Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Zwölftes Kapitel

Am 6. Dezember kam ein Schreiben des Bezirksamtes zuhanden des früheren Bürgermeisters Kloiber von Erlbach. Es wurde von ihm dem Ausschusse bekanntgegeben am Tage Mariä Empfängnis, am 8. Dezember. Der Schuller war anwesend und hörte zu, als Herr Stegmüller das Schreiben vorlas. »Der Wahl des Andreas Vöst wird die Bestätigung versagt.« Stegmüller räusperte sich, als er den Satz gelesen hatte. »Und jetzt kommen die Gründe«, sagte er, »aber die brauch ich nicht vorzulesen, die gehen bloß den Schuller an, wenn er sich beschweren will.«

»Mi brauchen's net z' hören«, meinte der Kloiber, »mir hamm uns bloß um dös z' kümmern, daß a neue Wahl angsetzt wern muaß.«

»I will, daß's vorglesen werd«, sagte der Schuller.

Stegmüller sah zu ihm hinüber und schüttelte abmahnend den Kopf.

»Wirklich, Herr Vöst, das is net notwendig, und warum sollen wir's tun?«

»Warum? Weil i koa Hoamlichkeit hab.« Der Schuller trat vor; sein Gesicht war gerötet.

»Dös kam so raus«, sagte er, »als wenn i was zum fürchten hätt. I fürcht dös Papier net, dös Sie in der Hand hamm, Herr Lehrer.«

»Das glaub ich wohl, aber warum soll's jetzt eine Aufregung geben? Warum soll ich das öffentlich vorlesen?«

»Weil i net mit tua bei dem Versteckengspiel. Was oaner über mi woaß, soll er sagn, aber net verstohlene, wie's bei die Spitzbuabn der Brauch is. I ersuach Eahna, lesen S' de Schrift, Herr Lehrer.«

»Wenn Sie wollen«, sagte Stegmüller und sah den Schuller noch einmal fragend an. – »I will's.«

»Also dann kommen die Gründe. Die Bestätigung wird versagt, hat es geheißen:

›Das Bezirksamt findet sich als Aufsichtsbehörde zu dieser Entscheidung aus mehrfachen Gründen veranlaßt. Gegen Andreas Vöst sind von Seite des verstorbenen Pfarrers Held Anklagen erhoben worden, welche schwere Bedenken gegen ihn wachrufen. Es wird darin behauptet, daß Vöst seinen gebrechlichen Vater in abscheuerregender Weise mißhandelt habe und daß der Ankläger selbst die Spuren der Verletzungen sah. Wenn nun auch diese Beschuldigungen vor längerer Zeit erhoben und nicht bewiesen wurden, haben sie doch erst jüngst Wirkungen hervorgerufen, welche die Aufsichtsbehörde zwingen, der Wahl die Bestätigung zu versagen.

Das Verhalten verschiedener Gemeindebürger zeigte, daß Andreas Vöst bei vielen der Achtung entbehrt, welche eine notwendige Vorbedingung jeder Vertrauensstellung ist. Zudem besteht die offene Gefahr, daß sich hieraus Streitigkeiten ergeben, welche die Ruhe und die Ordnung in der Gemeinde empfindlich stören müßten. Diese Befürchtung ist um so mehr geboten, als es bereits zu Beleidigungen und im Verlaufe derselben zu Raufereien gekommen ist, bei welchen Andreas Vöst unzweifelhaft der Angreifer war. Es ist anzunehmen, daß die Bestätigung den Anlaß zu neuen Zwistigkeiten bieten würde, welche mit dem Ansehen eines Bürgermeisters unverträglich sind und welche seine Autorität erschüttern müßten. Aus allen diesen Gründen war die Bestätigung zu verweigern.‹«

Stegmüller legte das Papier vor sich hin.

»San S' jetzt ferti, und steht nix mehr drin?« fragte der Schuller.

»Ich hab alles vorgelesen.«

»Nacha möcht i no a paar Wort sagn über dös.«

»Ja, aber...«

»Du muaßt jetzt koa Aber net hamm, Kloiber. I frag enk alle, wias da seid's, is oana dabei, der dös glaubt?«

Keiner gab Antwort.

»Wenn oana was Schlechts gsehgn hat von mir, der soll's jetzt sagn. Vor meiner, daß i's selber hör. Und daß i mi verteidign ko.«

»Ma hat nia was ghört bis auf die letzt Zeit, wo's den Streit gebn hat«, sagte der Zwerger.

Die andern schwiegen und zeigten auffällig, daß sie die Sache nichts angehe. Sie schauten gleichmütig vor sich hin oder sahen zum Fenster hinaus.

Der Schuller wurde heftiger.

»Also wenn koaner was ghört hat, wo is denn nacha der Abscheu, von dem da gschriebn steht? Da müaßts do bekenna, daß dös Schreibn verlogen is.«

»Mir hamm net zum befinden über dös.«

»Sagst du dös, Kloiber?«

»Ja, dös sag i; mir san net berechtigt, daß mir da an Urteil abgebn, bal's amal vom Bezirksamt gschrieben is.«

»Siehgst it, daß 's Bezirksamt anglogn worn is?«

»Des sell woaß i net.«

»Nacha frag, balst nix woaßt! I hab Nachbarn gnua, de d' Ohren aufgrissen hättn, wenn's bei mir was gebn hätt. Da steht glei der Hamberger! Hast du grad oamal ghört, daß i mein Vata gschimpft hab? Oder hast 'n vielleicht gar jammern ghört?«

Der Hamberger drehte verlegen seinen Hut in den Händen.

