Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Teiche

Manchmal, wenn mich der Ekel packte vor der Gesellschaft und vor dem Geschwätz der Menschen und all meine Freunde im Dorf nur Phantomen glichen, verließ ich meine Wohnung und wanderte noch weiter gen Westen, zu noch weniger besuchten Teilen des Landbezirks, wo »frisch die Wälder, neu die Weiden« waren; oder ich verzehrte beim Sonnenuntergang als Abendbrot meine Heidelbeeren und Blaubeeren auf dem Fair Haven-Hügel und legte einen Vorrat für mehrere Tage zurück. Wer Früchte kauft oder sie zum Verkaufe großzieht, weiß nicht wie hold sie duften. Es gibt nur einen Weg, sich an ihrem Aroma zu erfreuen, und die wenigsten benutzen diesen Weg. Willst Du wissen, wie Heidelbeeren duften, so frage den Kuhhirten oder das Rebhuhn. Wenn man glaubt, daß derjenige, der nie Heidelbeeren pflückte, weiß wie sie schmecken, so ist das ein großer Irrtum. Nach Boston ist noch nie eine Heidelbeere gekommen. Dort wuchsen sie vor langer, langer Zeit auf den drei Hügeln, und seitdem kennt man sie dort nicht mehr. Im Wagen, der sie zu Markte fährt, erstickt ihr Duft: der ambrosische, spezifische Charakter der Frucht geht zugrunde. Hernach ist sie nichts weiter als Futter. Solange die ewige Gerechtigkeit herrscht, kann keine einzige, unschuldige Heidelbeere von den Hügeln des Landes in die Stadt gebracht werden.

Wenn ich mit dem Hacken für den Tag fertig war, suchte ich bisweilen einen ungeduldigen Mitmenschen auf, der seit Tagesanbruch im Teich schweigend und bewegungslos wie eine Ente oder ein schwimmendes Blatt fischte; um die Zeit, wo ich zu ihm kam, hatte er bereits alle philosophischen Systeme auf die Probe gestellt und war zu dem Schluß gekommen, er gehöre zu der alten Sekte der Coenobiten. Coenobiten, κοινός – einfach, gewöhnlich, βίος = Leben. Sie wohnen in einem Kloster oder in einer Gemeinschaft, im Gegensatz zu den Anchoreten und Hermiten. Ein anderer, älterer Mann, ein ausgezeichneter Fischer und vielseitig erfahrener Weidmann, fand sich auch manchmal dort ein; er sah mit Vergnügen mein Haus als ein zur Bequemlichkeit der Fischer errichtetes Gebäude an, und ich meinerseits sah ihn mit Freude auf meiner Schwelle sitzen und seine Angelschnüre in Ordnung bringen. Ab und zu fuhren wir zusammen auf den Teich hinaus; er saß am einen Ende des Bootes, ich am anderen. Viele Worte wurden allerdings nicht zwischen uns gewechselt, denn er war in den letzten Jahren taub geworden, doch bisweilen summte er einen Psalm vor sich hin, und das harmonierte ganz trefflich mit meiner Philosophie. Unser Verkehr erfreute sich infolgedessen einer nie getrübten Harmonie, und ich erinnere mich an ihn mit größerer Freude, als wenn er durch Gespräche aufrecht erhalten wäre. War niemand da, der mir Gesellschaft leisten konnte – das war gewöhnlich der Fall – dann weckte ich das Echo auf, indem ich mit dem Ruder an eine Seite des Bootes schlug. Wie der Menageriebesitzer die wilden Tiere, so erweckte ich die benachbarten Wälder, erfüllte sie mit Klängen, die immer weiter ihre Kreise zogen, bis ich schließlich jedem Waldtal und Hügelhang ein brummiges Knurren entlockt hatte.

An warmen Abenden saß ich oft im Boot, spielte die Flöte und sah wie der Barsch, der von mir bezaubert schien, um mich herumschwamm und wie der Mond über den gerippten, mit Waldestrümmern bedeckten Grund dahinwanderte. Einst pflegte ich voll Abenteuerlust mit einem Kameraden in dunklen Sommernächten nicht selten zu diesen Teich zu wandern. Wir zündeten dann nahe am Ufer ein Feuer an und glaubten, es würde die Fische anlocken. Mit einem Bündel Würmer, die auf Fäden gezogen waren, fingen wir dann Bricken. Waren wir tief in der Nacht damit fertig, dann warfen wir die Feuerbrände wie Raketen hoch in die Luft und wenn sie in den Teich niederfielen, erloschen sie mit zischendem Laut, so daß wir uns plötzlich in tiefster Finsternis befanden. Dann pfiffen wir uns eins und zogen heim zu den Nestern der Menschen. Jetzt aber stand mein Haus am Teichesrand.

Manchmal blieb ich in der besten Stube bei Bekannten im Dorf so lange, bis die ganze Familie sich zurückgezogen hatte, kehrte dann heim in den Wald und widmete einige Stunden der tiefen Nacht – teilweise mit Rücksicht auf das nächste Mittagessen – bei Mondschein im Boot der Fischerei, während Eulen und Füchse mir ein Ständchen brachten und von Zeit zu Zeit der knarrende Schrei eines unbekannten Vogels ganz in meiner Nähe erklang. Solche Erlebnisse waren denkwürdig und von hohem Wert für mich . . . Unbewegt lag das Boot auf dem vierzig Fuß tiefen Wasser, ungefähr fünfundsiebzig bis hundert Meter vom Ufer entfernt. Am mich herum tanzten Tausende kleiner Barsche und Weißfische, die mit ihren Schwänzchen im Mondlicht die Wasserfläche kräuselten, während ich mit einer langen, flächsernen Schnur mit geheimnisvollen nächtlichen Fischen, die vierzig Fuß tiefer wohnten, Bekanntschaft anknüpfte. Oder ich zog, wenn das Boot vor dem leichten Nachtwinde dahintrieb, eine sechzig Fuß lange Angelschnur durch den Teich und fühlte ab und zu, wie ein leises Zittern an ihr entlang lief, welches mir anzeigte, daß sich ans Ende der Schnur ein Stück Leben voll stumpfen, ungewissen und blinden Begehrens heimlich heranschlich und schwerfällig einen Entschluß faßte. Mit seltsamem Erschauern spürte ich, zumal in dunklen Nächten, wenn die Gedanken mit unergründlichen und kosmogonischen Problemen in andere Sphären gewandert waren, dieses leichte Jucken, das meine Träume unterbrach und mich wieder mit der Natur verband. Ich dachte, daß ich meine Angel ebensogut in die Luft hinauswerfen könne, wie hinein in das kaum dichtere Element. So fing ich zwei Fische mit einer Angel.

