Ludwig Tieck
Der Jahrmarkt
Ludwig Tieck

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Am Morgen versammelte man sich wieder, wie es bisher an jedem Tage geschehen war, in dem großen Zimmer des Amtmanns. Nach den überstandenen Leiden hatten die jungen Leute sehr gut geschlafen. Rosine hatte erst noch ein 163 Stündchen geweint, indem sie der Mutter alles hatte erzählen müssen, daß sie, des Diebstahls verdächtig, auf dem Rathhause gesessen hatte. Fritz war über seinen Unfall, und jene kurze Schande, die ihm nur ein Irrthum zugezogen hatte, bald getröstet, da sich Rosine wieder gefunden hatte. Er glaubte fest, daß sein Wunsch nun bald in Erfüllung gehn würde. Am freudigsten war der Pfarrer, der sich plötzlich in einen reichen Mann verwandelt sah; er hatte in der Nacht noch viel mit der ruhigen Frau, die sich mit Gelassenheit in alles fand, über sein Glück gesprochen. Dagegen war der Amtmann mürrisch und verdrüßlich und ihn hatte der Kummer wach erhalten. Seinen alten Freunden gegenüber, – die er bis jetzt gewissermaßen beherrscht hatte, fühlte er sich gedemüthigt: seit Jahren war es seine stolzeste Hoffnung, seinen abentheuernden Bruder wieder zu finden und an dessen Glücke Theil zu nehmen. Jetzt war der sonst ehrwürdige Name Lindwurm schimpflich geworden, und er wußte, daß er in allen Zeitungen würde verrufen werden.

Titus war am meisten darüber bekümmert, daß bei seinen wunderbaren Begebenheiten sein kostbares Manuskript war verloren gegangen, welches derselbe Herr von Wandel eigenmächtig gegen jene Spitzen eingetauscht hatte, die natürlich dem Gerichte anheim gefallen waren, das sie dem Eigenthümer wohl wieder zustellte.

Der Amtmann machte, als man wieder vereinigt war, die Bedingung für ihren künftigen Lebenslauf, daß man ihn nie bei seinem Namen, sondern nach seiner Würde nennen sollte, daß des kleinen Caspars aber und aller Umstände, die mit diesem zusammen hingen, niemals wieder erwähnt würde. Seine Freunde versprachen es ihm feierlich.

Man wollte sich bis Mittag zu Hause halten, um kein 164 unnützes Geschwätz der Menschen anhören zu müssen. Es war jedem erfreulich, einen Theil des Tages im Hause des Banquier Wolf zubringen zu können. Auf morgen war die Rückreise nach Wandelheim festgesetzt, worüber sich Christian besonders freute, der in der großen Stadt gar nichts anzufangen wußte und sich völlig verlassen fühlte.

Indem der Amtmann nachdenkend im Zimmer auf und nieder ging, sagte er plötzlich: Ich gehe doch auf keinen Fall mit zu diesem reichen Juden, es sind fremde Menschen da, man wird mich vorstellen, mich nennen, und wenn dies auch nicht geschehen sollte, so wird man von dem kleinen Caspar sprechen. Ja, wenn selbst alle Menschen mein Verhältniß zu ihm wüßten, ist es zu verlangen oder zu erwarten, daß der Gegenstand nicht auf das Tapet kommen solle, der Groß und Klein, die ganze Stadt in Bewegung gesetzt hat? Nein, ich speise zu Hause, hier auf meinem Zimmer.

Er öffnete einen Schrank, nahm die erbeutete Wachsmaske und zertrümmerte sie, knetete dann den Klumpen in einander, indem er sagte: Jetzt wird man jenen Caspar, an den ich nicht denken mag, hie und da aufstellen; wie gut, daß ich das Gesicht, das meines vorstellen soll, aus der dummen Bude fortgenommen habe.

