Ludwig Tieck
Der Jahrmarkt
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Auf einem großen, schön gelegenen Dorfe lebte ein Pfarrer, wohlhabend und behaglich, denn »ihn drückte nicht die Last schwerer Gelehrsamkeit, noch litt er am Podagra«, oder einer andern Krankheit. Herr Gottfried war in sich vergnügt und kümmerte sich nicht sonderlich um den Lauf der Welt. Seine Frau war noch ruhiger, und Rosine, ihr einziges Kind, erwuchs in stiller Einsamkeit, indem sie jeden Tag sich zufrieden zum Schlafe nieder legte, manchmal nur darüber verdrüßlich, daß sie ihren theuren Fritz nicht hatte sehn können.

Dieser, der hoffnungsvolle Sohn des Amtmanns, mit ihr aufgewachsen, war ein rüstiger kluger Jäger, ein Freund von Romanen und wunderbaren Geschichten, treu, unerfahren in den Welthändeln, da er bis jetzt sein Dorf nicht verlassen, und keinen andern Unterricht, als den des alten Schulmeisters genossen hatte.

Man kann nicht immer zufrieden seyn, auch wenn man im Schoos der Zufriedenheit selbst leben sollte. Die Befreundeten, die sich täglich sahen, schwärmten oft, wenn sie Reisebeschreibungen lasen, von Ausflügen in die ferne Welt, von Wunderbegebenheiten, die sie erleben würden und erleben möchten, und am eifrigsten war die Gemahlin des Amtmanns im Phantasiren, was alles geschehn sollte und könnte, die keine Aussicht hatte, das große, weitläufige Amtsgebäude 6 jemals zu verlassen, weil sie es in ihrem gichtkranken Zustande kaum möglich machen konnte, die Treppen hinab zu steigen, um bei schöner Sommerwärme im Garten etwas spatzieren zu gehn.

So war es denn endlich schon seit zwei Jahren beschlossen worden, in des Amtmanns großer Kutsche nach der Residenz zu fahren, welche gerade funfzehn deutsche Meilen von diesem Dorfe entfernt war. Man schob aber, bald der Erndte, bald der Aussaat, oder wegen der großen christlichen Festtage diese Reise wieder auf, und Fritz meinte schon, wenn er mit seiner geliebten Rosine vertraulich allein sprechen konnte, es würde niemals aus der Sache selbst etwas werden, sondern die redseligen Eltern möchten wohl immerdar nur in Planen, Vorsätzen und Anstalten ihre Reiselust büßen.

Wahrscheinlich hätte der junge Prophet auch wohl richtig geweissagt, wenn nicht seit dem Frühjahr die Gesellschaft durch einen Fremdling wäre vermehrt worden, der es verstand, die Begeistrung allgemach und durch wiederholte Angriffe auf die Unentschlossenheit, bis zur wirklichen Thatsache zu treiben.

Herr Titus war der Besitzer eines kleinen, unbedeutenden Gutes, welches einige Meilen entfernt, im Wald und Gebirge lag, tief in Felsen, der schlechten Wege halb fast unzugänglich. Da es nun auch bekannt war, oder böse Zungen es verbreitet hatten, daß, wenn er Besuch erhielt, und beschädigte und zerbrochene Wagen endlich vor seinem kleinen Hause hielten, er niemals eingerichtet war, die Gäste zu empfangen, so hatten sich Freunde und Bekannte entwöhnt, ihn dort aufzusuchen. Ein ehemaliger Jäger, der zugleich den Kammerdiener, Reitknecht und Koch vorgestellt hatte, sollte selbst ausgesagt haben, daß der Herr einen alten Wartthurm, den er oft bestieg, hauptsächlich dazu benutzt 7 habe, um von dort die Gegend und die Thäler zu überschauen, und, wenn sich irgendwo eine Chaise zeige, die die Richtung nach seinem Rittersitze nehme, sich sogleich im dichtesten Walde zu verbergen. Der vielseitige Diener war dann darauf angewiesen, den Fremden zu erzählen, der Herr sei unglücklicher Weise eines wichtigen Prozesses wegen auf vier Wochen nach der Residenz verreiset, oder sei zum Besuch bei einem alten sterbenden Onkel, und habe also die Zeit seiner Rückkehr nicht bestimmen können. Mochte dies Verleumdung oder Wahrheit seyn, so unterließ es der aufmerksame und dankbare Titus niemals, diejenigen, welche ihn hatten überraschen wollen, auf seinem magern Klepper zu besuchen, um gerührt zu beklagen, wie sehr es ihm schmerzhaft sei, daß er sie jüngst verfehlt, und daß sie ihm vergönnen möchten, sich bei ihnen selbst Schadenersatz und freundliche Tröstung für seinen Unstern zu suchen.

So war man es bald in der Provinz gewohnt worden, sich vom Herrn Titus besuchen zu lassen, und so wie man ihn aus der Ferne kommen sah, oder den Hufschlag seines Pferdes vernahm, wurde gleich Bett und Zimmer für ihn eingerichtet.

