Ludwig Tieck
Der Geheimnisvolle
Ludwig Tieck

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Ohne jemand von der Familie des Grafen zu sehen, bestieg Kronenberg am folgenden Morgen den Wagen, Liancourt setzte sich zu ihm; den Rücksitz nahmen die beiden arretierten Offiziere ein, und zu Pferde begleiteten die offene Chaise zwölf Dragoner mit ihrem Anführer. Kronenberg hörte kaum auf den freundlichen Zuspruch Liancourts. Als der Wagen sich wandte, entdeckte er am Fenster eine weiße Gestalt, in welcher er Cäcilien zu erkennen glaubte. Sein Leben war wie in einen Traum, wie in ein seltsames Märchen zusammengeronnen. »Lieber junger Mann«, fing Liancourt wieder an, »wie konnten Sie die Unbesonnenheit so weit treiben, einem feindlichen Offizier Ihre gefährlichsten Geheimnisse zu vertrauen? Man will jetzt behaupten, es sei alles nicht so, was Sie von sich selber ausgesagt haben; jugendliche Eitelkeit habe Sie nur verleitet, um für etwas Wichtiges zu gelten. Dies ist zu unwahrscheinlich, als daß es einer von uns glauben könnte. Sollte es aber dennoch sein, so muß sich eine unbegreifliche Seelenkrankheit Ihrer bemeistert haben, von der mir noch kein ähnliches Beispiel vorgekommen ist. Aber kein Kriegsgericht wird darauf achten, da Ihr eigenes Wort und das Zeugnis Duplessis gegen Sie streitet. Wie kann man überhaupt eine Negation beweisen?«

Kronenberg stimmte dem ernsten Mann, in dem sich alle bisher geirrt hatten, vollkommen bei; er sagte nichts zu seiner Verteidigung, sondern gab sich in dumpfer Betäubung vollkommen verloren. Es wandelte ihn von Zeit zu Zeit an, als wenn er über sich lachen müßte, daß um ein Possenspiel, das ihm jetzt aberwitzig erschien, er sein Leben dem Schein eines Verbrechens hingeben müsse. Er konnte sein Gefühl nicht bemeistern, mit welchem er jene andern beiden Schlachtopfer beneidete, die für eine That, für Mut und Verzweiflung durch feindliche Kugeln ihr Blut verspritzen sollten.

Man kam in der Stadt an; tausend Neugierige musterten die Gefangenen. Kronenberg erhielt ein Stübchen für sich allein.


Schon am folgenden Morgen sah er seine beiden Unglücksgefährten mit verschlungenen Armen seinem kleinen Fenster vorübergehen. Es schien ihr Gang vor das Kriegsgericht zu sein. »Mit jeder Minute«, sagte er zu sich selbst, »rückt nun der Augenblick näher, der auch mein Dasein lösen und mich einer fremden, ungekannten und ungeahndeten Existenz übergeben wird. Darfst du es dir gestehen, daß dies Wahrheit, Wirklichkeit und kein leeres Nebelgebilde ist? Nein, dieser Leichtsinn, der uns Schmerz und Leid durch sein schwindelerregendes Gaukeln verdeckt, der unsere Seele immer und immer von sich selber abzieht, ist mir völlig entschwunden. Diese Betäubung ist entflohn, und ich bin mit meinem Elende allein. Und daß ich mich verachten muß! daß ich mich verspotten möchte! – Das Schicksal gönnte mir Freunde; es verzieh mir meinen Mangel an Edelmut, es ließ mich von jenem Sturz wieder zum Leben erwachen; die trefflichsten Menschen nahmen mich als Sohn auf; ein himmlisches Wesen erniedrigte sich so tief, mich zu lieben. Der ganze Himmel kam mir entgegen; aber mich gelüstete mehr, mit dem Narrenhut zu klingeln und den KolbenDie Narrenpritsche. so zu tragen, daß er andern Thoren in die Augen fiel. Hatte ich doch alle Mahnungen des bessern Geistes von mir gewiesen! Und darum ist es recht, daß die letzte, auf welche ich nun endlich merke, zu spät kommt.«

