Ludwig Tieck
Der Jahrmarkt
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fritz hatte indessen mit der gespanntesten Unruhe den Markt hier und dort in allen seinen Richtungen durchforscht. Er ging, unter den unwahrscheinlichsten Vorwänden, in alle Läden und Gewölbe hinein, und musterte auf eine unbescheidene Weise die weibliche Genossenschaft, um nur seine geliebte Rosine zu entdecken. Wo ein Auflauf war, wo die Menschen sich um ein aufgestelltes Bild und dessen Erklärer, um einen Leierkasten, um Bergmusikanten und dergleichen versammelten, dahin drang er ungestüm, um die Theilnehmer zu beobachten und zu unterscheiden. Seine Angst wuchs, je mehr Zeit er unnütz verlor, je mehr Straßen er durchirrte. Er erregte Verwunderung und Lachen, als er in manche Bude trat, und Käufer wie Verkäufer fragte, ob sie nicht ein junges Mädchen, welches er eilig beschrieb, gesehen hätten. Man erwiederte ihm, wohl ein Tausend solcher 159 wären vorübergegangen und ständen und wandelten noch jetzt allenthalben. So verlor er Stunden, indessen der Amtmann sich ebenfalls in andern Richtungen umsonst bemühte. Als dieser bei einer Wandrung in eine andre Gasse seinen geschärften Blick wieder nach der Ferne richtete und alle Vorübergehenden anstarrte, gesellte sich ein ältlicher, hagerer Mann zu ihm, welcher leise sagte: Ich freue mich, daß es noch andre Männer giebt, die ein wachsames Auge auf die Weltgeschichte richten und festen Trittes der Bosheit nachschleichen. – Kennen Sie Rosinen? fragte der Amtmann. – Nein, antwortete Zimmer (denn dieser Schauspieler war es, der unermüdet umher wandelte), die Jesuiten meine ich, die auf diesem unglückseligen Jahrmarkt in allen Winkeln sitzen.

Indem stießen sie an eine dicke Figur, die nicht ausweichen konnte, weil sie von Andern gedrängt wurde. Es war der Herr von Mayern, der sich keuchend durch das Gewühl arbeitete. In der Fischergasse! In der Fischergasse sitzt er! schrieen jetzt viele Jungen, die sich tobend und muthwillig umtrieben. In der Fischergasse! hörte man von allen Seiten und rund um das Geschrei wiederholen. – Was giebt's da? schrieen andre. – Da haben sie den kleinen Caspar eingefangen, sie lassen ihn dort für Geld sehen. – Dahin! rief ein Schwarm, der sich durchdrängen wollte. – Lindwurm! Lindwurm! tobte man von einer andern Seite. – Der Amtmann sah erschrocken um und fragte: Was soll's? was will man von mir? – Er wurde aber nicht gehört, sondern der Jubel und das Toben überschrie jeden einzelnen Laut. – Lindwurm heißt eigentlich der kleine Caspar! riefen Viele von der andern Seite herüber. – Ja, sagte ein großer Mann mit tiefer Stimme, es ist nun alles entdeckt, Lindwurm ist des Spitzbuben eigentlicher Name. – Der Amtmann blieb betroffen und erschrocken stehen. Seltsame 160 Vermuthungen, beschämende Gedanken, vereitelte Hoffnungen, alles kreuzte sich sinnverwirrend in seinem Gehirn. – Denkt an die Jesuiten! schrie Zimmer mit einer hohlen Stimme dazwischen; duldet diese boshaften Fischhändler nicht und ihre verrätherische Makulatur! – Jetzt war Fritz, dessen Herz fast hörbar schlug, nahe an ein großes Gebäude gedrängt worden. So wie er die Hand erhob, um sich mehr Raum zu machen, wurde ihm plötzlich von einem Nahestehenden so schnell, daß er den Menschen nicht unterscheiden konnte, etwas Schweres in die Hand gedrückt. Er schloß sie mechanisch und fühlte, es sei eine Uhr. – Indem hörte man, etwas entfernt, aus dem Gewühl heraus eine heisere Stimme: Meine kostbare goldne Uhr ist mir gestohlen! Meine Uhr mit den Brillanten! – Es war der dicke Herr von Mayern, der das Zetergeschrei erhob. – Die goldene Kette, mit vielen glänzenden Petschaften, hing aus Fritzens geschlossener Hand herab, und ein Nahestehender packte die erhobene und zitternde Hand und rief: Hier ist eine Uhr! – Mayern arbeitete sich mit gluthrothem Gesichte durch die Masse. Man machte ihm Platz, und er erkannte sogleich seine Uhr, der er sich wieder bemächtigte. Die Umstehenden hatten Fritz ergriffen, auf dessen Leugnen Niemand hörte. Ein Polizeidiener sagte: Gleich ans Halseisen mit dem jungen Spitzbuben, der auch zur Bande gehört. – Ja, sagte ein andrer Beamte, so ist es Gebrauch; wer auf frischer That ertappt wird, den schließt man dort an, daß er eine Stunde ausgestellt bleibt; nachher folgt die Strafe. – Die beiden Diener der Gerechtigkeit hatten Fritz gepackt, indessen ein anderer schon das Eisen öffnete, um den Verbrecher einzuschließen. Der Haufen jubelte. Jetzt war der Amtmann nahe gekommen. Was? schrie er mit Entsetzen: mein Sohn, mein unschuldiger Fritz soll so beschimpft werden? – Wer sind Sie, 161 fragte der Polizeidiener. – Amtmann Lindwurm. – Man ließ ihn nicht weiter sprechen. Lindwurm! Lindwurm! tobten Alle, der Hauptspitzbube! Laßt ihn nicht entwischen! Der kleine Caspar! – Auch der Amtmann wurde festgenommen, und der Pfarrer Gottfried, der indessen sein Geschäft beim Banquier und mit Bernhard beschlossen hatte, sah mit Entsetzen diese Scene des Tumultes und der Verwirrung. Er war viel zu schwach, dem Pöbel Einhalt zu thun, Niemand achtete seiner. Schon war es daran, daß unter schadenfrohem Jauchzen Fritz der Schande Preis gegeben, und dessen Vater gemißhandelt und verhaftet werden sollte, als ein Wagen durch die Menge langsam fuhr, in welchem der Präsident und Titus saßen. Titus erkannte seine bedrängten Freunde, und der Präsident stieg mit ihm aus, um sie zu befreien.