Die Edelleute, Pächter oder Pfarrer gewannen auch offenbar dabei, sich besuchen zu lassen, statt jenem selbst beschwerlich zu fallen. Denn Herr Titus war ein lustiger Gesellschafter, ein muntrer, aufmerksamer Mann, der mit allen sprach, was sie gern hörten, bald Anekdoten, bald Klätschereien vortrug, die Chronik der ganzen Gegend kannte, in Büchern belesen war, und in der Politik der Höfe nicht unerfahren. Hätte er doch auch fast in seiner Jugend den Krieg mit gestritten, wenn nicht kürzlich sein Vater eben damals gestorben wäre und die weitläufige Erbschaft und verwickelte Verhältnisse ihn nicht im Vaterlande zurückgehalten hätten. 8 Noch immer beklagte er dieses Unglück, daß eine zu harte Pflicht seinen kräftigen Arm in jenem entscheidenden Zeitpunkt habe lähmen müssen.

Er war nun schon wieder seit vier Wochen beim reichen Amtmanne eingekehrt, dessen kranke Gattin ihm wohlwollte, vorzüglich deswegen, weil sein Enthusiasmus für ihren Lieblingsschriftsteller sich fast von seinen Lippen noch lebhafter aussprach, als aus ihrem Munde. Zum Verdruß des Amtmannes, welcher fast immer dabei einschlief, wurde in vielen Stunden, vorzüglich des Abends, manches Werk von Jean Paul vorgelesen.

Dieser vielberedte Mann hatte in den Pausen der Vorlesungen und auf den Spatziergängen die Trägheit des Amtmannes so bearbeitet, daß dieser endlich alle Bedenklichkeiten fahren ließ, und fest beschloß, nicht mehr aufzuschieben, sondern wirklich zum großen Jahrmarkt, der binnen acht Tagen war, mit der Gesellschaft seiner Freunde in der Residenz einzutreffen. Die Kutsche wurde hergestellt, die Pferde besser gefüttert, das gute Zaumzeug hervor genommen und gesäubert, und für den Kutscher und Bedienten neue Kleidung besorgt.

Als der saumselige Pfarrer Gottfried erfuhr, daß nun endlich alles bereit sei, um den Freitag abzufahren, damit man am Sonnabend spät, oder Sonntag früh in der Hauptstadt ankomme, erschrak der stille Mann, der seit seinen Universitätsjahren das Dorf nicht verlassen hatte. Er verwunderte sich, daß es doch endlich ernst werde, so eifrig er selbst immer zu Reise gerathen hatte. Je heftiger er aber gesprochen und phantasirt hatte, um so weniger hatte er an die wirkliche Ausführung geglaubt. Am freudigsten waren die beiden jungen Leute, die von diesem unerhörten Ausflug alles für ihre Liebe und Plane hofften, denn der reiche und 9 eigensinnige Amtmann war ihrer Verbindung entgegen, und hatte seinem Sohne ernsthaft zugeredet, als dieser ihm seine Liebe erklärte. Dadurch war dieser, und Rosine noch mehr verschüchtert worden. Doch sahen sie sich täglich, und der Amtmann hinderte auch ihren Umgang nicht, oder beobachtete ihn argwöhnisch, weil es ihm unnöthig schien, die vieljährige Gewohnheit des Lebens zu unterbrechen. Er vertraute dem Pfarrer, der in seiner Einfalt keine Plane bildete und begünstigte, und der Redlichkeit und dem Gehorsam der jungen Leute.

Man kam wieder im Saal des Amtmanns zusammen. Die Pfarrerin war über die nun schon so nahe Abreise so sehr alterirt worden, daß sie die ganze Nacht schlaflos zugebracht hatte. Sie klagte der kränkelnden und winselnden Amtmannin ihre Noth, die sie mit dem Gedanken zu trösten suchte, daß man sich einem großen unausweichlichen Verhängniß immer mit einer stillen Resignation unbedingt unterwerfen müsse. Aber, verehrte Frau, sagte die Pfarrerin, es ist ja nicht bloß die Reise allein, die mir den Kummer macht, sondern eben auch jene Schicksale, die uns während derselben und nachher betreffen können. Ich bin gewiß nicht abergläubisch, aber ich habe so bestimmte Ahndungen und Vorzeichen, daß wir unserm Unglück in die weite wüste Welt entgegen reisen, daß es vielleicht eine Gottlosigkeit ist, daß wir die entsetzliche unerhörte Sache so leichtsinnig unternehmen.

Die Arme war auf dem benachbarten Dorfe geboren und früh mit dem Pfarrer Gottfried verheirathet worden. Ihr Vater war dort ebenfalls Prediger gewesen.

Sie haben sich aber, erwiederte die Kranke, eben so wie die übrigen, auf diese Reise seit Jahren gefreut.

