Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Vierzehntes Kapitel

In das Haus vom Schuller war eine schlechte Stimmung eingezogen. Der Mißmut war obenauf, und die Fröhlichkeit hatte nirgends mehr Platz.

Den Tag über war der Schuller in seinem Walde bei der Holzarbeit; wenn er heimkam, saß er schweigsam auf der Ofenbank.

Die Bäuerin wollte ihn zum Reden bringen. Sie schimpfte über den Pfarrer und den Hierangl, über den Geitner und den Bürgermeister Kloiber.

Sie brachte neue Geschichten heim, welche die Schlechtigkeit dieser Feinde offenbar machten, und sie erzählte alte Geschichten, welche das nämliche bewiesen.

Alles, was der Schuller selber einmal getadelt hatte, brachte sie vor und meinte, das müsse ihm ein Gefallen sein.

Aber er gab ihr nicht an oder sagte, sie solle sich um ihre Weiberleute kümmern und das andere mit Ruhe gehen lassen.

Dann ging die Schullerin seufzend in die Küche und beredete mit der Ursula, wie sich der Vater herunter kümmere.

Auch mit den Dienstboten redete sie darüber; sie sagte zu den Mägden zornige Worte über die Nachbarn und fragte die Knechte, was sie im Wirtshaus gehört hätten.

Eine solche Vertraulichkeit tut nicht gut; sie ist gegen den Respekt und das ordentliche Regiment.

Jetzt hatten Knecht und Magd ihr heimliches Getue und wisperten sich Neuigkeiten in die Ohren, wenn sie arbeiten sollten.

Und wenn einer faulenzen wollte, stellte er sich in die Küche und erzählte der Schullerin, wie er es dem Knecht vom Hierangl hingerieben habe, daß sein Herr kein Pfund Lumpen tauge.

Dafür bekam er Dank und billige Nachsicht für seine Faulheit. Die Weibsleute waren zufrieden, wenn sie recht viel Bedauernis und Mitleid sahen. Was die Schullerin davon übrigließ, brauchte die Ursula für ihren besonderen Zustand.

Die Dienstboten nützten es aus und machten sich darüber lustig. Wenn sie bei den gemeinsamen Mahlzeiten saßen, gaben sie sich heimliche Zeichen und stießen sich mit den Ellbogen an.

Eine üble Nachrede findet bei niemandem schneller Boden als bei Untergebenen. Wer vor ihnen etwas entschuldigen oder erklären will, ist übel daran. Gehorsam muß Achtung haben.

Der Schuller merkte an vielen Dingen, daß in seinem Hause die Ordnung gelockert war.

Früher hätte er sich schnell geholfen; jetzt schien es ihm nicht der Mühe wert.

Alle seine Gedanken waren nur auf das eine gerichtet. Da lag im Kirchenbuch ein Zettel, der ihm zeitlebens Schande anhing. Und noch länger. Wenn die Männer von heute einmal tot waren und die Jungen ans Ruder kamen, dann war das Papier noch da, auf dem es geschrieben stand, daß er ein schlechter Kerl war, dem jeder aus dem Wege gehen mußte.

Und dann glaubten es alle; auch die, welche hernach auf dem Schulleranwesen hausten.

Den Kindern von seinem ältesten Buben wurde die Lüge erzählt, noch abscheulicher aufgetragen wie jetzt.

Denn jeder mußte denken, wenn es sogar der Pfarrer ins Kirchenbuch gesetzt hatte, mußte es das Ärgste gewesen sein.

Keiner wußte etwas von ihm. Daß er als ehrengeachteter Mann lange Zeit den Hof regiert hatte.

Keiner wußte etwas vom Baustätter und von seinem Hasse.

Nur das Geschriebene galt.

Wie hätten sie später die Wahrheit finden sollen, wenn er sie selber mit allen Mühen nicht herstellen konnte?

Acht Tage war er herumgelaufen von Pontius zu Pilatus und hatte gemeint, er müsse sein Recht kriegen.

Er war im Amtsgerichte und brachte seine Sache vor.

Kroiß ließ ihn kaum zu Ende reden und fertigte ihn kurz ab.

»Was das für ein Prozeß sei, wenn er nicht einmal wisse, gegen wen er klagen wolle? Und was das Gericht mit dem Kirchenbuch zu tun hätte? Oder mit den Aufschreibungen eines Verstorbenen?« Jetzt fuhr der Schuller nach München und ging zum Landgericht.

Die sagten ihm, wenn er wirklich klagen wolle, müsse er's in Nußbach tun; sie hätten gar nichts damit zu schaffen. Er solle doch einen Advokaten nehmen.