»I paß überhaupt it auf, was bei dir drent gredt werd«, sagte er. »I misch mi überhaupts net in ander Leut Sach.«

»Du traust dir net lüagn, gel? Und d' Wahrheit magst it sagn.«

»Dös werst du net behaupten kinna, daß i was gredt hab über di.«

»Aba koa Zeugnis gibst mir aa net! Und woaßt do recht guat, daß d' ma's gebn muaßt, vo Rechts wegen.«

»I laß mi von dir zu gar nix zwinga.«

»Wer 's Maul halt, wo er reden muaß, is a Tropf. Und so schlecht wia der Ehrabschneider.«

»Derfst du mi schlecht hoaßen?«

»Di und de andern.«

»Schuller!« mahnte der Lehrer.

»Nix! Jetzt red i. I hab mir net denkt, daß ös glei Feuer und Flamm sei müaßts, wenn mir was gschiecht. I woaß scho, daß si a jeder selm um sei Sach kümmern muaß. Aba dös is net mei Sach alloa. Dös geht allsamt was o. Ös habts mi gwählt. Und jetzt stehts da, und koana sagt a lausigs Wörtl, und jeder woaß, daß ma mi bloß mit der Lug wegbracht hat.«

»Mir wissen gar nix«, sagte der Kloiber, »und mir san net Richter über dös.«

»Schö hoamli halt, Kloiber. So oaner bist du.«

»I bin so oana, der si net um dös kümmert, was 'n net ogeht. Wenn alls verlogn is, was in dem Schreibn steht, hernach werst du scho wissen, wost higeh muaßt. Und mir laßt mei Ruah, daß da's woaßt.«

Er nahm seinen Hut vom Nagel und verließ das Zimmer.

Der Hamberger folgte ihm mit vier anderen, die sich ohne Gruß und Rede hinausschlichen. Als sie draußen waren, verzog der Schuller den Mund zum Lachen; aber er brachte es nicht fertig.

»Da schau her!« sagte er, »es bleiben do no a paar. Ös werds Spektakel kriagn, wenns der Pfarrer derfragt.«

»Du woaßt scho, daß i auf dös net aufpaß«, sagte der Zwerger.

»Und hast aa nix gredt.«

»Zu was hätt i redn sollen? Dös hätt da gar koan Wert it ghabt. Jetzt muaßt di du selm rührn.«

»I rühr mi scho. Aba bal da Pfarra so weng Helfer gfunden hätt wia i, nacha waar dös Schreibn net kemma.«

»I hab mi da a net beteiligt, und mir gfallt's von koan, der mi to hat.«

»Herr Vöst, wenn Sie eine Beschwerde aufsetzen wollen, die will ich Ihnen schon schreiben«, sagte Stegmüller.

»Mitn Schreibn is da nix gmacht. I fahr selm ins Bezirksamt eini.«

»Wie Sie meinen, aber ich hätt's gern getan.«

»I dank schö, Herr Lehrer.«

»Balst ins Bezirksamt einifahrst«, sagte der Zwerger, »nacha nimm do den altn Weiß-Flori mit. Der is guatding zwanzg Jahr Kirchenpfleger gwen beim Herrn Held. Vielleicht woaß er was und kunnt dir was helfen.«

»I frag 'n amal. Vielleicht mag er gar it.«

»Warum denn net? Da is do nix dabei. I gang glei mit dir eini, aber da waar dir nix gholfen. Weil i nix woaß von dera Sach und überhaupt net gschickt bin für so was.«

»I dank dir schön fürn guatn Willen, Zwerger! Und jetzt pfüat Good und schaug, daß der Pfarrer net inne werd, daß d' mar an Rat gebn hast.«

 

Den andern Morgen spannte der Schuller seinen Braunen ein und fuhr im langsamen Trab durch Erlbach.

Es war noch dunkel.

In den Ställen brannten überall Lichter; man hörte die Pferde aufstampfen und die Kinnketten klirren.

»Es is scho Fuatterzeit«, sagte der Schuller vor sich hin. Beim letzten Haus hielt er an. Aus dem Dunkel heraus trat ein Mann und grüßte.

»Guat Morgn, Schuller!« ,

»Guat Morgn, Flori! Sitz auf!«

Es war der alte Florian Weiß, dem früher das Metzanwesen gehörte. Im Herbst hatte er es seinem Schwiegersohn übergeben, und jetzt lebte er im Austrag. Er stand in den Sechzigern, war aber noch frisch und gesund und stieg wie ein Junger auf den Wagen. »Hü!« sagte der Schuller, und der Braune zog an.

Schnell laufen konnte er nicht; die Straße war aufgeweicht, und die Räder machten tiefe Geleise.

Auf den Feldern lag frischer Schnee: so einer, der nicht bleibt, den der Wind in einem Vormittag frißt. Da und dort bewegte sich etwas Dunkles über die weiße Fläche.

»Kirchenleut«, sagte Weiß, »de genga ins Engelamt.«

Der Schuller nickte und zog die Zügel an.

»A schlechts Fahrn heut.«

»Ja.«

Von Webling herüber hörte man läuten.