Gegen die Zeit der Speisestunde gingen alle Uebrige im besten Anzuge nach dem Hause des reichen Wolf. Gottfried hatte genug zu thun, um seine Frau darüber zu beruhigen, daß sie am Tische eines Juden essen solle. Der Weltmann Titus führte ihr aber so mannigfaltige Gründe an, daß sie sich endlich zufrieden stellte. Als man in den großen Saal trat, erschrak Rosine nicht wenig, daß sie in Gesellschaft des jüdischen Greises schon den Superintendenten traf, den gestern am Morgen ihr Fritz so derb ausgescholten hatte. Der Geistliche machte sogleich mit dem Pfarrer 165 Bekanntschaft, den er gestern schon vergeblich im Gasthofe aufgesucht hatte. Er erzählte, wie er die Enkel des geehrten Wolf im Christenthum unterrichtet und konfirmirt habe, die mit freiem Entschluß den Glauben ihrer Väter verlassen hatten. Die Pfarrerin überlegte im Stillen, wie es doch wahr sei, woran sie auf ihrem Dorfe immer noch gezweifelt hatte, daß die Welt sich sehr verwandelt habe und vorgeschritten sei, da sie hier im Hause eines Juden sich in Gesellschaft des hochverehrten Superintendenten befinde. Fritz bewachte ängstlich die Mienen und das Gespräch dieses Geistlichen, der ihn lächelnd betrachtete, und benutzte eine Pause, in der er ihm zuflüsterte, er möge seinem Vater von der Entführung nichts sagen, denn die gewünschte Eheverbindung würde sich jetzt wohl ohne gewaltsame Schritte fügen, da die Sachen sich sehr geändert hätten. Gottfried erzählte auch gleich darauf von seinem unverhofften Lotteriegewinnste, durch welchen er ein reicher Mann geworden sei, die große Summe, die er für Bernhard erhalten habe, hinzu gerechnet. Bernhard trat jetzt auch, anständig gekleidet und in seinem Wesen auffallend verändert, zur Gesellschaft. Die Familie Wolfs erschien mit dem Polizei-Präsidenten, mit welchem Titus und der Pfarrer, so wie Fritz und Rosine ihre Bekanntschaften erneuerten. Er erzählte, daß einige Subalternen, die schon längst verdächtig gewesen, plötzlich unsichtbar geworden, weil sie mit dem Herrn von Wandel verbunden gewesen waren und in dessen Sold gestanden hatten.

Man erwartete nur noch den reichen Grafen Rehbahn, um sich an den Tisch zu setzen. Wolf sowohl wie der Präsident sprachen mit Bewunderung von diesem jungen Manne, der, so viel er bei Hofe gelte, doch um kein Amt nachsuche, sondern sich ganz unabhängig erhalten wolle. Man erzählte von ihm und seinen Launen die seltsamsten Dinge. Wie er 166 mit den verschiedensten Menschen aus allen Ständen leben, und jedem eine interessante Seite abgewinnen könne. Mit Handwerkern, Schauspielern, Künstlern, Gauklern sei er vertraut, ohne sich zu erniedrigen, und genieße eben so die Achtung der Vornehmsten, sei von Damen begünstigt, und von den Armen seiner Wohlthätigkeit wegen angebetet. Die ihn nicht kannten, mußten nach dieser Beschreibung auf seine Erscheinung sehr neugierig werden. Endlich trat er ein. Ein kleiner, feiner, junger Mann, zart gebaut und fast mädchenhaft anzusehen, der ganz den Anstand eines feinen Weltmanns hatte. Er war heiter und gesprächig, und die Gesellschaft fühlte sich belebt und behaglich, so wie er nur an ihren Gesprächen und Verhandlungen Theil genommen hatte.

Man setzte sich zu Tische und die ganze Gesellschaft war heiter und fröhlich. Die Fremden hatten alle ihre Leiden vergessen, und erfreuten sich der Speisen, des guten Weins und der Erzählungen. Der alte Wolf zeigte für Bernhard, den er neben sich gesetzt hatte, die Zärtlichkeit eines liebenden Oheims, und Bernhard, der seit vielen Jahren nicht von ehrbaren Leuten mit Freundlichkeit und Achtung war behandelt worden, fühlte sich glücklich, dachte an Gattin und Kind, und nahm sich fest vor, in seinem neuen Lebenslaufe ein rechtlicher Mann zu werden.

Der junge Graf wurde bald sehr fröhlich und erzählte so manche sonderbare und lustige Begebenheit, die er in seinen mannichfaltigen Lebensweisen gesehn und erfahren hatte, daß aller Augen an seinen Lippen hingen. So sehr es Wolf verhinderte, daß sich die Rede nicht auf den jetzt enthüllten Lindwurm oder kleinen Caspar wendete, so wurde doch der neuesten Entdeckung einmal erwähnt, und Rehbahn, der gern scherzte, wendete sich zu einer Dame, die neben ihm saß, und 167 zum Präsidenten gegenüber, indem er ausrief: was man nun viel Aufhebens von der Sache macht, der Mann ist nichts weiter, als ein Sektirer, der nur darum verfolgt wird, weil wir andern von den Lehren einer andern Sekte befangen sind.

Wie meinen Sie das? fragte der Präsident.

