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Wintertiere

Wenn die Teiche fest zugefroren waren, gestatteten sie nicht nur neue und kürzere Wege nach vielen Punkten, sondern auch von ihrer Oberfläche aus neue Rundblicke auf die vertraute Landschaft. Wenn ich quer über Flints Teich ging, nachdem er mit Schnee bedeckt war, so erschien er mir, obwohl ich oft auf ihm gerudert und Schlittschuh gelaufen hatte, so überraschend breit und so fremd, daß ich unwillkürlich immer wieder an Baffins Bay Ein Teil des nördlichen Polarmeers, der zwischen Grönland im Osten und dem Baffinland im Westen bis zum 78° nördlicher Breite sich ausdehnt. Genannt nach Baffin, der ihn im Jahre 1616 befuhr. denken mußte. Rund um mich herum stiegen am Horizont der schneebedeckten Ebene die Lincolnhügel empor. Ich aber konnte mich nicht erinnern, je vorher auf ihr gestanden zu haben. Die Fischer, die sich mit ihren wolfartigen Hunden in unbestimmbarer Entfernung über das Eis bewegten, erinnerten an Robbenjäger und an Eskimos, oder wirkten bei Nebelwetter in der Ferne wie monströse Geschöpfe, von denen man nicht wußte, ob sie Riesen oder Pygmäen seien. Diesen Weg über das Eis schlug ich ein, wenn ich mich abends zum Vortrag nach Lincoln begab, so daß ich zwischen meiner Hütte und dem Vorlesungssaal weder eine Straße betrat noch an einem Haus vorbeikam. Auf dem Gänseteich, der auf meinem Wege lag, wohnte eine Kolonie Bisamratten, welche ihre Nester weit über das Eis erhöht hatten. Doch ließ sich keines der Tiere blicken, als ich hinüberging. Der Walden, der wie die meisten anderen Seen nicht mit Schnee bedeckt war, oder doch nur flache und vereinzelte schneebedeckte Stellen zeigte, war mein Hof, in welchem ich ungehindert herumspielen konnte, wenn der Schnee an anderen Orten fast zwei Fuß tief den Boden bedeckte und die Dorfbewohner auf ihre Straßen allein angewiesen waren. Hier, fern von der Dorfstraße, wo ich nur nach langen Zwischenräumen das Schellengeläute der Schlitten hörte, glitt ich auf dem Eis dahin und lief Schlittschuh wie in einem großen, gut ausgetretenen Hofe, in welchem sich die Musetiere Das Musetier ist eine Abart des Elen, Cervus alces. zur Winterzeit aufhalten. Eichenwälder umrahmten ihn und feierliche Tannen, die der Schnee niederbeugte oder die stolz ihre Eiszapfen emporstreckten.

In Winternächten und auch oft an Wintertagen drang der hilflose, einsame Schrei einer Heuleule aus unendlicher Ferne melodisch zu mir herüber. Das war ein Ton, wie ihn die gefrorene Erde hervorbringen würde, wenn man sie mit einem passenden plectrum schlüge. Er gehörte zu der unverfälschten, mir schließlich ganz vertrauten lingua vernacula der Waldenwälder. Den Vogel, der so sprach, sah ich allerdings in solchen Augenblicken nie. Selten öffnete ich an einem Winterabend meine Tür, um diesen Klang zu hören. Hu–hu–hu–hurruh–hu schallte es wohlklingend daher, oder die drei ersten Silben klangen wie hauderduh, Das »Hauderduh« (englisch howderdo oder genauer how do you do) enthält gleichzeitig eine Frage, die unserm »Wie geht's« entspricht. oder auch bisweilen nur wie Huh–Huh. Einmal wurde ich im Anfang des Winters, abends spät gegen neun Uhr, durch das laute »Honk« der Wildgänse aufgeschreckt. Ich ging zur Tür und hörte, als sie über mein Haus zogen, ihr Flügelrauschen, das dem Sturmwind in Wäldern glich. Sie flogen über den Teich nach Fair Haven, und waren augenscheinlich durch meine Lampe vom Niederlassen abgeschreckt. In regelmäßigen Zwischenräumen ließ der Führer stets sein Honk ertönen. Plötzlich gab ganz in meiner Nähe ohne Zweifel eine Katzeneule mit der schrillsten, fürchterlichsten Stimme, die ich je von einem Waldbewohner vernommen habe, regelmäßig der Gans eine Antwort, als ob sie – die Eingeborene – entschlossen sei, diesen Eindringling von der Hudson Bay durch eine kräftigere Tonart und durch den größeren Umfang ihrer Stimme an den Pranger zu stellen, zu beschimpfen und ihn aus dem Concordbezirk hinauszu»huhuen«. Wie kannst du es wagen, meine Festung um diese mir geheiligte Nachtzeit zu alarmieren? Glaubst du vielleicht, daß man mich je um diese Stunde schlummernd findet, daß Kehlkopf und Lungen bei mir nicht gerade so gut entwickelt sind wie bei dir? Buhu! Buhu! Buhuuu! . . . Es war eine der gellendsten Dissonanzen, die ich je gehört habe. Und doch sprachen zu einem fein empfindenden Ohr aus ihr die Elemente einer Harmonie, wie sie diese Ebene hier niemals sah noch vernahm . . .

