbei, und es gelang ihm, eine Schlinge um die Hinterbeine des Stieres zu legen. Dieses geschickte Manöver hatte vollen Erfolg und setzte den Feindseligkeiten ein Ziel.

Benjamin stieg auf die Straße zurück; er glaubte, Beißkurz wolle sich über ihn lustig machen; aber dieser war weiß wie ein Bettuch und zitterte in den Knien.

»Na, na, Beißkurz, erhole dich«, sagte mein Onkel, »oder muß ich dir zur Ader lassen? Und du, mein braver Fontenoy, du hast heute eine hübschere Fabel geliefert als die von La Fontaine, betitelt ›Die Taube und die Ameise‹. Ihr seht, ihr Herren, daß eine Wohltat nie umsonst ist. Meist ist freilich der Wohltäter genötigt, seinem Schützling einen langen Kredit zu gewähren, aber er, Fontenoy, hat mich im voraus bezahlt. Welcher Teufel hätte mir gesagt, daß ich jemals Verpflichtungen gegen einen Pudel haben würde?«

Moulot ist in einem Busch von Weiden und Pappeln am linken Ufer des Beuvronbaches versteckt. Es liegt am Fuß eines mächtigen Hügels, in den die Straße von La Chapelle eingehauen ist. Einige Häuser des Dorfes waren schon am Rande der Straße hinangeklettert, weiß und sonntäglich, wie Bäuerinnen, die zum Feste gehen; zu diesen gehörte die Schenke Manettes. Beim Anblick des Wirtshausschildes, das reifbedeckt aus der Speicherluke heraushing, begann Benjamin mit seiner Stentorstimme zu singen:

»Freunde, hier gibt's eine Rast,
Eine Schenke seh ich winken.«

Beim Klang dieser Stimme, die sie wohl kannte, kam Manette ganz rot auf die Schwelle gelaufen.

Manette war eine wirklich hübsche, rundliche, pausbäckige Weibsperson, ganz weiß, aber vielleicht etwas zu rosig; ihr hättet von ihren Wangen gesagt: eine Milchlache, auf die ein paar Weintropfen gefallen sind.

»Meine Herren«, sagte Benjamin, »erlaubt mir vor allem, unsre hübsche Wirtin zu küssen, als Vorgeschmack des guten Frühstücks, das sie uns nachher bereiten wird.«

»Oha, Herr Rathery«, machte Manette und sträubte sich, »Sie sind nicht für die Bäuerinnen geschaffen, Sie; gehen Sie doch das Fräulein Minxit küssen.«

›Es scheint‹, dachte mein Onkel, ›das Gerücht von meiner Heirat geht schon im Lande um. Nur Herr Minxit kann davon gesprochen haben; folglich hält er darauf, mich zum Schwiegersohn zu bekommen; folglich, wenn er heute meinen Besuch nicht erhält, wird das kein Grund sein, daß das Geschäft nicht zustande kommt.‹

»Manette«, fügte er hinzu, »es handelt sich hier nicht um Fräulein Minxit; gibt's Fische?«

»Fische?« machte Manette, »die gibt es in Herrn Minxits Fischweiher.«

»Ich wiederhole dir, Manette«, sagte Benjamin: »Hast du Fische? Gib acht, was du antwortest.«

»Nun denn«, sagte Manette, »mein Mann ist fischen gegangen und wird bald zurück sein.«

»Bald – das ist nichts für uns; leg uns so viel Scheiben Schinken auf den Rost wie daraufgehen, und mach uns einen Eierkuchen aus allen Eiern, die sich in deinem Hühnerstall finden.«

Das Frühstück war bald bereit; während das Omelett in der Pfanne tanzte, brutzelte der Schinken auf dem Rost. Das Omelett war ebenso schnell befördert wie aufgetragen. »Ein Huhn braucht sechs Monate, um zwölf Eier hervorzubringen, eine Frau braucht eine Viertelstunde, um sie in ein Omelett zu verwandeln, und in fünf Minuten vertilgen drei Männer das Omelett. Da seht ihr«, orakelte Benjamin, »wie die Zerstörung schneller geht als der Aufbau. Die volkreichen Gegenden werden mit jedem Tag ärmer. Der Mensch ist ein gefräßiges Kind, das seine Amme mager saugt; der Ochse gibt der Weide nicht das Gras wieder, das er ihr genommen hat; die Asche der Eichenklötze, die wir verbrennen, kehrt nicht als Eiche in den Wald zurück; der Zephir bringt dem Rosenstrauch die Blätter des Straußes nicht wieder, die das junge Mädchen um sich streut; die Kerze, die vor uns verbrennt, fällt nicht als Tau, aus dem die Bienen Wachs machen könnten, wieder zur Erde. Die Flüsse berauben unaufhörlich das feste Land und versenken in der Tiefe der Meere die Dinge, die sie an ihren Ufern entführt haben. Die meisten Gebirge haben kein Grün mehr auf ihren kahlen Schädeln; die Alpen zeigen ihre nackten, zerrissenen Knochen; das Innere Afrikas ist heute nichts weiter als ein Sandmeer; Spanien ist eine wüste Heide und Italien ein großes Beinhaus, von dem nur eine Aschenschicht sichtbar ist. Wo immer die großen Völker dahergestampft sind, überall haben sie die Unfruchtbarkeit auf ihren Spuren zurückgelassen. Diese grünende und blühende Erde ist nur eine Schwindsüchtige, mit Rosen auf den Wangen, aber mit einem verwirkten Leben. Es wird eine Zeit kommen, da sie nicht mehr ist als eine tote, vereiste Masse, ein großer Leichenstein, auf den Gott die Inschrift setzen wird: ›Hier liegt das Menschengeschlecht.‹ In dieser Erwartung, meine Herren, lassen Sie uns der Güter genießen, die die Erde uns schenkt; da sie immerhin eine gute Mutter ist, trinken wir auf ihr langes Leben.«

