Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Achtzehntes Kapitel

Am Gründonnerstag kamen drei lustige Soldaten ins Dorf. Der Zwerger-Jackl und ein Knecht vom Lochmann und dem Schuller sein Ältester.

Sie marschierten singend die Nußbacher Straße herein, und wenn ihnen ein Mädel in den Weg kam, schrien sie ihm kecke Worte zu, wie man sie beim Militär lernt. Beim Zwerger nahmen sie kurzen Abschied voneinander, und der Schuller-Sepp ging im Geschwindschritt heim. Als er nahe am elterlichen Hause war, dachte er, es wäre ein guter Spaß, wenn er seine Leute überrasche. Er schlich um den Stadel herum und schaute zur Küche hinein. Die Mutter stand drinnen am Herd und färbte Ostereier, rote und gelbe. Sie nahm sie vorsichtig aus der Pfanne und legte sie in eine Schüssel.

Da klopfte der Sepp ans Fenster, und sie fuhr erschrocken zusammen.

»Jessas, aber du hoscht mi derschreckt!«

Er lachte, daß man alle Zähne sah.

»Servus! Da kumm i grad recht zu die Osteroar. Gib no glei a paar her, Muatta!«

»Geh no z'erscht ganz eina und sag mir grüaß Gott!«

»Ja, was moanst denn, wiar i Kohldampf schiab!«

»Laß di amal oschaugn mit der Uniform! Broater bischt worn.«

»Dös kimmt vom Gwehrschmiedn; dös treibt oan ausanander.«

Die Schullerin sah mit rechter Zufriedenheit auf ihren Sohn. Er war um ein weniges kleiner als der Vater, aber seine Schultern waren breiter, und wie ihm die blitzblaue Uniform prall ansaß, war er ein Bild von derber Kraft. Und das frische, kecke Wesen stand ihm gut.

»Jetzt gib ma glei a paar Osteroar, weil i's so guat troffen hab«, wiederholte er.

»Muaßt denn du gfarbte hamm? De ghören zu der Weich.«

»So lang kann i net wartn. I friß de mein ungweicht.«

»Da nimm da halt oa!«

Sie schob ihm die Schüssel hin, und er holte sich etliche heraus.

»Wia lang hast denn Urlaub, Sepp?«

»Siebn Tag. Am Mittwoch muaß i wieder eipassiern.«

Er kaute mit vollen Backen.

»Wo is denn der Vata?« fragte er.

»Er is it dahoam.«

»Was? Er werd do it arbetn an die Kartäg?«

»Na, er is zum Haberlschneider umi. Da Herr Mang is do gwen, und nacha san s' mitanand furt.

O mei, was da scho wieder gebn werd!« setzte sie hinzu.

Sepp überhörte ihren Seufzer. Er klopfte ein Ei an der Tischkante auf.

»Und d' Urschula? Daß dir de it hilft?«

»Sie is beim Kind droben.«

Sepp tauchte das Ei ins Salz und schob es in den Mund.

»Ah so!« sagte er. »Da hon i jetzt gar it dro denkt. Ös werds an schön Verdruß ghabt hamm?«

»Es is net der oanzige gwen, Sepp. Bei ins is alls anderscht worn, seit daß du furt bist.«

Und sie erzählte.

Wie der Vater zum Bürgermeister gewählt und wieder abgesetzt wurde, wie das Kind von der Ursula einen Spottnamen hätte kriegen sollen und wie es jetzt einen Prozeß gäbe mit dem Hierangl-Xaver. Der Sepp hörte zu und aß nachdenklich weiter.

Wie die Rede auf den Xaver kam, sagte er, der sei alleweil ein Tropf gewesen, ein miserabliger, und er brauche es notwendig, daß man ihm einmal das Kreuz abschlage, und er wolle seinen Urlaub dazu hernehmen und den Xaver umeinanderschlagen, daß er am Leben verzagen müsse.

