Ludwig Tieck
Der Jahrmarkt
Ludwig Tieck

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Im Gedränge, welches sich auf dem Markte mit jeder Minute zu vermehren schien, war es schwer, daß die bekümmerten Liebenden, Fritz und Rosine, nicht von einander getrennt wurden. Sie hielten sich fest, wurden aber nur um so mehr hin und her gestoßen. In dem Geschrei und Toben war es nicht möglich, einen Rath und Entschluß zu fassen, ob sie nach dem Gasthofe zurück kehren, oder im Getümmel die Eltern wieder aufsuchen sollten. Da sie kein Wort mit einander wechselten, denn das Geschrei machte es unmöglich, so fand kein Ueberlegen statt, ob sie einen andern willigern Geistlichen ausmitteln möchten, oder den klug ersonnenen Plan, sich zu verbinden, wenigstens für heute aufgeben.

So hin und her geschoben, von Fuhrwagen und Equipagen in Gefahr gesetzt, von Käufern angeredet, von groben Leuten, die sich gehemmt fühlten, gescholten, verloren sie alle Besinnung, daß sie keines Gedankens fähig waren. Ein Lastträger, der auf dem Kopfe eine große Bürde trug und sich gehemmt fühlte, schrie: Platz da! das fehlt noch, daß sich die Menschenkinder hier an Armen führen! Scheert Euch in die Allee, wenn Ihr zärtlich spazieren wollt!

129 Ein heftiger Stoß des Ungestümen trennte die Liebenden, und sogleich schoß ihm eine große Fluth von Menschen nach, daß Fritz seine Rosine aus den Augen verlor. Er rief, aber vergeblich, denn sein schwacher Laut ward nicht vernommen. Er suchte ängstlich mit den Augen, aber vergeblich. Denn je mehr und länger er in die Verwirrung mit angestrengtem Blick hinein sah, um so mehr schwindelte sein Auge. In einer fast gleichgültigen Betäubung ging er weiter, um sie zu suchen, oder gelegentlich und unverhofft wieder anzutreffen.

Rosine wußte nicht, wie ihr geschah, als sie sich plötzlich in der ungeheuern Menschenmenge so ganz allein und völlig verlassen sah. Ihr Gewissen raunte ihr zu, daß dies die Strafe dafür sei, daß sie sich so leichtsinnig von Fritz habe entführen lassen. Sie fürchtete sich in dieser wogenden Menschenmasse, und kam sich einsamer vor, als im finstersten Walde. Wenn sie sich nicht geschämt hätte, so würde sie sich einem lauten Weinen und Schluchzen überlassen haben.

In dieser höchsten Verwirrung und Abspannung aller Lebensgeister fühlte sie plötzlich einen Pferdekopf in ihrem Nacken. Erschrocken blickte sie um, ein glänzender Wagen drohte sie zu verletzen; der Kutscher rief, der Bediente, welcher hinten aufstand, winkte, und eine geschmückte Dame, die in der offnen eleganten Chaise saß, schrie, entsetzt, laut auf. Auf ihren Wink mußte der Kutscher halten. Das arme, liebe Kind! sagte die Dame, indem sie sich erhob. Sie beugte sich über den Schlag des Wagens und sagte mit feiner Stimme: Liebe Kleine! – Sie haben doch keinen Schaden genommen? Solch' allerliebstes Wesen, und ich muß Sie so erschrecken. Steigen Sie zu mir ein, Vortrefflichste, ich führe Sie nach Haus, oder wo Sie hin begehren. 130 Wenigstens können Sie vom Wagen aus das Getümmel des Marktes mit mehr Sicherheit betrachten, und finden auch die Ihrigen, im Fall Sie sie verloren haben sollten, leichter wieder. Steigen Sie zu mir ein. – Joseph, öffne Er die Wagenthür!

Der Bediente, Joseph, sprang herunter, öffnete, hob Rosinen in den Wagen, so behende, daß sie kaum wußte, wie ihr geschah, oder ob sie ihre Einwilligung gegeben habe. – Wohin? gnädige Gräfin! fragte der Bediente. – Zu Humbert, rief die Dame: der Bediente stieg wieder auf und der Kutscher suchte sich Platz zu machen.

Wie Sie meiner Cousine ähnlich sehn, der Comtesse Bertha! sagte die Gräfin, indem sie der verlegenen und doch getrösteten Rosine die Hand gab. – Sie zittert noch, die allerliebste Kleine. – Sie sind gewiß nicht aus der Stadt hier, Sie sind zu hübsch. – Was das für klare Augen sind! – Wo wollten Sie hin?