Er hörte Schüsse. »Die Armen!« seufzte er und betete unwillkürlich. Gleich darauf trat der alte Aufseher herein. »Sie haben es überstanden, die guten Jungen«, sagte dieser, »es war ein erbärmlicher Anblick. Als sie vom Kriegsgericht zurückkamen, gingen sie in die Kirche und empfingen mit Andacht das heilige Abendmahl. Das junge Blut mit den gelben Haaren weinte immerfort und beklagte seine alte Mutter und seine eigne Jugend. Der andere drohte und sagte, es müßte bald die Zeit kommen, wo seine Kameraden ihren Tod rächen würden. Lieber Himmel, das sagt sich bald und thut sich schwer; doch hat es ihm einen Trost gegeben. Der jüngste war gleich tot; der braune lebte noch und winkte, wie er zusammengestürzt war, mit der Hand, daß sie schnell noch einmal schießen sollten; denn sprechen konnte er wohl nicht mehr. Als es wieder geschehen war, lag er auch ganz ruhig.«

Der Alte würde noch länger geschwatzt haben, wenn nicht eine Ordonnanz eingetreten wäre, um Kronenberg abzurufen. Dieser erhob sich gleichgültig, in der Überzeugung, daß man ihn vor ein Kriegsgericht führen würde. War er doch beinahe froh, das Possenspiel des Lebens abschütteln zu können. Er folgte seinem Führer in ein großes Haus, stieg die Treppe hinan und befand sich jetzt im Vorsaal, der von Uniformen wimmelte. Man ließ ihn stehen. Offiziere aller Waffengattungen gingen in das innere Gemach und kehrten zurück; andere verließen das Haus; Nachrichten und Briefe kamen. Ein hagerer Mann, in reich gestickter Uniform, näherte sich dem betäubten Kronenberg und betrachtete ihn mit prüfendem Auge; dann sprach er mit einigen Nahestehenden, offenbar über die Person und das Vergehen des Arrestanten. Nach einiger Zeit ging er zum zweitenmal in das Zimmer und verweilte dort lange. Indessen verminderte sich der Haufe der Wartenden, und nun ward Kronenberg hineingerufen. Er erstaunte nicht wenig, als er im großen Saale niemand als den Marschall sah, den er vor einiger Zeit hatte kennen lernen. Dieser betrachtete ihn lange Zeit und sagte dann: »Junger Mann, Sie geben ein trauriges Beispiel, wie Jugendfehler, die von vielen Menschen oft als gleichgültig betrachtet werden, bis in die tödlichste Gefahr locken können. Sie haben Freunde – ich will hoffen, nicht ganz unverdient – die das Äußerste für Sie thun. In der Nacht ist ein Herr von Emmerich herübergeeilt, um mich früh zu sprechen und vorzubereiten; kann ein Freund, die Beredsamkeit eines Bruders die Unschuld eines Angeklagten darthun, so hat er alles gethan. Der edle Graf, ein verehrungswürdiger Charakter, ist gleich nach ihm eingetroffen und hat wie ein Vater für Sie geredet; mit Thränen der Rührung hat er Sie in Schutz genommen. Seine Tochter, die Ihnen bestimmt war, indem man Sie für einen andern hielt, gehört seit Ihrem Unglücke kaum dem Leben mehr an; die Mutter auch ist untröstlich. Überlegen Sie alles dies und ziehen Sie die Summe, ob Sie, der so lange es über sich gewinnen konnte, unter einem fremden Namen diese edle Familie zu hintergehen, nur den zehnten Teil dieser überschwenglichen und beispiellosen Liebe verdient haben.«

»Ihro Exzellenz«, sagte Kronenberg kalt, »können es mir nicht eindringlicher sagen, als ich es selbst schon gethan habe, daß ich ein Nichtswürdiger gewesen bin.«

»Was haben Sie verdient?«

»Den Tod, hundertmal; denn wer das Leben und die Wahrheit durch Lügen schändet, verdient nicht Leben, Liebe und das Licht des Himmels.«

»Und doch wollen Ihre Freunde behaupten und wollen es aus Ihrem Munde gehört haben, daß jene Intriguen, derentwegen Sie angeklagt stehen, nicht existieren, daß Sie von jenem Buche keine Zeile geschrieben haben.«

»So ist es; aber was ich wirklich gethan, welch Herz ich zerrissen, welcher jämmerlichen Eitelkeit ich mein und fremdes Glück zum Opfer gebracht habe, ist mehr, ist schwerer Verbrechen als jenes, weshalb man mir hier den Stab brechen würde.«

Der Marschall öffnete einen Schrank. »Kennen Sie diese Brieftasche?«

Kronenberg nahm sie in die Hand. »Es ist die meinige«, sagte er verwundert, »eine seit lange vermißte; ich bin erstaunt, daß sie mir so unvermutet und unter diesen Umständen vor das Auge kommt.«

Indem trat hinter der niedergelassenen Gardine eines tiefen Fensters jener blasse Mann in der reichen Ziviluniform hervor, der den Jüngling schon draußen mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte. »Kennen Sie mich nicht mehr?« redete er den Verwirrten an.