10 Man rennt ja oft, antwortete die Klagende, seinem Elend muthwillig und mit Lachen entgegen.

Nicht also, meine Freunde, ließ sich Herr Titus vernehmen; die Welt wird hier hinter uns nicht untergehn, so wie wir ihr den Rücken gewendet haben: dort wird sich kein Lissaboner Erdbeben, kein Brand von Moskau, keine Pariser Revolution zubereiten. Liebe Freundin, wir finden dort Betten und Kaffee wie hier, Sie können dort in die Kirche gehn und eine bessere Orgel als die hiesige hören, die in den hohen Tönen nicht selten dem Dudelsack in seinen bescheidenen Beruf fällt. Auf der andern Seite ist wieder nicht zu leugnen, daß etwas mehr Geräusch in den großen Straßen seyn wird, Obstkörbe statt Apfelbäume, hundert Equipagen statt der Ackerknechte mit ihren Pflugschaaren, eine große glänzende Wachtparade und Janitscharen-Musik statt unsers Nachtwächters, und dergleichen Unheil mehr, was zu ertragen freilich viel Standhaftigkeit kostet.

Sie sprechen und spotten wieder auf Ihre Art und Weise, sagte die Bangende; aber eine Mutter darf wohl sorgen; Sie sind los und ledig, wie der Vogel auf dem Dache, es ist natürlich, daß Sie diese Explosion nur von der lustigen Seite betrachten.

Mamachen, rief Titus lachend, die so lange projektirte Reise ist für Sie eine wahre Pflicht geworden.

Wie das? fragte die Predigerin, und zog Rosine, indem sie sie mit einem wehmüthigen Blick betrachtete, dicht an sich, als könnte sie sie im nächsten Augenblicke verlieren.

Ihre Tochter, fuhr jener belehrend fort, ist erwachsen, und hat doch von der Welt noch nichts gesehn. Sie denkt sie sich anders, falsch, und wird entweder eine übertriebene Sehnsucht nach ihr empfinden, oder ebenfalls, wie Sie, einen unpassenden Haß und Abscheu gegen sie tragen. 11 Darum ist es auch gut und löblich, daß Sie selbst, wenn auch spät, die Stadt besuchen, um mit eignen Augen zu sehn, wie es dort zugeht. Unser hoffnungsreicher Fritz muß aber vor allen Dingen in die Stadt hinein, um seinen Sinn, sein Gemüth auszuweiten. Lieben Freunde insgesammt: habt Ihr es wohl schon bemerkt, wie ich es nicht bezweifle, daß, wenn man lange einen Kleiderschrank nicht öffnet, die Röcke nicht herausnimmt und trägt, sie umpackt, das Möbel lüftet, nachsieht und ordnet, leicht Motten sich hier und dort einspinnen, und selbst ganz neues, schönes Tuch zernagen und sich ganze gute Theile herausbeißen, die nachher zu Löchern werden? Seht, Kinder, so ist es auch mit dem Menschen. Er muß an das Freie, umgepackt oder getragen werden, etwas erleben, sonst setzen sich in der ungestörten Einsamkeit noch schlimmere Motten in sein Herz und seinen Verstand. Ja, das Gemüth kann so versauern, daß der Mensch wahrhaft schlecht und elend wird. Ich habe schon Familien gekannt, die mit ihren Vorurtheilen und Schwächen aller Art, weil sie beständig beisammen und ohne alle Störung lebten, in sich verschrumpften, daß man sie wohl nicht unbillig mit einem Weichselzopf vergleichen durfte. Beißen nun Motten und anderes Gewürm uralte Pelze und Schlafröcke entzwei, so ist der Schmerz nicht so groß, und der Schaden läßt sich verwinden, aber wenn es neuem, feinem Tuch, kaum erst gemachten schönen Kleidern widerfährt, so möchte man aus der Haut fahren. So ist es mit Euch, alter lieber grauer Amtmann, und mit Euch, verehrungswürdiger Seelsorger: das Abgeschabte, die Stellen, wo Euch die Motten zugesetzt haben, sieht man kaum mehr, oder wenn man sie auch bemerkt, so kleiden sie Euch selbst nicht übel, mit einem Wort, an Euch, edle Prinzipale, ist nicht so gar viel verloren, – aber wenn sich in das junge glänzende Gespinnst dort schon 12 so viel Teufelszeug einfressen sollte, so daß die beiden bald keinen Spaß und Ernst mehr vertragen könnten, daß sie lieber aus dem Kaffeesatz, als aus den Bewegungen ihres Herzens sich wahrsagten, daß sie dumme Kartenblätter legten, um zu wissen, ob sie geliebt würden, daß sie, kurz zu sagen, sich wie die Seidenraupe schon jetzt einphilisterten, und sich in lauter kleinen Sorgen und kurzen Gedanken einspönnen: das wäre um das junge Blut Schade.

Seine Bücher, sagte der Pfarrer bedächtig, verderben ihn ganz, den Herrn Titus, er spricht kaum noch wie ein Mensch.

Er hat aber, rief der Amtmann, beim Teufel Recht, wenn ich ihn auch nicht ganz verstanden habe! Denn, Gevatter Priester, es ist was Wahres dran, daß wir hier auf dem Lande ganz versauern, und mein Junge soll klüger werden, als ich, oder ich will das Leben nicht haben. Ei, die Zeit muß besser, das Jahrhundert heller werden, und die junge Brut muß wenigstens voran, wenn wir schon zu lahm seyn sollten.