Nun ging man dem Schinken zu Leibe; mein Großvater aß aus Pflichtgefühl, weil der Mensch essen muß, um wohlauf zu sein und Zahlungsbefehle zu kritzeln; Benjamin aß, um sich zu vergnügen; aber der Sergeant aß wie ein Mensch, der sich nur dazu an den Tisch setzt, und sprach kein Wort.

Bei Tisch war Benjamin ein großer Mann, aber sein edler Magen war nicht frei von Eifersucht, welch niedere Leidenschaft die glänzendsten Eigenschaften trübt. Er beobachtete den Sergeanten mit der verdrossenen Miene eines Menschen, der sich übertroffen sieht: wie Cäsar von der Höhe des Kapitols Bonaparte betrachtet haben mochte, als er die Schlacht von Marengo gewann. Nachdem er seinem Mann eine Weile stillschweigend zugesehen hatte, hielt er es für angebracht, folgende Worte an ihn zu richten: »Essen und Trinken sind zwei Wesen, die sich ähneln; auf den ersten Blick könnte man sie für Vettern halten. Aber Trinken steht so hoch über dem Essen, wie der Adler, der sich auf die Gipfel niederläßt, über den Raben erhaben ist, der auf dem Wipfel sitzt. Essen ist ein Bedürfnis des Magens, Trinken ist ein Bedürfnis der Seele. Essen ist nur ein gewöhnlicher Handwerker, während Trinken ein Künstler ist. Trinken erfüllt den Dichter mit lachenden Bildern, den Philosophen mit edlen Gedanken, den Musiker mit melodischen Tönen; Essen verschafft ihnen höchstens Leibweh. Nun schmeichle ich mir, Sergeant, daß ich ebenso tapfer trinken kann wie Ihr, ja ich glaube, sogar besser; aber im Essen, da bin ich gegen Euch nur ein Knirps. Ihr werdet mit Artus in Person Kopf an Kopf kommen, ich glaube sogar, auf einen Truthahn könntet Ihr ihm einen Flügel vorgeben.«

»Das macht«, antwortete der Sergeant, »daß ich für gestern, heute und morgen esse.«

»So gestattet mir, Euch für übermorgen diese letzte Scheibe Schinken aufzulegen.«

»Schönen Dank«, sagte der Sergeant, »alles hat seine Grenzen.«

»Nun, der Schöpfer, der die Soldaten dazu geschaffen hat, plötzlich vom äußersten Überfluß zum äußersten Mangel überzugehen, hat ihnen, wie den Kamelen, zwei Magen gegeben: ihr zweiter ist ihr Tornister. Steckt diesen Schinken, den Beißkurz und ich nicht mehr mögen, in Euren Tornister.«

»Nein«, sagte der Soldat, »ich habe kein Bedürfnis, Magazine anzulegen; Nahrung gibt's immer genug. Erlauben Sie mir, diesen Schinken Fontenoy anzubieten; wir haben die Gepflogenheit, alles miteinander zu teilen, Festtage und Fasttage.«

»Ihr habt da in der Tat einen Hund, der verdient, daß man ihn gut behandelt«, sagte mein Onkel, »wollt Ihr ihn mir verkaufen?«

»Herr!« rief der Sergeant und legte rasch seine Hand auf seinen Pudel...

»Verzeiht, mein Wackerer, verzeiht! Ich bin außer mir, daß ich Euch beleidigte; was ich da sagte, war nur so gesagt; ich weiß wohl, einem Armen vorschlagen, seinen Hund zu verkaufen, ist so, wie einer Mutter vorschlagen, ihr Kind zu verkaufen.«

»Du wirst mir doch nicht vormachen«, sagte mein Großvater, »man könne einen Hund so lieben wie ein Kind! Auch ich habe einen Pudel gehabt, einen Pudel, der Euern wert war, Sergeant – das heißt, ohne Fontenoy zu nahezutreten –, obwohl der meinige keine andern Gefangenen gemacht hat als die Perücke des Zolleinnehmers. Nun denn, eines Tages, als ich den Advokaten Page zum Mittagessen hatte, trug der Hund mir einen Kalbskopf weg, und am selben Abend noch ließ ich ihn unterm Mühlrad durchlaufen.«