Auch hörte ich das Keuchen des Eises im Teich, meines großen Schlafgenossen, als ob er unruhig in seinem Bett sich wälze, an Blähungen leide und an schweren Träumen. Oder ich wurde durch das Krachen des Bodens aus dem Schlaf geweckt, als ob jemand ein Gespann gegen meine Tür getrieben habe. Am nächsten Morgen fand ich dann einen Spalt in der Erde, der eine viertel Meile lang und ein drittel Zoll breit war.

Bisweilen hörte ich Füchse, die in mondhellen Nächten über die Schneekruste streiften, um sich ein Rebhuhn oder ein anderes Wild zu fangen. Sie bellten rauh und dämonisch wie verwilderte Waldhunde, gerade als ob sie Furcht hätten oder etwas zu sagen wünschten, nach Licht verlangten und lieber Hunde sein möchten, um frei in den Straßen herumlaufen zu können. Und wenn wir nach Jahrtausenden rechnen: Sollte da nicht die Zivilisation bei den wilden Tieren gerade so gut wie bei den Menschen Fortschritte machen? . . . Sie schienen mir rudimentäre Höhlenmenschen zu sein, die sich noch gegen ihre Feinde verteidigten und ihre Transformation erwarteten. Bisweilen wurde einer von ihnen durch meine Lampe an mein Fenster gelockt, bellte mir einen Fuchsfluch zu und verschwand.