Ich denke, erwiederte der Graf, daß von den frühesten Zeiten her, so lange uns die Geschichte etwas meldet, die Menschen immerdar von Vorurtheilen beherrscht werden, für die sie weit mehr wie für Vernunft und Weisheit eifern. Dergleichen Sekten haben den armen Menschen von jeher viel zu schaffen gemacht. Wie viel Unheil hat die uralte Kasten-Einrichtung, wie viel die Aufhebung dieses Vorurtheils und das Verfahren im entgegengesetzten Sinne hervorgebracht. Wir finden Spuren, daß es Völker gab, die die Weiber vielleicht übermäßig verehrten, und andere, die sie unbillig herabsetzten und beschränkten. Die alten, fast erloschenen Sagen von Semiramis und Sesostris deuten darauf hin. Von den verschiedenen religiösen Partheien will ich nicht einmal sprechen. Hüben war es ein Lehrsatz, der seine Bekenner selig sprach, drüben, nur wenige Meilen entfernt, verfiel der Bekenner desselben der Verdammniß, und wenn einer den andern auf seinem Territorio, den Ketzer von jenseit, erwischen konnte, so schlug er ihn todt und machte ihn zum Märtyrer. Wir bemerken zwei sehr verschiedene Sekten in der Lehre, die wir die Reinlichkeit nennen. Diese leben still neben einander, ohne sich eben zu verfolgen. Der Südländer, so wie der Slave, weiß fast gar nicht, was die Lehre zu bedeuten hat, die sich auch in der That nur schwer beschreiben läßt; denn was ist, tiefsinnig angesehn, diese Reinlichkeit? Der Holländer, der orthodoxeste Bekenner, treibt sie so weit, daß sie nicht nur lästig, sondern für den 168 Deutschen widerwärtig, und selbst zu Zeiten ekelhaft wird. In der Regel ist der Protestant sauberer, als es die meisten in katholischen Ländern sind; Sachsen und Böhmen machen einen großen Abstich, und in Italien neigt sich Florenz wieder mehr zur Reinlichkeit. In Spanien scheint, wie in Sicilien und Calabrien, wenige Orte ausgenommen, die Sache noch nicht entdeckt zu seyn, die jene Völker wohl für einen germanischen Aberglauben erklären mögen; denn in der That hat sich bei den deutschen Stämmen diese Lehre zumeist ausgebildet.

So theilen sich die Menschen auch immerdar wieder in diejenigen, welche an das Eigenthum glauben, und in jene, die es bezweifeln, oder, wenn sie streng orthodox sind, es zu vernichten streben. Jede Lehre, jeden Gedanken, von denen ich innigst durchdrungen und wahrhaft überzeugt seyn soll, muß ich wahrhaft erlebt haben, sonst wird mein Bekenntniß immer nur todter Buchstabe und Nachbeterei bleiben. Es ist aber bekannt, daß es in allen Ländern Tausende giebt, die ohne alles Eigenthum umirren, und denen es unmöglich wird, den Glauben daran lebendig aufzufassen, wenn sie auch sagen hören, Palläste, Gärten, Equipagen, reichbesetzte Tafeln wären das Eigenthum von Diesem und Jenem. Diese Skeptiker schelten also auf jene Lehre als einen verderblichen Aberglauben. Die Bekenner des Eigenthums sind fast immer auf diese irrenden Ketzer nicht gut zu sprechen, und die orthodoxen derselben bestrafen sie, wie sie können, indem sie ihnen schwere Arbeiten auflegen, sie verachten und mißhandeln, und nur eben das nackte Leben der Gottlosen fristen. Manche der irrenden Ketzer suchen nun, um sich zu überzeugen und zu bekehren, Eigenthum zu erleben und zu erwerben. Krank, hülflos irren sie oft umher und sprechen die orthodoxen Eigenthümer an, sie zu überzeugen, ihnen, wo möglich, 169 den Glauben in die Hand zu geben. Die Weichherzigen, die gern Proselyten machen wollen, drücken nach Umständen einen halben Gulden, Groschen, Dreier oder Pfennig dem, der sich bekehren möchte, in die Hand, sagend: siehe, da theile ich Dir von meinem Eigenthume mit, sei auch hübsch gläubig. Der Skeptiker betrachtet die kleine Gabe, wundert sich, daß das dünne Blech eine so große Zauberkraft besitzen solle, sein System und seinen Glauben umzuwerfen, er sagt; der Himmel segne, belohne Euch dafür! das heißt: der Himmel erleuchte Euch, daß Ihr selbst Euren Irrthum aufgebt, und, wenn es wirklich Eigenthum giebt, mir doch so viel mittheilt, daß es mir in die Augen fällt, daß ich mich darauf stützen kann. So geht der Irrende in die nächste Schenke oder zum Bäckerladen, setzt das Blech, um die Zauberkraft zu prüfen, in wenige Nahrung um, verißt und vergißt die Bekehrung, und fällt in seinen Irrthum zurück.