»Das, was du da sagst, beweist nichts; du, du hast eine Frau und sechs Kinder; das ist genug Schererei für dich, um diese ganze Welt zu lieben, ohne daß du es nötig hättest, eine romantische Zuneigung zu einem Pudel zu fassen; aber ich spreche dir von einem armen Teufel, der einsam ist unter den Menschen und nichts von Verwandtschaft hat als seinen Hund. Setze einen Menschen mit einem Hund auf eine verlassene Insel, setze auf eine andere verlassene Insel ein Weib mit ihrem Kind, ich wette, daß nach sechs Monaten der Mensch seinen Hund, wenn der Hund überhaupt liebenswürdig ist, ebenso liebt, wie das Weib ihr Kind lieben wird.«

»Ich begreife«, antwortete mein Großvater, »daß man auf der Wanderschaft einen Hund hält, um einen Begleiter zu haben; daß ein altes Weib, die allein in ihrem Zimmer sitzt, einen Schoßhund hält, mit dem sie den ganzen Tag schwatzt. Aber daß jemand einen Hund in wirklicher Zuneigung liebt, daß er ihn liebt wie einen Christenmenschen, das bestreite ich, das ist nicht möglich.«

»Und ich, ich sage dir, daß du unter gegebenen Umständen auf eine Klapperschlange Liebeslieder machen würdest; das Liebesfieber im Menschen kann nie völlig untätig sein. Die Menschenseele hat den Schauder vorm Leeren; man beobachte mit Aufmerksamkeit den verhärtetsten Egoisten, und man wird am Ende, wie ein Blümchen zwischen Steinen, eine in den Falten seiner Seele verborgene Neigung entdecken.

Generalregel ohne Ausnahme: irgend etwas muß der Mensch lieben. Der Dragoner, der keinen Schatz hat, liebt sein Pferd; das Mädchen, das keinen Geliebten hat, liebt seinen Vogel; der Gefangene, der anständigerweise seinen Schließer nicht lieben kann, liebt die Spinne, die ihr Netz in der Luke seines Kerkers spinnt, oder die Fliege, die in einem Sonnenstrahl zu ihm niederschwebt. Wenn wir nichts Beseeltes finden, auf das wir unsere Neigung werfen können, lieben wir die leblose Materie: einen Ring, eine Tabaksdose, einen Baum, eine Blume; der Holländer faßt eine Leidenschaft zu seinen Tulpen und der Altertümler zu seinen Kameen.«

In diesem Augenblick trat Manettes Mann mit einem großen Aal in die Stube.

»Beißkurz«, sagte Benjamin, »es ist zwölf Uhr, will sagen, Zeit zum Mittagessen; wie, wenn wir diesen Aal verspeisten?«

»Es ist Zeit zum Aufbrechen«, sagte Beißkurz, »und wir werden bei Herrn Minxit zu Mittag speisen.«

»Und was meint Ihr, Herr Sergeant, wenn wir den Aal äßen?«

»Ich bin nicht pressiert«, sagte der Sergeant; »da ich nicht eher dahin gehe als dorthin, bin ich jeden Abend in meinem Nachtquartier.«

»Sehr wohl gesprochen! Und der verehrliche Pudel, was ist seine Meinung in diesem Punkt?«

Der Pudel sah Benjamin an und wedelte ein paarmal mit dem Schwanz.

»Gut! Wer schweigt, ist einverstanden. Also, Beißkurz, wir sind drei gegen einen; du mußt dich der Mehrheit fügen. Die Mehrheit, siehst du, ist stärker als die ganze Welt. Stelle zehn Weise auf eine Seite und elf Schwachköpfe auf die andere, die Schwachköpfe behalten recht.«

»Der Aal ist wirklich sehr schön«, sagte mein Großvater, »und wenn Manette etwas frischen Speck hat, kann sie ein herrliches Ragout daraus machen. Aber Teufel, meine Vorladung! Der Dienst muß doch getan werden.«

»Gib wohl acht«, sagte Benjamin, »Es wird ohne Zweifel nötig werden, daß mir einer seinen Arm leiht, um mich nach Clamecy zurückzubringen; wenn du dich dieser frommen Pflicht entziehst, will ich dich nicht mehr für meinen Schwager ansehen.«

Nun, da Beißkurz sehr darauf hielt, Benjamins Schwager zu sein, blieb er.

Als der Aal fertig war, setzte man sich wieder zu Tisch. Manettes Matelotte war ein Meisterstück, und der Sergeant konnte sich vor Bewunderung nicht lassen. Aber die Meisterwerke des Kochs sind ephemer; man läßt ihnen kaum Zeit, kalt zu werden. Es gibt nur ein Ding im Bereich der Künste, das man den kulinarischen Erzeugnissen vergleichen kann: die Erzeugnisse des Journalismus. Und dann: ein Ragout läßt sich aufwärmen, eine Gänseleberpastete kann einen ganzen Monat existieren, ein Schinken kann mehrmals seine Bewunderer um sich sehen, aber ein Artikel einer Tageszeitung hat kein Morgen; man ist noch nicht am Ende, so hat man den Anfang vergessen, und wenn man ihn durchflogen hat, wirft man ihn auf sein Pult wie eine Serviette auf den Tisch, nachdem man gegessen hat. Ich verstehe also nicht, wie ein Mensch, der einen schriftstellerischen Wert in sich fühlt, sich dazu hergeben kann, sein Talent an die obskuren Arbeiten des Journalismus zu verschwenden; wie er, der auf Pergament schreiben kann, sich bescheidet, auf Zeitungspapier zu kritzeln; wahrhaftig, es muß ihm doch jedesmal einen Stich ins Herz versetzen, wenn er die Blätter, in denen er seine Gedanken niedergelegt hat, lautlos mit den tausend andern Blättern zu Boden fallen sieht, die der gewaltige Baum der Presse täglich von seinen Zweigen schüttelt.

