Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Neunzehntes Kapitel

»Begreifen Sie das nicht? Es ist doch so einfach!« sagte der Bezirksamtmann Otteneder und richtete ungeduldige Blicke bald auf Sylvester und bald auf den Schuller. »Ist das so schwer zu begreifen?« wiederholte er.

»Ja, und ich werde es nie verstehen«, sagte Sylvester.

»Dann will ich es Ihnen noch einmal sagen, obwohl ich eigentlich keine Zeit habe. Sie sagen mir, daß die Angaben des Pfarrers Held gefälscht sind, das heißt, daß sie nicht von ihm geschrieben wurden. Also was ist jetzt? Glauben Sie, daß ich meinen Beschluß umstoßen und den Vöst zum Bürgermeister machen soll? Das geht nicht und ist überhaupt unmöglich. Außerdem, woher wissen Sie, daß ich wegen der Beschuldigungen, die auf dem Zettel standen, die Bestätigung verweigerte?«

»Das steht im Beschluß«, sagte Sylvester.

»Nein; lesen Sie ihn doch genau! Es heißt: ›Diese Beschuldigungen liegen weit zurück und sind nicht bewiesen.‹ Also ich habe keinen Wert darauf gelegt. Aber – jetzt hören Sie zu! –, aber der Glaube an diese Behauptungen hat gezeigt, daß der gewählte Bürgermeister der Achtung entbehrt, nicht bei allen, aber bei vielen Gemeindemitgliedern. Und das ist nicht zulässig, denn Autorität und Achtung gehören zusammen.«

»Wenn aber jetzt...«

»Einen Augenblick! Außerdem habe ich hervorgehoben, daß der Glaube an diese Beschuldigungen bereits Auswüchse gezeitigt hat, die wiederum ganz unverträglich sind mit der Stellung eines Bürgermeisters. Es ist sogar zu Raufereien gekommen. Sehen Sie, deshalb habe ich die Bestätigung verweigert, und das steht im Beschlusse.« – »Derf i jetzt amal reden?« fragte der Schuller.

»Ja. Ich hab Sie überhaupt noch immer angehört.«

»Sie sagn, daß der gfälschte Zettl für Eahna koa Bedeutung net ghabt hat. Da muaß i Eahna scho sagn, Herr Bezirksamtmann, Sie reden heut anderst als wia beim erstenmal. Wiar i dös erstmal herin gwen bi, da hab i Eahna gfragt, warum Sie mi abgsetzt hamm. Und Sie hamm gsagt, wegn de bekanntn Tatsachen, weil i Ärgernis gebn hab, weil i mein Vata mißhandelt hab. Dös hamm Sie ausdrücklich gsagt.«

»Sie waren damals so erregt, daß Sie mich nicht verstanden haben.«

»Na, na! I hab Eahna guat verstandn. Wegn de bekanntn Tatsachen, hamm Sie gsagt, und da Flori is dabeigwen. Der ko's beweisen.«

»Sie tun so, als ob ich etwas ableugnen wollte. Ich brauche Ihre Zeugen nicht. Was ich gesagt habe, das vertrete ich schon.«

»Sie sagn aba jetzt, daß dös koa Bedeutung ghabt hätt!«

»Es war nicht maßgebend, sage ich. Natürlich habe ich von dieser Beschuldigung gesprochen, weil sie beim Akt liegt.«

»Dös war aba d' Hauptsach. Sie hamm no zu mir gsagt, i derf den Zettl gar it anzweifeln.«

»Im Beschlusse steht ganz deutlich, warum ich Ihre Wahl umgestoßen habe. Sie müssen jetzt nicht mit Geschichten daherkommen.«

»Weil's wahr is. Wegn de bekanntn Tatsachen, hamm Sie gsagt, und weil i Ärgernis gebn hab.«

»Das habe ich geglaubt, und Ihre Mitbürger glaubten es auch. Sie haben die Leute nicht ruhig widerlegt, sondern haben geschimpft und gerauft. Und wer das tut, wird nicht Bürgermeister. Punktum!«

»I will ja gar koana sei; net gschenkt.«

»Was wollen Sie dann überhaupt von mir?«

»Mei Ehr will i hamm!«

»Hab ich sie Ihnen genommen?«

»Jawohl, dös hamm Sie!«

»Sie regen sich auf, Schuller!« sagte Sylvester. »Das hilft nichts. Herr Bezirksamtmann, erlauben Sie noch eine Bemerkung! Der ganze Streit ist doch damit angegangen, daß der Herr Pfarrer den Zettel hergezeigt hat!«