Meistens weckte mich indessen in aller Morgenfrühe das rote Eichhörnchen (Sciurus Hudsonius), indem es oben auf dem Dach und an den Wänden des Hauses auf und ab lief. Im Verlauf des Winters warf ich einen halben Scheffel Maiskolben, die nicht reif geworden waren, auf die Schneekruste vor meiner Tür, und unterhielt mich damit, die Bewegungen der verschiedenen Tiere, die dadurch angelockt wurden, zu beobachten. In der Dämmerung und in der Nacht kamen regelmäßig die Kaninchen und griffen herzhaft zu. Den ganzen Tag kamen und gingen die roten Eichhörnchen und bereiteten mir durch ihre Manöver viel Vergnügen. Eines dieser Tierchen kam erst vorsichtig durch die Zwergeichen herbeigeschlichen, lief ruckweise über den Schnee wie ein Blatt, das der Wind dahintreibt, huschte mit staunenswerter Geschwindigkeit und Kraftanwendung jetzt ein paar Schritte nach dieser Richtung, wobei es seine Beinchen so unbegreiflich schnell bewegte, als ob es sich um eine Wette handele, lief dann wieder ebensoviele Schritte nach der anderen Richtung, wobei es jedoch nicht mehr als zwei Meter zurzeit näher kam. Dann blieb es plötzlich mit drolligem Ausdruck und mit einem Saltomortale als Zugabe stehen, und tat als ob die Augen der ganzen Welt auf ihm ruhten – denn alle Bewegungen eines Eichhörnchens setzen selbst in tiefster Waldeinsamkeit, gerade wie die einer Ballettänzerin, stillschweigend Zuschauer voraus. Es verschwendete mehr Zeit mit Umherblicken und Erholungspausen, als nötig gewesen wäre den ganzen Weg gemächlich zurückzulegen. (Ich sah indessen nie eines langsam gehen.) Dann saß es plötzlich, schneller als man »hopsa« sagen konnte, hoch oben in einer jungen Pechtanne, zog seine Uhr auf, Das Krächzen dieser Tiere ist wirklich dem Geräusch des Uhraufziehens sehr ähnlich, kr kr kr kr zsss . . . kr kr zss. zankte sich mit allen imaginären Zuschauern herum, hielt Monologe und sprach gleichzeitig zur ganzen Welt. Warum? Ich konnte nie dahinter kommen und das Tierchen wußte es aller Wahrscheinlichkeit auch nicht. Schließlich kam es zu den Maiskolben, suchte sich den heraus, der ihm am besten gefiel und huschte munter mit den gleichen, trigonometrischen Bewegungen auf den obersten Scheit meines Holzstoßes vor meinem Fenster. Von dort aus sah es mir gerade ins Gesicht und blieb stundenlang hier sitzen, während es sich ab und zu mit einem neuen Kolben verproviantierte. Anfangs knabberte es gierig daran und warf die Frucht, wenn sie halb angefressen war, fort. Schließlich wurde es leckerer, spielte mit seiner Nahrung, fraß nur noch das Innere der Körner und ließ dabei den Kolben, den es zuvor über den Holzscheit gelegt hatte und mit einer Pfote lässig balanzierte, zur Erde fallen. Mit dem komischen Ausdruck der Unentschlossenheit blickte es auf ihn hinunter. Es schien zu glauben, der Kolben sei lebendig. Nun war es im Zweifel: sollte es den alten wieder heraufholen, einen neuen stehlen oder entfliehen? In einem Augenblick dachte es an den Mais, im nächsten Augenblick lauschte es, ob der Wind ihm auch irgend etwas Verdächtiges zutrüge. So vergeudete der unbescheidene kleine Geselle am Vormittag manchen Kolben. Schließlich packte er einen der längsten und dicksten, der ihn beträchtlich an Größe übertraf, und trug ihn, wie ein Tiger den indischen Büffelochsen, in die Wälder hinein, wobei er die gleichen Zickzacklinien beschrieb, häufig Pausen machte, den mitgeschleiften Kolben ebenso häufig fallen ließ – und zwar in diagonaler Richtung – als sei er zu schwer für ihn und doch zu gut, um ihn im Stich zu lassen. Es war ein hervorragend freches, launiges, kleines Geschöpf! Schließlich zog es mit dem Kolben nach seinem Heim ab, trug ihn vielleicht auf die Spitze eines 150–200 Meter entfernten Tannenbaums! Ich fand später nach verschiedenen Richtungen hin zerstreute Kolben im Wald.

Schließlich kamen auch die Dohlen herbei, deren krächzende Schreie schon lange vorher ertönten. Selbst wenn sie noch zweihundert Meter entfernt waren, wurden sie äußerst vorsichtig, flogen in heimlicher, schleichender Weise von Baum zu Baum, näher und immer näher, während sie die Maiskörner aufpickten, welche die Eichhörnchen hatten fallen lassen. Dann setzten sie sich auf den Zweig einer Pechtanne und versuchten in aller Eile ein großes Korn zu verschlucken, das für ihre Kehle zu groß war und sie fast erstickte. Nach vieler Mühe wurde es wieder ausgespieen. Nun versuchten sie, es durch längeres Hacken mit den Schnäbeln zu spalten . . . Das waren wirklich Diebe und ich hatte keinen großen Respekt vor ihnen. Die Eichhörnchen waren zwar anfangs scheu, doch dann machten sie sich ans Werk, als hätten sie ein gutes Recht dazu.