Gehen wir in dies Haus, sagte der Präsident, nachdem er Fritz angehört und den Dienern der Polizei seine Befehle gegeben hatte. Wir sind hier an dem Lotterie-Gebäude, das uns vorerst sichern wird.

Alle gingen in den Saal, in welchem sie der Vorgesetzte, ein angesehener Mann, empfing. Man beruhigte sich, und der Pfarrer, der bis dahin seines Zettels nicht gedacht hatte, sah seine besetzten Nummern groß im Saale angeschrieben. Er verständigte sich mit dem Vorgesetzten; es ergab sich, da er hoch gespielt hatte, daß sein Gewinn funfzehn Tausend Thaler betrug.

Auch die arme Rosine, deren Unschuld bald erkannt wurde, ward wieder frei gemacht. Alle dankten dem Präsidenten, und begaben sich mit mannigfaltigen Gefühlen, nachdem sie so viele Erschütterungen überstanden hatten, in den Gasthof zurück.

Der verstimmte und gedemüthigte Amtmann, dem nun 162 deutlich geworden war, daß sein verschollener Bruder, der kleine Caspar und Herr von Wandel ein und dieselbe Person seien, sagte zum Pfarrer: Ist das Recht, Herr Gevatter, mir falsche Nummern zu sagen? Ohne Ihre Unredlichkeit hätte ich so viel als Sie gewonnen.

Wie konnte ich, theurer Mann, antwortete der Pfarrer kalt, denken, daß Sie auch setzen wollten, da Sie meinen Aberglauben so lächerlich machten? Indessen hat sich der Herr meiner erbarmt, mein Alter ist sorgenfrei, meine Tochter mit einem mäßigen Vermögen keine üble Partie. Nun ist es wohl an mir, zu bedenken, ob ich sie einem jungen Menschen geben will, der fast schon im Halseisen gestanden hat, der einen Namen führt, welcher nun bald im ganzen Lande berüchtigt seyn wird, der sich eines Onkels zu schämen hat, von dem man wünschen muß, daß er niemals wieder zum Vorschein kommen möge.

Ihre Tochter, erwiederte der Amtmann, ist auch im Arrest und mit einem spitzbübischen Weibe in Verbindung gewesen.

Die ebenfalls, sagte der Pfarrer, zu jener Bande gehört, die ich nicht nennen will, denn es ist am klügsten, alles zu verschweigen. Sie können nichts dafür, Herr und Freund, und ich wäre eben so unvernünftig als unchristlich, wenn ich Ihnen das Schicksal, das Sie bedrückt, zum Vorwurf machen wollte.



 << zurück weiter >>