»Dös laßt du bleibn!« sagte die Mutter. »Daß d' ma du aa no eini kimmst in de Gschichtn!«

»Es braucht it viel«, meinte der Sepp und reckte sich in den Hüften. »I hab mit dem Bazi scho amal was z' toa ghabt; i habn beim Wirt so dumm an Ofn higschmissen, und bal mi da Zwerger it z'ruckghaltn hätt, waar's eahm schlecht ganga.«

»Sei froh, daß's guat naus ganga is! Und dös muaßt ma versprechn, daß d' in Urlaub nix ofangst damit. Mir waar's gnua.«

Er gab ihr das Versprechen und sagte, er habe das nicht so gemeint, daß er auf der Stelle zum Hierangl gehen wolle, sondern er hätte gemeint, bloß so, wenn es recht leicht ginge.

»Na, na!« wiederholte die Mutter. »Du derfst eahm gar nix toa! Magst it a paar Nudeln? De Oar müassen di ja im Magn drucka.«

»Es werd besser sei, bal i no a Nudel iß«, sagte Sepp. »Und an Kaffee kunnst d' mir aa macha.«

»Den kost hamm. Kriagst d' in da Kasern aar oan?«

»So a braune Brüah geben s' ins in da Fruah. Dös hoaßen s' an Kaffee.«

»Du werst oft denkn, daß's dahoam besser is?«

»De erscht Zeit scho. Nacha gwöhnt ma si an alls, und Hunger kriagt mar aa beim Kasernstopseln.«

»Bei was?«

»Beim Exerziern.«

»Hast d' as recht hart an ganzen Tag?«

»Und bei da Nacht aa. Da hoaßt's Posten brenna.«

»San s' recht grob mit dir?«

»Na, i ko mi net beklagn. Freili, bal si oana recht dumm stellt, nacha werd er scho gschimpft. Aba bei meiner Kumpanie san lauter stramme Teufeln, und bei da Vorstellung san mir weitaus de Bessern gwen.«

Er kam ins Erzählen.

»Dös hättst sehgn solln, wia ma da aufgruckt san. Und z'sammganga is, grad nobl! Da Feldwebel hat ins lobn müassen, und da Hauptmann hat gsagt, die junge Mannschaft macht ihre Sache sehr gut, ich bin sehr zufrieden damit, und da Feldwebel hat gsagt, daß de jungen Grasteufeln viel besser san als wia die alte Blasen. Da hat er aa recht ghabt. Woaßt, beim altn Jahrgang, da san Leut dabei, ganz eiskalte. De tean grad, was s' mögn, und bal s' eigsperrt wern, dös is dena ganz Wurscht.«

»Di hamm s' no nia eigsperrt, Sepp?«

»Na. I laß mi net dawischen.«

»Auf dös derfst di aba net verlassen.«

»Ah was! A bissel schlau muaß ma sei, nacha geht's scho. Z'nachst bin i um elfi auf d' Nacht im Wirtshaus ghockt und hab koa Erlaubnis net ghabt. Auf oamal kimmt d' Patrouill daher. An Unteroffizier von der fünften Kumpanie. Wiar a vorn bei da Tür eina is, bin i hint bei da Schenk außi. Er nach wia da Teufi, i außi in Hof und übern Zaun umi. Gsehgn hat er mi, aber kennt hat er mi net. In der Wirtschaft hat's eahm oana gstochen, daß der betreffende Soldat vom zwölften Regiment war; bloß d' Kumpanie hat er net ogebn könna.

Jetzt hamm s' in da Früah bei jeder Kumpanie gfragt und hamm gsagt, der Mann soll sich melden, weil er erkannt worden ist.

I bin aba net so dumm gwen.«

»Bal s' di aba rausbracht hättn!«

»De bringen nix raus, bal ma schlau is. De hamm gmoant, es war oana von der alten Mannschaft. Da Feldwebel hat gsagt: Ich weiß schon, das ist die alte Blasen, die glaubt, sie darf sich recht viel Kraut rausnehma. Aber wenn ich den Betreffenden ausfindig mache, den leg ich fünf Tag auf die Latten, den Herrgottsakrament, hat er gsagt.«

»Der Ertl-Hans hat hoam gschriebn, daß er si halt gar it eigwöhna ko bei der Militari.«

»Was will denn der sagn, z' Münka drin? Der müaßt erst was spanna, wia's bei uns is. De wissen ja gar nix in da Stadt drin, de Grasteufeln!«

Der Sepp war ein martialischer Soldat und ein treuer Anhänger des zwölften Regiments.