»Mir kriagn Tauwetta«, sagte Weiß, »weil ma de Glockn so nah hört. Mir hamm an Bergwind.«

»Es hat heuer z' fruah gschneit«, antwortete der Schuller, »da bedeut der ganz Winter nix.«

»Is schad. De alt Regel hoaßt: Dezember kalt mit Schnee, gibt Korn auf jeder Höh.«

»Ja, ja.«

Sie schwiegen wieder.

Allmählich wurde es Tag. Im Westen zeigten sich lange, blaßrote Streifen am Himmel. Weiß deutete hin und sagte: »Auweh, heut regnt's no.«

Als sie den Neuriederberg hinauffuhren und der Gaul in langsamem Schritt ging, drehte sich der Schuller zu seinem Nachbar hinüber.

»Du woaßt, Flori, was i z' Nußbach für a Gschäft hab?«

»Ja; du willst ins Bezirksamt. Wegn deiner Gschicht.«

»Der Zwerger moant, du kunnst ma was helfen.«

»Er hat's aa zu mir gsagt. Aber i ko dir it helfen, Schuller.«

»Warum it?«

»Neamd ko dir helfen. Dös derfst ma glaubn.«

»Moanst du, daß da Held dös wirkli gschriebn hat?«

»Da moan i gar nix. Dös is aa ganz Wurscht: verspieln tuast allaweil.«

»Wenn i's aba nachweisn ko!«

»Geh, Schuller, ghörst du aa no zu dena, de wo glaabn, daß mar a Recht kriagn ko gegn de Beamtn oder gegn de Geistlichkeit? Du bist halt no jung, balst amal so alt bist wiar i, nacha verlierst den Glaubn.«

»I gib it nach, Flori.«

»I – ja; du gibst scho nach, weilst nachgebn muaßt.«

»Hast du was ghört unterderhand?«

»Von deiner Sach? Na. Net mehra, als was halt so verzählt werd. Aba da brauch i gar nix z' wissen.«

»I vasteh di net. Sag halt, was d' moanst.«

»Dös will i dir scho sagn. Siehgst, i hab a Büachl dahoam; dös hat mir der alt Gumposch von Webling gebn. In dem Büachl steht alles drin, haarscharf, wia ma's de Bauermenschen macht, und wia ma's eahna allawei gmacht hat. De meisten Leut wissen dös ja gar net und lassen si recht dumm olüagn. Aber i woaß's, Schuller; weil i oft in dem Büachl les und weil i mir alles gnau merk.«

»Es is do net bei a jedn gleich, Flori; auf an jedn paßt net des nämliche.«

»Freili is net bei an jedn gleich, dem oan fehlt dös, dem andern fehlt was anders, aba bei an jedn geht's auf das nämliche naus. Daß er verspielt is, vor er ofangt. De Geischtlichkeit und der Adel und de Beamten, de helfan z'samm, solang d' Welt steht. I hab's früher aa net so verstanden, aber jetzt is mir a Liacht aufganga. Du derfst ma's glaabn, Schuller.«

»I ko mit dir net streitn; i kimm net viel zum Lesen.«

»I hab aa z'erst nix kennt. Früherzeiten bin i oft in d' Stadt einikemma, und da hab i mir allawei denkt, wo s' no grad 's Geld hernehma! Oan Hausstock nach dem andern hamm s' baut, oan schöner wia den andern, und de Läden, und de Wirtshäuser, und Waglroß! Ja, mei liaba Mensch, grad nobl halt! I hab d' Augn aufgrissen und bin ganz hintersinnig worn. Wo dös Geld allssamt herkimmt. Selbigsmal hon i mir denkt, vielleicht gwinnen s' as in der Lotterie, oder finden s' dös Geld unterirdisch. Aber jetzt woaß i's recht guat. Von ins hamm s' as; von de Bauernmenschen.«

»Flori, des kunnt net viel sei! Garaus heut, wo's allawei schlechter geht.«

»Dös is ja grad! Deswegn geht's bei ins schlechte, weil s' ins dös meist gnumma hamm. Du muaßt it so rechna, von de paar Erlbacher oder Weblinger. Dös waar freili net viel. Aber im ganzen Bayernland, da macht's was aus.«

»Vielleicht hast recht, abar vasteh tua i di net.«

»I leich dir amal dös Büachl, da steht's gnau drin.«

»Und was hat dös mit meiner Sach z' toa?«

»Grad gnua hat's z' toa damit. Du siehgst as bloß net. Paß auf, Schuller! Mir Bauern san do de mehrern, weitaus. Wia kunnten denn de andern obenauf kemma, wenn s' net so z'sammhalten taten? Verstehst? Dös wissen de recht guat, und deswegen helfen s' anander und lassen uns koa Recht. De Beamten helfen der Geischtlichkeit, de Geischtlichkeit helft an Adel. Und alle mitanander verteilen s' dös Geld. De san z'sammgschworen. Was willst jetzt du macha, alloa gegen de Geischtlichkeit? Dir hilft koana. Von de Bauern net, weil de z' dumm san, daß s' z'sammhaltn, und da Bezirksamtmann derf dir net helfen. Net amal, wann er möcht. Dös is eahm verbotn, vom Minischteri aus, oder no von an Höchern.«

»Oans is gwiß wahr, Flori, daß d' Bauern net z'sammhaltn. Du hättst gestern dabeisei müassen!«

»I woaß a so.«

»Jeder hat tracht, daß no bloß er net neikimmt in de Sach. Des werd a net anderst, bis net da Bauernbund mehrer Boden kriagt.«