Andere giebt's, die, schon lehrbegieriger, sich selbst hinbegeben, wo das Eigenthum aufbewahrt wird. Still und unbemerkt, ohne durch ihren Glaubenstrieb Aufsehen erregen zu wollen, schleichen sie sacht, oft sogar in finstern Nächten, bei Sturm und Regen in fest verschlossene Häuser, mit Gefahr zu den Gold- und Silberhaufen, um sich zu überzeugen und ein Pfand mitzunehmen, daß die Lehre ihrer Gegner kein Irrthum sei. Sie wollen sich überzeugen, aber nicht bloß für den Augenblick, die Wahrheit soll ihnen durch das Leben leuchten, und sie wollen gern, wie natürlich, in Massen und so viel als möglich von den Documenten an sich bringen. Unglaublich ist es, wie diese Armen und ihr lobenswerther Trieb von der Sekte der Eigenthümler verfolgt werden. Gefängniß, Pranger, Schläge, was sie nur ersinnen können, lassen sie ihnen zukommen, aber nichts von ihrem sogenannten Eigenthume, durch welches sie sich doch 170 am leichtesten überzeugen könnten. Ist es zu verwundern, wenn mehr als einer über diese Bigotterie und Verfolgungssucht der Gegner empört wird, und diese Enthusiasten sich verbünden, auf allen Wegen durch List und Gewalt, durch heimlichen, wie öffentlichen Widerstand entweder das Gespenst des Eigenthums zu zerstören, oder sich den Glauben daran durch Realität, Besitz, nicht auf phantastische Weise durch jene aus den Händen gleitende, kleine, unansehnliche Amulete, anzueignen? Wenn sie nun im Walde, auf dem einsamen Felde einen ihrer ausgemachtesten Gegner antreffen, der aber viel des sogenannten Eigenthums im Wagen mit sich führt, so erhebt sich ein lebhafter Dispüt, jeder besteht auf seine Lehre, und die Unterdrückten vergessen sich auch zuweilen in ihrem Triebe, sich besser zu unterrichten, so weit, daß sie den hartgläubigen Gegner simpel todt schlagen und mit seinem Gute davon gehen. In der Regel sind die Regierungen auf der Seite der Eigenthümler, und stehen ihnen nach allen Kräften bei, so daß jene Skeptiker, oder Unbekehrte, die aber oft sich gern zum bessern Glauben wendeten, fast schlimmer als die Kaste der Paria in Indien verfolgt werden. Und doch haben wir schon Regierungen und Fürsten gekannt, die auf allen Wegen dahin strebten, ihren Unterthanen unter vielfachem Vorwand das sogenannte Eigenthum zu entreißen, und das Volk somit in jene verkannte und verfolgte Sekte zu werfen.