Und seine Mutter hörte ihm aufmerksam zu, während sie die Eier ins sprudelnde Wasser legte.

Da klangen rasche Schritte im Gange, und der Schuller trat ein.

Sein Gesicht verriet eine starke Aufregung, aber keine traurige; seine Augen blitzten, um den Mund lag ein freudiges Lachen, und die Stimme klang kräftig wie schon lange nicht mehr, als er den Sepp begrüßte.

»Bist da? Dös is recht. Da Schnurrbart is dir gwachsen. Jetzt kannst 'n scho bald aufdrahn.«

»Ja, was hoscht denn du?« rief die Schullerin.

»Nix Schlechts net. D' Lumperei kimmt auf!« Und er patschte kräftig auf seine Knie.

»Woaßt, Sepp, i hon a schlechte Zeit ghabt, aba jetzt geht's wieder besser.«

»D' Muatta hat ma's gsagt.«

»Hat s' da's gsagt? Woaßt, sie hättn mi ganz schlecht gmacht mit lauter Lugn, und i waar gar nix mehr gwen. Aha jetzt is de Gschicht offenbar worn.«

»Was hat's denn geben? Erzähl halt amal!« drängte die Bäuerin. Und der Schuller erzählte.

Sepp mußte sich wundern über den Vater. Der war immer so ernst und wortkarg gewesen; jetzt redete er hastig, als könne er die Worte nicht schnell genug herausbringen, und schlug mit der Faust auf die Tischplatte oder wischte sich mit dem Ärmel über die Stirne, weil es ihm heiß wurde vor lauter Lebhaftigkeit.

Er is ganz anders wie früherszeiten, dachte Sepp.

 

Es hatte sich aber etwas Merkwürdiges ereignet; und das war so: Den dritten oder vierten Tag nach seiner Ankunft ging Sylvester zum Lehrer Stegmüller und sagte ihm, welchen Entschluß er mit Billigung seiner Mutter gefaßt habe.

Stegmüller wußte das Hauptsächlichste bereits aus den Prophezeiungen des Herrn Kooperators und der Bäcker-Ulrich-Marie; er war nur überrascht, daß Sylvester nicht zum Theater gehen wollte.

Sitzberger hatte es feierlich versichert, und er hatte es geglaubt. Einmal wegen der schönen Stimme, und dann wegen der Anziehungskraft der freien Kunst, die er selbst in seiner Jugend verspürt hatte.

Nun war es ihm doch lieb, zu hören, daß der junge Mang sich nicht auf den schwanken Boden stellen wollte.

Er lobte ihn darum und bezeigte ihm aufrichtige Anerkennung, weil er sich so gefaßt und unbekümmert seine Zukunft selber aufbauen wollte.

Wie hätte sich wohl der Pfarrer Held über seinen Schützling gewundert! Er hätte sicherlich den Entschluß gebilligt und gesagt, jeder müsse tun, was er für recht erkenne. Der jetzige Pfarrer urteile wohl anders.

Und da war Stegmüller in ein Gespräch geraten, das er mit großer Vorsicht, aber doch gerne pflegte. Mit unterdrückten Seufzern und halben Andeutungen gab er Sylvester zu verstehen, daß sich vieles geändert habe und daß die Neuerung nicht gerade eine Besserung bedeute. Und dabei kam er auch auf den Schuller zu sprechen. Er erzählte Sylvester, welche schlimmen Kränkungen den Mann angegangen hätten, eine nach der andern; aber freilich, die schwerste Beschuldigung stamme von Held her. Und er beschrieb den Vorfall mit ausführlicher Breite.

Sylvester sagte, das glaube er nicht. Der alte Herr hätte so etwas nicht getan.

Stegmüller zog die Achseln in die Höhe.

Ihm sei es ja auch sonderbar vorgekommen, aber man müsse es wohl glauben. Ihm tue es leid um den Schuller.

Und ihm noch mehr um das Andenken Helds, sagte Sylvester. Wie man ihm das nachsagen könne! Wenn der etwas Schlechtes von einem gewußt hätte, dann hätte er ihm gründlich die Wahrheit gesagt, aber nicht heimlich eine Anklage geschrieben.