»O mei, da hör ma auf! Dös geht mitn Bauernbund, wia's no allawei ganga is. Denk an mi, bal an etla Jahrl vorbei san. Z'erscht tean s' a so, als wenn s' lauter Brüder waarn, und nacha kemman de andern, verstehst, mitn Geld und schmieren de schärfern ab und bringen an Unfrieden nei, und gar is.«

»So schlecht denk i net davo.«

»Wart's ab! Du erlebst as leicht, Schuller. Mitn Geld ko ma alles macha; wer 's Geld hat, regiert de ganz Welt. Is ja scho alles dagwesen. De Bauern hamm sie scho öfter grührt, net grad jetzt. Aba sie san verratn worn und hamm verspielt. De Radelführer hat ma köpft und ghängt und vabrennt nach de Hundert, und de, wo mitn Leben davokemma san, hamm wieder brav zahln müaßn. I glaab nix; de andern halten z'samm und hamm's Geld.«

»Dös lernt der Bauer vielleicht aa mit der Zeit, daß ma z'sammsteh muaß.«

»Na, Schuller, dös lernt er nia. Weil oaner dem andern net traut. Je näher, daß s' beinander san, desto weniger mögen s' anand. Der Bauer glaabt oan, der a Stund weit weg wohnt, mehra wia sein Nachbarn. Da liegt da Hund begrabn.«

»Wenn mar a so denkt, nacha derf ma gar koa Hoffnung nimma hamm.«

»I hab aa koane. Und du verlernst as aa no. Paß no auf, wia's mit deiner Gschicht geht!«

»I muaß mei Recht finden.«

»Du werst as ja sehgn. Halt! Da müassen mir an Pflasterzoll zahln.«

»Brr!«

Der Wagen hielt.

Sie waren am Nußbacher Berge angelangt; aus dem kleinen Hause neben der Straße hinkte eine alte Frau heraus, die einen roten Zettel in der Hand hielt.

»I hob mir scho denkt, du fahrst vorbei.«

»Da hättst dei Zehnerl verspielt«, sagte Weiß.

»Na, na; i hätt enk scho kennt. Der Schuller von Erlbach, gel?«

»Ja.«

»Da hätt's koa Gfahr it ghabt.«

Sie reichte den Zettel hinauf und nahm ein Nickelstück in Empfang.

»Guat Morgn!«

Der Braune zog an und ging im guten Schritt den Berg hinauf. Er wußte, daß Stall und Hafer in der Nähe waren.

Die Nußbacher Bürgersfrauen kamen aus der Kirche. Die jungen hüpften zierlich über die Schmutzlachen, die alten traten unbesorgt hinein, denn sie hatten große Filzstiefel an den Füßen. Die Männer blieben stehen und betrachteten den Gaul, welchen Schuller mit leichtem Schnalzen antrieb.

Der Metzgermeister Eichinger stellte sich unter die Ladentüre und sagte: »Es ist der Bräundl vom Hupfauer, den er vor zwoa Jahr verkaaft hat nach Webling oder Erlbach. I kenn an genau.«

Beim Unterbräu hielt der Schuller.

»Her-ein!«

Otteneder wandte sich um und blickte auf die zwei Bauern, welche eintraten.

Der jüngere, hochgewachsene Mann kam ihm bekannt vor; er hatte das scharfgeschnittene Gesicht schon irgendwo gesehen.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

»I bin der Schuller von Erlbach. Andreas Vöst schreib i mi.«

»Ach, richtig! Der zum Bürgermeister gewählt war?«

»Ja. Wo Sie dös Schreiben nausgschickt hamm.«

»Mhm! Sie kommen vermutlich wegen der Sache?«

»Deswegn bin i da.«

»So, so. Warten Sie einen Augenblick?«

Der Bezirksamtmann stand auf und zog die Klingel.

Der Amtsdiener trat ein.

»Gehen Sie zum Herrn Offizianten hinüber. Er soll Ihnen den Akt geben: Gemeindewahl in Erlbach.«

»Jawohl, Herr Bezirksamtmann.«

Otteneder setzte sich wieder und schlug das rechte Bein über das linke.

Er nahm ein Lineal vom Tische und spielte nachlässig damit.

»Sie wollen sich beschweren?«

»Z'erscht kimm i zu Eahna selm, Herr Bezirksamtmann.«

»Schön. Aber wer is denn Ihr Begleiter?«

»Dös is der Florian Weiß von Erlbach; früherszeit war er der Metzbauer, jetzt lebt er im Austrag.«

»Hat er mit der Sache was zu tun?«

»Eigentli hab i mit der Sach selm nix z' toa«, sagte Weiß. »Da Schuller hat mi grad mitgnumma, weil i Kirchapfleger gwen bi und an Pfarra Held guat kennt hab.«

»Das ist doch nicht von Belang! Ich denke, Vöst, bei dieser Unterredung haben wir besser keinen Zeugen. In ihrem Interesse.« – »Herr Bezirksamtmann, is dös verbotn im Gsetz, daß da Weiß dableibt?«

»Nein; für so etwas gibt es kein Gesetz. Aber es ist unnötig und vielleicht auch für Sie unangenehm.«

»Wenn's net verboten is, nacha lassen S' an Weiß da! Was i sag, derf a jeder hörn.«

»Gut, meinetwegen. Haben Sie den Akt, Mayerhofer?«

Der Amtsdiener überreichte Otteneder ein blaues Heft.

Dieser las die Aufschrift.