Durch die Stimme kam ihm die Erinnerung wieder. Es war jener Fremde, den er am ersten Tage seiner Reise im Gasthofe auf so seltsame Weise hatte kennen lernen.

»Als ein großmütiger, junger Mann«, sagte der Fremde, »nahmen Sie sich meiner damals an, beschützten und verfolgten mich. Ich war in einer üblen Lage; ein Klügerer hatte mir meine Pässe entwendet, in der einsamen Gegend war mein Geld ausgegangen, und das Schlimmste war, man war mir und meiner Verkleidung auf der Spur. Es war nahe daran, daß ich entdeckt und festgenommen wurde. Dann war meine Reise, meine mehr als jahrelange Bemühung umsonst. Sie halfen aus der Not, und es war nicht recht dankbar von mir, bekenne ich selbst, daß ich mir Ihren Paß aneignete. Sie retteten mich damals, und ich kann Sie jetzt retten; denn ich bin mehr, wie alle, von Ihrer Unschuld überzeugt.«

»Wie das?« fragte der Marschall.

»Ich fand«, fuhr der Fremde fort, »außer dem Paß noch einige Briefschaften in diesem Portefeuille, und Sie erlauben mir, junger Freund (es ist einmal nicht zu ändern), dem Herrn Marschall folgendes Blatt zu übersetzen; es ist von Ihrem Onkel, und wenn es nicht ganz artig ist, so hebt es doch die Anklage völlig auf.« Er las in französischer Sprache:

»Ungeratener Neffe!

Deine Schulden werde ich nicht bezahlen; Deines Gutes, welches Du in Grund und Boden verdorben hast, werde ich mich nicht annehmen; es heißt das Geld ins Wasser schmeißen, wenn Du mit Deinen neumodischen Theorien der Wirtschafter bleibst. Die andern Teufeleien, die Du treibst, sind aber noch ärger. Willst Du denn zwei Mädchen heiraten? Der Narr wird sich aber zwischen zwei Stühle niedersetzen und keine bekommen, und damit geschieht ihm schon recht. Es wäre Dir zu gönnen, wenn Dir die Söhne oder die Väter noch obenein einen Denkzettel gäben. Aber vielleicht nimmt sich noch jemand anders die Mühe, Dir nach dem Halse zu greifen, der Dich verdammt jucken muß. Das Buch, Hasenfuß, das ich Dir neulich von der Reise mitbrachte, und das Du mir zur patriotischen Ergötzlichkeit vorlesen mußtest, das Werk, Du Alberner, in dem Dir unser Pastor noch einiges erklären mußte, das willst Du nun geschrieben haben? So hat mir mein Bedienter und auch der Schulmeister erzählt, denen Du es weisgemacht hast. Die Dummheit kann Dich ja ins Gefängnis bringen. Vollends muß ich ja hören, daß Du den rothaarigen Perückenmacher hast anwerben wollen; Du solltest für englischen Sold ein Regiment gegen die Franzosen errichten. Der alte, einfältige Herr von Matthias war auch ganz voll davon. Dem hattest Du noch vorgelogen, Du seist der Chef eines geheimen Ordens, von dem sich die Wirkungen bald zeigen würden. Ich bitte Dich, Taugenichts, um Deines Leibes und Deiner Seelen Heil, zieh doch endlich den Hanswurst aus Deinem verkehrten Gemüte und lasse das verfluchte Lügen, wozu Du von früher Jugend inkliniertest. Es ist wahr, ich bin Dein Onkel, Dein nächster Verwandter, und von Rechts wegen solltest Du wohl dereinst von mir mein bißchen Armut erben; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es nicht lieber alten Spitalweibern vermache, falls Du nicht in Dich schlägst und ein ganz anderer Kerl aus Dir wird. Übrigens bleibe ich, NB. wenn Du mich künftig mit Quälereien um Geld verschonst,

Dein wohlaffektionierter Onkel

Richard.«

Der Marschall hatte dieses väterliche Sendschreiben nicht ohne einiges Lächeln anhören können. »Sie sehen also hieraus«, fuhr der Fremde fort, »daß unser Freund völlig, was seine hiesige Anklage betrifft, gerechtfertiget steht. Sie können ihn frei geben, ihn, der schon genug für die arme, mißverstandene Eitelkeit gelitten hat. Sollte sich aber noch das kleinste Bedenken finden, so nehme ich alle Verantwortung auf mich. Ich reise noch heute ab; in weniger Zeit spreche ich den Kaiser; ich werde ihm selbst die ganze Sache erzählen, und ich weiß voraus, daß es ihn zum Lachen bringen wird, auf welche Weise die Deutschen zuweilen Spaß treiben. Heißt es nicht, mutwillig auf glühendem Stahl ein Ballett mit bloßen Sohlen tanzen wollen?«