Die Landschaft, die den Waldenteich umgibt, ist bescheiden und läßt sich, obwohl sie große Schönheiten aufweist, doch nicht als erhaben bezeichnen. Auch vermag sie den Menschen, der sie nicht häufig besucht oder am Ufer gewohnt hat, nicht sonderlich zu interessieren. Der Teich aber ist wegen seiner Tiefe und Klarheit so merkwürdig, daß er eine besondere Beschreibung verdient. Er ist eine klare und tiefe, grüne Quelle, welche eine halbe Meile lang ist, einunddreiviertel Meilen im Umkreis mißt und ungefähr einundsechzig und einen halben Morgen bedeckt: eine dauernde Quelle zwischen Tannen- und Eichenwäldern, ohne Zufluß und ohne Abfluß außer durch Wolken und Verdunstung. Die umliegenden Hügel steigen vom Wasser aus steil bis zur Höhe von vierzig oder achtzig Fuß empor. Nur im Osten und Südosten erreichen sie innerhalb einer Viertel- oder Drittelmeile eine Höhe von ungefähr hundert bis hundertundfünfzig Fuß. Alle sind mit Wäldern bedeckt. All unsere Gewässer in Concord zeigen wenigstens zwei Farben; die eine erkennt man am besten aus der Ferne, die andere, natürlichere, besser in der Nähe. Die erste hängt mehr vom Licht ab und ist dem Himmel verschwistert. An klaren Sommertagen sehen die Gewässer in der Nähe, hauptsächlich wenn sie bewegt sind, blau aus, in größerer Entfernung stehend bemerkt man jedoch keinen Unterschied zwischen ihnen. Bei stürmischem Wetter haben sie bisweilen eine dunkle Schieferfärbung. Man behauptet übrigens, daß die See an einem Tage blau, am anderen grün aussieht, ohne daß eine wahrnehmbare Veränderung in der Atmosphäre sich ereignet hätte. War die Landschaft mit Schnee bedeckt, dann sah das Eis und das Wasser unseres Teiches fast so grün wie Gras aus. Einige glauben, daß »blau die Farbe des reinen Wassers, des flüssigen oder des festen sei«. Sieht man jedoch vom Boot aus direkt in unsere Gewässer hinein, so bemerkt man, daß sie sehr verschiedene Farben besitzen. Der Waldenteich ist, von demselben Ort aus betrachtet, das eine Mal blau und das andere Mal grün. Da er zwischen Himmel und Erde liegt, vereint er die Farben der beiden in sich. Sieht man ihn von einer Hügelkuppe aus, dann spiegelt er die Himmelsfarbe wieder; in der Nähe gesehen, zeigt er unmittelbar am Ufer, dort wo man den sandigen Grund erkennen kann, eine gelbliche Färbung; dann folgt ein Hellgrün und dieser Farbenton geht allmählich nach der Teichmitte zu in ein gleichmäßiges Dunkelgrün über. Es gibt jedoch Beleuchtungen, wo er, auch von einer Hügelkuppe aus gesehen, nahe am Ufer lebhaft grün gefärbt ist. Man hat dies Phänomen oft auf die Spiegelung der grünen Pflanzenwelt am Ufer zurückgeführt. Er ist aber gerade so grün dort, wo am Ufer der sandige Eisenbahndamm sich erstreckt, gerade so grün im Frühling, wenn die Blätter sich noch nicht entfaltet haben. So ist diese Erscheinung wohl nur das Resultat einer Mischung des kräftigeren Blau mit dem Gelb des Teichsandes. Also so sieht seine Iris aus! Das ist auch die Stelle, wo im Frühling das Eis, wenn es durch die vom Grunde zurückgestrahlte und von der Erde fortgepflanzte Sonnenglut erwärmt wurde, zuerst schmilzt und um die noch zugefrorene Mitte einen schmalen Kanal bildet. Wie unsere übrigen Gewässer zeigt der Teich bei klarem Wetter und bei lebhafter Brise, wenn die Oberflächen der Wellen den Himmel im rechten Winkel spiegeln können, oder weit mehr Licht sich mit ihm vereint, ein tieferes Blau als der Himmel selbst. War ich zu einer solchen Zeit auf dem Teich und sah mit geteiltem Blick hinein, um gleichzeitig die Reflexe wahrzunehmen, so bemerkte ich manchmal ein wunderbares, unbeschreibliches Hellblau, das blauer war wie der Himmel selbst – Moiré- oder Changeantseide oder eine Degenklinge können vielleicht für einen Augenblick einen solchen Farbenton hervorzaubern – und dieses Blau, welches mit dem ursprünglichen Grün der entgegengesetzten Seite abwechselte, war so leuchtend, daß das Grün relativ stumpf anmutete. Es war, soweit ich mich erinnern kann, ein glasartiges Grünblau, und glich jenen wolkenlosen Stellen, die man am Winterhimmel westwärts bisweilen vor Sonnenuntergang sieht. Im Glasgefäß erscheint jedoch dieses Teichwasser gegen das Licht gehalten geradeso farblos wie die gleiche Menge Luft. Man weiß, daß eine dicke Glasplatte einen grünen Farbenton besitzt (die Fachleute sagen: »der Körper ist grün«), daß aber ein kleines Stück dieser Platte farblos ist. Wie stark der »Körper« des Waldenwassers sein muß, um grüne Färbung anzunehmen, habe ich nie erprobt. Das Wasser unseres Flusses ist, wenn man unmittelbar von oben hineinsieht, schwarz oder tief dunkelbraun; es verleiht, wie das Wasser der meisten Teiche, dem Körper des darin Badenden einen gelblichen Ton. Dieses Wasser ist jedoch so kristallklar, daß der Körper des Badenden – weiß wie Alabaster leuchtet. Das sieht noch unnatürlicher aus und macht, da die Gliedmaßen drinnen vergrößert und verzerrt erscheinen, einen geradezu monströsen Eindruck. Ein Michelangelo könnte hier passende Studien machen.

Das Wasser ist so durchsichtig, daß der Grund ohne Mühe bei einer Tiefe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß gesehen werden kann. Beim Rudern erblickt man viele Fuß unter der Oberfläche Scharen von Barschen und Weißfischen, die meistens nur einen Zoll lang sind. Trotzdem kann man die Barsche leicht an ihrer Querstreifung erkennen. Fische, die hier ihre Nahrung finden, müssen Asketen sein, so dachte ich bei mir. Ich hatte einst vor vielen Jahren im Winter Löcher ins Eis gehackt, um Grashechte zu fangen. Als ich hierauf ans Ufer ging, stieß ich zufällig gegen meine Axt, die auf das Eis fiel und wie von einem bösen Geist getrieben, sechzig bis neunzig Fuß weit darüber hinglitt, um alsbald in einem der Löcher – dort, wo das Wasser fünfundzwanzig Fuß tief war – zu verschwinden. Neugierig legte ich mich auf das Eis nieder und sah so lange in die Öffnung hinein, bis ich die Axt auf der einen Seite entdeckte. Sie stand auf dem Kopf und streckte den Stiel, der mit dem Puls des Teiches leicht hin und her schwankte, in die Höhe. Da hätte sie nun stecken und hin und her pendeln können, bis der Stiel vermodert wäre, wenn ich mich nicht eingemischt hätte. Unmittelbar über ihr machte ich ein zweites Loch – ich hatte einen Eismeißel bei mir – schnitt mit meinem Messer die längste Birke, die ich in der Nähe finden konnte, ab, befestigte an ihrem Ende eine Fadenschlinge, tauchte dieses Instrument behutsam in die Flut, ließ die Schlinge über den Kopf des Stieles gleiten, zog sie zu und holte meine Axt an der Birke herauf.

Nur an zwei Stellen des Ufers befinden sich Sandbänke. Im übrigen wird es von einem Gürtel glatter, runder, weißer Steine eingefaßt, die Pflastersteinen gleichen, und ist so steil, daß einem an vielen Stellen schon beim ersten Sprung das Wasser über den Kopf reicht. Wäre der Teich nicht so außerordentlich klar, so könnte man von seinem Grund von hier aus nichts mehr erkennen bis dorthin, wo er am entgegengesetzten Ufer sich wieder zu erheben beginnt. Manche halten den Teich für unergründlich tief. Er ist nirgends schlammig und ein oberflächlicher Beobachter könnte behaupten, daß keine Pflanzen in ihm wachsen. Auch bei genauer Untersuchung findet man (ich sehe von den kleinen Wiesen, die erst kürzlich überschwemmt wurden, ab) keine bemerkenswerten Pflanzen, keine Schwertlilien und Flatterbinsen, nicht einmal gelbe oder weiße Wasserlilien, sondern nur einige Herzblätter, Potamagetonen Laichkrautartige Gewächse, zur Familie der Potamogetonazeen gehörend. Fast überall im Süß- und Brackwasser der ganzen Erde zu finden. und vielleicht ein paar Exemplare von Brasenia pellata. Brasenia pellata, Wasserschild, zur Familie Calombeae gehörend. Purpurrote Wasserpflanzen in Carolina und in anderen Gegenden Nordamerikas auf Seen vorkommend. Die karminroten Blumen senken sich abends ins Wasser. Diese Pflanzen sind jedoch so klar und durchsichtig wie das Element, in dem sie wachsen; drum würde sie der Badende kaum bemerken. Die Steine erstrecken sich ungefähr sechzehn bis dreißig Fuß weit in das Wasser hinein, dann beginnt reiner Sandboden. Nur an den tiefsten Stellen findet sich gewöhnlich etwas Bodensatz, wahrscheinlich aus den Zerfallsprodukten der Blätter gebildet, die im Herbst gar manches Jahr in den Teich geweht wurden. Eine hellgrüne Wasserpflanze wird selbst mitten im Winter mit dem Anker heraufgebracht.

Es gibt einen anderen Teich, der diesem genau gleicht: White Pond im Nine-acre-corner. Er liegt ungefähr zwei und eine halbe Meile westlich. Doch wenn ich auch fast alle Teiche im Umkreis von einem Dutzend Meilen kenne, so weiß ich doch keinen dritten zu nennen, der diesen reinen, quellenartigen Charakter hat. Manches Volk trank daraus, bewunderte ihn, maß seine Tiefe und schwand dahin, und noch immer ist sein Wasser so grün und durchsichtig wie je. Das ist keine intermittierende Quelle! Vielleicht war an jenem Frühlingsmorgen, als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, der Waldenteich schon vorhanden! Vielleicht plätscherten schon damals im leisen Frühlingsregen, bei Nebel und Südwind seine Wellen, und trugen Tausende von Enten und Gänsen, die nichts vom Sündenfall wußten und noch an solch reinen Gewässern ihre Freude hatten! Schon damals hatte er begonnen zu steigen und zu fallen, hatte seine Wasser geklärt und ihnen jenen Farbenton gegeben, den sie noch heute tragen. Der Himmel hatte ihm ein Patent verliehen, daß er der einzige Waldenteich sein und den Tau des Himmels destillieren solle. Wer kennt die vielen verschollenen Völker, in deren Literatur er der kastalische Quell war? Wer die Nymphen, die im goldenen Zeitalter über ihn herrschten? Ein Edelstein von reinstem Wasser schmückt Concords Krone!