Und er ging zu einem Advokaten.

Der lächelte etwas ungläubig.

Was das wieder für eine Geschichte war! Aber er hörte doch aufmerksam zu und fragte dazwischen.

»Und Sie haben Ihren Vater nicht geschlagen?«

»Na.«

»Ist alles erfunden? Und kein Wort wahr?«

»Koa Wort is wahr, Herr Dokta!«

Der Advokat lächelte wieder. Ja, ja, Bauern sind Spitzbuben. Wenn sie einen Advokaten anlügen, meinen sie, wie schlau sie sind. Und dann sagte er: »Da wirst nicht viel machen können, Schuller. Der jetzige Pfarrer red't sich auf den alten aus, den alten kannst nicht verklagen, weil er tot is. Wenn du gegen die andern klagst, sagen sie, daß sie bloß gesagt haben, was geschrieben steht. Und bringst du Zeugen, was können die bestätigen? Höchstens, daß sie nie etwas gesehen haben. Deswegen ist nicht gesagt, daß der Pfarrer Held oder der jetzige gelogen hat. Ich glaub dir ja alles, aber das Gericht is nicht so vertrauensvoll. Die Herren sagen: ›Ja, der hat halt niemand zuschauen lassen. Sehr einfach.‹«

Und der Advokat patschte die Handflächen ineinander.

Dann merkte er doch, wie sein Reden dem Manne zu Herzen ging.

»Ich tät' dir gern helfen, Schuller«, setzte er hinzu. »Aber mit einer Klag' is da nicht viel zu machen. Eines können wir probieren. Beschwer dich beim Ordinariat! Das wär' noch ein Mittel. Da gehst du hin und erzählst den Fall wie mir. Die Herren verderben es jetzt nicht gern mit den Bauern. Es kann sein, daß sie euern Pfarrer zu einer friedlichen Lösung anhalten.«

Und dann ging der Schuller die Stiege hinunter und ging mit seinen Kümmernissen und seinem Zorn über breite Plätze und durch enge Gassen, bis er vor der Wohnung des Domkapitulars Späth angelangt war.

An den hatte ihn der Advokat gewiesen. Ein altes Fräulein öffnete ihm und sagte, der hochwürdigste Herr Bruder sei nicht zu Hause, aber in einer halben Stunde komme er.

Der Schuller fragte, ob er nicht warten dürfe, und als es ihm erlaubt wurde, setzte er sich auf eine kleine Bank, die im Hausgang stand.

Eine Stunde verging, und der Herr Domkapitular kam noch immer nicht. Von Zeit zu Zeit steckte das Fräulein den Kopf zu der Tür heraus und überzeugte sich, daß der fremde Bauersmann noch immer da war. Der saß geduldig und regungslos auf einem Platze. Das Warten wurde ihm nicht lang, denn er hatte Gedanken genug, die ihn beschäftigten.

Endlich klangen Schritte die Treppe herauf und näherten sich er Wohnungstüre. Ein alter Geistlicher trat ein, und wie er den Schuller sitzen sah, fragte er ihn nach seinem Begehren.

Er hatte ein kluges, freundliches Gesicht, und der Schuller fing mit größerem Vertrauen seine Erzählung an.

Da hieß ihn der alte Herr in sein Zimmer eintreten und Platz nehmen. Und hörte ihn aufmerksam an.

Der Schuller erzählte seine Geschichte etwas weitläufig, mit vielen Nebensächlichkeiten. Weil der Advokat ihm so wenig Hoffnung gemacht hatte, wollte er jetzt alles recht verständlich vorbringen und nichts weglassen.

Der Geistliche schüttelte manchmal den Kopf und sah den Mann mit prüfenden Blicken an. Aber er unterbrach ihn nicht. Er schwieg auch noch eine Weile, als der Schuller fertig war.

Gewiß bildete er sich nicht ein festes Urteil über die ganze Sache, aber das eine sah er klar, daß hier wieder einmal Übereifer und falsche Auffassung von priesterlicher Würde Unheil angerichtet hatten.

Er konnte nicht Partei nehmen für den Mann; vielleicht hatte er sich durch eigenes Verschulden den Unwillen seiner Pfarrer zugezogen, aber auch dann war es töricht, wenn diese ihr persönliches Empfinden so stark geltend machten und in öffentliche Angelegenheiten eingriffen.

Solche Dinge waren schuld, daß jetzt der bäuerliche Stand seinen Priestern entfremdet wurde.