»Ja, und?«

»Und wenn jetzt bewiesen wird, daß der Zettel gefälscht ist und daß die Beschuldigung erfunden ist, dann muß doch alles rückgängig gemacht werden!«

»Was soll man rückgängig machen?«

»Ich meine, die Verleumdung muß widerrufen werden.«

»Von wem?«

»Vom Herrn Pfarrer, weil er sie verbreitet hat.«

»Gut! Verlangen Sie das von ihm!«

»Der Schuller meint, Sie sollen es ihm amtlich befehlen.

»Wie soll ich denn das machen?«

»Er hat Sie doch getäuscht!«

»Angenommen, er hätte mir die Unwahrheit gesagt, warum soll ich ihn zum Widerruf zwingen? Das tut doch immer der Beleidigte!«

»Wenn er Ihnen amtlich eine Fälschung vorgelegt hat!

»Es ist haarsträubend!« sagte Otteneder. »Sie reden immer, als wenn gerichtlich eine Fälschung festgestellt wäre. Das ist doch bloß Ihre Behauptung! Was fange ich damit an? Wenn ich sie weitergebe, verklagt der Pfarrer mich. Das darf ich doch nicht!«

»Dös derfen Sie net?«

»Nein! Ich werde mich hüten.«

»Aba gegn mi, da hamm Sie scho derfen? Da hamm Eahna Sie net ghüat!«

»Schreien Sie mich nicht so an!«

»Da hat's koan Beweis braucht, gel? Da hamm S' alls weitergebn derfen? Jetzt is anderst, weil der Fälscher koa Bauer is!«

»Was erlauben Sie sich denn?«

»Ja so! Sie san ja a Herr Beamter! Da müaßt i eigentli Respekt ham vor Eahna! Aha da feit's weit! Und i gab mi net her zu dem, was Sie to hamm. Gengan S' zua, Herr Mang! Mir hamm nix mehr verlorn da herin.«

»Schuller!«

Aber der war schon zur Türe hinaus, und Sylvester stand allein vor dem erzürnten Bezirksamtmann.

»Was haben Sie sich eigentlich hineinzumischen?« herrschte ihn Otteneder an. »Sie könnten was Besseres tun als diesen rabiaten Menschen aufreizen.«

»Ich weiß, daß ihm Unrecht geschehen ist.«

»Sie sind schnell fertig mit dem Wort! Wie Sie im Handumdrehen eine Fälschung entdecken wollen, das ist ein starkes Stück. Nehmen Sie sich in acht!«

»Ich fürchte mich nicht.«

»Nur nicht zu heldenhaft! Sie könnten sich die Finger einmal bös verbrennen.«

Sylvester verbeugte sich höflich und wandte sich zum Gehen.

Da sagte der Bezirksamtmann noch:

»Richten Sie dem Vöst aus, daß ich ihn nicht belangen werde wegen seines Benehmens. Ich denke mir, er war nicht zurechnungsfähig.«

 

Im Stiegenhause wartete der Schuller.

»Ist es Ihnen recht, wenn wir ins Amtsgericht gehen?« fragte Sylvester.

»Was toa?«

»Sie müssen Ihr Recht suchen.«

»Na, Herr Mang, dös suach i nimmer. I fahr hoam.«

»Aber warum?«

»Weil alls umsunst is. De hamm 's Recht so guat vasteckt, daß's i meiner Lebtag net find. Und wenn i's gfunden hätt, nehman s' ma's weg unter da Hand.«

»Sie müssen nicht gleich die Hoffnung aufgeben!«

»Glei! I hab's net glei aufgeben. Sie wissen dös net. I hab mi eigspreizt mit Händ und Füaß, und zwinga muaß i's, hab i gmoant, und nacha – ah was!«

Er nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirne.

»Es muß gehen«, ermunterte Sylvester.

»Sie san no jung und mögen's net glaabn, daß ma mitn Recht nachgebn muaß. Aba es is do a so. Mir fahrn hoam, Herr Sylvester.«

 

Ostersonntag.

Man läutete mit allen Glocken, und das Hochamt war zu Ende. Die jungen Burschen eilten zuerst aus der Kirche und standen in Gruppen beieinander.

