Ludwig Tieck
Der Geheimnisvolle
Ludwig Tieck

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Der Geheimnisvolle

Es war schon Abend, und ein Schneegestöber verdunkelte die Luft noch mehr, als die Wirtin des Gasthofes dem Aufwärter befahl, das Thor des Hauses zu verriegeln. »Bei dem Wetter«, rief sie, »kömmt doch keine Herrschaft mehr; der große Wagen ist in die Stadt gefahren, wie es immer geschieht.«

»Wer weiß«, antwortete der Diener, »die Thore der Festung werden nun geschlossen, und da ist manchem vornehmen Herrn schon mit unserm Hause gedient gewesen. – Sieh da!« rief er lebhaft, als sich jetzt wirklich ein Posthorn vernehmen ließ und die Pferde auch schon im starken Trabe herbeisprangen und vor dem Hause stille standen.

»Kann ich ein geheiztes Zimmer haben?« sagte ein junger Mann, indem er, sich schüttelnd, herabstieg, das Haus und die Wirtin vornehm musterte und zugleich dem Postillon befahl, seinen kleinen Mantelsack in das untere Gemach zu tragen, welches ihm die dienstfertige Wirtin vorerst als ein durchwärmtes angewiesen hatte.

»Das muß ein vornehmer Mann sein«, sagte die Magd zur Wirtin, als der Postillon mit seinem Wagen wieder weggefahren war. »Wieso?« fragte diese. »Er hat sich schon erkundigt«, fuhr jene geschwätzig fort, »ob nicht eine Equipage angekommen sei, ihn von hier weiter zu bringen.« Indem trat der junge Mann heraus und befahl, das Thor zu öffnen, weil er sich noch ein wenig im Freien umschauen wollte. Zugleich bestellte er ein gutes und reichliches Abendessen und ließ sich die Namen der vorrätigen Weine hersagen. Die Wirtin lief ängstlich in die Küche, stellte die Mägde an und vermehrte das schon große Feuer, damit nachher der gnädige Herr nicht warten dürfe.

Es war völlig finster geworden, als der junge Reisende zurückkehrte. Indem er in das Thor wieder eintreten wollte, sah er in der Ferne einige dunkle Gestalten näher schleichen; aber ehe er sie noch unterscheiden konnte, stürzte mit ihm zugleich und vor ihm vorbei ein Unbekannter herein, der hastig das Hausthor zuschlug und sich in demselben Augenblick knieend und flehend vor ihm hinwarf. Der junge Mann trat verwundert zurück, jener aber sprach geläufig und gebildet in einer fremden Sprache: »Machen Sie mich nicht unglücklich, mein Herr; Ihre Großmut flehe ich an; Sie können mich retten, wenn Sie mir nur erlauben, hier im Hause zu bleiben, und wenn Sie das Wenige, was meine Schlafstelle kosten kann, gütigst bezahlen. Verweigern Sie mir diese geringe Hülfe, so machen Sie einen Unglücklichen völlig elend, der mit seiner ganzen Familie Ihnen gern als einem vom Himmel Gesandten sein ganzes Glück zu danken haben möchte.«

Die auf den Steinen des Thorweges hingeworfene Gestalt, der gute Ausdruck des Bittenden, das Plötzliche der Begebenheit hatten den Jüngling erschreckt und erschüttert. »Stehn Sie auf«, rief er ihm ebenfalls französisch zu; »wenn ich Ihnen helfen kann, müssen die Hausgenossen Sie nicht hier so finden. Erheben Sie sich.«

Der Aufwärter kam mit Licht, da er das Thor hatte zuwerfen hören, und der Schein fiel auf eine der sonderbarsten Physiognomieen, die es dem Reisenden fast verleidete, daß er dem Bittenden seine Hülfe zugesagt hatte. Blaß und zitternd lehnte dieser an der Mauer und wehrte mit einem dunkeln Tuche so viel als möglich den Schein vom Gesichte ab; er war mit einem schlechten Oberrock bekleidet, und eine Thräne, die jetzt aus einem klaren blauen Auge trat und ganz die Angst und Verlegenheit des Armen ausdrückte, vermochte über den jungen Mann so viel, daß er von seinem ersten Versprechen der Überraschung nicht wieder abging. »Hier ist noch«, sagte er zu der herbeieilenden Wirtin, »ein Mann, der mir angehört, und den ich Ihnen empfehle; er ist mir mit Briefen nachgeschickt. Geben Sie ihm ein gutes Zimmer und Bett, Wein und Abendessen; ich werde alles bezahlen.«