Rosine erzählte eilig ihr Abentheuer, wie sie im wilden Gedränge von ihren Bekannten sei abgeschnitten worden und sich verloren habe; sie sagte auch ihren Namen und wo sie her sei. Alles von Getöse, Musik, Geschrei unterbrochen, indessen der Wagen nur langsam vorrücken konnte. Die Gräfin liebkosete das reizende Mädchen und versprach ihr, sie, sobald sie es wünsche, vor ihrem Gasthofe sicher abzusetzen. Aber, sagte sie, als sie sich jetzt aus dem dichten Menschenknäuel heraus gewunden hatten und in eine Gegend geriethen, die etwas mehr gelichtet war, Sie müssen mir erlauben, Sie Mühmchen, Cousine zu nennen, denn Sie sehen meiner lieben Bertha gar zu ähnlich. Ich hoffe auch, daß wir unsre zufällig gemachte Bekanntschaft fortsetzen werden, daß Sie mich in der Stadt und auf meinem Gute besuchen.

131 Rosine bedankte sich mit ländlichen Ausdrücken für alle diese Artigkeiten, und war sehr erfreut, daß ihr Schicksal plötzlich diese angenehme Wendung genommen hatte. Sie überlegte, ob sie die Gunst und den hohen Schutz nicht vielleicht brauchen könne, den eigensinnigen Amtmann umzustimmen, und ihm durch die Ueberredung der Gräfin seine Einwilligung in ihr Glück zu entlocken.

Jetzt hielt man, der elegante Diener öffnete den Wagen, die Gräfin hüpfte hinaus; kommen Sie mit, Cousinchen, sagte sie, und sehen Sie sich auch im Laden etwas um. Rosine folgte und betrat mit beklemmter Brust den eleganten, mit Spiegeln und Bronze verzierten Ort, den sie gestern im Vorübergehen bewundert und nicht geglaubt hatte, daß es möglich sei, ihn jemals selbst zu besuchen.

Der glänzende Laden war voll Käufer und Betrachter, Shawls, Spitzen, Seidenzeuge, Sammt, Alles lag aufgeschlagen umher, ward geprüft und glänzte und blendete. Excellenz, Gräfin Solm! rief der Bediente, als der Herr der Handlung die Gruppe mit einem fragenden Blicke betrachtete.

Die Gräfin trat näher und der Kaufmann verbeugte sich tief. Ich wollte für meine Schwägerin, sagte sie, die Gemahlin des Ministers, einige Shawls auswählen, wenn Sie noch von den feinsten und edelsten Vorrath haben. Der Kaufmann versicherte, daß er noch schönere zu höhern Preisen empfangen habe, und holte sie aus einem innern Zimmer. Sie wurden ausgebreitet und geprüft, und die Gräfin legte sechs oder sieben beiseit. Jetzt für mich! sagte die Dame; ich kann aber so kostbaren Schmuck nicht brauchen. Sie wählte ein Paar geringere, und nahm dann einige Garnituren der schönsten Spitzen.

Nun, Comtesse Bertha, rief sie, wählen Sie sich, 132 Cousinchen, auch etwas zum Angedenken. Rosine wurde roth und wußte nicht, was sie thun oder antworten sollte. Da sie so lange zögerte, warf die Dame ihr endlich ein schönes Tuch zu, stellte das blühende Mädchen dann vor sich und probierte es ihr um. – Es kleidet Sie gut, Herzchen, sagte sie, indem sie sie umarmte.

Bester Humbert, wendete sie sich dann zum Kaufherrn, der Minister, mein Bruder, ist Ihnen nicht unbekannt, Sie kennen sein großes Haus in der Vorstadt; dorthin geben Sie mir einen Ihrer Leute mit, denn ich weiß noch nicht, welche Tücher meine Schwägerin, die unpaß ist, auswählen wird; ich komme dann gleich zurück, und wir machen die Rechnung.

Excellenz, sagte der Kaufmann etwas verlegen, Sie sehen, meine Leute sind heut alle beschäftigt, es wäre auch ganz unnöthig, indessen werde ich die Ehre haben, Ihnen jemand mitzugeben.

Vetter Wilhelm! rief er, begleite die Dame nach dem Hotel des Minister Solm draußen, Sie wollen mir die Ehre erzeigen, nachher wieder zu mir zu kommen.

Ein ganz junger, wie es schien noch unerfahrner Lehrling hörte diesen Auftrag mit offnem Munde an. Joseph legte das sorgfältig eingeschlagene Paket in den Wagen, half der Gräfin einsteigen, eben so der Cousine Bertha, und Wilhelm, der erst Miene machte, zum Kutscher hinaufzuklettern, mußte auf einen gnädigen bittenden Befehl den Rücksitz einnehmen.