Es gab noch etwas zu sehen, wenn die Mädeln in hochbepackten Körben das Geweihte heimtrugen.

Da lagen obenauf die buntgefärbten Eier, daneben saftige Schinken, Brot, Fleisch und Salz, und wer ein übriges tun wollte, setzte auf die schmackhaften Dinge ein schneeweißes Osterlamm aus Zuckerteig. Die Burschen musterten die Körbe und ihre Trägerinnen und sagten jeder etwas Lustiges. Die älteren Leute schritten langsam durch den Friedhof; die Männer sahen über die Mauer weg auf die Felder, deren Saatfurchen sich in langen Reihen die Hügel hinaufzogen.

Unter den letzten kamen die Honoratioren von Erlbach. Der Lehrer, der Schulgehilfe, der Postexpeditor und der Stationskommandant mit seiner Frau.

Sie redeten von dem Verlaufe des Hochamtes, und Herr Stegmüller fragte, ob man nichts gemerkt habe, daß die Schallmaier-Zenzi beim Kyrieeleison viel zu spät eingesetzt habe. Er könne ihr das nicht abgewöhnen, denn sie habe eigentlich kein gutes Musikgehör. Die Frau Kommandant sagte, sie habe es wohl bemerkt, und sie glaube auch, daß es dem Herrn Pfarrer aufgefallen sei, denn er habe seinen Kopf umgedreht und zum Chor hinaufgeschaut.

Und schad sei es, sagte der Hilfslehrer, daß der Herr Mang nicht mitgesungen habe. Im vorigen Jahr habe es so schön geklungen, das Solo beim Agnus Dei. Er selber habe es lang nicht so gut herausgebracht.

Das ließ die Frau Kommandant nicht gelten, und ihr Mann stimmte bei, daß der Herr Hilfslehrer ebenfalls eine ausgezeichnete Stimme habe.

Aber warum der Herr Mang weggeblieben sei?

»Ich weiß's net«, antwortete Stegmüller. »Gestern abend is er zu mir kommen und hat gsagt, er wär net aufglegt zum Singen.«

»Geht's seiner Mutter wieder schlechter?«

»Nein, die erholt sich recht gut.«

»Vielleicht mag er nicht, weil er gegn den Herrn Pfarrer was hat«, meinte die Frau Kommandant. »Er war gestern mitn Schuller in Nußbach.«

»Gestern?« Stegmüller blieb stehen. »Von dem hat er mir nichts gsagt.«

»Mein Mann hat's erfahren, gelt, Karl?«

»Ja; er war im Bezirksamt, von meine Leut hat 'n einer gsehen.«

»So, so?«

»Es gfallt mir eigentlich nicht, daß er Partei nimmt«, sagte der Kommandant. »Grad jetzt, weil er austreten is, schaut's a bissel sonderbar aus.«

Seine Frau stieß ihn an.

»Du, da grüßt dich ein Soldat!«

Der Schuller-Sepp stand bei den Burschen und machte Front vor dem militärischen Vorgesetzten und Rührt euch, als dieser abwinkte. Und er machte es so stramm, wie man's lernt beim zwölften Regiment.

»Ein ordentlicher Bursch!« sagte der Kommandant. »Er macht sich gut beim Militär. Was is? Gehn wir zum Frühschoppn. Zu Ehren des Festes?«

Stegmüller und der Hilfslehrer waren einverstanden, und die Frau Kommandant sagte, sie gehe mit, aber sie müsse gleich wieder heim zum Kochen.

Die Wirtsstube war nicht so voll wie sonst an den Festtagen; denn Bauer und Knecht trachteten heim, um das Geweihte zu essen. Zwei Tische waren mit Gästen besetzt, und sie grüßten alle freundlich, als die Honoratioren an ihnen vorbei ins Nebenzimmer gingen.

Neben dem Ofen saß noch ein Mann allein.

Er hatte die Arme verschränkt auf den Tisch gelegt und sah nicht auf. Der Kommandant bemerkte ihn.

»Is das net der Schuller?« fragte er und schaute noch einmal aus dem Nebenzimmer zurück.

»Ich glaub, er war's«, antwortete Stegmüller.

Als die Kellnerin kam, fragte der Kommandant wieder.