Vielleicht haben die Menschen, die zuerst zu diesem Quell kamen, schwache Spuren ihrer Fußstapfen hier zurückgelassen. Ich war erstaunt, als ich rund um den Teich herum – selbst dort, wo hart am Ufer ein dichter Wald vor kurzem erst den Äxten weichen mußte – einen schmalen Bergpfad am steilen Abhang entdeckte, der, bald steigend, bald fallend, bald nahe am Wasser, bald mehr abseits liegend, vielleicht so alt ist wie das Menschengeschlecht hier. Ihn schufen die Füße der eingeborenen Jäger und instinktiv wird er noch heute von den Bewohnern des Landes von Zeit zu Zeit benutzt. Wenn man im Winter, gerade nach einem leichten Schneefall, mitten auf dem Eise steht, dann ist dieser Pfad vollkommen deutlich als weiße Wellenlinie sichtbar; er wird dann nicht durch Unkraut und durch Zweige verdeckt, sondern tritt gerade dort, wo man ihn im Sommer und in geringerer Entfernung nicht zu lokalisieren vermag, klar hervor. Der Schnee gibt ihn in neuer Auflage heraus, druckt ihn in klaren weißen Hochrelief-Typen. Vielleicht werden die kunstvoll angelegten Gärten der Landhäuser, die man dereinst hier errichten wird, ein Stück von ihm bewahren.

Der Teich steigt und fällt; ob dies regelmäßig und innerhalb welcher Periode es geschieht, weiß jedoch kein Mensch, wenn auch natürlich viele behaupten, es zu wissen. Meistens ist er im Winter höher, im Sommer niedriger, doch lassen sich hieraus auf Regen oder Trockenheit keine Schlüsse ziehen. Ich kann mich erinnern, daß er einmal zwei Fuß niedriger, ein anderes Mal fünf Fuß höher war als zu der Zeit, wo ich an seinem Ufer wohnte. Eine schmale Sandbank erstreckt sich in ihn hinein; an ihrer einen Seite ist das Wasser sehr tief. Dort – ungefähr neunzig Fuß vom Hauptufer entfernt – half ich im Jahre 1824 einen Kessel voll Chowder Chowder ist ein besonders in Neuengland beliebtes Essen: Fische, Zwieback, Schweinefleisch, Zwiebeln und anderes mehr werden zusammen gekocht. kochen. Das wäre in den folgenden fünfundzwanzig Jahren unmöglich gewesen. Andererseits machten meine Freunde ungläubige Gesichter, wenn ich ihnen sagte, daß ich einige Jahre später vom Boot aus in einer abgelegenen Waldbucht, ungefähr 240 Fuß von dem einzigen, ihnen bekannten Ufer entfernt, zu fischen pflegte, an einer Stelle, die jetzt längst in eine Wiese verwandelt ist. In den letzten zwei Jahren ist der Teich jedoch beständig gestiegen und jetzt im Sommer 1852 genau um fünf Fuß höher wie damals, als ich dort wohnte; er hat also die gleiche Höhe wie vor dreißig Jahren und wieder einmal wird auf der Wiese gefischt. Das macht eine maximale Differenz von sechs oder sieben Fuß. Da jedoch die umliegenden Höhen als Wasserscheide kaum in Betracht zu ziehen sind, so muß dieser Hochstand auf Ursachen zurückgeführt werden, welche den tieferen Quellen entstammen. Gerade in diesem Sommer hat der Teich wieder angefangen zu fallen. Es ist interessant, daß diese Schwankung – einerlei, ob sie periodisch ist oder nicht – sich im Verlauf so vieler Jahre abspielt. Ich habe ein Steigen und ein zweimaliges, teilweises Fallen beobachtet, und ich vermute, daß nach weiteren zwölf oder fünfzehn Jahren das Wasser wieder so tief stehen wird, wie ich es einstens sah. Flints Teich, der eine Meile östlich liegt, sympathisiert, auch wenn man die durch Zuflüsse und Abflüsse hervorgerufene Niveauschwankung in Rechnung zieht, gerade wie auch die kleineren dazwischen liegenden Teiche mit dem Waldensee; er erreichte kürzlich seine höchste Höhe zu derselben Zeit wie sein westlicher Nachbar. Das gleiche kann man, soweit meine Beobachtungen reichen, vom Whiteteich sagen.

Das Steigen und Fallen des Waldenteiches, das in langen Zwischenräumen vor sich geht bringt wenigstens einen Vorteil: Wenn das Wasser ein Jahr oder länger seinen Hochstand beibehält, wird der Spaziergang um den See allerdings etwas erschwert, die Sträucher und Bäume aber, die am Uferrand seit seinem letzten Steigen emporsproßten, die Harztannen, Birken, Erlen und Espen und manche andere sterben ab, – ein freies Ufer bleibt zurück. So kommt es, daß sein Ufer im Gegensatz zu manchen Teichen und allen Gewässern, die täglich Ebbe und Flut aufweisen, am reinsten ausschaut, wenn das Wasser am tiefsten steht. An der einen Seite des Teiches wurde eine Anzahl Harztannen, die fünfzehn Fuß hoch waren, getötet, wie mit einem Hebeeisen umgelegt und so ihren wachsenden, widerrechtlichen Übergriffen auf fremdes Gebiet ein Ziel gesetzt. Ihre Größe deutet indessen darauf hin, wieviele Jahre seit dem letzten Ansteigen bis zu diesem Hochstand verflossen sind. Durch diese Niveauschwankungen betont der Teich sein Hoheitsrecht über den Uferwall; der Wall wird verwüstet und Bäume nicht an ihm geduldet. Diese Ufer sind die Lippen des Sees, auf dem kein Bart wächst. Er leckt sich von Zeit zu Zeit den Mund ab. Wenn das Wasser am höchsten steht, dann schicken Erlen, Weiden und Ahornbäume eine Menge faseriger, roter Wurzeln, die mehrere Fuß lang sind, von allen Seiten ihres Stammes in das Wasser hinein bis zu einer Tiefe von drei bis vier Fuß über dem Boden, um mit aller Kraft ihren Platz zu behaupten. Ich beobachtete, daß Blaubeerenbüsche, die gewöhnlich keine Früchte zeitigten, unter diesen Umständen reichliche Ernte lieferten.

Manche Leute suchen mit Eifer zu ergründen, warum das Ufer so regelmäßig gepflastert ist. Im ganzen Landbezirk kennt indessen ein jeder die Überlieferung, die den ältesten Einwohnern bereits in ihrer Jugendzeit erzählt wurde. In grauer Vorzeit sollen nämlich die Indianer auf diesem Hügel, der so hoch zum Himmel emporragte wie der Teich jetzt in die Erde sinkt, einen Pow-wow Ratsversammlung der Indianer, oftmals mit Tanz verbunden. veranstaltet haben, wobei es ein arges Lästern und Fluchen gab. So erzählt die Legende, obwohl die Indianer diese Untugend niemals kannten. Da habe der Hügel plötzlich gebebt und sei versunken. Nur eine alte Squaw, Walden mit Namen, sei entkommen und nach ihr sei der See genannt. Man hat nun angenommen, daß bei dem Erdbeben Steine den Hügelhang hinunterrollten und das jetzige Ufer bildeten. Jedenfalls ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß einst kein Teich hier vorhanden war, und daß jetzt einer vorhanden ist. Und somit widerspricht die indianische Legende in keiner Weise der Erzählung des vorher erwähnten alten Ansiedlers: er konnte sich noch recht gut daran erinnern, daß ein leichter Dampf vom grünen Erdboden emporstieg, als er mit seiner Wünschelrute hier ankam. Und da die Rute vom Haselnußbaum beständig auf den Boden deutete, beschloß er hier eine Quelle zu graben. Allerdings glauben noch manche, daß die Anordnung der Steine kaum durch die Wirkung der Wellen auf diesen Hügel zustande gebracht sei. Ich habe jedoch beobachtet, daß die umliegenden Hügel ganz besonders reich an Steinen gleicher Art sind, so daß man sie dort, wo die Eisenbahn nahe am See verläuft, zu beiden Seiten des Dammes mauergleich aufschichten mußte. Und noch einen Umstand möchte ich hervorheben: Die meisten Steine befinden sich dort, wo das Ufer am steilsten ist. Es liegt also für mich hier – leider – kein Problem vor. Ich kenne den Pflasterer. Wenn der Name nicht von irgend einer englischen Ortsbezeichnung abgeleitet ist, z. B. von Saffron Walden, so ist vielleicht die Annahme berechtigt, daß der Teich ursprünglich Walled-in-Pond – eingemauerter Teich – geheißen hat.