Man fuhr fort. Der Hausherr machte in der Thür des Ladens noch eine tiefe Verbeugung, sah dem Wagen nach und sendete seinem Vetter, der sich zurück bog, einen scharfen Blick nach. Der junge Vetter fühlte sich geehrt, und betrachtete mit steigender Verwunderung und Freude die 133 Cousine Bertha, welche ihm lächelnd gegenüber saß, mit ihrem schönen neuen Tuche geschmückt. Es schien dem jungen Menschen, als wenn er noch nie eine solche Schönheit, so klare Augen und so lieblichen Mund gesehn hätte. Nicht wahr, fragte die Gräfin, welche ihn beobachtete, mein Mühmchen ist ein schmuckes Wesen? So etwas blüht nicht jeden Frühling auf.

Wilhelm wurde noch röther, verbeugte sich und stotterte einige Worte, die die Behauptung der Dame bestätigen sollten. Ja, mein Kind, fuhr diese fort, Sie mögen hier in der Stadt auch recht hübsche Mädchen haben, aber in unsrer Familie sind sie immer seit alten Zeiten ganz vorzüglich gerathen. Mit dieser lieben Comtesse möchten Sie wohl den ganzen Tag spazieren fahren, oder ihr gegenüber Stunden lang so sitzen? Nicht wahr?

Der junge Mann war von dieser Gnade und Vertraulichkeit entzückt, doch konnte sie ihn dennoch nicht, so erfreut er war, über seine Verlegenheit hinüber helfen. Als die Gräfin diese fast kindische Unbeholfenheit bemerkte, neckte sie ihn nur um so lustiger. Rosine wurde auch betroffen, um so mehr, als endlich ihre Beschützerin laut lachend ausrief: Sitzen sie sich nicht gegenüber ganz wie ein Paar Liebesleute! – Wilhelm schmunzelte selbstgefällig, aber Rosine dachte an Fritz und wurde verdrüßlich und traurig.

So fuhr man durch die Gassen und kam in die stillere Vorstadt. Nach andern Neckereien sagte die Dame: Aber gewiß hat unser junger Freund schon irgend eine Geliebte. Nicht wahr, Mühmchen, er ist zu hübsch, als daß er nicht schon längst ein artiges Mädchen bezaubert haben sollte? Ach die liebe Jugend, diese erste frühe, frische, was ist sie glücklich! Und weiß es meistentheils selbst nicht!

Sie hielten vor einem großen Hause. Lieber junger 134 Freund, sagte die Dame anmuthig, Sie leisten meiner Cousine wohl einen Augenblick Gesellschaft, in zwei Minuten bin ich wieder hier, wenn ich nur den Minister, meinen Bruder, und die Schwägerin kurz gesprochen habe. – Sie stand auf, legte die Hand des jungen Burschen in Rosinens Hand, hüpfte aus dem Wagen, gab dem Bedienten das Paket und verschwand in dem Thore des Palastes.

Wilhelms Hand zitterte vor Wohlbehagen in der des schönen Mädchens. Aus Höflichkeit wagte er es nicht, sie zurück zu ziehen, weil es ihm als Ungezogenheit vorkam, das wieder zu trennen, was die vornehme Gräfin so zart und freundlich vereinigt hatte. Rosine betrachtete diese Einmüthigkeit und Handhabung als einen Befehl, und wagte außerdem nicht, die Hand zurück zu ziehen, weil sie fürchtete, den jungen Menschen zu kränken, der von ihrer Schönheit so hingerissen schien. So saßen sie stumm einander gegenüber und betrachteten sich still, so daß Wilhelm endlich aus Verlegenheit das zarte Händchen der Comtesse zu drücken begann. Da fing Rosine an, nachzudenken, was sie thun solle, um an ihrem Fritz nicht eine Art von Untreue zu begehen. Sie hätten wohl noch länger so gesessen, wenn ihnen nicht eine Kutsche schnell vorüber gerasselt wäre; vom Peitschenschlage des treibenden Führers geschreckt, fuhren auch die Pferde vor der Chaise auf, zogen diese an, und rissen so die beklemmten Hände auseinander.

Rosine fuhr hastig zurück, um in die Kutsche zu sehen, denn beim Vorüberrauschen hatte sie eine Dame bemerkt, die sich zurück drängte und verhüllte, und die ihr eine große Aehnlichkeit mit ihrer Beschützerin zu haben schien. Doch die Kutsche war schon aus dem Thor, und die Sache selbst so unwahrscheinlich, daß sie den Gedanken sogleich wieder aufgab.