Die verloren immer mehr die Fähigkeit, Maß zu halten und eine versöhnende Stellung einzunehmen. Das Schlimmste bei solchen Vorkommnissen war, daß man sie selten gutmachen konnte.

Diese Herren wagten sich gewöhnlich so weit vor, daß ein Zurückgehen das Ansehen des Standes gefährdete.

Herr Doktor Späth schüttelte unwillig den Kopf.

»Mein lieber Mann«, sagte er, »was Sie mir erzählen, gefällt mir nicht. Aber was soll ich dabei tun?«

»Sie müassen befehl'n, daß der Zettel ausg'liefert werd. Der muaß öffentli' vor alle Leut z'rissen wer n.«

»Das kann ich nicht befehlen.«

»Sie san do der Vorg'setzte von insern Pfarrer?«

»In gewisser Beziehung steht er unter dem Ordinanat. Aber nicht so, wie Sie das meinen.«

»Ja, dös könnt's do ös net zualassen, daß an offenbare Verleumdung im Kirchenbuch d'rin bleibt? Da seid's ös allesamt schuldig!«

»Wir wollen uns jetzt nicht aufregen. Im Kirchenbuch steht so etwas nie.«

»Er hat den Zettel ins Kirchenbuch einig'legt. So was derft's ös do it zualassen!«

»Erstens: Ich kann dem Pfarrer von Erlbach nicht anschaffen, wohin er seine Papiere legen soll, und zweitens: Niemand kann ihm befehlen, daß er einen Zettel ausliefert, den er nicht unrechtmäßig erworben hat. Das müssen Sie doch einsehen.«

»Na, dös siech i net ei'. Mi derfen do aa koa falsche Urkund' net ei trag'n. A Burgermoasta, der so was tuat, werd ei'g'sperrt. Für de Pfarrer werd's do aa'r a G'setz geb'n?«

»Wir verstehen uns nicht. Hören Sie mich ruhig an! Eine Urkunde ist diese Schrift da nicht. Wenigstens keine Urkunde, wie Sie das verstehen. Das ist eine private Aufschreibung, eine Bemerkung. Geradeso, wenn Sie zum Beispiel in Ihr Notizbuch hineinschreiben, der Pfarrer Soundso hat gestohlen. Da kann Sie doch kein Mensch zwingen, daß Sie es herausreißen.«

»Wenn i 's aber ander Leuten zoag?«

»Dann können Sie wegen Beleidigung verklagt werden. Das ist hier nicht möglich, weil der Schreiber jenes Zettels gestorben ist.«

»Herzoagt hat'n der jetzige Pfarrer.«

»Ja, das hat er. Und ich würde es nicht getan haben. Aber verurteilt kann er deshalb nicht werden.«

»I siech scho, es gibt koa Recht für mi. Ös helft's alle z'samm.«

»Das müssen Sie nicht sagen.«

»Dös sag' i net alloa. Mir hat scho lang' oaner g'raten, daß i nix toa soll, weil's do für nix is.«

»Sie wollten von mir einen Rat. Also darf ich Ihnen nichts sagen, was ich selbst nicht glaube.«

»Ja, ja, i woaß scho. Hätt' da Bauer an Pfarrer beleidigt, nacha waar's leicht mit'n Klag'n.«

»Sehen Sie, Schuller - so heißen Sie? -, reden Sie sich nicht in Zorn und Argwohn hinein. Ich will sie nicht fortschicken, wie Sie gekommen sind. Wenn es Ihnen recht ist, schreibe ich dem Pfarrer; vielleicht kann man die Sache noch mit Güte beilegen. Das halte ich für das Beste.«

»Dös tean S' net! Bal i koa Recht it finden ko, is trauri; koa Gnad' mag i net. Und mit der Güte is bei mir gar nix mehr.«

»Er ist doch Ihr Seelsorger!«

»Na, dös is er net. Liaba fall' i am Fleck um, als daß i no mal in d' Kirch' geh' oder daß i a Sakrament nimm von dem Ehrabschneider.«

»Versündigen Sie sich nicht an unserem heiligen Glauben!«

»Heilig! Ja, der is heilig, der Glaub'n, der solchene Lehrer hat! San ma staad über dös! I bin firti damit! Adjes!«

Und der Schuller ging.

Auf der Straße blieben die Leute stehen und schauten dem Manne nach, der so hastig ging und mit sich selber redete. Die Lüge blieb stehen.

Jedes Wort war erfunden; so schlecht, wie nur einer was erfinden kann. Alle mußten es wissen. Mit Händen war es zu greifen.

Und half ihm alles nichts.