Inzwischen kamen auch die Schwarzmeisen in Scharen herbei, pickten die den Eichhörnchen entfallenen Maiskrümel auf, flogen auf den nächsten Zweig, legten sie unter ihre Krallen und hämmerten mit ihren kleinen Schnäbeln darauf los – als ob ein Insekt in der Rinde säße – bis sie für ihren schmalen Schlund genügend verkleinert waren. Mit leisem lispelnden Zwitschern, das wie das Klingen von Eiszapfen im Grase klang, kam eine kleine Schar dieser Meisen täglich herbei, um ihr Mittagessen aus meinem Holzstoß herauszupicken oder die Krümchen vor meiner Tür aufzulesen. Bald erschallte ein helles »dät-dät-dät«, seltener ertönte aus den Wäldern ein dünnes, sommerliches »Phie-bie-Phiebie«. Sie waren schließlich so zutraulich, daß sich einmal eine von ihnen auf das Holz setzte, welches ich in meinem Arm hielt, und furchtlos an den Scheiten pickte. Auch ein Spatz setzte sich einmal für einen kurzen Augenblick auf meine Schulter, als ich in einem Dorfgarten mit Hacken beschäftigt war, und ich fühlte, daß ich durch dieses Ereignis mehr ausgezeichnet wurde als durch irgend welche »Epaulette«, die man mir hätte verleihen können. Die Eichhörnchen wurden mit der Zeit ebenfalls ganz zutraulich und liefen über meinen Schuh, wenn das der nächste Weg war.

Als der Erdboden noch nicht ganz mit Schnee bedeckt war, und auch später gegen Ende des Winters, als der Schnee bereits am Südabhang meines Hügels und um den Holzstoß herum geschmolzen war, kamen am Morgen und am Abend Rebhühner aus den Wäldern, um hier bei mir zu speisen. Wohin man auch im Walde geht, überall flattert das Rebhuhn mit schwirrendem Flügelschlag empor, schüttelt von den dürren Blättern und Zweigen hoch oben den Schnee herab, der im Sonnenschein wie ein feiner Goldstaub herniederrieselt. Dieser tapfere Vogel läßt sich durch den Winter nicht vertreiben. Oft wird er von Schneewehen verschüttet. Auch soll er »bisweilen während des Fluges plötzlich in den Schnee untertauchen, wo er sich ein paar Tage versteckt hält«. Häufig verjagte mein Kommen sie auch auf freiem Felde; beim Sonnenuntergang kamen sie aus den Wäldern dorthin geflogen, um die wilden Apfelbäume »abzuknospen«. Sie besuchen regelmäßig jeden Abend bestimmte Bäume, wo der verschlagene Jäger auf sie wartet. Die abseits vom Wege und nahe am Walde gelegenen Obstgärten haben nicht wenig von diesen Tieren zu leiden. Trotzdem: ich freue mich, wenn das Rebhuhn seine Nahrung findet. Es ist der Lieblingsvogel der Natur, der von Knospen und heilsamem Tranke lebt.