Ja wohl, fügte die vornehme Gertrud, die Frau des Amtmanns, hinzu: Reisen bildet den jungen Menschen und jedermann, das ist eine alte Wahrheit. Und ich gebe meinem Sohne meinen vollständigen Segen, ohne allen Rückhalt, mit auf den Weg, wenn ich gleich hier in meinem einsamen Schlosse allein und verlassen zurück bleiben muß. Indessen füge ich mich gern und bin unterdessen froh bei meinen Büchern, in der Erwartung, daß alle nach acht Tagen gesunder, heitrer, verständiger und gebildeter zurück kommen werden.

Es ist sehr möglich, sagte der Amtmann, und zog die Augenbraunen in die Höhe, daß wir zehn Tag ausbleiben, denn man kann nicht alle Fälle und Unfälle vorher sehn.

13 Odysseus oder Ulysses, antwortete sie mit Lächeln, blieb zwanzig Jahr vom Haus, und doch wußte Penelope, seine Gattin, ihre Zeit gut anzuwenden, und soll niemals an Langeweile gelitten haben.

Gewiß, sagte Titus, hat sich die Dame in diesem Fach sehr ausgezeichnet, und im Erwarten sehr resolut bewiesen, obgleich man auch eingestehen muß, daß die sechzig oder siebenzig Freier, die ihr Haus täglich anfüllten, ihr etwas mögen die Zeit vertrieben haben. Indessen sind zwanzig Jahr ein so bedeutender Zeitraum, daß man wohl wünschen möchte, etwas Näheres darüber zu erfahren, mit welchen Amüsements, Büchern, Clubbs, Andachts-Anstalten, Thee- und Kaffee-Visiten sie diese Kluft auch nur erträglich ausgefüllt hat.

Krank, sagte die kranke Amtmannsfrau, scheint sie nicht gewesen zu seyn, denn an der Gicht zu leiden, ist zwar nicht angenehm, aber es füllt wenigstens die Zeit so aus, daß man, so lange der einzelne Tag auch währt, nachher nicht weiß, wo die Zeit geblieben ist. Ihr Aufenthalt war, wie es scheint, auch auf dem Lande, und daß man damals schon, wie heut zu Tage, so viel sollte verleumdet haben, ist kaum anzunehmen. Dem widersprechen die einfachen Sitten und das erhabene homerische Zeitalter.

Gewiß, sagte Titus; und das Stricken, dieser liebe Lückenbüßer und Zeitvertreiber, war auch noch nicht erfunden; sie mußte sich daher auf das Weben verlegen, und soll es darin, für ihr Jahrhundert, auch ziemlich weit gebracht haben. Den Pfiff abgerechnet, daß sie bei Nacht wieder auftrennte, was sie bei Tage gearbeitet hatte. Das ist beinah unserm Journallesen zu vergleichen.

Ob denn an einer wunderlichen Sache etwas Wahres seyn mag? fragte Fritz, indem er sich näher an Titus setzte.

Und was, mein Sohn? nahm der Amtmann das 14 Wort; sprich, rede, Du mußt dreister und gewandter werden, und dazu hilft Dir der Aufenthalt in der Stadt wohl auch.

Ich habe immer gehört, sagte Fritz sehr gespannt, daß bei solchen Messen oder Jahrmärkten auch die Weißkäufer zugelassen würden.

Weißkäufer? erhob die Mutter das Wort; von dem Gewerbe habe ich noch niemals etwas vernommen; ich habe immer nur von Weißgerbern und Weißbäckern reden hören.

Weißkäufer, sagte Fritz, sollen Leute seyn, die man außerhalb der Messe Spitzbuben nennt; die sich aber am Thor beim Einpassiren dem Examinirenden mit Namen nennen, und den Charakter als Weißkäufer hinzufügen; dann hat die Polizei, so lange der Jahrmarkt dauert, nichts auf sie zu sagen, sie müßten sich denn etwa im Stehlen auf der That selbst ertappen lassen. Sie geben auch dem Staat in jener Zeit ein Quantum, eine Abgabe, und keiner, selbst wenn er den Weißkäufer als Spitzbuben kennt, darf Hand an ihn legen, bis der Jahrmarkt wieder ausgeläutet ist. Diese Sache scheint mir eine der wunderbarsten Ueberbleibsel aus dem Mittel-Alter zu seyn, und dabei doch ein schöner Beweis ächter Humanität, daß jeder Stand, auch der schlimmste, auf gewisse Zeiten und Stunden geduldet und beschützt wird.

Und von wem, fragte der Prediger, haben Sie diese wunderbare Nachricht erhalten?

Voriges Jahr, antwortete Fritz, war der Hausirer, oder Tabuletkrämer, wohl acht Tage in unserm Dorfe. Ich besuchte und sah ihn viel in der Schenke, denn der Mann hatte weite Reisen gemacht und viel Erfahrung gesammelt. Von solchen Leuten lernt man am meisten, und oft mehr als aus Büchern. Er schwur mir, diese Sache sei wahr, und er habe selber in Frankfurt am Main einen von diesen Weißkäufern gesehn.