Er mußte das Unrecht leiden, wie er sich auch dagegen wehrte. Er war machtlos, ganz machtlos.

Herrgottsackerament!

Daheim fand er nichts, was ihm den Verdruß genommen hätte. Seine Bäuerin hatte nur dumme Fragen, und die Ursula ging müde und schwerfällig im Hause herum.

Ihr Zustand regte ihm noch mehr den Zorn auf.

Da würde es nun über eine kurze Weile neuen Verdruß geben. Und seine Feinde konnten sich freuen, wenn ihm der Hierangl vor Gericht das Hauswesen schlecht machte. Das mußte ihm gerade jetzt geschehen. Das heimliche Lachen sehen müssen und nichts sagen dürfen. Vielleicht fragte ihn der Bezirksamtmann, ob das auch bloß eine Verleumdung sei, das mit der Ursula. Und nahm es als Beweis, daß er recht gehabt habe. Daß einer nicht zum Bürgermeister taugt, wenn er im Haus nicht auf Ordnung sieht.

»Geh mir aus'n Weg, du! I mag di net sehg'n!«

Das mußte die Ursula oft hören; und dann schlich sie sich in den Stall hinaus und heulte jämmerlich.

Die Mutter weinte mit.

Ihr Herz war schwer bedrückt, weil der Bauer ihr gesagt hatte, daß er seinen Fuß nicht mehr in die Kirche setze; sie solle ihn nie darum angehen, denn es helfe ihr nichts. Das schien ihr das Ärgste von allem. Sie versuchte es mit Bitten. Wenn er schon in Erlbach nicht gehe, so könne er ja in Webling die Messe hören, daß ihn die Leute nicht für einen Heiden anschauen dürften. Wie wolle er denn in der Beichte bestehen, wenn er keinen Sonntag mehr Amt und Predigt besuche?

Das wäre ihm keine Sorge, sagte der Schuller, weil er nicht mehr beichte.

Aber wenn er die österliche Beichte versäume, sei er doch ausgestoßen aus der Kirche!

Das kümmere niemand wie ihn, und er frage blutwenig danach. Sie solle nach ihrem Gewissen leben, er rede ihr nichts ein. Aber in seine Sache solle sie sich nicht mischen, und er rede nicht mehr darüber.

Da wußte sie, daß alles vergeblich war; sie jammerte ihm nicht mehr vor, aber wenn sie allein in der Kirche war, setzte sie sich neben den Herd und weinte in die Schürze hinein. Ihre kleine Welt war aus den Angeln gehoben. In der gab es neben der Arbeit nur die kirchlichen Feierlichkeiten. Sie hingen so zusammen mit allen Ereignissen, daß sie ihr notwendig schienen zum Leben. So war es doch immer gehalten worden, bei ihr daheim und in jedem rechtschaffenen Hause, daß die Eheleute miteinander zur Kirche gingen. Und fortan sollte sie allein den Weg machen; nie mehr würde ihr Bauer neben ihr sein, nicht an den gebotenen Feiertagen, nicht an den hohen Festen. Sein Platz im Kirchenstuhle mußte leer bleiben, und die Nachbarinnen sollten spöttisch auf sie hinüberschielen.

Das schien ihr, als wäre ihr alle Ehrbarkeit genommen. In der Schlafkammer lag unter einem Glassturze ihr Myrtenkranz. Einmal prangte sie mit ihm, als der Andreas Vöst vor dem Altare versprach, ihr christlicher Ehemann zu sein, bis der Tod sie scheide. Und wenn sie ihr zum zweiten Male den Kranz aufsetzten, dann war es an dem Tage, wo sie nach einem arbeitsamen Leben die Glieder streckte.

Aber lebte derweilen noch ihr Bauer, dann stand er nicht hinter dem Geistlichen, der sie einsegnete, dann ging er nicht beim Gottesdienste als erster zum Opfern und sprengte nicht Weihwasser auf ihr Grab, wenn er des Sonntags daran vorbei in die Kirche ging.

So konnte sie nicht mehr ruhig sein im Leben und nicht im Sterben. Ihr Hauswesen war fortan nicht mehr geachtet. Alle bösen Mäuler im Dorfe konnten es lästern, und die richtigen Leute mußten es meiden.

Zu Weihnachten ging es die Schullerin am härtesten an. Aus allen Häusern eilten die Leute in die Christmette; in der kleinsten Hütte flammte um die Mitternacht ein Licht auf und irrte hinter den Fenstern hin und her. Wenn es erlosch, öffnete sich die Türe, und verhüllte Gestalten traten heraus. Auch die ganz Alten blieben nicht daheim; sie wateten mühsam durch den Schnee und schleppten sich hustend bis zur Kirche. Die Ursula war mit den Ehehalten vorangegangen; die Schullerin wartete noch und machte sich im Hause zu schaffen.