»Gelt, der Schuller sitzt draußen?«

»Ja, er is scho seit a paar Stund da und redt und deut nix.«

»Er kommt sonst net oft zu Euch?«

»Scho seit a paar Monat is er nimmer reiganga. Heut is er unter da Kirch daherkemma. Und jetzt trinkt er oa Halbe nach der andern.«

»Der muß was Bsonderes haben«, sagte der Kommandant. »Also prost, Herr Lehrer, aufs Wohlsein!«

 

»Wo gehst denn hi, Sepp?« fragte die Schullerin.

»Auf Webling umi.«

»Geh, bleib do und geh zu unsern Wirt abi!« – »Warum nacha?«

»Du tatst mir an Gfalln. Da Vata hockt drunt scho seit in der Fruah. Dös woaß i net, so lang ma verheirat san.«

»Wenns d' moanst, gehn i halt abi. Aba daß du gar a so ängstli bist?«

»Jetz is fünfi aufn Abend. Und seit in der Fruah hockt er drunt.«

»Es freut 'n halt amal.«

»Na, wegn da Freud tuat er's net. Du woaßt, wiar a gestern hoamkemma is. Koa Wort gredt, und heut is er furt in aller Fruah. I hab gmoant, er geht vors Dorf außi und schaugt draußd umanand. Derweil sagt ma d' Zwerger-Marie, daß er beim Wirt hockt. – Und jetzt hon i gar koa Ruah nimmer.«

»Deswegn brauchst net z' woana, Muatta!«

»Is ja wahr! Weil er dös no gar nia to hat! Jetzt trinkt er gwiß in d' Wuat eini, und es kunnt eahm was gschehgn. Net amal zum Gweichtn is er kemma.«

»I geh jetzt abi. Bal i dabei bin, feit si nix.«

»Aba gwiß! Und schaug, daß er bald mit dir hoamgeht!«

Sepp machte sich auf den Weg ins Wirtshaus. Als er ins Gastzimmer eintrat, schlug ihm dichter Tabakrauch entgegen, und er schaute sich um, ob er in dem dichten Gedränge nicht den Vater sehen könne.

An jedem Tisch wurde er angehalten.

»Ah, da Sepp! Grüaß di Good! Hamm s' di außalaßn auf Urlaub? Da geh her! Trink amal!«

»Suachst gwiß dein Vata?« fragte der alte Weiß-Flori. »Dort hint hockt a beim Ofa.«

Sepp sah hin.

Da saß der Schuller noch am nämlichen Platze wie in der Frühe.

Den Hut hatte er ins Genick geschoben, und er stierte mit gläsernen Augen vor sich hin.

Es waren viele Leute an seinem Tisch. Der Kloiber, der Zwerger und andere. Auch der Haberlschneider saß dort.

Sepp reichte seinem Vater die Hand über den Tisch hinüber.

»Grüaß Good, Vata!«

»Was? Ah, du bischt's! Bischt du aa do?«

»Freili. I hon amal schaugn wolln, wia's dir geht.«

»Was?«

»Wia's dir geht, hon i schaugn wolln.«

»Ja, mir geht's guat. Grad luschtig bin i! Da, sauf aus! Herrgottsakrament!«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Kellnerin! No a Halbe! Heut gehn i net hoam.«

Er rückte den Hut in die Stirne und sang mit heiserer Stimme:

»A frische Maß Bier
Hat an Fam, an weißen,
Und heunt geh ma net hoam,
Bis s' uns außischmeißen.«

Dann legte er sich mit verschränkten Armen weit in den Tisch hinein.

Der Haberlschneider gab Sepp einen Wink.

»Schaug, daß d' 'n hoambringst!«

»Is scho recht.«

Der Schuller stierte nach der Stelle, wo Sepp gestanden hatte.

»Wo is denn da Sepp hikemma? Is er scho wieda furt?«

»I bin scho da, Vata.«

»Na, sauf amal! Herrgottsakrament!«

»Moanst it, mir gengan hoam?«

»Was?«

»Besser waar's, wenn mir hoamgengan.«

»Mir? I geh net hoam.«

»D' Muatta is in der Angst, weils d' it beim Essen gwen bist.«

»Um mi braucht gar neamd an Angst hamm. Durchaus gar net. I verdirb no lang it, bal's aa hoaßt, daß i der Allerschlechter bi vo ganz Erlbach.«

Er schaute den Kloiber, der ihm gegenübersaß, starr an und schrie wieder:

»Um mi braucht neamd an Angst ham. I verdirb no lang it.«

»Dös behaupt ja koa Mensch net«, beschwichtigte ihn der Haberlschneider.