»Betreff Gemeindewahlen in Erlbach. Stimmt. Sie können gehen, und wenn jemand kommt, soll er warten. Ich will nicht gestört werden.«

Otteneder legte das Heft vor sich hin und schlug es auf.

»Also, Vöst, Sie sind am 18. November zum Bürgermeister gewählt worden. Mit neun Stimmen Mehrheit. Die Wahl ist ordnungsgemäß verlaufen. Das stimmt?«

»Ja, Herr Bezirksamtmann.«

»Dann gehen wir weiter. Sie wissen, daß jede Gemeindewahl von dem zuständigen Bezirksamte bestätigt werden muß. Die Ihrige also von mir. Die Wahl ist erst gültig, wenn ich als Vertreter der Aufsichtsbehörde die Genehmigung erteile.«

»Dös is alles so eingricht«, sagte Weiß.

»Was ist eingerichtet?«

»I moan bloß, weil i an Schuller scho dös nämliche ausdeutscht hab beim Einafahrn.«

»So? Das is ja anerkennenswert, wenn Sie Bescheid wissen, aber unterbrechen Sie mich nicht!

Also die Gültigkeit hängt von der Bestätigung ab. Es ist wohl nicht notwendig, daß ich Ihnen ausführlich erkläre, warum die Staatsregierung sich dieses Recht gesetzlich vorbehalten hat?«

»Mir wissen's recht guat«, sagte Weiß.

»Das bezweifle ich. Übrigens habe ich es nicht mit Ihnen zu tun, sondern mit dem Vöst. Wünschen Sie eine Rechtsbelehrung? Ich verweigere sie grundsätzlich nie.«

»Na, Herr Bezirksamtmann, i will ganz was anders wissen.«

»Darauf kommen wir gleich. Mein Recht, einer Wahl die Bestätigung zu versagen, ist durch das Gesetz festgelegt. Und ich habe in Ihrem Falle von diesem Rechte Gebrauch gemacht.«

»Warum, Herr Bezirksamtmann?«

»Das ist in meinem Beschlusse ausführlich begründet. Ich will es Ihnen vorlesen, wenn Sie darauf bestehen.«

»I dank schö. Dös hat gestern scho inser Lehrer to.«

»Schön. Dann kann ich mich darauf beschränken, auf diese Gründe hinzuweisen. Kurz und gut, Vöst, ich habe aus den Ihnen bekannten Tatsachen die Überzeugung gewonnen, daß Sie sich für diese Ehrenstelle nicht eignen.«

»Also, daß i a Lump bin.«

»Wir wollen keinen solchen Ausdruck wählen. Das führt zu nichts.«

»Derf i jetzt reden?«

»O ja.«

»Sie hamm gsagt, kurz und guat, Herr Bezirksamtmann. Dös is aber net guat, und dös derf net kurz sei, wenn mar an Menschen sei Ehr nimmt. Sie hamm gsagt, wegen de bekannten Tatsachen halten Sie mi net für den richtigen Mann. De Tatsachen san aber net bekannt; net amal mir. Weil's überhaupts koane Tatsachen net san, sondern auf und auf nix als wia miserable Lugen und Verleumdungen.«

»Einen Augenblick, Vöst! Ich habe nichts dagegen, Sie anzuhören, aber Sie dürfen nicht in diesem Tone reden.«

»Vielleicht hamm Sie schönere Wörter, als wiar i. I bin bloß a Bauer. Aber was taten Sie dazua sagn, wenn auf amal über Eahna was gsagt wurd, was recht Gemeins? So was Gemeins, wo Sie glei merken, es is a so hergricht, daß's Eahna recht schadn soll? Und Sie wissen, net oa Silben is wahr, taten Sie net aa reden von aa Lug? Oder was gibt's da für an andern Nam?«

»Ich würde mich nicht auf Schimpfen verlegen, sondern mit Ruhe und Anstand das Unrecht nachweisen.«

»Entschuldigen S' halt! Und erlauben S' de Frag, Herr Bezirksamtmann, was hat Eahna zu der Überzeugung bracht, daß i z' schlecht bin, oder net geeignet, wia Sie sagn?«

»Zunächst der Umstand, daß Sie Ärgernis gegeben haben durch die Mißhandlung Ihres Vaters.«

»Und woher wissen Sie den Umstand?«

»Das ist Ihnen doch bekannt! Warum fragen Sie mich? Aus der Aufschreibung ihres verstorbenen Pfarrers.«

»Vom lebendigen Pfarrer Held hätten S' des kaam ghört. An de Aufschreibung glaab i net, Herr Bezirksamtmann.

»Wie können Sie das sagen?«

»Weil i an Herrn Held kennt hab. Ob de Aufschreibung wahr is, dös muaß i do wissen! I muaß do wissen, ob i mein Vater mißhandelt hab oder net!«

»Allerdings.«

»Ja, allerdings. Und weil i woaß, daß's net wahr is, kann i sagn, dös hat der Herr Held net gschriebn. Der war koa Lump.«

»Noch einmal, Vöst, führen Sie Ihre Sache mit Ruhe, oder ich breche diese Unterredung ab!«

»Ja so! I bin scho wieder grob gwen. Vielleicht hat's der Zorn gmacht, daß ma den Mann no als a Toter in de Sach da reiziagt.«