Sie versuchte es noch einmal, ihren Bauern umzustimmen.

»Heut' ko'st do gar it dahoam bleib'n, scho weg'n de Deanstbot'n it. Da is ja koa Respekt nimmer im Haus!«

»Geh, und laß ma mei Ruah! I mag den Menschen it sehg'n.«

»Du brauchst'n ja it o'schaug'n; du tuast as ja g'rad weg'n de Leut'.«

»Na, sag' i. I geh' net, und bal'st du no lang red'st, nacha kimmst selm z'spat.«

»Da Haberlschneider sagt's aa, du gibst an Pfarra bloß a G'leg'nheit, daß er schlecht reden ko über di.«

»Wenn dös der Haberlschneider glaabt, is 's sei Sach'. I glaab's anderst und bleib' dahoam.«

Und die Schullerin mußte allein gehen.

Die Nacht war klar und kalt.

Aus der Kirche drang helles Licht und legte sich auf die Schneedecke.

Und leuchtete weithin in die Gassen und Winkel und zu den Hügeln hinauf, von denen eilige Menschen herunterkamen.

Sie schritten über die Felder dem Lichte zu, wie vor vielen hundert Jahren die Hirten, denen die frohe Botschaft verkündet wurde.

»Heute ist euch der Erlöser geboren worden. Ihr werdet ein Kindlein finden, das in einer Krippe liegt.«

Da verließen sie ihre Herden und eilten, um das Ereignis zu sehen.

Es muß wohl ein armer Häusler gewesen sein, bei dem der Herr Joseph eingekehrt war.

Bloß ein Ochs und ein Esel standen hinter dem Barren; kein Roß fraß von der Raufe, keine Kuh lag auf der Streu.

Der Stall war niedrig und eng, daß er die Wärme hielt für das wenige Vieh.

Und weil die Hirten keinen Platz darin hatten, blieben sie an der Türe stehen.

Das Kindlein lag nackend, wie es zur Welt gekommen war, und die Magd des Herrn kniete davor und faltete fromm die Hände. Man sah ihr das Leiden an, denn sie ist gar ein zartes Frauenzimmer gewesen und hat noch in den Wehen herumirren müssen, bis sie endlich das Obdach fanden.

Der Joseph ist sorgsam dabeigestanden in zwiefacher Sorge um die Mutter und das Kind; wenn er seine schwieligen Hände zum Beten zusammenlegte, hat er in die Krippe geschaut, ob die Tiere das Stroh nicht unter dem Kinde wegzogen, und ob er noch ein Büschel unterlegen müsse.

Das waren drei arme Menschen.

Aber die Hirten sind vor ihnen niedergekniet.

Es ist ein lichter Schein von der Krippe ausgegangen und auf sie gefallen. Der leuchtet noch heute den Armen.

In diesem nackten Kindlein erstand ihnen ein Streiter.

Wie es neben der Hobelbank aufwuchs und in ehrfürchtiger Liebe an den Händen der Eltern die Ehrenmale der Arbeit sah, ist ihm der heiße Wunsch groß geworden, den Menschen zu helfen.

Und es ist der erste Kämpfer geworden gegen die Reichen und Mächtigen.

Die leidenden Menschen wissen es kaum; in der lauten Verehrung seines Namens ist gerade das zur Vergessenheit gekommen. Aber einmal im Jahre müssen sie daran denken. In der stillen Winternacht, wenn man die Geburt des Kindes feiert.

Da mögen die Armen glauben, daß der Mann sein Leben lang zu ihnen gestanden ist, der im engen Stalle auf die Welt kam.

Dichtgedrängt standen die Leute in der Kirche, und immer noch ging die Türe auf und zu. Vorne am Altare und an den Seitenwänden brannten Kerzen; davon war die gewölbte Decke erhellt; unten auf der Menge lag tiefes Dunkel. Aber hier und dort flackerte ein Licht, und in seinem gelben Scheine hob sich scharf umrissen ein ernsthaftes Gesicht ab. Eine alte Bäuerin, die ihren Wachsstock angezündet hatte und im Gebetbuche las.

Man sah die Lippen sich bewegen und den Hauch vom Munde gehen.

Die Menge stand nicht still. Viele rührten sich, daß sie die Kälte nicht so empfindlich merkten. Die Füße scharrten den Boden, unterdrücktes Husten kam aus dem Dunkel heraus und hallte vom Gewölbe zurück.