»Sie sind frei, mein Herr«, sagte der Marschall. »Ich denke, der Vorfall wird Ihnen zur Schule gedient haben.«

Kronenberg nahm seine Brieftasche, dankte beiden Herren und wußte nicht, wie er aus dem Zimmer und Vorsaal wieder auf die Straße gekommen war. Er sah um sich und in den blauen Himmel hinein; er fühlte wieder, daß das Leben ein Gut sei, das sich nicht so leicht wie ein abgetragenes Kleid wegwerfen lasse. Ein Diener redete ihn an und führte ihn nach einem Hause, wo er den Grafen traf. Väterlich nahm ihn dieser auf, und nach Glückwünschen über die Errettung aus der augenscheinlichen Lebensgefahr, auf welche Kronenbergs Beschämung nur wenig erwiderte, sagte er endlich: »Es ist manchen Menschen ohne Zweifel ein gewisser Zauber beigesellt, ein Talisman, der ihnen allenthalben Liebe und Freundschaft erwirbt und sie glücklich macht, wenn sie diese entgegenkommende Sympathie beachten. So ist es mir und uns allen mit Ihnen ergangen. Erwarten Sie von mir kein Wort mehr über diese Jugendschwächen, die Ihnen diese schwere Lehre zugezogen haben, welche Sie ganz gewiß zu Herzen nehmen werden, oder Sie müßten mehr als leichtsinnig sein. Unser ganzes Haus hängt mit Liebe an Ihnen; ich habe um Sie wie um einen leiblichen Sohn getrauert. Die Thränen, die meine gute Frau um Ihr Schicksal vergossen hat, das Wohlwollen, mit dem sie Ihnen verzieh, alles das mag ich Ihnen jetzt nicht als Beweise unsrer Freundschaft aufführen. Alles, was Sie mir selbst neulich über sich und Ihre Lage gesagt, habe ich reiflich erwogen; aber mehr, als Sie je thun könnten, hat unser Emmerich gethan. Dieser Mann ist Ihnen mit der reinsten, fast beispiellosen Freundschaft ergeben. Ja, mein junger, teurer Freund, es wohnt ein edler Geist, eine echte Gesinnung in Ihrer Brust, die sich nun entwickeln wird; wir alle, so viele gute Menschen, können nicht gänzlich im Irrtum sein. Ich kenne Ihre Familie; Ihr Oheim Richard ist mein Universitätsfreund; wir wollen uns mit diesem vereinigen, und Sie und wir alle werden glücklich sein. Ich habe bisher von meiner Tochter, von Cäcilien, geschwiegen. Der Glaube, daß sie den in Ihnen kennen lernte, der ihr gewissermaßen bestimmt war, hat sie ganz und auf ewig zur Ihrigen gemacht. Sie hat mir ihr ganzes Herz enthüllt; und innig gerührt muß ich diesem Bunde, der sich wie durch ein Wunder geknüpft hat, meinen Segen geben.«

»Großmütigster der Menschen«, rief Kronenberg bewegt aus, »Vater! Sie berauben mich aller Worte und jedes Danks. Auch kann kein Mensch, selbst der beste nicht, so viele Liebe verdienen, viel weniger ich. Mein ganzes Dasein, jeder Pulsschlag wird Dank und Freude sein. Glauben Sie mir, ich bin erwacht, und unter so edlen Menschen werde ich gut und edel fühlen. Jeder Atemzug sei Wahrheit.«

Er war so erschüttert, daß er verstummen mußte. Er entfernte sich auf einige Zeit, um durch die Stadt und vor den Thoren herum zu irren und seinen Gefühlen Luft zu machen. »Cäcilie!« rief er aus, »dir bin ich wiedergegeben, du bist mir geschenkt. Welche Unendlichkeit von Glück und Liebe in dem einen Wort! O, Cäcilie! Aber ich fühle es, ich weiß es: kein Herz hätte dich so lieben können wie das meinige, und nur deine himmlische Liebe konnte das, was in mir gut und rein war, erkennen.«

Er fuhr aus seiner Träumerei auf, als ihm eine alte Hand die Schulter berührte. Er sah sich um und fuhr vor des wohlbekannten Christophs Gesichte zurück. »Du hier?« rief er aus; »um's Himmelswillen! wie kommst du hieher?«