Der Fremde, der alles zu verstehen schien, verneigte sich anständig; seine Lippen zitterten, er schien noch etwas sagen zu wollen, aber plötzlich wandte er sich schweigend um und folgte der Magd, die ihm nach dem Hintergebäude leuchtete.

Der junge Mann war in das Eßzimmer zur ebenen Erde getreten. Er ging unruhig hin und her und konnte sich von der Erschütterung, die er verbergen wollte, nicht erholen. »Ist der Kutscher und die Equipage immer noch nicht da?« fragte er die Wirtin, die jetzt mit dem Aufwärter den Tisch deckte und Speisen und Wein auftrug. »Nein, Ihr' Gnaden«, antwortete diese, »der Schnee hindert wohl jetzt das schnelle Reisen.«

»Setzen Sie sich zu mir«, sagte der junge Mann, »es ist mir verdrüßlich, allein zu essen.« Die Wirtin, geschmeichelt und verlegen zugleich, verbeugte und krümmte sich, schätzte sich einer solchen Ehre unwürdig, behauptete, sie würde dergleichen Unhöflichkeit nimmermehr wagen, und setzte sich doch endlich selbstgefällig lächelnd ihm gegenüber. Sie suchte ihre besten Gaben der Unterhaltung hervor und erboste sich über den tölpischen Aufwärter, der das Lachen nicht unterdrücken konnte, da er sie so ungeschickt sich gebärden und so vieles Unnötige breit und umständlich erzählen hörte.

Sie war ebenso neugierig als redselig, und der junge Mann, vom Wein erheitert, ließ sie auch nicht lange darüber in Ungewißheit, wohin er wolle, und weshalb er sich von dem ungünstigen Wetter nicht von seiner Reise habe abhalten lassen.

»Ich reise zu meiner Braut nach Franken«, fing er an zu erzählen; »ein Freund hat mir seine Equipage entgegenschicken wollen, und es ist mir ein Rätsel, weshalb sie nicht kommt. Einige dringende Geschäfte, in Sachen meines Monarchen, die ich durchaus nicht aufschieben konnte, haben bis jetzt meine Reise immer noch verzögert; der alte Graf aber, mein künftiger Schwiegervater, hat nun so stark gemahnt, daß ich alles beiseite geschoben, einiges selbst unbeendigt habe liegen lassen, um mich nur meiner jungen reizenden Braut nicht länger zu entziehen. Der Mann, den Sie dort einquartiert haben, ist mir noch in größter Eile nachgesandt, um mir einige wichtige Nachrichten mitzuteilen, die ich unterwegs gewiß auch nicht unbenutzt lassen werde.«

Es ging die Glocke, und nachdem das Thor geöffnet war, trat, ganz weiß beschneiet, in Mütze und weißem Schafpelz ein untersetzter alter Mann herein, der sich gleich laut schreiend und ziemlich vertraut an den Fremden wandte: »Da sind Sie ja, Herr von Kronenberg; ei! welchen mühseligen Weg habe ich die letzte Meile herüber machen müssen.« Er überreichte einen Brief, den der Reisende hastig aufbrach, und aus dem ihm zehn oder zwölf Goldstücke, die nicht weiter eingepackt waren, entgegenfielen.