An dunkelen Wintermorgen oder kurzen Winternachmittagen hörte ich bisweilen ein Rudel Jagdhunde bellend und heulend durch die Wälder streifen. Sie konnten dem Jagdinstinkt nicht widerstehen, und der Klang des Jagdhorns, der bisweilen zu mir herüberscholl, bewies mir, daß ein Mensch mit im Spiel sei. Immer näher kamen sie heran, doch kein Fuchs brach aus dem Wald hervor und zeigte sich auf der Lichtung am Teichufer, keine Meute verfolgte ihren Aktäon. Aktäon war der Zögling des Kentauren Chiron, belauschte einst die Göttin Artemis, die mit ihren Nymphen im parthenischen Quell badete, wurde zur Strafe von der Göttin mit Wasser bespritzt und in einen Hirsch verwandelt. Seine eigenen fünfzig Hunde verfolgten und zerrissen ihn auf dem Berge Kithaeron. Abends sah ich dann ab und zu die Jäger heimkehren, die ihr Gasthaus aufsuchten. Eine einzige Rute, die am Schlitten herabbaumelte, war ihre Trophäe. Sie erzählten mir, daß der Fuchs wohl geborgen wäre, wenn er im Schoß der gefrorenen Erde bliebe, daß ihn, wenn er immer geradeaus laufen würde, kein Fuchshund einholen könne. Wenn er aber seine Verfolger weit hinter sich gelassen hat, unterbricht er seinen Lauf und horcht, bis sie wieder nahe herangekommen sind. Dann treibt es ihn wieder zu seinen alten Schlupfwinkeln zurück, wo die Jäger auf der Lauer stehen. Oft läuft er übrigens viele Meter auf einer Mauer entlang und springt dann weit nach einer Seite herunter. Auch scheint er zu wissen, daß Wasser seine Fährte nicht verrät. Ein Jäger erzählte mir, er habe einmal einen Fuchs gesehen, der aus dem Wald heraus auf das mit Pfützen bedeckte Eis geflohen sei. Er lief eine kleine Strecke auf das Eis hinauf und kehrte dann zu demselben Ufer zurück. Bald kamen die Hunde herbeigestürzt, aber hier verloren sie die Spur. Bisweilen kam auch ein Rudel Hunde, das auf eigene Rechnung jagte, an meinem Hause vorbei. Sie rannten kläffend und heulend wie toll um mein Haus herum, ohne von meiner Person Notiz zu nehmen und nichts konnte sie von ihrem Treiben abbringen. Sie rasten so lange im Kreise herum, bis sie aufs neue die Spur eines Fuchses entdeckten. Ihretwegen läßt aber ein kluger Hund alles andere im Stich. Eines Tages kam ein Mann aus Lexington zu meiner Hütte, um sich nach seinem Hunde zu erkundigen, der schon vor langer Zeit heimlich sich entfernt hatte und bereits seit einer Woche allein der Jagd huldigte. Ich fürchte indessen, daß mein Besucher durch alles, was ich ihm sagte, nicht klüger wurde, denn jedesmal, wenn ich mich bemühte, ihm eine Antwort zu geben, unterbrach er mich mit der Frage: »Was tun Sie hier?« Er hatte einen Hund verloren, aber einen Menschen gefunden.

Ein alter Jäger mit einer durstigen Kehle, der alljährlich einmal im Waldenteich zu baden pflegte, wenn das Wasser am wärmsten war, und der mir bei solchen Gelegenheiten einen kurzen Besuch abstattete, erzählte mir folgendes: Vor vielen Jahren nahm ich an einem Nachmittag meine Flinte unter den Arm, um in den Waldenwäldern zu kreuzen. Wie ich auf der Waylandstraße hinwandere, höre ich ein Hundegekläff, das immer näher kommt. Bald darauf springt ein Fuchs über die Mauer auf die Straße und verschwindet mit Windeseile über die entgegengesetzte Mauer. Ein sofort abgegebener Schuß verfehlte ihn. Etwas später erschien eine alte Hündin mit ihren drei Jungen in wilder Hetze auf der Bildfläche. Die Tiere jagten auf eigene Faust und waren schnell wieder in den Wäldern verschwunden. Als ich spät am Nachmittag mitten im Waldesdickicht südlich vom Teich rastete, hörte ich in weiter Ferne noch ihr Gebell, mit welchem sie gen Fair Haven den Fuchs verfolgten. Dann näherten sie sich wieder. Ihr Jagdgekläff erklang immer näher durch die Wälder, bald von Well-Meadow, bald von Bakers Farm. Lange Zeit blieb ich stehen, ohne mich zu rühren, und lauschte ihrem dem Ohr des Jägers so lieblichen Konzert. Da erschien plötzlich der Fuchs auf der Bildfläche. Im gemächlichen Trab kam er, der seine Verfolger weit hinter sich ließ, hurtig und leise, ohne Überstürzung heran. Der Schall seiner Schritte wurde durch ein sympathisches Rauschen der Blätter übertönt. Er sprang auf einen Stein, der zwischen den Bäumen lag, setzte sich auf die Hinterpfoten und lauschte, wobei er mir den Rücken zuwandte. Einen Augenblick hielt Mitgefühl meinen Arm zurück. Doch diese Stimmung war sofort verflogen. Schnell wie ein Gedanke dem andern folgt, hatte ich angelegt, abgedrückt – und der Fuchs rollte über den Stein und lag am Boden. Ich rührte mich noch immer nicht vom Fleck und lauschte auf die Hunde. Die kamen näher und näher, und schließlich hörte ich ihr dämonisches Gekläff ganz in meiner Nachbarschaft durch die Waldeskirche. Endlich tauchte die alte Hündin auf, schnupperte an der Erde, schnappte wie toll nach Luft und stürzte sofort auf den Stein zu. Als sie aber den toten Fuchs erblickte, stellte sie sofort wie starr vor Erstaunen ihre Hetze ein, und umkreiste ihn mehrere Male schweigend. Allmählich kamen auch die Jungen herbei. Auch sie wurden wie ihre Mutter durch dieses rätselvolle Ereignis ernüchtert und verstummten. Da trat der Jäger aus seinem Versteck hervor in ihre Mitte, und das Geheimnis war gelöst. Die Hunde warteten schweigend bis der Fuchs abgehäutet war, folgten dem Fuchsschwanz kurze Zeit und verzogen sich dann wieder in die Wälder . . . An jenem Abend kam ein Herr aus Weston nach der Hütte des Jägers aus Concord, um sich nach seinen Hunden zu erkundigen und gab an, daß sie seit einer Woche herrenlos in den Westonwäldern jagten. Der Concordjäger erzählte darauf sein Erlebnis und bot dem Herrn das Fuchsfell zum Kauf an. Dieser lehnte indessen ab und trat den Rückweg an. Er fand seine Hunde an diesem Abend nicht mehr, hörte aber am nächsten Tage, daß sie durch den Fluß geschwommen seien und in einem Farmhause Nachtquartier gefunden hätten. Nachdem man sie gut gefüttert hatte, verschwanden sie auch dort wieder in aller Morgenfrühe.