15 Unmöglich ist es nicht, fuhr Titus fort, denn, was die sogenannten Spitzbuben betrifft, so hat sich mit diesen schon vielerlei Unbegreifliches in verschiedenen Lebensverhältnissen zugetragen. Denn alles kommt darauf an, was wir unter diesem Namen befassen wollen. Die klugen Schelme machen oft eine gut organisirte, aber unsichtbare Zunft aus, und es hat manchmal sogar das Ansehn, als wären sie nur eine Parodie oder vielmehr Abbild der bürgerlichen Societät, in welcher, von Privilegien und Monopolen geschützt, so vieles ausgeübt, so viel Gutes unterdrückt, so viel Freiheit gehemmt wird, um reiche Taugenichtse noch reicher zu machen, schlimmer als das, was die Räuber thun, um die Sicherheit zu stören. Es ist vom Dichter kein übler Gedanke, daß ein Schwärmer sich an die Spitze einer Bande stellt, um die edle Gerechtigkeit wieder durch Gewaltthat herzustellen und Schicksal und Vorsehung im Kleinen zu spielen.

Das ist vielmehr ein gottloser, sündlicher Gedanke! fiel der Pfarrer mit großem Eifer ein, wenn ich das dichterische Buch kennte, oder wenn es in meiner frommen Gemeine gelesen werden sollte, so würde ich eigene Predigten dagegen halten und ausarbeiten.

Stille! stille! sagte Titus mit vornehmer Miene; ein erlauchter, frommer Mann, der sich eine Zeit lang gegen seinen König auflehnte, im Gebirge umstreifte und die reichen Gutsbesitzer brandschatzte, wird von Euch höchlich venerirt, wie er denn bei alle dem auch Ehrfurcht verdient, weil er bestimmt war, Großes auszurichten und in Frömmigkeiten Jahrhunderten vorzuleuchten.

Herr von Titus, sagte der Pfarrer empfindlich, nennt diesen Rebellen mit Namen, damit ich Euren unwahren Mund hier vor allen unsern Freunden sogleich durch meine gründliche Widerlegung beschämen kann.

16 Ist es nicht, sagte Titus mit aufgeworfenem Haupte, David selbst, der so mancherlei in seinem vieldeutigen Lebenslauf erfahren hat?

Gottfried wurde roth, ließ den Kopf sinken und sagte dann nach einer Pause: das ist etwas ganz Anders, mein Herr, das kann und darf man nicht mit dem gewöhnlichen Maaßstabe messen. Er hatte schwere Kränkung von seinem Könige geduldet, der ein Tyrann geworden war, der Prophet Samuel hatte den Jüngling selbst aufgerufen, sich dem Verhärteten zu widersetzen, er mußte sein Leben zu erhalten suchen, und weil ihm das Reich nach höherem Rechte gebührte, war er so wenig ein Aufrührer, daß der König selbst vielmehr in diesem Lichte erscheint. Wenn aber kein anderer Diskurs aufkommt, werde ich genöthigt seyn, mich mit meiner unschuldigen Tochter hinweg zu begeben, damit ihr frommes Herz nicht verdorben werde. Ich mag nicht sitzen, wo die Spötter sitzen.

Der Amtmann, der eine stille Freude daran hatte, wenn der rechtgläubige Pastor manchmal verwirrt gemacht wurde, stellte den zürnenden alten Mann wieder zufrieden, indem er sagte, man müsse nicht alle Worte unter alten Freunden auf der Goldwaage abwiegen wollen.

Nur nicht, sagte der Priester, das Heilige gelästert, sonst mag Spaß und Ernst, wie er auch sei, drauf und drein gehn.

Ich erzähle nur die Thatsache, erwiederte Titus ruhig, und mag weder deuten, noch Folgerungen ziehen, am wenigsten aber in der Manier der Leichtsinnigen sprechen. Ich denke nur, wenn Sauls Geheim-Sekretär die Sache beschrieben hätte (wie er es denn vielleicht hat) und wir besäßen noch jetzo seine offizielle Relation, so würde der nachher so große König in einem noch sonderbareren Lichte 17 erscheinen. – Indessen bin ich weder Theologe noch Geschichtschreiber und die Sache mag auf sich selber beruhn. Der Carrikatur und dem Narren seiner Einbildung, dem Johann von Leyden ging es verdienter Maßen schlecht und erbärmlich. Das aber ist wahr und ausgemacht, daß es oft schade um die Genies ist, die als Spitzbuben zu Grunde gehn. So Cartouche, der sich so lange erhielt, allen Spionen zum Trotz, der so oft in der vornehmsten Gesellschaft, wenn von ihm gesprochen wurde, selber zugegen war. Dergleichen ist aber auch nur in den großen Städten möglich. Unter allen Schelmen habe ich immer mit den Wildschützen am meisten Mitleid gehabt.

Da kommt der Herr, rief der Amtmann, auf ein zweites, noch gottloseres Kapitel. Habt mit denen Mitleid und macht dies Mitleid Mode, so haben wir in zehn Jahren weder Wild noch Wald mehr. Der ordinäre Spitzbube ist gegen diese Wilddiebe, die Mörder werden, wenn man ihnen das Handwerk legen will, ein frommes Kind.