Der Teich war meine, für mich gegrabene Quelle. Vier Monate im Jahr ist das Wasser so kalt wie es zu allen Zeiten klar ist; dann ist es meiner Ansicht nach ebenso gut, wenn nicht besser, als irgend ein anderes im ganzen Bezirk. Jedes Wasser, welches der Luft ausgesetzt ist, hat im Winter niedrigere Temperatur als vor Luft geschütztes Quellwasser. Die Temperatur des Teichwassers, das in dem Zimmer aufbewahrt wurde, in welchem ich von fünf Uhr vormittags bis zum Mittag des nächsten Tages verweilt hatte, betrug am 6. März 1846, während das Thermometer inzwischen auf 65 bis 70° Fahrenheit gestiegen war (hauptsächlich, weil die Sonne aufs Dach schien), 42°, war somit um einen Grad niedriger als die Temperatur des kältesten Quellwassers im Dorf, das gerade geschöpft war. Die Temperatur der Boilingquelle, deren Wasser hier als das wärmste gilt, betrug an demselben Tage 45°, obwohl ihr Wasser im Sommer kälter ist als das aller anderen mir bekannten Quellen, wenn, nebenbei bemerkt, seichtes und stagnierendes Oberwasser nicht zufällig mitgeschöpft wurde. Übrigens ist im Sommer das Waldenwasser wegen seiner großen Tiefe nie so warm, wie das der meisten Gewässer, welche der Sonne ausgesetzt sind. An warmen Tagen stellte ich meistens einen Eimer voll in meinen Keller, wo es während der Nacht abkühlte und tagsüber so blieb. Doch nehme ich auch eine Quelle in der Nähe in Anspruch. Das Wasser war nach 8 Tagen noch gerade so frisch, wie an dem Tage, wo ich es schöpfte und schmeckte nicht nach der Pumpe. Wer im Sommer eine Woche lang am Teichufer verweilt, braucht nur einen Eimer mit Wasser ein paar Fuß tief im Schatten seines Lagers einzugraben, um den Luxus des Eises entbehren zu können.

Im Waldenteich hat man sieben Pfund schwere Grashechte gefangen. Von dem Exemplar, das die Fischschnur mit größter Schnelligkeit ablaufen machte und das vom Fischer mit Bestimmtheit auf acht Pfund veranschlagt wurde – weil er es nicht sah – will ich ganz absehen. Außerdem fängt man Barsche, Bricken, die mehr als zwei Pfund wiegen, Weißfische und Rochen (Leuciscus pulchellus), sehr selten Brasse und ab und zu Aale, wovon der eine vier Pfund schwer war. Ich berichte darüber so genau, weil das Gewicht des Fisches meistens der einzige Anlaß ist, ihm ein Loblied zu singen, und weil dies die einzigen Aale waren, von denen ich hier gehört habe. Ich selbst erinnere mich indessen dunkel an einen kleinen, ungefähr fünf Zoll langen Fisch, dessen Seiten silberglänzend, dessen Rücken grünlich war; er glich in seinem Aussehen etwas dem Weißfisch und ich erwähne ihn hauptsächlich deshalb hier, um all den Fischerlegenden eine Tatsache gegenüberzustellen. Im großen und ganzen ist der Teich nicht allzu fischreich. Die Grashechte, die auch nicht in übergroßer Menge vorhanden sind, machen seinen Hauptstolz aus. Ich habe einmal, der Länge nach auf dem Eise liegend, wenigstens drei verschiedene Arten dieses Fisches beobachtet: einen langen, schmalen, stahlfarbigen, der mit dem Flußhecht viel Ähnlichkeit hatte, einen hellgoldenen, mit grünlichen Reflexen, der ganz in der Tiefe schwamm, er gehört zu der Art, die hier am häufigsten ist, und einen dritten, goldfarbigen, der wie der zweite gebaut war, aber an den Seiten kleine dunkelbraune oder schwarze Flecken aufwies, die, ähnlich wie bei der Forelle, mit blutroten Tupfen untermischt waren. Für diese Sorte paßt der eigentliche Name »reticulatus« nicht, »guttatus« wäre richtiger. All diese Fische sind fest gebaut und wiegen mehr, als ihre Größe verspricht. Die Weißfische, Bricken und auch die Barsche, ja, alle Fische, die diesen Teich bevölkern, sind reiner, schöner und von festerem Fleisch als diejenigen im Flusse und in anderen Teichen, weil das Wasser reiner ist. Man kann sie daher leicht von anderen unterscheiden. Ichthyologen würden wahrscheinlich einige von ihnen als neue Spielarten beschreiben. Auch ein sauberes Geschlecht von Fröschen und Schildkröten und einige zweischalige Muscheln gibt es im Teich. Bisamratten und Nörzwiesel Mustela vison. lassen hier Spuren zurück und gelegentlich besucht ihn eine wandernde Schlammschildkröte. Wenn ich frühmorgens mein Boot ins Wasser schob, störte ich ab und zu ein großes Exemplar dieser Tiere auf, das sich während der Nacht darunter verborgen hatte. Im Frühjahr und im Herbst besuchten Enten und Gänse den Teich, die weißbrüstige Schwalbe ( hirundo bicolor) schwebt über ihn dahin und die Sumpflerchen ( totanus macularius) »wippen« während des ganzen Sommers am steinigen Ufer. Manchmal scheuchte ich einen Fischadler auf, der auf einer Weißtanne über dem Wasser saß; im übrigen glaube ich kaum, daß der Waldenteich wie Fair Haven je durch die Flügel einer Möve entweiht wurde. Er duldet höchstens einmal im Jahre einen Taucher. Und damit sind alle wichtigen Tiere, die ihn häufig zu besuchen pflegen, genannt.

Bei ruhigem Wetter sieht man vom Boot aus nahe am sandigen, östlichen Ufer, wo das Wasser acht bis zehn Fuß tief ist, und auch an anderen Stellen des Teiches einige kreisrunde Haufen, deren Durchmesser sechs Fuß und deren Höhe einen Fuß beträgt. Diese Haufen bestehen aus kleinen Steinen, die kaum so groß sind wie ein Hühnerei, während ringsherum nur Sand liegt. Im ersten Augenblick fragt man sich voll Erstaunen, ob diese Steine vielleicht von Indianern zu irgend einem Zweck aufs Eis gelegt wurden und hernach, als das Eis schmolz, zu Boden gesunken sind. Dem widerspricht jedoch die allzu regelmäßige Anordnung und einige dieser kreisrunden Haufen sehen auch tatsächlich zu frisch aus. Sie ähneln denen, die man in Flüssen findet. Da aber Sauger und Lampreten hier nicht vorkommen, so weiß ich nicht, welcher Fisch sie baut. Vielleicht sind sie die Nester des Chivin, des Döbel. Döbel oder Dickkopf ( Leuciscus cephalus). Alte englische Bezeichnung Cheven oder Chivin. Weißfischart. Sie verleihen dem Grunde etwas Geheimnisvolles, Anziehendes.

Das Ufer ist unregelmäßig genug, um nicht monoton zu wirken. Klar sehe ich es vor meinem inneren Auge liegen: tiefe Buchten im Westen, im Norden fast grotesk, im Süden lieblich ausgezackt, dort wo eine Hügelspitze eine andere, vor ihr liegende, überragt und den Gedanken an unerforschte Buchten zwischen waldigen Hügeln erweckt. Nie hat der Wald eine solch herrliche Fassung, nie tritt seine Schönheit so klar hervor, als dort, wo man ihn von der Mitte eines kleinen Teiches aus zwischen Hügeln sieht, die vom Uferrande emporsteigen. Denn nicht nur die Fluten, in denen der Wald sich spiegelt, bilden in diesem Falle den Vordergrund, nein, auch die Wellenlinien des Ufers stellen seine natürlichste und anmutigste Grenze dar. Keine plumpe und unvollkommene Linie ist an seinem Rand zu sehen, wie dort, wo die Axt eine Lichtung schuf, oder dort, wo ein bebautes Feld ihn begrenzt. Für die Bäume ist genügend Raum vorhanden, sich nach dem Wasser hin auszubreiten und dorthin sendet ein jeder seinen kräftigsten Zweig. Hier erblickt das Auge einen natürlichen Saum, den die Natur gewoben hat und der von den niedrigsten Sträuchern bis zu den höchsten Bäumen harmonisch ansteigt. Von Menschenhänden gibts hier nur wenige Spuren. Das Ufer wird vom Wasser gerade wie vor tausend Jahren bespült.

Ein See ist der schönste, strahlendste Schmuck einer Landschaft. Er ist der Erde Auge. Wer hineinschaut, mißt die Tiefe seines eigenen Wesens. Die Bäume, die das Ufer umrahmen, sind seine schlanken Wimpern, die waldigen Hügel und Klippen gleichen den schützenden Augenbrauen.