Derselbe Jäger erzählte mir, ein gewisser Sam Nutting, der in den Felsen bei Fair Haven Bären zu jagen und die Felle in Concord gegen Rum umzutauschen pflegte, habe ihm einst mitgeteilt, daß er dort einmal sogar ein Mustier gesehen habe. Nutting hatte einen prächtigen Fuchshund, Burgoyne Burgoyne war englischer General, wohnte, nachdem er 1775 nach Amerika entsendet war, der Schlacht bei Bunker Hill bei, über die er eine recht interessante Schilderung hinterlassen hat. genannt – er sprach es »Buhgein« aus –, den mein Gewährsmann mehrfach zu entleihen pflegte. In dem Kassabuch eines alten Kaufmanns, der außerdem noch Hauptmann, Stadtschreiber und Abgeordneter war, sah ich folgenden Eintrag:

»Jan. 18. 1742/43. »John Melven Cr. für einen Graufuchs 0–2–3.« Zu dieser Zeit wurde in den neuenglischen Staaten noch nach englischem Gelde gerechnet. Die Zahlen 0–2–3 bedeuten: 0 ( pounds) 2 ( shillings) 3 ( pence). Die englische Meßkette ist 22 Ellen lang und wird in 100 Glieder geteilt. Jetzt gibt es diese Tiere hier nicht mehr. Ferner steht in seinem Hauptbuch: »Febr. 7. 1743, Hesekiel Stratton für ½ ›Kattsenfell‹ 0–1–4½.« Das war selbstverständlich eine wilde Katze, denn Stratton war Sergeant im alten französischen Krieg und hätte es unter seiner Würde gehalten, ein weniger edles Wild zu jagen. Auch gibt es Guthaben für Rehfelle. Die kamen täglich zum Verkauf. Ein Bekannter besitzt noch das Geweih des letzten in dieser Gegend getöteten Hirsches, und ein anderer Herr erzählte mir Einzelheiten dieser Jagd, an der sein Onkel teilnahm. Früher gab es hier zahlreiche und lustige Jäger. Ich kann mich noch recht gut an einen hageren Nimrod erinnern, der einem am Waldesrand abgepflückten Blatte Klänge entlockte, die, wenn ich mich nicht täusche, wilder und melodischer waren als irgend ein Jagdhornruf.

Um Mitternacht kreuzten oft im Mondschein Hunde meinen Pfad, die in den Wäldern auf Raub ausgingen, sich aber vor mir im Unterholz versteckten und warteten bis ich vorüber war.