Während mein Onkel so philosophierte, ging indessen der Zeiger der Kuckucksuhr immer weiter. Benjamin gewahrte erst, daß es Nacht war, als Manette eine brennende Kerze auf den Tisch stellte. Jetzt, ohne die Bemerkungen Beißkurzens, der übrigens wenig fähig war, überhaupt noch etwas zu bemerken, hierzu abzuwarten, erklärte er, daß es nun für einen Tag genug sei und man nach Clamecy zurückkehren müsse.

Der Sergeant und mein Großvater gingen zuerst hinaus. Manette hielt meinen Onkel auf der Schwelle an. »Herr Rathery«, sagte sie, »hier.«

»Was soll das Gekritzel?« sagte mein Onkel: »›Am 10. August drei Flaschen Wein und ein Rahmkäse; am 1. September, mit Herrn Page, neun Flaschen und eine Schüssel Fische.‹ – Gott verzeih mir, ich glaube gar, das ist eine Rechnung!«

»Gewiß«, sagte Manette; »ich sehe wohl, daß es Zeit ist, unsere Rechnungen zu begleichen, und ich hoffe, daß Sie mir die Ihrige dieser Tage schicken werden.«

»Ich, Manette? ich habe dir keine Rechnung zu machen. Schöne Leistung, meiner Treu, den weißen, runden Arm einer Frau zu befühlen, wie du eine bist!«

»Sie sagen das, um sich über mich lustig zu machen, Herr Rathery«, sagte Manette zitternd vor Behagen.

»Ich sage es, weil es wahr ist, weil ich es denke«, antwortete mein Onkel. »Was deine Rechnung betrifft, meine arme Manette, so kommt sie in einem fatalen Augenblick; ich muß dir erklären, daß ich nicht den winzigsten Taler besitze zu dieser Tagesstunde; aber halt, hier meine Uhr; du wirst sie mir aufheben, bis ich dich bezahlt habe. Das trifft sich ausgezeichnet; seit gestern geht sie nicht mehr.«

Manette begann zu weinen und zerriß die Rechnung.

Mein Onkel küßte sie auf die Wange, auf die Stirn, auf die Augen, überallhin, wo er ihrer habhaft werden konnte.

»Benjamin«, sagte Manette zu ihm und neigte sich zu seinem Ohr, »wenn du Geld brauchst, so sag es mir.«

»Nein, nein, Manette«, antwortete mein Onkel lebhaft, »ich brauche dein Geld nicht. Zum Teufel, das wäre ein starkes Stück! Dich das Glück bezahlen lassen, das du mir gewährst! Aber das wäre ja schändlich; ich wäre schlecht wie ein liederliches Weibsstück!« und er küßte Manette wie das erstemal.

»Soo! Genieren Sie sich nicht, Herr Rathery!« sagte ihr Mann, der dazukam.

»Ha, du bist da? Solltest du zufällig eifersüchtig sein? Ich warne dich, ich habe eine tiefe Abneigung gegen die Eifersüchtigen.«

»Aber es scheint mir, daß ich wohl das Recht habe, eifersüchtig zu sein.«

»Dummkopf, du nimmst die Dinge immer verkehrt! Diese Herren haben mich beauftragt, deiner Frau ihre Anerkennung für die treffliche Matelotte zu bezeugen, die sie uns gemacht hat, und ich entledigte mich des Auftrags.«

»Sie hätten ein gutes Mittel, scheint mir, Ihre Anerkennung zu bezeugen, nämlich zu bezahlen, verstehen Sie?«

»Erstens haben wir nicht mit dir zu tun: Manette ist hier die Wirtin. Was dann das Bezahlen angeht, so sei ruhig, die Zeche geht auf meine Kappe; du weißt, daß bei mir nichts zu verlieren ist. Wenn du übrigens vor dem langen Warten Angst hast, so erbiete ich mich, dir auf der Stelle meinen Degen durch den Leib zu rennen. Paßt dir das?« und mit diesen Worten ging er hinaus.

Bis jetzt war Benjamin nur überangeregt; er enthielt alle Elemente der Trunkenheit, ohne noch trunken zu sein. Aber als er Manettes Schenke verließ, packte ihn die Kälte bei Kopf und Beinen.