Wenn ich an einem ruhigen Septembernachmittag auf dem ebenen, sandigen Ufer am östlichen Ende des Teiches stand, während ein leichter Dunsthauch die Konturen des gegenüberliegenden Ufers verschleierte, dann erkannte ich, woher der Ausdruck »glasige Oberfläche eines Teiches« stammt. Wendet man den Kopf zur Seite, so gleicht der See einem feinsten Sommerfaden, der über das Tal hinweggespannt ist, sich glitzernd vom gegenüberliegenden Tannenwald abhebt und eine Luftschicht von der anderen trennt. Man glaubt, daß man trockenen Fußes darunter zu den gegenüberliegenden Hügeln wandern könne, daß die Schwalben, die darüber hin flattern, sich auf ihm ausruhen werden. Manchmal tauchen sie auch, wie aus Versehen, unter die Oberfläche, um sofort eines Besseren belehrt zu werden. Will man gen Westen über den Teich blicken, so muß man die Augen mit beiden Händen beschatten zum Schutz gegen die wirkliche Sonne und gegen ihr Spiegelbild, denn beide sind gleich blendend. Betrachtet man zwischen diesen beiden Sonnen die Oberfläche scharf, so ist sie tatsächlich so glatt wie Glas, nur dort nicht, wo die Wasserläuferinsekten, in gleichmäßigen Zwischenräumen über den ganzen Teich verteilt, durch ihre Bewegungen die denkbar feinsten Glanzlichter im Sonnenschein hervorbringen, auch dort nicht, wo eine Ente ihr Gefieder putzt oder eine Schwalbe so niedrig fliegt – ich erwähnte das schon –, daß ihre Flügel die Fluten berühren. Weit vom Ufer entfernt beschreibt bisweilen ein Fisch einen Bogen von drei bis vier Fuß durch die Luft: ein heller Blitz zuckt an der Stelle auf, wo das Tier emportaucht, ein zweiter, wo es das Wasser wieder berührt. Bisweilen wird der ganze Silberbogen deutlich sichtbar. Hier und dort schwimmt ein Stückchen Distelwolle auf dem Wasserspiegel. Fische schießen pfeilschnell darauf los, so daß die Wellen leicht sich kräuseln. Wie geschmolzenes, erkaltetes aber nicht erstarrtes Glas liegt der Teich da. Die wenigen Stäubchen darauf sind so klar und schön wie die Unvollkommenheiten im Glase. Manchmal kann man auch ein noch glatteres, dunkleres Wasser entdecken: ein unsichtbares Spinngewebe dient hier als Hafenbaum, um den Ruheplatz der Nymphen von dem übrigen Wasser abzugrenzen. Von einer Hügelspitze aus sieht man fast überall die Fische springen. Denn weder ein Grashecht noch ein Weißfisch erhascht auf dieser glatten Oberfläche ein Insekt, ohne das Gleichgewicht des ganzen Teiches zu stören. Es ist wundervoll, wie genau diese einfache Tatsache nach allen Richtungen hin verkündet wird – dieser Mörder in Fischgestalt kann nichts heimlich tun – und von meiner hohen Warte kann ich in der Ferne die Wellenkreise unterscheiden, wenn ihr Durchmesser auch neunzig Fuß beträgt. Ich kann sogar eine Wasserwanze (Gyrinus) aus der Entfernung von einer Viertelmeile sehen, die unaufhörlich über den glatten Spiegel dahinläuft, denn diese Tiere furchen das Wasser leicht, ein feines Gekräusel zeigt sich auf der Oberfläche, das von zwei divergierenden Linien begrenzt wird. Die Wasserläufer aber gleiten dahin, ohne das Wasser wahrnehmbar zu bewegen. Ist der See nicht ganz ruhig, dann gibt es weder Wasserläufer noch Wasserwanzen auf ihm. An windstillen Tagen dagegen verlassen sie ihren Hafen, fahren voll Abenteuerlust mit kurzen Stößen vom Ufer ab, bis sie scharenweise den ganzen Teich bedecken. Es wirkt beruhigend, wenn man, wie ich, an einem jener schönen Herbsttage, wo man die Sonnenwärme vollauf zu schätzen weiß, hoch oben auf einem Baumstumpf sitzend den Teich überblickt und die Wellenkreise beobachtet, die ohne Unterlaß auf die sonst unsichtbare Oberfläche zwischen dem Spiegelbild des Himmels und der Bäume gezeichnet werden. Auf dieser weiten Fläche wird jede eintretende Störung sogleich mild besänftigt und beseitigt: ein Glas mit Wasser ward geschüttelt, zitternd suchten die Kreise das Ufer – und unbewegt ist alles wie zuvor. Ob ein Fisch springt oder ein Insekt in den Teich fällt: leichtes Gekräusel zieht seine Kreise und gibt hiervon Kunde in Linien voll Schönheit, gemahnt an einen ewig fließenden Quell, an den leisen Pulsschlag seines Lebens, an das Heben und Senken seiner Brust. Der Freudenschrei und Schmerzensschrei sind nicht zu unterscheiden. Wie friedlich ist des Teiches Leben! Wieder leuchten die Werke der Natur wie zur Frühlingszeit. Ja! Jedes Blatt und jeder Zweig, jeder Stein und jedes Spinnengewebe glänzt jetzt mitten am Nachmittage, als läge überall eines Frühlingsmorgens Tau. Jede Bewegung eines Ruders oder eines Insektes erzeugt einen Lichtblitz. Und wenn ein Ruder eintaucht – wie hallt das Echo so hold!

An solch einem Nachmittage im September oder Oktober ist der Waldenteich ein vollkommener Waldspiegel, umrahmt von Steinen, die mein Auge so entzücken, als ob davon nur wenige von hohem Wert auf dieser Welt vorhanden wären. Vielleicht ist auf Erden nichts so schön, so rein und zugleich so groß wie der See. Himmelswasser! Es braucht keinen Schutz. Völker kommen und Völker gehen, ohne es zu trüben. Es ist ein Spiegel, den kein Stein zertrümmert, dessen Quecksilber nie sich abnutzt, dessen Vergoldung die Natur beständig ausbessert, ein Spiegel, dessen allzeit klare Fläche kein Sturm, kein Staub je trüben kann, in dem alles Unreine, was mit ihm in Berührung kommt, zu Boden sinkt, ein Spiegel, den die Sonne mit ihrem dampfenden, schimmernden Staubtuch säubert und putzt. Kein Hauch, der auf ihm sich niederschlägt, bleibt haften, nein, er sendet vielmehr den eigenen Atem empor, damit er als Wolke hoch über ihm schwebe und in seinem Schoß sich noch wiederspiegele.

Eine Wasserfläche verrät den Geist, der in der Luft ist. Von oben her erhält sie stets neues Leben und neue Bewegung. Sie ist ihrer Natur nach ein Mittelding zwischen Himmel und Erde. Auf dem festen Lande wogen nur Gras und Bäume, das Wasser selbst wird jedoch vom Winde bewegt. Lichtstreifen und Lichtblitze verkünden mir, wie die Brise über den See streicht. Es ist seltsam, daß wir auf seine Oberfläche herniederblicken können. Wir werden vielleicht eines Tages auch auf die Oberfläche der Luft herniederschauen und die Stelle sehen, wo ein noch feinerer Geist darüber hin schwebt.