Der Brief enthielt folgendes: »Der alte Herr trägt Bedenken, in diesem bösen Wetter seine Pferde den schlimmen Weg gehn zu lassen, noch mehr aber ängstet er sich um den neuen schönen Wagen, Du mußt also schon verzeihen, daß ich Dir, da ich meinen Vater, der schon nicht sonderlich gut gestimmt ist, nicht noch mehr aufbringen will, durch unsern alten Christoph die Einlage übersende, damit Du mit der Post die Strecke über die Berge reisen kannst. Auf der letzten Station findest Du die Equipage, und morgen abends hofft Dich zu umarmen Dein Karl v. Wildhausen.«

Die Wirtin betrachtete den bäurischen Boten etwas verwundert; doch der Herr von Kronenberg sandte den Alten gleich hinaus, um ihn nach seiner mühseligen Wanderung verpflegen zu lassen. Dann nahm er eins der Goldstücke und winkte den Aufwärter herbei, indem er sagte: »Bringt dies dem Fremden im Hintergebäude, damit er morgen seine Rückreise antreten kann; zugleich soll für mich auf morgen früh die Post bestellt werden.«

Das Gespräch stockte, so lebhaft und vertraulich es auch erst gewesen war; auch konnte es nicht in den Gang kommen, als der Diener den herzlichen Dank des Fremden meldete und die Frau sich nach diesem etwas näher erkundigte. Die Verlegenheit stieg aber noch höher, als mit dem von der Post zurückkehrenden Aufwärter zugleich ein Fremder hereintrat, dem sich der Reisende mit dem Ausrufe: »Mein Freimund!« in die Arme warf.

»Ich wollte meinen Augen nicht trauen«, sagte dieser; »ich zweifelte, als ich dem erleuchteten Fenster vorüberging, daß du es sein könntest. Wie in aller Welt –«

Er sah jetzt die am Tische sitzende Wirtin, die er mit erstauntem Auge musterte. Der junge Kronenberg wußte nicht, was er sagen sollte; die ältliche Frau zwang sich, die Fassung nicht zu verlieren, um den Platz zu behaupten, zu dem sie erst mit Höflichkeit war gezwungen worden; doch nahm sich endlich der Reisende aus Not so viel zusammen, daß er sie bat, nach dem Fremden und zugleich nach dem hergesandten Hausknecht zu sehn, ob beiden auch nichts abgehn möchte. Die Frau erhob sich langsam und verließ nicht ohne Zeichen der Empfindlichkeit das Zimmer.

»Sonderbarer Mensch!« sagte Freimund, »du scheinst die Frau zu deiner Gesellschaft eingeladen zu haben und sendest sie nun meinetwegen wieder fort! Wie kommst du überhaupt hieher? Zehn Meilen von deiner Heimat? Da ich dich dort verheiratet und glücklich glauben mußte?«

Kronenberg verriegelte die Thür und lehnte die Laden der Fenster an; dann sagte er leise: »Verrate mich gegen niemand, daß du mich hier angetroffen hast, denn es könnte mir vielen Schaden thun. Ich heirate nicht, die Verbindung ist völlig aufgehoben.«

»Also ist das Gerücht, dem ich nicht glauben wollte«, rief der Freund aus, »dennoch wahr? Und Fräulein Cäcilie –«

»Sie findet sich, sie wünscht es im Grunde selbst. – Aber wie kommst du hieher?«

»Ich war«, sagte jener, »zwei Meilen von hier auf der Jagd und bin im Begriff, nach Hause zu reiten. Ich wollte binnen wenigen Tagen dich besuchen, um dich als Ehemann kennen zu lernen.«

»Lassen wir dies Gespräch«, sagte Kronenberg, mit empfindlichem Tone abbrechend, »ich und Cäcilie wären unglücklich geworden, wahrhaft elend, – ich kann aber unmöglich so plötzlich und in Eil' das ganze Gewebe von Empfindungen, Verhältnissen und Mißverständnissen auseinanderfalten, das diesen Schritt, wenn er auch auffallend ist, notwendig machte.«

»Unglück – Elend –«, sagte der Freund, »ja, dies sind freilich zwei schwerwiegende Worte, die im Leben meistenteils weit mehr Sinn als ›Glück‹ und ›Wonne‹ haben. – Und wohin gehst du von hier?«