»Holla, he, Beißkurz, wo bist du?«

»Hier bin ich und halte dich an deinem Frackzipfel.«

»Du hältst mich? Sehr gut; das macht mir Ehre; das ist eine Schmeichelei, die du an mich richtest. Du willst sagen, daß ich imstande bin, meine Leiblichkeit und deine aufrecht dahinzutragen. Zu andrer Zeit ja; aber jetzt bin ich schwach wie der gemeine Mensch, wenn er zu lange getafelt hat. Ich habe mir deinen Arm vorbehalten: ich fordere dich auf, anzutreten und ihn mir darzureichen.« »Zu anderer Zeit ja«, sagte Beißkurz; »aber heute hat es eine Schwierigkeit: ich kann selber nicht gehen.«

»Dann hast du dich gegen die Ehre vergangen, du hast dich gegen die heiligste der Pflichten verfehlt: ich hatte deinen Arm mit Beschlag belegt, du hättest dich für uns beide schonen müssen; aber ich vergebe dir deine Schwäche. Homo sum ... das heißt, ich vergebe sie dir unter einer Bedingung: daß du dich sofort aufmachst, den Feldhüter und zwei fackeltragende Bauern zu suchen, um mich nach Clamecy zurückzuführen. Du wirst den einen Arm des Feldmarschalls nehmen und ich den andern.«

»Aber er ist einarmig, der Feldmarschall«, sagte mein Großvater.

»Dann gehört der gesunde Arm mir; alles, was ich für dich tun kann, ist, dir zu gestatten, dich an meinem Zopf anzuhalten, und du wirst dich in acht nehmen, das Band nicht aufzuziehen. Wenn es dir bequem ist, so reite auf dem Pudel heim.«

»Meine Herren«, sagte der Sergeant, »warum in die Ferne schweifen? Ich habe zwei gute Arme, die die Kugel glücklicherweise verschont hat; ich stelle sie Ihnen zur Verfügung.«

»Ihr seid ein braver Mann, Sergeant«, sagte mein Onkel, indem er den rechten Arm des alten Soldaten nahm. »Ein vortrefflicher Mann«, sagte mein Großvater und nahm den linken. »Ich werde für Euer Fortkommen Sorge tragen, Sergeant.«

»Und ich auch, Sergeant; ich werde auch für Euer Fortkommen ..., obgleich, um die Wahrheit zu sagen, in diesem Augenblick das Fortkommen ganz ...«

»Ich lehre Euch das Zahnziehen, Sergeant.«

»Und ich, Sergeant, ich werde Euern Pudel ausbilden, den Büttel zu machen.«

»In drei Monaten werdet Ihr soweit sein, auf den Jahrmärkten herumzureisen.«

»In drei Monaten kann Euer Pudel, wenn er sich gut aufführt, dreißig Sous am Tage verdienen.«

»Der Sergeant wird an dir seine Lehre durchmachen, Beißkurz; du hast etliche ganz zerbröckelte alte Stümpfe, die nur im Wege sind; von denen werden wir dir jeden zweiten Tag einen ausziehen, um dich nicht zu ermüden, und wenn wir mit den Stümpfen fertig sind, gehn wir an die gesunden.«

»Und ich, ich werde meinen Büttel bei deinen Gläubigern in Dienst geben, du schlechter Zahler! Ich will dich im voraus über die Pflichten belehren, die du gegen ihn zu erfüllen hast. Am Morgen bist du ihm Brot und Käse oder, nach der Jahreszeit, ein Bund Radieschen schuldig, mittags Suppe und Rindfleisch, und zum Abend Braten und Salat; der Salat ist durch ein Gläschen vertretbar. Du hast dafür zu sorgen, daß er unter deinen Händen nicht abmagert; denn nichts macht einem Schuldner mehr Ehre als ein wohlbeleibter Büttel. Er seinerseits muß sich anständig gegen dich aufführen; er hat nicht das Recht, dich in deinen Beschäftigungen zu stören, zum Beispiel Klarinette zu spielen oder das Waldhorn zu blasen.«

»Vorläufig biete ich dem Sergeanten ein Nachtlager zu Hause an. Du hast nichts dagegen, Beißkurz, nicht wahr?«

»Nicht gerade; aber ich fürchte sehr, daß deine teure Schwester anders denkt.«

»Aha, meine Herren, verstehen wir uns«, sagte der Sergeant; »setzen Sie mich nicht der Gefahr einer Kränkung aus; denn, ich warne Sie, einer oder der andere hätte dafür einzustehen.«

»Beruhigt Euch, Sergeant«, sagte mein Onkel; »und wenn der Fall eintreten sollte, so hättet Ihr Euch an mich zu halten; denn Beißkurz, der weiß sich nur zu schlagen, wenn ihm sein Gegner die Klinge vorgibt und die Scheide behält.«

Unter solchen weisen Gesprächen langten sie an der Haustür an. Mein Großvater legte keinen Wert darauf, als erster hineinzugehen, und mein Onkel wollte nur als zweiter.

Um der Sache beizukommen, traten sie beide zugleich ein, wobei sie aufeinanderplatzten wie zwei Schläuche, die man über dem Ende eines Stockes trägt.

Der Sergeant und der Pudel, bei dessen Eintritt die Katze wie ein Königstiger fauchte, bildeten die Nachhut.

»Meine teure Schwester«, sagte Benjamin, »ich habe die Ehre, Ihr einen Lehrling der Chirurgie und einen ...«

»Benjamin versteift sich darauf, dir Dummheiten vorzuschwatzen«, unterbrach mein Großvater; »höre nicht auf ihn; der Herr ist ein Soldat, den man uns ins Quartier schickt und den wir vor der Tür getroffen haben.«

Meine Großmutter war eine gute Frau, aber etwas Drache; sie glaubte, wenn sie recht laut schrie, das mache sie größer. Sie hatte die größte Lust von der Welt, in Zorn zu geraten, und um so größere Lust, als sie das Recht dazu hatte. Aber sie tat sich etwas auf ihre Lebensart zugute, in Anbetracht dessen, daß sie von einer Juristenrobe abstammte; die Gegenwart eines Fremden hielt sie im Zaum.