Ihr Scherz, sagte der Präsident, hat, wie jeder, eine sehr ernste Seite. So lange die Staaten nicht viel besser für die Bildung der niedrigsten und ärmsten Klassen sorgen, sieht es fast aus, als freue man sich, um doch alles vollständig zu besitzen, Diebe, Spitzbuben und Mörder zu haben, an denen sich Criminalisten und Henker üben können. Ich meine nicht, daß man dem Bauer, dem Bauernknecht und 171 dem ganz verstoßnen Armen die Kunststücke eines Pestalozzi, oder anderer Virtuosen, wie es wohl geschieht, beibringen solle: sondern früh soll den Aermsten und Verlassenen ein edler Trieb zur Thätigkeit, eine Liebe zur Wahrheit beigebracht werden. Der Staat wird dann freilich auch hie und da etwas ausgeben müssen, um nicht mit der einen Hand wieder mehr zu nehmen, als er mit der andern giebt. In nahrungslosen Gegenden wachsen nur zu oft von diebischen, ehrlosen Eltern, die allgemein verachtet werden, denen aber kein Mensch zu helfen sucht, verwahrlosete Kinder auf, ohne Bewußtsein, daß es Wahrheit und Ehre geben könne, alles menschliche Gefühl wird in ihnen erstickt, in der Schule, die sie bezahlen sollen, lernen sie nichts; die Gemeine, das Dorf, die Provinz, das Land, ja die Menschheit steht ihnen als verachtender, hassender Feind gegenüber, und sie sollen – mehr als man von Märtyrern und Glaubenshelden fordert – in der Entbehrung aller Bedürfnisse und Genüsse ehrlich, tugendhaft und edel seyn. Wie viele der Guterzogenen würden sich denn wohl unter diesen Umständen so zeigen? – Die Armen, völlig Verwahrloseten erliegen der Versuchung, oder sie sind schon des Glaubens, alles sei ihnen gegen den allgemeinen Feind erlaubt. Nun weiß der Staat, der zu dieser Verstoßenen niemals auch nur mit einem Blicke hingesehen hat, nichts, als sie zu geißeln, zu hängen, zu köpfen und zu rädern. Und doch kann der Listige, wenn er die Umstände kennt und nutzt, und an der rechten Stelle steht, durch List und Trug unter dem Scheine der Tugend viel Schlimmeres thun, wenn er schuld ist, daß der Rechtliche verarmt, der wackere, gedrückte Bürger in seinem Wirken gestört, sich dem Leichtsinn und der Verzweiflung ergiebt, damit er nur reicher und immer reicher werde. Wir haben es auch schon erlebt, daß der Staat solche Spekulanten durch 172 Ehrenstellen belohnt. – In meinem Amte habe ich wohl die Erfahrung machen müssen, daß der gemeine Mann nicht so schlimm ist, als man ihn oft schildern will, und daß selbst der verfolgteste Bösewicht, wenn man ihn beobachtet und seine Geschichte kennt, eine menschliche Stelle im Herzen hat, von wo aus er gebessert werden kann. Ich habe aber freilich auch die Ueberzeugung gewonnen, daß die Todesstrafen menschlicher und weniger grausam sind, als die Surrogate oder Zwangsanstalten, die man an die Stelle derselben, scheinbar human, hat einführen wollen. Ein Botany-Bay ist wahrhaft menschlich; kann der Verbrecher sich nicht in den Zuchthäusern und Gefängnissen bessern, so sind wir gegen ihn und gelegentlich gegen andere weniger grausam, wenn wir ihn hinrichten.

Als man diese Ansicht gebilligt hatte, gestand Bernhard ein, daß er es sei, der den Magier veranlaßt habe, der Polizei die Anzeige zu machen, daß man in der Person des Herrn von Wandel sich des kleinen Caspar bemächtigen könne. Schon vor einigen Jahren sei er auf seinen Wanderungen diesem Schelm nahe gekommen, der ihn selbst, da er von seinen tollkühnen Streichen und seiner Armuth gehört habe, für seine Bande habe anwerben wollen.

Der Banquier unterbrach dieses Gespräch, weil ihm dergleichen Geständnisse seines abentheuernden Neffen ängstlich waren. Titus erzählte nicht ohne Laune, wie sonderbare Verlegenheit er bei seinem Verleger erlebt habe, und wie wunderbar ihm sein Wunsch in Erfüllung gegangen sei, in der Person des Wandel mit einem ausbündigen Schelme in ein vertrautes Verhältniß zu gerathen. – Aber wo, sagte der Präsident, ist nur dieser sonderbare Magier geblieben? Er ist verschwunden, ohne Spur: man glaubte, er würde 173 sich melden, um auf eine Belohnung Anspruch zu machen, da er doch für Geld geweissagt hat.

Diese Summe, sagte der heitre Graf, die nicht unbeträchtlich ist, hat er schon ganz und vollständig der Armenanstalt überliefert, die auch darüber dem großmüthigen Manne eine Quittung ausgestellt hat.

Noch unbegreiflicher, sagte der Präsident; denn, muß man fragen, wovon lebt dieser alte Charlatan? Wo kam er her? Wo ist er geblieben?

Mir ist er völlig unbekannt, bemerkte Bernhard, denn ich bin ihm früher niemals begegnet; ganz zufällig lernte ich ihn kennen, denn einer seiner Diener führte mich zu ihm, und er selbst unterrichtete mich dann, welche Rolle ich zu spielen habe.

So sehe ich mich denn in dieser heitern Gesellschaft veranlaßt, rief der Graf mit fröhlichem Lachen, einzugestehen, daß ich selbst dieser alte Charlatan und Zauberer war.