Das sei früher auch seine Meinung gewesen, versicherte Stegmüller. Aber...

Und gerade beim Schuller, unterbrach ihn Sylvester, da sei es nun ganz unmöglich. Held habe einmal gesagt, wie unrecht es sei, verächtlich von der Hartherzigkeit und dem Eigennutz der Bauern zu reden. Wer das tue, wisse nicht, wieviel man der zähen Art der Bauern verdanke; wie sie unser Volkstum unverfälscht von Geschlecht zu Geschlecht vererbten und aus den Trümmern immer wieder das alte Vaterland aufgebaut hätten.

Und da habe Held den Schuller als Beispiel angeführt. Das sei so einer, der sich nicht beugen lasse und der mit unverdrossenem Fleiße seine kleine Welt in Ordnung halte.

Wie könne man dieses Lob übereinbringen mit der heimlichen Anklage? Und wer dürfe glauben, daß Held den Mann schwer schädigte, dessen Tüchtigkeit ihm so viel galt?

Das sei alles recht schön, meinte Stegmüller. Aber vielleicht habe Held seine gute Meinung später geändert.

Nein, sagte Sylvester, denn dieses Lob habe er in der letzten Zeit von Held gehört. Und wenige Monate später sei der alte Herr gestorben.

Dann habe er den Zettel vielleicht früher geschrieben und habe erst nachträglich eine bessere Meinung vom Schuller erhalten, erwiderte der hartnäckige Stegmüller.

Jedenfalls sei der Zettel da, und er möchte Sylvester nicht raten, solche Zweifel auszusprechen. Überhaupt müsse man froh sein, wenn die Sache nach und nach einschlafe. Das sei auch für den Schuller das beste.

Sylvester war nicht zu ängstlich auf seiner Hut, und es mochte wohl sein, daß die Weberin einiges hörte, von der es wieder die Bäcker-Ulrich-Marie und auf diesem Umwege der Herr Kooperator erfuhr.

Vielleicht kam die Kunde auch auf andere Weise in den Pfarrhof; jedenfalls ließ Baustätter den Herrn Mang um seinen Besuch bitten.

Sylvester dachte, er wolle mit ihm Rücksprache nehmen wegen seines Abschiedes vom geistlichen Berufe, und fand sich zur festgesetzten Stunde im Pfarrhof ein.

Der Gang war ihm nicht lieb. Er hatte es nach jenem ersten Besuche vermieden, mit Baustätter zusammenzutreffen. Aber er gestand dem Pfarrer das Recht zu, in dieser Angelegenheit von ihm selbst die Wahrheit zu erfahren, und er hielt es für gut, wenn er mit einer bündigen Erklärung den Klatsch aus der Welt schaffte.

Baustätter empfing ihn wohlwollend.

»Ah, der Herr Studiosus! Wollen Sie Platz nehmen?«

Sylvester musterte mit einem raschen Blicke den Raum, der ehedem so behaglich war und von dessen Wänden jetzt aufdringliche Frömmigkeit auf ihn herunterstarrte.

»Setzen Sie sich doch!« wiederholte der Pfarrer.

»Ich danke, wenn Sie erlauben, stehe ich lieber.«

»Wie Sie wünschen. Ich habe Sie um Ihren Besuch gebeten, Herr Mang, weil mir Verschiedenes berichtet wurde. Sie wollen dem priesterlichen Stande entsagen?«

»Ja, Hochwürden.«

»Ich habe Ihnen keinen Vorwurf zu machen. Sie werden sich geprüft haben, warum Sie diesem erhabenen Stande nicht angehören wollen.«

»Ich habe es lange überlegt.«

»Wer nicht allem absagt, kann nicht mein Jünger sein, steht geschrieben. Wenn Sie die weltlichen Interessen höher achteten, dann war es besser, daß Sie zurücktraten.«

»Ich habe keine rechte Freude dazu. Und die muß man doch haben!«

»Gewiß! Man muß sich vom Weltgeiste losschälen. Nisi quis renuntiaverit omnibus. Aber haben Sie überlegt, was Sie aufgeben wegen dieser verkehrten Welt? Wird nicht eines Tages die Stunde kommen, wo Sie den Tausch bitter bereuen?«

»Ich glaube nicht, Hochwürden.«

»Und ich hoffe es nicht. Wie gesagt, ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Als ich von Ihrem Entschlusse hörte, habe ich Sie in mein Gebet eingeschlossen. Und ich dachte, wenn ihn nur kein niedriger Beweggrund veranlaßt hat!«

»Nein, Herr Pfarrer.«

Sylvester begegnete den Blicken Baustätters. Die waren stechend auf ihn gerichtet. Jetzt huschten sie weg und senkten sich auf die fleischigen Hände, welche wie zum Gebete gefaltet waren.