Mit einem Male verschlang voller Orgelton das Geräusch; Herr Stegmüller griff drei oder vier kräftige Akkorde und ging zu einer Melodie über.

Eine dünne Frauenstimme fiel ein, und wer zum Chor hinaufblickte, sah in schwacher Beleuchtung die Näherin, die Schallmaier Zenzi, welche auch des Sonntags das Hochamt begleitete.

Für gewöhnlich mußte sie lateinische Worte singen; heute war es ein deutsches Lied. Den Brauch hatte vor vielen Jahren der Pfarrer Held so eingeführt.

»Es ist ein Ros' entsprungen
Aus einer Wurzel zart,
Wie uns die Alten sungen,
Aus Jesse kam die Art.
Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht.«

Als das Lied zu Ende war, zog der Mesner dreimal an der Sakristeiglocke; der Pfarrer schritt im goldgestickten Kleide zum Altare hin, die Ministranten klingelten, und einer schwang das Weihrauchfaß.

Jetzt kam wieder das Lateinische zu seinem Rechte.

Die Schullerin war in dem Gedränge bis zur Seitenkapelle geschoben worden. Hier hatte der Mesner eine Krippe aufgerichtet; darstellend die Geburt des Herrn. Über die Hälfte des Raumes nahm der Stall von Bethlehem ein; es war aber kein Stall, wie sie vielleicht in Palästina gebaut worden sind; es war ein richtiger, ordentlicher Stall, wie man sie hierzulande hat.

Alles darin war genau und gut nachgemacht; Barren und Raufe, ein hölzerner Verschlag, in dem man die Schweine unterbringt, oben die Luke, durch die man das Heu hinunterwirft; dazu Geräte und Handwerkszeug, ein Schubkarren, Trankkübel und ein Melkstuhl waren da; Heurechen und Gabeln waren an die Wand gelehnt.

Und hinter dem Barren stand ein Ochse; aber kein Ochse, wie man sie in Palästina hat, sondern ein richtiger Pinzgauer, rot und weiß gefleckt. Der Esel daneben ist eher orientalisch gewesen, denn der Meister hatte ihn ohne Vorbild geschnitzt.

Vom Stalle weg dehnte sich eine Landschaft aus; eine richtige deutsche Schneelandschaft mit Hügeln und Bäumen. Am dunklen Himmel leuchteten die Sterne; einer besonders hell. Das war der Stern, der die Weisen aus dem Morgenlande herbeiführte.

Zu dem sahen die Hirten hinauf; sie mußten aber die Augen vor seinem Glanze bedecken.

Andere Hirten hatten sich vor dem Stalle aufgestellt und schauten andächtig hinein. Da saß die Jungfrau auf dem umgestülpten Schubkarren und hielt zärtlich blickend das Kindlein im Schoße. Der Joseph stand daneben; mit der linken Hand strich er sich den langen Bart, die rechte hielt er freudig in die Höhe, und stieß damit beinahe an der Decke des Stalles an.

Die Schullerin schaute gar andächtig auf die Gruppe.

Das war so, wie es im Liede gesungen wurde.

»Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht.«

Da mußte sie an ihr eigenes Kind denken, das sie den letzten Herbst zur Welt gebracht hatte.

Und das ihr der Pfarrer in ungeweihter Erde neben der Friedhofmauer einscharren ließ, weil es nicht getauft war in dem Glauben dessen, der da drinnen in der Krippe so hilflos auf seiner Mutter Schoß lag.

Es steht aber geschrieben: »Acht Tage später wurde das Kind beschnitten und ihm der Name Jesus gegeben.«

Eine ganze Woche später. Wenn da ein Unglück geschehen wäre, ob sie im Morgenlande gegen die Mutter auch so grausam gehandelt hätten?

Das ihrige war keine Stunde alt geworden und durfte doch nicht neben den Eltern liegen, um auf die Auferstehung zu warten.

Daran mußte die Schullerin denken.

Wenn das nicht geschehen wäre, hätte vieles ein anderes Aussehen bekommen. Von dem Tage an war der Verdruß angegangen und hatte nicht mehr aufgehört. Ja, wäre das nicht gewesen, dann stünde jetzt der Bauer neben ihr und fehlte nicht am heiligsten Abend in der Kirche.

Eine lebhafte Bewegung kam unter die Leute; am Altare sang der hochwürdige Herr ein lateinisches Wort besonders langgedehnt und feierlich durch die Nase.