Die Wasserläufer und Wasserwanzen verschwinden Ende Oktober, wenn die heftigen Nachtfröste beginnen, gänzlich. Dann ist, gerade wie an windstillen Novembertagen, meistens nichts vorhanden, was die Oberfläche kräuseln könnte. An einem Novembernachmittag bemerkte ich während der Windstille, die mehrtägigen Regenstürmen folgte, bei bedecktem Himmel und nebeliger Luft eine außerordentliche Glätte des Teiches. Seine Oberfläche war daher nur mit Mühe zu erkennen, obwohl er nicht mehr die leuchtenden Farben des Oktobers, sondern die dunkelen Novemberfarben der umliegenden Hügel wiederspiegelte. Trotzdem ich so behutsam wie nur möglich auf ihm dahinruderte, dehnten sich doch die kleinen Wellen, die mein Boot verursachte, fast so weit wie ich sehen konnte aus, und verliehen den Spiegelbildern ein geripptes Aussehen. Und als ich über die Oberfläche hinsah, bemerkte ich hier und dort ein schwaches Leuchten. Ich dachte, daß einige Wasserläuferinsekten, die dem Frost entgangen waren, sich dort versammelt hätten, oder daß vielleicht die jetzt so glatte Oberfläche verraten wolle, wo am Grund eine Quelle springe. Langsam ruderte ich nach einer dieser Stellen und sah mich dort zu meinem Erstaunen von Myriaden kleiner, ungefähr fünf Zoll langer Barsche von tiefer Bronzefarbe umschwärmt, die in der grünen Flut sich vergnügten, fortwährend zur Oberfläche emporstiegen, leises Gekräusel daselbst verursachten und manchmal Bläschen dort zurückließen. Auf solch durchsichtigem und scheinbar bodenlosem Wasser, das die Wolken wiederspiegelt, glaubte ich in einem Ballon durch die Lüfte zu schweben; das Schwimmen der Fische schien mir ein Fliegen, ein Schweben zu sein. Sie glichen einem dichten Schwarm von Vögeln in ihnen, die rechts und links gerade unter meiner Gondel dahinzogen. Ihre ausgebreiteten Flossen machten auf mich den Eindruck von Flügeln. Solche Schwärme gab es in großer Anzahl im Teich. Sie nutzten augenscheinlich nach besten Kräften die kurze Zeit aus, ehe noch der Winter seine Fensterladen aus Eis über ihr breites Oberlicht zog. Manchmal sah es aus, als ob eine leichte Brise über den Wasserspiegel lief oder einige Regentropfen auf ihn niederfielen. Wenn ich mich unvorsichtig einem Schwarme näherte, dann verursachten die Tiere mit ihren Schwänzen ein plötzliches Aufspritzen und Gekräusel des Wassers, daß man glauben konnte, jemand habe mit einem buschigen Zweig darauf geschlagen. Dann verschwanden sie sofort in der Tiefe. Endlich erhob sich ein Wind, der Nebel nahm zu, die Wellen begannen zu wachsen und die Barsche sprangen höher denn zuvor. Hunderte von schwarzen, drei Zoll langen Punkten befanden sich gleichzeitig über der Oberfläche. Selbst am fünften Dezember sah ich noch einmal einige Tüpfelchen über dem Wasserspiegel. Da die Luft nebelig war und ich glaubte, es würde sogleich ein heftiger Regen niederfallen, ergriff ich schleunigst die Ruder und begann heimzufahren. Der Regen schien auch wirklich bald ärger zu werden, obwohl ich ihn noch nicht an meinen Wangen spürte, und ich machte mich schon auf eine gehörige Durchnässung gefaßt. Doch plötzlich verschwanden die Tüpfelchen: Barsche, die durch das Geräusch der Ruder in die Tiefe verscheucht wurden, hatten sie verursacht. Undeutlich konnte ich noch gerade erkennen, wie ihr Schwarm in der Tiefe verschwand. So verbrachte ich doch noch einen trockenen Nachmittag.

Ein alter Mann, der vor sechzig Jahren den Waldenteich häufig besuchte, zu einer Zeit, wo die dichten umliegenden Wälder dem See noch ein dunkeles Aussehen gaben, erzählte mir, daß er ihn in diesen Tagen mit Enten und anderen Wasservögeln dicht bedeckt fand, und daß es hier viele Adler gegeben habe. Er kam hierher, um zu fischen, und benutzte ein altes Baumkanoe, das er am Ufer fand. Es bestand aus zwei ausgehöhlten und miteinander verbundenen Weißtannenstämmen und war an den Enden rechtwinkelig. Wenn auch recht plump, tat es viele Jahre lang seine Dienste. Dann wurde es leck und sank wahrscheinlich auf den Grund. Den Eigentümer kannte er nicht: es gehörte dem Teich. Um ein Ankertau zu haben, pflegte er Streifen von Walnußbast zusammenzubinden. Ein anderer alter Mann, ein Töpfer, der vor der Revolution am Teichufer wohnte, hatte ihm erzählt, auf dem Grund liege eine eiserne Kiste, er habe sie selbst gesehen. Sie tauche manchmal auf und treibe dem Ufer zu, wenn man aber sich ihr nähern wolle, dann kehre sie ins tiefe Wasser zurück und verschwinde. Ich hörte mit Freuden von dem alten Baumkanoe, das dazu diente, ein anmutigeres und aus dem gleichen Material verfertigtes Fahrzeug der Indianer zu ersetzen. Dieses alte plumpe Kanoe war anfangs vielleicht ein Baum am Teichesrand, der fiel gleichsam ins Wasser hinein, um dort ein Menschenalter lang zu schwimmen, – kein Schiff paßte je besser hierher! Ich erinnere mich, daß ich beim ersten Blick in die Tiefe des Sees undeutlich viele große Stämme auf dem Boden liegen sah, die entweder früher vom Sturme hineingeweht oder auf dem Eis zurückgelassen waren, damals beim letzten Holzschlag, als das Holz noch billiger war. Doch jetzt sind sie zum größten Teil verschwunden.

Als ich zum erstenmal mein Boot auf dem Waldenteich dahintrieb, war er völlig von dichten und hohen Fichten- und Eichenwäldern umgeben, ja, in einige Buchten hatten sich Ranken über die nahe am Wasser stehenden Bäume geschlungen und schattige Laubdächer gebildet, unter welchen ein Boot fahren konnte. Die Hügel, welche sein Ufer bilden, sind so steil und die umrahmenden Wälder waren damals so hoch, daß man glauben konnte – hauptsächlich wenn man an seinem westlichen Ende stand – ein Amphitheater für irgend ein Waldschauspiel vor sich zu sehen. In jungen Jahren ließ ich mich manche Stunde lang, nachdem ich mein Boot zur Mitte des Sees gerudert hatte, vom Zephyr über die Fluten treiben. Dann lag ich an Sommervormittagen, quer über die Bänke ausgestreckt, auf dem Rücken und träumte wachend, bis das Boot auf Sand stieß, und ich, hierdurch erweckt, um mich blickte, um zu erfahren, an welches Ufer mein Schicksal mich verschlagen habe. An solchen Tagen war Müßiggang die einladendste und fruchtbringendste Betätigung. Wie häufig schlich ich mich heimlich fort, weil ich es vorzog, den wertvollsten Teil des Tages auf diese Weise zu verbringen! Denn ich war reich, wenn nicht an Geld, so doch an sonnigen Stunden und Sommertagen. Sie pflegte ich mit vollen Händen auszugeben. Auch reut es mich nicht, daß ich sie nicht auf dem Katheder oder in der Werkstatt verschwendete. Doch seitdem ich dieses Ufer verließ, haben die Holzhauer noch ärger an ihm gewütet, und jetzt wird für viele Jahre kein Wanderer hier durch den Waldesdom gehen, und kein Durchblick auf das Wasser ihn von Zeit zu Zeit erfreuen können. Möge man meiner Muse verzeihen, wenn sie jetzt schweigt. Wie kann man erwarten, daß die Vögel singen, wenn man ihre Bäume fällt?

Jetzt sind die Stämme auf dem Boden, das alte Baumkanoe und die dunklen Wälder ringsum dahin! Jetzt wollen die Dorfbewohner, die kaum noch wissen, wo der Teich liegt, sein Wasser, das mindestens so heilig sein sollte wie das des Ganges, in einem Rohr zum Dorf leiten, um ihr Eßgeschirr damit zu reinigen! Sie wollen ihren Walden mühelos genießen, indem sie einen Hahn umdrehen oder einen Stöpsel herausziehen! Dieses teuflische, eiserne Pferd, dessen ohrenzerreißendes Wiehern durch den ganzen Stadtbezirk gehört wird, hat die Boilingquelle mit seinen Hufen getrübt und alle Wälder an Waldens Rand aufgefressen! Dieses trojanische Pferd mit tausend Menschen in seinem Bauch, das geldgierige Griechen herbeischleppten! Wo ist der Held des Landes, wo der Moore von Moore Hall, der bei dem Deep Cut mit ihm zusammentrifft und dieser Pest die Lanze in die aufgedunsene Seite stößt?

Und doch ist von allen Charaktern, die ich kenne, vielleicht der Walden am meisten sich selber treu geblieben. Er hat seine Reinheit wohl am besten bewahrt. Viele Menschen sind mit ihm verglichen worden, nur wenige waren dieser Ehre würdig. Wenn auch die Holzhauer erst dieses und dann jenes Ufer verwüsteten, wenn auch hernach die Irländer dort ihre Dreckhütten bauten und die Eisenbahn seinen Rahmen in Stücke schlug, wenn auch die Eisleute einmal hier Raub verübten: er blieb sich gleich, das Wasser ist noch dasselbe, das einst meine jugendfrischen Augen erblickten. Ich allein habe mich verändert. Zog er auch oft die Stirne kraus – keine Runzel blieb dauernd zurück. Seine Jugend währet ewig und wie damals kann ich auch heute beobachten, wie eine Schwalbe ein Insekt auf seiner Oberfläche erhascht. Heute Abend wieder machte er einen so tiefen Eindruck auf mich, als ob ich ihn nicht zwanzig Jahre lang täglich vor Augen gehabt hätte. Ja! Das hier ist der Walden, derselbe Waldsee, den ich vor so vielen Jahren entdeckte. Wo man im vorigen Winter Bäume fällte, da sprossen jetzt an seinem Ufer neue empor, so kraftstrotzend wie je. Noch immer quillt der gleiche Gedanke zur Oberfläche des Teiches empor. Er hat an sich selbst die gleiche ungemischte Freude und Glückseligkeit, die er seinem Schöpfer bereitet. Ja, er kann sie auch auf mich übertragen. Er ist das Werk eines edlen Mannes, der keine Arglist kannte. Und dieser rundete das Wasser in seiner Hand, vertiefte und klärte es in seinen Gedanken und gab es Concord zum Geschenk. Ich kann's auf seinem Antlitz lesen: er hat den gleichen Gedanken wie ich. Fast könnte ich zu ihm sagen: Walden, bist Du es?