135 Es schien aber wirklich, als wenn die Gräfin es wahr machen wollte, daß sich die jungen Leute zärtlich und liebäugelnd einige Stunden gegenüber sitzen sollten. Sie sahen nun abwechselnd ihre Gesichter und die großen Fenster des Hauses an, von diesen wieder auf den Thorweg, ob nicht endlich die heitere, muthwillige Dame, oder wenigstens Joseph, der Jäger, wieder erscheinen würde. Aber sie blieben ungestört, und so, um die Zeit zu vertreiben und die Verlegenheit etwas zu verbannen, faßte die Comtesse den Muth, nach dem Herkommen und den Verhältnissen ihres neu gewonnenen Freundes und Verehrers sich zu erkundigen. Es ergab sich, daß er in einer kleinen Stadt geboren sei, daß er zwar keine große Lust spüre, die Handlung zu erlernen, von Herrn Humbert aber, der eigentlich nur sehr, sehr weitläuftig mit ihm verwandt sei, gütig dazu ermuntert werde, in dessen Hause er sich fast wie ein Sohn betrachten könne. So wie man weiter die Familienverhältnisse erörterte, fand Rosine zu ihrem Erstaunen und ihrer Freude, daß der Jüngling ihr näher verwandt sei, als seinem Erzieher; er hieß selbst Wilhelm Gottfried, und ihr Vater hatte ihr oft von diesem Gottfried, der in jener kleinen Stadt einen Krämerladen hatte, erzählt; es waren selbst zuweilen Briefe von diesem Vetter angekommen. Unvermerkt war beim Erzählen seine Hand wieder in die ihrige gerathen, und jetzt drückte sie die seine, als eines verwandten Blutes, recht herzlich. Durch diese Aufmunterung wurde der Jüngling immer redseliger, und die Zeit dünkte den beiden Sprechenden nicht lang, am wenigsten dem jungen Menschen, der seine Neigung, die er sich wohl selber nicht gestand, so schön erwiedert sah.

Der Kutscher aber war in einer ganz andern Stimmung; denn er fing erst an zu schelten, dann zu fluchen, daß man ihn so lange warten lasse. Dies störte die jungen Leute in ihren Herzensergießungen, sie wurden aufmerksam. Aus den Klagen des Kutschers ergab sich, daß ihm der Wagen gehöre, und daß er die Bezahlung desselben noch zu fordern habe. Der junge Mensch stutzte; wären Sie nicht, sagte er, verehrte Comtesse, im Wagen, so könnte ein Argwöhnischer auf sonderbare Gedanken gerathen: denn Excellenz, Ihre Frau Muhme, schien den Wagen für ihre Equipage auszugeben.

Ach Gott! sagte Rosine in Angst, sie ist nicht meine Muhme und ich bin auch keine Comtesse, sondern vielmehr Ihre Muhme, Herr Vetter; denn ich bin ja die Rosine Gottfried, die Tochter des Predigers in Wandelheim, von der Sie Ihren Vater wohl auch haben sprechen hören. Darum bin ich ja auch so bekannt und freundlich mit Ihnen geworden. Die vornehme Dame macht sich einen Spaß mit uns.

Spaß? rief der junge Mann ganz bestürzt; ja, zum Verzweifeln! Wie sind Sie denn an sie gerathen? Woher kennen Sie sie?

Ich habe sie erst heut, vor einer Stunde, auf dem Markt kennen gelernt, sagte Rosine. Sie erzählte ihm hierauf ihr Abentheuer. Es trat ein Bedienter aus dem Hause und der Vetter rief ihn geängstigt an den Wagen. Dieser wollte von keiner Schwester seines Herrn, die der Gemahlin Shawls und Tücher zum Ansehn gebracht, etwas wissen. Das große Haus des Ministers war unten ein Durchgang zu einer andern Straße; ein Vorbeigehender erzählte, in jener Gasse habe seit lange eine Kutsche gehalten, in welche vor einiger Zeit ein Frauenzimmer, das aus dem Hause des Ministers gekommen, eilig gestiegen und schnell fortgefahren sei. Der Diener des Ministers, so deutlich die Sache auch 137 schon war, lief zum Ueberfluß noch einmal zu seinem Herrn hinauf, und bestätigte nach einiger Zeit die Gewißheit, daß dieser, so wie dessen Gemahlin, von nichts wisse. Der junge Vetter fing an zu weinen, und die neu gefundene Muhme leistete ihm Gesellschaft. Es hatten sich Leute um den Wagen gesammelt, man fragte, erzählte, indeß der Fuhrmann schalt und tobte und seine Bezahlung verlangte. Ein Polizei-Offiziant war auch herzu getreten, und hatte sich von dem Handel unterrichten lassen. Er verlangte, daß die beiden jungen Leute mit ihm nach dem Rathhause fahren sollten, damit man dort die Sache genauer untersuchen könne. So geschahe es, indem er neben dem Kutscher seinen Sitz einnahm.



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