Die Mette war zu Ende.

Die Ehehalten des Schuller verbreiteten es bald im Dorfe, daß ihr Bauer den Glauben abgeschworen habe und kein Christ mehr sein wolle.

Aber die Erlbacher hätten das auch ohne die Rederei bald gemerkt, denn bei allen heiligen Handlungen, die in dieser Zeit schnell hintereinander folgten, fehlte der Andreas Vöst.

Er trank nicht vom gesegneten Johanneswein; er war nicht bei der großen Salz- und Wasserweihe, die am Abend vor dem Dreikönigstage gehalten wird, und er ging am Lichtmeßtage nicht mit einer geweihten Kerze in der Prozession.

Die Schullerin brachte freilich geweihtes Salz heim und vermengte es mit dem Johanneswein, auf daß die Mischung das ganze Jahr aufbewahrt bleibe und davon jedem Stück Vieh gegeben würde, welches in den Stall käme.

Aber wie konnte es helfen und den Schaden abwehren, wenn der Hausherr den Brauch nicht ehrte?

Sogar den Blasiussegen verschmähte er.

Er war nicht unter den Leuten, welche am Tage nach Lichtmeß vor dem Altare knieten; er ließ sich nicht die gekreuzten Kerzen an den Hals legen, daß er von Krankheit verschont bleibe. Aber wenn der Schuller glaubte, daß er für sich allein nach eigenen Gesetzen leben könne, irrte er sich.

An seine Feindschaft mit dem Pfarrer hätten sich viele nicht gekehrt; die gab es zu allen Zeiten, voraus jetzt, wo sich die Bauernbündler zusammentaten.

Aber wer sich von Herkommen und Brauch losmacht, verliert den Boden unter den Füßen. Darin hatte die Schullerin mit ihrem Weiberverstande klarer gesehen wie der Bauer.

Das Ansehen wurde ihm gemindert, in der Gemeinde wie im Hause.

Denn die Sitte ist älter als die Menschen. Und sie ist stärker.

Weil sie das nüchterne Leben segnet, ist sie ehrwürdig, und weil sie ehrwürdig ist, kann sie keiner ohne Schaden verletzen.

Sie ehrt die Arbeit, sie gibt der Fröhlichkeit und der Trauer Bedeutung.

Absonderlich der Bauer hängt mit zäher Treue an ihr.

Sie begleitet ihn von dem Tage an, wo der Göd seinen Einbindtaler dem Täufling in die Windeln steckt, bis zu der Stunde, wo ehrsame Nachbarn seinen Sarg dreimal auf die Schwelle des Hauses niederlassen, bevor sie ihn auf die Schultern heben.

Daß der Schuller heraustrat aus dem festgefügten Kreise, mißfiel allen.

Auch dem Haberlschneider.

Er sagte dem Freunde offen, daß er unrecht damit tue und daß ihn jeder tadeln müsse, der es gut mit ihm meine.

Wenn jetzt der Pfarrer seinen Schmerz über den unchristlichen Haushalt auf der Kanzel verkündete, dachte mancher Rechtschaffene, daß er damit seine Pflicht tue.

Und im eigenen Hause mehrte sich dem Schuller der Verdruß.

Zu Lichtmeß sagten ihm alle Dienstboten auf. Sie wollten einem Herrn nicht dienen, der im Gerede stand; denn von dem Spotte fiel auch etwas auf sie.

Die neuen, welche kamen, taugten nicht viel. Sie glaubten von Anfang, daß sie in diesem Hause das Recht zur Liederlichkeit hätten. Wenn sie dann straffes Regiment spürten, wurden sie störrisch und mißmutig.

Der Roßknecht war das Jahr zuvor bei einem Bauern in Webling gewesen, der alle fünf gerade sein ließ und seinen Stall unreinlich hielt.

Gerade in dem Punkte war der Schuller genauer wie andere; er hatte nicht bloß in seinem eigenen Anwesen alte Mißbräuche abgeschafft, sondern auch Nachbarn und Freunde darüber belehrt, daß die alte Manier schädlich sei.

Er sah streng darauf, daß jede Futterzeit Dünger und Streu entfernt wurden, damit die Pferde ein trockenes und reinliches Lager hatten.

Dem neuen Knechte war die Arbeit zu viel. Als ein richtiger Faulenzer wußte er immer Gründe anzugeben, wenn er die Streu liegen ließ.

Der Boden sei zu hart, sagte er, und er dürfe doch nicht jedesmal einen großen Haufen ausbreiten; da sei es gescheiter, frische Streu auf die alte zu legen.