Eichhörnchen und Meisen stritten sich um meinen Nußvorrat. Um mein Haus herum standen Gruppen von Pechtannen. Ihre Stämme, die ungefähr einen bis vier Zoll dick waren, wurden im vorigen Winter durch Mäuse angenagt. Ein norwegischer Winter war's für sie gewesen, denn lange Zeit lag tiefer Schnee, so daß sie gezwungen waren, ihrer Nahrung mit großen Mengen Tannenrinde nachzuhelfen. Diese Bäume lebten und gediehen im Hochsommer augenscheinlich ganz gut. Manche von ihnen waren, obwohl ihre Rinde ringartig abgeknabbert war, um einen Fuß gewachsen. Im nächsten Winter starben indessen alle ohne Ausnahme ab. Es ist merkwürdig, daß einer einzelnen Maus ein ganzer Baum zum Mittagessen bewilligt wird, bloß weil sie rund herum und nicht in der Längsrichtung an ihm knabbert. Und doch: vielleicht ist das durchaus notwendig, damit die Bäume gelichtet werden, die dicht nebeneinander zu wachsen pflegen.

Die Hasen (Lepus americanus) waren sehr zutraulich. Einer hatte während des ganzen Winters sein Lager unter meinem Hause und war nur durch den dünnen Fußboden von mir getrennt. An jedem Morgen, wenn ich mich zu rühren begann, erschreckte er mich durch sein schnelles Ausreißen. Dabei stieß er in der Eile mit seinem Kopf gegen die Bretter des Fußbodens: Bum, bum, bum! In der Abenddämmerung kamen die Hasen zu meiner Tür und knabberten an den Kartoffelschalen, die ich hinausgeworfen hatte. Ihre Farbe glich der des Bodens so sehr, daß man sie, wenn sie ruhig dasaßen, kaum bemerken konnte. Saß einer regungslos vor meinem Fenster, so war es mir nur zeitweise möglich, ihn zu erkennen. Öffnete ich dann abends meine Tür, so liefen sie quiekend und lärmend hurtig davon. Sah ich sie in der Nähe, so erregten sie nur mein Mitleid. Eines Abends saß einer nur etwa zwei Schritt von mir entfernt vor meiner Tür. Anfangs zitterte er vor Furcht, wollte aber auch nicht das Feld räumen. Ein armer, winziger Gesell wars, mager und knochig, mit zottigen Ohren und spitzer Schnauze, mit kleinem Schwanz und dünnen Pfoten. Er sah aus, als ob die Natur darauf verzichtet habe, weiterhin noch edele Rassen hervorzubringen und gerade vor dem Bankerotte stehe. Seine großen Augen sahen zwar jung, aber ungesund, beinahe wassersüchtig aus. Ich machte einen Schritt vorwärts und – siehe da! Mit elastischen Sprüngen eilte er über die Schneekruste dahin, reckte und dehnte Körper und Glieder zu anmutiger Länge, so daß bald zwischen mir und ihm der Wald lag. So war es doch das wilde freie Tier, das seine Kraft und die Würde der Natur bewies. So schlank war es nicht ohne Grund. Das also war seine Natur . . . Lepus levipes – Leichtfuß, wie manche glauben.

Was ist ein Land ohne Hasen und Rebhühner? Sie gehören zu den einfachsten, eingeborenen, animalischen Produkten, zu jenen alten und ehrwürdigen Familien, welche das Altertum so gut kannte wie die Neuzeit. An Farbe und Substanz sind sie ein Teil der Natur selbst, den Blättern und dem Erdboden und miteinander verwandt. Das eine ist geflügelt, das andere vierbeinig. Wenn man einen Hasen oder ein Rebhuhn aufscheucht, denkt man kaum an ein wildes Tier, sondern an etwas so Natürliches, Vertrautes, wie ein raschelndes Blatt. Das Rebhuhn und der Hase werden sicher immer wieder sich vermehren, einerlei was für Revolutionen kommen mögen. Sie sind die echten Urbewohner des Landes. Wird der Hochwald gelichtet, so bietet das frisch emporwachsende Unterholz ihnen eine Zufluchtsstätte. Das Land muß allerdings armselig sein, das einem Hasen keine Heimat gewährt. In unseren Wäldern gibt es Rebhühner und Hasen in großer Zahl. Wo immer ein Moor ist, kann man ihre Spuren finden. Und überall sieht man Fallen aus Zweigen und Schlingen aus Roßhaar, die irgend ein Kuhhirt aufstellte.


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