»Wer zieht ihn herein? Es handelt sich um seine eigene Aufschreibung.«

»Und i glaab's net. Na, wern S' net ungeduldig, Herr Bezirksamtmann! Sie hamm an Herrn Held vielleicht a paarmal gsehgn, vielleicht aa gar net. Mir hat er von kloan auf Religionsunterricht gebn, hat mi in der Christenlehr ghabt. Er hat mi und mei Bäurin kopuliert, is auf meiner Hochzeit als ehrengeachteter Gast gwen und hat meine Kinder aus da Tauf ghobn. Wo i mit eahm z'sammtroffen bin, is er freundli gwen zu mir, hat mi tröst, wenn i's braucht hab, und hat mir an Rat gebn. Er hat mi globt, alloa und vor Zeugen, weil er recht guat gwußt hat, daß i mi rechtschaffen hab plagn müassen. Und dös is allawei gleich gwen, es hat nia aufghört; no vierzehn Tag vor sein Tod is er bei mir gwen, in mein Haus. Und jetzt müaßt i glaabn, der Mann hätt a Verleumdung über mi gschrieben. Was waar denn dös?«

»Darüber kann ich nicht urteilen; ich weiß das alles nicht.«

»Was ma net selber woaß, ko ma derfragn. Da is der Weiß, der mir dös bestätign muaß.«

»Was soll er bestätigen?«

»Wia der Herr Held gegn mi gwen is.«

»Das kommt jetzt nicht...«

Weiß unterbrach die von Gott gesetzte Obrigkeit mitten im Satze. Er hielt es für angezeigt, endlich ein richtiges Wort zu sagen.

Nicht schnurgerade wie der Schuller, sondern so, wie es einem Manne ansteht, der das heimliche Getriebe durchschaut und sich gründliche Kenntnisse verschafft hat. Er stellte den rechten Fuß vor und blinzelte schlau. Seine Augen sagten dem Bezirksamtmann, daß sie zwei sich wohl verstanden, wenn sie auch nicht deutlich redeten.

»Indem da Schuller behaupt'«, sagte er, »daß i an Herrn Held gnau kennt hab, so is also dös durchaus richtig. Indem i zwanzg Jahr lang Kirchapfleger war und oft eikehrt hab im Pfarrhof, und weil i überhaupts a so bin, daß i mir d' Leut gnau oschaug. Also da muaß i meine Meinung dahin abgebn, daß mir da Herr Held ganz wohl gfallen hat. Wenigstens nach dem, was er merken hat lassen. Natürli, die Geischtlichkeit und der Adel, dös woaß ma recht guat, hamm no a bsonderne Sach, de wo sie net aufweisen derfen. Da hat mi der Herr Held aa net einischaugn lassen. Es werd halt a Geheimnis sei, auf dös sie z'sammgschworen san, und dös wo der Bauernmensch net wissen derf. Da Herr Bezirksamtmann versteht mi scho.«

»Ich verstehe Sie gar nicht.« – »Net?«

Weiß lächelte, als wollte er sagen: Tu nur so! Du hast ganz recht, daß du nicht einem jeden deine Karten zeigst.

»Net? No i hab bloß gmoant. Es gibt so Büacher, in dena dös alles offenbarig gmacht is, und hie und da derwischt unseroana so a Büachl. Aber was dös betrifft, von Herrn Held, so muaß i sagn, sinscht hat er mir net übel gfallen.«

Der Schuller drehte sich nach ihm um.

»Du sollst sag'n, ob des mögli is, daß er so was gegn meiner geschriebn hat.«

»Bal ma's a so betracht, ko ma's net glaabn, indem da Herr Held allawei guat vo dir gredt hat und indem er zu mir gsagt hat, da liabste Kirchapfleger waarst eahm du, bal i amal z' alt wurd. So mögst it moan, daß er über di was gschrieben hätt; es müaßt grad sei, daß eahm dös befohlen gwesen war. Von obn, verstehst.«

»Hören Sie doch einmal auf mit solchem Zeug! Wer soll denn so etwas befehlen?«

Otteneder wurde ungeduldig. Die schlichte Rede des Schullerbauern hatte ihn nachdenklich gestimmt. Er konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, daß Wahrheit in diesen Worten lag. Aber der Eindruck verflog, als Florian Weiß zu sprechen anhob.

Da stand der richtige Vertreter dieser hinterlistigen Rasse vor ihm, welche überall versteckten Widerstand leistete. Er verstand nicht alles, was er mit seinen Anspielungen sagen wollte. Vermutlich einiges von den dummdreisten Behauptungen, mit denen jetzt gegen die Obrigkeit gehetzt wurde.

Nein, der Kerl verdarb alles! Franz Otteneder war nicht bösartig. Es lag ihm ferne, einem Menschen mit Überlegung Unrecht zuzufügen. Er hätte den Gedanken mit Entrüstung zurückgewiesen, und wo sein Verstand nicht durch Vorurteile beeinflußt war, konnte er das Recht wohl finden.

In seiner beruflichen Stellung nicht. Hier hörte nicht seine anständige Gesinnung auf, aber der klare Blick. Er prüfte seine Handlungen auf ihre Nützlichkeit hin; eine Nützlichkeit, die er sich selbst zurechtgelegt hatte mit farblosen Begriffen vom Leben und der herkömmlichen Anschauung von öffentlicher Wohlfahrt, Staatszweck, Untertanenpflicht.