»Es ist mir gesagt worden, daß Sie wegen eines Mädchens auf Ihrem Wege umkehrten.«

»Wer hat das gesagt?«

»Man hat es allgemein behauptet. Aber ich glaubte es nicht. Ich konnte mir nicht denken, daß ein ehrbares Mädchen seine Wünsche auf einen richtet, der sich zum priesterlichen Berufe vorbereitet.«

Sylvester fühlte, wie ihm die heiße Röte ins Gesicht stieg.

Wieder begegnete er dem lauernden Blick. Es lag etwas Feindseliges in diesen Augen. Sie verrieten Gedanken, die nichts zu tun hatten mit den salbungsvollen Worten.

»Und Sie haben sich ausgesöhnt mit denen, welche eigentlich ein Recht haben auf die Vollendung Ihrer Studien?«

»Es hat keine Aussöhnung gebraucht. Meine Mutter wollte mich überhaupt nicht zwingen.«

»Das ist gewiß vernünftig. Aber es gibt noch jemand, den Ihr Entschluß sehr nahe angeht. Ihren Vetter.«

»Ich habe ihm geschrieben.«

»Und er hat Ihnen schon geantwortet?«

»Nein. Ich glaube auch nicht, daß er mir schreibt. Vielleicht kommt er an den Feiertagen herüber.«

»Sie wissen also nicht, wie er über die Sache denkt?«

»Nein.«

»Mein Kooperator war gestern zufällig in Pasenbach. Er hat mit Ihrem Herrn Vetter gesprochen.«

Baustätter machte eine Pause. Er wollte sehen, wie diese Mitteilung wirkte. Sie wirkte nicht stark.

Sylvester kannte den hochwürdigen Herrn Sitzberger, und er kannte darum auch den Zufall, der ihn nach Pasenbach geführt hatte.

»So, er hat meinen Vetter getroffen?« fragte er gleichmütig.

»Ja, und ich muß Ihnen zu meinem Bedauern sagen, daß der alte Mann sehr unglücklich ist und sehr entrüstet.«

»Das tut mir leid, Herr Pfarrer. Vielleicht kann ich ihn beruhigen, wenn ich selber mit ihm rede.«

»Das glaube ich nicht. Er sagte, daß er elf Jahre das Geld für Ihre Studien hergegeben habe, bloß auf das Versprechen, daß Sie Geistlicher werden. Und Sie hätten ihn getäuscht. Vielmehr betrogen, sagte er. Er gebrauchte nämlich sehr starke Ausdrücke.«

In Sylvester stieg der Zorn auf.

»Wenn mein Vetter das wirklich gesagt hat, dann weiß er nicht, was er redet.«

»Sie zweifeln doch nicht daran? Wenn Sie wünschen, kann Ihnen mein Kooperator das selbst bestätigen.«

»Ich danke, Herr Pfarrer. Ich meine, darüber habe ich eigentlich nur mit meinem Vetter zu verhandeln.«

»Gewiß. Aber Sie dürfen dem alten Manne nicht zürnen. Bedenken Sie doch, wenn er wirklich das Geld nur in dieser Hoffnung gegeben hat! Und wenn man ihm diese Hoffnung gemacht hat!«

»Solange ich Geld von ihm genommen habe, wußte ich nichts anderes, als daß ich Geistlicher werde.«

»Sie dürfen mich nicht falsch verstehen, Herr Mang. Ich erzählte Ihnen nur, wie Ihr Vetter das aufnimmt. Und begreiflich ist es am Ende doch, daß er sich getäuscht fühlt.«

»Niemand hat ihn getäuscht. Aber vielleicht ist ihm das jetzt so hingestellt worden.«

»Das ist ein harter Vorwurf gegen meinen Kooperator!«

»Der Herr Sitzberger hat schon bei meiner Mutter Schwätzereien gemacht. Ich kann mir denken, daß er bei meinem Vetter noch stärker aufgetragen hat. Ich nehm ihm das nicht übel, weil ich nichts danach frage. Ich meine bloß, daß es ihn nichts angeht.«

»Persönlich nicht. Aber als Priester muß er es bedauern, daß Sie keine größere Liebe zu unserem Stande zeigten.«

»Deswegen braucht er keine Geschichten herumzutragen.