Erinnern Sie sich, gnädige Frau, rief Titus, indem er sich zur Kranken wendete, des herrlichen Kapitels im Siebenkäs über die Bettler? Auf diese Erscheinungen freue ich mich ebenfalls am allermeisten, und dies Gesindel zu sehn und zu beobachten, ist für mich allein schon Sporns genug, um diesen feierlichen, geräuschigen Jahrmarkt zu besuchen. Da will ich meinen Humor weiden und neue Bilder und Gleichnisse sammeln. Nicht wahr?

»Der ächte Bettler ist der ächte König.« –

Er ist ganz toll und wild heut, rief der Amtmann; von einer Extravaganz auf die andere! Das Bettelwesen, Freund, können Sie auch hier bei uns studiren. Dazu sind die Bibliotheken überall zugänglich und die Exemplare keine Seltenheit.

18 Aber doch fehlen jene Pracht-Exemplare, erwiederte Titus, die man durchaus nur auf den Jahrmärkten antrifft. Das ordinäre Bettelgesindel verdient so wenig Studium als Hochachtung. Sie treiben hier ihren elenden Beruf ganz ohne Genie und Enthusiasmus, ein ganz jämmerliches alltägliches Betteln, wozu sie der Hunger treibt: aber dort sieht man hochbegabte Menschen, die auch den Geizhals zwingen können, etwas zu geben, die alle etwas vom Gauner an sich haben, und die Bettel-Philosophie nach Maximen und Kunst-Anschauungen treiben. Betteln kann jeder, so simpel hin, aber so, daß jeder Vorübergehende Erbarmen haben muß, wenn er sich auch noch so sehr verhärtet, oder daß der Hochmüthigste Respekt haben muß vor dem Krüppel, oder daß derjenige, der weder auf den Prediger in der Kirche hört, noch auf Ermahnung und Beredsamkeit der Freunde, der seinen Stolz darein setzt, niemals zu etwas gegen seinen Willen bewegt zu werden, daß ein solcher sich vom Stelzfuß oder Einäugigen bereden läßt, in die Tasche zu fahren, und sein bestes Silberstück herauszunehmen, für das er eben eine Portion Caviar genießen wollte: seht, Freunde, das ist der wahre hohe Styl der Bettelei, die klassische Vollendung, die ich aufsuchen und ihr das Studium meiner begeisterten Laune widmen will.

Warum es mich am meisten schmerzt, sagte die Kranke, daß ich diese schöne Reise nicht mitmachen kann, ist jener reizende Park, auf dem halben Wege zur Stadt, den ich nun auch diesmal nicht genießen und in Augenschein nehmen werde; die vielen Thränenweiden und Trauerbirken, die Eremitenhäuschen, die süßen, kleinen Wasserfälle, alle diese herrliche Kunst-Natur hätte ich wohl einmal recht in der Nähe sehen mögen, da mich die Beschreibung immer schon so sehr entzückt hat. Wie mehr könnte ich mich nachher in den 19 himmlischen Park des Hesperus oder des Titan hinein phantasiren, wo ich schon jede Staude und jede Weihmuthskiefer zu kennen glaube, die man nach meinem Gefühl auch lieber Wehmuths-Tannen nennen sollte.

Sehr wahr, sagte Titus: überhaupt sollten Pflanzen und Blumen mehr ihre Titel und Namen von den menschlichen Gemüthsbewegungen und Empfindungen hernehmen. Wir haben fast nur das einzige Vergißmeinnicht, mit seiner sinnigen Bezeichnung; Rose und Lilie haben nun einmal ihren europäischen Namen, der sich nicht gut wieder umtaufen ließe. Aber nehmen wir nur die einfältige Tulpe, auf die sich auch nichts einmal reimt, wenn man vielleicht nicht nach neuester Mode

Tulpe
Schuld-be
wußte, –

geniemäßig sagen und trennen wollte. Tulpe, Tulband, Turban, weil die Blume mit dieser Kopfbedeckung Aehnlichkeit hat, könnte man sie nicht, wegen der schwarzen Dolche in ihrem Kelche Liebesrasen oder Werthergefühl nennen? Man könnte ja die große Saamen-Kapsel für ein Pistol ausgeben. Hyacinthe und Narcisse, selbst Levkoje, oder Leuko-Ion, mit den griechischen Namen, klingen leidlich; – aber Flieder! wie gemein! wenn sich auch bieder und Lieder darauf reimen. Rittersporn, Löwenmaul und ähnliche Namen sind gesucht und platt; Astern erträglich; – aber Päonen, Je länger je lieber oder Caprifolium wieder dumm; Jonkille klingt wenigstens gut, so wie Jasmin: – aber wieder Balsamine, – fast lumpig. Primeln und Himmelschlüssel wieder gut, Nelke höchst unbedeutend; die große aufplatzende sollte man gebrochenes Herz nennen, eine andere Pflanze Minnetrost, Sehnsuchtkeim, Thränenquell, Venuslächeln, wie wir schon das Venushaar besitzen. Aber wir Deutsche denken an nichts, und treiben 20 lieber Possen mit den zarten Blümchen, zum Beispiel mit jenen, die so schon aus den Wiesen heraus glänzen, und die wir, kindisch genug, Stiefmütterchen nennen. Hier übertrifft uns der Franzose einmal, der sie doch Pensées tauft.