Da war nun dieser Fall Andreas Vöst kontra Pfarrer Baustätter, also kontra Kirche, Obrigkeit, Staat. Von vornherein der einzelne im Kampfe gegen notwendige und nützliche Institutionen. Es hätten zwingende Gründe sein müssen, die Otteneder hätten veranlassen können, bei einem solchen Zwiespalte die Sache des einzelnen mit Wohlwollen anzusehen. Ohne Wohlwollen aber ist Verständnis nicht möglich. Von diesem führte ihn sein Mißtrauen weit ab. Er sah nicht das Unrecht und nicht die Tragweite seines Vorgehens. Er suchte bei einem Bauern weder Ehrliebe noch Zartgefühl.

Wie so viele Menschen, die in den engen Gassen der Städte aufgewachsen sind und einen gewissen Bildungsstolz als Erbteil mitbekommen haben, war er geneigt, die bäuerliche Art für roh und jeder Empfindung bar zu halten. Eine Bildung, welche ihre Vollendung darin sucht, natürliche Gefühle zu verbergen, fühlt sich recht erhaben über das formenfremde Wesen der Bauern. Sie kommt auf seltsamen Umwegen dazu, einem ganzen Stande tiefere Empfindung abzusprechen, weil er inhaltlose Formen nicht kennt.

Und weil er in solchen Anschauungen befangen war, schlug Otteneder sein Vorgehen gegen den Schuller gering an.

Er hätte sich vielleicht schwer entschlossen, in anderen Verhältnissen das gleiche zu tun, den Angehörigen eines anderen Standes so bloßzustellen. Hier erschien es ihm nicht als große Härte, weil er überzeugt war, daß der Erlbacher Bürgermeister nur Zorn über die getäuschte Hoffnung empfinden werde. Das wog nicht schwer gegen die Bedenken, welche ihm eine Stellungnahme gegen den Pfarrer erregen mußte. Und seine Erziehung zwang ihn geradezu, den Angaben einer Autorität ohne Prüfung Glauben zu schenken, wenn ihnen nichts anderes gegenüberstand als die Behauptung des Beschuldigten. Einen Augenblick verließ ihn seine Sicherheit. Er gewann sie wieder, als Florian Weiß seine Rede anhob. Und nun beging er einen Fehler, in den alle verfallen, welche sich nicht gerne ihr Unrecht eingestehen. Er versteifte sich darauf und wollte es damit vor seinem eigenen Gewissen als Recht erscheinen lassen.

»Wer kann so etwas befehlen?« fuhr er den Alten unwirsch an. »Das sind Verdächtigungen, die ihr jetzt aus dummen Zeitungsartikeln herauslest.«

Er wandte sich an den Schuller. »Haben Sie Ihren Landsmann deswegen mitgenommen, daß er solches Zeug daherredet?«

»Na. I hab gmoant, er kunnt mir an Zeugn macha.«

Weiß schwieg. Der Bezirksamtmann hatte ihn schon verstanden; jawohl, sonst wär er nicht zornig geworden. Der Schuller freilich wußte nichts davon; der glaubte immer noch, er könne mit seinem Streiten was ausrichten. Er sah nicht, daß er verspielt war, noch vor er anfing.

Jetzt redete er schon wieder.

»I sag's no amal, Herr Bezirksamtsmann, i glaab net an dös Schreiben.«

Otteneder richtete sich auf.

»Eigentlich, Vöst, ist Ihr Zweifel eine Anklage. Und zwar eine sehr schwere. Nehmen Sie sich in acht mit Behauptungen, die Sie nicht beweisen können.«

»I hab in dera Sach koa Wort gsagt, für dös i net eisteh. In acht nehma müassen si de Leut, de glogen hamm.«

»Beschuldigen Sie jemand?«

»Dös muaß si erst aufweisen. I hab an Herrn Pfarra Baustätter auf da Stell ersuacht, daß er mir den Zettl zoagt. Er hat's net to, aber an Hierangl hat er 'n lesen lassen. Zu mir hat er gsagt, i wer's am Bezirksamt derfragn. Und jetzt frag i Eahna, ob ich den Zettel sehgn derf.«

»Warum nicht?«

Otteneder blätterte in dem Akte.

»Drei, vier, Folium fünf. Abschrift der von Pfarrer Baustätter übergebenen Urkunde. Ja, richtig! Das Original liegt nicht hier, es ist dem Herrn Pfarrer wieder zurückgestellt worden.«

»Was is z'ruckgeben worn?«

»Das Original, der Zettel, welchen Herr Held geschrieben hat.«

»Den hamm Sie net? Den hat inser Pfarrer?«

»Ja.«

»Jetzt woaß i net, was i da denken soll.«

»Die Abschrift ist beglaubigt, Vöst.«

»Der Pfarra sagt, Sie zoagn an mir, und Sie sagn, der Pfarra hat 'n. Dös kimmt mir ja schier so vor, als wann i zum Narrn ghalten wurd.«

»Siehgst as, Schuller? Was hab i gsagt?« schrie Weiß.

Der Schuller hatte sich zur Ruhe gezwungen; jetzt hielt er sich nicht mehr.