»Sagen Sie es ihm doch selbst!«

»Das ist mir nicht der Mühe wert, Herr Pfarrer.«

»Sie sind sehr stolz gewordene Aber eins muß ich Ihnen doch sagen. Warum machen Sie selbst Schwätzereien, wenn Sie dieselben verdammen?«

»Ich?«

»Ja, Sie, Herr Mang. Und darüber muß ich mit Ihnen noch reden.«

»Bitte!«

»Es ist mir mitgeteilt worden, daß Sie für den Schuller Partei nehmen und überall erzählen, es sei ihm Unrecht geschehen.«

»So hab ich es nicht gesagt.«

»Also haben Sie doch darüber gesprochen? Was wissen Sie eigentlich von der ganzen Sache?«

»Ich weiß nur, was mir erzählt worden ist.«

»Und das genügt Ihnen, mich anzugreifen? Was Sie im Vorbeigehen aufschnappen, paßt Ihnen, wenn es gegen mich geht!«

»Gegen Sie habe ich kein Wort gesagt.«

»Nicht? Gegen wen sonst? Das ist eine merkwürdige Verdrehung der Wahrheit! Sie taugen allerdings nicht zu einem Priester.«

»Sie werden mir keine Lüge nachweisen können.«

»Wenn Sie überall herumerzählen, daß man den Schuller verleumdet hat, gegen wen richtet sich das? Wen greifen Sie damit an? Da wollen Sie sich ausreden, daß Sie meinen Namen nicht genannt haben? Was wissen Sie denn überhaupt von der Sache?«

Baustätter stand mit blitzenden Augen vor Sylvester und erhob seine Stimme zum Schreien.

»Sie kommen dahergeschneit, schnappen etwas auf und erfrechen sich...«

»Herr Pfarrer!«

»Jawohl, erfrechen sich, gegen mich zu hetzen. Aber wenn Sie es noch so heimlich machen, ich erfahre es doch! Ich weiß alles.«

»Sie wissen gar nichts.«

Sylvester sagte das in so barschem Tone, daß Baustätter einen Augenblick innehielt.

»Sie wollen es leugnen?« fragte er.

»Ich sage Ihnen noch einmal, ich habe nichts zu leugnen. Sie könnten sich genauer erkundigen, bevor Sie mir Grobheiten machen.«

»Ich mache Ihnen keine Grobheiten.«

»Sie haben mir Frechheit vorgeworfen.«

»Ich sagte nur, es wäre frech, wenn Sie behaupten, daß ich dem Schuller unrecht getan habe.«

»Ich habe mich gewundert, daß man solche Anklagen gegen ihn erhebt, und...«

»Sie haben sich gewundert, und Sie haben es jedem gesagt oder überall durchblicken lassen, daß Sie es für unwahr halten.«

»Darf ich ausreden, Herr Pfarrer?«

»Nein. Schweigen Sie!« schrie Baustätter. »Ohne Beweis fallen Sie über mich her! Natürlich, nur ich bin schuld. Ich habe Anklage erhoben gegen den braven Schuller! Was wissen Sie davon? Wer hat ihn angeklagt? Da,! Da ist der Ankläger!«

Baustätter öffnete mit einer heftigen Bewegung das Pult und warf ein Blatt Papier vor Sylvester auf den Tisch. »Da ist der Ankläger! Ihr verehrter Herr Pfarrer Held! Wollen Sie den auch verdächtigen?«

Sylvester nahm das Blatt langsam auf. Er las die ersten Worte mit Widerstreben. Dann las er die Schrift hastig durch und las sie wieder.