»Behauptst du dös net? Aba, da gibt's grad gnua, de dös behauptn. I kenn s' alle mitanand, de Haderlumpn. Da verdirbt scho an anderner, aber i net.«

»I hab gsagt, daß d' Muatta in der Angst is«, fiel Sepp ein.

»Zu was denn? De braucht aa koan Angst net hamm.«

»Sie sagt, weils d' net amal zum Gweichtn kemma bischt.«

»I mag nix, was da Baustätter weicht. Der ko überhaupt nix weicha, der mit sein gfälschtn Papier!«

»Schmeißts 'n halt außi, bal er bsuffn is!« schrie eine grobe Stimme vom nächsten Tische herüber.

Es war der Hierangl. Er stand halb von seinem Platze auf und schrie wieder: »Koa Bsuffener ghört da net rei!«

Der Haberlschneider stellte sich vor ihn hin.

»Du bist staad, gel?« sagte er ruhig.

»Wegn dir? Auf di paß i gar it auf.«

»Bals d' an Streit ofangst, hast as z'erscht mit mir z' toa!«

Der Lochmann zog den Hierangl auf seinen Stuhl zurück. »Laß's guat sei!« mahnte er.

»Was brauchn denn mir den bsuffena Kerl da herin? An anderner wurd scho lang außigschmissen.« Die letzten Worte knurrte der Hierangl vor sich hin; dann war er still.

»Was geit's?« fragte der Schuller. »Wer will mi außischmeißn?«

»Es is nix gwen, Vata.«

»Bin i vielleicht oan z' schlecht zum Dableibn?«

»Dös sagt neamd.«

»I bi scho da Allerschlechtest vo ganz Erlbach. A jeder derf mi verachtn.«

»Was is, Schuller?« mahnte der Haberlschneider. »I geh jetzt. Kimmst d' net mit?«

»Was?«

»Obs d' it mitgehst? I hätt mit dir was z' redn.«

»Du? Möchtst d' wieder sagn, i soll aufs Bezirksamt eini? Aba i geh net. Vo mir aus bringan s' lauter gfälschte Papier daher!«

»Geh mit!«

»Na, sag i. Und ins Bezirksamt geh i nimma. Z'erscht muaß da Pfarra ins Zuchthaus! Und da Hierangl dazua!«

»Da ghörst scho du nei, du ganz Schlechter!«

Der Hierangl schrie es herüber, und diesmal erkannte der Schuller die Stimme.

Er fuhr auf, daß der Tisch wankte und die Gläser umfielen.

»Bist du da? Du!«

Er wollte zur Bank hinaus, aber Sepp hielt ihn fest.

»Laß mi aus!« keuchte der Schuller. »Auslaßn tua mi!«

»Na, Vata! Bleib!«

»Auslaß!«

»Hau eahm oane nei! Er hat's sein Vatern grad a so gmacht!« schrie der Hierangl.

»Herrgott! Herrgott! Auslaßn tua mi!« Der Schuller rang wütend mit Sepp.

Der Tisch fiel um, alle sprangen auf. Von den anderen Tischen stürzten die Leute heran.

Abmahnende Rufe, gellendes Schreien und Schimpfen, ein ohrenbetäubender Lärm. Und alles übertönte die kreischende Stimme des Schuller.

»Laß mi aus!«

Sepp hielt ihn am rechten Arm, den andern hatte der Haberlschneider untergefaßt.

Der Wirt drängte sich durch. »Dös geht net! Der muaß außi!«

»Tua dei Hand weg!« schrie der Haberlschneider. »Er geht scho selm. Sei gscheit, Schuller!«

Der wehrte sich schwächer und ging ein paar Schritte vorwärts.

Da höhnte der Hierangl noch einmal.

»Gel, Lump! Geht's dir aa net besser wia dein Vata!«

Sepp wandte sich zornig gegen ihn. Und ein Ruck, und der Schuller war frei und packte einen Bierkrug.

Der Hierangl wich erschrocken zurück. Es war zu spät.

»Hund! Da! Und da!«

So wuchtig schlug ihm der Schuller auf den ungedeckten Kopf, daß der Krug in Scherben ging.