O Sie sinniger Botanist, sagte die Kranke; darüber sollten Sie einmal etwas im Zusammenhange schreiben.

Es macht ein eignes großes Kapitel in meinem Buche aus.

In Ihrem Buche? riefen alle zugleich, sich verwundernd.

Und so hatte sich Titus selbst verrathen. Das Geheimniß, weshalb er hauptsächlich auf diese Reise so sehr gedrungen hatte, war nun ein öffentliches geworden. Er hatte nehmlich einen großen Roman in der Manier seines Lieblings geschrieben, und zu diesem dachte er in der Stadt einen Verleger aufzusuchen. Und so war, außer der Neugier und Sucht nach Veränderung, von der sie alle getrieben wurden, noch in jedem etwas Besondres, das ihn anspornte, nach der Residenz zu streben. Denn als sich die Uebrigen jetzt entfernt hatten und der Pfarrer mit dem Amtmann, seinem Gönner, allein geblieben war, fing dieser mit bedächtiger Stimme an: mein theurer Freund, ich will Ihnen jetzt auch noch ein Geheimniß anvertrauen, das ich nicht Preis geben wollte, als jener Windbeutel noch zugegen war. Sie wissen, lieber theurer Mann, wie sehr ich immer auf die Ehre und den Glanz meiner Familie gehalten habe, und wäre dieses hohe Gefühl meines Herzens nicht, so könnte ich mir gewiß keinen bessern Schwager, als Sie, treuherzigster aller Männer, so wie keine bessere Schwiegertochter, als ihr allerliebstes Rosinchen wünschen.

Gehn wir über dies Kapitel hin, sagte der Geistliche, welches wir schon ehemals auf immer abgemacht haben. Meine Tochter ist überdies noch zu jung.

Gut also, sprach der Amtmann weiter, indem er sein 21 Gesicht immer feierlicher einrichtete; Sie wissen es vielleicht gar nicht einmal, daß ein jüngerer Bruder von mir noch lebt, der meinem seligen Vater unendlichen Kummer verursacht hat. Ein wilder, toller Bursch war dieser Ferdinand, der durchaus nicht gehorchen und noch weniger etwas lernen wollte. Er prügelte Alles, was ihm vernünftig zuzureden wünschte, lebte immer im Stalle und mit den Knechten, zur Kirche ging er gar nicht, und dem Schulmeister wollte er das liebe unschuldige Schulhaus, das auch bald nachher von selbst eingefallen ist, über dem Kopf anstecken. Vergeblich, daß ich, der Aeltere, ihm als ein Muster vorgehalten wurde, er lachte nur über mein solides Wesen und meinte, er wollte schon ohne das durch die Welt kommen, und reicher und angesehener als wir Alle werden. Mein Vater hatte kein großes Vermögen, denn ich bin erst durch meine Frau zu dieser großen ansehnlichen Pachtung gekommen. So war denn der Bursche kaum sieben Jahr, als er mit einer Bande Zigeuner, die durch das Dorf zog, davon lief; oder ob sie ihn mit List weggeführt, oder mit Gewalt fortgeschleppt haben, das weiß kein Mensch, denn es hat niemals wieder etwas von ihm verlautet. Jener Hausirer nun, oder Tabuletkrämer, mit welchem mein Sohn damals höchst unnöthiger Weise Bekanntschaft machte, erzählte mir in einer vertrauten Abendstunde, als ich mit ihm in meiner Gartenlaube saß (denn der Mann hatte einen großen Theil der Welt gesehn, und log wohl nicht allzuviel), von einem Herrn, den er an verschiedenen Orten angetroffen haben wollte, der reich, vornehm, unternehmend und weit gewandert sei, und bei dessen Schilderung mir einfiel, ob dieser nicht mein Bruder seyn möchte. Jener Hausirer wußte mir nicht zu sagen, wo er sich aufhalte, behauptete aber, er komme sehr häufig in die Residenz, wo er der größten Achtung genieße. 22 Er soll von Adel seyn, Landgüter besitzen, seinen Namen wußte der gute Kleinkrämer aber nicht; auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieser mein Bruder, wenn er es ist, sich als Edelmann einen andern Namen zugelegt hat. Hat er sein großes Vermögen nun durch eine Heirath, oder durch Kriegesdienste erworben, hat er vielleicht eine bedeutende Anstellung, ist er Fabrikherr, oder Associé eines großen Wechselhauses: sehn Sie, über alles dieses fehlen mir die Nachrichten, und meine Vermuthungen können nur vage und oberflächliche seyn. Ist es aber der Bruder, ist er reich und mächtig, so will ich es nicht verschwören, daß ich auch meinen Adel erneuen lasse, denn es ist eine alte Tradition in unserer Familie, daß der Vater meines Urgroßvaters von Adel und ein großer Kriegsheld gewesen sei.

Davon haben Sie mir noch niemals etwas gesagt, erwiederte der Geistliche: obgleich wir uns schon dreißig Jahre kennen.

Wer kann immer über Alles sprechen, antwortete der Amtmann, etwas verlegen; genug, der Name Lindwurm ist schon ein uralter Name, den ich mich, oft gefunden zu haben, wohl erinnere.