»Wollen Sie jetzt noch bei den Leuten herumerzählen, daß dem Schuller Unrecht geschehen ist?«

Sylvester antwortete dem Pfarrer nicht. Er fragte mit erzwungener Ruhe:

»Von wem haben Sie den Zettel?«

»Im Kirchenbuch war er.«

»Legen Sie ihn nicht mehr hinein, Herr Pfarrer.«

»Was soll das heißen?«

»Der Zettel ist falsch! Die Schrift ist gefälscht!«

»Sie wagen, mir das vorzuwerfen?«

»Das ist nicht die Schrift des Herrn Held!«

»Geben Sie das Blatt her! Sofort geben Sie es mir!«

Sylvester legte es auf den Tisch, und Baustätter riß es ungestüm an sich. Er kreischte, daß ihm die Stimme überschlug.

»Sie setzen Ihrer Frechheit die Krone auf! Ich will sehen, ob Sie mich einen Fälscher heißen dürfen!«

»Das habe ich nicht getan.«

»Lügen Sie nicht!«

»Ich habe gesagt, daß die Schrift gefälscht ist. Und das kann ich beweisen.«

»Sie wollen es wieder herumdrehen! Das will ich sehen!«

Sylvester nahm seinen Hut und ging ohne Gruß aus dem Zimmer. Als er den Pfarrhof verlassen hatte, regte sich erst sein Zorn über den Auftritt. Er war nicht zufrieden mit sich. Warum hatte er nicht schärfer geantwortet auf die Beschimpfungen? Er hätte wenigstens sagen können, daß diese sinnlose Wut verdächtig sei.

Wenn der Pfarrer den Zettel wirklich gefunden habe, könne es ihm nur recht sein, daß die Fälschung entdeckt wurde, daß man das Unrecht wiedergutmachen konnte. Und wie plump das gefälscht war!

Im Texte war die Schrift nicht einmal nachgemacht; nur der Namenszug war ähnlich. Daneben war das Siegel aufgedrückt, als wenn so etwas eine amtliche Bestätigung sein könnte.

Sylvester blieb stehen. Das war ihm nicht gleich eingefallen, das Siegel war ja ein Beweis, daß der Pfarrer den Zettel gefälscht hatte!

Wer hätte sonst das Amtssiegel benutzen können? Er ging wieder rasch vorwärts. Was sollte er jetzt tun? Die Wahrheit mußte heraus, und war es nur dem alten Herrn zuliebe.

Zum Lehrer gehen und ihn um Rat fragen? Der würde nur abmahnen und den lieben Frieden predigen. Und bitten, daß man ihn aus dem Spiele lasse.

Oder die Mutter ins Vertrauen ziehen? Sie würde sich ängstigen.

Das einfachste war, es dem zu sagen, der ein Recht auf die Wahrheit hatte.

Und ja, das wollte er tun.

Sylvester eilte durch das Dorf und kam erhitzt in den Schullerhof. Die Bäuerin stand unter der Tür.

»Ist der Schuller daheim?«

»In der Stubn hockt er. Aber sagen S' no mir an Grüaß Good, Herr Mang!«

»Ja, ja! Ich hab jetzt keine Zeit.«

»Wo brennt's denn?«

Sie erhielt keine Antwort; Sylvester war schon in der Stube. Der Schuller schaute über seine Zeitung weg auf den Eintretenden.

»Was geit's?« fragte er kurz.

»Ich muß Ihnen was Wichtiges sagen.«

»Was nacha?«

»Ich hab den Zettel gesehen, wegen dem Sie so viel Verdruß gehabt haben.«

»So?«

»Der Herr Pfarrer hat ihn selber hergezeigt.«

»Dös is nix Sonderbars. Der hat'n scho viel Leut zoagt. Bloß mir net.«

»Der Zettel ist falsch, Schuller.«

»Dös woaß neamd besser wiar i, daß dös verlogn is.«

»Verstehen Sie mich recht! Die Schrift ist gefälscht.«

»Gfälscht?«

»Jedes Wort und die Unterschrift dazu.« Der Schuller faßte Sylvester mit einem derben Griffe am Arm.