Sie bot dem Sergeanten ein Abendessen an. Als dieser gedankt hatte und aus anderen Gründen ließ sie ihn von einem der Kinder in das benachbarte Gasthaus führen, mit der Empfehlung, ihm am andern Tag sein Frühstück zu geben, ehe er abmarschierte.

Mein Großvater bog sich jedesmal wie ein Rohr, der brave und friedliche Mann, wenn sich ein eheliches Unwetter erhob. Was bis zu einem gewissen Grade diese Schwäche entschuldigen kann, war, daß er immer unrecht hatte.

Er hatte wohl das Gewitter auf der gerunzelten Stirn seiner Frau sich zusammenziehen sehen, und der Sergeant war noch nicht zur Tür hinaus, als der tapfre Ehemann schon sein Bett gewonnen hatte, wo er, so gut es ging, Unterkommen suchte. Was Benjamin betrifft, so war er einer solchen Feigheit unfähig. Eine Predigt in fünf Punkten, wie eine Partie Ekarté, hätte ihn nicht eine Minute vor seiner Zeit ins Bett gebracht. Er hatte nichts dagegen, wenn seine Schwester mit ihm zankte, aber er war nicht der Meinung, sie fürchten zu müssen. Er erwartete die Entladung des Unwetters mit der Gleichgültigkeit eines Felsenriffs; beide Hände in den Taschen, den Rücken gegen den Kaminsims gelegt, summte er vor sich hin:

»Marlbrough zog aus zum Kriege,
Dideldum, dideldum, dideldum,
Marlbrough zog aus zum Kriege,
Weiß nicht, kehrt er zurück.«

Meine Großmutter hatte den Sergeanten kaum hinausgebracht, als sie, ungeduldig, zum Kampf überzugehen, vor Benjamin Stellung nahm.

»Nun, Benjamin, bist du zufrieden mit deinem Tag? Du findest dich wohl reizend so? Muß ich dir eine Flasche Weißen zapfen gehn?«

»Danke, liebe Schwester, mein Tag ist beendet, wie Sie treffend bemerkt.«

»Schöner Tag, wahrhaftig; solcher braucht's viele, um deine Schulden zu bezahlen. Hast du wenigstens noch so viel Verstand behalten, mir zu sagen, wie euch Herr Minxit aufgenommen hat?«

»Dideldum, dideldum, dideldum, liebe Schwester«, machte Benjamin.

»So, dideldum, dideldum!« rief meine Großmutter, »wart, ich will dir von deinem Dideldum, dideldum geben!« und sie bewehrte sich mit der Feuerzange. Mein Onkel trat drei Schritt zurück und zog seinen Degen.

»Liebe Schwester«, sagte er und ging in die Auslage, »ich mache dich für alles Blut verantwortlich, das hier vergossen wird.«

Aber meine Großmutter, obzwar sie von einer Kutte abstammte, hatte keine Angst vor einem Degen. Sie versetzte ihrem Bruder einen Schlag mit der Feuerzange, der ihn so auf den Daumen traf, daß er seine Klinge fallen ließ.

Benjamin tanzte im Zimmer herum und drückte mit der linken Hand seinen wehen Daumen. Mein Großvater, obgleich er sicherlich ein guter Mensch war, erstickte vor Lachen unter seiner Bettdecke. Er konnte sich's nicht verbeißen, zu meinem Onkel zu sagen:

»Nun, wie findest du den Hieb? Diesmal hattest du die Scheide samt der Klinge; du kannst nicht sagen, daß die Waffen nicht gleich waren.«

»Au! Nein, Beißkurz, sie waren es nicht; dazu hätte sie die Aschenschaufel haben müssen. Einerlei! deine Frau – denn ich kann nicht mehr meine liebe Schwester sagen – verdient, statt der Spindel eine Feuerzange an der Seite zu tragen. Mit einer Feuerzange würde sie Schlachten gewinnen. Ich bin besiegt, ich gebe es zu; und ich muß mich dem Gesetz des Siegers unterwerfen. Also gut; wir sind gar nicht bis nach Corvol gegangen; wir sind bei der Manette sitzen geblieben.«

»Immer bei Manette! Eine verheiratete Frau! Schämst du dich nicht, Benjamin, dich so aufzuführen?«

»Schämen? Und warum das, liebe Schwester? Seit dem Augenblick, wo eine Wirtin verheiratet ist, soll man bei ihr nicht mehr frühstücken können? So sehe ich das Ding nicht an: für einen wahren Philosophen hat die Kneipe kein Geschlecht. Nicht wahr, Beißkurz?«

»Ich soll sie nur auf dem Markt treffen, deine Manette, ich will's ihr schon geben, Weibsstück, das sie ist, wie sie's verdient!«

»Liebe Schwester, wenn Sie Manette auf dem Markte trifft, so kaufe Sie ihr so viele Rahmkäse ab, wie Sie will, aber wenn Sie sie beleidigt...«

»Nun, wenn ich sie beleidige, was würdest du mir antun?«

»Ich würde Sie verlassen; ich würde nach den Kolonien auswandern, und ich würde Beißkurz mitnehmen; lasse Sie sich's gesagt sein.«

Meine Großmutter begriff, daß all ihr Aufheben nichts nütze sei, und faßte alsbald ihren Entschluß. »Du wirst jetzt tun wie dieser Saufaus, der in seinem Bette liegt«, sagte sie; »du hast den Schlaf ebenso nötig wie er. Aber morgen, da werde ich selbst dich zu Herrn Minxit begleiten, und wir werden sehn, ob du unterwegs hängenbleibst.«

»Dideldum, dideldum, dideldum«, summte Benjamin, während er zu Bett ging.