Alle erstaunten. Es entstand neulich, fuhr der junge Mann fort, unter einigen meiner nähern Freunde ein Streit, der sich in eine Wette verwandelte, indem ich behauptete, ich könne mich irgend einmal, die Zeit war nicht bestimmt, mit ihnen in Gesellschaft befinden, ich so verkleidet und entstellt, daß keiner von ihnen mich wieder erkennen solle. Alle wußten, daß ich zu meinem Oheim reisen müsse, der mir eines seiner Güter übergeben wollte; keiner vermuthete mich also in der Stadt. Ich nahm Abschied, fuhr am Tage aus dem Thore, und benutzte die Verwirrung und den Andrang dieses Jahrmarktes, um unerkannt in meiner seltsamen Maske zurück zu kommen. Da ich mir schon seit lange diesen Spaß vorgesetzt hatte, so war ich auch beflissen gewesen, Anekdoten zu sammeln, mich in Kenntniß von vielen Kleinigkeiten zu setzen, und mir alle die Nachrichten, besonders diejenigen, 174 die meine näheren Freunde betrafen, genau einzuprägen. Durch meine Dienerschaft, durch weibliche Bekanntschaften hatte ich auch mancherlei erfahren, und so meinte ich, für meine Rolle hinreichend vorbereitet zu seyn. Es geschah, wie ich erwartet hatte. Meine Freunde waren fast die ersten, die sich, so aufgeklärt sie sich dünkten, zu dem alten Zauberer begaben. Mit Schrecken und Bestürzung verließen sie seine Wohnung, weil ich ihnen Dinge erzählt hatte, die, wie sie wähnten, nur ihnen allein bekannt waren. Durch den Herrn Bernhard erhielt ich die Kunde, daß ein Mann, der sich in der Stadt Baron Wandel nennen ließ, niemand anders als der sogenannte kleine Caspar sei. Kamen ganz fremde Menschen zu mir, die ich nicht konnte abweisen lassen, so half ich mir mit allgemeinen Aussprüchen, die jeder auslegen konnte, wie er wollte, und ich war in diesen Späßen um so dreister, weil ich ja binnen kurzem wieder verschwand, und Niemand mich beschämen konnte, wenn meine Weissagungen etwa nicht in Erfüllung gingen. Jetzt also habe ich Ihnen das entdeckt, was morgen meine beschämten Freunde erfahren werden, die mir außerdem eine ansehnliche Wette zu bezahlen haben.

Man beurlaubte sich von dem alten reichen Wolf, dem Alle eine große Hochachtung bezeigten. Gottfried war bewegt, um so mehr, als er gesehn hatte, wie vertraut der Superintendent, vor welchem er eine verehrende Scheu empfand, der Präsident und der junge Graf mit dem Kaufmanne umgegangen waren. Der Landprediger war vollkommen glücklich, daß seine Reise ihn so unverhofft zum reichen Manne gemacht hatte. Seine Frau, die immer gelassen war, zeigte sich auch bei diesem Glückswechsel völlig ruhig.

Man machte im Gasthofe die nöthigen Vorbereitungen, um am folgenden Morgen mit dem Frühesten abreisen zu 175 können. Der junge Vetter des Predigers, der sich so leicht von der verkappten Dame hatte hintergehen lassen, war vom Kaufmann Humbert mit einigen unfreundlichen Worten seines Dienstes entsetzt, er wußte nicht wohin, da er sich scheute, unter diesen Umständen zu seinem Vater zurück zu kehren; der Pfarrer beschloß also, ihn vorerst bei sich aufzunehmen, bis sich ein anderes Unterkommen für ihn gefunden hätte; leicht war der Amtmann dahin gestimmt worden, ihm noch ein Plätzchen in seiner geräumigen Kutsche zu bewilligen.

So kam man am folgenden Abend in Schönhof an. Der Amtmann war nicht, und der Pfarrer noch weniger gelaunt, die Herrlichkeit des Gartens und die Gastfreundschaft des Barons noch einmal zu genießen. Titus aber, der vor einigen Tagen vom Gutsherrn so dringend war eingeladen worden, meinte, er dürfe sich der Freundlichkeit des angesehenen Mannes nicht entziehen, ohne für unhöflich und undankbar zu gelten. Er hoffte, daß ihn der Baron in seinem prächtigen Schlosse einige Tage oder Wochen beherbergen würde, er hatte die Aussicht, daß er öfter diesen Gartenkünstler besuchen und bei ihm wohnen könne, und darum wollte er diese günstige Gelegenheit nicht fahren lassen. In diesen Aussichten fand er auch einigen Trost für sein verlornes Manuskript, dessen Verlust er um so mehr beklagte, weil er seiner kranken Freundin, der Frau des Amtmanns, noch gar nichts von diesem poetischen Werke vorgelesen hatte.

Ohne diesen Freund reisete die Gesellschaft weiter, welches die Folge hatte, daß dem jungen niedergeschlagenen Vetter ein bequemerer Sitz auf dem Bocke eingeräumt werden konnte. Ohne Gefährde und Widerspruch brachte der mehr gewitzigte Christian, der jetzt die Welt hatte kennen lernen, den Amtmann und seine Begleiter am Abend nach 176 Wandelheim und seinem Hause, das gemeinhin nur das Schloß genannt wurde.