Der Schuller machte ihm begreiflich, daß es ihm auf ein paar Strohbündel nicht ankomme. Übertreiben müsse man es ja nicht; und ein hartes Lager sei immer noch besser wie Schmutz oder Nässe.1 Der Hansgirgl hörte zu und sagte, er wolle in Gottes Namen jedesmal frische Streu aufschütten; aber die alte warf er liederlich in eine Ecke des Stalles.

Da mußte ihn der Schuller wieder mahnen. Er habe ihm doch angeschafft, daß er die alte Streu auf den Misthaufen bringen solle.

Der Hansgirgl sagte, es sei draußen zu kalt, und er habe die Stalltüre nicht aufmachen dürfen, sonst wäre die Luft hereingekommen.

Der Dallhammer von Webling sei scharf darauf gewesen, daß die kalte Luft nicht in den Stall komme. Das sei eine alte Dummheit, entgegnete der Schuller.

Bei ihm müsse es anders gemacht werden. Nur auf mit der Tür, dreimal im Tag, und den Mist hinausgefahren! Die Luft sei was Gutes für Mensch und Vieh.

Ein paar Wochen tat es gut.

Bis eines Tages der Hansgirgl wieder frische Streu auf die alte warf. Diesmal faßte der Schuller schärfer an.

»Ja, hab' i dir's it g'sagt, daß i dös it mag? Is mei Reden für gar nix?«

»'s Roß liegt oamal z'hart, und de alt' Strah is gar it naß; beim Dallhammer hamm mir de Strah glei drei und vier Täg liegen lassen.«

»Was geht denn dös mi o, was der Dallhammer tuat?«

»Der sell hat aa was verstanden, und 's Roß braucht it so hart liegen.«

»Bei mir g'schieht dös, was i will. Und dös mirkst dir amal guat!«

Der Hansgirgl räumte verdrossen den Mist zusammen und streute frisch auf. Wie er mit der Arbeit fertig war, band er den Schurz ab und zog seinen Janker an.

Eine Viertelstunde später saß er beim Wirt, und drei Stunden später saß er noch dort.

Seinen Hut schob er von einem Ohr auf das andere, und jedesmal, wenn ihm die Kellnerin eine frische Halbe brachte, ließ er sie trinken. Er sagte, daß er sich nichts gefallen lasse. Und das müsse schon eine ganz andere Herrschaft sein, von der er sich was gefallen lasse. Er wolle die Arbeit tun, akkurat so, wie beim Dallhammer von Webling; das Neumodische kenne er nicht und wolle er nicht, und es reue ihn, daß er vom Dallhammer weggegangen sei.

Die Pferde wurden unruhig, als zur Futterzeit niemand kam.

Da ging der Schuller in den Stall und sah, daß der Hansgirgl ausgeblieben war. Er schüttete selber vor und war zornig über den Knecht, der nach so kurzer Zeit schon liederlich wurde. Als er ihn später durch den Hof gehen sah, trat er auf ihn zu.

»Wo kimmst denn du her?«

»I?«

»Ja, du. Woaßt du it, wann Fuatterzeit is?«

»I waar scho kemma.«

»Du waarst seho kemma! Müassen d' Roß warten, bis du g'nua g'soffen hoscht. Du stinkst nach'n Bier!«

»I ho gar it g'soffen. Wegen dera Halbe brauch' i mi net schimpfen lassen. «

»Balst ma dös nomal tuast, daß d' unter der Zeit zu'n Wirt laafst, nacha schmeiß' i di außi.«

»So, du schmeißt mi außi?«

»Jawohl, schnell g'nua.«

»Na, dös tuast du net! I geh' a so und schaug mir um an richtigen Deanst in an richtigen Haus.«

»Nimm di z'samm!«

»I nimm mi gar it z'samm. Mi hat's a so den ersten Tag g'reut, daß i zu dir kemma bi. A jeder Mensch sagt's, daß ma bei dir it bleib'n soll. Du bist ja gar koa Christ! Du bist ja gar neamd!«

»Geh in dei Kammer und pack dei Sach'! Morg'n in da Fruah machst, daß d' weiter klmmst. Dei Büachl und dein Lohn für dös Monat schick' i dir umi. Und sehg'n will i di nimmer!«

Der Hansgirgl zog am nächsten Morgen ab. Einige Tage später ging auch die Mitterdirn nach einem geringfügigen Wortwechsel mit der Bäuerin. Die Bäcker Ulrich Marie wußte ihr einen besseren Platz, wo sie ihr Seelenheil nicht auf das Spiel setzen mußte.


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