Da liegst Du still vor dem erstaunten Blick!
Kein Sang vermag Dich nach Gebühr zu preisen.
Vertrauter sind mir Gott und Himmel nicht
Als Du, vielteurer See!
Ich bin Dein stein'ges Ufer und der Wind,
Der Deine Fluten sanft bewegt.
In meiner hohlen Hand
Halt ich Dein Wasser, Deinen Sand,
Und Deine Tiefe lehrt mich
Nach dem Höchsten streben.

Da der Zug hier nicht hält, bekommt kein Reisender Gelegenheit den Teich zu betrachten. Ich bilde mir jedoch ein, daß die Lokomotivführer, Heizer und die Passagiere, welche eine Dauerkarte haben und ihn oft sehen, durch seinen Anblick zu besseren Menschen werden. Der Lokomotivführer (oder vielleicht seine Seele) vergißt in der Nacht nicht, daß wenigstens einmal am Tag diese Vision voll heiteren Friedens und Reinheit an seinem Auge vorüberzog. Und wenn er sie auch nur einmal sah: Maschinenruß und Straßenschmutz waren weggewaschen. Es hat jemand vorgeschlagen, den See Gottestropfen zu nennen.

Ich habe bereits erwähnt, daß Walden keinen sichtbaren Zufluß oder Abfluß besitzt, doch ist er auf der einen Seite entfernt und indirekt mit dem etwas höher gelegenen Flintteich durch eine Anzahl kleiner Teiche verbunden, die nach dieser Richtung hin liegen. Auf der anderen Seite steht er direkt und augenscheinlich mit dem etwas tiefer liegenden Concordflusse ebenfalls durch eine Reihe von Teichen in Verbindung. In einer früheren geologischen Periode mag der Waldensee vielleicht durch sie hindurch geflossen sein, ja würde man etwas durch Graben nachhelfen – Gott möge es verhüten! – könnte es wieder geschehen. Wen würde es nicht schmerzen, wenn der Waldensee, der so viele, viele Jahre im Verborgenen, wie ein Einsiedler in den Wäldern, ein ernstes Dasein führte, und dadurch wunderbar sich selber läuterte, einst mit dem verhältnismäßig unreinen Wasser des Flintteiches in Berührung käme, oder seine süße Frische an des Meeres Wellen verschwenden würde?

Der Flint- oder Sandyteich, unser größter Binnensee in Lincoln, liegt ungefähr eine Meile östlich vom Walden. Er ist viel größer, auch fischreicher und soll einhundertundsiebenundneunzig Morgen bedecken. Er ist jedoch verhältnismäßig seicht und nicht besonders rein. Ein Spaziergang dorthin durch die Wälder hat mich oft erquickt. Das war schon deshalb lohnend, weil einem der Wind frisch um die Wangen blies und weil man durch die rollenden Wogen ans Seemannsleben erinnert wurde. An windigen Herbsttagen ging ich zum Kastaniensuchen hinüber: die Früchte, die ins Wasser fielen, wurden mir vor die Füße gespült. Eines Tages kroch ich an seinem schilfbewachsenen Ufer entlang, während kühler Gischt in mein Gesicht wehte. Da stieß ich auf das Wrack eines Bootes, dessen Teile bereits vermodert waren. Kaum mehr als der Abdruck seines flachen Rumpfes war zwischen dem Schilf zurückgeblieben. Seine Umrisse waren indessen noch scharf ausgeprägt, glichen gewissermaßen einem großen, verwelkten Lilienblatt mit deutlich sichtbaren Adern. Es machte einen so tiefen Eindruck auf mich wie ein Wrack am Meeresufer und lehrte eine ebenso gute Moral. Allmählich ist es ganz zu Erde geworden, und keine Spur am Teichufer weist noch darauf hin. Jetzt wachsen dort Binsen und Schwertlilien. Stets hatte ich meine Freude an der gerippten Zeichnung des sandigen Bodens, der durch den Wasserdruck fest und für die Füße des Watenden unnachgiebig geworden war – an den Binsen, die hintereinander im Gänsemarsch wuchsen, und getreulich sich den Wellenlinien der Bodenzeichnung anpaßten, gerade als ob die Wellen sie gepflanzt hätten. Dort habe ich auch in beträchtlicher Zahl merkwürdige Bälle gefunden, die augenscheinlich aus zartem Gras, aus Wurzeln, vielleicht aus Pfeifenkraut bestanden. Ihr Durchmesser schwankte zwischen einem halben und vier Zoll. Sie waren vollkommen rund. Beim ersten Anblick hätte man glauben können, daß sie durch die Wirkung der Wellen geformt wären, ähnlich wie glatte Kiesel. Doch selbst die kleinsten, einen halben Zoll starken Bälle waren aus dem gleichen, groben Material gebildet und wurden nur zu einer bestimmten Jahreszeit sichtbar. Im übrigen vermute ich, daß durch die Wellen solche Stoffe, die schon eine gewisse Konsistenz besitzen, eher abgenutzt als zusammengesetzt werden. Wenn man diese Kugeln trocknet, so behalten sie ihre Form dauernd.

Flints Teich! Wie arm ist unser Wortschatz! Was berechtigte den unsauberen und beschränkten Bauer, der dieses Ufer grausam verwüstet hatte, dessen Farm an dieses Himmelswasser grenzte, ihm seinen Namen zu geben? Wer gab einem gewissen Herrn Flint, einem Filz, das Recht dazu, ihm, dem doch die spiegelnde Fläche eines Dollar oder eines glänzenden Cent, in der er sein eigenes, unverfrorenes Gesicht betrachten kann, weit besser behagt? Ihm, dem sogar die wilden Enten auf dem Teich als Einbrecher galten, dessen Finger sich infolge der langjährigen Gewohnheit des harpyenhaften Greifens und Raffens zu krummen hornigen Krallen entwickelt hatten! Nein, ich heiße den Teich nicht so! Ich pilgere nicht zu seinem Ufer, um von Herrn Flint etwas zu sehen oder zu hören. Der sah den Teich nie; er badete nicht darin, er liebte und schützte ihn auch nicht, sprach nie ein gutes Wort über ihn und dankte auch dem Herrgott nicht, daß er den See erschuf. Eher soll dieser Teich nach den Fischen genannt werden, die darin schwimmen, nach dem Geflügel und den Vierfüßlern, die ihn aufsuchen, nach der wilden Blume, die an seinem Ufer wächst, nach irgend einem Indianer, nach einem Kind, dessen Lebensfaden mit diesem Teich verwoben ist. Doch nicht nach Flint, der kein anderes Recht auf ihn geltend machen konnte als seinen Vertrag, den er von einem ebenbürtigen Nachbar oder von einer Regierung erhalten hatte, die seiner würdig war; der im Teich nur ein Geldobjekt sah, und dessen Gegenwart allein vielleicht dem ganzen Ufer zum Unheil gereichte. Nicht nach Flint, der das Land ringsum aussaugte und am liebsten auch das Wasser darin ausgepumpt hätte, der lebhaft nur darüber sich betrübte, daß der Teich keine Heuwiese, kein Preißelbeerenfeld sei – irgend eine Eigenschaft, die hierfür entschädigen konnte, gab es natürlich für seine blöden Augen nicht – nicht nach Flint, der dazu imstande gewesen wäre, ihn abzulassen, nur um den Schlamm auf seinem Grunde zu verkaufen. Er konnte seine Mühle nicht damit treiben und sein Anblick erregte in ihm kein Glücksgefühl. Ich achte nicht die harte Arbeit, nicht die Farm jenes Mannes, für welchen alles seinen Preis hat, der womöglich die Landschaft, seinen Gott selbst zu Markte trägt, wenn man ihm nur irgend einen Preis dafür zahlt. Er geht ja seines Götzen wegen sowieso zu Markte. Ich achte nicht den Mann, auf dessen Farm nichts frei wächst, dessen Felder keine Ernte, dessen Wiesen keine Blumen, dessen Bäume keine Früchte tragen, sondern nur Dollars, der nicht die Schönheit seiner Früchte liebt, der seine Früchte erst dann für reif erklärt, wenn er sie in Dollars verwandelt hat. Gebt mir die Armut, die wahren Reichtums sich erfreut! Je ärmer ein Farmer ist, desto mehr Achtung und Aufmerksamkeit zolle ich ihm. Armselige Farmer! Eine Musterfarm! Seht, da steht das Haus wie ein Pilz auf einem Misthaufen, und für Menschen, Pferde, Ochsen und Schweine gibts dort Räumlichkeiten, die, gereinigt oder ungereinigt, alle miteinander zusammenhängen. Mit Menschen vollgepfropft! Ein großer Schmutzfleck, der nach Mist riecht und nach Buttermilch. Und dieser hohe Kulturzustand! Man düngte hier ja mit Herzen und Hirnen von Menschen, pflanzt gleichsam Kartoffeln auf einem Kirchhof! Das heißt eine Musterfarm!