Der Hierangl wankte und fiel schwer zu Boden. Sepp riß seinen Vater zurück.

Einen Augenblick war es still, dann erhob sich lautes Schreien.

»Er hat 'n umbracht! Herrgott, wiar a bluat! Wassa! Schnell a Wassa! Holts an Schandarm! Er hat 'n umbracht!«

Der Haberlschneider wehrte ab.

»Helfts an Hierangl! Und laaft oana zum Bader! Und du führst dein Vata hoam, Sepp!«

»Holts an Schandarm! Net außilaßn!«

Der Schuller schaute finster vor sich hin; die Haare hingen ihm wirr in die Stirne herein, und sein Gesicht war verfärbt. »Laßts mi geh!« murmelte er. »I brenn net durch.«

Er war nüchtern geworden. Als er ins Freie kam, blieb er stehen. An seiner rechten Hand rieselte Blut herunter; er hatte sich an den Scherben verletzt.

»Du bluatst ja, Vata! Hat er dir aa was to?«

»Na! Und haltn brauchst d' mi net!«

Er ging mit schwankenden Schritten vorwärts; Sepp blieb ihm dicht an der Seite. Ein paar Buben liefen ihnen voraus und raunten den Leuten zu:

»Da Schuller hat an Hierangl umbracht!«

Und wo der Schuller an einem Hause vorüberkam, versteckten sich Weiber und Kinder hinter der Türe und sahen ihm mit scheuen Blicken nach.

»Sei Hand is no bluati davo«, sagte die Weßbrunnerin.

So lief das Gerücht vor ihnen her, die Gasse hinunter, wie fressendes Feuer.

Und es drang in den Schullerhof, wo die Bäuerin noch immer mit angsterfülltem Herzen wartete. Da hörte sie die Botschaft und eilte auf die Straße hinaus.

Und wie sie die zwei von weitem kommen sah, wußte sie, daß ein Unglück geschehen war.

»Jess', Maria und Joseph! Was hast to?«

Der Schuller ging schweigend an ihr vorbei in seinen Hof.

 

Noch spät in der Nacht brannte die Lampe im Zimmer des Herrn Kommandanten Hermann.

Er hatte einen großen Bogen Papier vor sich und trocknete sorgfältig die Schrift mit dem Löschblatte.

»So, der Bericht is fertig«, sagte er.

»Wieviel Seiten sind's worden?« fragte seine Frau, die ihm gegenüber saß und strickte.

»Sechsahalb.«

»Du hast kein Feiertag das ganze Jahr«, seufzte sie. »Das war wieder ein schönes Ostern!«

»Leider, daß so was vorkommen is. Da kann ma nix machn.«

Er hielt das Schreiben gegen die Lampe und wandte in behaglicher Anerkennung seiner Arbeit die Blätter um.

Die Seiten waren von oben bis unten beschrieben, und eine Zeile stand schnurgerade unter der anderen. Wo ein neuer Abschnitt begann, war der erste Buchstabe schwungvoller geschrieben, und die Namen der Zeugen waren mit roter Tinte säuberlich unterstrichen.

»Ich les dir den Bericht amal vor«, sagte der Kornmandant. »Wenn dir was auffallt, sagst du's mir.«

Der Bericht begann mit der Schilderung der eigenen Wahrnehmung des Herrn Hermann.

»Als ich mich nach dem Hochamte in das unweit der Kirche gelegene Gasthaus des Johann Plöckl begab, bemerkte ich dortselbst den Täter Andreas Vöst allein am Tische sitzend und anscheinend einem reichlichen Biergenusse huldigend, was mir auch die Kellnerin mit den Worten bestätigte, er, der Täter, sei bereits mehrere Stunden anwesend und trinke eine Halbe nach der anderen. Als ich nach einiger Zeit das Gastzimmer beim Verlassen wieder durchschritt, saß Obengenannter noch immer an demselben Platze, ohne mich zu bemerken oder mich zu grüßen, was mir sofort auffiel und mich auf den Gedanken brachte, daß der Täter sich in einer schlechten Gemütsverfassung befand.«

»Du hast mir aber nix gsagt, Karl!« unterbrach ihn seine Frau.