Die kranke Frau, die noch wach war und im Jean Paul las, war höchst verwundert, den Mann und die Freunde, die sie erst sechs oder sieben Tage später erwartet hatte, schon ankommen zu sehen. Sie war beruhigt und erfreut, daß nur kein Unglück diese so unvermuthet schnelle Rückkehr veranlaßt hatte.

Der Pfarrer hatte schon am folgenden Tage eine geheime Unterredung mit dem Amtmann, und beide trennten sich heiter und zufrieden. Es war ausgemacht worden, daß Fritz die kleine Rosine heirathen sollte. Ein Gut, kaum eine Viertelmeile von Wandelheim, war zu kaufen, wozu der Pfarrer das im Lotto gewonnene Geld hergab, und der Amtmann die größere Hälfte aus seinem Vermögen bezahlte. Der Amtmann behielt sich vor, in den ersten Jahren selbst die Verwaltung zu führen, damit Fritz die Wirthschaft lernte; als Jäger und Forstmann hatte der junge Mann schon mit Nutzen seine Lehrjahre überstanden.

Die beiden jungen Kinder, als sie diese Anordnungen erfuhren, waren sehr glücklich. Schon am Sonntage geschah in der Kirche das erste Aufgebot, bei welchem Rosine und die Mutter von Herzen weinten.

So verflossen die Tage und Wochen, und der Sonntag, an welchem die Hochzeit gefeiert werden sollte, war schon ziemlich nahe. Da erschien plötzlich und unerwartet Herr von Titus, den man fast schon vergessen hatte. Er war sehr redselig und glücklich, sein Angesicht strahlte von Heiterkeit. Er entdeckte den versammelten Freunden, daß er ebenfalls verlobt sei, seine Braut am folgenden Tage erwarte, und mit dem lieben Fritz seine Hochzeit zugleich feiern wolle, wenn der Prediger ihm das Aufgebot erlasse. Gottfried 177 machte vielerlei Einwendungen, doch der begeisterte Titus wußte alle Bedenklichkeiten hinweg zu räsonniren. Auf Erkundigung, wer diese Braut sei, erklärte er: Sie ist eine schöne und reiche Dame, eine geborne Freiin Enselsberg, die Wittwe des Major Baron Fabel, der im Oestreichischen Dienst in Ungarn verstorben ist. Ich lernte sie, wunderbar genug, im Labyrinth unsers Barons, dort in Schönhof, kennen. Sie war von der entgegengesetzten Seite in den Garten eingetreten; sie dankte mir in der Finsterniß, daß jemand eintrete, der sie von dort befreien werde, wo sie den Ausgang vergeblich gesucht. Wir haben glückliche Tage dort im schönen Garten verlebt, in welchem unter den Naturwundern unsre Liebe nach und nach erwuchs und reifte. Sie verließ vor einigen Tagen Schloß und Garten, und ich besuchte sie auf einem Dorfe, wo sie bei einer Freundin wohnte. Hier verlobte ich mich mit ihr, und erwarte sie jede Stunde, weil ich ihr, im Vertrauen auf meinen edlen Freund, Wandelheim zum Ort unsrer Vermählung bestimmte.

Der Amtmann und dessen Gattin waren mit allem zufrieden; die Frau fragte nur, um ihren Freund besorgt: Bringt Ihnen, geehrter Mann, die Dame auch einiges Vermögen zu?

Sie ist reich, erwiederte Titus, und zum Beweise, daß sie es ist, hat sie mir vorläufig zwei Tausend Thaler baar eingehändigt, um unsre erste Einrichtung auf meinem Gute zu treffen, das ich nun wohl vergrößern und verbessern werde.

Alle wünschten ihm Glück und freuten sich seines zunehmenden Wohlstandes; auch war man sehr begierig, seine künftige Gattin kennen zu lernen.