Nein, nein! Wenn die schönsten Naturlandschaften schon nach Menschen genannt werden müssen, dann suche man aus der Menschheit die edelsten und würdigsten heraus! Unsere Seen sollen Namen bekommen, die wenigstens so viel Anspruch auf Wahrheit machen können wie der des ikarischen Meeres, »dessen Ufer noch gar kühnes Wagnis kündet«.

 

Der kleine »Gänseteich« liegt auf dem Weg zum Flintteich. Fair Haven, eine angeblich siebenzig Morgen bedeckende Verbreiterung des Concordflusses, liegt eine Meile weit nach Südwesten. Der vierzig Morgen große »Weißsee« liegt anderthalb Morgen jenseits Fair Haven. Das ist mein Seenland! Das sind zugleich mit dem Concordflusse meine Wasserprivilegien, und bei Nacht und bei Tag, Jahr aus und Jahr ein mahlen sie die Früchte, die ich zu ihnen trage.

Seitdem die Holzhacker und die Eisenbahn und ich selbst Walden entweiht haben, ist der Weißsee vielleicht der anziehendste, wenn auch nicht der schönste von all unseren Seen. Er ist der Edelstein unserer Wälder. Doch Weißsee! was für ein abgenutzter Name, einerlei, ob der Teich wegen der Reinheit seines Wassers oder wegen der Farbe seines Sandes so genannt wurde. In dieser und in manch anderer Hinsicht ist er übrigens der kleinere Zwillingsbruder des Walden. Sie gleichen einander so sehr, daß man an einen unterirdischen Zusammenhang zwischen ihnen glauben möchte. Er hat das gleiche steinige Ufer, und seine Fluten zeigen die gleiche Färbung. Wie bei Walden ist die Farbe seines Wassers grünlichblau oder graublau, wenn man an schwülen Hundstagen durch die Wälder auf eine seiner Buchten niederblickt, die wegen ihrer geringen Tiefe durch die Reflexe des Bodens farbig leuchten. Vor vielen Jahren fuhr ich oft dorthin, um ganze Wagenladungen voll Teichsand zu holen, der zur Herstellung von Sandpapier verwendet wurde. Seit der Zeit habe ich ihn oft besucht. Ein häufiger Gast an seinem Gestade schlug den Namen Grünsee für ihn vor. Vielleicht könnte man ihn Gelbtannensee nennen, und zwar aus folgendem Grunde: Vor ungefähr fünfzehn Jahren konnte man die Spitze einer Pechtanne – hierorts sagt man Gelbtanne, obwohl sie keine besondere Abart repräsentiert – aus tiefem Wasser über die Oberfläche hinausragen sehen, viele Klafter vom Ufer entfernt. Man schloß sogar aus dieser Tatsache, daß der See durch eine Erdsenkung entstanden sei und daß diese Tanne dem Walde angehört habe, der einst hier stand. In der »topographischen Beschreibung der Stadt Concord«, die von einem Bürger daselbst herrührend in der Sammlung der historischen Gesellschaft von Massachusetts aufbewahrt wird und bis zum Jahre 1792 zurückreicht, fand ich eine bemerkenswerte Angabe. Der Verfasser spricht zunächst über den Walden- und Weißsee und fährt dann fort: »In der Mitte des Weißsees sieht man bei sehr niedrigem Wasserstand einen Baum, dessen Stellung den Eindruck macht, als sei er an der Stelle, wo er sich jetzt befindet, gewachsen, obwohl seine Wurzeln sich fünfzig Fuß tief unter dem Wasserspiegel befinden. Die Spitze dieses Baumes ist abgebrochen und die Bruchstelle besitzt einen Durchmesser von vierzehn Zoll.« Im Frühling 1849 unterhielt ich mich mit einem Mann, der ganz nahe am Teich in Sudbury wohnte. Der erzählte mir, daß er es gewesen sei, der diesen Baum vor zehn oder fünfzehn Jahren herausgeholt habe. Soweit er sich erinnern konnte, befand sich derselbe ungefähr zweihundert bis zweihundertundvierzig Fuß vom Ufer entfernt, dort wo das Wasser eine Tiefe von ungefähr dreißig bis vierzig Fuß hatte. Es war Winter. Vormittags hatte er Eis gehauen und sich entschlossen, nachmittags mit Hilfe einiger Nachbarn die Gelbtanne herauszuziehen. Er sägte gegen das Ufer hin einen Kanal in das Eis und begann mit einigen von den Nachbarn geliehenen Ochsen den Baum erst durch den Kanal hindurch und dann aufs Eis hinaufzuheben. Doch kaum hatte er sein Werk begonnen, da bemerkte er schon, daß das falsche Ende des Baumes nach oben stand, daß alle Aststumpfen nach unten zeigten, daß das dünne Ende fest im sandigen Boden steckte. Am dicken Ende betrug der Durchmesser ungefähr einen Fuß. Der gute Mann hatte gehofft, den Baum zu brauchbaren Brettern zersägen zu können, doch fand er das Holz so vermodert, daß es – wenn überhaupt – höchstens zur Feuerung benutzt werden konnte. Unter einem Wetterdach lagerten noch Reste davon. An dem einen Ende konnte man Spuren von einer Axt und von Spechten bemerken. Der Mann glaubte, der Baum sei bereits abgestorben gewesen, als er noch am Ufer stand und sei schließlich in den See geweht. Die Spitze habe sich dann mit Wasser vollgesogen, während das breite Ende noch eine Zeitlang trocken und mithin leicht blieb. Dann sei er allmählich in den See hinausgetrieben und versunken, die Wurzeln nach oben streckend. Selbst der achtzigjährige Vater dieses Mannes konnte sich an keine Zeit erinnern, wo der Baum nicht dortgewesen sei. Mehrere große Stämme kann man wohl noch jetzt auf dem Boden liegen sehen, wo sie infolge der Wellenbewegung an der Oberfläche wie sich ringelnde Riesenwasserschlangen wirken.

Dieser Weißsee wurde selten durch ein Boot entweiht, denn er enthält wenig, was einen Fischer locken könnte. Statt der weißen Lilie, die Schlammboden verlangt, oder des gewöhnlichen Kalmus wächst, wenn auch spärlich, rund um das steinige Ufer herum im reinen Wasser die blaue Schwertlilie ( Iris versicolor). Zu ihr kommen im Juni die Kolibris, und die Farbentöne ihrer bläulichen Blätter und Blüten (besonders deren Reflexe) harmonieren prächtig mit dem bläulichgrünen Wasser.

Weißsee und Walden sind große Kristalle auf der Oberfläche der Erde. Seen von Licht! Wären sie dauernd erstarrt und klein genug, um mit den Händen ergriffen zu werden, dann würden sie vielleicht, wie kostbare Steine, von Sklaven geraubt, um Kaiserkronen zu schmücken. Doch da sie flüssig sind, weithin sich erstrecken, uns und unsern Nachkommen für alle Zeiten zugesprochen wurden, schätzen wir sie gering und laufen dem Diamant Kohinoor nach. Sie sind zu rein, um einen Marktpreis zu haben. Sie enthalten nichts unreines. Wieviel schöner sind sie als unser Leben, wieviel durchsichtiger als unser Charakter. Von ihnen haben wir nichts Niedriges gelernt. Um wieviel reiner sind sie als der Sumpf vor des Farmers Haus, auf dem die Enten schwimmen. Hierher kommen echte Wildenten. Die Natur hat keinen Einwohner, der sie zu würdigen weiß. Der Vögel Gefieder und Gesang harmoniert mit den Blumen. Doch welcher Jüngling, welches Mädchen versenkt sich mit Inbrunst in die wilde, wonnige Schönheit der Natur? Sie blüht meistens im Verborgenen, fern von den Städten, wo die Menschen wohnen. Schwätzt vom Himmel – Ihr entweiht die Erde!


 << zurück weiter >>