Daß aber der unbestimmte, fremde Mann, von dem eigentlich kein Mensch etwas weiß (fuhr der Pfarrer mit bedenklichem Kopfschütteln fort), sich als Ihren Herrn Bruder ausweisen sollte, ist doch auch eine höchst sonderbare Voraussetzung, und ihn vollends so ohne Kennzeichen und Nachweisung aufsuchen wollen, ein höchst gewagtes Unternehmen.

Wagen gewinnt, erwiederte der Amtmann, die Sache hat mich seither zu sehr beschäftigt, als daß ich sie wieder aufgeben könnte.

Sonderbar! sonderbar! sagte der Pfarrer zu sich selber; wie man nur, wenn man auch übrigens solide denkt, der 23 Phantasterei so viel einräumen kann. – Nein, fuhr er aus seinen Gedanken auf, da habe ich doch ein festeres Projekt, eine richtigere Aussicht, weshalb ich auch wünsche, daß ich bald in der Stadt wäre, wenigstens vor dem Schlusse der nächsten Woche.

Nun?

Sehn Sie, fuhr der Geistliche fort, ein guter Christ soll so wenig Zeichendeuter selbst seyn, als den Deutungen andrer glauben, das weiß ich so gut, als Sie, und habe bisher auch immer in diesem Sinne gelebt. Aber, wenn Wunder zum Wunder kommt, so wankt auch der Andächtige und Ueberzeugte, und verläßt auch wohl einmal, ohne ein allzugroßer Sünder zu werden, die bis dahin stets verfolgte Bahn. Als ich letzt meine Hühner zähle, und nachher meine Tauben füttre, so geh ich dann in mein Studierstübchen, um meine Predigt auszuarbeiten. Wie dieses vollbracht, lege ich mich, nach erfüllter Pflicht mit gutem Bewußtseyn zum Schlafe nieder. So träumt mir alsbald, denken Sie nur, ich füttre dreizehn Hühner, da ich doch achtzehn besitze, aber alle zinnoberroth, ich überzähle meine Tauben, auf der Leiter stehend, und finde fünf und zwanzig, da ihre Anzahl doch sechs und dreißig beträgt, sie sind aber alle von dem schönsten Himmelblau. Dann komme ich zu meinem Bücherschrank, der gerade fünfhundert Bände enthält, die sind aber alle weg, und nur drei und dreißig Bände theologische Werke stehn da: – aber wie? – Alle goldner Schnitt und die Deckel in den prächtigsten Harlekinsfarben. Denken Sie den Unsinn!

Ja wohl, sagte der Amtmann.

Ich schlage mir, als ich erwache, die Dummheit denn auch aus dem Sinn: schlafe wieder ein, – derselbe Traum, die blauen Tauben, die rothen Hühner, die in 24 Hanswurst-Gewand gebundenen Theologen, und immer dieselbe Zahl. Noch hätte ich nichts auf diesen weltlichen Tand gegeben, wenn mir nicht nach zwei Tagen meine gute Frau erzählt hätte, daß sie von einem sehr ängstlichen Traum die ganze Nacht sei bedrückt worden; ich hätte sie nehmlich, um das heilige Pfingstfest zu feiern, gezwungen, zur Kirche drei und dreißig große Perücken aufzusetzen, nachher habe sie sich Mittags an fünf und zwanzig schönen großen purpurrothen Krebsen den Magen verdorben, die sie mit den Schaalen in sich hinein gespeiset, und als sie den Fall unserm Chirurgus geklagt, habe der ihr verordnet, dreizehnmal zur Ader zu lassen, wodurch sie wieder sehr abgemattet sei. – Nun, verehrtester Herr Gevatter, was sagen Sie dazu?

Gar nichts, antwortete der Amtmann, als was Sie selber vorher zu sagen beliebten. Unsinn, Dummheit!

Gut, sagte der Priester, mag es so seyn, auch konnte es, so wunderbar es war, dabei sein Bewenden haben: aber denselben Tag bringt mir Rosinchen drei und dreißig große, rothe Kirschen, die ersten reifen, auf einem hübschen Fruchtteller von Porzellan, auf dem dreizehn blaue Hühnerchen gemalt sind, und wie wir uns an den Tisch setzen, sind gerade fünf und zwanzig Kartoffeln in der Schüssel. – Nun? –

Wie vorher, sagte der Amtmann; die Applikation bleibt immer dieselbe.

Nein, beschloß der Pfarrer, wenn sich dasselbe Wunder immerdar wiederholt, so glaube ich daran, und halte es für meine Pflicht, so zu thun, denn es ist ein Wink, den ich befolgen muß. In der Stadt besetze ich eine Terne in der Lotterie.

Als der Amtmann allein war, sagte er grollend vor sich hin: es besteht doch kein solider Charakter, wenn er nur 25 ein wenig in Versuchung geführt wird. Der alte Mann schlägt auch noch über und wird zum Phantasten. Das soll nun andre Menschen erbauen und unterrichten, und ist selbst dem Aberglauben und den Vorurtheilen unterworfen! Traumdeuter! Rothe Hühner und Krebse, blaue Tauben und Kartoffeln! Kindisch wird er, der Gute.



 << zurück weiter >>