Als man vom Tische aufgestanden war, ging der Pfarrer mit seiner Familie in den Garten, der hinter dem Amthause lag, und weitverbreitet wieder an die Landstraße 178 gränzte, die durch das Dorf lief. Die Frau des Amtmanns, die sich etwas besser fühlte, ließ sich beim warmen Sommerwetter nach der Laube, ihrem Lieblingssitze, führen, von wo man einen Baumgang übersah, und auf der andern Seite die Straße und einen Theil des Dorfes. Fritz und Rosine, so wie die Pfarrerin, berathschlagten die Anstalten zur Hochzeit und die Aussteuer, wobei Gottfried und die Gattin des Amtmanns die höchste Behörde vorstellten. Titus führte den Amtmann nach dem Baumgang, und sagte, als sie entfernt genug waren, daß ihn die Uebrigen nicht vernehmen konnten: Hochgeehrter Freund, noch einmal, aber zum letztenmal, sei ein Name gegen Sie erwähnt, des kleinen Caspar, oder Baron Wandel nehmlich, aber um Sie völlig zu beruhigen. Zürnen Sie mir nicht, denn mir scheint es Freundespflicht, Ihnen Folgendes mitzutheilen. Der Präsident, den wir beide kennen, und der sich uns wohlwollend erwiesen hat, war draußen in Schönhof, um den Baron zu besuchen. Jener Mann, dessen Namen ich verschweige, ist glücklich davon gekommen; er war von Vielen unterstützt, mit Vielen in Verbindung, selbst ansehnlichen Familien, so daß man über sein Entschlüpfen froh ist, weil man sonst nicht umhin konnte, viele Menschen zu kompromittiren. Durch seine Verbindungen weiß der Präsident für gewiß, daß jener Wandel mit einem ansehnlichen Kapital nach Amerika unterwegs ist; mit einem ganz neuen Namen, den er jetzt schon führt, kann er dort auch ein ganz neuer Mensch werden.

Der Amtmann gab ihm die Hand und sagte: Schön! Nun aber auch kein Wort weiter, auch nicht zu den andern. Er kehrte heiter um, um sich der Gesellschaft wieder zu vereinigen, und den jungen Vetter des Predigers zu begrüßen, der jetzt erst vom Pfarrhause kam und seine Verwandten aufsuchte. Indem sie an der Landstraße standen, rief Titus, 179 der vorangeschritten war: Ich sehe einen offenen Wagen, meine Braut langt an! Haben Sie nicht den Schlüssel hier zum Gatterthore bei sich? Man hörte Pferde und einen rollenden Wagen, der Amtmann forschte nach dem Schlüssel, auf einen Ruf des begeisterten Titus hielt der Wagen dicht vor den Stäben des Gatterthores.

Die Dame, eine zierliche Gestalt, stieg vom Wagen herab, alles drängte sich, sie zu sehen und zu begrüßen, ein Bedienter lief nach dem Hause, um den Thorschlüssel zu holen, Titus hatte die weiße Hand der Geliebten ergriffen, näherte sie durch das Gitter seinen Lippen, um sie mit zärtlichen Küssen zu bedecken. Indem stieß Rosine einen lebhaften Schrei aus, der junge Vetter sekundirte, beide sagten dann: Sie ist es! und die Dame, so wie sie die beiden jungen Gesichter zwischen den übrigen Figuren unterschieden hatte, riß ihre Hand so heftig zurück, daß Titus Nase gegen das Gitter schlug und nicht ohne Verletzung blieb. Bevor er noch fragen konnte: was soll das? war die Braut schon wieder in den Wagen gesprungen, und der Kutscher fuhr, ihrem Befehle folgend, im schnellsten Trabe seiner Pferde davon. Als der Bediente den Thorschlüssel brachte, und die Gesellschaft sich von ihrem Erstaunen erholt und einigermaßen verständigt hatte, war die Geliebte aus dem Bereich, und, wie man glauben mußte, auf immer verschwunden; denn Rosine, so wie der junge Vetter, erklärten jetzt, die Flüchtige sei jene Gräfin, die die kostbaren Shawls und Spitzen neulich beim Kaufmann Humbert ausgenommen habe.

Titus konnte sich erst nicht fassen. Er verbat sich jeden Trost und hörte kaum die vernünftigen Reden seiner poetischen Freundin an. Er wurde erst beruhigt, als der 180 Pfarrer über seine schnell gestörte Ehe scherzte, und die Uebrigen gutmüthig über seine Verlegenheit lachten.

So haben Sie wenigstens, bemerkte der Pfarrer, auch zwei Tausend Thaler in der Lotterie gewonnen; wenn Sie diese Summe nicht als Abstands- und Schmerzensgeld nehmen wollen.

Gewiß nicht, sagte Titus, denn ich werde noch heut das Geld an den Kaufmann Humbert, dem es zunächst gehört, zurücksenden. Vielleicht ist doch so sein Schaden großentheils vergütet, und er nimmt den jungen Vetter wohl auch wieder zu Gnaden an.

So geschah es. Der Vetter betrat wieder seine Laufbahn als Lehrling des reichen Kaufmanns, und Titus war ganz zufrieden, als er bald darauf sein verlornes Manuskript, ohne Brief und Nachricht, durch die Post erhielt.

 


 


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