»Dös is ja an aufglegter Schwindel!«

»Das sagen Sie nicht noch einmal!«

»Oamal net, hundertmal! Hergottsakrament, bin i a Lausbua, den a jeder zum Hanswurschtn macht? Der Pfaff lacht mir ins Gsicht! Geh nei ins Bezirksamt, werst scho sehgn, ob's dir was hilft! Der größt Lump werd net verdammt, vor mar eahm net an Beweis unter d' Augn halt. I scho; mit mir geht mar um, wia ma mag.«

»Vöst, jetzt ist die Sache für mich erledigt. Sie können Beschwerde einlegen, ich für meine Person verhandle nicht mehr darüber.«

»Is s' erledigt, de Sach? Lang hamm S' net dazua braucht.«

»Das überlassen Sie mir!«

»Freili, mi geht's ja nix o! I muaß mi kuschen und 's Maul haltn. De Leut, de wo mi oan Tag für den andern sehgn, hamm mi zum Bürgermoasta gmacht. Sie wissen gar nix von mir und schmeißen mi weg wiar an Haderlump, Sie verbiatn de Leut, daß an Achtung vor mir hamm. Und i muaß dös Eahna überlassen.«

»Ich wiederhole, daß Sie sich beschweren können.«

»Ja, i hab 's Recht, daß i mi beschwer. Und da sagn d' Leut, daß's koa Recht nimma gibt! Ich hab mi bei Eahna übern Pfarrer beschweren derfen, und i derf mi über Eahna beschwern bei oan, der no höher is. Dersell werd nacha aa dös blaue Heft da aufm Tisch hamm und werd drin umanandablattln und werd d' Achsel zucken und werd mi außischmeißen. Is aa ganz recht! Was is denn unseroana? Nix!«

»Ich glaube, daß Sie sich nicht beklagen können; ich habe Sie lange genug angehört.«

»Was hamm Sie anghört vo mir? Bin i gfragt worn, wia da Pfaff da herin gstanden is und hat oa Lug auf de ander daherbracht? San meine Leut gfragt worn? Meine Nachbarn? Grad oa Mensch, der mi kennt? Mei Vater is tot, da Herr Held is tot, da war's Lüagn net schwaar, und Sie hamm's eahm no leichter gmacht. Er derf sei Bosheit ausüabn, soviel's 'n freut. Schaug, wost dei Recht findst, wenn's koans gibt!«

Otteneder knüpfte den Rock zu.

»Ich habe keine Zeit mehr, Vöst, guten Tag!«

Da strich sich der Schuller die Haare aus der Stirne.

»De Sach is erledigt. Net wahr?«

Und er ging ohne Gruß mit dem Florian Weiß hinaus.

Der Bezirksamtmann faltete die Hände auf dem Rücken und blieb nachdenklich mitten im Zimmer stehen. Dann ging er an den Schreibtisch und las mechanisch das Blatt, welches zuoberst in dem Akte lag.

Folium zwei. Beschwerde des Pfarrers Jakob Baustätter gegen die Wahl des Bürgermeisters. »Ich versichere pflichtgemäß, daß Andreas Vöst ein gewalttätiger, roher Mensch ist, welcher durch seine Reden und Handlungen jede Autorität bedroht.«

»Hm«, sagte Otteneder, »den Eindruck hat er eigentlich nicht auf mich gemacht. Aber der Pfarrer muß es besser wissen.«

 

»Hast it gspannt, wia's an Bezirksamtmann grissen hat, wiar i eahm dös gsagt hab von mein Büachl? Der kennt's und hat's scho glesen. Dös derfst gwiß glaabn.«

Weiß blieb auf der Treppe stehen und wollte dem Schuller klarmachen, wie fein die Fäden in dem heimlichen Gewebe gesponnen seien. Aber der Schuller war kein aufmerksamer Zuhörer.

»Laß guat sei!« sagte er. »I bin it zum Reden aufglegt.«

Beim Unterbräu trank er hastig eine Halbe Bier und rührte kein Essen an. Er drängte zur Heimfahrt. Und dann saß er schweigend auf dem Wagen und achtete nicht auf den Gaul und nicht auf den Florian Weiß. Es regnete heftig.

Da wurde auch dem Bräundl trübselig zumute; er zottelte einen schlechten Trab dahin, und wenn ein Berg kam, schlich er langsam hinauf und nickte traurig mit dem Kopfe.

Sie waren allein auf der Straße. Kein Fuhrwerk kam ihnen entgegen, und keines holte sie ein. Weit und breit war nichts Lebendiges. Oder nur Raben, die schwermütig auf den Bäumen am Wegrande saßen und die Federn sträubten. Zuweilen flog einer auf und schimpfte über die Störung. So mochte der Schuller eine Stunde gefahren sein. Immer beschäftigt mit seinen zornigen Gedanken. Und plötzlich sagte er zu seinem Nachbar:

»Du hoscht so gspaßi dahergredt im Bezirksamt. Glaabst du wirkli, daß da Pfarrer Held dös gschrieben hamm kunnt?«

»Warum it?« antwortete Weiß. »Bals eahm ogschafft worn is?«

»Wer hätt eahm denn was oschaffen solln? Selbigsmal hat do neamd was gegn mi ghabt?«

»Du kost scho lang schwarz sei und woaßt nix davo. Es gibt so Büacha, wo a jeder neigschriebn werd, dem mar it traut.«

»Dös san so Gschichten, Flori.«

»O mei, Schuller! Dir geht scho a no amal a Liacht auf! Was hab i dir denn gsagt, wia ma einagfahrn san? Weil du allawei glaabt hoscht, du kost um dei Recht streitn. Dös werst du gspannt hamm, wia de alle mitanand z'sammspielen. Und da Held werd aa koan Ausnahm gmacht hamm. Weil er net derfen hat. Dös is amal gwiß und wahr.«

Der Schuller gab keine Antwort.

Und der Bräundl zog grimmig an; denn er hatte einen scharfen Hieb auf seinem breiten Rücken verspürt.


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