»Was gsagt?«

»Daß dir das aufgfallen is!«

»Denkt hab ich mir's. Auf den Gedanken brachte, heißt's da.«

»Ja so.«

Der Kommandant las weiter. Es kam in ausführlicher Breite die Schilderung der folgenden Nachmittagsstunden, wie sie von den am nämlichen Tische sitzenden Ökonomen Zwerger und Kloiber gegeben wurde; es kam die Schilderung des beginnenden Streites, in dessen Verlaufe der Täter, welcher die ganze Zeit einem reichlichen Biergenusse gehuldigt hatte, durch diesen Zustand gereizt und auch in der Erinnerung an frühere Differenzen beleidigende Worte ausstieß.

Und dann folgte die lebensvolle Darstellung der Tat, welche von den Zeugen nicht übereinstimmend erzählt wurde. Denn, während der verheiratete Gütler Johann Geitner keinerlei beschimpfende Äußerungen seitens des Hierangl vernommen hatte, behauptete der Ökonom Haberlschneider ausdrücklich, daß der Verletzte immer wieder durch höhnische Zurufe den Täter zur Wut gebracht habe, so daß dieser sich auf ihn stürzte und ihn mit einem steinernen Literkruge dergestalt auf das linke Hinterhaupt schlug, daß der letztere bewußtlos zu Boden stürzte und bis jetzt nicht wieder in den Besitz seiner Geisteskräfte gelangte.

Dies alles las der Kommandant vor, und als er fertig war, sagte seine Frau:

»Es sind beinah sieben Seiten, und so schön geschrieben! Was das für eine Arbeit war!«

»Mir tut es leid um den Vöst«, erwiderte er. »Er war ein richtiger Mann, bis die Geschichten gekommen sind.«

»Meinst d', er wird lang eigsperrt?«

»Das kommt drauf an.«

Der Kommandant steckte den Bericht achtsam in ein Kuvert.

»Das kommt drauf an, ob es mildernde Umständ gibt. Und wie's dem Hierangl geht.«

Er gähnte laut.

»Es is Zeit zum Schlafen; zwölf Uhr hat's scho gschlagn.«

Sie löschte die Lampe aus, und nun brannte kein Licht mehr in Erlbach.

Oder nur eins.

Das flackerte unruhig in der Kammer des Hieranglbauern.

 

Als der Tag graute, pochte jemand beim Kommandanten an die Haustüre.

Hermann öffnete das Fenster und rief hinunter:

»Was gibt's?«

»I bin's! Da Bader!«

»Sie, Herr Fröschl? Steht's schlechter?«

»Er ist gstorben vor einer Viertelstund.«

»Sakrament!«

»Er is überhaupt nimmer zum Bewußtsein kommen. Der Schlag hat ihm den ganzen Kopf z'trümmert.«

»Das is a böse Gschicht!«

»Ich hab mir denkt, ich will's Ihnen gleich mitteilen. Und jetzt gut Morgen, Herr Kommandant!«

»Gut Morgen!« Hermann schloß das Fenster und zog sich an.

Als er eine halbe Stunde später durch das Dorf schritt, tönte schrilles Läuten vom Turme. Dreimal setzte es ab. Es war die Sterbeglocke für den Hierangl.

Der Kommandant bog in den Schullerhof ein. Der Bauer kam ihm unter der Tür entgegen.

»I woaß, was Sie wolln«, sagte er. »I hab's Läuten scho ghört. Muaß i mit Eahna geh?«

»Es ist meine Pflicht, Schuller. Ich muß Sie nach Nußbach führn.«

»I geh mit, wia i da steh, bloß mein Huat hol i.«

Er trat in die Stube, und gleich darauf hörte der Kommandant lautes Schreien.

»Jessas? Andrä! Muaßt d' furt! Jessas!«

Die Schullerin stürzte heraus und faßte ihn am Arme.

»Net! Net! Er ko nix dafür! Net furtführn!«

»Frau Vöst, machen Sie's Ihrem Mann nicht schwerer!«

»Na! Na! Um Gotts willn, net furtführn! Er ko nix dafür!«

Der Schuller zog sie sanft zurück.

»Geh zua! Dös muaß amal sei. An Kopf reißen 's mir net ab.« Er wandte sich um und ging rasch zur Türe hinaus. Und ging über den Hof.

Aber wie er auch seine Schritte beschleunigte, die jammernde Stimme tönte hinter ihm her.

Und als er bei den letzten Häusern war, hörte er sie noch.

»Andrä! Gibst d' koa Antwort mehr? Andrä!«


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