»Auch das darf ich dir nicht sagen«,antwortete der Verstimmte, »und keinem meiner Freunde.«

»Sieh da«, nahm Freimund das Wort, um dem Gespräch eine völlig entgegengesetzte Wendung zu geben, »du führst ja das Werk mit dir, von welchem jetzt in allen Gesellschaften die Rede ist. Findet man größtenteils die Beobachtungen wahr und scharfsinnig, so erschreckt doch viele der kecke Ton und die harte Anklage eines Mannes, der jetzt einen Teil von Europa regiert. Die größte Neugier ist aber darauf gespannt, wer wohl der Autor sein möchte. Man rät auf Bekannte und Unbekannte. Daß dies Buch dir nur nicht, wenn du vielleicht weit reisen solltest, gefährlich wird.«

»Mir?« sagte Kronenberg mit Lächeln. »Und von wem glaubst du es geschrieben?«

»Ich bin hierüber ganz unwissend. Auch ist mir die Schreibart völlig fremd.«

»Das sollte sie dir doch, wenigstens zum Teil, nicht sein, denn du hast schon manches vom Verfasser gelesen.«

»Du kennst ihn also?« – Da Kronenberg geheimnisvoll und etwas schelmisch lächelte, so fuhr Freimund überrascht und erschreckt heraus: »Wie? Du bist es doch nicht selbst? Unmöglich!«

»Warum unmöglich?« erwiderte jener. »Ich will damit nicht sagen, daß geradezu alles von mir herrühre; auch konnte ich natürlich hier in Deutschland nicht alle Thatsachen erfahren. Aber da ich, wie du weißt, gute Quellen in Paris habe, mit Männern verbunden bin, die die Regierung nahe beobachten konnten, so war ich dadurch in den Stand gesetzt, die Schilderung dieses gefährlichen Mannes, wie ich glaube, ziemlich getreu entwerfen zu können.«

»Das ist mir so neu«, rief Freimund aus, »daß ich mich noch von meinem Erstaunen nicht erholen kann. Und du wagst es, dies zu gestehn, da uns vielleicht, ja wahrscheinlich, ein Krieg mit diesem wunderbaren Manne und seinem aufgeregten Volke nicht mehr fern ist? Da unserm Vaterlande wohl die sonderbarsten und traurigsten Verhältnisse zubereitet werden?«

»Was der Deutsche thut und behauptet«, antwortete der Freund, »muß er auch mit Mut können vertreten.«

Nach einer Stunde verließ Freimund, nachdem er noch einmal seine wohlgemeinten Warnungen wiederholt hatte, den Reisenden. Dieser ging nachdenkend auf sein Zimmer, und als er am Morgen vom Posthorn geweckt wurde und sich schnell angekleidet hatte, fand er die Rechnung, die er zwar nicht klein vermutet, übermäßig groß. Er dachte bei sich, daß sie wohl mäßiger ausgefallen sein würde, wenn die höfliche und vertraute Konversation mit der Wirtin nicht wäre unterbrochen worden. Ein offener Wagen war vorgefahren, und da sich wieder ein Schneegestöber ankündigte, bestieg Kronenberg dieses Fuhrwesen mit unfreundlicher Miene; denn er mußte in den Bergen und schlechten Wegen einen ziemlich unangenehmen Tag erwarten. Der Aufwärter schalt auf die schlechte Einrichtung der Posten, die Wirtin zeigte sich aber nicht. Als der Wagen um das Haus fuhr, sah durch ein schmales Fenster ein bleiches Gesicht, welches der Reisende für das des Bittenden von gestern Abend erkannte; dieser streckte die Hände, mit denen er vorher den Mund berührte, wie dankend ihm nach. Kronenberg hüllte sich in seinen Mantel und hatte keine Lust, mit dem alten Christoph, der sich in seinem Schafpelz auf den Wagen gewälzt hatte, ein Gespräch anzuknüpfen; er war um so mißlauniger, da er im Abfahren einen spöttischen Zug in dem Gesichte des Aufwärters bemerkt zu haben glaubte.



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