»Mit meinem Herrn«, erwiderte der Alte. »Ach! es sind noch mehr Leute hier, die Sie kennen. Wir haben Sie schon seit lange gesucht.«

Indem begegnete ihnen jener unbekannte Franzose in seiner reichen Uniform. Er stand still, grüßte Kronenberg und redete dann den Diener an: »Nun, wie geht's, mein guter Christoph? Seid Ihr auch wieder da?« Christoph war verblüfft, verneigte sich tief, sah ihn wieder an und rief dann aus: »Ei, du aller Welt blaues Wunder! Ist es möglich, daß Sie der kuriose Mann von damals sind? Nun, so habe ich doch schon immer gesagt, daß der Jüngste Tag vor der Thür sein muß!«

Jetzt näherte sich Karl von Wildhausen und verwunderte sich sehr, seinen Diener in diesem Gespräch zu finden. Der Fremde verweilte nicht länger, nachdem er Kronenberg noch einige freundliche Worte gesagt hatte. Die beiden Freunde umarmten sich herzlich. »Alles Sonderbare«, rief Karl aus, »alles Seltsame wird gewöhnlich. Gestern komme ich in Geschäften hier an, heute morgen vernehme ich dein Unglück; ich halte dich für verloren, jetzt finde ich dich frei; unser Christoph macht die vornehmsten Bekanntschaften; dein Onkel Richard brennt, dich in seine Arme zu schließen.«

»Er ist auch hier?« rief Kronenberg aus.

»Mit mir hieher gekommen«, antwortete der Freund; »ich habe ihn dahin vermocht, sich deiner anzunehmen; deine Gläubiger sind befriedigt. Aber nun war uns deine Spur ganz verloren. Wir machten dann eine Geschäftsreise; er kommt mit mir in die hiesige Gegend und dringt darauf, einen Abstecher nach dem Gute eines alten Schulfreundes, des Grafen Werthheim, zu machen; darum sind wir hier und wollten nun nach dem Landsitze hinüberfahren. Da erfuhren wir heut' früh durch das Gerücht deine Arrestation und Gefahr und zugleich die sonderbarsten Dinge von deinem Leben. Bei diesen Nachrichten kam der alte Mann außer sich; nun zeigte sich erst, wie sehr er dich immer geliebt hatte, da er dich verloren geben sollte.«

Indem sie sich dem Thore näherten, lief ihnen schon der alte Mann entgegen, stürzte weinend in Kronenbergs Arme und rief: »So habe ich dich denn wieder, du mein einziger Freund, mein Neffe, mein Sohn? Du bist mir wiedergegeben? Du bist frei? Wem hätte ich das doch nachlassen sollen, was mein ist, wenn du verloren warst? Aber jetzt, mein Freund, wollen wir alle vernünftig werden, und ich will den Reigen anführen; denn erst habe ich dich in der Jugend verzogen, nachher bin ich zu strenge gegen dich gewesen.«

Sie gingen in Gesellschaft zum alten Grafen, und die Freude der Wiedererkennung war allgemein. »Fahren wir wieder auf das Gut hinaus«, sagte der Vater; »man wird uns dort mit der größten Angst erwarten.« – »So muß ich nur meine Frau abholen«, sagte Karl. »Deine Frau?« fragte Kronenberg. »Die du recht gut kennst«, antwortete jener; »das Fräulein aus Neuhaus. Ich bin glücklich mit ihr; der junge Wehlen ist Lieutenant geworden und im Felde; die Tochter ist als Frau recht vernünftig und noch so liebenswürdig als sonst. Und meine Mutter, mein Teuerster, hat jetzt ganz zu deiner Fahne geschworen; sie ist deutsch-patriotisch; es ist unglaublich, was Einquartierungen vermögen.«

Alle fuhren hinaus. Cäcilie und die Mutter waren entzückt, daß die Gefahr so glücklich ihrem Hause vorübergegangen war; der Vetter Feldheim hatte sich mit seiner jungen Frau schon wieder entfernt.

Als die Verbindung Cäciliens und Kronenbergs zur Zufriedenheit aller übrigen beschlossen war, sagte der Musikus zu Liancourt: »Sei ein Mensch nur recht armselig und dumm, fange er nur recht einfältige Streiche an, so wird sich das Glück eines solchen gerade annehmen.«

Man vermißte ihn nicht, als er den Zirkel dieser Freunde von jetzt vermied. Emmerich verschmerzte auf edle Weise das Opfer, das sein Herz hatte bringen müssen, und Kronenberg ging seitdem in seinem Eigensinne so weit, daß er es auch nicht einmal dulden konnte, wenn im Scherz die Unwahrheit gesagt wurde.

 


 


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