Die Vorstellung des Ganges, den er am andern Morgen antreten sollte, beunruhigte den sonst so friedlichen, gesunden und festen Schlaf meines Onkels; er träumte laut, und hier sind seine Worte:

»Ihr sagt, Sergeant, daß Ihr gespeist habt wie ein König. Das ist nicht das richtige Wort, das ist eine Verkleinerung, die Ihr da anwendet. Ihr habt besser als ein Kaiser gespeist. Die Könige und die Kaiser, trotz aller ihrer Macht, können sich kein Extra leisten, Ihr aber habt Euch eins geleistet. Seht Ihr, Sergeant, alles ist relativ. Diese Matelotte wiegt sicher kein getrüffeltes Rebhuhn auf. Nichtsdestoweniger hat es Eure Geschmackspapillen angenehmer gekitzelt, als ein getrüffeltes Rebhuhn die des Königs zu kitzeln vermöchte. Warum das? Weil der Gaumen Seiner Majestät überfüttert ist mit Trüffeln, während der Eure nicht alle Tage Matelotten ißt.

Meine liebe Schwester sagt zu mir: ›Benjamin, tu etwas, um reich zu werden. Benjamin, heirate Fräulein Minxit, um eine gute Mitgift zu haben.‹ Was soll mir das? Gibt sich der Schmetterling für die zwei oder drei Monate, die er zu leben hat, die Mühe, ein Nest zu bauen? Ich wenigstens bin überzeugt, daß die Genüsse im Verhältnis zu den Lebensbedingungen stehn und daß am Ende des Jahres der Bettler und der Reiche die gleiche Summe von Glück gehabt haben.

Gut oder schlecht, jedes Individuum paßt sich seiner Lage an. Der Lahme bemerkt nicht mehr, daß er an einer Krücke geht, und der Reiche nicht mehr, daß er eine Equipage hat. Die arme Schnecke, die ihr Haus auf dem Rücken trägt, freut sich eines Tages voll Duft und Sonne genauso wie der Vogel, der über ihr in den Zweigen singt. Nicht die Ursache muß man betrachten, sondern die Wirkung, die sie hervorbringt. Der Tagelöhner, der vor seiner Hütte auf der Bank sitzt, fühlt er sich nicht genauso wohl wie der König auf den Eiderdaunen seines Sessels? Ißt Michel seine Krautsuppe nicht mit ebensoviel Genuß wie der Reiche seine Krebssuppe? Und schläft der Bettler auf dem Stroh nicht ebensogut wie die große Dame unter den seidenen Vorhängen und zwischen dem parfümierten Batist ihres Bettes? Ein Kind, das einen Pfennig findet, ist zufriedener als ein Bankier, der einen Louis gefunden hat, und der arme Bauer, der einen Morgen Land erbt, fühlt sich davon ebenso gehoben wie ein König, dem seine Armeen eine Provinz erobert haben und der von seinem Volk ein Tedeum anstimmen läßt.

Jedes Übel hienieden wird durch ein Gutes wettgemacht, und jedes Gute, das sich so brüstet, ist durch ein unsichtbares Übel abgeschwächt. Gott hat tausend Mittel, Ausgleiche zu schaffen; wenn er dem einen gut Essen und Trinken gibt, so gibt er dem andern ein wenig mehr Appetit, und das Gleichgewicht ist hergestellt. Dem Reichen gibt er die Furcht vor dem Verlieren, die Sorge des Erhaltens, und dem Armen die Unbesorgtheit. Als er uns an diesen Ort der Verbannung schickte, machte er für uns alle ein Bündel, fast gleich, von Elend und Wohlbehagen; wenn es anders wäre, wäre er nicht gerecht, und alle Menschen sind seine Kinder.

Und warum eigentlich wäre der Reiche glücklicher als der Arme? Er arbeitet nicht: nun wohl, so hat er nicht den Genuß, von der Arbeit zu ruhen.

Er hat schöne Kleider; aber die Annehmlichkeit hat der, der sie betrachtet. Wenn der Kirchendiener einen Heiligen anputzt, geschieht es für den Heiligen oder für seine Anbeter? Schließlich: ist man nicht ebenso bucklig in einem Samtrock wie in einem Flaus?

Der Reiche hat zwei, drei, vier, zehn Leute zu seiner Bedienung. Lieber Gott, wozu diese Menge unnützer Glieder, die man stolz seinem Körper anhängt, wenn deren nur vier nötig sind, um allen Dienst für unsere Person zu leisten? Der Mensch, der gewöhnt ist, sich bedienen zu lassen, ist ein Unglücklicher, aller seiner Glieder Beraubter, den man füttern muß.