»Sie, Herr Mang, i kenn Eahna do guat und glaab net, daß Sie an Spott über mi hamm. Was is dös, was Sie da sagn?«

»Ich sag Ihnen, daß der Herr Pfarrer Held kein Wort über Sie geschrieben hat. Daß man seine Schrift nachgemacht hat.«

»Nacha waar ja dös offenbar, daß alles mit Fleiß derlogn is?«

»Ja, daß es erfunden ist. Und daß man den alten Held dazu hergenommen hat.«

»Aba, ko ma dös beweisen?«

»Das ist gar nicht schwer. Das sieht jeder, der die Schrift kennt.«

»Und dös is gwiß und wahr, Sylvester? Sie hamm Eahna net täuscht?«

»Eine Täuschung ist gar nicht möglich. Was ich Ihnen gesagt habe, vertrete ich vorm Gericht.«

»Ja, Herrgott!«

Schuller stand von der Bank auf und packte Sylvester an beiden Schultern und schüttelte ihn herzhaft.

»Ja, Herrgott! Manndei! Was sagst ma denn du? Gel, du lügst it? Manndei, was sagst d' ma denn du?«

Er setzte sich wieder.

»Sie müassen ma's no mal gnau sagn. So schnell versteh i dös net.«

Sylvester erzählte nun ausführlich, wie er im Pfarrhof war, wie ihn Baustätter zur Rede stellte, und wie alles kam.

Der Schuller unterbrach ihn oft.

»Z'erscht recht freundli, gel? Und giftig bei da Freundlichkeit, und nacha auf oamal in da Wuat? Ja, i kenn an Herrn Baustätter!«

Und als Sylvester beschrieb, wie der Pfarrer den Zettel vor ihn auf den Tisch warf, patschte sich der Schuller auf die Knie und lachte aus vollem Halse.

»Er hat gmoant, Sie verstengan nix davo. Aha Sie hamm's glei kennt?«

»Gleich, wie ich's gelesen hab.«

»Es is halt do was Schöns, bal oana studiert hat. Oft hab i mir denkt, wenn i Eahna gsehgn hab, es is eigentli schad, daß so a Mannsbild wia Sie a Stubenhocker werd, aba jetzt is's do für was guat gwen.«

Und dann wurde der Schuller wieder ernst.

»I bin Eahna viel Dank schuldig, Sylvester«, sagte er. »Aba wissen S', d' Hauptsach kummt erst. Dös müassens S' mir auf Ehr und Gwissen sagn, ob Sie fest stehbleibn auf dem, bal mir scharf zum streitn ofanga.«,

»Ich steck nicht um, Schuller. Sonst hätt ich Ihnen lieber nichts gesagt.«

»Und bal i Eahna bittn tat, daß Sie jetzt mit mir zum Haberlschneider gengan?« – »Ich bin dabei.«

 

»Und nacha san mir zwoa beim Haberlschneider gwen«, erzählte der Schuller. »Und da Sylvester hat de Gschicht akkurat a so verbracht wia bei mir, und da Haberlschneider sagt, jetzt glaabt er selm, daß i dös Spiel gwinn und daß's nimmer ausko. Jetzt werd er schaugn, der Herr Baustätter!«

»Paß auf, daß dir net no mal falliert!« mahnte die Bäuerin. »Da Verdruß waar glei ärger wia beim erstenmal.«

»Wia soll denn dös falliern? Da Sylvester steht vor, und wissen tuat er's gnau. Er hat a paar Brief vom Held, und a Büachl hat er, wo der alt Pfarrer was neigschriebn hat.«

»Warum hat denn da Herr Mang den Zettel net glei bhalten?«

»Dös hat er net derfen.« – »Aba besser waar's gwen.«

»Na, Alte. Dös vastehst du z' weni. I will mei Recht. Dös müassens mir geben vor alle Leut beim hellichtn Tag. Und weil i dös will, derf i selber nix toa, was gegn's Gsetz is.«

»Bal's dir no so nausgeht, Andrä!«

»Es geht mir scho naus. I hab de Gwißheit in da Hand, und am Samstag kriag i mei Recht. Da Sylvester fahrt mit eini ins Bezirksamt.«

Er streckte die Arme aus und lachte fröhlich.

Und dann unterhielt er sich noch lange mit seinem Sepp über das Soldatenleben. Wie es zu seiner Zeit war, und wie es jetzt anders geworden ist.


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