Der Reiche hat ein Haus in der Stadt und ein Schloß auf dem Lande; aber was hat das Schloß für eine Bedeutung, wenn der Herr in der Stadt ist, und das Haus, wenn er auf dem Schloß ist? Was für eine Bedeutung hat es, daß seine Wohnung aus zwanzig Zimmern besteht, wenn er nur immer in einem auf einmal sein kann?

Anstoßend an sein Schloß hat er, um seine Träumereien spazierenzuführen, einen großen, von einer zehn Fuß hohen Mauer aus Kalk und Sand eingeschlossenen Park; aber zunächst: wenn er keine Träumereien hat? und dann: ist das freie Land, das nicht eingeschlossen ist außer durch den Horizont und allen gehört, nicht so schön wie sein großer Park?

Mitten durch besagten Park schleppt ein Kanal, gespeist von einem Wasserfädchen, seine grünlichen und kranken Gewässer dahin, auf denen, wie Pflaster, große Wasserrosenblätter kleben; aber der Fluß, der sich frei in die breite Ebene ergeht, ist er nicht klarer und lustiger als sein Kanal?

Dahlien von hundertfünfzig verschiedenen Arten fassen seine Alleen ein; sei es; ich gebe euch noch vier vom Hundert, was hundertsechsundfünfzig Arten macht. Aber der erlenbeschattete Pfad, der wie eine zarte Schlange durch die Wiese gleitet, wiegt er nicht gut und gern seine Alleen auf? und die Hecken, ganz mit wilden Rosen umzogen und ganz von Hagebutten übersät, die Hecken, die ihre Tuffen von allen Farben im Wind wiegen und ihre Blütenblätter auf den Pfad streuen, wiegen sie nicht gut und gern seine Dahlien auf, deren Wert nur der Gärtner ermessen kann?

Besagter Park gehört ihm allein, sagt ihr; ihr irrt euch: nur die Erwerbsurkunde, die in seinem Schreibtisch eingeschlossen liegt, ist sein alleiniges Eigentum, und dazu gehört noch, daß die Würmer sie nicht fressen.

Sein Park gehört ihm viel weniger als den Vögeln, die ihre Nester darin bauen, als den Kaninchen, die den Quendel darin abnagen, als den Insekten, die unter den Blättern summen.

Kann sein Feldhüter hindern, daß die Schlange sich im Grase ringelt und die Kröten sich im Moos verstecken? Der Reiche gibt Feste; aber sind die Tänze unter den alten Linden im Dorf beim Klang des Dudelsacks keine Feste? Der Reiche hat eine Equipage. Er hat eine Equipage, der Unglückliche! Hat er denn keine Beine mehr, ist er gelähmt? Da ist eine Frau, die ein Kind auf den Armen trägt, während das andere um sie herumspringt und nach Schmetterlingen und Blumen hascht. Welches von den Kleinen ist besser dran? Eine Equipage! Aber das ist eine Schwäche, die ihr habt: ein Rad bricht, ein Pferd verliert ein Eisen, und ihr seid gelähmt. Jene großen Herren unter Ludwig XIV., die sich in einer Sänfte zu Ball tragen ließen, arme Kerle, die Beine zum Tanzen und nicht zum Marschieren hatten, was mußten sie leiden unter der Trägheit derer, die sie trugen.

Im Wagen fahren, ihr glaubt, es sei ein Genuß für den Reichen; ihr irrt euch: es ist nur eine Servitut, die die Eitelkeit ihm auferlegt. Wenn es anders wäre, warum spannt denn dieser Herr oder diese Dame, die mager sind wie ein Reiserbesen und die ein Esel mit Leichtigkeit trüge, vier Pferde an ihre Karosse?

Was mich anlangt, wenn ich durch die Wiese gehe im Gras bis an die Knöchel, wenn ich, die Hände in den Taschen, träumend einen hübschen Weg dahinschlendere und, wie ein Geist, der umgeht, die blauen Wölkchen meiner rauchgebräunten Pfeife hinter mich werfe, oder wenn ich, bei schönem Mondenschein, langsam den weißen Pfad verfolge, den der Schatten der Hecken auf der einen Seite säumt, so möchte ich den wohl sehen, der die Unverschämtheit hätte, mir einen Wagen anzubieten.« Bei diesen Worten erwachte mein Onkel. –

»Was«, sagt ihr, »dein Onkel hat das alles ganz laut geträumt?«

Was ist da so erstaunlich? Frau George Sand hat doch ein ganzes Kapitel eines ihrer Romane den hochwürdigen Pater Spiridion laut träumen lassen. Hat Herr Golbéry in der Kammer nicht ganz laut eine ganze Stunde lang von einem Gesetzvorschlag über den Rechenschaftsbericht parlamentarischer Debatten geträumt? Und wir, träumen wir nicht seit dreizehn Jahren, wir hätten eine Revolution gemacht? Wenn mein Onkel nicht Zeit gehabt hatte, während des Tages zu philosophieren, so philosophierte er zur Entschädigung im Traum. So erkläre ich mir wenigstens das Phänomen, dessen Resultat ich euch eben erzählt habe.


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